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Los Angeles ist kein Pflaster, auf dem man sich die Sohlen abläuft, schon gar nicht, wenn die Sonne scheint und man lieber herumsitzt. Doch auf dem Abschnitt der Melrose Avenue, wo sich das Beppo Bippo und einige weitere Gourmet-Tempel aneinanderreihen, waren heute erstaunlich viele Fußgänger unterwegs.

Einige der Passanten entschieden sich für Darius Kleffers Küche, andere wählten eine andere Speisekarte.

Der Häuserspalt blieb leer. Entweder war Kleffer zu seinen Messern zurückgekehrt, oder er genoss immer noch die Gesellschaft der Frau in dem roten Jerseytop.

»Sieht sie für dich aus wie eine Stripperin?«, fragte Milo. »Verzeihung, Tänzerin.«

Ich wich in gespielter Empörung zurück. »Nur weil ein Mädchen Kurven hat, kann sie keine Hirnchirurgin sein?«

»Kurven mit Tattoos?«

»Um ehrlich zu sein«, sagte ich. »Kürzlich habe ich vor Medizinstudenten eine Vorlesung gehalten. Ein paar davon waren tätowiert.«

»Alles verändert sich.« Er gähnte. »Oder auch nicht. Jedenfalls nicht das, was wichtig wäre.«

Der Parkmann, den Milo geschmiert hatte, nahm den Schlüssel eines Audis entgegen, raste davon und kam dann mit einem Mercedes zurück. Ein zweiter Mann trat an den kleinen Empfangsstand heran, ein schwergewichtiger Weißer mit Schnurrbart in schwarzem Jackett, roter Hose und Fliege.

Der Chefparker. Ob er mit den Lamborghinis spielen durfte?

Er sah zu uns herüber und sprach mit dem Kollegen. Ein kurzer Wortwechsel, dann walzte er zu uns herüber wie ein Panzer auf Kreppsohlen.

»Sie können hier leider nicht stehen bleiben.«

Milo wiederholte sein Marke-im-Dollarrock-Spiel. Fliegengewicht grinste. »Danke sehr.« Die Augen auf den Schein gerichtet rollte er von dannen.

»Was war das denn?«, fragte ich.

»Der Lauf der Welt.«

Vierzig Dollar genügten dem Parkservice, um uns eine halbe Stunde lang in Ruhe zu lassen. Nach fünfundzwanzig Minuten kamen weitere gute Neuigkeiten von Frank Gonzales: John Jensen Williams’ Transporter war gefunden worden.

»Gleich dort am Hafen. Er hat sich nicht mal Mühe gegeben, ihn zu verstecken.«

»Hat eine Weile gedauert, das Fahrzeug zu finden.«

»Der Hafen ist groß, er hat den Ford am nördlichen Ende gelassen, nicht weit von einer der Werften. Nein, nicht dort, wo Corey sein Boot hatte; das ist immer noch auf dem Trockendock. Und niemand hat Williams ein Wasserfahrzeug vermietet.«

»Gibt der Transporter etwas Interessantes her, Frank?«

»Auf den ersten Blick nicht, aber warten wir ab, was unsere Schürferpatrouille findet. Ich habe bei der Gemeinde darum gebeten, das Fahrzeug abschleppen und zu unserem Labor bringen zu lassen. War kein Problem. Gibt’s bei Ihnen irgendwas Neues?«

Milo erzählte ihm von Kleffers Flirt.

»Klingt wie der steile Zahn, der unseren jungen Kollegen heißgemacht hat«, sagte Gonzales. »Also nicht Santos?«

»Nein.«

»Das könnte ihr Pech sein. Ich habe weiterhin ein Auge auf die Meldungen; die sollten eigentlich unmittelbar auf meinen Computer kommen, aber Sie wissen ja, wie das ist.«

»Allerdings, Frank.«

»Wir können zum Mond fliegen, aber wenn es darum geht, auf der Erde was zu finden, versagen wir.«

Nach vierunddreißig Minuten näherte sich der voluminöse Chefparker zum zweiten Mal, ein gieriges Grinsen im Gesicht.

Unsere Observation war Milos Laune bislang nicht besonders zuträglich gewesen, und sein Blick genügte, um den Mann auf dem Absatz kehrtmachen zu lassen.

»Gierschlund«, sagte er.

»Schau«, forderte ich ihn auf.

Darius Kleffer und die Frau in Rot waren aus dem Restaurant getreten und wandten sich nach links auf den Häuserspalt zu. Kleffer hatte bereits die Zigaretten gezückt.

Trotz hoher Absätze war sie klein, keinen Meter fünfzig groß. Das und eine kurze, schmale Taille samt vorbildlicher Haltung ließen ihren Vorbau umso enormer erscheinen.

Eine kleine Handtasche aus schwarz-weißem Fell über der Schulter stolzierte sie mit schwingenden Hinterbacken, die sich wie Kugellagerkugeln unabhängig bewegten.

