4.
KAPITEL
Hasenbau
Wenn der tote Priester keinen Fernseher gehabt hätte, wäre es für Cyrus wahrscheinlich unmöglich gewesen, je zu erfahren, was passiert war.
Doch er hatte nicht das Gefühl, dem Pfaffen irgendwelchen Dank zu schulden. Cyrus hasste das Fernsehen. Seit seiner verfluchten Erfindung war dieser plärrende Kasten alles, worüber Menschen reden konnten. Diese erbärmliche Knechtschaft … Immerhin, Cyrus brauchte etwas, um seinen Geist zu beschäftigen, und er war nicht in der Stimmung für Bibelstudien.
Mouse schlief noch. Nachdem sie mit ihrem Geschrei fertig war und er sich lange genug ausgeruht hatte, um wieder aufrecht sitzen zu können, sollte sie ihm einen Erste-Hilfe-Kasten bringen, damit er ihren gequetschten, blutigen Hals verbinden konnte. Cyrus ließ sie im Bett schlafen, er brauchte es nicht. Seine Rücksichtnahme und – Gott bewahre! – seine Fürsorglichkeit brachten ihn ziemlich aus dem Gleichgewicht. An Schlaf war nicht mehr zu denken.
Die ersten Stunden beschäftigte er sich damit, der Bibel, die er aus dem Regal gezogen hatte, Seiten auszureißen und Papierkraniche zu falten. Etwa die halbe Genesis war verarbeitet, als es ihm langweilig wurde und er den Fernseher anstellte. Immerhin wurde somit die enorme Geräuschkulisse von oben übertönt. Obwohl jeder anständige Vampir jetzt schlafen würde, ließen die Fangs standhaft dumpfes Gedröhne erschallen, das kaum als Musik zu bezeichnen war.
Es gab drei Sender, und nur in einem lief etwas von Interesse. Die Sprecherin der lokalen Nachrichten hatte zu viel Rouge aufgelegt, und ihre Haare sahen aus wie ein perfekt modelliertes Stück Plastik. Genau die Art von Frau, die Cyrus gern bezirzte und dann zu Tode quälte. Er beugte sich vor.
„Die Behörden von Louden County erklärten die Suche nach den drei Personen, die nach einem Kirchenbrand in Hudson als vermisst gemeldet wurden, für beendet.“ Auf dem Bildschirm erschienen drei Fotos. Der tote Priester und die Nonne und ein hübsches Mädchen mit breitem Lächeln in einem Baumwollsommerkleid.
Mouse.
Die nasale Stimme der Sprecherin fuhr fort. „Die Polizei teilte mit, Vater Bartholomew Straub, Schwester Helen Jacobs und Stacey Pickles befanden sich am Freitag in der katholischen Kirche St. Anne, als das Feuer ausbrach. Seitdem wurden die drei nicht mehr gesehen. Fußspuren, die vom Gebäude wegführen, ließen vermuten, dass sie es geschafft haben, sich in Sicherheit zu bringen. Doch aufgrund der Wüstentemperaturen, die am Wochenende Rekordhöhe erreicht haben, wird davon ausgegangen, dass sie nicht mehr am Leben sind.“
Cyrus beäugte das Mädchen auf dem Bett und schüttelte den Kopf. „Pickles?“
Beunruhigender als der lächerliche Name des Mädchens – wenn auch geringfügig – war die Sache mit dem Feuer. Warum glaubten die Behörden, dass die Kirche gebrannt hatte? Und wenn das Wochenende schon vorbei war …
„Wach auf.“ Cyrus stand auf, glücklich über das bisschen Kraft, das der Schlaf ihm geschenkt hatte, und schüttelte sie. „Welcher Tag ist heute?“
Mit verschwommener Verwirrung starrte sieihn an. „Dienstag oder Mittwoch. Ich hab den Überblick verloren. Du stehst ja.“
Dienstag oder Mittwoch. Das bedeutete, dass er am Montag geholt worden war, aber sie waren schon seit Freitag hier. „Was geschah, als die Leute am Sonntag zur Messe wollten?“
„Ich weiß es nicht. Niemand kam. Als Vater Bart es erwähnte …“ Sie benetzte ihre Lippen. „Da töteten sie ihn. Er versuchte ihnen zu sagen, dass bald eine Menge Leute zum Gottesdienst kämen. Sie lachten ihn aus und sagten, niemand würde kommen, um uns zu helfen.“
Cyrus wandte sich von ihren Tränen ab. Sie könnten sein menschliches Mitleid entfachen, und für so was hatte er jetzt keine Zeit. „Haben sie dir gesagt, warum?“
„Nein. Sie haben nur angefangen zu töten.“
„Aber sie haben euch zwei Tage gefangen gehalten, bevor sie den Priester und die Nonne getötet haben. Warum?“ Der zeitliche Ablauf ergab keinen Sinn. Wenn er Geiseln genommen hätte, würde er sich ihrer im Moment ihrer Unbrauchbarkeit entledigen.
