Kapitel 46
Es war schon etwas kühl geworden in dieser hereinbrechenden Nacht. An der Seitenwand des Gebäudes erreichte ihn der störende Schein der Laternen, die den Parkplatz und den Eingang beleuchten, nicht. Ein nicht ganz billiges Mountain-Bike stand hier gleich vor ihm. Manfred wusste, es war ihres. Er hatte sie schon damit fahren sehen. Sie würde das Rad nehmen wollen und stattdessen ihn bekommen. Er hatte jetzt schon ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken an den Absturz danach. Bei dem Mädchen in Düren war es so gewesen, und im Flugzeug von Hamburg nach Köln war es ihm ähnlich schlecht gegangen. Das war der Preis, den er zu zahlen hatte. Aber es ging dabei ja auch nicht um ihn. Das musste er erdulden.
Die Tür wurde geöffnet. Ihre klare, fast erwachsen klingende Stimme war unverkennbar. Daneben eine männliche Stimme. Die beiden unterhielten sich, während er die Tür abschloss. Sie gingen gemeinsam zu seinem Wagen, der gleich neben dem Jaguar stand. Dann stieg der Mann ein. Sie folgte ihm nicht, sondern winkte noch kurz und kam dann in Manfreds Richtung. Das Auto fuhr los. Sie wurde für einen Moment in das gleißende Licht der herumschwenkenden Scheinwerfer getaucht, dann war sie bei ihm, schaute ihn an. Sie wirkte überrascht, aber nicht erschrocken.
»Hey, hast du etwa auf mich gewartet?«
»Ja.«
Mehr sagte Manfred nicht, unnötiges Gerede war nie seine Art gewesen. Sie wurde etwas unsicher, wusste vermutlich nicht, was sie erwartete. Er trat einen Schritt näher.
»O Mann, geh nach Haus zu Mutti, wo du hingehörst!« Ihre Stimme klang ärgerlich. Oder war da auch Angst darin?
»Was sagst du da?«
»Geh zu Mutti, sagte ich. Oder wartet zu Hause etwa keine Mutti auf dich?«
Sie war ein kleines, freches Luder. So konnte sie ihn nicht behandeln. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr. Sie wollte ausweichen, er packte sie und versetzte ihr einige klatschende Ohrfeigen. Sie wehrte sich, war gewandt wie eine Katze. Doch er drückte sie schnell zu Boden und hielt ihren Hals in der Armbeuge. Mit der freien Hand ertastete er ihren Körper, der sich unter ihm wand. Sie versuchte zu schreien, doch ihre Kehle wurde zusammengeschnürt und brachte keinen Ton heraus bis auf ein heiseres Krächzen. Warum machte sie es sich und ihm so schwer? Auf diese Art war es nicht schön. Mit ihren kleinen Fäusten schlug sie auf ihn ein. Doch sie konnte ihm keine Schmerzen zufügen.
»Wo ist jetzt deine Mutti?«, fragte er sie, während sich seine freie Hand auf die warme Stelle zwischen ihren Schenkeln presste. Sie bäumte sich auf, wollte freikommen. Er drückte mit aller Macht zu. Jetzt sollte sie seine Stärke spüren. Wildes Zucken, ihre Zunge kam heraus. Er berührte sie mit der seinen. Feuchter Kontakt, ihre großen Augen ganz nah. Jetzt zitterte sie nur noch, er hatte sie fest im Griff. Hastig riss er ihre Kleidung auf. Richtige Brüste hatte die Kleine schon, und einen Strich dunkler Schamhaare, soweit er im spärlichen Licht sehen konnte. Er spreizte ihre Schenkel, das Aufbäumen ihres Körpers bereitete ihm keine großen Schwierigkeiten. Jetzt befreite er seinen harten Stab und drang in sie ein. Sie schüttelte den Kopf hin und her, versuchte ihn zu beißen, zu schreien. Er presste eine Hand fest auf ihre Kehle und stieß sie, wie sie es verdiente. Er brauche nicht lange, kam heftig und schnell. Beinahe erschien es ihm wie Selbstbefriedigung. Das Luder hatte es ihnen beiden irgendwie verdorben. Sie bewegte sich nicht mehr. Außer seinem schweren Atem war es totenstill. Er zog sich aus ihr zurück und ließ sie so liegen, wie sie war. Seine Hose schloss er, während er zum Wagen ging.
Diese dumme kleine Nutte. Was wusste sie denn schon von seiner Mutter? Warum musste das freche Luder sie erwähnen? Warum das zerstören, was sie hätte verbinden können? Sie hatte nicht teilhaben wollen an dem, was er ihr anbot. Sie war vielleicht schon zu verdorben gewesen. Letztlich konnte sie wohl nichts dafür. Es war nicht ihre Schuld.
Manfred startete den Motor und fuhr los. Der Jaguar suchte sich wie ferngesteuert den Weg nach Hause, doch eigentlich wollte er jetzt nicht dorthin. Zu viel war geschehen, über das er nachdenken musste. Das konnte er zu Hause nicht. So bog er in Straßen ab, von denen er nicht wusste, wohin sie führten, fuhr einfach nur so herum.