Hervorragende Körperspannung. Gewohnt, sich darzustellen.

Vielleicht wirklich eine »Tänzerin«.

Darius Kleffers Körperhaltung wirkte dagegen traurig.

Er steuerte die Stelle an, wo wir mit ihm gesprochen hatten, und lehnte sich an die Mauer. Die Frau stellte sich ihm gegenüber.

Er hielt ihr eine Zigarette hin, die sie annahm. Er zündete beide an.

Sie rauchten und flirteten weiter. Ein paar Mal warf die Frau ausgelassen lachend den Kopf zurück, was eine brünette Haarkaskade auslöste. Mit einer leichten Berührung von Kleffers Arm schloss sie die kleine Choreografie ab.

Unser Blick auf das Stelldichein wurde nur hin und wieder von Passanten verdeckt.

»Muss Liebe schön sein«, sagte Milo.

Wieder ein paar Minuten freier Blick, dann Passanten. Milo begann, auf dem Armaturenbrett zu trommeln.

»Was für ein Lied ist das jetzt?«

»Der Colonel-Bogey-Marsch.« Er schloss die Augen.

Ich sah weiter zu. Wieder Passanten.

Einer davon blieb einen halben Meter vor dem Häuserspalt stehen.

Ein großer Mann mit schwarzer Baseballkappe und langem schwarzem Regenmantel.

Für einen warmen, sonnigen Nachmittag erschien die Kleiderwahl sonderbar.

Während ich Milo anstieß, schlüpfte der Mann in den Spalt und griff unter seinen Mantel.

Als ich die Fahrertür aufstieß, war Milo schon auf dem Weg über die Straße und bemühte sich, von Flüchen und Hupen begleitet, dem Verkehr auszuweichen. Ich beeilte mich, ihm zu folgen, und bekam ebenfalls mein Fett ab.

Vielleicht lag es am Lärm, vielleicht auch nicht, jedenfalls drehte sich der Mann mit der Baseballkappe um.

Ein langes, knochiges Gesicht.

Große Sonnenbrille mit schwarzen Gläsern.

Ein akkurat quadratisch getrimmter Kinnbart unter der dünnen Unterlippe. Der unter der Kappe sichtbare Hinterkopf war rasiert. Die Fingernägel waren schwarz lackiert.

Trotz allem kein Zweifel: John Jensen Williams. Mit einem Messer in der Hand.

Unvermittelt machte er einen Satz in den Spalt hinein.

Milo erreichte mit gezückter Waffe den Gehsteig. Fußgänger stoben schreiend auseinander. Jemand rief: »Wir müssen die Polizei rufen!«

Williams fuchtelte mit dem Messer. Eine lange, gebogene Klinge. Die Sorte, die Robin und ich benutzen, um Fisch auszunehmen.

Das Metall glänzte hellrot.

Darius Kleffer lag auf dem Boden und hielt sich den Bauch.

Die Frau im roten Top stand mit ausdrucksloser Miene zwischen ihm und Williams, ohne Anzeichen von Überraschung.

Als sie Milo mit der Waffe entdeckte, fing sie an, theatralisch zu schluchzen.

John Jensen Williams blickte auf das Messer und dann auf Kleffer, der jetzt vor Schmerzen stöhnte.

»Fallen lassen! Sofort fallen lassen!«, forderte Milo ihn auf.

»Von wegen«, sagte Williams mit ruhiger Stimme, »das war Notwehr.« Er senkte den Arm. Seine Finger lockerten sich. Das Messer baumelte.

»Fallen lassen!«

»Ich versuche es, aber ich bin ein bisschen nervös.« Williams lächelte leicht. Das Messer zeigte nach unten.

Dann schlossen sich seine Finger, und die Klinge richtete sich nach oben.

Er stürzte sich auf Milo.

Milo schoss auf ihn, genau auf die Körpermitte, wie man es auf der Polizeischule lernt.

Der Regenmantel hatte einen kaum wahrnehmbaren Riss bekommen, doch Williams blieb stehen.

»Oh«, sagte er unbeeindruckt.

Trug er eine Schutzweste?

Milo musste den gleichen Gedanken haben, denn er schoss erneut und trieb John Jensen Williams ein nicht zu übersehendes Loch in die glatte, bleiche Stirn.

Williams sagte: »Wow«, und sackte zusammen, nur knapp neben Kleffer, der wimmerte und immer mehr Gesichtsfarbe verlor.

Die Frau in Rot warf ihr Haar zurück. »Oh, vielen Dank, Sir! Sie haben mir das Leben gerettet.«

Kein Blick auf Darius Kleffer, der jetzt vor Schmerzen schrie. Um seine Finger quoll Blut hervor.

Ich hockte mich neben ihn, während Milo der Frau Handschellen anlegte.

»Sir«, sagte sie. »Ich bin das Opfer.«

»Ihrer eigenen Dummheit.«

»Sie sind dumm. Und außerdem fett und hässlich.«

»Ja, ja, nur die Ruhe.«