15

ERST NACHDEM ES schon lange dunkel geworden war, gingen sie zum Haus zurück.

»Alles in Ordnung?«, fragte Royd, als er das Tor aufschloss. »Sie sind die ganze Zeit so still.«

Sie rang sich ein Lächeln ab. »Sicher. Warum auch nicht? Ich habe stundenlang gemütlich am Strand gelegen.« Sie ging ihm voraus in den Hof. »Sie hatten recht, ich brauchte diese paar Stunden Ruhe und Frieden.« Auch wenn das mit dem Frieden so eine Sache gewesen war. Ihr Körper hatte sich entspannt, aber ihre Gedanken und Gefühle waren ein einziger Tumult gewesen.

Und er hatte es gewusst, hatte es genau gespürt.

Sein wachsamer Blick sagte alles. Sie wandte sich ab und ging zum Haus. »Es war eine gute Idee, an den Strand zu gehen, anstatt in das kubanische –«

»Sollte das etwa bedeuten, dass das Glück mir endlich hold ist?«

Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Wie bitte?«

»Sie haben mich richtig verstanden«, sagte er barsch. »Vielleicht war die Frage nicht besonders diplomatisch, aber ich muss es wissen.«

Sie drehte sich um. »Ob das Glück Ihnen endlich hold ist?«, wiederholte sie. »Herrgott noch mal, Sie tun ja gerade so, als wäre ich ein billiges Flittchen, das Sie in einer Bar aufgelesen haben.«

»Ganz und gar nicht. Ich will nur – Ach, vergessen Sie’s.« Er ging an ihr vorbei ins Haus und eilte die Treppe hinauf. »Ich hätte wissen müssen, dass –«

Sie hörte, wie er die Tür zu seinem Zimmer hinter sich zuschlug. Nach kurzem Zögern ging sie nach oben. Sie war perplex und empört und verwirrt.

Und enttäuscht. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber jedenfalls nicht, dass er ihr die Tür vor der Nase zuschlagen würde.

Was wollte sie also? Sie hatte sich vorgenommen, sich auf gar keinen Fall auf eine sexuelle Beziehung mit Royd einzulassen. Das wäre ein großer Fehler. Ihr einziges gemeinsames Interesse bestand darin, Sanborne und Boch zur Strecke zu bringen, und sie waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Ohne gemeinsame Basis konnte man keine Beziehung aufbauen. Dave und sie hatten jede Menge gemeinsame Interessen und Ziele gehabt, und trotzdem war ihre Ehe gescheitert. Die Ehe war zu labil gewesen, um eine Tragödie zu überdauern. Wie also sollte eine Beziehung mit einem Mann funktionieren, der –

Was waren das überhaupt für Gedanken? Royd wollte keine Beziehung. Er wollte Sex.

Und sie? Wollte sie das nicht auch? Warum zerbrach sie sich den Kopf, als würden sie eine feste Beziehung anstreben?

Seine Tür ging auf.

Sophie blieb fast das Herz stehen.

»Ich musste es einfach loswerden«, sagte er zögernd. »Ich hab mich mal wieder ungeschickt ausgedrückt. Ich bin nicht blöd, aber mir fehlen häufig die Worte, wenn ich mit Ihnen zu tun habe. Ich weiß auch nicht, warum. Alles kommt ganz schräg raus.«

Ihre Hand umklammerte das Treppengeländer. »Ich fand, Sie haben sich ziemlich klar ausgedrückt.«

Er schüttelte den Kopf. »Sie meinen, ich hätte Sie beleidigen wollen. Sie haben das Wort ›billig‹ benutzt. Aber das ist das Letzte, was ich mit Ihnen verbinde.«

Sie befeuchtete ihre Lippen. »Wirklich?«

»Sie glauben mir nicht.« Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Das ist mir einfach so rausgerutscht. Okay? Ich bin unzivilisiert aufgewachsen, und ich habe mein halbes Leben ziemlich unzivilisiert verbracht. Ich habe ausgesprochen, was mir durch den Kopf gegangen ist. Vielleicht ist das ein Spruch unter Singles, aber für mich hat es nicht diese Bedeutung.«

Sophie konnte ihren Blick nicht von ihm losreißen. »Was haben Sie denn gemeint?«

Er schwieg einen Moment. »Dass ich mich für den größten Glückspilz der Welt halten würde, wenn ich Sie berühren dürfte. Wenn ich Sie vögeln dürfte, dann wäre das wie ein Hauptgewinn im Lotto.« Er verzog das Gesicht. »Das war schon wieder grob. Ich kann’s einfach nicht lassen. So bin ich nun mal.«

»Ja, es war grob.« Aber selbst seine Grobheit erregte sie, stellte sie fest.

