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Auf der Rückseite des Lagerhauses fährt ein langer, schiefergrauer Wagen durch eine Garagentür in der Mitte der Wand nach draußen. Die Gruppe der Grabräuber steht vor dem Gebäude und sieht zu, wie das Gefährt mit den großen, regenbogenfarbenen Sicherheitsreifen zum Stehen kommt.

Ken Jenner ist auf Anweisung von Giffey im hinteren Bereich des Lagerhauses geblieben, um die Vorräte zu bewachen. Jenner öffnet den Kofferraum, und gemeinsam verladen Jenner und Giffey die Pakete und Kanister in den Stauraum oberhalb der Brennstoffzelle. Die Sachen passen gerade eben hinein.

Jenner lächelt und seine Kopfhaut runzelt sich, als sie den vollen Kofferraum begutachten. »Genug Zeug, um die ganze Stadt zum Mond zu schießen«, sagt er.

»So hochfliegende Pläne verfolge ich heute nicht«, sagt Giffey. Der Junge grinst. Nicht nur seine Kopfhaut, sondern auch seine Lippen scheinen ein eigenes Leben zu führen. Giffey ertappt sich dabei, wie er Jenner anstarrt, als dieser ihm den Rücken zukehrt. Er fragt sich, ob Jenner einen angeborenen Defekt hat, der in Green Idaho nicht registriert wird. Der Junge hat etwas Seltsames an sich, auch wenn man von seiner Kopfhaut und dem honiggelben Haar absieht. Komisch, dass die Armee ihn nicht abgelehnt hat – aber die Armee hat niemals genetische Tests oder den Nachweis der Hochnatürlichkeit verlangt, sondern sich stattdessen zur Aussonderung unerwünschter Kandidaten auf die Tests aus dem frühen einundzwanzigsten Jahrhundert verlassen. Jenner kam mit besten Empfehlungen…

Hale und Preston scheinen keinerlei Interesse an Jenners Merkwürdigkeiten zu haben. Hale ist nervös, auch wenn er es gut verhehlt. Preston wirkt völlig ruhig, beinahe bewusstlos. Giffey hat beide Reaktionen an Männern und Frauen beobachtet, die sich auf den Kampf vorbereiten, also sieht er vorläufig keinen Grund zur Besorgnis.

Der gemietete Wagen ist etwa zehn Jahre alt, schwarz, etwas heruntergekommen, aber noch einsatzbereit. Die Lenkung kann von einem Menschen, einem Prozessor oder einem INDA übernommen werden. Touristen mit Geld und Geschäftsleute von außerhalb fühlen sich häufig sicherer, wenn sie ihre eigenen Lenksysteme einsetzen können. Die Fahrerkabine ist verstaubt. Jenner wird fahren. Er nimmt sich einen Lappen und wedelt damit in der Kabine herum, worauf sich eine Staubwolke erhebt.

Im überheizten Büro wechseln sie ihre Kleidung. Preston hat Longsuits besorgt, die auf die Maße aller Beteiligten zugeschnitten sind. Sie zieht sich hinter einem Vorhang um. Als sie fertig sind, begutachtet sie die anderen kritisch und zupft hier und da pingelig etwas zurecht.

»Einige von euch kleiden sich wie Schimpansen«, murmelt sie, womit sie insbesondere Jenner zu meinen scheint. Jenner grinst und wirft Giffey einen Seitenblick zu.

Hale benutzt sein Pad, um ihre Verabredung zu bestätigten. Das Besucherzentrum von Omphalos bekundet, dass sie um drei Uhr nachmittags zu einer Besichtigungstour erwartet werden. Sie werden sich einer weiteren Gruppe anschließen, die per Flugzeug aus Seattle kommt.

»Privater Swan, dicke Geldleute«, sagt Hale. »Wir werden echten Pharaonen die Hand schütteln.«

*

Der Swan steht unbeweglich auf dem Asphalt der Rollbahn. Die Landung war sauber und glatt und Jonathan ist immer noch voller Hoffnung. Er hat ein gutes Gefühl. Er kann sich einen Bruch mit der Vergangenheit leisten – es ist genügend Vermögen vorhanden, um Chloe und die Kinder zu versorgen und trotzdem einen Beitrag zu Omphalos zu leisten. Dieses gute Gefühl ist instabil, geladen und zerbrechlich, aber es ist das einzig Positive, das er in den vergangenen zwei Tagen erlebt hat. Länger ist es noch gar nicht her, nur zwei Tage, und sein altes Leben ist vorbei, um etwas Neuem zu weichen!

Das kleine Terminalgebäude liegt einen Kilometer entfernt mitten zwischen zwei Startbahnen, in der Nachmittagssonne strahlt es weiß und hellgrün. Schnee aus der vergangenen Nacht liegt in schmutzigen Haufen neben der Rollbahn. Ein kleiner automatischer Pflug steht gedrungen wie eine stählerne Küchenschabe untätig auf einer kurzen Nebenspur.

Marcus ist still. Er starrt geradeaus auf die Trennwand. Cadey und Burdick unterhalten sich leise über irgendwelche Investitionen; Calhoun scheint sich ein Nickerchen zu gönnen.

Zehn Minuten nach der Landung erhält der Swanjet die Erlaubnis, den Terminal anzusteuern. Typisch für die Republik Green Idaho, denkt Jonathan. Wahrscheinlich haben irgendein Fluglotse und irgendein höherer Angestellter sie ein wenig warten lassen, nur um ihnen zu demonstrieren, wer in diesem Teil der Welt das Sagen hat.

»Endlich«, sagt Marcus, als er aus seiner Lethargie erwacht. Calhoun öffnet die Augen und sieht Jonathan lächelnd an. Er erwidert das Lächeln höflich, wenn auch ein wenig steif. Zur Zeit erinnert ihn jede Frau an Chloe. Dös muss aufhören; ich muss wieder zu einem unabhängigen Mann werden.

