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Falls es einem von ihnen einfiel, Dimas Einladung auszuschlagen, gaben sie es jedenfalls nicht voreinander zu, so Gail:

»Wir machten es ja für die Kinder. Hurra, unsere zwei Rabauken feiern Geburtstag. In diesem Geist wurde uns die Sache verkauft, und in diesem Geist haben wir zugesagt. Aber mir ging es um die beiden Mädchen« – neuerliche Erleichterung darüber, dass sie es geschafft hatte, Natascha aus dem Spiel zu lassen. »Für Perry dagegen …« Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu.

»Für Perry dagegen …?«, wiederholte Luke, als Perry nicht reagierte.

Sie ruderte schon wieder zurück, stellte sich schützend vor ihren Liebsten. »Dich hat einfach das Ganze so fasziniert, oder, Perry? Dima – diese Urkraft, die er verkörperte, der vom Leben geformte Mann. Dieser Haufen russischer Outlaws. Die Gefahr. Überhaupt die Exotik. Da war ja ein Draht da. Tue ich dir da Unrecht?«

»Klingt für mich ein bisschen sehr nach Psychogelaber«, sagte Perry schroff, defensiv.

Der kleine Luke, verbindlich wie stets, beeilte sich dazwischenzugehen. »Also im Grunde gemischte Motive auf beiden Seiten«, schlug er im Ton eines Mannes vor, für den gemischte Motive das tägliche Brot sind. »Wogegen ja an sich nichts zu sagen ist, oder? War schließlich ein ziemlich gemischtes Terrain, mit dem Sie’s da zu tun hatten. Wanjas Pistole. Gerüchte über Waschkörbe voll russischem Bargeld. Zwei kleine Waisenmädchen, die Sie als ihre Retter ansahen – und die Erwachsenen ja vielleicht auch, weiß man’s? Und dazu noch der Geburtstag der Zwillinge. Ich meine, wie hätte ein anständiger Mensch da nein sagen können?«

»Auf einer Insel«, erinnerte Gail ihn leise.

»Eben. Und Sie brannten ja wohl auch vor Neugier, wenn ich das mal so sagen darf. Wie denn auch nicht? Ich meine, die Mischung konnte einem ja ziemlich zu Kopfe steigen. Ich wäre bestimmt schwach geworden.«

Das glaubte Gail auch. Sie hatte so das Gefühl, dass der kleine Luke seinerzeit bei so einigem schwach geworden war und dass ihn das selbst ein wenig beunruhigte.

»Und Dima«, insistierte sie. »Dima machte für dich den eigentlichen Reiz aus, gib’s zu, Perry. Das hast du selbst gesagt. Für mich waren es die Kinder, aber für dich war es letzten Endes Dima. Wir haben gerade erst vor ein paar Tagen darüber gesprochen, erinnerst du dich?«

Sprich: während du dein Drecksdokument abgefasst hast und ich wie eine Idiotin danebensaß.

Perry brütete über dieser Aussage eine Zeitlang, wie er über jedem anderen akademischen Postulat gebrütet hätte, ehe er mit dem Lächeln des guten Sportsmannes seine Richtigkeit anerkannte.

»Das stimmt. Ich hatte das Gefühl, von ihm auserwählt zu sein. Von ihm gepuscht, könnte man auch sagen. So ganz weiß ich offen gestanden nicht mehr, was ich empfand. Vielleicht wusste ich es damals schon nicht.«

»Aber Dima wusste es. Sie waren sein Professor für Fairplay.«

* * *

»Also sind wir an diesem Nachmittag nicht an den Strand gegangen, sondern zum Einkaufen in die Stadt«, nahm Gail den Faden wieder auf. Sie sprach an Perrys abgewandtem Gesicht vorbei zu Yvonne, aber ihre Worte waren an ihn gerichtet. »Für die Geburtstagskinder bot sich natürlich eine Kricketausrüstung an. Das war deine Zuständigkeit. Es hat dir einen Riesenspaß gemacht, nach Kricketsachen zu suchen. Du warst völlig begeistert von diesem Sportgeschäft mit dem alten Ladenbesitzer und den Photos der großen westindischen Spieler an den Wänden. Learie Constantine? Wer hing da außerdem noch?«

»Martindale.«

»Und Sobers. Gary Sobers war da. Du hast ihn mir gezeigt.«

Er nickte. Sobers, genau.

»Uns gefiel auch das Verschwörerische an der Sache. Der Kinder wegen. Ambrose’ Idee, dass ich aus der Torte springen sollte, war gar nicht so abwegig, stimmt’s? Und ich hab Geschenke für die Mädchen ausgesucht. Mit ein bisschen Unterstützung von dir. Schals für die Kleinen, und für Natascha eine sehr hübsche Muschelkette mit Halbedelsteinen dazwischen.« Geschafft. Sie hatte Natascha wieder ins Spiel gebracht, ohne dass jemand nachhakte. »Du wolltest mir auch eine kaufen, aber das habe ich dir nicht erlaubt.«

»Aus welchen Gründen, Gail?« Yvonne mit ihrem zurückgenommenen, intelligenten Lächeln versuchte die Spannung ein bisschen herauszunehmen.