»Aber es war ehrlich. Ich will Ihnen gegenüber absolut offen und ehrlich sein. Ich versuche nicht, Ihnen Honig um den Bart zu schmieren, bis Sie endlich mit mir ins Bett gehen. Anfangs hätte ich das vielleicht getan, aber dafür ist es jetzt zu spät. Sie müssen es schon genauso wollen wie ich.«

»Und wenn nicht?«

»Das wäre schlimm«, erwiderte er. »Denn ich will es zu sehr. Ich könnte in Versuchung kommen, Ihnen weh zu tun, damit Sie dasselbe empfinden wie ich, aber das will ich nicht. Sie müssen es genauso wollen. Wenn nicht, lassen Sie mich nicht in Ihre Nähe.« Er musterte ihr Gesicht. »Ich mache Ihnen Angst.«

»Nein, tun Sie nicht.« Er hatte sie erschüttert, er hatte sie erregt, ja, er hatte sie sogar gerührt, aber Angst machte er ihr nicht. »Seit dem ersten Abend, als ich dachte, Sie würden mir die Kehle durchschneiden, haben Sie mir keine Angst mehr gemacht.« Sie bemühte sich zu lächeln. »Und ich glaube auch nicht, dass Sie mir jemals weh tun würden. Es ist nur … keine gute Idee.« Sie überwand sich, das Treppengeländer loszulassen, und ging den Flur hinunter. »Gute Nacht, Royd.«

»Gute Nacht.«

Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Aber er schwieg, bis sie ihre Zimmertür erreichte.

»Sie irren sich«, sagte er ruhig. »Es ist eine verdammt gute Idee. Denken Sie noch mal drüber nach.«

Sie griff nach dem Türknauf. Sie brauchte nur den Knauf zu drehen, die Tür zu öffnen und hinter sich zu schließen. Es ging einzig und allein um Sex. Sie brauchte Royd nicht. Er brauchte sie nicht. »Schiffe, die einander in der Nacht begegnen.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wir werden es nie wissen, nicht wahr?«

Sie war in ihrem Zimmer. Am besten, sie schloss die Tür, ohne ihn noch einmal anzusehen.

Es widerstrebte ihr, die Tür zu schließen.

Ein Grund mehr, es doch zu tun.

Sie schloss die Tür.

 

Sie würde zu ihm kommen. Nein, sie würde bestimmt nicht kommen. Was bildete er sich eigentlich ein, anzunehmen, dass sie sich der Anziehungskraft, die sie zueinander zog, nicht widersetzen würde?

Royd war nackt. Er durchquerte sein Zimmer, öffnete das Fenster und atmete die warme, salzige Luft ein. Ganz ruhig bleiben. Ganz cool bleiben. Sie musste zu ihm kommen. Er hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, dass er sich davor fürchtete, ihr weh zu tun. Er hatte auch nicht gelogen, als er gesagt hatte, er könnte in Versuchung geraten, ihr weh zu tun. Normalerweise hatte er sich gut im Griff, aber das war etwas anderes. Sie war etwas anderes.

Seine Tür ging auf. Er erstarrte, drehte sich jedoch nicht um.

»Ich hab’s mir anders überlegt.« Ihre Stimme zitterte.

Er rührte sich nicht. »Gott sei Dank.«

»Dreh dich um, verdammt noch mal. Ich will dein Gesicht sehen.«

»Wenn ich mich umdrehe, wird dir nicht nur mein Gesicht auffallen.«

»Angeber.«

Langsam drehte er sich um.

Sie musterte sein Gesicht, dann wanderte ihr Blick nach unten. »Heiliger Strohsack.«

»Ich hab dich gewarnt.«

Sie schaute ihm in die Augen. »Du hast mit mir gerechnet. Du hast auf mich gewartet.«

»Ich habe gehofft, dass du kommst.«

»Das glaub ich dir aufs Wort.« Sie zog ihr Nachthemd aus. »Also gut, tun wir’s.« Sie warf ihr Nachthemd auf den Boden, legte sich ins Bett und zog sich die Decke bis unters Kinn. »Komm her.«

»Gleich. Erst möchte ich dich was fragen.«

»Nein, willst du nicht. Du willst überhaupt nicht reden. Das ist weiß Gott nicht zu übersehen.«

»Okay, ich muss dich etwas fragen.«

»Komm her.«

»Erst, wenn du meine Frage beantwortet hast. Wenn ich erst mal bei dir im Bett liege, interessiert die Antwort mich einen Scheißdreck.«

»Ich will nicht reden. Glaubst du etwa, es wäre mir leicht gefallen?«

Er schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Deswegen muss ich mich vergewissern, dass du aus dem richtigen Grund gekommen bist.«

Sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »O Gott. Lass mich raten. Ich soll dir versprechen, dass du dich hiermit zu nichts verpflichtest. Ich will keine Verpflichtung, verdammt. Ich kann mir schon denken –«

»Verpflichtung interessiert mich nicht. Ich müsste ein Idiot sein anzunehmen, dass du dich mit mir auf eine feste Beziehung einlassen würdest. Ich will nur, dass du mir eine Frage beantwortest.«