Als er sich wieder umdrehte, um Mouse anzusehen, waren ihre Augen weit und rot gerändert. „Sie machten Sachen. Okkulte Sachen. Teufelsanbetung.“
„Unmöglich. Für die Fangs sind Satanisten der letzte Dreck.“ Dass sie wegen seiner groben Ausdrucksweise zusammenzuckte, hob seine Stimmung. „Was genau haben sie gemacht?“
Stacey zog ihre Beine an und spielte am Saum ihres Kleides herum. Eine perverse Erinnerung an die letzte Nacht kam ihm in den Sinn. Er rechnete mit Schuldgefühlen, und als sich keine einstellten, fand er ihr Ausbleiben noch verstörender.
Ob sie die Veränderung an ihm wahrnahm? Sie hob die Hände und umarmte sich selbst. „Ich weiß nicht, was sie getan haben. Sie haben es uns nicht erzählt. Aber ich hörte sie reden, dass der Zeitpunkt richtig sein müsste und dass sie sicher sein müssten, dass er es ist. Und sie brauchten Vater Barts Hand.“
„Er musste an dem Ritual teilnehmen?“ Das ergab Sinn. Obwohl Cyrus an all diesen katholischen Quatsch nicht glaubte, den er als Kind zu schlucken bekommen hatte, war die Macht eines Priesters der eines praktizierenden Magiers ebenbürtig – wenn nicht sogar größer.
„Nicht er. Nur seine Hand“, flüsterte sie tonlos. „Was sie sonst noch gemacht haben, war für sie wohl nur Spaß.“
„Warum haben sie dich verschont?“ Cyrus setzte sich neben sie aufs Bett und ignorierte den Stich der Scham, als sie von ihm abrückte. „Warum haben sie dich nicht missbraucht und leer gesoffen wie die Nonne?“
„Weil sie mit mir keinen Spaß haben konnten.“ Sie zitterte, als sie sprach. Eine Träne glitt ihre Wange hinunter. „Ich hab nicht geschrien oder gebetet. Das wollten sie. Sie wollten, dass sie betete, während sie es taten.“
Der Gedanke hätte Cyrus früher amüsiert, jetzt tat er es nicht. Nicht angesichts dieses Mädchens, das sichtlich traumatisiert war von dem, was sie gesehen hatte. „Warum hast du es nicht getan?“
Zum ersten Mal sah ihm Mouse in die Augen. Er sah weder Leben noch Hoffnung in diesen dumpfen braunen Tiefen. Dennoch straffte sie ihren Körper und sagte mit Kraft in der Stimme: „Weil keiner zugehört hat.“
Sie klang so wie er vor Hunderten von Jahren. Er versuchte das Gefühl nicht durchklingen zu lassen, als er sprach. „Das ist die wichtigste Sache, die du je begreifen wirst. Weil niemand zuhört und niemand auf dich aufpasst.“
Da verlor sie die Fassung und schluchzte haltlos, schluckte Luft und wimmerte.
Ergriffen von ihrem Schmerz stand Cyrus auf und ging zu der kleinen Kochnische, bemüht, das Zittern in seinen Beinen zu ignorieren. Er würde es nicht aushalten, noch einmal so schnell so schwach zu werden. „Wir haben keine Milch.“
„Was geschieht hier?“ Ihr Gesicht war geschwollen und rot vom Weinen, ein starker Kontrast zu dem weißen Verband um ihren Hals. „Was wollen die?“
„Ich habe keine Ahnung.“ Er humpelte zum Kühlschrank und öffnete ihn, schnüffelte an einem potenziell verdächtigen Tetrapack Orangensaft. Er schien in Ordnung zu sein, aber sein Gleichgewicht war es nicht. Er warf den Karton auf die Arbeitsplatte und versuchte an ihrer Kante Halt zu finden, aber er glitt ab und fiel zu Boden. Mouse war im selben Augenblick an seiner Seite, half ihm auf die Füße und führte ihn zu einem Stuhl.
„Ich brauche deine Hilfe nicht“, fauchte er, nahm sie dann aber doch an. Mouse holte ein Glas aus dem Schrank, dann, als ob sie sich besann, nahm sie noch ein zweites heraus. Ihre Hände zitterten, als sie den Saft eingoss. Für einen Moment überlegte er wirklich, ob er sie trösten sollte, doch dann verwarf er den Gedanken. Er war schon nett zu ihr und wollte es nicht zur Gewohnheit werden lassen. „In den Nachrichten haben sie gesagt, dass sie die Suche nach euch abgebrochen haben. Und dass die Kirche niedergebrannt sei.“
„Unmöglich.“ Sie rieb sich mit dem Handrücken die Augen. „Das muss eine Meldung von einem anderen Ort gewesen sein.“
„Stacey Pickles?“ Er beobachtete, wie das Begreifen in ihren Augen aufflackerte, ehe er weitersprach. „Sie glauben, du bist in der Wüste verdurstet.“
„Sie suchen nach mir?“ Hoffnung, dann nackter Schrecken zogen über ihr Gesicht. „Wie kommen sie auf niedergebrannt?“
„Ich weiß es nicht. Es gibt Zaubersprüche, Schimmer genannt, die lassen jemanden sehen, was derjenige will, der den Zauber ausspricht. Aber ein ganzes Gebäude verschwinden zu lassen, so überzeugend, dass eine ganze Menge getäuscht wird … das erfordert eine Macht, von der ich nicht glaube, dass sie existiert.“ Cyrus schüttelte den Kopf. „Hast du vor, mir auch ein Glas Saft zu geben?“
Sie näherte sich ihm wie ein wildes Tier, das nicht an Menschen gewöhnt ist, und setzte vorsichtig das Glas vor ihm ab. „Sie haben dich aus dem Totenreich zurückgeholt. Sie müssen etwas wissen, was du nicht weißt.“
Dass sie so unerschrocken mit ihm sprach, kam ihm lächerlich vor. Cyrus lachte und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. Der Saft war dick wie Blut, aber mit einer unangenehmen Note. „Daran kann ich mich nicht gewöhnen.“
„Woran?“ Sie klang nicht, als ob sie seine Antwort wirklich interessierte.
