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»Eines muß man Ihnen lassen«, meinte O’Connor, »diese Rolle paßt zu Ihnen.«

Brent trug ein T-Shirt mit einem eindeutigen Spruch, Jeans und Turnschuhe. An seiner Seite hing ein Walkman. »Ich habe mich heute morgen sogar nicht rasiert, und das ist Diensteifer, der den Rahmen der Pflichterfüllung sprengt. Susan findet, nur Schurken und Stadtindianer hätten einen Stoppelbart.«

»Hört sich so an, als begänne sie, Sie zu durchschauen …«

»Haben Sie die Funkverbindung überprüft?«

»Sie kennen mich doch.«

»Deshalb frage ich ja.«

»Signal kommt laut und deutlich rein.«

»Gut, dann setzen Sie sich in Bewegung. Und vergessen Sie nicht – es kann sein, daß Sie den ganzen Abend dort verbringen müssen. Tun Sie also langsam mit dem Alkohol.«

»Wenn Sie mich nuscheln hören, wissen Sie, daß ich bis über die Ohren in der Arbeit stecke.«

O’Connor war etwas ungehalten, weil Brent anscheinend unfähig war, seine Arbeit ernst zu nehmen.

Am Abend stand eine junge Frau hinter der Theke, ein brünetter Lockenkopf mit üppigen Lippen und ebenso üppigen Proportionen. Brent unterhielt sich so angeregt mit ihr, daß ihm der Neuankömmling erst auffiel, als er neben ihm stand und etwas gereizt Gin und Tonic bestellte. Die Brünette unterbrach die Unterhaltung und bediente ihn. Brent wandte den Kopf. Der Mann hatte eine Narbe auf der rechten Wange. Hiermit wußte die Polizei zwar, daß sie es nicht mit einem ausgekochten Bösewicht zu tun hatte, aber dieser Mann sah zu weich und zu schlaff aus, um etwas mit der Drogenszene zu tun haben zu können.

Nachdem der Mann sein Getränk erhalten hatte, ging er mit seinem Glas an einen Ecktisch und setzte sich. Brent beobachtete ihn im Spiegel und stellte fest, daß er wiederholt auf die Uhr sah. Die Brünette kam zu ihm zurück und meinte, es müsse doch ein Riesenspaß sein, einmal nur für einen Tag hinüber nach Frankreich zu fahren. Auch Brent war dieser Ansicht, vermied es aber, dies zu bestätigen, indem er sie zu einer Tour einlud. Nach einer Weile wandte sie sich enttäuscht, aber noch nicht ganz entmutigt einem Stammgast zu.

Zehn Minuten später betrat eine Frau die Bar, schaute sich um, entdeckte den Narbigen, ging zu seinem Tisch und setzte sich. Der Mann trat an die Bar, bestellte einen Whisky mit Soda, kehrte dann wieder zurück. Sie sprachen eine Zeitlang miteinander, dann holte er ein Notizbuch aus der Tasche und begann zu schreiben.

Brent schaute auf die Wanduhr. Inzwischen mußte O’Connor sich fragen, was sich tat, und so nervös sein wie ein schottisches Moorhuhn am ersten Tag der Jagdsaison. Brent ging zur Herrentoilette. Außer ihm war niemand anwesend. Er klappte den Bügel des Walkman-Kopfhörers um, hielt sich eine Muschel ans Ohr, drückte auf »Play« und sprach in die andere: »George ruft Harry.«

»Verflucht, was tut sich?« herrschte O’Connor zurück. »Vor zwanzig Minuten kam ein Mann herein – mittleren Alters, mittelgroß, Übergewicht, Narbe an der rechten Wange. Vor zehn Minuten stieß eine Frau zu ihm. Über vierzig, ging früher bestimmt anschaffen.«

»Und was tun sie nun?«

»Sie redet. Er hört zu und macht sich Notizen.«

»Kommen Sie nahe genug heran, um mitzuhören?«

»Ausgeschlossen.«

»Dann behalten Sie sie weiter im Auge und melden sich wieder, sobald sich etwas verändert; wenn zum Beispiel Ware ausgehändigt wird oder wenn die beiden gehen.«