»Welche, verflucht! Frag schon!«

»Ist das eine Art Wiedergutmachung?«

Sie starrte ihn verdutzt an. »Wiedergutmachung?«

»Wieso wunderst du dich so? Du bist weich wie Butter, und jedes Mal, wenn du mich ansiehst, weiß ich, dass du an Garwood denkst. Du bist dermaßen voller Schuldgefühle, dass du schon seit Jahren dein Leben nicht mehr richtig genießen kannst. Ich will nicht, dass du mit mir ins Bett gehst, um irgendwas wiedergutzumachen.«

»Mein Gott, du bist ja komplett bescheuert.« Sie schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. »Und ich werde nicht versuchen, dir irgendwas zu beweisen.«

»Gib mir einfach eine Antwort.«

»Nein!« Sie funkelte ihn wütend an. »Ja, verdammt, es tut mir leid, dass ich für das verantwortlich bin, was man dir angetan hat.«

»Siehst du? Du bist genauso wenig verantwortlich wie eine Waffe in der Hand eines Mörders.«

»Da bin ich anderer Meinung, wenn du gestattest.« Sie stand auf. »Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich dir auf einem Silbertablett darbieten würde wie eine verdammte Tempelhure. Dazu bin ich mir zu schade. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich dich aus irgendeinem Grund – Ich wollte nur Sex.« Sie ging zur Tür. »Aber ich werde mich nicht bemühen, dich zu überzeugen. Das ist es nicht wert.«

»Ich sorge schon dafür, dass es das wert ist.« Ehe sie sich versah, packte er ihren Arm und sank vor ihr auf die Knie. »Gib mir drei Minuten.«

»Steh auf. Ich gebe dir gar –« Ein Schauder überlief sie, als seine Lippen ihren Bauch erkundeten. Er spürte, wie ihre Muskeln sich anspannten, als er mit beiden Händen ihre Pobacken umfasste.

»Drei Minuten.« Seine Zunge auf ihrer Haut. »Danach kannst du es dir immer noch anders überlegen.«

»Ach ja?« Sie krallte sich in seinen Haaren fest. »Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Ich auch nicht.« Er rieb seine Wange an ihrem Schenkel. »Wahrscheinlich will ich dich nur reinlegen, deswegen können wir uns auch gleich ins Bett legen.«

»Gott, ich hab Pudding in den Knien«, sagte sie mit bebender Stimme.

»Auch gut.« Er zog sie auf den Boden und legte sich auf sie. »Ein Teppich ist genauso gut wie ein Bett …«

»Royd …«

»Schsch, zu spät.« Er schob ihre Beine auseinander. Gott, fühlte sich das gut an. »Wir brauchen es beide. Du brauchst es, ich spüre es ganz genau.«

»Dann gib’s mir.« Ihre Fingernägel bohrten sich in seinen Rücken. »Und stell mir um Gottes willen keine blöden Fragen mehr, sonst bring ich dich um …«

 

»Alles in Ordnung?«, flüsterte Royd, während er sich neben sie rollte. »War ich nicht zu stürmisch?«

»Welches Mal?« Sie kam allmählich wieder zu Atem, aber sie zitterte immer noch. Er lag nur wenige Zentimeter von ihr entfernt, doch er berührte sie nicht. Sie sehnte sich so nach seiner Berührung, wollte Haut an Haut spüren. Himmel, sie führte sich auf wie eine Nymphomanin. Sie waren mehrmals gemeinsam gekommen, hatten sich wie die Tiere auf dem Boden gewälzt, und sie hatte immer noch nicht genug. Sie streichelte seine Brust. Seine Haut war feucht vom Schweiß, und seine Brusthaare kitzelten an ihrer Handfläche. »Ja, du warst stürmisch, aber ich auch. Soll ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?«

»War nur eine Frage.« Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Ich mache nur eine Bestandsaufnahme.«

»Hä?«

»Darf ich dir noch eine Frage stellen?«

»Auf gar keinen Fall.« Sie sah ihn neugierig an. »Was willst du denn wissen?«

»Bin ich der Beste, den du je hattest?«

Sie sah ihn ungläubig an. »Du eingebildeter Mistkerl.«

»Bin ich besser, als dein Exmann war?«

»Royd, wer stellt denn so eine bescheuerte Frage?«

»Ich.« Er beugte sich über sie und liebkoste ihre Brust mit den Lippen. »Es ist mir wichtig.«

»Brauchst du das für dein Ego?«

»Nein.« Er hob den Kopf, um sie anzuschauen. »Falls ich was falsch gemacht hab, muss ich es wissen. Ich will der Beste sein, den du je hattest. Und wenn ich es noch nicht bin, muss ich daran arbeiten.«

»Also, ich hab ja immer gewusst, dass du ehrgeizig bist«, sagte sie verblüfft. »Aber das finde ich reichlich übertrieben.«

Er schüttelte den Kopf. »Vorerst haben wir sehr wenig gemeinsam. Vielleicht gibt es ja ein paar Dinge, über die wir uns einig sind, aber im Moment haben wir keine Zeit, uns damit zu befassen. Bis es so weit ist, haben wir nur das. Und ich will, dass es so gut ist, dass du schön bei mir bleibst.«