Warum sprach er überhaupt mit ihr? Die Einsamkeit, vermutete er. Nicht nur der letzten Tage, sondern seines ganzen langen Todes. Grund genug. „Zu leben wie ein Mensch. Es ist lange her, dass ich meinen Körper mit Essen und Trinken ernähren musste. Das ist unangenehm.“
„Nein. Wirklich unangenehm ist, zu verhungern, wenn kein Essen mehr da ist.“ Ihr Ausdruck war grimmig.
„Das wird nicht passieren. Und mir bestimmt nicht“, fügte er in einer Art Selbstversicherung hinzu. „Dein Leben hängt daran, vergiss das nicht. Du bist zu meiner Versorgung ausersehen.“
Beleidigt sah sie ihn an. „Ich habe nicht von dir, ich habe von mir gesprochen. Sie werden sich nicht um mein Überleben sorgen, nachdem sie mit dir fertig sind.“
Cyrus zog einen der zierlichen Stühle von dem Resopaltisch und setzte sich. „Und was haben sie nun eigentlich mit mir vor?“
„Ich weiß es nicht.“ Sie kaute auf ihrer Lippe. „Etwas Schlimmes.“
„Madam, Ihr Kombinationsvermögen erstaunt mich.“ Er schloss die Augen, sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Was er brauchte, war ein Plan, etwas von Wert, um mit den Fangs über Informationen zu verhandeln. Was er brauchte, war …
„Du bist merkwürdig. Wo kommst du her?“
Was er brauchte, war, dass Mouse aufhörte zu reden. „England. Bis vor Kurzem jedoch war mein Aufenthaltsort auf ein wässrig blaues Fegefeuer beschränkt. Ich kann mich an die Adresse nicht erinnern.“ Er hielt inne. „Warst du dabei, als sie das Ritual vollzogen haben?“ Ihr Blick wurde wieder leer und abwesend. Ihre Stimme kam nur flüsternd. „Ja.“
„Was haben sie getan?“ Cyrus zog einen weiteren Stuhl vom Tisch und bedeutete ihr, sich zu setzen. „Haben sie bestimmte Worte gesagt? Haben sie aus einem Buch abgelesen?“
Das tieftraurige Mädchen stand stocksteif da und starrte mit leerem Blick auf die Tischplatte. Auf der Oberfläche war ein Ring wie von einem Glas, den fixierte sie anscheinend. „Ich kann mich nicht erinnern.“
Mit aller Kraft kämpfte er seine Ungeduld nieder. Es nützte nichts, wenn er ihr Angst einjagte. Zumal sie gerade anfing, wie ein vernünftiger Mensch zu klingen. „Es ist noch nicht so lange her. Ich bin sicher, wenn du einen Moment nachdenkst, wirst du dich erinnern …“
„Ich erinnere mich nicht!“ Sie fuhr herum, stieß gegen einen Stapel schmutziges Geschirr, der auf der Arbeitsplatte auf bessere Zeiten wartete, und verteilte ihn über den Boden. Ihr Schreck überdauerte das Scheppern, das sie verursacht hatte. Sie stand da, ihr Gesicht eine Maske der Fassungslosigkeit, und starrte die Scherben auf dem Fliesenboden an.
Cyrus begriff, dass er zwei Möglichkeiten hatte. Entweder konnte er sie mit Wut und Ungeduld strafen und die letzten Fetzen Vertrauen, die sie noch hatte, zerstören – mitsamt seinen Chancen, etwas mehr über seine grässliche Situation zu erfahren. Oder er konnte sie ignorieren, bis sie ihren Schock überwunden hatte, und seine klägliche Energie für Wichtigeres aufsparen. Er entschied sich für Letzteres. Seine Erschöpfung holte ihn ein, er hatte weder die Nerven noch die Kraft, ihr Gewalt anzutun.
„Räum das auf“, sagte er beiläufig, erhob sich und ging zum Bett. Kraftlos legte er sich hin und zog die Decke über sich, aber es war schwierig, bei dem Sonnenlicht, das durch ein kleines, hochgelegenes Fenster den Raum erhellte, zu schlafen. Ganz zu schweigen von ihren dramatischen Schluchzern, die ihm in den Ohren dröhnten.
