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Kishan
Ohne ein Zeichen von Lokesh konnte ich dem jährlich stattfindenden Valentinstanz mit Vorfreude entgegenblicken. Die Nacht würde lustig werden, und der gesamte Erlös käme dem Jensen Arctic Museum zugute.
Ren zog einen Kleidersack aus meinem Wandschrank und hängte ihn an die Badezimmertür.
»Was soll das, Tiger? Du glaubst wohl, du kannst jetzt auch noch entscheiden, was ich trage, hm?«
»Ich mag dich in allem, was du trägst.« Er zog mich an sich. »Aber ich würde dich gerne in diesem Kleid sehen. Wirst du es mir zuliebe anziehen?«
Ich schnaubte verächtlich. »Wahrscheinlich soll ich es nur tragen, weil ich es auf keinem anderen Date getragen habe. Du kannst das pfirsichfarbene Kleid nicht mehr ausstehen, weil du meinst, dass es nach Li riecht, und das, obwohl es chemisch gereinigt wurde.«
»Das pfirsichfarbene Kleid steht dir wunderbar, und ich habe es extra für dich ausgesucht. Aber du hast recht. Es erinnert mich an Li, und ich möchte, dass der heutige Abend allein uns gehört.« Er küsste mich auf die Wange. »Ich hole dich in zwei Stunden zum Abendessen ab. Lass mich nicht zu lange warten.«
»Keine Sorge.«
Ich berührte seine Stirn mit meiner und fügte leise hinzu: »Ich hasse es, von dir getrennt zu sein.«
Nachdem Ren gegangen war, duschte ich mich, zog einen Bademantel an und wickelte mir ein Handtuch um den Kopf. Ich öffnete den Reißverschluss des Kleidersacks und fand darin ein weinrotes Chiffonkleid mit ausgestelltem Rock und Wasserfallärmeln. Es war ein Wickelkleid, das sich seitlich an der Taille binden ließ. In einer Schachtel am Boden steckten rote Riemchenschuhe.
Ich seufzte. Warum sind Männer nur so besessen von Riemchenschuhen?
Da ich nun eine Million Lippenstifte besaß, fand ich problemlos einen, der zu meinem Kleid passte. Ich verbrachte eine gefühlte Ewigkeit damit, meine Haare mit dem Lockenstab in Form zu drehen und mit juwelenbesetzten Kämmen hochzustecken, ließ jedoch ein paar Korkenzieherlocken mein Gesicht umschmeicheln. Ich trug Make-up auf und hatte sogar noch etwas Zeit, mir die Finger- und Fußnägel mit farblich abgestimmtem, rotem Nagellack zu lackieren.
Ren klingelte an der Haustür, um unserem Date einen förmlichen Anstrich zu verpassen. Ich öffnete und keuchte sprachlos auf. Er trug ein strahlend weißes Hemd mit grauer Weste und eine rote Satinkrawatte, die perfekt zu meinem Kleid passte. Seine schwarze Smokingjacke saß wie maßgeschneidert, und das Haar fiel ihm lässig ins Gesicht. Er sah aus wie ein Supermodel, geradewegs der Titelseite des GQ entsprungen.
Im Vergleich zu ihm kam ich mir auf einmal wie ein kleines Mädchen vor, das sich verkleidet hatte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie jedes weibliche Wesen bei der Valentinsparty die Hand ausstrecken und ihm die Strähne aus der Stirn streichen wollte.
Ren lächelte, und mein Herz rutschte zu Boden, wo es wie ein Fisch am Strand zappelte. Hinter seinem Rücken holte Ren nun zwei Dutzend rote Rosen hervor. Er trat ein und stellte die Blumen in eine Vase mit Wasser.
»Ren! Du kannst nicht ernsthaft erwarten, dass ich mit dir auf diese Party gehe, wenn du so aussiehst! Es ist schon schlimm genug, wenn du dich normal anziehst!«
»Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wovon du redest, Kelsey.« Er streckte den Arm nach einer meiner Korkenzieherlocken aus und zog sanft daran, bevor er sie mir hinters Ohr schob. »Niemand wird mich auch nur eines einzigen Blickes würdigen, wenn ich neben dir stehe. Du siehst einfach umwerfend aus. Darf ich dir jetzt dein Valentinsgeschenk geben?«
»Du hättest mir nichts kaufen sollen, Ren. Glaub mir, du bist Geschenk genug.«
Er zog eine Schmuckschatulle aus seiner Smokingtasche und öffnete sie. Darin lag ein Paar Ohrringe in hochkarätigem Weißgold, mit diamant- und rubinbesetzten Sternchen-Anhängern.
»Sie sind wunderschön!«, flüsterte ich.