»Mir bleibt doch gar nichts anderes übrig, als bei dir zu bleiben. Wir müssen REM-4 aus der Welt schaffen.«

Er wurde ernst. »Ich will, dass du bei mir bleiben willst.«

»Warum?«

Er antwortete nicht gleich. »Weil ich etwas für dich empfinde. Ich weiß noch nicht genau, was, aber ich will es festhalten.«

»Das war ja eine äußerst präzise Antwort.«

»Du bist die Wissenschaftlerin, nicht ich. Das Einzige, was ich präzise kann, ist, jemanden aus tausend Metern Entfernung erschießen.« Er hob die Brauen. »Du zuckst ja zusammen. Das hat dir wohl nicht gefallen.«

»Da würde wohl jeder zusammenzucken.«

»Nicht unbedingt. Manche Frauen erregt diese Nähe zum Tod.« Er stand auf. »Komm, legen wir uns ins Bett.«

»Vielleicht sollte ich lieber in mein Zimmer gehen.«

»Nein, noch nicht.« Er zog sie auf die Beine. »Ich hab schon wieder das Falsche gesagt. Das muss ich wiedergutmachen.«

»Willst du mir etwa beweisen, dass du eine Art Sexchampion bist?«

»Nein, verdammt noch mal.« Er nahm sie in die Arme. »Ich will nur der Beste für dich sein. Was gibt’s daran auszusetzen?«

Kaum spürte sie seine Haut, wurde ihr schon wieder ganz anders. »Wahrscheinlich gibt es irgendwas daran auszusetzen, wenn man lange genug sucht. Aber was wäre, wenn ich dich frage, ob ich die Beste bin, die du je hattest?«

»Dann würde ich dir sagen: Du bist gut, aber zusammen sind wir großartig.« Er knabberte an ihrer Unterlippe. »Und dass du dich mit niemandem einlassen solltest, der deinen Ansprüchen nicht entspricht.«

Sie musste lächeln. »Royd, du bist unmöglich.«

Er führte sie zum Bett. »Und? Bin ich der Beste?«

»Vielleicht.«

»Das reicht nicht. Dann werde ich wohl noch daran arbeiten müssen.« Er zog sie auf sich. »Aber du musst mir helfen. Du musst mir sagen, was dir gefällt, was dich erregt. Wirst du das tun?«

»Wahrscheinlich nicht«, keuchte sie.

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht denken und erst recht nicht sprechen kann, wenn du das noch länger mit mir machst.«

»Pech.« Er grinste. »Dann werden wir es später analysieren müssen – auf wissenschaftlich präzise Weise.«

»Nein, das werden wir auf keinen Fall tun.« Sie legte ihre Hände an sein Gesicht und sah ihn an. »Halt die Klappe, Royd.«

»Wie du willst.« Er lächelte nicht mehr, doch er hatte noch immer den Schalk in den Augen. »Ich dachte, es gefällt dir, beim Sex zu reden. Vorhin hast du dich jedenfalls nicht zurückgehalten.« Er tat so, als würde er nachdenken. »Aber wenn ich mich recht erinnere, bestanden deine Gesprächsbeiträge hauptsächlich aus Stöhnen, Keuchen und Japsen. Ach ja, hin und wieder war auch mal ein ›mehr‹ dazwischen und – Aua! Das hat weh getan.«

»Das hast du verdient.«

Er drehte sie auf den Rücken. »Darüber werden wir später auch noch ausführlich diskutieren. Es scheint dir regelrecht Spaß zu machen, Männern Schmerzen zuzufügen. Ich weiß nicht, wie viel ich aushalten kann, aber für dich tue ich alles, Sophie.«

Erotik, Leidenschaft und jetzt auch noch Humor. Mit Humor hatte sie nicht gerechnet. »Du Mistkerl.« Sie zog ihn zu sich herunter und küsste ihn wild. »Hältst du jetzt endlich die Klappe?«

»Aber ja.« Seine Hände waren überall. »Wie gesagt, für dich tu ich alles, Sophie …«

 

Schläfrig öffnete sie die Augen. Sonnenlicht fiel ins Zimmer. Gestern Abend, als sie das Zimmer betreten hatte, hatte Royd nackt am Fenster gestanden, so dass sie seinen muskulösen Hintern gesehen hatte und die kräftigen Schultern. Sie hatte augenblicklich das Bedürfnis gehabt, ihn zu berühren, und später hatten ihre Hände seinen Körper erkundet, als ob – Royd war weg.

Sophie starrte auf das Kissen neben ihr, wo der Abdruck seines Kopfs noch zu sehen war.

Enttäuscht schloss sie die Augen. Was hatte sie denn erwartet? Sie hatten großartigen Sex gehabt, aber das bedeutete ja nicht, dass er verpflichtet war, bei ihr zu bleiben.

