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Er nahm den Flughafenbus zum Bahnhof Sants in Barcelona, wo er vor dem Fahrkartenschalter so lange Schlange stehen mußte, daß er den Catala Taglo nach Figueras beinahe verpaßt hätte. Am Ziel fuhr ihn ein Taxi durch eine platte, wohlbestellte Landschaft, deren Hintergrund die Pyrenäen bildeten, zum Hotel Bahia Azul. Die Herberge war zwar auf Gruppen eingerichtet, nahm aber auch Einzelreisende an. Die Dame an der Rezeption lächelte und wünschte ihm einen angenehmen Aufenthalt.

Das Zimmer mit Bad war geräumig und hatte Seeblick. Er trat auf den Balkon mit dem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer und schaute auf eine junge Frau hinab, die gerade aus dem Wasser kam. Sie ging oben ohne und trug unten wenig. Er verfluchte Susans alte Verwandte und ging dann zum Empfang, um sich einen Mietwagen und einen Dolmetscher zu bestellen.

 

Carlos Blanco, der ungefähr in Brents Alter war, sprach ein eigenartiges Englisch mit starkem amerikanischem Akzent. »Ich war vier Jahre in Chicago auf der Hotelfachschule und kann Englisch gut.« Der kleine, untersetzte Mann hatte die scharfen Gesichtszüge, die man bei Katalanen oft sieht. »Nun sagen Sie, Señor, wohin Sie wollen und was Sie tun wollen.«

»Kennen Sie den Lagar Rotga?« fragte Brent und hoffte, daß Blancos Selbstgefälligkeit sich etwas legen würde.

»Hm, Rotga …« Blanco rieb sich nachdenklich das Kinn, auf dem ein modischer Dreitagebart sprießte. Dann schnalzte er mit den Fingern. »Natürlich! Warum ist mir das nicht gleich eingefallen? Die Kellerei liegt gleich neben Onkel Pedros finca. Wollen Sie sie besichtigen? Im Augenblick wird zwar kein Wein gemacht, aber …«

»Ich möchte gern mit einem der Angestellten sprechen.«

»Gut, dann fahren wir los.«

Was immer auch geschieht, sagte sich Brent auf dem Weg zum Parkplatz, ich muß geheimhalten, daß ich von der Polizei bin. Ermittlungen ohne Wissen und Genehmigung der spanischen Behörden, das war ein verfahrenstechnisches Vergehen, das selbst Detective Inspector Fawcus den Atem genommen hätte. Er schloß den Ford Fiesta auf, der von der Autoverleihfirma gebracht worden war, setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an. »So, und nun sagen Sie mir, wo’s langgeht.«

Nach einer halbstündigen Fahrt durch eine Landschaft, die erst eben und dann wellig war, erreichten sie die Kellerei. Das dreistöckige moderne Gebäude erhob sich vor mehreren sehr viel älteren Häusern, die mehr oder weniger an Scheunen erinnerten. Ringsum wuchsen Reben, die im Winter bis zum Stock zurückgeschnitten wurden.

Sie betraten die Verwaltung durch einen imposanten Eingang mit Marmorsäulen und erreichten eine Empfangshalle, wo an einer Wand ein Ölporträt des Gründers hing. Unter dem Gemälde stand der Empfangstisch, und die strenge Miene des Gründers ließ vermuten, daß er es bedauerte, nicht ewig sicherstellen zu können, daß seine Angestellten ihr Gehalt auch verdienten.

Die Frau am Empfang war jung, hübsch und elegant gekleidet. Blanco, nun ganz der Macho, sprach unnötig lange mit ihr. Sie blieb unbeeindruckt, interessierte sich aber für Brent. Blanco erklärte: »Sagen Sie, was Sie wollen, und sie wird es tun – nur mir zu Gefallen.«

»Dann erklären Sie ihr bitte, daß ein Freund von mir im vergangenen Sommer hier war und von einem Angestellten der Firma sehr zuvorkommend behandelt wurde. Mein Freund wollte ihm zum Dank ein kleines Präsent schicken, doch als er von seiner Reise zurückkehrte, mußte er feststellen, daß er den Zettel mit Namen und Adresse verloren hatte. Als er hörte, daß ich in diese Gegend reisen wollte, bat er mich, den Mann ausfindig zu machen. Vielleicht könnte mir jemand anhand einer Beschreibung sagen, wer er ist. Ich weiß, das klingt etwas sonderbar …« Brent lächelte die Empfangsdame an.

Blanco dolmetschte. Die Frau griff nach dem Telefon.

»Sie versucht, Ihnen zu helfen«, meinte Blanco, »und meint, daß Sie am besten zuerst einmal mit dem Vorarbeiter sprechen.«

Brent hatte den Eindruck, daß sie ihm seine Geschichte abgenommen hatte. Blanco schien seine Zweifel zu haben und sah nun so aus, als versuchte er herauszufinden, was hier wirklich vorging und ob ihm womöglich ein Profit winkte.

Die Empfangsdame legte auf und sagte etwas zu Blanco. Der erklärte dann auf englisch: »Der Vorarbeiter kommt.«

Sie brauchten nur kurz zu warten; dann erschien ein kleiner, untersetzter Mann mit Vollbart, der eine Lederschürze und grobe Arbeitskleidung trug. Überraschenderweise hatte er nicht die tiefe Stimme, die Körperbau und Erscheinung erwarten ließen, sondern sprach fast piepsig.

»Er will tun, was er kann«, übersetzte Blanco.

»Bitte danken Sie ihm für seine Hilfe.«

»Erst mal sehen, ob er mir weiterhelfen kann«, war seine etwas ungehobelte Antwort.

»Erklären Sie ihm, daß der Mann, den mein Freund ausfindig zu machen versucht, Ende Fünfzig oder Anfang Sechzig ist, nicht sehr groß und beleibt. Er hat einen schlaffen Händedruck und eine Warze am Hals. Mit Vornamen heißt er Joan.«

Als Blanco diese Informationen weitergegeben hatte, zeigten seine Worte eine beträchtliche Wirkung. Der Vorarbeiter redete laut mit der Empfangsdame, die aufgeregt zurückschnatterte; hin und wieder sprachen die beiden gleichzeitig Blanco an. Es dauerte eine Weile, bis sie sich etwas beruhigt hatten, und dann sagte Blanco: »Sie glauben, daß Sie Joan Capllonch meinen.«

»Warum regen sie sich so auf?«

»Weil der Mann verschwunden ist.«