Er nahm sie aus der Schatulle und steckte sie mir an. Ich genoss das Gefühl, wie sie an meinen Ohren baumelten und mir ins Gesicht fielen, wenn ich den Kopf drehte.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. »Vielen Dank. Ich liebe sie.«
»Warum sehe ich dann ein ›Aber‹ in deinem Gesichtsausdruck?«
»Das ›Aber‹ bezieht sich darauf, dass du mir keine teuren Geschenke machen sollst. Ich wäre vollkommen zufrieden mit ganz normalen Sachen wie … Socken.«
Er schnaubte verächtlich. »Socken sind wohl kaum ein romantisches Geschenk. Das ist ein besonderer Tag. Verdirb mir den Abend nicht, Kells. Sag mir einfach, dass du mich liebst und dass du die Ohrringe liebst.«
Ich schlang ihm die Arme um den Hals und lächelte zu ihm hoch. »Ich liebe dich. Und … ich liebe meine Ohrringe.«
Sein Gesicht erhellte sich mit einem schmerzhaft schönen Lächeln, und mein Herz flatterte wieder.
Ich holte sein Geschenk vom Wohnzimmertisch und reichte es ihm.
»Im Vergleich zu Ohrringen und Rosen kommt mir das hier jetzt ziemlich mickrig vor, aber es ist nicht einfach, einen reichen Tiger zu beschenken.«
Er riss das Geschenkpapier auf, und da war mein lausiges Geschenk, ein Buch.
»Es ist Der Graf von Monte Cristo«, erklärte ich. »Es geht um einen Mann, der zu unrecht beschuldigt wird und sehr lange im Gefängnis eingesperrt ist, bis er schließlich fliehen kann und sich an seinen Peinigern rächt. Die Geschichte ist sehr spannend und hat mich an dich erinnert, weil du Hunderte von Jahren in Gefangenschaft gewesen bist. Ich dachte, wir könnten Shakespeare mal eine Pause gönnen und lieber den Roman hier zusammen lesen.«
»Ein perfektes Geschenk. Du führst mich nicht nur in ein neues Gebiet der Literatur ein, sondern bescherst mir auch noch unzählige Stunden gemeinsamen Lesens, was das absolut beste Geschenk ist.«
Mit einer Schere schnitt ich eine Rosenknospe von seinem Strauß ab und steckte sie ihm ins Revers. Dann ging es zum Abendessen, das wir in einem eigens nur für uns gemieteten Separee einnahmen.
Nachdem wir uns gesetzt hatten und von nicht weniger als drei Bedienungen umsorgt wurden, flüsterte ich: »Ein normales Restaurant hätte völlig ausgereicht.«
»In ein normales Restaurant führen heute Abend Hunderte von Männern ihre Dates aus. Es ist weder etwas Besonderes noch kann man sich ungestört unterhalten. Ich will dich ganz für mich allein.«
Ren packte meine Hand und drückte einen Kuss auf meine Finger. »Es ist mein erster Valentinstag mit dem Mädchen, das ich liebe. Ich wollte, dass du im Kerzenschein vor Freude funkelst. Apropos …« Er zog ein Blatt Papier aus der Smokingtasche und reichte es mir.
»Was ist das?« Ich faltete es auseinander und erkannte Rens Handschrift. »Du hast mir ein Gedicht geschrieben?«
Er grinste. »Jawohl.«
»Liest du es mir vor?«
Er nickte und nahm das Blatt zurück. Der Klang seiner sonoren Stimme wärmte mich von innen.
Er senkte den Kopf, als wäre ihm die Schönheit seiner Worte peinlich. Ich stand auf und ging um den Tisch herum, setzte mich auf seinen Schoß und legte ihm die Arme um den Hals. »Es ist wunderschön.«
»Du bist wunderschön.«
»Ich würde dich küssen, aber dann wärst du voller Lippenstift, und was würde die Bedienung denken?«
»Mir ist egal, was sie denkt.«
»Ich führe also einen aussichtslosen Kampf?«
»Ja. Ich habe vor, dich zu küssen …, und zwar sehr oft, bevor der Abend zu Ende geht.«
»Ich verstehe. Dann macht es wohl keinen Sinn, wenn ich mich weiterhin sträube, oder?«
»Richtig.«
Unsere Lippen berührten sich, und dieser Kuss ließ mich alles vergessen, selbst die Bedienung, die in unser Separee trat. Als ich sie endlich bemerkte, brannte mein Gesicht dunkelrot.
Ren lachte leise. »Keine Sorge. Sie bekommt ein großzügiges Trinkgeld.«
Hastig schlängelte ich mich von Rens Schoß. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass seine untere Gesichtshälfte mit rotem Lippenstift verschmiert war. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie mein Gesicht aussehen musste. Ren störte es nicht im Geringsten.
Ich raste zur Toilette, um mein Gesicht in Ordnung zu bringen, und bat ihn, schon einmal zu bestellen. Als ich mit dem Ergebnis zufrieden war und zurückkehrte, wartete das Essen bereits auf mich. Ren erhob sich und schob mir den Stuhl zurecht. Dann beugte er sich vor und drückte seine Wange an meine.
Versonnen spielte ich an meinen neuen Ohrringen.
»Sie gefallen dir nicht?«, fragte Ren.
