Kapitel 39
Plötzlich schreckte er hoch. 2.03 Uhr.
Er hatte geschlafen.
Worüber hatte er eben nachgedacht?
Was für ein Unsinn. Seine Verwirrung war verständlich gewesen. Noch nie war es zu solch einem Geschehnis gekommen. Doch wenn er es nun, mit einigem Abstand, recht bedachte, war das Vorgefallene nichts anderes als eine logische Weiterentwicklung. Bis jetzt hatte er die Schmetterlinge vor der Verraupung bewahrt und dabei immer geglaubt, dass das Raupenartige und die Geschlechtlichkeit untrennbar miteinander verbunden waren. Doch dabei hatte er sich nur von der perversen menschlichen Entwicklung blenden lassen. Schließlich war es doch der Schmetterling, der den Partner suchte und sich paarte, und eben nicht die Raupe. Das war nur die Abart des Menschen.
Nun hatte er den letzten, entscheidenden Schritt getan. Er hatte den Schmetterling nicht nur vor dem Schicksal der Raupe bewahrt, sondern ihn am Mysterium der Leidenschaft teilhaben lassen – als Schmetterling und nicht als Raupe. Das Blut war dabei unvermeidlich. Es war nur natürlich, so, wie einige Tropfen aus der Puppe quellen, wenn es den Schmetterling zur Freiheit drängt.
Erst jetzt verstand er es wirklich. Sein Instinkt hatte ihn zum Ziel geführt, weil sein Verstand das Naheliegende nicht hatte sehen wollen. Darum war das Gefühl so stark, die Verzückung so groß. Er war das Werkzeug zur Umkehrung der Perversion der menschlichen Un-Natur. Durch seine Leidenschaft wurde der Schmetterling nicht nur bewahrt, sondern sogar befreit. Er konnte seine Erfüllung finden. Eine schwere Last fiel nun von ihm ab. Die Übelkeit wich einem starken Glücksgefühl. Eben noch hatte er eine starke Angst empfunden, eine Art von Ungewissheit, wie sie Jesus am Ölberg gespürt haben mochte. Doch nun wusste er, dass das, was er vollbracht hatte, gut und richtig war. So wie er hier allein dasaß, war er der einzige Mensch auf Erden, der wirklich verstanden hatte. Man würde ihn für das, was er tat, hassen. Man würde ihn verfolgen, doch verstehen würde man nicht. Denn wenn man es verstünde, würde es die Welt radikal verändern. Nichts wäre mehr wie zuvor. Er blieb allein mit seinem Wissen, konnte mit niemandem teilen, die Einsamkeit nicht und nicht die Freude. Doch das war gut so. Es war in Ordnung. Er war bereit.