In der Bar bestellte der Mann inzwischen eine zweite Runde, die Frau sah jetzt etwas gereizt, sogar wütend aus. Der Mann zahlte, ging mit den Gläsern an den Tisch und setzte sich. Er griff nach seinem Stift, begann wieder zu schreiben, hielt dann inne, schüttelte den Kopf. Sie trank einen Schluck und redete dann schnell auf ihn ein. Brent fragte sich, ob er sich nicht doch nahe genug heranpirschen konnte, um wenigstens einen Teil des Gesprächs mitzuhören, kehrte aber nach einigem Nachdenken zu seiner ursprünglichen Schlußfolgerung zurück. Die Tische zu beiden Seiten des Paares waren unbesetzt; wenn er sich dort niederließ, mußte er zwangsläufig ihre Aufmerksamkeit erregen. Die Frau war erfahren und mochte ihn womöglich trotz seiner Verkleidung bei näherem Hinsehen als »Bullen« identifizieren. »Hol dir kein Magengeschwür bei dem Versuch, das Unmögliche zu schaffen«, hieß es in der Abteilung. »Überlaß das den Chefs.« Brent bestellte bei der Brünetten noch ein kleines Reggie’s.

Eine halbe Stunde später gingen die beiden. Brent wartete ab, bis sich die Haustür hinter ihnen geschlossen hatte, und eilte dann zur Tür der Herrentoilette. Wieder hatte er Glück, denn sie war leer. Er schaltete den Sender ein und öffnete gleichzeitig das kleine Fenster einen Spalt, um hinausschauen zu können. »George ruft Harry.«

»Ich empfange.«

»Es wurde nichts übergeben. Sie sind jetzt draußen und gehen an ihre Fahrzeuge. Sie steuert auf einen blauen Jaguar zu. Der Wagen stößt zurück. Kann jetzt das Kennzeichen sehen.« Er las es ab. »Fährt nun vom Parkplatz und entfernt sich in westlicher Richtung. Der Mann sitzt jetzt in einem grünen Japaner; kann die Marke nicht erkennen. Er versucht zu starten. Na, endlich zündet das Ding, hier das Kennzeichen.« Er nannte die Nummer. »Biegt nach links ab.«

»Wollen Sie sie anhalten?« fragte Detective Inspector Fawcus.

»Und aus welchem Grund, wenn ich fragen darf?« versetzte O’Connor bitter.

 

Fawcus marschierte mit auf dem Rücken verschränkten Händen von seinem Schreibtisch ans Fenster und starrte hinaus. »Viel scheint dabei ja nicht herausgekommen zu sein.«

»Das läßt sich noch nicht eindeutig beurteilen«, erwiderte O’Connor. Zuvor hatte der Einsatz potentiell sehr vielversprechend ausgesehen, und auch jetzt bestand noch die geringe Chance, daß er sich doch noch als profitabel erwies. Das Vabanquespiel war also den Einsatz von zweihundert Pfund durchaus wert gewesen. Allerdings wußte er, daß die Sache längst nicht einfach war. Die Öffentlichkeit forderte unablässig und auch berechtigt Schutz vor Verbrechen und Kriminellen, doch umfassender Schutz war eine sehr kostspielige Angelegenheit. Politiker hatten die Finanzen in der Hand und wollten nicht für steigende Steuerlasten verantwortlich gemacht werden. So machten sie vage Versprechungen, von denen sie genau wußten, daß sie wegen mangelnder Mittel nicht einzulösen waren. Die Polizei mußte mit den Werkzeugen, die man ihr zur Verfügung stellte, auskommen, ganz gleich, wie unzulänglich sie auch sein mochten, und jeder verfügbare Penny mußte so ausgegeben werden, daß er sichtbare Resultate zeigte. Bislang hatten die an Wallace gezahlten zweihundert Pfund noch keine konkreten Ergebnisse gebracht; wären sie auf mehrere Informationen verteilt worden, mochte ein Verbrechen oder gar mehrere aufgeklärt worden sein. Die Aufklärungsquote sähe besser aus, und die Bürger wären zufriedener …

