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Wir fuhren an dem Restaurant vorbei und kreuzten durch die Nachbarschaft, auf der Suche nach J. J. Williams’ Ford-Transporter, den auf Meredith Santos zugelassenen Lexus oder einen grauen Toyota Corolla mit »77S« im Kennzeichen, Besitzer unbekannt.
Bei der vierten Runde meldete sich Frank Gonzales noch einmal am Telefon und klärte zumindest einen Teil des Autorätsels auf.
»Der Toyota wurde gerade als gestohlen gemeldet. Eine Frau hat ihn vor einem Fischrestaurant im Hafen von Ventura geparkt. Sie ging rein, um sich etwas zum Mitnehmen zu besorgen, und ließ den Schlüssel stecken.«
»Schon wieder geht es ums Essen«, sagte Milo. »Haben Sie schon mal Miesmuschel-Soufflé gegessen, Frank?«
»Klingt eklig«, meinte Gonzales. »Ich habe aber auch eine Allergie gegen Meeresfrüchte.«
»Williams hat also die Autos getauscht, aber von seinem Transporter ist weit und breit nichts zu sehen.«
»Noch nicht, die Kollegen in Ventura überprüfen noch den Hafen und fragen in Touristenläden nach. Da ist gerade Whale-Watching-Saison, vielleicht ist der Scheißkerl auf ein Boot und irgendwo anders wieder an Land gegangen, auf Nimmerwiedersehen.«
»Na, hoffentlich nicht, Captain Ahab.«
»Nicht Captain Ahab«, verbesserte Gonzales. »Wenn schon Moby Dick, dann bin ich Ishmael. Der Gute.«
Ich kreiste drei weitere Male. Zufrieden darüber, dass keines der Fahrzeuge in der Nähe parkte, ließ mich Milo einen Block nördlich der Melrose Avenue rechts ranfahren.
Er löste seinen Gurt. »Also schön, liebe Fans von National Geographic, jetzt wollen wir mal die Welt der kulinarischen Köstlichkeiten erforschen.«
»Vielleicht sollte ich lieber allein reingehen«, schlug ich vor.
»Warum?«
»Williams kennt uns zwar beide, aber ich könnte mich allein leichter unbemerkt hineinschleichen.«
»Du meinst, Williams ist da drin?«
»Ich meine, nur für alle Fälle.«
»Warum meinst du, es wäre für dich allein leichter?«
»Ich sehe nicht aus wie ein Cop.«
Er musterte meine Kleidung. Schwarzer Rollkragen, Jeans, braune Deckschuhe. Er trug einen grauen Anzug, der längst vor der Schwerkraft kapituliert hatte, ein bügelfreies Hemd, das gebrochen weiß, aber auch verwaschen sein konnte, und eine schmale Krawatte aus nicht näher zu identifizierendem Material.
»Was? Ich gehe nicht als Hipster-Gourmet durch?«
»In solchen Restaurants«, sagte ich, »geht es nicht ums Essen.«
»Sondern?«
»Bin mir nicht sicher.«
Er überlegte eine Weile. »Also gut, aber bleib nicht zu lange drin, und aktiviere meine Kurzwahl, sodass du mich mit einem Fingerdruck anrufen kannst. Gib mir Bescheid, wenn du irgendwas auch nur halbwegs Interessantes entdeckst.«
Ich betrat einen Raum voller Lärm und Gerüche. Jetzt zur Mittagszeit war der Wartebereich des Restaurants voll mit dünnen Leuten, die für kleine Portionen hohe Preise bezahlen wollten.
Ich spähte durch die Menge und erhaschte einen kurzen Blick in die offene Küche. Genau wie beim ersten Mal herrschte hektische Betriebsamkeit.
Anders als beim ersten Mal war Darius Kleffer nicht dabei.
Ich entdeckte ihn an einem Zweiertisch an der linken Wand, mit dem Rücken zu mir, aber unverkennbar durch seine Irokesenfrisur, den tätowierten Arm und seine schwarze Kochmontur.
Seine Begleitung war eine junge Frau Mitte zwanzig mit langen, glänzend schwarzen Haaren. Schräge Ponyfransen verdeckten einen Teil ihres länglichen Gesichts. Riesenkreolen baumelten von ihren Ohren.
Stark geschminkte Augen und viel Rouge auf den Wangen. Große dunkle Augen.
Sie trug ein ärmelloses rotes Jerseytop, silberfarbene Jeans, graue kniehohe Wildlederstiefel mit dicken hohen Absätzen. Auch sie war tätowiert, blau-lila, ihr gesamter linker Arm. Die übrige Haut war fischbauchweiß.
Ein hübsches, aber unauffälliges Gesicht.
Ein bemerkenswerter Körper.
Ihr Busen war enorm und wurde vom Schnitt ihres roten Tops noch betont. Der runde Ausschnitt war so weit, dass er kaum ihre Brustwarzen bedeckte, die sich durch den Stoff abzeichneten. In ihrem Dekolletéspalt hätte man leicht ein Taschenbuch verstecken können.
Kleffer redete, während sie sich darauf beschränkte, lächelnd mit den Wimpern zu klimpern und die Haare zurückzuwerfen.