»Alleinstellung. Es war lieb gemeint von Perry, aber ich wollte nicht über einen Kamm mit Natascha geschoren werden«, erwiderte Gail beiden, Perry ebenso wie Yvonne. »Und Natascha auch nicht mit mir, da bin ich sicher. Danke, das ist eine sehr liebe Idee, aber heb sie dir für später auf, hab ich zu dir gesagt. Stimmt’s? Mal ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, in St. John’s, Antigua, zumutbares Geschenkpapier aufzutreiben!«

Schnell weiter:

»Dann war da die Frage, wie man uns hineinschmuggeln würde. Da wir ja die große Überraschung sein sollten. Das fanden wir auch so witzig. Wir spielten mit dem Gedanken, uns als karibische Piraten zu verkleiden – du jedenfalls –, aber das schien uns dann doch etwas übertrieben, zumal die Familie ja noch in Trauer war, auch wenn wir das offiziell nicht wussten. Also gingen wir so, wie wir waren, nur ein klein bisschen feingemacht. Perry in seinem alten Blazer und den grauen Hosen, die er für den Flug angehabt hatte. Seiner Brideshead-Kluft. Mode ist nicht so ganz Perrys Ding, aber er hat sein Bestes getan. Plus natürlich die Badehose. Und ich zog mir ein Baumwollkleid über den Badeanzug und dazu eine Strickjacke, falls es frisch würde, denn wir wussten, dass Three Chimneys einen Privatstrand hat, und dachten, dass vielleicht geschwommen würde.«

Yvonne schreibt einen säuberlichen Vermerk. Für wen? Luke, Kinn in die Hand gestützt, trinkt Gails Worte in sich hinein, ein wenig arg tief, findet sie. Perry fixiert düster ein Fleckchen Mauerwerk an der dunklen Ziegelwand. Ungeteilte Aufmerksamkeit allerorten für Gails Schwanengesang.

* * *

Ambrose hatte sie beide für sechs Uhr an den Hoteleingang beordert, fuhr Gail in gemäßigterem Ton fort – auf dass sie in einem der Minivans mit den getönten Scheiben nach Three Chimneys expediert und dort durch eine Seitentür ins Haus eingeschleust würden, dachten sie. Fälschlich, wie sich zeigte.

Stattdessen wurden sie auf einem Umweg zum Parkplatz dirigiert. Dort wartete Ambrose am Steuer eines Geländewagens. Der Plan, so erklärte er ihnen in aufgeregtem Verschwörerton, war es, die Überraschungsgäste über den alten Naturpfad, der über den Grat der Halbinsel führte, direkt zur Hintertür von Three Chimneys zu schaffen, wo Mr Dima sie persönlich in Empfang nehmen würde.

Sie redete wieder als Ambrose:

»Die haben eine Steelband da, und Lichterketten im Garten, und eine Ladung vom zartesten Kobefleisch, das je aus einer Kuh gekommen ist. Die haben echt alles, ich sag’s euch. Und Mr Dima, der hat die Sache bis aufs i-Tüpfelchen durchdacht und geplant. Hat meine Elspeth mit der ganzen Rasselbande zu einem Krabbenrennen auf der anderen Seite von St. John’s verfrachtet, nur dass wir die jungen Herrschaften durch die Hintertür hereinschmuggeln können, so hochgeheim ist das mit euch heute Abend!«

Wenn sie auf ein Abenteuer aus gewesen wären, so hätte schon allein der Naturpfad ausgereicht. Es musste buchstäblich Jahre her sein, dass ihn das letzte Mal jemand benutzt hatte. Zwischendurch musste Perry ihnen allen Ernstes einen Weg durch das Dickicht bahnen.

»Was er natürlich großartig fand. Er hätte als Bauer mit der Machete zur Welt kommen sollen, stimmt’s, Perry? Und dann tauchten wir aus diesem endlosen grünen Tunnel auf, und vor uns stand Dima wie ein glückstrahlender Minotaurus. Falls es so etwas gibt.«

Perrys knochiger Zeigefinger hob sich mahnend.

»Es war das erste Mal, dass wir Dima allein zu Gesicht bekamen«, gab er zu bedenken. »Keine Leibwächter, keine Familie. Keine Kinder. Niemand, der ein Auge auf uns hatte. Zumindest nicht sichtbar. Wir standen zu dritt am Rande eines Urwalds. Ich glaube, wir empfanden das beide sehr stark. Diese plötzliche Ausschließlichkeit.«

Doch Perrys bedeutungsschwangerer Einwurf ging unter in Gails sprudelndem Erzählschwall.

