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»Ich hab’ Lust auf einen Kognak«, sagte Susan vom Sofa aus.

Brent, der sich gerade setzen wollte, schaute sich im Wohnzimmer um. »Die Flasche haben wir gestern abend ausgetrunken.«

»Ich habe heute morgen eine neue gekauft.«

Das ärgerte ihn. Sie hatten vereinbart, daß er die Lebensmittel und Getränke besorgte.

»Gönnst du uns kein kleines Geschenk von mir?«

Er schwieg, weil seine Antwort wahrscheinlich lächerlich geklungen hätte. Wer mit einer reichen Frau lebt, geht immer ein Risiko ein – beklagte er sich innerlich, wenn sie zum Beispiel Dinge kaufte, die er sich nicht leisten konnte, war er engstirnig und schwierig; beschwerte er sich dagegen nicht, demonstrierte er damit seine Bereitschaft, sich von ihr aushalten zu lassen.

Er ging durch die Speisekammer in die große, vorzüglich ausgestattete Küche. In einem Regal stand eine ungeöffnete Flasche Rémy Martin, die er zur Hausbar ins Wohnzimmer trug. Er schenkte zwei Gläser ein und reichte Susan eines.

»Na, hast du mir verziehen?« fragte sie spöttisch. Er setzte sich. »Ich habe ja heute morgen schon angekündigt, daß ich zu meinen Eltern fahren wollte. Nach dem Mittagessen habe ich mich lange mit Chris unterhalten.« Susan nannte ihre Eltern beim Vornamen; eine Angewohnheit, die Brent immer noch merkwürdig fand. »Das Thema warst übrigens du.«

»Und worum ging es genau? Will er mit der Pferdepeitsche auf mich losgehen oder vielleicht, was passender wäre, mit der Hundepeitsche?«

Sie lachte. »Du mit deinen Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert! Auf die Entehrung unverheirateter Töchter steht heute nicht mehr die gesellschaftliche Ächtung. Wie auch immer, Chris ist sehr tolerant. Solange ich glücklich bin, ist er’s zufrieden.«

»Und mit welchen Gefühlen betrachtet uns deine Mutter?«

»Da ist die Frage eher, ob sie überhaupt Gefühle hat. Manchmal glaube ich, daß sie nur mit verzögerten Reflexen funktioniert … Chris möchte wissen, was du mit deinem Leben anfangen willst.«

»Ist ihm ein schlichter Polizeibeamter denn nicht gut genug?«

»Du bist viel zu intelligent, um auf ewig in dieser Laufbahn zu bleiben.«

»Ist damit unterstellt, daß bei der Polizei keine Intelligenz verlangt wird?«

»Komm mal von deinem hohen Roß runter. Du brauchst einen anständig bezahlten Job. Chris will dir eine Stelle in einer seiner Firmen geben. Du wirst natürlich ziemlich weit unten anfangen müssen, aber so, wie er dich einschätzt, glaubt er, daß du bald aufsteigen kannst.«

»Auf dem Rücken von besser qualifizierten und erfahreneren Leuten, die nicht mit der Tochter des Chefs befreundet sind?«

»Na und? Nur ein Narr macht sich einen Vorteil nicht zunutze.«

»Und für Ideale bleibt da kein Raum?«

»Ideale reifen mit steigendem Einkommen.«

»Sag mal, glaubst du denn an gar nichts?«

»Ich glaube, daß ein Leben in Wohlstand vergnüglicher ist als eines in Armut. Komm, sei ein Schatz und fülle mein Glas nach.«

 

Das Telefon klingelte.

»Der Treff ist am Freitag«, sagte Wallace so leise, daß seine heisere Stimme kaum wahrzunehmen war.

»Gut. Wo und wer geht hin?« fragte O’Connor.

»Mehr sage ich erst, wenn ich Money sehe.«

»Wo treffen wir uns?«

»Morgen abend um sechs auf dem Bahnhof Loton Green.«

»Warum so weit vom Schuß?«

»Weil ich nicht enden will wie Lofty.«

»Wer ist Lofty?«

»Und Sie wollen ein Bulle sein!« Es wurde aufgelegt.

O’Connor kratzte einen zwei Tage alten Schnakenstich, der immer noch juckte. Offenbar war einem Mitglied der Dealerbande kürzlich etwas zugestoßen. Von einem Opfer namens Lofty war in der Abteilung G aber nichts bekannt. Er rief die Zentrale der Grafschaftspolizei an und sprach mit dem Verbindungsoffizier vom Dienst.

»Klingt bekannt, Sergeant, aber warum, das kann ich so aus dem Stegreif nicht sagen. Moment, ich sehe mal die Meldungen dieser Woche durch.«

O’Connor wartete.