*

Nach der Generalprobe nehmen sie eine kleine Mahlzeit zu sich. Giffey kaut auf seinem Sandwich herum und hängt seinen eigenen Gedanken nach.

Hale beschäftigt sich wieder mit den Zeichnungen auf der Tafel – etwas zu zwanghaft, wie Giffey findet. Pickwenn und Penn vertreiben sich die Zeit mit einem Kartenspiel aus abgegriffener Pappe, das Pent in einem Schrank des Lagerhauses gefunden hat. Der blasse und asketisch wirkende Pickwenn und der große Pent mit dem Stiernacken sehen trotz ihrer Anzüge überhaupt nicht wie High-Comb-Manager aus, findet Giffey.

Jenner sitzt auf der durchgewetzten Couch inmitten der Stapel mit Flugzeugteilen und studiert auf Giffeys Pad eine Programmierungsanweisung.

Preston sitzt im Wagen, wo sie auf ihr eigenes Pad starrt, völlig von irgendeiner Vid-Aufzeichnung gefesselt. Im Longsuit erweckt sie zumindest den Anschein eines gewissen Niveaus. Auf Giffey wirkt ihre Intelligenz und Selbstbeherrschung recht anziehend. Er hofft, dass sie nicht verletzt wird und ans Nano verfüttert werden muss.

Hale stößt einen tiefen, vielleicht widerstrebenden Seufzer aus. »Also gut«, sagt er und reißt sich von der Tafel los. »Dann wollen wir mal.«

Sie steigen in den Wagen. Jenner rutscht auf den Fahrersitz. Er grinst übers ganze Gesicht, während sich seine Kopfhaut wieder in Falten legt. Er fährt mit der Hand über sein gelbes Haar. Er scheint die ganze Aktion für einen Riesenspaß zu halten.

Der Wagen verlässt das Lagerhaus. Die Tür schwingt hinter ihnen zu, dann fahren sie nach Norden über die Guaranteed Rights Road, die »Straße der unveräußerlichen Rechte«, vorbei am Betonklotz, in dem der hiesige Sheriff residiert. Giffey entdeckt mehrere Einschusslöcher auf einer Seite des Polizeigebäudes, die nicht beseitigt wurden. Hier scheint man noch stolz auf die Lokalgeschichte zu sein.

Hale ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Pent und Pickwenn setzen ihr Kartenspiel fort. Preston hält ihr Pad in der Hand, schaut aber aus dem Fenster auf die verwahrlosten Gebäude. Jeder setzt sich auf seine Weise mit der Situation auseinander. Giffey ist weder ruhig noch nervös, er befindet sich in einem Zwischenstadium, in seinem Ratzen-oder-Abkratzen- Geisteszustand, wie er es nennt. Er ist auf alles gefasst.

Da ist es, weiß und golden, wie ein gigantisches Stück aus einer Zitronenbaisertorte.

Preston sagt: »Es ist wie eine große Claes-Oldenburg-Skulptur. Ihr wisst schon, wie ein riesiges Tortenstück.«

Giffey lächelt. Er weiß nicht, wer Claes Oldenburg ist, aber offensichtlich hat er im Team jemanden gefunden, auf den er stets gehofft hat, nach dem er stets gesucht hat, den Partner, mit dem er perfekt harmoniert. Es ist ein Zeichen, das ihm ein gutes Gefühl für die Aktion gibt.

Er hofft nur, dass er auch mit Jenner und Hale eine starke Beziehung aufrechterhalten kann. Er hat immer noch gewisse Zweifel hinsichtlich Hale, während Jenner etwas an sich hat, das ihm keine Ruhe lässt.

Der Wagen biegt auf eine neue weiße Privatstraße aus Beton ab, die zur Ostseite von Omphalos führt. Jenner öffnet das Trennfenster zum Fahrerabteil.

»Mr. Giffey, wie ich hörte, haben Sie einige Zeit für Colonel Sir gearbeitet.«

»So ist es«, sagt Giffey, der den Kopf gesenkt hat, um durch den Fensterrahmen das gewaltige weiß-goldene Gebäude betrachten zu können. Rings um Omphalos wurde ein Streifen von hundert Metern Breite freigelassen. Hier gibt es nur vereinzelte Schneereste auf sanft gewelltem Boden mit hübsch gestaltetem, immergrünem Rasen.

»Mein Vater hat ihm in Hispaniola Widerstand geleistet. Berater der US-Armee. Ich wollte es meinem Vater gleichtun.«

Giffey hebt eine Augenbraue und schaut nach vorn zu Jenner. Colonel Sir. Wann habe ich aufgehört, für Colonel Sir zu arbeiten? Durch und durch ein Ehemann und Familienvater…

Jenner dreht das Lenkrad in einer leichten Kurve und blickt sich grinsend zu ihm um.

»Und?«, hakt Giffey nach.

»Zuerst die Ausbildung, dann der Rauswurf«, erzählt Jenner. »Ich bin meinem Vater überhaupt nicht ähnlich. Ich war intelligent, ich lernte schnell, aber ich konnte keine Dummköpfe ertragen. Ich wurde ehrenhaft entlassen und musste versprechen, niemals etwas von dem zu benutzen, was ich wusste.«

Hale kichert. »Typisch Army.«

»Sie waren niemals in der Armee, nicht wahr, Mr. Hale?«, fragt Giffey.

»Nein«, gibt Hale zu.

Armee. Ehemann und Familienvater. Nach all den Jahren wieder in den USA.

Die Stimme verklingt, aber sie jagt Giffey einen Schrecken ein. Irgendjemand scheinen trotz aller Vorbereitungen ein paar Puzzleteile zu fehlen, und es könnte sich dabei um mich handeln.

*

Die alte schiefergraue Limousine entspricht nicht Marcus’ Erwartungen. Ein junger Mann in schwarzer Livree steht neben der offenen Tür, aber er wird enttäuscht. Marcus hat seinen eigenen Fahrtprozessor mitgebracht.