»Er hat uns umarmt, Yvonne. Aber richtig. Erst Perry, dann hat er ihn zur Seite gestoßen, um mich zu umarmen, dann war wieder Perry an der Reihe. Keine Anmache. Eher väterlich-überschwänglich. Als hätte er uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Oder würde uns nie wiedersehen.«

»Oder er war verzweifelt«, stellte Perry in demselben gewichtig-nachdenklichen Ton wie vorher in den Raum. »Ein bisschen war das mein Eindruck. Deiner vielleicht nicht so. Wie viel wir ihm in diesem Moment bedeuteten. Welche Schlüsselstellung wir hatten.«

»Er liebte uns«, fuhr Gail vollmundig fort. »Er stand da und erklärte uns seine Liebe. Auch Tamara liebt uns, versicherte er. Sie kann es nur nicht richtig zum Ausdruck bringen, weil sie seit ihrem Problem ein bisschen verrückt ist. Nichts darüber, worin ihr Problem bestehen könnte, und fragen konnten wir ja schlecht. Natascha liebt uns auch, sagte er, nur sagt sie dieser Tage zu gar niemandem etwas, sie liest nur Bücher. Die ganze Familie liebt uns Engländer, wegen unserer Menschlichkeit und unserem Fairplay. Wobei er nicht Menschlichkeit sagte – was sagte er gleich wieder?«

»Herz.«

»Wir standen also am Ende des Tunnels und ließen diese Umarmungsorgie über uns ergehen, und er schwang glühende Reden über unsere Herzen. Ich meine, mit wie viel Liebe kann man jemanden überschütten, mit dem man in seinem Leben keine sechs Worte gewechselt hat?«

»Perry?«, forderte Luke ihn auf.

»Ich empfand ihn als heroisch«, antwortete Perry, die lange, schmale Hand in klassischer Denkergebärde an die Stirn gedrückt. »Ich wusste bloß nicht, warum. Habe ich das nicht auch irgendwo in unserem Dokument geschrieben? Heroisch? Ich fand, dass er …« Mit einem Achselzucken verwarf er seine eigene Empfindung als wertlos. »Würde unter Beschuss, dachte ich. Ich wusste nur nicht, Beschuss von wem. Oder weshalb. Ich wusste gar nichts, außer dass er …«

»… mit dir in der Wand hing«, vollendete Gail ohne Spott.

»Ja. Ganz genau. Und er hatte sich bös verstiegen. Er brauchte uns.«

»Dich«, verbesserte sie ihn.

»Von mir aus. Mich. Mehr versuche ich ja gar nicht zu sagen.«

»Dann erzähl du weiter.«

* * *

»Er führte uns heraus aus dem Tunnel und zum Haus hoch. Wir kamen von hinten, wie wir ziemlich bald sahen«, setzte Perry an und brach ab. »Ich nehme an, Sie möchten eine möglichst akkurate Beschreibung?«, wandte er sich streng an Yvonne.

»Das stimmt, Perry«, erwiderte Yvonne knapp. »Bis ins kleinste, ödeste Detail, wenn Sie so nett wären.« Und kehrte zurück zu ihrem akribischen Gekritzel.

»An der Stelle, wo wir aus dem Wald gekommen waren, begann ein Stück Straße, so ein alter roter Schlackenweg, den die Bauleute damals wahrscheinlich als Zufahrtsstraße angelegt hatten. Er stieg steil an, mit vielen Schlaglöchern.«

»Und wir die ganze Zeit mit unseren Geschenken in der Hand«, warf Gail von der Seitenlinie ein. »Du mit deinen Kricketsets, ich mit den eingewickelten Geschenken für die Mädchen in der schicksten Tüte, die ich nur finden konnte, was nicht viel heißt.«

Hört überhaupt jemand zu?, fragte sie sich. Mir schon mal nicht. Perry ist hier der Wortführer. Ich dackle hinterher.

»Von hinten glich das Haus einem Trümmerhaufen«, fuhr Perry fort. »Dass wir keinen Palast erwarten durften, hatte man uns ja gesagt, wir wussten, dass das Haus zum Abriss stand. Aber wir hatten nicht mit einer Ruine gerechnet.« Der Oxford-Dozent nun als der Mann im Innenraum. »Es gab ein baufälliges Ziegelgebäude mit Gitterfenstern, die alte Sklavenunterkunft höchstwahrscheinlich. Es gab eine hohe weißgetünchte Grundstücksmauer, etwa vier Meter hoch und mit Nato-Draht gekrönt, die neu und brutal aussah. Rundherum standen Flutlichtmasten, wie um ein Fußballstadion, die auf jeden herabgleißten, der in die Nähe kam. Wir hatten den Schein von unserem Balkon aus gesehen. Zwischen den Masten waren Lichterketten gespannt, für die bevorstehenden Geburtstagsfeierlichkeiten vermutlich. Überwachungskameras, die aber von uns weg zeigten, weil wir auf der falschen Seite davon waren. Ich nehme an, das war die Absicht dahinter. Eine blitzende neue Satellitenschüssel, an die sieben Meter hoch und, soweit ich das auf unserem Rückweg erkennen konnte, grob nach Norden ausgerichtet. Auf Miami vielleicht. Oder auf Houston. Das ließ sich nur raten.« Denkpause. »Gut, Sie wissen so was wahrscheinlich. Gehört bei Ihnen ja auch zum Beruf.«

Soll das eine Provokation sein, soll das ein Witz sein? Weder noch. Perry führt ihnen lediglich vor, wie großartig er ihre Arbeit macht, falls sie es noch nicht bemerkt haben. Der Bezwinger überhängender Nordwände demonstriert ihnen, dass er nie eine Route vergisst. Dass er zu keiner Herausforderung nein sagen kann, solange seine Chancen nur schlecht genug stehen.

