Eins
Gabi entschuldigte sich jetzt schon zum vierten Mal dafür, dass die Gartenmöbel nicht zueinanderpassten. Toppe schwitzte. Er hatte sein Jackett schon gegen halb zehn abgelegt, als die letzten Gäste gekommen waren, trotzdem klebte ihm das Hemd am Rücken. Es war wirklich ungewöhnlich warm für Anfang Mai, und die Terrasse war einfach zu klein für die rund dreißig Leute, die sie eingeladen hatten. Man hatte kaum Platz, sich zu drehen, ohne jemanden zu berühren.
Noch bis gestern hatte Gabi ihn damit verrückt gemacht, dass das Wetter umschlagen könnte und sie die Einzugsfete nach drinnen verlegen müssten – der neue schöne Cottoboden! Zehn Minuten, bevor die ersten Gäste kamen, hatte sie noch ein letztes Mal aufgewischt, denn Toppe hatte beim Bierfassschleppen vergessen, sich die Schuhe an der Haustür auszuziehen, und überall Lehmabdrücke hinterlassen. Nun ja, das würde sich auch noch ändern, wenn der Eingang erst mal gepflastert war, demnächst.
«Soll ich Ihnen ein Bier mitbringen, Herr Toppe?» Astrid Steendijk, die im letzten Jahr als Praktikantin bei ihnen gearbeitet hatte, griff nach seinem leeren Glas. Ihr machte die Wärme ganz offensichtlich nichts aus.
«Nein, lassen Sie nur, Astrid, ich komme mit.»
Gemeinsam zwängten sie sich zum Fass durch.
«Ab Montag bin ich wieder bei Ihnen im KI. Ich freu mich schon drauf.»
Toppe füllte zwei frische Gläser und reichte ihr eins.
«Ja, ich freue mich auch.»
«Schön ist Ihr Haus geworden, gefällt mir. Wer war denn der Architekt? Van Wickeren?»
Er nickte.
«Das sieht man immer irgendwie, finde ich. Und was haben Sie mit dem Garten vor?» Sie deutete auf die beiden frisch angeschütteten Berge Muttererde.
«Na ja, viel Wiese und Obstbäume, ein paar Sträucher und Beete vielleicht. So genau haben wir uns das noch nicht überlegt.»
«So einen Naturgarten? Das find ich gut. Ist ja auch schön groß, das Grundstück. So würde ich auch gern mal wohnen.»
Jemand legte Toppe von hinten die Hand auf die Schulter. «Helmut.»
«Ja? Ach, du, Norbert.»
«Ich fürchte, da kommt was auf dich zu.» Van Appeldorn grinste und wies mit dem Kinn auf Ackermann, den Kollegen vom Einbruchsdezernat, der am anderen Ende der Terrasse an einem Tisch saß und just in diesem Moment mit seinem Ehering gegen sein Altglas klopfte. Das Gemurmel der anderen Gäste verstummte so plötzlich, als hätte jeder nur darauf gewartet. Ackermann sprang auf und krähte: «Tätää, tätää, tätää … wir wollten et uns nich’ nehmen lassen, Herr Toppe, die Kollegen un’ ich, und deshalb ham wer alle zusammengeschmissen, auch für Ihre Gattin, weil wer dachten, so wat haben Sie bestimmt noch nich’ in Ihre Sammlung, wie man so schön sagt, und deshalb – Franz!»
Aufs Stichwort kamen in diesem Augenblick zwei Kollegen aus dem Wohnzimmer und trugen einen seltsamen schwarzen Gegenstand zu Toppe hinüber.
Toppe schluckte.
«Wunderschön», hörte er seine Schwiegermutter hauchen.
Es war ein schmiedeeiserner Fußabtreter: ein magerer Dackel mit einem Schild in der Schnauze, auf dem in verschlungenen goldenen Buchstaben ‹Herzlich willkommen› glänzte. Toppe schaffte es irgendwie, ein Lächeln hervorzuzaubern, und versuchte, sich mit ausgestreckter Hand zu Ackermann durchzudrängeln. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Gabi das Geschenk überschwänglich bewunderte.
«Nee, nee, Momentchen noch», winkte Ackermann ab. «Wir haben nämlich noch wat … Alles klar, Jungs? ’n kleines Ständchen, sozusagen … un’ eins … un’ zwei:
Toppe ist unser bester Freund.
Lustig wird’s immer, wenn er erscheint.
Schön kann er bauen, wunderbar Haus,
Wir wünschen Glück ihm zuhauf.»
