Das erste Zusatztraining der Handballmannschaft fand am ersten Ferientag statt, einem Montagmorgen um 10 Uhr. Nicht gerade Annas Lieblingszeit: Um ein Haar hätte sie verschlafen. Als sie gerade noch pünktlich zum Aufwärmen in der Sporthalle erschien, wurde sie von allen fröhlich begrüßt, nur Margrét würdigte sie keines Blickes.
Was hat sie?, fragte sich Anna, dachte dann aber im Eifer des Gefechts nicht weiter darüber nach. Dass sie die letzten Trainingsstunden geschwänzt hatte, merkte sie deutlich: Ihre Ausdauer war nicht mehr dieselbe; schon nach wenigen Minuten war sie schweißgebadet und völlig aus der Puste.
Auch Pétur sprach sie an und fragte, ob sie sich krank fühle, sie sei so anders als sonst. In letzter Zeit sei sie doch so gut in Form gewesen.
Anna schluckte, schüttelte dann aber den Kopf.
Als Pétur die Mannschaft aufstellte und Anna sich im Tor bereit machte, rief er ihr zu: »Anna, denk an die neue Abwehrformation, die wir trainiert haben. Die uns im letzten Übungsspiel den Sieg gebracht hat!«
Anna hatte natürlich keine Ahnung, wovon er sprach. Sie guckte die anderen Spielerinnen an, suchte Margréts Blick – vergeblich. Sie versuchte, dem Abwehrmanöver zu folgen, wusste aber die Zeichen ihrer Mitspielerinnen nicht zu deuten und schaffte es daher nicht rechtzeitig an die richtige Stelle im Tor.
Das Spiel lief nicht gut.
Pétur war wütend und entließ Anna mit den Worten, dass sie zum nächsten Training ihren Kopf einschalten solle, sonst könne sie gleich zu Hause bleiben. Auch die anderen Mädchen waren total sauer. In der Umkleide fielen sie über Anna her und fragten, was zum Teufel denn los sei. Ob sie alles vergessen hätte, was sie in den letzten Wochen trainiert und erarbeitet hatten?
Margrét sagte kein Wort, guckte sie nur seltsam an und ging, noch bevor es eine Gelegenheit gab, mit ihr zu reden.
Anna war nur noch ein Häufchen Elend.
Als sie auf dem Heimweg überlegte, was sie tun sollte, kam sie zu dem Schluss, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als das Mädchen zu den letzten Trainingseinheiten und auch zum Turnier zu schicken. Eine schreckliche Vorstellung, doch ihre Mannschaft hatte bei den letzten Spielen immer den ersten oder zweiten Platz geholt und gute Chancen auf den isländischen Meistertitel, wenn sie so weitermachten wie bisher. Unter keinen Umständen wollte sie schuld sein, falls das nicht klappen sollte.
Bei der Tanzstunde später am Tag lief es kaum besser. Lehrerin Berglind hatte beschlossen, die Aufstellung der Tänzer umzuschmeißen: Anna sollte nun an der Spitze tanzen und die anderen sich an ihr orientieren.
Sie sollte die Haupttänzerin sein, der Mittelpunkt, der Star. Und konnte es nicht genießen, weil sie die Choreografie nicht beherrschte. Sie machte ihre Sache offenbar nicht so gut wie das Mädchen, denn Berglind sprach enttäuscht von »Fehler«, »Pleite« und »Fiasko«.
Als Anna an diesem Abend ihre Doppelgängerin traf, war sie stinksauer. Warum hatte das Mädchen sie nicht gewarnt?
Doch das setzte bloß sein gerissenes Grinsen auf, das Anna fast wahnsinnig machte, und zuckte mit den Achseln.
»Du hattest genug mit deinem Kram zu tun und für mich ist das eine tolle Übung für die Zeit, wenn ich dein Leben endgültig übernehme.«
Es beugte sich zu Anna vor und flüsterte: »Ich glaube, alle sind froh, wenn ich endlich ganz du bin.«
Dann lachte es laut.
Anna ballte vor Wut die Fäuste, wusste aber, dass sie nichts machen konnte. In Zukunft musste sie einfach besser abwägen, welche Aufgaben sie dem Mädchen übertrug.
Wenigstens hatte sie noch ihre Eltern und Freundinnen …
In den nächsten Tagen wollte sie sich ganz auf ihre Familie konzentrieren und mal wieder etwas Schönes mit ihren Mädels unternehmen.