»Dann ging es durch noch mehr Wald wieder bergab zu einem Stück Wiese, an dessen Ende die Landspitze aufragte. Letztlich hatte das Haus gar keine Rückseite. Oder es bestand nur aus Rückseiten, wie Sie möchten. So ein pseudo-elisabethanischer Flachbau aus Schindeln und Asbest, der in drei Richtungen schaute. Grau verputzte Wände. Winzige bleigefasste Fenster. Sperrholz, das sich als Fachwerk ausgab, und eine überdachte Hintertür, über der eine Laterne baumelte. Kannst du das so unterschreiben, Gail?«

Seit wann zählt meine Meinung? »Du machst das schon«, sagte sie. Was nicht ganz das war, was er gefragt hatte.

»Nachträglich angebaute Schlafzimmer, Bäder, Küchen und Wirtschaftsräume mit eigenen Eingängen, es muss also früher einmal eine Art Kommune oder Siedlung gewesen sein. Mit anderen Worten, ein wüster Mischmasch. Dimas Schuld war es nicht. Das wussten wir ja von Mark. Die Dimas waren gerade erst hingezogen. Hatten nichts daran gemacht, außer im Schnellverfahren die Sicherheit aufgestockt. Uns hat das nicht weiter gestört. Eher im Gegenteil. Es hat für einen schwer überfälligen Realitätsbezug gesorgt.«

Dr. Yvonne, die es nie genau genug wissen konnte, blickte von ihrem medizinischen Gutachten auf. »Und Schornsteine gab es demnach keine, Perry?«

»Doch, zwei gehörten zu einer verfallenen Zuckermühle am Westende der Landzunge, und der dritte stand allein am Waldrand. Ich dachte, ich hätte das auch in unserem Dokument erwähnt.«

Von wegen unser Dokument! Wie oft soll ich mir das noch anhören? Unser Dokument, das du geschrieben hast und das ich nicht sehen durfte, aber die schon? Es ist dein Scheißdokument! Es ist denen ihr Scheißdokument! Gails Wangen brannten, und sie hoffte, dass er es bemerkte.

»Und dann, als wir den Hang zum Haus hinunterstiegen, vielleicht zwanzig Meter entfernt, würde ich sagen, stoppte Dima uns plötzlich«, sagte Perry, und sein Ton gewann an Dringlichkeit. »Beide Hände erhoben. STOPP!«

»Und war das auch der Moment, als er verschwörerisch den Finger an die Lippen legte?«, fragte Yvonne und hob kurz den Kopf, während sie schrieb.

»Ganz genau«, schaltete Gail sich ein. »Exakt der Moment. Unglaublich verschwörerisch. Erst das STOPP, dann der Finger an den Lippen. Wir dachten, das gehört mit zur Kinderüberraschung, deshalb gingen wir darauf ein. Ambrose hatte zwar gesagt, sie wären zum Krabbenrennen verfrachtet worden, deshalb schien es ein bisschen seltsam, dass sie plötzlich doch im Haus sein sollten. Aber wir nahmen einfach an, der Plan hätte sich geändert und sie wären doch nicht gefahren. Ich zumindest dachte das.«

»Danke, Gail.«

Wofür, Herrgott noch mal? Dafür, dass ich Perry die Schau zu stehlen versuche? Nichts zu danken, Yvonne, das tu ich doch gern. Und gleich weiter:

»Dima hatte uns so weit, dass wir buchstäblich den Atem angehalten haben. Wir sind auf Zehenspitzen geschlichen. Ohne eine Sekunde an ihm zu zweifeln – das sollte ich vielleicht noch dazusagen. Wir gehorchten ihm, ganz untypisch für uns beide, aber so war es. Er führte uns zu einer Tür, einer Haustür, die aber an der Seite war. Sie war nicht verschlossen, er drückte sie einfach auf und trat vor uns hindurch und drehte sich dann sofort zu uns um, eine Hand erhoben und die andere an die Lippen gedrückt wie« – wie Daddy als Gestiefelter Kater im Weihnachtsspiel, nur nüchtern, hätte sie fast gesagt, verkniff es sich aber – »ja, und dazu eben dieser bohrende Blick, der uns zum Schweigen verdonnerte. Oder, Perry? Erzähl du weiter.«

»Und dann, als er wusste, er hat uns am Haken, winkte er uns herein.« Perrys Tonfall minimalistisch in bewusstem Gegensatz zu ihrem, die Stimme, die er macht, wenn er ernstlich aufgeregt ist, es aber nicht zeigen will. »Wir sind in eine leere Eingangshalle geschlichen. Gut, was heißt Halle! Vielleicht drei mal vier Meter groß, mit einem gesprungenen Westfenster mit einem Rautenmuster aus Klebeband, durch das die Abendsonne hereinströmte. Dima hatte immer noch den Finger am Mund. Ich trat über die Schwelle, und er packte meinen Arm, so wie er ihn schon auf dem Tennisplatz gepackt hatte. Ein Griff wie ein Schraubstock. Ich hätte nie im Leben dagegenhalten können.«

»Dachten Sie denn, Sie müssten dagegenhalten?«, wollte Luke mitfühlend wissen, Männer unter sich.

»Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich war in Sorge um Gail, ich hatte das Gefühl, ich sollte mich zwischen sie stellen. Für ein paar Sekunden nur.«

»Aber lang genug, um sich darüber klarzuwerden, dass es hier nicht mehr um eine Kinderüberraschung ging«, meinte Yvonne.

»Ja, so langsam dämmerte mir das«, gestand Perry und hielt einen Moment inne, um das Jaulen eines Martinshorns oben auf der Straße verklingen zu lassen. »Sie müssen sich klarmachen, was für ein Lärm uns da drin plötzlich umtoste«, betonte er, als hätte ein Geräusch das andere ausgelöst. »Wir standen in diesem winzig kleinen Flur, aber wir konnten den Wind um das ganze klapperige Haus heulen hören. Und das Licht war – nun ja, phantasmagorisch, um einen Lieblingsausdruck meiner Studenten zu benutzen. Es fiel sozusagen in Schichten durch das Westfenster herein. Einmal dieses zerfaserte Licht aus der niedrigen Wolkenbank, die sich vom Meer her heranschob, und ganz flach darüber ein Balken strahlenden Sonnenlichts. Und pechschwarze Schatten, wo das Licht nicht hinreichte.«

»Und kalt war es«, klagte Gail und schlang theatralisch die Arme um sich. »Eine Kälte, wie nur leere Häuser sie ausstrahlen. Und dazu dieser klamme Grabgeruch. Aber mein einziger Gedanke war: Wo sind die Mädchen? Warum ist von ihnen nichts zu hören oder zu sehen? Warum ist nichts und niemand zu hören als nur dieser Wind? Und wenn niemand da ist, wozu dann diese ganze Heimlichtuerei? Wem machen wir hier etwas vor außer uns selbst? Und du dachtest das Gleiche, nicht wahr, Perry, das hast du mir hinterher ja gesagt.«

* * *

Und hinter Dimas erhobenem Zeigefinger, so Perry, das Gesicht eines Fremden. Aller Überschwang schlagartig daraus verschwunden. Sogar aus den Augen. Keine Spur von Humor mehr. Es war erstarrt. Als wäre es todwichtig, dass wir Angst haben. Genauso große Angst wie er selbst. Und während sie ihn anstarrten, verwirrt und, ja, erschrocken, wurde plötzlich wie eine Geistererscheinung Tamara sichtbar, die von ihnen unbemerkt schon die ganze Zeit in einer Ecke des kleinen Flurs gestanden hatte, im finstersten Winkel jenseits der Sonnenstreifen. Sie trug dasselbe lange schwarze Kleid wie bei dem Tennismatch und drei Tage später im Wagendunkel mit Dima, und sie sah aus wie ihr eigenes Gespenst.

Gail riss die Erzählung wieder an sich:

»Das Erste, was ich von ihr sah, war ihr Bischofskreuz. Und um das Kreuz nahm dann der Rest von ihr Gestalt an. Sie hatte sich für die Geburtstagsparty Zöpfe geflochten, hatte Rouge aufgelegt und Lippenstift um den Mund geschmiert – und zwar richtig geschmiert. Sie sah so verrückt aus wie ein Märzhase. Sie hat sich den Finger nicht gegen die Lippen gedrückt. Das hatte sie gar nicht nötig. Ihr ganzer Körper schien ein Warnschild in Schwarz und Rot. Vergiss Dima, dachte ich. Das hier ist der wahre Irrsinn. Und natürlich fragte ich mich nach wie vor, was wohl ihr Problem war. Denn sie hatte eins, aber wie.«

Perry setzte zum Sprechen an, aber sie übertönte ihn resolut:

»Sie hielt ein Blatt Papier in der Hand – A4-Schreibmaschinenpapier, in der Mitte gefaltet – und streckte es uns hin. Wofür? War es ein religiöses Traktat? Macht euch bereit, denn der Herr naht? Oder händigte sie uns einen Haftbefehl aus?«

»Und Dima, was machte Dima derweil?«, fragte Luke, nun wieder an Perry gewandt.

