19
Der Portier in Winslow Mansions grinste anzüglich. »Na, pressiert es wieder?«
»Richtig«, gab Brent zurück.
»Was Sie für ein Schwein haben …«
Er fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock und klingelte an der Wohnungstür 4C.Maggie kam bald an die Tür, sie trug ein Negligé über dem Nachthemd. »Und was wollen Sie schon wieder?« Sie sah angespannt aus und war ungehalten; offenbar hatte sie Kopfschmerzen.
»Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Und wenn ich keine Lust habe, sie zu beantworten?«
»Unsinn, Sie sind doch eine vernünftige Frau.«
Sie zögerte, drehte sich dann um und ging durch die Diele ins Wohnzimmer. Er machte die Wohnungstür hinter sich zu und folgte ihr. Sie hatte sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Couch gesetzt.
»Dann schießen Sie mal los«, meinte sie und griff nach einer Zigarette.
»Sie erzählten mir von einem Mann namens Joan, dem Sie in Spanien begegneten.«
»Und?« Sie änderte ihre Haltung, so daß das Negligé sich öffnete und ihr Nachthemd sichtbar werden ließ, das aus einem sehr leichten durchscheinenden Stoff bestand. Sie machte keine Anstalten, das Negligé wieder zu schließen.
»Erfuhren Sie, welche Position er in der spanischen Firma innehatte?«
»Wie ich schon sagte, erfuhr ich überhaupt nichts, weil ich ins Schlafzimmer verbannt wurde. Ich weiß nur, daß seine Hand sich anfühlte wie ein fauler Fisch.«
»Fiel sein Nachname?«
»Nein.«
»Dann versuchen Sie doch bitte einmal, ihn zu beschreiben.«
»Warum eigentlich?« Sie streckte die Beine aus und ließ das Negligé noch weiter aufklaffen. »Na, wie weit sehen Sie jetzt?« fragte sie dann verächtlich.
Er zuckte die Achseln.
»Was ist denn los? Sie wollen wohl nicht zugeben, daß Sie mich gern anschauen? Wie scheinheilig ihr Kerle doch alle seid! Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Dann haben Sie bestimmt eine Freundin, die anständiger ist als ich?«
»Warum ziehen Sie sich eigentlich so an der Situation hoch?«
Sie fluchte etwas Unverständliches.
»War Joan hochgewachsen, mittelgroß oder klein? Dick oder dünn? Schwarzes Haar, braunes Haar, Glatze?«
»Hab’ ich vergessen.«
»Dann strengen Sie Ihr Gedächtnis mal an.«
»Halten Sie mich für blöd? Ashley macht irgendwie einen Haufen Geld. Sie sind hinter ihm her, weil Sie glauben, daß etwas faul ist. Sie können aber nichts machen und glauben, daß dieser Spanier Ihnen etwas in die Hand gibt … Wenn Sie mit ihm reden, sagt er vielleicht etwas, das Ashley ins Gefängnis bringt. Und was wird dann aus mir? Ich wäre ja schön dumm, Ihnen noch etwas zu erzählen.«
»Den schnappen wir ganz sicher, ob Sie nun reden oder nicht.«
»Ach wirklich? Warum sind Sie dann hier?«
»Ich suche nur nach einer Abkürzung. Tun Sie doch etwas für eine gesicherte Zukunft.«
»Wie sicher soll die sein?«
»Zweihundert.«
Sie lachte spöttisch. »Zweihundert? Sie sind vielleicht lustig, ich täte für zweitausend den Mund nicht auf. Sie sind wirklich naiv.«
Zu spät erkannte er, daß sie recht hatte; sie dachte offenbar in ganz anderen Summen als er. »Er hat mit Drogen zu tun«, sagte er barsch.
»Und?«
»Ist Ihnen denn nicht klar, was das bedeutet?«
»Klar. Er ist noch reicher, als ich angenommen hatte, und ich kann jetzt öfter einkaufen gehen.«
»Wissen Sie, wie viele Leben der Rauschgifthandel ruiniert?«
»Was fragen Sie mich da – ob ich miterlebt habe, wie Leute süchtig werden? Sie haben ja keine Vorstellung. Ich habe mehr Leute an Drogen sterben gesehen, als Sie Sommer erlebt haben.«
»Dann haben Sie jetzt die Chance, andere vor diesem Schicksal zu bewahren.«
»Ich bin doch nicht bei der Heilsarmee. Was geht mich das an?«
Er fragte sich, ob es einen Sinn hatte, das Gespräch noch weiterzuführen, und kam zu dem Schluß, daß es sinnlos war. Gestern war sie leicht angetrunken und verängstigt gewesen und hatte deshalb achtlos geredet; heute war sie nüchtern und auf der Hut. Er stand auf.