Toppe beneidete Gabi, die prustend in der Küche verschwinden konnte. Er musste hier stehen bleiben und durchhalten.
Sein Freund Arend Bonhoeffer, der Pathologe aus Emmerich, grinste ihm von der Tür her frech ins Gesicht.
«Bist du etwa auch daran beteiligt, Norbert?», presste Toppe zwischen den Zähnen hervor.
«Sehe ich etwa so aus?»
Als der Gesang verstummt war, herrschte sekundenlang Stille.
«Wunderbar, Ackermann!» Van Appeldorn applaudierte. «Ganz wunderbar! Und jetzt setz dich, Ackermann, und trink dir noch einen.»
Und Ackermann setzte sich.
Toppe trat van Appeldorn auf den Fuß.
«Muss natürlich anständig einbetoniert werden, das Ding», hörte er seinen Schwiegervater dozieren. «Na ja, wenn man bloß noch so könnt, wie man will. Wissen Sie», wandte er sich an Bonhoeffer, «ich hab ja unter anderem auch die Betonarbeiten hier am Bau gemacht. Unter anderem!»
«Tatsächlich, Herr Kuipers? Hatte Helmut die Geschichte nicht an einen Unternehmer vergeben?», fragte Arend Bonhoeffer interessiert, und Toppe freute sich still.
«Teilweise, nur teilweise. Viel musste ich natürlich schwarz machen lassen und selber mit anpacken. Ist ja sonst gar nicht zu bezahlen.»
«Sie sind selbst vom Fach?»
Toppe nahm sich noch ein Bier und freute sich weiter.
«Nee, nee, nicht direkt. Aber ich hab natürlich mein Lebtag mit Bauen zu tun gehabt. Da hat man schon so seine Erfahrung, kann ich Ihnen sagen. Mir macht so leicht keiner ein X für ein U vor.»
Bonhoeffer nickte nur, aber der Schwiegervater entließ ihn noch nicht. «Sagen Sie mal, was anderes: Sie sind doch quasi auch Doktor, gewissermaßen, oder? Ich hab mir doch hier auf’m Bau einen Bruch zugezogen, in der Leiste, wissen Sie. Und mein Schwiegersohn hat doch extra so eine Versicherung für Unfälle auf’m Bau und so. Und jetzt sagt mir doch mein Doktor, die Versicherung zahlt da gar nichts, weil, das käm gar nicht vom Bau. Das kann doch wohl nicht, oder?»
Toppe zwängte sich zum anderen Ende der Terrasse durch, wo van Appeldorn, Berns, Heinrichs und van Gemmern zusammenstanden.
«Wenn jetzt das Dach runterkommt, ist fast die komplette Mordkommission auf einen Schlag hin», flachste er. «Was gluckt ihr denn hier zusammen?»
«Wir haben gerade über das Bild im Esszimmer gefachsimpelt», antwortete van Gemmern. «Gefällt mir.»
«Mir auch. Hat uns Sofia zum Einzug geschenkt.» Toppe sah sich suchend um, aber er konnte Sofia nirgendwo entdecken. «Arends Freundin, sie ist Malerin.»
«Das wissen wir doch», nickte Heinrichs. «Ich hab doch gesagt, das muss von der Terhorst sein.»
«Sicher, sicher, das wusste ich auch.» Berns klopfte Toppe auf die Schulter. «Bloß billig ist die ja nun nicht gerade. Aber geschenkt ist natürlich was anderes.»
«Wer hat eigentlich Bereitschaft heute?», fragte Heinrichs.
«Ich», sagte van Appeldorn und hob sein Cola-Glas. «Mich trifft es ja immer, wenn’s was zu trinken gibt. Du, Paul, bist natürlich immun gegen Alkohol. Oder hast du keinen Dienst?»
Berns winkte ab. «Die ein, zwei Gläschen hauen doch einen richtigen Mann nicht um. Übrigens, sag mal, Klaus, versetzt dich deine Süße heute?» Er zeigte mit seinem dicken Finger auf Astrid Steendijk, die sich gerade mit Toppes Schwiegervater unterhielt. «Also, in diesen engen Jeans, richtig lecker.» Er lachte anzüglich, aber Klaus van Gemmern sah ihm ungerührt in die Augen und schwieg.
Toppe wusste, was er an van Gemmern so mochte.
«Helmut», tönte die schrille Stimme seiner Schwiegermutter herüber. «Helmut, nun komm doch schnell und fass mal mit an! Jetzt sei doch vernünftig», schimpfte sie dann, «Alfred, du weißt doch, du darfst nicht mehr so schwer heben.»