»Der ließ endlich meinen Arm los«, sagte Perry mit einer Grimasse. »Aber erst, nachdem er ganz sicher war, dass ich Tamaras Zettel im Blick hatte. Den sie mir daraufhin unter die Nase hielt. Und Dima nickte dazu: Lesen! Aber immer noch mit dem Finger am Mund. Und Tamara wie eine Besessene aussehend. Nein, eigentlich wirkten sie alle beide besessen. Von einer Angst, mit der sie uns anstecken wollten. Aber Angst wovor? Also las ich es. Nicht laut natürlich. Und auch nicht sofort. Ich stand nicht im Licht. Ich musste damit erst ans Fenster gehen. Auf Zehenspitzen – was zeigt, wie sehr wir in ihrem Bann standen. Und dann musste ich mich mit dem Rücken zum Fenster stellen, weil die Sonne so blendete. Dann musste Gail mir noch meine Ersatzlesebrille aus ihrer Handtasche geben …«

»Weil er die richtige in unserem Häuschen vergessen hatte wie immer …«

»Und dann kam Gail auf Zehenspitzen hinter mich geschlichen …«

»Weil du mir ein Zeichen gemacht hattest …«

»Zu deinem Schutz – und las über meine Schulter mit. Und ich würde sagen, wir haben es beide mindestens zweimal gelesen.«

»Mindestens«, bestätigte Gail. »Ich meine, was für ein Gottvertrauen! Wie kamen sie dazu, sich uns dermaßen auszuliefern? Warum waren sie sich plötzlich so sicher, dass wir die Richtigen sind? Es war so eine … so eine verdammte Zumutung!«

»Viel anderes blieb ihnen nicht übrig«, meinte Perry gedämpft, zu einem weisen Nicken von Luke, dem sich Yvonne diskret anschloss, und Gail fühlte sich noch ausgegrenzter als den ganzen Abend schon.

* * *

Vielleicht setzte die angespannte Atmosphäre in dem stickigen Kellerraum Perry langsam doch zu. Oder vielleicht, dachte Gail, war es ein sehr verspäteter Anfall von schlechtem Gewissen. Jedenfalls ließ er seinen langen Körper im Stuhl nach hinten fallen und die knochigen Schultern hängen, um sie zu lockern, und zeigte mit dem Finger auf den braunen Aktenordner, der zwischen Lukes zierlichen Fäusten lag:

»Aber Sie haben Tamaras Text ja in unserem Dokument vorliegen, das heißt, ich muss ihn Ihnen nicht herunterbeten«, sagte er aggressiv. »Sie können ihn selber lesen, sooft Ihr Herz begehrt. Haben Sie ja sicher schon.«

»Trotzdem«, sagte Luke. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Perry. Einfach der Vollständigkeit halber.«

Stellte Luke ihn auf die Probe? Gail glaubte es beinahe. In dem akademischen Dschungel, den Perry so dringend hinter sich lassen wollte, war er berühmt für seine Fähigkeit, ganze Textpassagen gleich nach der ersten Lektüre auswendig zu zitieren. Bei seiner Ehre gepackt, begann Perry nun langsam und ausdruckslos, wie ein Gerichtsbeamter, der eine Zeugenaussage verliest:

»Dimitri Wladimirowitsch Krasnow, der Mann, den sie Dima nennen, Europadirektor von Arena Multi Global Trading Conglomerate in Nikosia, Zypern, ist bereit, durch Vermittler Professor Perry Makepiece und Anwalt Madam Gail Perkins mit den großbritannischen Behörden Einigung zu verhandeln zu Nutzen für beide Seiten, als Tausch gegen Informationen, welche sehr wichtig, sehr dringend, sehr kritisch sind für Großbritannien Ihrer Majestät. Kinder und Haushalt kehren zurück in zirka ein und eine halbe Stunde. Es gibt praktischen Ort, wo Dima und Perry günstig sprechen können ohne Gefahr von Abhören. Gail wird bitte mit Tamara anderen Teil im Haus aufsuchen. Kann sein dies Haus hat viele Mikrophone. Wir REDEN KEIN WORT BITTE bis alle Personen zurückgekehrt sind von Krabbenrennen für Party.«

»In dem Moment klingelte das Telefon«, sagte Gail.

* * *

Perry sitzt so aufrecht da wie ein angepfiffener Schüler. Hände flach auf der Tischplatte wie zuvor, Rückgrat durchgedrückt, Schultern hängend, so sinnt er über die Richtigkeit dessen nach, was er gleich tun wird. Das Kinn hat er abwehrend vorgeschoben, dabei will ihm doch gar niemand etwas, niemand außer Gail, die ihn mit einem Ausdruck würdevoller Beschwörung fixiert – hofft sie jedenfalls, aber vielleicht schielt sie ihn auch nur böse an; sie ist sich nicht mehr sicher, was für Signale sie aussendet.

Luke klingt unbeschwert, ja nonchalant, was vermutlich Absicht ist:

»Ich versuche mir nur gerade vorzustellen, wie Sie da gestanden haben müssen«, sagt er lebhaft. »Ein ganz und gar einzigartiger Moment, nicht wahr, Yvonne? Die beiden Seite an Seite in diesem Flur stehend. Lesend. Perry mit dem Brief in der Hand. Gail, die ihm über die Schulter schaut. Beide im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. So plötzlich mit diesem ungeheuerlichen Ansinnen konfrontiert, auf das Sie in keiner Weise reagieren dürfen. Was für ein Alptraum! Und soweit es Dima und Tamara betrifft, sind Sie ja schon halb mit im Boot, einfach dadurch, dass Sie stumm bleiben müssen. Keiner von Ihnen hat im Zweifel den Nerv, kurzerhand aus dem Haus zu stürmen. Sie sind festgenagelt. Sowohl physisch als auch emotional. Hab ich recht? Vom Standpunkt der beiden heißt das, wunderbar, Sie haben stillschweigend eingewilligt, einzuwilligen. Das ist die Botschaft, die sich Tamara und Dima vermittelt. Ohne jeglichen Vorsatz Ihrerseits. Sie tun nichts, Sie sind einfach nur da, und schon sind Sie Mitspieler in ihrem großen Spiel.«