Kaum war die Sonne untergegangen, kletterten Max und ich aus dem Privat-Jet auf das immer noch aufgeheizte Rollfeld.
„Ich liebe diese Jahreszeit. Nicht zu heiß in der Nacht und nicht zu kalt. Wenn du je im Januar oder im Juli hier gewesen wärst, wüsstest du, was ich meine“, sagte Max voller Schwung und Energie, als er unsere beiden Taschen in Richtung des langgestreckten, futuristischen Flughafengebäudes trug.
Ich hatte den Tag über nicht gut geschlafen. Meine Träume waren voller vertrackter Symbole, die ich sicher nie entschlüsseln würde. Der letzte Traum handelte von einem unheimlichen Gang durch den Wald, während ich unter jedem Arm ein Schwein trug. Ich war nicht in der Stimmung für Max’ Geplapper. „Wir sind hier nicht auf einem Vergnügungsausflug. Wir sind hier, um herauszufinden, was mit Cyrus passiert ist.“
Max blieb stehen und ließ die Taschen fallen. „Mit wem?“
„Mit Nathan.“ Ich blieb auch stehen und sah ihn wütend an. „Wir haben keine Zeit für unnötige Spielchen, geh weiter.“
„Du hast Cyrus gesagt. Wir sind hier, um herauszufinden, was mit Cyrus passiert ist. Genau das hast du eben gesagt.“
Mein Mund blieb für einen Moment offen stehen. Hatte ich das wirklich gesagt? Sicher, mein erster Schöpfer war mir in letzter Zeit heftig im Kopf herumgegangen, aber derartig platte Versprecher unterliefen mir gewöhnlich selten. „Das hab ich nicht gesagt.“
„Doch. Hast du. Ich kenne den Kerl kaum. Warum sollte ich seinen Namen unbewusst aus deinen Sätzen heraushören? Carrie, geht hier etwas vor, wovon du mir nichts erzählt hast?“ Max hob die Taschen auf und setzte sich wieder in Bewegung.
Das war auch gut so, denn ich war wie gelähmt vor Schreck über meinen Versprecher. Gott sei Dank reagierten meine Füße noch, und ich trottete neben ihm her. „Nicht direkt.“
Max stieß einen langen tiefen Pfiff aus. „Hast du mir ‚nicht direkt‘ erzählt, was vor sich geht, oder geht ‚nicht direkt‘ etwas vor sich?“
„Ein bisschen von beidem.“ Ich blieb wieder stehen und sah ihn an. „Kurz bevor das mit Nathan passiert ist, hat er mich auf einen Traum angesprochen. Anscheinend hab ich im Schlaf Cyrus’ Namen gesagt.“
„Nathan hat dich wieder im Schlaf beobachtet?“ Ein weiterer Pfiff. „Das ist nicht gut.“
„Ich wusste, dass irgendwas los ist, aber diese schrecklichen Ereignisse konnte ich doch nicht voraussehen.“ Schweigend gingen wir weiter. Nach ein paar Schritten fiel mir der Traum im Flugzeug ein und seine peinlichen Folgen. „Da ist noch was.“
„Schieß los.“
„Im Flugzeug hab ich wieder von ihm geträumt.“ Ich starrte auf meine Füße, um Max nicht ins Gesicht zu sehen. „Als ich dich geküsst habe.“
„Das ist nachvollziehbar. Er ist dein Schöpfer und so.“ Erst ein paar Schritte weiter verstand Max wirklich, was ich gemeint hatte. „Warte mal, du dachtest, ich wäre Cyrus, nicht Nathan?“
„Ich habe geträumt. Ich kann nicht kontrollieren, was ich in meinen Träumen tue.“ Fühlte ich mich angegriffen? Ich brauchte ein heißes Bad und eine Erholungspause nach diesem anstrengenden Flug.
Zum Glück ließ Max das Thema fallen, als wir das Gebäude betraten. Die grellen Lichter und der blassgelbe Anstrich der Zollabfertigung schufen eine eher unfreundliche Atmosphäre, und die finsteren Gesichter der Polizisten mit den automatischen Waffen trugen auch zu keiner Verbesserung der Stimmung bei. Ich konnte nicht mal behaupten, meine Sachen selbst gepackt zu haben. Ich war so müde gewesen, bevor wir aufbrachen, dass ich das Max überlassen musste.
„Wohin hast du mich gebracht? Nach Kasachstan?“, flüsterte ich Max ängstlich zu, als ein Zollbeamter in meiner Unterwäsche stocherte. „Und warum hast du denn so viele Tanga-Slips eingepackt?“
Max grinste. „Warum besitzt du so viele Tanga-Slips?“
Nachdem wir abgefertigt waren und das Land legal betreten durften, scheuchte Max mich aus dem Flughafen zu einem Taxistand.
„Ein Privatjet, aber keine gepanzerte Limousine mit kleinen Fähnchen und Abholkomitee.“ Grummelnd zwängte ich mich in das europäisch dimensionierte Fahrzeug.