»Bereit?«

Als sie die Augen aufriss, stand Royd am Fußende des Bettes. Seine Haare waren nass und rochen frisch gewaschen. »Bereit für was?«

Er lächelte. »Sex? Duschen? Frühstück? Schwimmen im Meer? Ich habe die Möglichkeiten in der Reihenfolge aufgezählt, die mir entgegenkommen würde.«

Sie rekelte sich wohlig. Seltsam, dass diese paar Worte ausreichten, um das Gefühl des Verlassenseins zu verscheuchen. »Du hast nasse Haare. Hast du geduscht, oder warst du schwimmen?«

»Ich hab geduscht.« Er schaute sie an. »Entweder, du stehst jetzt auf, oder ich komme wieder zu dir ins Bett. Aber da es fast Mittag ist, sollte ich dir lieber erst was zu essen besorgen.« Er ging zur Tür. »Geh duschen. Ich hab ein paar saubere Klamotten aus deiner Tasche genommen und ins Bad gelegt. In der Zwischenzeit mache ich Kaffee und Omelettes. Zwanzig Minuten?«

»Ich brauche eine halbe Stunde.« Sie setzte sich auf und schlug die Decke zurück. »Ich komme mir vor, als wäre ich in einen Tornado geraten, und ich muss mir die Haare waschen.«

»Das mit dem Tornado ist gar nicht so abwegig.« Er lächelte sie über die Schulter hinweg an.

Ehe sie noch etwas entgegnen konnte, war er verschwunden. Sie stand auf und ging ins Bad. Ihr Körper fühlte sich leicht und geschmeidig an, ihre Muskeln fast katzenhaft entspannt und elastisch. Nach so intensivem Sex hätte sie nie erwartet, dass sie so beschwingt sein würde, sondern müde und erschöpft. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas je mit Dave erlebt zu haben. Sex mit ihm war befriedigend gewesen, aber nicht so erfüllend und beglückend.

Lieber nicht an Dave denken und Vergleiche anstellen. Was sie und Royd letzte Nacht erlebt hatten, war etwas Einzigartiges. Manchmal kam es vor, dass zwei Menschen sexuell vollkommen harmonierten, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie auch in anderer Hinsicht zusammenpassten. Es war weiß Gott offensichtlich, dass zwischen ihnen beiden Welten lagen.

Sie trat unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Das warme Wasser auf ihrem Körper war ein sinnlicher Genuss. Wie gut das tat. Sie wollte jetzt nicht nachdenken, wollte sich nur dem Augenblick hingeben. Sie legte den Kopf in den Nacken und genoss das ihren Körper entlangsprudelnde Wasser.

»Du hast fünf Minuten überzogen.« Royd drehte sich vom Herd weg, als sie in die Küche kam. »Aber ich bin auch aufgehalten worden. Jemand hat mich angerufen.«

Sie zuckte zusammen »MacDuff?«

Er schüttelte den Kopf. »Kelly. Er wollte neue Anweisungen.«

»Und was hast du ihm gesagt?«

»Er soll ein Boot mit modernster Bordtechnik auftreiben und auf uns warten.« Er bugsierte die Omelettes auf zwei Teller. »Du kannst schon mal Kaffee einschenken, ich hole noch den Orangensaft aus dem Kühlschrank.«

»Okay.« Stirnrunzelnd nahm sie die Kanne. »Wozu brauchen wir ein Boot mit hochmoderner Bordtechnik?«

»Vielleicht brauchen wir es auch nicht. Aber ich bin gern auf alles vorbereitet.« Er stellte die Teller auf den Tisch. »Hör auf, dir Sorgen zu machen.« Er nahm ihr die Kaffeekanne ab und füllte ihre Tassen. »Das kann ich nicht leiden.«

Sie hob die Brauen. »Und deshalb soll ich damit aufhören?«

»Bis du einen guten Grund hast, dir Sorgen zu machen. Ich wusste, dass ich dich beunruhigen würde, wenn ich dir von Kellys Anruf erzählte, aber ich dachte, wenn ich’s dir vorenthalte, wirst du wieder sauer auf mich.«

»Da hast du richtig gedacht.«

»Setz dich.« Er drückte sie auf einen Stuhl. »Und lächle mich an, so wie eben, als du in die Küche gekommen bist.«

»Und wie hab ich da gelächelt?«

Er legte den Kopf schief und musterte sie. »Erwartungsvoll. Ja, genau. Weißt du, was für ein Gefühl mir das gibt?« Er streichelte ihr Haar. »Du fühlst dich so seidig an. Egal, wo ich dich anfasse.«

Ihr blieb die Luft weg, und ihr wurde schon wieder ganz heiß.

Zärtlich streichelte er ihre Brust. »Ganz weich und seidig«, flüsterte er. »Wollen wir es auf dem Küchenfußboden probieren?«

Ja, unbedingt, dachte sie. Sie zitterte regelrecht vor Verlangen.