»Auf mich wirkten sie schlicht und ergreifend durchgeknallt«, sagt Gail, um ihn wieder auf den Boden zu holen. »Völlig paranoid alle beide, um ehrlich zu sein, Luke.«

»Paranoid inwiefern?« – Luke, unbeirrt.

»Woher soll ich das wissen? Allein diese Vorstellung, dass das Haus verwanzt sein soll. Und dass kleine grüne Männchen mithören.«

Aber Luke zeigt mehr Schneid, als sie erwartet hat. Er kontert scharf:

»Kam Ihnen das wirklich so unglaubwürdig vor, nach allem, was Sie gesehen und gehört hatten? Wie kann Ihnen nicht klargewesen sein, dass Sie mindestens mit einem Bein im Russenmafia-Sumpf stecken? Als erfahrene Anwältin auch noch, wenn ich das sagen darf.«

* * *

Eine lange Pause trat ein. Gail hatte nicht damit gerechnet, mit Luke die Klingen zu kreuzen, aber wenn er auf Streit aus war, den konnte er haben.

»Die sogenannte Erfahrung, von der Sie sprechen, Luke«, begann sie wütend, »erstreckt sich bedauerlicherweise nicht auf …«, aber da griff schon Perry ein.

»Das Telefon klingelte«, erinnerte er sie behutsam.

»Ja. Also gut, das Telefon klingelte«, lenkte sie ein. »Es stand vielleicht einen Meter entfernt von uns. Eher weniger, oder, Perry? Sechzig Zentimeter. Ein Schrillen, als würde der Feueralarm losgehen. Wir kriegten fast einen Herzinfarkt. Sie natürlich nicht, nur wir beide. So ein angestaubtes schwarzes Vierziger-Jahre-Trumm mit Wählscheibe und Ringelschnur, das auf einem wackligen Rattantischchen stand. Dima hob ab und blaffte auf Russisch in den Hörer, und wir durften zuschauen, wie sein Gesicht sich zu diesem Arschkriecherlächeln verzog. Alles an ihm war plötzlich ganz und gar gezwungen. Aufgesetztes Lächeln, aufgesetztes Lachen, aufgesetzte Leutseligkeit, ›Aber ja doch‹, ›Aber nein doch‹, während sein Gesichtsausdruck sagte: ›Ich erwürg dich mit meinen bloßen Händen.‹ Und immer den Blick auf die verdrehte Tamara gerichtet, die ihm zeigte, wo’s langgeht. Den Finger wieder an die Lippen gelegt, damit wir auch ja keinen Mucks machen, während er spricht. Stimmt’s, Perry?« – an Luke sah sie bewusst vorbei.

Stimmt.

»Das sind also die Leute, vor denen sie Angst haben, denke ich bei mir. Und vor denen wir auch Angst haben sollen. Tamara gibt ihm die Einsätze. Nickt mit den Rouge-Bäckchen, schüttelt sie hin und her, zieht eine Medusenfratze, wenn irgendwas gar nicht geht. Brauchbare Beschreibung, Perry?«

»Blumig, aber korrekt«, bestätigte Perry hölzern – um ihr dann, Gott sei’s gedankt, ein echtes, ungedimmtes Lächeln zukommen zu lassen: schuldbewusst, aber dennoch.

»Und das war der erste von vielen Anrufen an diesem Abend, nicht wahr?«, sagte Luke hurtig und sah mit schnellen, seltsam unbeteiligten Augen zwischen ihnen hin und her.

»Ein halbes Dutzend waren es mindestens, bis die Familie zurückkam«, bestätigte Perry. »Du hast sie auch gehört, oder?« – zu Gail gewandt –, »und das war nur der Anfang. Die ganze Zeit, während ich mit Dima in Klausur war, klingelte das Telefon, und dann schrie entweder Tamara, dass Dima abheben solle, oder Dima sprang mit viel russischem Gefluche von selbst auf und rannte hin. Wenn es im Haus noch andere Anschlüsse gab, habe ich sie jedenfalls nicht gesehen. Irgendwann im Lauf des Abends sagte er, sie hätten hier oben durch die vielen Bäume und die Felsen keinen Handyempfang, deshalb würden ihn alle übers Festnetz anrufen. Ich hab ihm das nicht abgenommen. Ich dachte mir, dass sie wahrscheinlich überprüfen wollten, ob er daheim war, und ihn übers Festnetz anzurufen schien eine ziemlich sichere Methode.«

»Sie

»Diese Leute, die ihm nicht trauten. Und denen er auch nicht traute. Die Leute, denen er verpflichtet ist. Und die er hasst. Die Leute, vor denen sie sich fürchten, so dass wir uns auch fürchten müssen.«

Sagen wir doch gleich, die Leute, über die Perry, Luke und Yvonne Bescheid wissen dürfen und ich nicht, dachte Gail. Die Leute aus unserem Scheißdokument, das nicht unseres ist.