„Die Bewegung legt Wert darauf, keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen“, sagte er mit gedämpfter Stimme. Er reichte dem Fahrer eine bunte spanische Banknote. „Plaza del Major, por favor.“
Madrid, soweit ich es durch die Taxifenster sah, hatte mit meinen Erwartungen von einer spanischen Stadt eher wenig gemein. An keinem der Wolkenkratzer, an denen wir vorbeifuhren, sah ich Terrakottafliesen. Plakatwerbung für amerikanische Waren wechselte sich mit Reklame für spanische Filme ab. Abgesehen von den enormen Agaven, die auf den Grünstreifen der Boulevards wuchsen, und den Straßenschildern, die ich nicht verstand, hätte ich in Chicago sein können.
Dann verließen wir den modernen Teil der Stadt. Die aufgemotzten Shops und beleuchteten Portale wichen dem Terrakotta und Stuckwerk, das ich mir vorgestellt hatte. Die Straßen waren hier unebener. Schmiedeeiserne Geländer umfassten kleine Balkone, von denen Geranien quollen. Wäsche hing zum Trocknen auf Leinen, die von einem Gebäude zum anderen gespannt waren. Als wir in einen holprigen Durchgang einbogen, dachte ich, wir nähmen nur eine Abkürzung, doch das Taxi hielt an.
Die Gasse war so schmal, dass wir nur eine Tür öffnen konnten, um auszusteigen. Max zerrte eben die letzte Tasche vom Rücksitz, als der Fahrer auch schon Gas gab und das Taxi fröhlich über die Pflastersteine hoppelte.
„Sind wir … Wo sind wir hier?“, fragte ich und starrte in das Streifchen Himmel zwischen den Häusern rechts und links von uns.
„Er konnte uns nicht zur Plaza del Major fahren.“ Max sprach das mit leichtem Lispeln aus, wie Platha del Machor. „Die liegt in einer Fußgängerzone.“
Ich folgte ihm durch ein Gewirr von Alleen und war beeindruckt, dass er den Weg mühelos fand. Der größte Teil der Straßen, durch die wir kamen, war leer und dunkel. Vampir oder nicht, wäre ich allein gewesen, hätte ich sofort kehrtgemacht und wäre den Weg zurückgerannt, den das Taxi gekommen war.
Dann bogen wir aus einer Allee in eine lebhaft bevölkerte Straße ein. Leute saßen an Tischen auf dem Gehweg und genehmigten sich Drinks, überall gab es teuer wirkende Restaurants, und Straßenartisten tanzten und posierten für die Touristen. Am Ende der Straße ragte eine hohe dunkle Mauer mit einem Torbogen auf. Dahinter lag die Plaza del Major.
In meinem ganzen Leben hatte ich noch nichts so unbeschreiblich Schönes und Romantisches gesehen. Häuser, wie ich sie mir als Kind vorgestellt hatte, als ich Don Quichote las, säumten den Platz. Cafés und Geschäfte präsentierten sich dem Besucher aufs Geschmackvollste. Eine monumentale Skulptur beherrschte das Herz des Platzes, und es waren jede Menge Leute unterwegs, aber dennoch wirkte der Raum weit. Der Klang der Stimmen schallte von den Häusern und dem Pflaster in den offenen Nachthimmel hinein und schuf ein freundliches, unentwirrbares Gemurmel. Über all dem erstreckte sich ein klarer, tief dunkler Himmel voller funkelnder Sterne, die so nahe schienen, dass man sie fast berühren konnte. Das quirlig warme Leben am Boden bildete einen harmonischen Kontrast zu seiner kalten Pracht.
Einen ähnlichen Kontrast wie das bunte, harmlose Treiben rings um uns zu Max und mir. Ein sehnsüchtiger Stich regte sich in meinem Herzen. Eine Gruppe Teenager scharte sich um einen Straßenhändler. Sie hatten Eiscremewaffeln in den Händen, lachten und alberten herum. Neben der riesigen Statue eines berittenen Soldaten hob ein gut aussehender, dunkler Mann eine Frau hoch und wirbelte sie herum, dass ihre blutrote Schürze flatterte wie eine Rebellenfahne. Er setzte sie wieder auf die Füße, küsste ihr schönes Gesicht, und sie verschmolzen miteinander. Es war wie auf einer romantischen Postkarte. Und es traf mich wie eine kosmische Ohrfeige. Ich beneidete diese Menschen auf eine Art, wie ich es seit meiner Verwandlung nicht mehr erlebt hatte. Sicher, ich vermisste meine Menschlichkeit von Zeit zu Zeit, aber noch nie hatte ich dermaßen schmerzhaft gespürt, worum ich gebracht worden war.
„Das ist …“
„Wunderschön“, beendete Max den Satz für mich. „Das hier ist mein Lieblingsteil der Stadt. Es ist so lebendig und quirlig, dass man vergisst, dass nicht Tag ist.“
Gequält schloss ich die Augen. „Ich wollte ‚unerträglich‘ sagen.“
„Carrie, geht es dir gut?“ Er ergriff meinen Arm.