Das Telefon ging. Fawcus kehrte an seinen Schreibtisch zurück, sprach kurz, hielt dann den Hörer hoch. »Für Sie.«

O’Connor lauschte. »Zulassungsstelle. Ich habe die Daten der beiden Fahrzeuge, die Sie uns zu überprüfen baten.«

»Augenblick bitte, ich hole mir etwas zum Schreiben.« Er fischte sein Notizbuch aus der Tasche und nahm sich einen Kugelschreiber vom Schreibtisch.

Fawcus setzte sich und schlug eine Akte auf. Da es ihm manchmal schwerfiel, Verantwortung zu delegieren, lud er sich Berge von Arbeit auf.

Das kurze Gespräch war beendet; O’Connor legte auf. Er wartete, bis Fawcus aufschaute, und sagte dann: »Der Toyota ist auf Ashley Hawsley, wohnhaft Marsham, zugelassen; der Jaguar auf Anthony Markland aus Hanging Cross … Angesichts Brents Beschreibung der Dame könnte es die Mühe wert sein, das Strafregister auf die beiden abzuklopfen.«

Fawcus nickte.

O’Connor wählte und bat um eine Sofortauskunft. Ein umfassender Bericht hätte ihn erst nach Tagen erreicht.

»Informieren Sie mich über das Resultat«, meinte Fawcus, als O’Connor den Hörer auflegte.

O’Connor ging zurück in sein Zimmer. Fawcus war kurz angebunden gewesen, hatte ihn aber wohl kaum direkt kritisieren wollen. Ihr Verhältnis war rein dienstlicher Natur, und es gab nur selten Anlaß für überflüssige Worte. Wenn sie einander in Gesellschaft begegneten – auf der Weihnachtsfeier zum Beispiel –, konnten sie nur mit Mühe ein Gespräch in Gang halten.

Zweieinhalb Stunden später rief ein Kollege vom Archiv an. Hawsley war sauber. Markland aber hatte ein langes Strafregister und war zuletzt wegen Rauschgifthandels verurteilt worden.

O’Connor ging ins Nebenzimmer, doch Fawcus war nicht an seinem Platz. So legte er eine Notiz auf den Stapel Akten, der exakt mitten auf dem Tisch lag.

 

Markland wohnte in einem großen Haus am Rand von Hanging Cross, das in den dreißiger Jahren im Stil des 18. Jahrhunderts erbaut worden war. Entgegen der landläufigen Meinung trug das Dorf seinen Namen nicht, weil hier einmal ein Galgen gestanden hatte; hanen war vielmehr das alte mundartliche Wort für ein dreieckiges Feld.

Eine Frau kam an die Tür. Da sie Anfang Zwanzig und teuer gekleidet und geschminkt war, nahmen die Beamten an, es mit Marklands Tochter zu tun zu haben, bis sie ihnen klarmachte, daß sie seine Frau war. O’Connor, der unverbesserliche Moralist, fragte sich, was sie wohl dazu bewogen hatte, einen Mann zu heiraten, der doppelt so alt war wie sie selbst. Brent hingegen hätte gerne gewußt, ob sie so gut im Bett war, wie es ihr Aussehen vermuten ließ.

Sie führte sie in einen großen Raum mit Südfenstern, eingerichtet in einem Stil, der Geld alles und gutem Geschmack nichts zu verdanken hatte. Ihr Mann käme sofort herunter, erklärte sie. »Sofort« entpuppte sich als elf Minuten.