Vielleicht erwartete ihre Mutter sie bereits und fragte sich, wo das Mädchen blieb. So wie jeden Abend Mütter sich fragten, wo ihre Kinder steckten, warum sie mal wieder so lange weg waren. Manfred konnte sich nicht daran erinnern, wie das bei ihm gewesen war, als er in diesem Alter war. War er überhaupt abends ausgegangen? Hatte seine Mutter dann geschimpft, wenn er zu spät war? Er wusste es nicht. Vielleicht lag es daran, dass er niemals einen Vater gehabt hatte. Väter bestrafen die Kinder, wenn sie zu spät nach Hause kommen, die Mütter machen sich Sorgen und schlichten später den unvermeidlichen Streit. Seine Mutter hatte immer gesagt, dass sie keinen Mann außer ihm brauchte. Aber was hatte er gemacht in dieser Zeit? Manfred konnte sich an viele Tage, an unzählige Einzelheiten aus seiner Studienzeit erinnern. Die Schulzeit und das Leben daheim mit seiner Mutter hatten irgendwie ohne ihn stattgefunden.
Claudia hatte ihn oft gefragt, warum er so ein schlechtes Verhältnis zu seiner Mutter hatte. Allein die Frage war schon ärgerlich. Kein Mensch musste begründen, warum er eine andere Person nicht mochte. Wieso sollte das bei der eigenen Mutter anders sein? Es wäre doch ein großer Zufall, wenn man Sympathie für einen Menschen empfände, dessen Bekanntschaft man sich nicht ausgesucht hat. Geradezu pervers, wenn man darüber nachdachte. Man nehme einen beliebigen Menschen aus der Masse und prüfe, ob er ein guter Freund werden könnte. In den seltensten Fällen wird man zu einem positiven Ergebnis kommen. War der Zufallsversuch, welchen Weibes Sohn man wird, irgendetwas anderes?
Manfred konnte seine Mutter nicht ausstehen. Ihr Geruch, wenn sie ihm nahe kam. Ihre Brüste, an die man eine Melkmaschine hätte anschließen können. Wieso nur musste er ausgerechnet daran denken? Jetzt hatte er diesen ekligen Geschmack schleimiger Milch im Mund.
Eine Tankstelle kam in Sicht, die erleuchtet und offen war. Dort hielt er an, stieg hastig aus und betrat den Kassenraum. Es schien ihm ein Ausschnitt aus einem Supermarkt zu sein, Abteilung Partybedarf. Dazu die unvermeidlichen Magazine, blöde grinsende Mädchen mit geschwollenen, aufgeblähten Milchdrüsen auf mehreren Quadratmetern Auslage. Manfred kaufte zwei Dosen Coke. Eine machte er auf, noch bevor er bezahlt hatte. Dankbar nahm er wahr, wie die widerwärtige Illusion von Milch durch das kalte Getränk hinweggespült wurde. Aus der Gewohnheit langer Dienstreisen nahm er auch noch eine Red Bull mit.
Als er die Fahrt fortsetzte, war er in Richtung Brühl unterwegs. An jeder zweiten Ecke fand sich ein Wegweiser zum Phantasialand. Das war der Vergnügungspark, den jedes Kind dieser Gegend besucht haben musste und den es schon gegeben hatte, als er ein Kind gewesen war. Wie viele Male war er dort gewesen? Er wusste es nicht. Nicht etwa, weil es so oft gewesen wäre, dass er das Zählen aufgegeben hätte. Er wusste es einfach nicht. Er hatte sich selten Gedanken darüber gemacht, warum er so wenig Erinnerungen an seine Kindheit hatte. Die meisten Rückblicke erhielt er, wenn er an die vertrauten Orte dieser Zeit zurückkehrte. Vielleicht würde er im Laufe dieser Nacht noch nach Düren gelangen. Dort hatte alles angefangen – irgendwie.
Warum hatte sich alles so schwierig entwickelt? Es schien so klar gewesen zu sein, so erfüllend und schön. Nachdem er einmal begriffen hatte, worum es ging, sollte er doch seinen Weg gehen können. Er war davon überzeugt gewesen, er besäße die Kraft, die schwierigen Phasen des Zweifelns endlich hinter sich zu lassen. Warum ging das nicht? Dieses hübsche Mädchen eben hätte mit ihm gemeinsam seine Erfüllung finden sollen. Er hatte es zwar vor dem schlimmen Schicksal der drohenden Verraupung bewahrt, doch so hätte es nicht ablaufen sollen.
Er wusste nicht, was er machen sollte. Wer konnte ihm sagen, was falsch war und was richtig? Tim Schuster war an diesem Abend zu seinem Vater gegangen. Wohin aber konnte er gehen? Zu seiner Mutter? Was hatte er mit ihr gemeinsam? Es musste doch eine Zeit gegeben haben, wo sie sich nah gewesen waren, wo sie beieinander Wärme und Verständnis gefunden hatten, so wie das bei Mutter und Kind ist. Hatte es das für ihn nie gegeben?
Manfred wollte Antworten auf diese Fragen, noch in dieser Nacht. Und er wusste, wo er suchen musste.