Ich legte meine Hand auf seine. Die Romantik des Ortes hatte mich angerührt, das war alles. „Alles okay. Ich bin nur kaputt von den Strapazen der Reise und mache mir Sorgen um Nathan. Sonst ist nichts. Wirklich.“
„Gut, dann wollen wir es mal hinter uns bringen.“ Max zeigte auf ein rotes Ziegelsteingebäude mit schönem weißem Stuck um die Fenster. Auf Straßenhöhe strömten Gäste aus einem belebten Lokal.
„Das da“, sagte Max mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme, „ist das Hauptquartier der Bewegung.“
Ich runzelte spöttisch die Stirn. „Ich weiß nicht, was du meinst. Sind es die beiden Etagen oben, die nach Wohnungen aussehen, oder ist es das Café mit der Speisekarte im Fenster?“
„Du wirst sehen.“ Er schwang sich meine Tasche über die Schulter und nahm meine Hand.
Das Lokal war hipp, mit schwarzen Wänden und indirekter blauer Neonbeleuchtung. Die Kundschaft speiste von großen Platten mit kaum etwas darauf – passend, denn sie waren alle dünn wie Bohnenstangen.
Der Maître d’, ein gut aussehender, etwas hochnäsiger junger Mann ganz in Schwarz, blickte von seinem Reservierungsbuch auf. Als er Max sah, grinste er. „Ah, Señor Harrison. Und das ist …?“
„Dr. Carrie Ames. Sie hat eine Reservierung.“ Max blinzelte dem Mann fast unmerklich zu.
Der Chefkellner schien die Bedeutung dieser Geste zu verstehen und lächelte höflich. „Bitte folgen sie mir.“
Wir schlängelten uns zwischen den Tischen hindurch bis zu einer Stahltür mit einem schwarzen Samtvorhang davor. Ein kleines schwarzes Schild trug die Aufschrift V.I.P. und kündete von Diskretion. Gäste schauten neugierig auf und versuchten wahrscheinlich zu ergründen, wie wir in unseren durchgeschlafenen Klamotten V.I.P.s sein konnten.
Die Tür entpuppte sich als Zugang zu einem Fahrstuhl. Der schwarze Knopf verschmolz mit der Wandfarbe. Der Maître d’ drückte ihn, die Tür glitt auf und ließ uns ein.
Als die Tür sich geschlossen hatte, wandte sich der junge Mann uns zu. „Besuchen sie die Bewegung zum ersten Mal, Frau Doktor?“
„Ich besuche ganz Spanien zum ersten Mal, um die Wahrheit zu sagen.“ Ich versuchte einen lockeren Ton anzuschlagen. Mir war unklar, ob ich meine Nichtmitgliedschaft preisgeben durfte oder nicht.
„Sie werden es lieben.“ Das Englisch des Mannes hatte einen leichten Akzent, war aber sehr gut. „Nach sechshundert Jahren bin ich es immer noch nicht leid.“
Unsere Konversation wurde jäh von einer harschen, elektronischen Stimme abgeschnitten. Sie dröhnte in verschiedenen fremden Sprachen auf uns ein, bis sie Englisch erreichte. „Stimmerkennungsbestätigung erforderlich.“
Der Maître d’ hielt einen Finger an die Lippen und bedeutete mir, zu schweigen, bevor er meldete: „Miguel.“
„Stimmprobe bestätigt“, teilte uns die Stimme nach einer Litanei in unterschiedlichen Sprachen mit. „Bitte den Sicherheitscode eingeben“, war die nächste Anweisung, die ich verstehen konnte.
„Miguel ist der Torhüter hier bei der Bewegung“, erklärte Max, während der Vampir eine verdeckte Abdeckung aufschnappen ließ und eine Nummernfolge in eine Tastatur hämmerte. „Keiner kommt ohne seine Zustimmung hier herein. Natürlich hat er noch jede Menge Rückendeckung.“
„Die Kellner-Masche ist, wie heißt das noch in Spionagefilmen, eine Legende“, sagte Miguel und grinste sarkastisch.
„Was für Rückendeckung?“ Ich spähte über Miguels Arm, als die Tastatur zurückfuhr und die Abdeckung zuschnappte. Wir fuhren abwärts. „Was passiert, wenn Sie sich vertippen?“
„Ein lähmender elektrischer Impuls würde uns augenblicklich paralysieren, und der Fahrstuhl würde zu einer Sicherheitsetage fahren. Sicherheitsleute würden uns in Empfang nehmen, uns festsetzen und verhören, bis unsere Beglaubigung geklärt ist“, erklärte Max mit einem Achselzucken. „Alles halb so schlimm.“
„Du musst es wissen“, sagte Miguel lachend und klopfte ihm auf die Schulter. „Max ist es nicht mehr erlaubt, den Fahrstuhl allein zu benutzen.“
Max setzte zu einer Erwiderung an, als die Tür wieder aufglitt. Dahinter lag ein Rezeptionsbereich, der so grellweiß war, dass ich unwillkürlich meine Augen abschirmte. Wände, Möbel und Decke waren schneeweiß. Die Deckenbeleuchtung blendete zusätzlich. Die einzigen Ausnahmen waren der mit schiefergrauem Teppich bedeckte Fußboden und ein ausgesprochen furchteinflößendes Mädchen hinter dem weißen Empfangspult.