Markland war ein massiger Mann, dessen Bauch auf fortgeschrittenes Alter und Völlerei schließen ließ. Er hatte ein grobes, birnenförmiges Gesicht, dessen Normalausdruck griesgrämige Angriffslust signalisierte. Er war ein Typ, der kein Blatt vor den Mund nahm, und begann das Gespräch: »Und was wollen Sie von uns?«

O’Connor nickte; ein Zeichen für Brent, daß er mit der Vernehmung beginnen sollte. Die beiden waren ein gutes Team, weil O’Connor sich ihrer Stärken und Schwächen bewußt war. Er war der bessere Vernehmungsbeamte, wenn eine ruhige, freundliche Art erforderlich war. Brent arbeitete effektiver, wenn ein Schuß Grobheit bessere Ergebnisse versprach.

Brent setzte einen groben Keil auf den großen Klotz. »Wir sind bestimmt nicht hier, um mit Ihnen Süßholz zu raspeln. Wer fuhr gestern abend Ihren Wagen?«

Markland ging über den dicken Teppich und stellte sich vor den Kamin mit der Einfassung aus Marmor. »Von welchem Auto reden Sie?« Sein Hohn unterstellte, daß schlichte Polizisten nicht in Kreisen verkehrten, in denen man zwei Wagen besaß.

»Von dem blauen Jaguar.«

»Und wer behauptet, daß überhaupt jemand mit dem Wagen unterwegs war?«

»Das wäre dann der erste Jaguar, der von allein zum Saracen’s Head bei Stonechurch fährt.«

Markland war beunruhigt, geriet aber nicht in Panik.

»Ist da was passiert?«

»Das können Sie uns ja mal sagen.«

»Wie soll ich das wissen?«

»Stellen Sie sich doch nicht dumm.«

»Ich weiß von nichts.«

»Sie wußten also nicht, daß Ihr Fahrzeug überhaupt unterwegs war? Wollen Sie behaupten, daß es gestohlen wurde? Wenn es inzwischen wieder in der Garage steht, nehmen wir es mit und untersuchen es auf Spuren.«

»Kommt gar nicht in Frage!«

»Das werden wir noch sehen. Fangen Sie doch mal an, sich ein bißchen besser zu erinnern.«

»An was?«

»Wer steuerte das Fahrzeug gestern abend?«

»Jemand, den ich kenne.«

»Und wie heißt sie?«

»Von einer Frau hab’ ich nichts gesagt.«

»Aber ich rede von einer Frau.«

Nun übernahm O’Connor und sagte in leisem, geduldigem Ton: »Die Dame war wohl eine Bekannte von Ihnen?« Er unterließ es, das Wort »Dame« mit einem ironischen Unterton auszusprechen.

»Nehmen wir mal an, sie ist eine Bekannte. Was dann?«

»Dann möchten wir wissen, wie sie heißt und wo sie wohnt.«

»Warum?«

»Weil wir mit ihr reden möchten.«

»Was hat sie angestellt?«

»Wir werfen ihr nichts vor.«

»War das Auto an einem Unfall beteiligt?«

»Nein.«

»Dann machen Sie, daß Sie verschwinden.«

O’Connor und Brent entschieden, daß aus diesem Mann im Augenblick nichts Nützliches mehr herauszuholen war, und gingen.

Oberflächlich gesehen war der Besuch fruchtlos gewesen. Dennoch ließ sich vielleicht etwas Wichtiges schlußfolgern. Abgesehen von Zeugen eines Verbrechens, die später vor Gericht gebraucht werden, werden Normalbürger nur selten von der Polizei vernommen – es sei denn, sie stehen unter Tatverdacht. Die Folgerung war, daß der Befragte, sofern er unschuldig war, dies beweisen und damit die Polizei zumindest dem Anschein nach unterstützen wollte. Markland aber hatte jede Unterstützung verweigert. Demnach war anzunehmen, er wußte, daß die Frau im Jaguar in kriminelle Aktivitäten verwickelt war … Er war schon einmal wegen Drogenhandels verurteilt worden. Und einem Informanten zufolge hatte auch Hawsley etwas mit Rauschgift zu tun …