Jonathan steigt hinter Calhoun in den Wagen, Burdick und Cadey folgen und setzen sich ihnen gegenüber. Marcus nimmt auf einem Mittelsitz Platz und blockiert Jonathans Sicht auf Cadey. Marcus nimmt einen Prozessor aus seiner Aktentasche und schiebt ihn in den vorgesehenen Schlitz des Wagens. »Eigentlich hätten wir längst eigene Fahrzeuge haben sollen«, beklagt er sich. Der Prozessor übernimmt die Steuerung und der Wagen schert aus dem Parkhafen aus. Jonathan erhascht noch einen kurzen Blick auf den enttäuschten Chauffeur, der sich offenbar zu Fuß auf den Heimweg machen muss.

Die Landschaft rings um den Flughafen ist völlig unspektakulär. Nur Präriegras und Erdhaufen, die ohne ersichtlichen Grund aufgeschüttet wurden. Dann kommen Ansammlungen rostiger Maschinen zur Holzverarbeitung und für die Landwirtschaft in Sicht, die den Eindruck machen, als wären sie von spielenden Riesenkindern vergessen worden.

Moscow selbst ist eine öde, menschenleer wirkende Stadt. Marcus sagt nur wenig, während sie über die grauen Straßen fahren. Auch die gelegentlichen Flecken kalten Sonnenscheins tragen kaum dazu bei, die vernachlässigten Gebäude zu beleben. Diese Art von Freiheit hat offenbar ihren Preis: Die urbane Ungepflegtheit deutet auf Teilnahmslosigkeit und frustrierte Langeweile hin.

»Es ist eine Schande«, sagt Cadey. Calhoun nickt. Jonathan verspürt kein wirkliches Mitgefühl. Omphalos ist gepanzert und isoliert; die Organisation trägt keine Verantwortung für die Bürger. Schließlich haben sie sich frei für ihr Schicksal entschieden.

Marcus’ und Cadeys Gesichter hellen sich auf, als sie auf Omphalos zeigen. »Da ist es«, sagt Marcus und alle starren aus dem linken Fenster über die niedrigen Häuser und Wohngebäude ohne Anstrich entlang der Constitution. Der weiß-goldene Keil ragt wie eine Wagnersche Festung empor. Der Wagen biegt nach links ab und sie gleiten über einen breiten, langen Boulevard, dessen Name Jonathan entgangen ist. Die kleinen Einzelhandelsgeschäfte bilden einen verblüffenden Kontrast zu Omphalos.

Jonathan wendet den Blick ab. Er fühlt sich eher geladen und zerbrechlich als fasziniert. Wieder haben die Gezeiten gewechselt; und er mag dieses Hin und Her von Ebbe und Flut nicht. Die Läden an der Straße sind Second-Hand-Geschäfte, kleine Supermärkte, ein Bordell (»KEINE PROSTHETUTEN IN DIESER REPUBLIK -NUR DAS ECHTE, WAHRE, WIRKLICHE!«, verkündet ein Schild) und mehrere kleine Casinos. Die Automobile und Lastfahrzeuge älteren Datums, die sie passieren – manche zwanzig Jahre alt und allem Anschein nach von Methan- oder Alkohol-Motoren angetrieben –, sind häufig mit durchsichtigen Flexfuller-Scheiben in den Seitenfenstern ausgestattet.

»Eine echte Wildweststadt«, sagt Calhoun zu Jonathan.

»Fehlt nur noch die Saloon-Schlägerei«, erwidert er.

»Hattest du einen weiten Weg, Fremder?«, sagt Burdick und lächelt Calhoun zu.

»Nicht weit von hier gibt es eine nette Ranch«, sagt Cadey. »Meine Familie hat dort vor drei Jahren eine Woche Urlaub gemacht. Überhaupt nicht gefährlich, obwohl wir unsere eigenen Wachleute hatten.«

Hiram hat einmal erwähnt, dass es ihn interessieren würde, nach dem Studienabschluss mit dem Motorrad durch Green Idaho zu fahren. Green Idaho hat den Status einer Mutprobe gewonnen, einer Herausforderung für Heranwachsende. Damit ist die Republik an die Stelle der Dritten Welt als Abenteuerspielplatz für wohlhabende junge Amerikaner gerückt.

*

Jenner bringt den Wagen vor einer massiven, grün schimmernden Schranke zum Stehen, zehn oder zwölf Meter vor der Ostwand von Omphalos. Das Gebäude ragt über ihnen empor, sie befinden sich jetzt in seinem Nachmittagsschatten.

»Das Gebäude spricht mit uns. Ich habe ihm die Sig unserer Verabredung übermittelt.«

»Tun Sie, was es verlangt«, schlägt Hale trocken vor.

Giffey fühlt sich, als wären sie bereits drin, als hätte es sie bereits verschluckt. Jenner dreht sich um und blickt ihn durch die Trennscheibe an, als wollte er Zuversicht aus Giffeys Stimmung ziehen. Giffey antwortet ihm mit einem knappen Lächeln und zeigt ihm den hochgereckten Daumen. Jenner erwidert die Geste und wirkt nun wesentlich zufriedener. Jetzt sitzen sie alle im selben Boot. Preston beugt sich vor und greift nach Hales Hand.

Die Schranke – tiefgrün wie das Meer – versinkt im Boden und in der Wand öffnet sich eine Einfahrt. Das Tor ist etwa sieben Meter breit und weitet sich bis zu einer Höhe von über drei Metern. Jenner lenkt den Wagen hinein.

Fünfzehn Sekunden später sind sie drin.