„Anne wird sich nun um Sie kümmern“, sagte Miguel, als wir aus dem Fahrstuhl traten. „Buenas noches.“
„Buenas noches“, erwiderte Max, doch seine hörbare Heiterkeit galt nicht Miguel.
„Hey, Max“, sagte das Mädchen hinter dem Pult mit strahlendem Lächeln. Ihre Miene bildete einen verblüffenden Kontrast zu ihrer düsteren Erscheinung. Ihr schwarzes Haar, die bleiche Haut und die schwarzen Kleider à la Zombie-Couture erinnerten an die gelangweilten Teenager, die zu Hause in meiner Straße im Gothic-Shop arbeiteten.
Max setzte sich ungezwungen auf ihr Schreibtischpult. „Hast du mich vermisst, Püppchen?“
„Aber ja. Das weißt du doch“, spöttelte sie mit Augenaufschlag.
„Das ist Dr. Carrie Ames. Sie sollte auf der Amnestie-Liste stehen.“
„Amnestie-Liste?“, fragte ich und spähte neugierig über den Schreibtisch.
„Die Liste mit den Namen der Vampire, die wir nicht umbringen“, klärte sie mich auf und reichte mir die Hand. „Ich bin Anne.“
Ich schüttelte ihre Hand und beschloss, mich musterhaft höflich zu benehmen, falls ich mich nicht auf der Liste befand. Nach ein paar spannenden Sekunden der Suche deutete sie jedoch auf meinen Namen. „Okay, ihr habt die Genehmigung, in einer Stunde bei General Breton vorzusprechen. Uh, der hat vielleicht eine Laune heute.“
„General?“ Ich prustete. „Dann geht es bei euch zu wie bei der Heilsarmee oder sogar wie beim richtigen Militär?“
Max räusperte sich mit einem warnenden Blick. „General Breton verlangt den Respekt, der ihm als Offizier der britischen Armee zusteht.“
„Ach, dann ist er ja ein, also, ein richtiger General.“ Ich schluckte. „Toll.“
Anne tätschelte beruhigend meinen Arm. „Nur ein paar Jahre lang. Und das war im Krieg von 1812.“
„Carrie ist … neu“, entschuldigte mich Max. „Vergiss nicht, dass manche von uns nicht so alt sind wie du.“
Wenn ich das Mädchen ansah, fiel es schwer, sie nicht für eine menschliche Sechzehnjährige zu halten. Aber ich bin eine eiserne Verfechterin der Sitte, Frauen niemals nach ihrem Alter zu fragen.
„Tut mir leid“, sagte Anne schäfchenweich. Dann fragte sie breit lächelnd: „Möchten Sie eine Führung, während Sie warten?“
„Klar“, antwortete ich für Max und mich. Mir war nicht danach, ohne seinen Schutz durch die unterirdischen Räumlichkeiten der Bewegung zu strolchen. Nur für den Fall, dass ein gelangweilter Berufskiller gerade Sehnsucht nach einer Exekution verspürte.
Anne winkte uns zu folgen und ging auf eine Doppeltür zu, wo sie eine Plakette durch ein Kartenlesegerät zog. Es summte, dann öffnete sich das Schloss mit lautem Klacken. Sie stieß die Tür auf und führte uns hinein.
Das innere Heiligtum der Bewegung war eingerichtet wie die Lobby, allerdings säumten Türen mit Kartenlesern den Flur. Wachen waren in Abständen postiert. Sie trugen dieselben schwarzen Uniformen, die ich in der Nacht, als sie Cyrus’ Herrenhaus stürmten, an den Killerkommandos gesehen hatte.
„Alle Räume mit blauen Schildern sind sicher, wenn es einen Einbruch im Sicherheitssystem gibt.“ Sie zog eine Tür auf, und wir blickten in ein Büro. Eine Frau in einem langen, wallenden Kaftan mit einem hohen Turban auf dem Kopf sah kühl von einem Stapel Papiere auf. „Womit kann ich Ihnen dienen?“
„Ich zeige den Besuchern nur die sicheren Räume“, erwiderte Anne fröhlich, bevor sie die Tür wieder schloss.
„Also, was sind sichere Räume?“ Bisher fand ich die Sicherheitsvorkehrungen im Hauptquartier der Bewegung weit weniger beeindruckend, als ich es mir vorgestellt hatte.
„Sichere Räume sind genau der Ort, wo man sein möchte, wenn man die Alarmansage hört und der Countdown für die Sicherheitsmaßnahmen losgeht“, mischte sich Max ein. „Wenn es jemand schafft, hier hinunterzukommen, kann Anne den Alarm auslösen. Dann hast du dreißig Sekunden, um in einen sicheren Raum zu kommen – sie sind alle unverschlossen –, bevor das UV-Licht angeht.“
„Und alle Vampire frittiert, die unbefugt durch die Räume streichen“, ergänzte sie. „Ist doch cool, was?“
„Das ist echt cool“, stimmte ich zu und klang wie eine Mutter, die den Teenagerslang ihrer Tochter imitiert. „Und wenn es kein Vampir ist? Was ist, wenn ein Mensch hier eindringt?“
„Auch für diesen Fall haben wir für eine Absicherung gesorgt“, erwiderte Anne verschwörerisch. „Für eine pelzige Absicherung.“
„Werwölfe.“ Max verzog angeekelt das Gesicht. „Die sind von UV-Licht völlig unbeeindruckt und nehmen dann eine Handreinigung der ungesicherten Räume vor. Sie töten alles, was sich darin aufhält.“
Die Vorstellung, dass jemand ein Knöpfchen drücken und uns künstlichem, jedoch nicht weniger bedrohlichem Tageslicht aussetzen könnte, machte mich ziemlich nervös. Ich zuckte zusammen, als die Lampe über uns flackerte.