»Ich finde sie wunderbar, aber ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen, dass du so viel Geld für mich ausgibst. Es wäre mir lieb, wenn du sie morgen zurück in den Laden bringst. Vielleicht kannst du stattdessen eine Ausleihgebühr bezahlen.«
»Lass uns später darüber reden. Im Moment möchte ich einfach genießen, wie gut sie dir stehen.«
Nach dem Abendessen fuhr Ren mich auf die Valentinsparty. Geschickt wirbelte er mich über die Tanzfläche. Ohne ein einziges Mal die Augen von mir zu lassen, hielt er mich fest an sich gedrückt. Er war so verstörend schön, dass ich ebenfalls nicht den Blick von ihm abwenden konnte.
Bei My Confession summte er leise mit, während wir uns zur Musik bewegten.
Lächelnd gestand ich: »Dieser Song beschreibt genau, was ich für dich empfinde. Es hat lange gedauert, bis ich dir oder auch nur mir selbst meine Gefühle eingestehen konnte.«
Er hörte dem Songtext nun genauer zu und lächelte dann. »Ich wusste, was du für mich empfindest, seit dem Kuss, kurz bevor wir Kishkindha verlassen haben. Als du richtig wütend warst.«
»Oh, der, den du als aufschlussreich bezeichnet hast?«
»Er war aufschlussreich, weil ich mir endlich sicher war. Ich war mir sicher, dass deine Gefühle für mich ebenso stark sind wie meine für dich. Man kann niemanden so küssen, ohne in ihn verliebt zu sein, Kells.«
Ich spielte mit dem Haar in seinem Nacken. »Das ist also der Grund, weshalb du anschließend so eingebildet warst und mit stolzgeschwellter Brust rumgelaufen bist.«
»Ja. Aber jegliche Überheblichkeit war wie weggewischt, nachdem du fort warst.« Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Er küsste meine Finger, drückte meine Hand gegen seine Brust und sagte eindringlich: »Versprich mir, dass du mich nie wieder verlassen wirst.«
Ich blickte in seine kobaltblauen Augen und sagte: »Ich verspreche, ich werde dich nie wieder verlassen.«
Seine Lippen berührten sanft meine. Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als er mich unvermittelt herumwirbelte und dann fest an seine Brust drückte. Sein Arm glitt an meinem Rücken herab, und er ließ mich in einer kreisenden Bewegung nach hinten sinken. Im nächsten Moment riss er mich wieder hoch, und wir bewegten uns zur Tangomusik.
Ich ahnte, dass die Leute uns beobachteten, aber zu diesem Zeitpunkt interessierte mich das schon nicht mehr. Ren tanzte mit unvergleichlicher Eleganz und führte mich geschickt durch die schwierigen Schrittkombinationen, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich gerade tat. Der Tanz war feurig und leidenschaftlich, und bald war ich von ihm und dem Rhythmus der Melodie überwältigt. Eingehüllt in einen Kokon aus betörender Sinnlichkeit, inszenierte er die perfekte Verführung.
Als das Lied zu Ende war, musste Ren mich halten, denn meine Beine waren zu Wackelpudding geworden. Er lachte und liebkoste meinen Hals, erfreut über meine Reaktion.
Das nächste Lied war erneut ein langsames Stück. Nachdem ich mich wieder einigermaßen von seinem aufreizenden Angriff auf meine Sinne erholt hatte, sagte ich: »Ich dachte, diese Art des Tanzens gibt es nur in Filmen. Wo hast du so zu tanzen gelernt?«
»Meine Mutter hat mich in die verschiedenen traditionellen Tänze eingeführt, und dann habe ich im Laufe der Jahre viele Schritte durchs Zuschauen gelernt. Außerdem hat mir Mr. Kadam Nilima als Tanzpartnerin zur Seite gestellt.«
Ich runzelte die Stirn. »Die Vorstellung gefällt mir überhaupt nicht, dass du mit Nilima so getanzt hast. Wenn du üben möchtest, dann mit mir.«
»Nilima ist wie eine Schwester für mich.«
»Trotzdem.«
»In Ordnung, hiermit verspreche ich hoch und heilig, nie wieder mit einer anderen Frau zu tanzen.« Er lächelte. »Auch wenn es mir gefällt, wenn du eifersüchtig bist.«
Wir begannen, uns zu dem langsamen Tanz zu bewegen. Ich lehnte den Kopf an seine Schulter, schloss die Augen und genoss das köstliche Gefühl, von ihm gehalten zu werden. Das Lied war noch nicht einmal zur Hälfte fertig, als ich spürte, wie er sich versteifte und starr hinter mich sah.
»Na, na, na«, unterbrach uns eine seidenweiche, vertraute Stimme. »Ich glaube, das ist jetzt mein Tanz.«
Ich wirbelte herum. »Kishan? Ich freue mich, dich zu sehen!« Ich warf ihm die Arme um den Hals.
Der Prinz mit den goldenen Augen umarmte mich ebenfalls, drückte seine Wange an meine und sagte: »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Bilauta.«