*

Jonathan klopft mit den Fingern gegen die Fensterscheibe, als ihr Wagen vor einer tiefgrün schimmernden Schranke anhält. Nach einer kurzen Pause versinkt die Schranke langsam im Betonboden, und in der Wand dahinter öffnet sich ein Tor. Der Wagen rollt ins Innere des Gebäudes und kommt neben einem zweiten identischen Fahrzeug in einer kleinen Parkbucht zum Stehen.

»Weitere potenzielle Kunden«, sagt Marcus. Die Insassen der beiden Fahrzeuge mustern sich aus zwei Metern Entfernung durch die Fensterscheiben. Im anderen Wagen winkt jemand, wie Jonathan zu erkennen glaubt, obwohl er sich wegen der partiell verspiegelten Scheiben nicht ganz sicher sein kann.

»Wer sind die Leute?«, fragt Burdick neugierig. Er erweckt den Eindruck, dass er stets bereit ist, neue Kontakte zu knüpfen, vor allem mit reichen Leuten, die sich als nützlich erweisen könnten.

»Ich weiß es nicht«, sagt Marcus. »Ich vermute, sie haben die Vorbereitungen über LA oder Tokio abgewickelt.«

Cadey wirkt besorgt. »Investoren, die sich einfrieren lassen wollen, richtig?«

»Ich vermute, dass sie nicht mehr wissen«, sagt Marcus. »Wir werden uns nach der Einführung trennen. Sie erhalten ihre eigene Besichtigungstour.« Marcus wirft Jonathan einen Blick zu. »Das war nicht meine Entscheidung«, sagt er.

Jonathans Gefühl der Isolation verstärkt sich. Der Anblick von Omphalos berührt ihn nicht genauso wie die anderen. Das Gebäude wirkt abweisend und überdimensioniert auf ihn, wie ein Monument von Albert Speer.

Er bemüht sich, nicht vom geraden Kurs abzukommen. Marcus reagiert sehr sensibel auf das, was andere denken. Jonathan möchte nicht den Eindruck erwecken, er würde nicht mit den übrigen harmonieren.

*

»Unsere Kollegen«, sagt Hale mit triefender Verachtung in der Stimme. Giffey sind die Leute im anderen Wagen relativ gleichgültig; jeder muss sich auf seine Weise durch die Welt schlagen. Habgierige Reiche haben das Recht auf ihre kleinen Marotten; ansonsten würde es Omphalos nicht geben. Er hofft nur, dass sie eine gewisse Flexibilität hinsichtlich ihrer Erwartungen besitzen.

»Wir sollten uns nicht wie ein Haufen Ganoven aufführen«, warnt Preston. »Versucht euch etwas nobler zu verhalten. Wie feine Pinkel.«

»Richtig«, sagt Pent und lässt die Besorgnis aus seinen Gesichtszügen verschwinden. Nun wirkt er normaler und neutraler, wie ein mächtiger Manager aus einem Vid. Seine Stimme wird etwas tiefer, und er wechselt den Akzent. »Wie mache ich mich?«

Preston grinst und wendet den Blick ab.

Auch Pickwenn reißt sich zusammen. Jenner sollte am besten weiterhin den Chauffeur spielen, denkt Giffey. Hale wirkt recht blass und ein wenig mitgenommen.

Vor ihnen leuchtet ein grünes Licht an der Wand auf und ein zweites Tor öffnet sich.

»Sie lassen beide Wagen durch«, stellt Jenner mit leichter Überraschung fest.

»Hinter diesem Punkt ist das Gebäude nur noch schwach gesichert«, sagt Giffey.

»Scheiße, als wäre eine Flexfuller-Panzerung von einem Meter Dicke noch nicht genug!«, wirft Pent ein.

»Achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise, meine Herren!«, werden sie von Preston ermahnt.

*

Die Türen der Limousinen öffnen sich und zehn Menschen treten in zwei Fünfergruppen in den Empfangsbereich. Jenner bleibt in der Fahrerkabine sitzen. Die Beleuchtung ist klar und weiß und hat einen leichten Schneetouch; die Luft ist warm, als wäre der Raum dem nachmittäglichen Sonnenschein ausgesetzt gewesen, und sehr sauber und geruchlos.

»Hallo«, sagt Marcus. Die Leute in der anderen Gruppe nicken. Marcus stellt sich vor. Jonathan starrt die potenziellen Kunden an, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, um es vorsichtig auszudrücken, und fragt sich, wie wohlhabend sie in Wirklichkeit sein mögen. Schließlich gehört Boise trotz allem zu den Vereinigten Staaten, auch wenn die dortige Wirtschaft für ihre Wildwestmanieren bekannt ist und sich nur unter Schwierigkeiten ein spektakuläres Vermögen anhäufen lässt. Beziehungen sind alles auf dem Strom des Datenflusses.

Hale und Marcus plaudern miteinander, während sie darauf warten, dass die Wächter des Gebäudes die Vorkehrungen abschließen, die sie für nötig halten.

Giffey mustert die vier Männer und die eine Frau. Sie sind zu fünft, gegen sechs Leute in seinem Team. In einer direkten Auseinandersetzung sind die Chancen etwa gleich verteilt. Er fühlt sich entspannt und ein wenig gelangweilt, während sich eine Regung in seinem Hinterkopf bemerkbar macht. Der Drang, in aller Öffentlichkeit zu urinieren. Das wäre genau das Richtige, um seine Verachtung zu demonstrieren.

Er kann diesen Drang ohne besondere Mühe unterdrücken. Es ist eine seltsame Regung, aber er ist solche Anwandlungen gewöhnt, wenn sich die Anspannung steigert. Anspannungen, mehr nicht. Familiäre Spannungen.

Marcus und Hale unterhalten sich über die gesplitteten Kosten für Kälte- und Wärmeschlaf-Einrichtungen auf dem freien Markt im Vergleich zum Omphalos-Komplettangebot. Marcus macht den Eindruck eines Vertreters, der seine Waren an den Mann bringen will.