Beide lehnten sich vor, sodass ihre Gesichter nur Zentimeter von der Weißweinflasche entfernt waren, die zwischen ihnen stand. Ihre Gläser waren zu einem Drittel voll. Auf ihren Tellern lagen nicht identifizierbare Reste.
Eine Stimme am Kopf der Warteschlange sagte: »Bedauere. Noch nicht.« Der Schnösel vom Telefon. In seiner Stimme lag keine Spur von Bedauern. Nur Schadenfreude.
Immer mehr Menschen drängten sich um mich herum im Wartebereich. Der Restaurantmanager nahm das zum Anlass, sein Reservierungsbuch zu studieren und uns zu ignorieren.
Sein Anblick ließ mich zusammenzucken. Beim ersten Hinsehen sah er Jens Williams erschreckend ähnlich.
Beim genaueren Hinsehen stellte sich heraus, dass er etwas älter und fünfzehn Zentimeter kleiner war. Doch alles Übrige passte zusammen: das lange, fettige, bewusst zerzauste dunkle Haar, die dicke Nerdbrille, der billige Anzug, modisch knapp geschnitten, das schwarze Hemd und die dünne rosa Krawatte.
Mir wurde klar, dass Williams sich mit seinem Hipster-Look in jeder Stadt – zumindest in jeder größeren – ins Bild fügte und ungestört neue Wirkungsstätten erkunden konnte.
Der Manager tat weiter so, als würde er lesen.
Die wartende Menge der Tapaistas drängte sich vor mir zusammen. Jemand stieß mir den Ellbogen in die Rippen. Ein anderer hatte die Kühnheit, unmutig zu grummeln, doch sein Protest erstarb rasch unter den missmutigen Blicken der anderen.
In dieser Welt galt es als Auszeichnung, in der Schlange warten zu dürfen. Maulen war politisch inkorrekt.
Vielleicht war das Muschel-Soufflé wirklich hervorragend.
Als ich erneut gestoßen wurde, drehte ich mich um und verließ das Restaurant.
Jemand schimpfte mir nach: »Das geht aber nicht, da verlieren Sie Ihren Platz.«
Wieder hinter dem Steuer beschrieb ich, was ich gesehen hatte.
»Eine großbusige Lady.«
»Nach einer Brustverkleinerung könnte man sie großbusig nennen.«
»Du meinst, sie ist diejenige, mit der Williams in Oxnard gehaust hat?«
»Oder er hat eine gefunden, die wie sie aussah.«
»Also nicht Santos. Ist das nun gut oder schlecht?«
Ich sagte nichts.
»Verdammt … vielleicht ist es nur Zufall, und Kleffer sitzt da nur mit seiner neuen Flamme.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Aber es sah mehr nach ganz frischem Flirt aus als nach einer bestehenden Beziehung.«
»Das heißt, er hat sie gerade erst kennengelernt und umgarnt sie jetzt mit seinen Kochkünsten. Keine Spur von Williams?«
»Nein.«
»Wenn Miss Busenwunder mit Williams zusammenwohnt – benutzt er sie vielleicht als Köder für Kleffer?«
»Was auch immer sie verkauft, Kleffer kauft es ihr ab.«
Seine Lippen vibrierten wie bei einem Trompeter. »Okay, dann lass uns irgendwo in der Straße hier einen Parkplatz finden – irgendwo auf der Restaurantmeile, und zwar so, dass wir den Häuserspalt im Auge behalten können, in den Kleffer sich zum Qualmen und für dramatische Monologe zurückzieht.«
Drei benachbarte Lokale zogen das gleiche Publikum an, und die Parkplätze am Straßenrand waren allesamt für deren Parkservice reserviert.
Ich zirkelte den Seville hinter ein Bentley-Coupé, das niemals hätte orange lackiert werden dürfen, und stellte den Motor ab.
Die ideale Stelle, um den Spalt zwischen den Häusern zu beobachten. »Jetzt warten wir einfach«, sagte Milo.
Ein Mann in roter Jacke, der zum Parkdienst gehörte, kam herübergerannt und versuchte, die Fahrertür zu öffnen, die ich verriegelt hatte. Er blinzelte durch das Fenster. »Isch parrke Wagen firr Sie.«
Hohe Stimme, eifrig, Nahost-Akzent.
»Wir warten einfach hier«, sagte Milo.
»Nein, nein, nur fir Restaurant.«
»Nein, nein, nur wir.«
»Sirr …«
»Kommen Sie näher, mein Freund.«
»Hm?«
»Kommen Sie schon.«
Es gab für den Mann keinen Grund, Milos Aufforderung zu folgen, doch dessen gekrümmter Finger zog ihn geradezu magnetisch an. Milo zückte einen Zwanzigdollarschein, faltete ihn auf und offenbarte, was er darunter verbarg.
Die Augen des Mannes wanderten vom Geld zu der goldenen Marke.
»Hm?«
»Heute ist Ihr Glückstag, mein Freund. Money for nothing, und das Parken ist umsonst.«
Der Mann zwinkerte. »Das ein Lied?«
»Nein, die Realität.«