»Was, Sie wollen schon wieder weg?« spottete sie. »Sie wollen also nicht wissen, wie der Spanier aussieht?«
»Nein, das interessiert mich nicht mehr.«
»Wenn Sie mich ganz lieb bitten, erzähle ich Ihnen genau, wie er aussieht – bis auf die große, häßliche Warze an seinem Hals. Und wenn ich mir Mühe gebe, fällt mir vielleicht auch sein Nachname ein.« Sie stand von der Couch auf und legte das Negligé ab. Dann griff sie langsam nach dem Saum ihres Nachthemds und zog es sich über den Kopf. Ihr Körper war so wohlgeformt, wie Brent es sich vorgestellt hatte.
Sie trat auf ihn zu, blieb dicht vor ihm stehen, nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust. Dann flüsterte sie heiser: »So, jetzt kannst du beweisen, daß du der Größte bist.«
Verlangen ließ seine Halsschlagader hämmern, krampfte ihm den Magen zusammen, trübte seinen Verstand. Doch als sie sich an ihn schmiegte, roch er ihr Parfüm, und das erinnerte ihn an Susans Lieblingsmarke.
Er riß sich mit solcher Gewalt von ihr los, daß sie ins Taumeln geriet. Er ging zur Tür, durch die Diele und hinaus in den Gang. Auf dem Weg zum Aufzug mußte er sich eingestehen, daß er im Wohnzimmer einen Augenblick lang geglaubt hatte, sie sei von überwältigendem Verlangen nach ihm motiviert. In Wirklichkeit aber war ihr Motiv Haß gewesen, und sie hatte ihm nur verächtlich demonstrieren wollen, wie leicht er sich von ihr verführen ließ.
Merkwürdig, daß er nicht früher darauf gekommen war. Ärgerlich verdrängte er den Gedanken, daß es ihm erst jetzt eingefallen war, weil der Anblick der nackten Maggie sein Verlangen nach Susan geschürt hatte, und er sagte sich selbst, daß er wohl notgedrungen mehr an die Arbeit und weniger ans Vergnügen gedacht hatte. Er wählte und betrachtete dabei die Frau am Schalter des gegenüberliegenden Reisebüros.
»Ja?« sagte Mrs. Weston, die sich nie dazu bewegen ließ, sich am Telefon formell mit »Radford-Residenz« zu melden.
»Jim Brent. Ist Miss Susan zu Hause?« Er fand es immer absurd, nach ›Miss Susan‹ zu fragen, aber Veronica war im Umgang mit der »anderen Hälfte« alles andere als vage und geistesabwesend und bestand auf längst überholten Formalitäten.
»Ich glaube ja. Moment bitte.«
Während er wartete fragte er sich, ob die Frau am Schalter, die gerade einen Urlaubsprospekt durchblätterte, sich ebenfalls jenen Tagträumen hingab, die sie anderen verkaufte …
»Hallo, Jim.«
»Wie geht’s dir? Alles in Ordnung?«
»Klar, bestens.«
»Wirklich? Du klingst komisch.«
»Ich war draußen und bin nur ein bißchen außer Atem, das ist alles.«
»Paß auf, ich hab’ eine Idee: Komm doch einfach mit nach Spanien. Ich habe die Adresse eines erstklassigen Hotels, und es ist dort bestimmt nicht so schlimm, wie du es dir immer ausgemalt hast. Es liegt direkt am Strand und ganz abgelegen. Keine Menschenmassen, keine Frittenbuden.«
»Klingt gut, geht aber leider nicht.«
»Dort wärst du weit vom Schuß und ganz sicher.«
»Ach, ich habe keine Angst mehr.«
Er war perplex. »Wie das?«
»Chris hat mal mit dem Polizeichef geredet, und wir werden jetzt von einer Sondereinheit bewacht. Zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten kommt ein Streifenwagen, und die Beamten sehen nach, ob alles in Ordnung ist. Veronica klagt natürlich, weil das Auto sie nachts aufweckt; sie hat nämlich einen leichten Schlaf.«
»Polizeischutz? Ist ja großartig.« Er hoffte, begeistert und nicht verdrossen zu klingen. Sein Antrag auf Polizeischutz war mit dem Argument abgewiesen worden, die Gefahr sei nicht akut genug, um den finanziellen und personellen Aufwand zu rechtfertigen. Radford jedoch hatte nur privat ein paar Worte mit dem Polizeichef der Grafschaft zu wechseln brauchen, und diese Überlegungen wurden sofort ignoriert. »Doch das hindert dich ja nicht daran, dir einen Urlaub in der Sonne zu gönnen.«
»Ich käme ja so gerne mit, Jim, aber wir bekommen Besuch von zwei älteren Verwandten, und ich habe Veronica versprochen, ihr beim Bewirten zu helfen.«
»Das kann doch Mrs. Westons Kusine tun, die immer einspringt, wenn es viel zu tun gibt. Bitte komm doch mit. Mir liegt viel daran.«
»Würde ich auch gerne tun, wenn ich könnte. Aber es geht einfach nicht.«
Nachdem das Gespräch zu Ende war, ging er zu der Frau am Schalter des Reisebüros und sagte zu ihr:
»Also doch nur ein Flugschein.«