»Komm«, sagte er, während seine Hand in ihre Bluse fuhr. Haut auf Haut. Ihre Bauchmuskeln spannten sich. »Essen können wir später.«

»Nein, ich …« Sie holte tief Luft und zog seine Hand aus ihrer Bluse. Gott, fiel ihr das schwer. »Natürlich können wir später essen. Aber es gefällt mir überhaupt nicht, dass du versuchst, mich mit Sex abzulenken. Es gibt so vieles, über das ich nachdenken muss, und du behandelst mich wie eine Puppe, die du aus der Schachtel nehmen kannst, wenn du damit spielen willst, und dann einfach wieder wegpackst.«

»Falsche Taktik?« Er zuckte die Achseln und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. »Tut mir leid. Das ist mein Beschützerinstinkt, der ist seit der letzten Nacht noch ausgeprägter geworden. Hat wahrscheinlich was mit dem Neandertalerinstinkt zu tun, die Sippe zu beschützen. Aber mit solchen Dingen kennst du dich besser aus als ich, du hast ja mehrere Doktortitel.«

»Wieso erwähnst du immer wieder meine akademische Ausbildung. Hast du etwa Komplexe?«

»Nein, keine Sorge.« Er hob seine Tasse an die Lippen. »Ich kann alles lernen, was ich lernen muss.«

Und in der vergangenen Nacht hatte er auf Anhieb gelernt, wie er mit ihrem Körper umgehen musste, dachte sie. Hastig schob sie den Gedanken beiseite. Ihr Körper schrie immer noch nach seinen Berührungen, und das konnte sie im Moment ganz und gar nicht gebrauchen. »Ja, offenbar bist du sehr talentiert.«

Als er leise vor sich hin lachte, sah sie ihn an. Er wusste genau, was ihr durch den Kopf ging. Sie hielt seinem Blick stand, während sie sich ein Stück Omelette in den Mund schob.

»Freut mich, dass du das so siehst.« Seine Mundwinkel zuckten. »Meistens bin ich in der Lage zu tun, was nötig ist. Hauptsache, der Anreiz ist groß genug.« Dann wurde er ernst. »Wir könnten natürlich noch wochenlang um den heißen Brei herumreden, aber ich will verdammt sein, wenn ich mich darauf einlasse. Ich bewege mich auf unsicherem Terrain, und ich werde dafür sorgen, dass sich das möglichst bald ändert.«

»Wie meinst du das?«

»Im Moment stehe ich ganz gut da. Du hast den Sex letzte Nacht genossen, und das wirkt noch schön nach. Du bist noch ganz Gefühl und nicht so sehr Kopf. Aber ich kann mich nicht darauf verlassen, dass das lange anhält. Irgendwann wird die Angst wieder da sein, und dann wirst du anfangen, über deinen Sohn und dein Leben nachzudenken und darüber, wie verschieden wir beide sind.«

»Wir sind ja auch sehr verschieden.«

»Nicht im Bett«, erwiderte er barsch. »Und alles andere ist verhandelbar. Ich habe dir gestern Abend gesagt, dass ich etwas für dich empfinde. Daran hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Die Gefühle sind noch viel stärker geworden. Ich weiß jetzt noch nicht, wo das hinführen wird, aber ich will es nicht loslassen. Ich will dich nicht loslassen, Sophie.«

»Ich möchte jetzt nicht darüber reden.«

»Aber ich. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt, bis das Chaos ausbricht. Ich hätte nie damit gerechnet, dass so etwas passieren würde, aber jetzt müssen wir damit umgehen.« Seine Hand umklammerte seine Tasse. »Ich bin dir gegenüber offen und ehrlich gewesen, jetzt bist du an der Reihe.«

»Was willst du von mir hören?« Sie befeuchtete sich die Lippen. »Der Sex mit dir war großartig. Ich bin mein Leben lang eine Art Workaholic gewesen, und Sex war mir nie so wichtig. Es war einfach ein nettes Vergnügen am Rande.« Ihre Mundwinkel zuckten. »Der Sex mit dir war nicht nur ein nettes Vergnügen, Royd. Es war umwerfend. Du hast ja gemerkt, wie ich abgegangen bin. Ich will weiter Sex mit dir haben. Du dachtest, ich würde mit dir ins Bett gehen, weil du mir leidtust, aber in Wirklichkeit tue ich mir selbst leid. Ich habe es in den letzten Jahren ziemlich schwer gehabt, und ich bin fest entschlossen, von jetzt an jede Gelegenheit zu nutzen, das Leben zu genießen. Ich glaube, das habe ich verdient. Ist es das, was du wissen wolltest?«

»Zum Teil. Es ist immerhin ein Anfang. Also kein One-Night-Stand?«

Sie zögerte. »Ich weiß nicht, was – Alles kann sich ganz plötzlich ändern. Woher soll ich jetzt wissen, was ich dann empfinden werde? Sanborne treibt immer noch sein Unwesen, und ich kann nicht –«

»Okay, okay. Das hört sich ja alles viel besser an, als ich befürchtet hatte. Es tut dir nicht leid, dass du mit mir ins Bett gegangen bist, du weißt nur nicht, was die Zukunft bringen wird.« Er trank seinen Kaffee aus. »Ich werde schon dafür sorgen, dass sich das ändert.«

»Wer weiß, ob du das überhaupt noch willst«, antwortete sie ruhig. »Ich bin keine Femme fatale. Deine Gefühle für mich sind vielleicht schon in ein paar Tagen wieder verflogen.«

»Vielleicht. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich. Ich bin hartnäckig. Iss dein Frühstück auf, dann gehen wir schwimmen.«

Sie lehnte sich zurück und schaute ihn an. Himmel, war der Mann unberechenbar. In einem Moment war er vollkommen auf etwas fixiert, und im nächsten Augenblick war er mit einem ganz anderen Thema beschäftigt.