Jonathan macht sich wegen Chloe Sorgen. Vielleicht hat sie ihre Depression inzwischen überwunden, sodass man wieder vernünftig mit ihr reden kann.

Es dauert recht lange. Er hätte erwartet, dass alles, woran Marcus beteiligt ist, reibungslos und zügig verlaufen würde…

Ein großes Schott öffnet sich in der Wand, zwei Meter über dem Boden des Wartesaals, und eine Tür schiebt sich mit einem metallischen Gleitgeräusch nach unten.

Ein großer, schlanker Arbeiter erscheint im Durchgang und tritt auf die oberste der breiten Stufen. Jonathan reagiert im ersten Moment leicht irritiert auf dieses Modell; denn der Arbeiter ist insektoid und wirkt wie eine halb entwickelte Larve, die aus dunklem Stahl geschmiedet ist. Die oberen Gliedmaßen ruhen in länglichen Vertiefungen des Thorax, die vier unteren entspringen einer birnenförmigen Basis, dick und gespreizt, an jeder ein flexibler Fuß. Mit diesen Beinen steigt er elegant die ersten drei Stufen hinab. Dann erscheint am Ende der Treppe aus dem Nichts eine menschliche Gestalt – weiblich, mittleren Alters, mit grau-blondem Haar und untersetztem, kräftigem Körper. Ihre bloßen, starken Arme werden nicht von der ärmellosen Bluse verhüllt. Ihre Gosse-Hosen erinnern an Reithosen, obwohl sie ihrer Figur mehr schmeicheln.

Jonathan hat ihr Erscheinen nicht gesehen, weil er die Insassen des zweiten Wagens beobachtet und nur einen kurzen Blick auf den Arbeiter geworfen hat. Calhoun ist über seinen verblüfften Gesichtsausdruck amüsiert und flüstert ihm ins Ohr: »Eine Projektion.«

»Willkommen in Omphalos«, sagt die Projektion der Frau mit voller, mütterlicher Stimme, die sich wie cremige Suppe über sie ergießt. Sie lächelt und deutet auf die Treppe. »Mein Name ist Lacey Ray. Es tut mir Leid, dass ich nicht körperlich bei Ihnen sein kann, doch dafür bin ich live bei Ihnen. Ich sehe alles, was auch Sie sehen. Der Arbeiter ist mein Surrogat. Ich glaube, Ihre Gruppen werden separate Besichtigungstouren unternehmen…«

Giffey beobachtet die Tür und wirft Hale einen kurzen Blick zu. Preston tritt vor und steht nun neben dem rechten Vorderrad des Wagens. Sie wollen nicht von ihrem Fahrzeug getrennt werden, noch nicht, und diese Tür muss offen bleiben. Giffey erkennt, dass der Arbeiter ein modifiziertes Frettchen ist, das mit einer neuen Panzerung versehen wurde, aber keine wesentlichen Unterschiede in der Anatomie aufweist. Wenn es sich um das Surrogat handelt, die Quelle der Projektion und die Augen und Ohren der Frau, erfüllt der Arbeiter eine doppelte Aufgabe. Vielleicht ist es eine ferngesteuerte Einheit, womit sie billiger und unflexibler als ein autonomes Modell wäre. Ein viel versprechender Gedanke schießt ihm durch den Kopf: Vielleicht sind noch gar nicht sämtliche Verteidigungssysteme von Omphalos installiert. Das wäre zu schön, um wahr zu sein.

Die übrigen Besucher haben ihre Aufmerksamkeit auf die Frau konzentriert.

Jenner, der immer noch im Wagen sitzt, lässt den Kofferraum aufspringen. »Unsere Taschen und Pads«, sagt Pent zu Hale, während er und Pickwenn ohne Hast zur Rückseite des Wagens gehen. »Richtig«, bestätigt Giffey.

Pickwenn kommt an der Frau namens Calhoun vorbei und lächelt ihr zu. Sie reagiert mit einem leichten Erschaudern. Pickwenn und Pent scheinen wirklich etwas zu ungewöhnlich für diese Gesellschaft zu wirken, stellt Giffey fest.

»Wir werden alle Taschen und sonstigen Mitbringsel überprüfen, bevor wir mit der Tour beginnen«, sagt Lacey Rays Geist in freundlichem Tonfall. »Dann können wir…«

Jonathan wendet seine Aufmerksamkeit wieder dem Fahrzeug zu, genauso wie Cadey. Die dunkelhaarige Frau in der anderen Gruppe nickt ihnen mit einem dünnlippigen Lächeln zu. Die Geste wirkt etwas nervös und gekünstelt und ist in jedem Fall überflüssig. Jonathan runzelt die Stirn. Cadeys Miene ist unverbindlich, aber aufmerksam. Calhoun wendet den Blick von ihrer Empfangsdame ab, Marcus hingegen verfolgt konzentriert ihre Ansprache.

»…im Gesundheits- und Diagnose-Zentrum mit der Einführung und Besichtigung durch die erste Gruppe, die von Mr. Hale, beginnen…«

Jenner und Pickwenn, die an den geöffneten Kofferraum getreten sind, holen keine Taschen und Pads, sondern Sprühpistolen hervor, die an flexible Schläuche angeschlossen sind. Die anderen weichen gerade noch rechtzeitig zurück, um dem plötzlich einsetzenden Regen aus grauroter Flüssigkeit zu entgehen. Pickwenn besprüht den Wagen von Hale mit dieser Substanz, die wie Lack haften bleibt, und richtet den Strahl anschließend auf das Tor hinter ihnen.

Gleichzeitig zerrt Jenner an seinem Schlauch und zielt genau auf den Warbeiter. Der Kopf des modifizierten ferngesteuerten Frettchens verschwindet unter einer vollen Ladung.

Plötzlich und überraschend beginnt es krampfhaft zu zucken und stürzt zu Boden, während sich die oberen Schichten der Panzerung ablösen, als würde es zerschmelzen.