Der Schwiegervater hielt den Eisendackel in den Händen.
«Er wollte mit mir nur einen passenden Platz dafür aussuchen», entschuldigte sich Astrid.
«Ach, der Mann ist ja so unvernünftig!» Die Schwiegermutter war jetzt richtig in Fahrt. «Will sich ja partout nicht operieren lassen. Dabei sag ich die ganze Zeit: Alfred, geh nach Goch. Anneliese ihr Mann ist auch nach Goch gegangen, und der war ja so zufrieden. Auch die Zimmer so schön und alles.»
Toppe nahm seinem Schwiegervater den Dackel aus den Händen und trug ihn ins Haus. Das Ding war tatsächlich ganz schön schwer.
Die Tür zum Gäste-WC war abgeschlossen.
«Bist du da drin, Gabi?»
«Ja.»
«Mach mal auf.»
Sie hatte sich die Lippen nachgemalt.
«Müde?», fragte er.
«Es geht so. Läuft doch eigentlich ganz gut, oder?»
«Willst du meine ehrliche Meinung hören?»
Sie lachte. «Die sieht man dir aus zehn Metern Entfernung an. Reiß dich mal ein bisschen zusammen, ja?» Dann runzelte sie die Stirn. «Meinst du, das Essen reicht? Das Fleisch ist schon fast weg. Ich hätte doch mehr bestellen sollen.»
«Quatsch, das reicht dicke.»
«Ja, du bist bestimmt satt geworden.» Sie tätschelte seinen Bauch. «Es wird bald mal wieder Zeit für eine Diät. Du näherst dich deiner Schallgrenze.»
«Quatsch», knurrte Toppe wieder.
Gabi nahm seine Hand. «Jetzt komm. Wir können nicht beide so lange wegbleiben.»
Toppe öffnete die Tür. «Ich lege jetzt Musik auf. Vielleicht tanzt ja jemand.»
Als sie durch die Diele gingen, klingelte das Telefon. Toppe ignorierte es, aber Gabi holte ihn im Wohnzimmer ein: «Sag Norbert Bescheid. Es ist was passiert.»
Van Appeldorn telefonierte kurz und kam dann auf die Terrasse zurück.
«Musst du los?», fragte Toppe.
Van Appeldorn nickte: «Und der Erkennungsdienst wird auch gebraucht.» Er winkte van Gemmern und Berns.
Toppe durchstöberte seine Beatles-Sammlung und entschied sich schließlich für Rubber Soul. Vorsichtig drehte er die Boxen um, sodass die Musik durch die offenen Türen nach draußen in den Garten dringen konnte.
«Mein Gott, Helmut.» Seine Schwiegermutter hielt sich gequält die Ohren zu. «Du bist doch keine achtzehn mehr. Mach die Musik leiser, man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Und die Nachbarn …»
«Die Nachbarn sind alle hier, Thea», entgegnete Toppe.
«Ach was, das hört man ja bis bei van de Kemp.»
«Die Musik bleibt genau so laut, wie sie jetzt ist.»
Gegen halb eins brachen die Ersten auf. Toppe hatte einen dicken Wollpullover übergezogen, ein paar Bier getrunken, der Musik zugehört – es hatte keiner getanzt, aber das machte nichts – und die meiste Zeit einfach den Mund gehalten. Einen Sohn zeugen, ein Haus bauen … jetzt fehlte nur noch der Baum. Und den würden sie auch bald pflanzen.
Um kurz vor zwei blieb nur noch eine Handvoll Gäste übrig: Arend, Sofia, Astrid und Heinrichs. Toppe fühlte sich endlich wohl.
Arend zwinkerte ihm zu: «Und jetzt legst du mal eine anständige Jazzplatte auf, Helmut.»
«Genau, und dazu trinken wir uns einen richtig guten Schnaps.» Toppe grinste und stand auf.
«Helmut», warnte Gabi.
«Und du trinkst einen mit», antwortete er und küsste sie.
Als es gegen halb vier klingelte, war Toppe nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, aber glänzender Laune.
«Mensch, Norbert, find ich echt prima, dass du noch mal kommst.»
Er legte van Appeldorn den Arm um die Schultern und nahm ihn mit auf die Terrasse.
«Ich hab noch Licht gesehen.»
«Find ich echt prima. Setz dich zu uns.»
Van Appeldorn ließ sich auf die Bank fallen. «Hättest du jetzt wohl ein Bier für mich?»
«Na sicher. Was war’s denn?»
«Nicht so schön», antwortete van Appeldorn müde. «Krankenschwester, jung. Selbstmord, wie’s aussieht.»