Kapitel 11
Gentamycin hieß das dritte Antibiotikum, das ihm täglich injiziert wurde. Manfred hatte es sich aufgeschrieben, damit er es nicht mehr vergaß. Er fragte sich, wieso ihm das Rocephin sofort geläufig gewesen war.
Claudia saß auf der Bettkante und redete in einem fort. Sie könne es nicht fassen und ihm sei nicht bewusst, wie knapp er dem Tod entkommen sei, und er solle sich nur ausruhen, und auf jeden Fall mache die Reha Sinn und so weiter. Solange die Kinder im Zimmer waren, hatte sie sich zurückgehalten. Zu Manfreds Leidwesen war Nadine mit Max hinausgegangen. Er vermutete, nach vorheriger Absprache mit ihrer Mutter. Sie sollte den Jungen in der Kinderspielecke der Klinik beschäftigen, damit Claudia nach Belieben auf ihn einreden konnte. Manfred argwöhnte, dass sie vorher mit dem Chefarzt gesprochen hatte. Als sei er ein kleines Kind ohne eigene Entschluss- und Urteilsfähigkeit. Jetzt glaubte sie, frei über ihn verfügen zu können. Diese typisch weibliche Einstellung schien der Arzt zu teilen, aus Gründen, die Manfred unverständlich waren. Bis dahin hatte er seine momentane Schwäche als äußerst ärgerlich angesehen, nun begann sie ihn ernsthaft anzuekeln. Sein Zustand gab Claudia die Gelegenheit, ihn zu bemuttern. Als wenn die Kopfschmerzen und die Übelkeit, verbunden mit dieser entsetzlichen körperlichen Mattheit, nicht genug gewesen wären. Nun musste seine Frau ihn auch noch zu ihrem schutzbedürftigen Kleinkind erklären.
Sie war in den letzten Jahren ohnehin mehr und mehr zum Muttertier geworden. Manfred räumte insgeheim ein, dass er vielleicht in seiner Erregung übertreiben könnte, jedoch wurde die Raupe in ihr mit einem Schlag sichtbar. Sonst wurde das durch ihre immer noch mädchenhaften Gesichtszüge kompensiert. Er wollte sie nicht bei sich haben und maskierte seine Unlust mit Müdigkeit. Die war leider kaum gespielt. Das wiederum gab Claudia Anlass für weiteres fürsorgliches Verhalten. Da hätte sie ja gleich seine Mutter mitbringen können.
Er fand es ekelhaft.
Nach dem Frühstück hatte er sich angestrengt. Der Chefarzt meinte, er solle sich nach Möglichkeit bewegen und seine Kondition etwas fordern. Also war er langsam alle sechs Stockwerke hinunter bis ins Foyer geschlichen. Dort drehte er noch eine Runde und schleppte sich dann auf der anderen Seite des Treppenhauses wieder hinauf. Es war ihm unerklärlich, warum eine Entzündung dieser ominösen Hirnhäute seine Fitness so auffraß. Er wurde sogar von alten Weibern überholt, die den Aufzug nicht fanden und orientierungslos im Treppenhaus umherirrten. Jede Stufe war eine neue Herausforderung. Oben angekommen, berichtete er sich selbst stolz von einer seilfreien Überschreitung des sechsten Stockwerks by fair means, also ohne die Benutzung von Aufzügen oder Sauerstoffgeräten.
Claudia meinte zu dieser Geschichte nur, dass nicht einmal eine lebensbedrohende Krankheit ihn von seinen Bergsteigerflausen und dummen Witzen abhalten konnte. Er erinnerte sich, dass sie früher Humor gehabt hatte.