Jonathan springt zurück und zerrt Marcus mit sich. Er weiß, woraus dieser Sprühnebel besteht. Es ist Militär-Nano und die Farbe deutet darauf hin, dass es vollständig programmiert und gesättigt ist.

Marcus stößt ein überraschtes Krächzen aus.

Giffey greift in die Hosentasche seines Longsuits, holt eine graue Tablette von der Größe eines Kieselsteins heraus, rennt los, an den zuckenden Überresten des Frettchens vorbei, bleibt am Fuß der Treppe stehen und wirft die Tablette durch das Schott, das sich zu schließen begonnen hat.

Jonathan presst Lippen und Augenlider fest zusammen. Der Knall macht ihn vorübergehend taub, da sie dem Schott recht nahe sind, und die Druckwelle reißt ihn von den Beinen. Er wird gegen Calhoun geworfen und Marcus prallt an beiden ab, während sie auf den harten Boden stürzen. Die Luft ist mit einem widerlichen, Übelkeit erregenden Geruch geschwängert, der an Ammoniak und Bratensoße erinnert.

Jemand beugt sich über die drei. »Fassen Sie dieses Zeug nicht an!«, sagt die Person. Jonathan öffnet die Augen ein kleines Stück und erkennt den Fahrer des anderen Wagens. Die Kopfhaut des Mannes ist in heftiger Bewegung. Er hält die Mündung der Sprühpistole von ihnen weg. »Sonst frisst es Sie schneller als die Wand.«

Von irgendwo kommt ein brutzelndes Geräusch. Jonathan wälzt sich herum und nimmt sein Bein von Calhoun, die sich wieder rührt. Er blickt zu Burdick hinüber, während er sich auf den Ellbogen hochstemmt. Die Wand und die zweite große Durchfahrt hinter den Wagen ist mit blasenwerfendem rötlichgrauem Schaum bedeckt. Der Schaum ist der Ursprung des Geräusches. In seiner Nähe hat sich die Luft erhitzt.

Als Jonathan nach links blickt, sieht er, wie der erste Wagen dort, wo er besprüht wurde, in sich zusammensackt wie ein schmelzendes Plastikspielzeug. Innerhalb der Masse nimmt etwas grobe Umrisse an.

»Wie lange noch?«, fragt jemand.

»Das Frettchen ist handlungsunfähig, aber es versucht immer noch, sich selbst zu reparieren«, antwortet eine andere Stimme.

Der Fahrer hilft ihnen beim Aufstehen und geht neben ihnen in die Hocke.

»Es tut mir ja Leid, dass wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereiten müssen«, sagt er und streicht sich mit der freien Hand über das kurze blonde Stoppelhaar. »Aber wir haben hier ein paar Dinge zu erledigen. Es ist das Beste, wenn Sie für die nächsten paar Minuten Ruhe bewahren.«

»…eine halbe oder Dreiviertelstunde«, sagt der gedrungene, zäh wirkende Mann mit dem angegrauten Haar. Jonathan versucht sich an seinen Namen zu erinnern. Jack irgendwas.

Jack packt Marcus, zerrt ihn vom unbesprühten Wagen fort und setzt ihn ein gutes Stück entfernt an der Wand ab, von wo er einen guten Blick auf den sich windenden Arbeiter hat, der in seinem halb abgeblätterten und zerschmolzenen Exoskelett gefangen ist. Dann kommt er zu Jonathan und Calhoun und fragt sie, ob sie sich aus eigener Kraft zurückziehen können.

»Ich denke schon«, sagt Calhoun und legt sich die Hände auf die Ohren. Sie berührt die Ohrläppchen und betrachtet ihre Finger, um zu sehen, ob sie blutig sind.

»Ich kann gehen«, sagt Jonathan. Er kann weder Cadey noch Burdick sehen. Der grauhaarige Mann packt ihn an der Schulter und drängt ihn mit starkem, aber nicht brutalem Griff vorwärts.

»Was soll das werden, ein Überfall?«, fragt Marcus mit schriller Stimme.

Der Mann schüttelt den Kopf. »Wir sind ganz einfache Räuber, mehr nicht. Wir sollten am besten alle hinausschaffen. Jenner! Besprühen Sie noch mal das Frettchen und geben Sie ihm eine weitere Tablette, bevor Sie verschwinden.«

Der weite Raum füllt sich schnell mit zischendem Rauch und Dampf.

»Berühren Sie nichts«, werden sie noch einmal vom grauhaarigen Mann ermahnt. »Wir werden diesen Raum in Kürze verlassen. Bald ist es hier heißer als in einem Backofen.«

Als Jonathan das hintere Ende des Wagens umrundet, sieht er Cadey auf Knien hocken und Burdick auf dem Rücken liegen. Cadey zieht ein Bein hoch und starrt den grauhaarigen Mann an.

»Sie sind der Anführer«, sagt er anklagend.

Räuber, denkt Jonathan. Die dunkelhaarige Frau kümmert sich jetzt um sie. Calhoun versucht nervös und abgehackt, ihr Fragen zu stellen, aber die Frau schüttelt nur den Kopf und drängt sie in Richtung der verbogenen Treppe und des aufgerissenen Durchgangs. Dann scheint ihr etwas einzufallen, und sie zieht eine kleine Flechettepistole, mit der sie auf die Gruppe zielt.

»Was machen sie mit diesem Sprühzeug?«, will Calhoun von Jonathan wissen. Sie hat die Augen weit aufgerissen und ihre Haut ist blass. Jonathan erkennt in plötzlichem Entsetzen, dass sie sterben wird. Vielleicht werden wir alle sterben, aber sie weiß es.

»Damit erschaffen sie sich Werkzeuge«, sagt Jonathan, während er sich zusammenzureißen versucht. »Militärische Arbeiter.« Er ist nicht in alle Einzelheiten des MN eingeweiht, aber er hat beunruhigende Geschichten gehört. Stapel aus miteinander verbundenen Karten, nicht größer als eine Hand, die sich entfalten und…

»Still«, sagt die Frau mit der Flechettepistole.

