Siebenundzwanzig
«Du siehst ganz verändert aus. Irgendwie so …», van Appeldorn betrachtete ihn sinnierend. «Ich weiß auch nicht. Irgendwie anders.»
«Ja, ja, ich weiß schon», entgegnete Toppe grimmig, «jetzt fallen die Hamsterbacken und das Doppelkinn erst richtig auf.»
Aus einem plötzlichen Impuls heraus hatte er sich vorgestern den Bart abgenommen. Ein bisschen nackt fühlte er sich noch, nicht richtig in sich zu Hause. Dabei war nach der ganzen Rupferei der letzten Wochen wirklich nicht mehr viel von der Pracht übrig gewesen.
«Trotzdem, es musste einfach mal sein. Zwanzig Jahre lang ewig das gleiche Gesicht.»
Seit gestern ging es ihm wieder gut. Seit gestern durfte er nämlich aufstehen, musste nicht mehr in diesem Bett liegen und die Decke anstarren. Er fühlte sich beinahe beschwingt, dass er die Operation hinter sich hatte und nun fast auch den Krankenhausaufenthalt.
Van Appeldorn hatte ihn regelmäßig alle drei Tage besucht und ihm Geschenke mitgebracht: einen Blumenstrauß, eine Schale mit Obst, roten Traubensaft.
Toppe machte sich nichts aus Blumen, und roten Traubensaft hatte er nie gemocht, aber er erinnerte sich verschämt daran, dass auch er die gleichen Dinge schon oft zu Krankenbesuchen mitgebracht hatte.
Schwachsinnig eigentlich, es war ihm vorher noch nie aufgefallen.
Krankenhäuser veränderten die Leute. Nicht nur die Kranken, die dort lagen und sich hilflos und fremd fühlten – festgelegt und konzentriert auf ihren Fuß, ihr Herz, ihren Darm –, auch die Besucher waren anders als im normalen Leben.
Selbst der sichere, lockere und gern ironische van Appeldorn saß unbequem gerade auf seinem Stuhl Toppe gegenüber.
«Ich habe übrigens hier eine Diät angefangen», kurbelte Toppe das Gespräch wieder an. «Mindestens zwanzig Kilo will ich bis zum Urlaub runterhaben.»
Van Appeldorn feixte. «Was ist denn los mit dir? Fängst du ein neues Leben an? Ohne Bart und ohne Bauch?»
Toppe sah nachdenklich aus dem Fenster. Die kleine Kastanie vor dem Schwesternwohnheim hatte schon alle ihre Blütenstände verloren.
«Wäre nicht das Falscheste, oder? Weißt du, wenn du nur so im Bett rumliegst, hast du mal richtig Zeit zum Nachdenken.»
«Wann kommst du denn raus?»
«Montag.»
«Das passt gut. Hast du Lust, am nächsten Freitag Trauzeuge zu spielen?»
Toppe zog erstaunt die Augenbrauen hoch. «Ehrlich?», schmunzelte er. «Siehst du, ich hab dir immer gesagt, du kommst auch noch mal dran.»
Van Appeldorn sah verlegen aus.
«Nun ja, ist nichts Großes, nur Standesamt. Aber wir dachten, jetzt mit dem Kind …»
«Ja, klar. Sicher, gern mach ich den Trauzeugen. Ich fühle mich schwer geehrt.»
«Nun mach dir mal nicht ins Hemd, Helmut. Ich will doch bloß vor der buckligen Verwandtschaft mit meinem guten Verhältnis zu meinem Vorgesetzten protzen.»
«Und wann kommt das Kind?»
«Ende Oktober.»
«Und dann bin ich dich los?»
«Nee, da wirst du dich noch ein bisschen gedulden müssen. Wohl erst nächstes Jahr im Mai.»
«Weißt du, so ein bisschen beneide ich dich ja. Ein halbes Jahr zu Hause.»
«Warten wir’s mal ab.»
«Doch. Mal ganz raus aus der Hektik, mal Luft holen und was ganz anderes machen.»
«Was für romantische Vorstellungen du doch vom Hausmanndasein hast, mein Schatz», lachte Gabi, die eben ins Zimmer kam und die letzten Sätze gehört hatte.
«Oh, hallo, Gabi.» Van Appeldorn sprang auf, um sie vorbeizulassen. Krachend schlug sein Stuhl gegen die Wand.
Toppe seufzte tief.