»Ich lasse dir nur ein bisschen Zeit zum Durchatmen.« Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. »Ich spüre, dass du das brauchst, nachdem ich dir so zugesetzt habe.«

»Du bist dir deiner selbst ja wirklich sehr sicher.« Sie stand auf. »Und meiner. Schwimmen ist eine gute Idee.« Sie begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. »Aber ich habe eine bessere. Zieh dich aus, Royd.«

»Sophie?«

»Du hast mir eine Runde Küchenbodenturnen in Aussicht gestellt.« Sie zog ihre Bluse aus. »Willst du jetzt einen Rückzieher machen?«

»Nein.« Er trat hinter sie und legte die Hände an ihre Brüste. »Niemals«, flüsterte er.

 

Zwei Stunden später klingelte Sophies Handy. Sie langte über Royd hinweg und nahm es vom Nachttisch.

»Ich habe Informationen über Gorshank. Venable von der CIA hat sich bei mir gemeldet«, sagte MacDuff, als sie das Gespräch entgegennahm. »Der Mann heißt Anton Gorshank. Er ist ein russischer Wissenschaftler, der vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion an ein paar äußerst schmutzigen Projekten gearbeitet hat.«

»Chemiker?«

»Ja, und als die CIA zuletzt von ihm gehört hat, hielt er sich in Dänemark auf. Vor zwei Jahren haben sie ihn aus den Augen verloren.«

»Sie wissen also nicht, wo er sich jetzt rumtreibt?«

»Sie versuchen es rauszufinden. Anscheinend haben sie ein paar Hinweise. Joe Quinn hat auch ein paar Freunde bei der CIA, also habe ich ihn gebeten, ein bisschen Druck zu machen. Ich rechne damit, bald mehr zu erfahren, dann melde ich mich wieder.«

»Danke. Wie geht es Michael?«

»Gut.«

»Kann ich mit ihm sprechen?«

»Da werden Sie Jane anrufen müssen. Jock und ich sind vor zwei Stunden aufgebrochen.«

»Ich … verstehe.«

»Ich habe Ihnen gesagt, dass wir uns auf den Weg begeben, sobald wir irgendwelche Informationen erhalten, Sophie«, sagte er ruhig.

»Ich weiß.« Trotzdem machte es sie ein bisschen nervös, dass Jock und MacDuff nicht mehr bei Michael waren, inzwischen hatte sie großes Vertrauen zu den beiden. »Wohin sind Sie denn unterwegs?«

»Dorthin, wo Sie sind. Auf Wiederhören, Sophie.«

»Auf Wiederhören.« Sie legte auf.

»Gorshank?«, fragte Royd.

Sie nickte. »Wir wissen jetzt, wer er ist. Ein russischer Wissenschaftler, der bis vor zwei Jahren in Dänemark war und seitdem verschwunden ist. Die CIA weiß nicht, wo er sich jetzt aufhält, aber MacDuff rechnet jeden Augenblick mit neuen Informationen.«

»Gut.«

»Und er und Jock sind unterwegs hierher. Offenbar ist MacDuff davon überzeugt, dass ein Durchbruch kurz bevorsteht.«

Royd stützte sich auf einen Ellbogen und schaute sie an. »Und du machst dir Sorgen um Michael.«

»Natürlich. Ich mache mir immer Sorgen um ihn. Seit dem Tag, an dem meine Eltern gestorben sind.« Sie setzte sich auf. »Ich rufe ihn an und rede mit Jane. Dann werde ich mich besser fühlen.«

»Wirklich?«

»Irgendjemandem muss ich schließlich vertrauen. Im Moment fühle ich mich ziemlich allein.«

»Und ich zähl natürlich nicht.«

»So war das nicht gemeint –«

»Ich weiß.« Er stand auf. »Man hat dir gerade eine kalte Dusche verpasst, und mich siehst du nicht in der Rolle des Gefährten, der auf dich aufpassen könnte. Eigentlich dachte ich, ich würde mich auf dem Gebiet ganz gut schlagen, aber da habe ich mich offenbar geirrt.« Er zuckte die Achseln. »Schon in Ordnung. Ich nehme, was ich kriegen kann. Du hast mir ja schon mal erzählt, dass es dir schwerfällt, zu jemandem Vertrauen zu fassen. Wollen wir schwimmen gehen, nachdem du mit Michael telefoniert hast?«

»Warum nicht?« Sie ging zum Bad. »Falls ich bis dahin nichts von MacDuff höre.«

»Ja, das hätte natürlich Vorrang. Du hast mir gehörig den Kopf verdreht, aber nicht so sehr, dass ich den Job vergesse, den ich zu erledigen habe.«

»Ich müsste ganz schön bescheuert sein anzunehmen, dass du ein Mann bist, der sich ganz von seinem Ziel ablenken lässt. Ich wusste schon immer –«

»Sophie.«

Sie sah ihn an.