Marcus schiebt sich an Jonathan vorbei an die Spitze der Gruppe, und die Frau und Burdick bilden dicht hinter Cadey die Nachhut.

*

Als alle Leute bis auf Jenner die Fahrzeughalle verlassen haben, begutachtet Giffey die beiden Wagen und beugt sich dann über das Frettchen. Jenner ist auf der anderen Seite des Warbeiters in die Knie gegangen und runzelt in angestrengter Konzentration die Stirn. Der Warbeiter scheint den Kampf aufgegeben zu haben; Giffey erkennt, dass er eine Analyse seiner Zwangslage durchzuführen versucht. Nachdem er vom MN-Spray getroffen wurde, hat er sich bemüht, die äußerste Schicht der Panzerung zusammen mit dem Nano abzuwerfen, aber die Substanz war zu schnell und hat bereits die Aufhängungen der Beine des Warbeiters angegriffen. Wenn er keinen Ausweg aus seiner gegenwärtigen Erstarrung findet, wird er sich deaktivieren oder möglicherweise selbst zerstören – nicht durch eine Explosion, nicht in dieser Situation, aber er wird sicherstellen, dass er für den Gegner unbrauchbar wird.

Giffey vermutet, dass das MN zu lange benötigen wird, um den Warbeiter zu überwältigen und zu konvertieren. Er muss zunächst in einfache Rohstoffe zerlegt werden, genauso wie die Wagen und die Wände.

Wellen feuchter Hitze wallen durch den Raum.

»Enttäuschend«, sagt Jenner, als er sich umblickt. »Es ist viel zu einfach. Wo sind die anderen?«

»Sprengen Sie ihn«, sagt Giffey. »Das Zeug wird das benutzen, was da ist. Und nehmen Sie einen Kanister mit; hier ist jetzt mehr als genug Nano, und wir könnten weiter drinnen auf weitere Einheiten stoßen.«

»Verstanden«, sagt Jenner. Giffey springt die Treppe hinauf. Jenner schultert einen Kanister und zieht die Riemen fest, dann schließt er die Sprühpistole an die Düse an. Er schiebt eine Tablette in die halb abgeworfene Panzerung des Warbeiters und folgt Giffey. Sie verschwinden hinter einer Gangbiegung, bevor der Warbeiter explodiert. Rauch und ein Schwall heißer Luft holen sie ein, während sie vornüber gebeugt weiterrennen. Jenner gefällt es; er grinst wie ein kleiner Junge, der seine erste BB-Waffe bekommen hat.

Ihnen bleibt noch mindestens eine halbe Stunde, bevor im heißen Raum die Produktion der Werkzeuge beginnt, und vielleicht eine Stunde, bevor ihnen zur Verfügung steht, was sie zum Weitermachen benötigen. Omphalos hat bisher nicht auf irgendeine überraschende Weise reagiert. Sie sind drinnen, alles verläuft nach Plan, und sie sind ihrer Zeitplanung sogar voraus.

*

Bristow, Reilly, Burdick, Calhoun, Cadey: Sie nennen der Frau ihre Namen, die sie in einem Pad notiert. Sie befinden sich in einem kleinen Warteraum, der mit niedrigen, anpassungsfähigen Sitzgelegenheiten ausgestattet ist. An der Wand hängen Originalgemälde und Drucke, wie es den Anschein hat, einige davon nicht unbekannt und vermutlich auch nicht ohne Wert, und in den Ecken stehen Skulpturen aus Bronze und Stahl.

Die Frau fragt sie nach ihren Sigs und Wohnungsadressen.

»Wozu brauchen Sie das alles?«, regt sich Marcus auf. »Wollen Sie Lösegeld erpressen?« Er atmet schwer und schwitzt heftig. Jonathans Reaktion ist ebenfalls nicht positiv, aber weniger extrem; er ist äußerst konzentriert, als hätte er zu viel Kaffee getrunken.

»Geben Sie sie mir einfach die Informationen«, sagt die Frau gelassen. Burdick gibt als erster nach.

Drei weitere Männer betreten den Raum. Einer von ihnen erweist sich aus der Nähe als mager und weißhäutig und auf faszinierende Weise hässlich. Er könnte ein Yox-Horror-Star sein. Der Zweite sieht aus wie ein Bewohner der pazifischen Inseln. Der dritte bemüht sich, den Eindruck von Autorität zu erwecken, was jedoch durch seine Unsicherheit vereitelt wird. Jonathan ist überzeugt, dass der grauhaarige ältere Mann, der sich nicht im Raum befindet, tatsächlich das Kommando führt.

Es sind fünf Männer und eine Frau und sie sind mit hochgezüchtetem MN ausgerüstet, dem am strengsten bewachten Waffensystem im gesamten Verteidigungsarsenal der USA. Jonathan hat noch nie davon gehört, dass voll einsatzfähiges MN außerhalb eines Kriegsgebietes zum Einsatz kam, nicht einmal bei Militärübungen mit scharfer Munition. Nutrim, seine Firma, hat einen Vertrag zur Lieferung der Nährmittel und chemischen Transmitter, aber er hat niemals die Genehmigung erhalten, das Werk zu betreten, in dem diese MN-Komponenten hergestellt werden.

Ein lauter Knall ertönt aus der Fahrzeughalle. Alle fahren erschrocken zusammen, dann sagt Pickwenn: »Lebwohl, Frettchen.«

Das ungleiche Paar, der Inselbewohner und der Horrorstar, feiern ihren Erfolg mit einem kleinen Freudentanz. Der Horrorstar sieht Calhoun an und zwinkert ihr zu. Calhoun wendet den Blick ab.

»Sie können mich Hale nennen«, sagt der dritte Mann. »Nathaniel Hale. Wie der Patriot.«

Die Frau lächelt.