»Vor sechs Tagen wurde Frank Randall, Spitzname ›Lofty‹, auf einer Baustelle in Newford gefunden. Laut der jüngsten Auskunft des Krankenhauses stehen seine Überlebenschancen fünfzig zu fünfzig.«

»Wurde er brutal zusammengeschlagen?«

»Nein, gründlich abgeschmirgelt. Man traktierte ihn mit einem Schwingschleifer – stellenweise bis auf die Knochen.«

»Mein Gott!«

»Tja, manche Leute haben reizende Angewohnheiten.«

»Weiß man, wer das getan hat?«

»Er behauptet, gegen eine unverputzte Mauer gefallen zu sein.«

»Wie sieht sein Strafregister aus?«

»Die übliche Karriere. Erst einem Blinden die Streichhölzer klauen, dann hilflose alte Frauen berauben. Ein kleiner Fisch.«

»Irgend etwas mit Rauschgift?«

»In seiner Akte steht nichts.«

O’Connor bedankte sich und legte auf. Newford lag vierzig Meilen von Seetonhurst entfernt an der Nordküste und hatte schon bessere Zeiten gesehen. Ging man davon aus, daß die schwere Körperverletzung im Zusammenhang mit Drogen verübt worden war, mußte das Motiv ein Territorialdisput gewesen sein. Dann war es wahrscheinlich, daß die neue Bande ihre tödlichen Schwingen sehr rasch und rücksichtslos ausbreitete …

 

Am Mittwoch vormittag machte O’Connor Detective Inspector Fawcus Meldung, der zu Hause keine Zeit fürs Frühstück gehabt hatte und sich gerade am Automaten in der Kantine Kaffee holte.

»Ich habe mich gestern abend mit meinem Informanten getroffen, Sir.«

Fawcus starrte in den Pappbecher in seiner rechten Hand, als stelle er Spekulationen über den wahren Ursprung des Getränks an.

»Der Mann mit der Narbe auf der Wange trifft sich am Freitag abend im Saracen’s Head in Stonechurch mit jemandem.«

»Und?«

»Das ist alles.«

»Dann muß der Tip so um die fünf Pfund pro Wort gekostet haben.«

»Immerhin wissen wir, wo und wann der Treff stattfindet.«

Fawcus leerte den Becher, knüllte ihn zusammen, pfefferte ihn in Richtung Papierkorb, schoß daneben, was er nicht beachtete, und steckte sich eine Zigarette an. »Kennen Sie das Saracen’s Head?«

»Nein, Sir.«

»Eines der letzten urigen Pubs, das noch nicht neu renoviert und dadurch ruiniert worden ist. Für uns wichtiger aber ist die Tatsache, daß es eine Meile vom Dorf entfernt und auf plattem Land liegt, wo es keine Hecken und kaum Bäume gibt. Ein Überwachungsteam in seiner Nähe wäre so auffällig wie ein ehrlicher Mann im Parlament. Es muß also ein Mann aus unserem Team im Lokal postiert werden, der unsere Leute herbeiruft, wenn die Zeit reif ist.«

»So etwas tue ich nur ungern.«

»Ich weiß. Es wird Ihnen aber nichts anderes übrigbleiben.«

 

»Das Moor« hieß die Landschaft immer noch, obwohl sie schon vor Jahrhunderten trockengelegt und seitdem bestellt worden war. Hier gab es mehrere kleine Dörfer, erstaunlich viele Kirchen, teils säkularisiert, und einige verstreut liegende Gehöfte.

O’Connor fuhr durch Stonechurch hindurch, das aus einem Dutzend alter Häuser, sechs neuen Gebäuden, einer Gemischtwarenhandlung und einer hölzernen Gemeindehalle bestand. Er fuhr auf einer gewundenen kleinen Straße weiter nach Westen. Detective Inspector Fawcus hatte nicht übertrieben. Die Landschaft war so offen, daß nur Distanz Deckung schaffen konnte. Geparkte Fahrzeuge mußten hier sofort auffallen, und erfahrene Kriminelle wußten instinktiv, ob Polizeibeamte oder schmusende Pärchen darin saßen.

Zur Rechten des public house stand eine Eiche, zur Linken eine Ligusterhecke, aber sonst gab es auf eine halbe Meile keinen Sichtschutz. O’Connor parkte. Das Lokal war noch in die traditionellen zwei Bars aufgeteilt. »Public« und »Private«. O’Connor entschied sich für »Public«. Dort gab es Deckenbalken aus Eiche, einen großen offenen Kamin, rußgeschwärzte Wände, zerkratzte Holztische ohne Bierdeckel. Es roch nach Bier und, was eine Illusion sein mußte, nach Sägespänen.

Er bestellte ein kleines Reggie’s der Lokalbrauerei Reginald und eine Tüte Kartoffelchips mit Bacon-Geschmack. Er schwatzte mit der Frau hinter dem Tresen, die viel besser gelaunt war, als sie aussah. Auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, der der Polizei zum Vorteil gereichte, kam O’Connor zu dem Schluß, daß ein Krimineller aus der Stadt in dieser ländlichen Umgebung auffallen mußte wie ein bunter Hund.