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Ich hatte meinen Wagen gerade vor der Laderampe hinter der Universitätsklinik geparkt, da steckte Miranda den Kopf zur Tür heraus. »Peggy hat angerufen«, sagte sie. Peggy war die überarbeitete Sekretärin des anthropologischen Instituts. »Sie sagt, Dr. Carter bittet Sie, sie in ihrem Büro in Chattanooga anzurufen. So bald wie möglich.«

Ich eilte hinein und überlegte, was meinen Rückruf wohl so dringend machte. Mir fiel nichts ein. »Jess, hier ist Bill«, sagte ich. »Stimmt was nicht?«

»Ich habe nur gerade einen Anruf aus Nashville erhalten«, sagte sie. »Von der Kammer der Medical Examiner.« Das waren die Menschen, in deren Händen das Schicksal – und die Approbation – von Dr. Garland Hamilton lagen. »Bill, sie kneifen. Sie haben abgestimmt, ihn für neunzig Tage zu suspendieren. Vom Tag der Beschwerde an. Die Beschwerde wurde vor dreiundachtzig Tagen eingereicht. Das bedeutet, dass er in einer Woche wieder auf seinem Posten ist.«

Ich stöhnte. Wie konnten sie ihn mit so einer lächerlichen Strafe davonkommen lassen? Hamiltons schlampige Obduktion hatte einen Mann wegen »Mordes« vor Gericht gebracht, wo es nie einen Mord gegeben hatte. Es war die schludrigste Obduktion, die ich je gesehen hatte, und auch wenn es sein schlimmster Fehler war, so war es bei weitem nicht sein einziger. Ich hatte für den zu Unrecht des »Mordes« Angeklagten ausgesagt, und Hamilton hatte mich hinterher vor dem Gerichtsgebäude wütend konfrontiert, ja mir sogar gedroht. Doch bei der Anhörung vergangene Woche schien er ja über seine Feindseligkeit hinweggekommen zu sein, so wie er mir die Hand geschüttelt und mir versichert hatte, er hege keine Ressentiments gegen mich. Trotzdem schmeckte mir die Vorstellung nicht, dass er wieder auf dem Posten des Medical Examiners für Knox County und achtzehn angrenzende Countys eingesetzt wurde.

»Verdammt«, sagte ich. »Wir haben uns gerade daran gewöhnt, hier oben eine kompetente Medical Examiner zu haben. Ich weiß, dass die viele Fahrerei zwischen Chattanooga und Knoxville für dich ziemlich stressig war, aber wir werden dich auf jeden Fall vermissen.« Ich zögerte und fügte dann hinzu: »Ich werde dich vermissen.«

Die Leitung schwieg, und ich spürte Panik aufsteigen, dann sagte sie: »Bedeutet nicht, dass wir uns nicht mehr sehen können. Bedeutet nur, dass wir außerhalb der Arbeit Zeit füreinander finden müssen.« Erleichterung und Hoffnung überfielen mich.

»Wir sind beide klug«, sagte ich. »Wir sollten das doch irgendwann hinkriegen.«

»Überschätz uns nicht«, scherzte sie. Wir plauderten noch ein wenig, dann wurde Jess angepiepst, und wir legten auf.

Fast in demselben Augenblick, da ich den Hörer auf die Gabel legte, klingelte das Telefon schon wieder. »Hallo, hier spricht Dr. Brockton«, sagte ich.

»Bill? Garland Hamilton. Hören Sie, ich wollte, dass Sie es von mir erfahren. Die Kammer der Medical Examiner hat abgestimmt, mich für neunzig Tage in den Stock zu spannen, aber sie rechnen mir die freigestellte Zeit an. Also bin ich in einer Woche wieder im Dienst.«

»Nun, das sind gewiss gute Nachrichten für Sie«, sagte ich vorsichtig.

»Oh, ich brenne darauf, wieder an die Arbeit zu gehen«, sagte er. »Hören Sie, Bill, ich habe das ernst gemeint, was ich neulich gesagt habe. Ich weiß, dass wir im Fall Ledbetter nicht einer Meinung waren« – bei der Untertreibung musste ich beinahe lachen; es war, als würde man sagen, George Bush und Al Gore seien nicht einer Meinung –, »aber ich hoffe, wir können das hinter uns lassen und noch mal ganz von vorn anfangen.«

Ich zögerte. Wieder suchte ich Zuflucht in Zweideutigkeiten. »Ganz von vorn wäre schön.«

»Großartig«, sagte er. »Was habe ich versäumt? Sind irgendwelche interessanten Fälle reingekommen, während ich weg war?«

Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn über Jess’ Arbeit in Kenntnis setzen wollte. »Nun, ich arbeite an einem Mordfall aus Chattanooga, der liegt sowieso in Jess’ Zuständigkeitsbereich«, sagte ich. »Abgesehen davon war es in letzter Zeit ziemlich ruhig.«

»Freut mich zu hören. Ich will Sie nicht lange aufhalten. Ich wollte mich nur mit Ihnen in Verbindung setzen und Sie wissen lassen, dass wir uns nächste Woche sehen.«

»Richtig. Nächste Woche. Danke.«

Ich legte auf. Das Herz wurde mir schwer. Ich war mir nicht sicher, ob das daher kam, dass Garland Hamilton bald wiederkommen würde, oder daher, dass Jess nicht mehr kam.

Oh, reiß dich zusammen, schalt ich mich. Sie ist doch nicht aus der Welt. Morgen Abend gehst du mit ihr aus, mischte sich eine andere innere Stimme ein. Ja, aber das ist rein beruflich. Und du ziehst dir besser deine kugelsichere Unterwäsche an, zeterte die erste Stimme. Das brauchte mir wirklich niemand zu sagen.