»Und das war der Zeitpunkt, zu dem Sie und Dima sich an Ihren praktischen Ort verfügt haben, wo Sie sich austauschen konnten, ohne dass jemand mithört«, half Luke ihm weiter.

»Ja.«

»Und Gail, Sie sind mit Tamara abgezogen zu einem kleinen Plausch unter Mädels.«

»Plausch, dass ich nicht lache.«

»Aber Sie sind mit ihr mitgegangen.«

»In ein versifftes Wohnzimmer, das nach Fledermauspisse stank. Mit einem Plasmafernseher, in dem das russisch-orthodoxe Hochamt lief. Sie hatte eine Blechbüchse dabei.«

»Eine Blechbüchse?«

»Hat Perry das nicht erwähnt? In unserem gemeinsamen Dokument, das ich nicht kenne? Tamara schleppte eine schwarze Blechhandtasche mit sich herum. Wenn sie sie abstellte, machte es klonk. Ich weiß ja nicht, wo normale Frauen ihre Schießeisen hinstecken, aber ich hatte schwer das Gefühl, dass da Onkel Wanja grüßen ließ.«

Wenn das mein Schwanengesang ist, will ich verdammt noch mal was davon haben.

»Der Fernseher nahm fast die ganze Wand ein. Die übrigen Wände waren mit Ikonen bedeckt. Wanderikonen. Prunkvoll gerahmt, damit es im Himmel mehr hermacht. Männliche Heilige, keine Jungfrauen. Tamara geht keinen Schritt ohne sie, zumindest war das meine Vermutung. Ich habe eine Tante, die auch so ist, früher Nutte von Beruf, jetzt Katholikin. Bei der hat jeder Heilige ein anderes Aufgabenfeld. Für verlorene Schlüssel ist Antonius zuständig. Wenn sie den Zug nimmt, Christopherus. Wenn sie knapp bei Kasse ist, Markus. Wenn ein Verwandter krank ist, Franziskus. Wenn alles zu spät ist, Petrus.«

Schweigen. Sie war im Text stecken geblieben: eine drittklassige Schauspielerin, eine von vielen, die keiner brauchen kann.

»Und der Rest des Abends, ganz kurz noch, Gail?«, fragte Luke – gerade, dass er nicht auf die Uhr sah.

»Ein Traum, danke der Nachfrage. Beluga-Kaviar, Hummer, geräucherter Stör, kübelweise Wodka, brillante halbstündige Trinksprüche in gelalltem Russisch für die Erwachsenen, eine göttliche Geburtstagstorte, heruntergespült mit heilbringenden Wolken von beißendem russischem Zigarettenrauch. Kobefleisch und Kricket im Flutlichtschein, eine lärmende Steelband, der keiner zuhörte, ein Feuerwerk, bei dem keiner hinsah, ein Mitternachtsbad für die Letzten, die noch stehen konnten, und danach heim zu einem Schlummertrunk und einer netten kleinen Runde Manöverkritik.«

* * *

Noch einmal ein Stoß von Yvonnes Hochglanzphotos, jetzt wirklich zum letzten Mal. Wenn Sie bitte alle identifizieren würden, die Sie von den Feierlichkeiten her zu erkennen meinen, sagt Yvonne mechanisch.

Den da und den da, sagt Gail und deutet lustlos.

Und ihn doch auch, oder?, sagt Perry.

Ja, Perry, ihn auch. Noch so ein verdammter Er. Eines Tages werden wir Chancengleichheit für weibliche russische Kriminelle haben.

Schweigen, während Yvonne einen weiteren ihrer sorgfältigen Vermerke schreibt und dann den Stift weglegt. Danke, Gail, Sie haben uns sehr geholfen, sagt Yvonne. Für den spitzen kleinen Luke das Stichwort, um zügig zum Ende zu kommen. Zügigkeit ist Barmherzigkeit.

»Gail, ich glaube, wir sollten Sie heimgehen lassen. Sie sind uns extrem entgegengekommen, Sie waren eine ausgezeichnete Zeugin, und wegen allem anderen können wir uns an Perry halten. Wir sind Ihnen sehr verbunden. Beide. Danke.«

Sie steht an der Tür, nicht sicher, wie sie dorthin gelangt ist. Yvonne steht neben ihr.

»Perry?«

Antwortet er ihr? Sie kann sich an nichts erinnern. Sie steigt die Treppe hinauf, Yvonne, ihre Schließerin, dicht hinter ihr. Oben in der plüschigen, überladenen Diele faltet der massige Ollie mit dem Cockney-Akzent und dem fremdländischen Zungenschlag seine russische Zeitung zusammen, rappelt sich aus seinem Sessel auf und bleibt kurz vor einem antiken Spiegel stehen, um sich mit beiden Händen die Baskenmütze zurechtzurücken.