»Das ist Preston«, sagt Hale dann, »und diese beiden sind Pent und Pickwenn. Ich möchte, dass Sie alle die Aktion genauso unversehrt wie wir überstehen, also tun Sie bitte, was man Ihnen sagt, und beantworten Sie unsere Fragen rasch und wahrheitsgemäß.«

Die anderen zwei Männer betreten den mit Kunstwerken geschmückten Raum. Der grauhaarige ältere Mann sieht sich um und betrachtet die Gemälde und Skulpturen mit einem leichten Grinsen – eher nach Gesichtspunkten der Lukrativität als der Ästhetik. Der Jüngste, der fast noch ein Kind ist, der mit der zuckenden Kopfhaut, studiert die Skulpturen ebenfalls, während seine Hände reflexhaft mit der Sprühpistole spielen. Allmählich wird es in diesem Raum etwas eng.

»Sie werden hier niemals lebend herauskommen«, warnt Marcus sie mit gesenkter Stimme. Pent nähert sich Marcus und mustert ihn neugierig. Der grauhaarige Mann lächelt noch immer. Jetzt ist sein Blick auf Hale gerichtet.

»Kennen Sie alle Verteidigungseinrichtungen?«, erkundigt sich Hale bei Marcus.

»Zumindest weiß ich, dass sie tödlich sind«, antwortet Marcus trotzig.

»Hätten Sie vielleicht die Güte, uns etwas mehr darüber zu erzählen?«, fragt Hale. Pickwenn und Pent nehmen Marcus in die Mitte und drängen ihn vorwärts.

»Vorsicht!«, sagt Jonathan zu Marcus. Pickwenn hebt mahnend die Faust und hält sie ihm dicht vor das Gesicht.

»Genug«, sagt Hale. »Einige von Ihnen werden uns begleiten. Die übrigen bleiben vorläufig in diesem Raum.«

»Sie werden nicht lange genug durchhalten«, sagt Marcus. »Und wenn wir sterben, spielt das keine Rolle. Dieses Gebäude ist darauf programmiert zu überleben.«

»Wir haben den verdammten Warbeiter ausgeschaltet«, sagt der junge Mann mit der lebhaften Kopfhaut. »Ein antiquierter Haufen Schrott.«

Dazu sagt Marcus nichts. Jonathan weiß nicht, ob sein Mentor blufft oder es ernst meint. Marcus ist eine vielschichtige Persönlichkeit und niemand kann ihm mangelnde Courage vorwerfen. Aber seine Stimme zittert und er ist allem Anschein nach erschüttert.

Es ist offensichtlich, dass Marcus in absehbarer Zeit keinen Wert als Quelle nützlicher Informationen haben wird.

»Ich will diese Leute aufteilen. Zwei sollen mit uns kommen«, sagt Hale und zeigt auf Jonathan und Marcus. »Sie und Sie. Hally, Sie bleiben mit den restlichen drei hier.«

Die Frau, Hally, blickt zu ihm auf, erhebt aber keine Einwände.

»Jack?«, sagt Hale.

»Alles ist bereit«, erwidert der grauhaarige Mann.

»Dann wollen wir mal.«

Jack nimmt Jonathan am Arm, während Pent und Pickwenn wieder Marcus in die Mitte nehmen.

»Wie lange noch, bis das Brot fertig gebacken ist?«, will Hale von Jack wissen.

»Eine Stunde.«

»Und dieses Stockwerk sollte für uns zugänglich sein?«

»Es ist zumindest ein Brückenkopf«, sagt Jack. »Sicher können wir uns erst sein, wenn wir es ausprobiert haben.«

Hale blickt sich zu Pickwenn und Penn um. »So weit, so gut«, sagt Pickwenn.

»Es tut mir Leid, dass du in diese Sache hineingeraten bist«, flüstert Marcus Jonathan zu, bevor sie aus dem Raum getrieben werden. »Die Leute haben keine Ahnung, über welche Möglichkeiten dieses Gebäude verfügt.«

»Marcus, sie haben MN!«, flüstert Jonathan zurück. »Äußerst potentes Zeug. Streng geheim, strengstens bewacht.«

Marcus senkt die Augenlider. »Du meinst, wir haben jemanden von ganz oben verärgert?«

Jonathan nickt. »Sehr weit oben. Warum?«

Marcus wendet den Blick ab.

»Gehen wir«, sagt Pent. Jonathan schaut sich nach Cadey, Burdick und Calhoun um. Burdick ist so verängstigt, dass er weint. Darlene Calhoun starrt Hally an. Frau gegen Frau. Jonathan fragt sich, ob sie glaubt, dass darin ihre einzige Hoffnung liegt.

*

Giffey sieht, wie Jenner sich am Kopf kratzt und blinzelt, als sie den zwei Geiseln und Pickwenn und Penn zu einem Lift folgen. Giffey rechnet nicht damit, dass sich die Lifttür freiwillig öffnet. Sie tut es nicht.

»Fehlt Ihnen was?«, fragt Giffey Jenner, der sich jetzt die Schläfen reibt, während seine Kopfhaut zu zittern scheint.

»Nichts Besonderes«, sagt Jenner und hebt den Kanister wieder auf. »Nur leichte Kopfschmerzen.«

»Wir werden sehen, was wir sehen können«, sagt Pickwenn zu Hale. »Wen sollten wir nehmen?«

»Gehen Sie zurück und holen Sie den Blonden, diesen Burdick«, sagt Hale. »Lassen Sie Hally bei der Frau, Calhoun, zurück. Vielleicht kann sie ihr etwas entlocken.«

Pickwenn lächelt anzüglich. »Wie wäre es, wenn wir uns die Frau vornehmen. Ich weiß genau, wie wir ihr etwas entlocken könnten.«

»Burdick«, wiederholt Hale kategorisch.

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