„Keine Angst“, lachte Anne. „Nur eine Handvoll Leute haben den Code für Sicherheitseinbrüche. Das macht es sicherer für uns.“
Die Führung ging weiter durch ein Netz von abwärts geneigten Fluren. Jede Ebene hatte ein höheres Sicherheitsniveau als das Pentagon. Anne erklärte bei manchen Räumen, was sich darin befand, und ich nickte höflich, aber meine Gedanken kreisten schon wieder sorgenvoll um Nathan.
„Und hier“, sagte sie, zog ihre Karte durch einen Leser und öffnete eine schwere Tür, „ist das Ende unsere Führung erreicht. General Bretons Büro.“
„Vielen Dank“, sagte ich matt. „Das war sehr … informativ.“
„Sie meinen langweilig.“ Anne seufzte dramatisch. Sie war vermutlich Hunderte von Jahren alt, aber sie hatte die sarkastische, herablassende Attitüde amerikanischer Teenager. „Stellen Sie sich mal vor, Sie müssten hier leben.“
„Ach, du armes Häschen“, stichelte Max belustigt. „Wir sehen uns später noch.“
Anne ließ uns mit einem kurzen Winken an der Tür stehen. Bevor Max das Büro betreten konnte, legte ich ihm die Hand auf die Schulter. „Okay, ich hab alles gesehen. Hochsicherheitstrakt, Superparanoia. Warum sind wir hier?“
„Wir sind hier, weil wir Nathan helfen müssen.“ Max stellte den Fuß in die Tür und ließ sie bis auf einen Spalt zuschwingen. „Hör zu. Es ist doch sonnenklar, dass ihn jemand mit einem Spruch belegt hat, damit das, was auch immer es ist, mit ihm passieren konnte. Die Bewegung kann uns helfen herauszufinden, wer dahintersteckt.“
„Wie? Haben sie Datenbanken über alle Hexen? Das ist unmöglich! Hast du eine Vorstellung davon, wie viele fünfzehnjährige Möchtegern-Sabrinas da draußen rumlaufen?“ Ich war so frustriert, dass ich am liebsten gegen die Wand getreten hätte. „Würdest du mir jetzt bitte eine klare Antwort geben? Das hast du bisher nämlich nicht getan.“
„Also gut!“ Max überblickte prüfend den Flur, bevor er fortfuhr. „Wir sind hier, um mit dem Orakel zu sprechen.“
„Mit dem Orakel?“, wiederholte ich, und das lächerliche Bild des Spiegels aus Schneewittchen schoss mir durch den Kopf.
„Sie ist ein Vampir. Ein sehr alter. Mit enormem Wissen. Sie weiß praktisch alles, und was sie nicht weiß, kann sie herausfinden. Aber sie ist gefährlich.“ Max stieß den Atem aus, als wüsste er, dass etwas Unentrinnbares auf uns zu kam. „Ich hoffe, dass ich Breton überzeugen kann, mich zu ihr zu lassen.“
„Ohne mich, richtig?“ Was war nur mit den männlichen Vampiren los, dass sie dauernd dachten, sie müssten mich beschützen? „Keine Chance.“
„Carrie, du verstehst das nicht. Sie ist völlig unberechenbar, und sie hat diese Fähigkeit zur Telekinese … Sie kann dich töten, Carrie. Mit ihrem Geist. Nun, ich habe niemanden, der an mir hängt. Wenn ich zu Staub verpuffe, schön. Aber du musst bleiben, für Nathan. Ich werde nicht verantwortlich dafür sein, dass du umgebracht wurdest.“ Ein grimmiger Zug legte sich um seinen Mund. „Und du bist kein Stück beeindruckt von meiner leidenschaftlichen Rede.“
„Keine Spur.“ Ich schielte auf die Tür. „Glaubst du, dieser General wird deinem Plan zustimmen?“
Max dachte einen Moment nach. „Ich glaube, bei ihm stehen unsere Chancen besser als bei einem von den anderen. Überlass mir das Reden.“
Mein Kiefer klappte herunter. „Du weißt, dass ich Nathan helfen will! Glaubst du wirklich, ich würde etwas tun, was unsere Chancen verschlechtern kann?“
„Nicht absichtlich.“ Er öffnete die Tür und bedeutete mir, einzutreten.
„Was heißt hier, nicht absichtlich?“, fragte ich, aber Max’ Gesicht verschloss sich. Er würde nichts mehr sagen. Ich seufzte und schritt unserem Termin mit General Breton entgegen.