Seine Lippen waren gespannt, und seine Stimme klang harsch. »Du gehst ständig auf Distanz zu mir. Die Mühe kannst du dir sparen. Ich gebe mich damit zufrieden, in deinem Leben die zweite Geige zu spielen, aber ich werde nicht wieder aus deinem Leben verschwinden.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Wahrscheinlich stimmt das sogar. Du bist so daran gewöhnt, immer nur an Michael zu denken, dass du das, was wir gemeinsam haben, in einen dunklen Winkel schiebst, wo du es ignorieren kannst. Aber das wird dir nicht leichtfallen, dafür werde ich sorgen. Unsere Flitterwochen sind noch nicht vorbei.«

»Flitterwochen? Das impliziert eine Beziehung, die wir nicht haben.«

»Nenn es, wie du willst.« Er ging zur Tür. »Mehr wollte ich nicht sagen. Ich fand es nur fair, dich zu warnen.«

»Himmel, das klingt ja wie eine Drohung.«

»Was erwartest du denn von jemandem wie mir?« Er schüttelte den Kopf. »Es ist keine Drohung. Ich werde dir nicht nachstellen. Wenn du mich verlässt, sobald diese Sache ausgestanden ist, wünsche ich dir viel Glück. Aber ich werde mein Möglichstes tun, um das zu verhindern. Und mein Möglichstes ist nicht wenig. Bis dahin werde ich mich so zivilisiert und artig verhalten, dass du glücklich bist wie ein Honigkuchenpferd und ich mich zum Kotzen fühle. Ich warte unten auf dich.«

Er knallte die Tür hinter sich zu.

Zivilisiert und artig? Der Mistkerl wusste ja noch nicht mal, was diese Worte bedeuteten. Er war grob und ruppig, und mit ihm zusammen zu sein war ungefähr so, als klammerte man sich mitten in einem Tornado an umherfliegende Trümmer.

Und doch hatte sie während der letzten vierundzwanzig Stunden nichts anderes gewollt. Er mochte vielleicht grob und ruppig sein, aber er hatte ihr nicht weh getan, und er war ein hervorragender Liebhaber. Seine Unberechenbarkeit und seine latente Gewaltbereitschaft hätten sie eigentlich einschüchtern müssen, stattdessen hatte sie diese Eigenschaften als erregend empfunden. Zu keinem Zeitpunkt hatte sie sich von ihm bedroht gefühlt. Er war nicht einfach im Umgang, aber sie hatte gewusst, dass er ihr nicht weh tun würde. Zwar hatte sie ihm vor wenigen Minuten vorgeworfen, er würde sie bedrohen, aber das war eher eine Art Selbstverteidigung gewesen.

Selbstverteidigung? Hatte sie sich nicht gerade erst eingestanden, dass sie keine Angst vor Royd hatte?

Kontrolle.

Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Seit sie erwachsen war, hatte sie immer und überall die Kontrolle gehabt, in ihrer Ehe, in ihrem Beruf, bei Michael. Aber mit Royd im Bett war von Kontrolle keine Rede gewesen. Sie hatte den Sex mit Royd so genossen, dass sie freiwillig ihr Bedürfnis nach Kontrolle aufgegeben hatte. Gott, sie kam sich fast vor wie eine Domina. Bei Dave hatte sie die Kontrolle übernommen, weil er sie ihr bereitwillig überlassen hatte. Als Ärztin musste sie diszipliniert und selbstsicher sein, und im Umgang mit Michael war sie halt eine Mutter, da ergab sich das von selbst.

Aber bei Royd war das etwas ganz anderes. Er würde vielleicht Kompromisse machen, mehr aber bestimmt nicht. Er hatte gesagt, er würde sie respektieren, aber diesen Respekt würde sie sich jeden Tag neu verdienen müssen.

Sie schloss die Badezimmertür und lehnte sich dagegen. Sie musste aufhören, sich über Royd den Kopf zu zerbrechen, wahrscheinlich war es ein großer Fehler gewesen, mit ihm ins Bett zu gehen, aber das war nicht mehr rückgängig zu machen. Es hatte ihr verdammt gut gefallen, aber das bedeutete nicht, dass sie weiterhin mit ihm schlafen musste. Sie brauchte ja nicht sofort damit aufzuhören, aber sie musste sich auf ihre Aufgabe konzen–

Himmelherrgott. Plötzlich sah sie Royd wieder vor sich. Nackt, muskulös, fordernd und absolut erotisch.

Ja, am besten, sie hörte auf, an ihn zu denken.

Zwecklos.