Epilog

»Zum ersten Mal in ihrem Leben war es wohl tatsächlich Marnies Schuld«, sagte Sinclair Singer in seinem Büro, dessen Kopf nunmehr die Größe eines Fußballes hatte und dessen Hals schuppig wirkte vor lauter Schwielen. »Ich gehe davon aus, daß der Sender für das alles verantwortlich gemacht werden wird.«

Ich, Alex und Lola (die coolen Leute) und Patty, Sabrina, Buster mit angeklebter Sandra, zudem Sherri, Woody und Ringo, hatten uns in Sinclairs Büro versammelt, um den Versuch zu unternehmen, das zu verstehen, was geschehen war.

»Ich werde Euch sagen, was passiert ist«, begann ich.

»Oh, bitte sehr, Wanda«, spornte Singer mich an, also machte ich weiter.

»Sie haben Marnie vor ungefähr einem halben Jahr eingestellt, stimmt’s?« fragte ich. Singer und Ringo nickten. »Das war also kurz nachdem ihr Sohn sich erhängt hatte. Ihr Mann hat jahrzehntelang fürs Fernsehen gearbeitet. Vielleicht hat sie in ihrem Lebenslauf gelogen, vielleicht konnte sie gut reden. Jedenfalls ist sie eingestellt worden. Ich vermute mal, es hat sechs Monate gebraucht, bis sie den Mut aufgebracht hat, um Rache an Sabrina zu üben dafür, daß sie ihren Sohn über die Kante geschubst hat. Im wörtlichen und übertragenen Sinne.«

»Sabrina hat nichts dergleichen getan«, protestierte Patty.

»Doch, habe ich wohl, Patty. Und du weißt auch, daß ich das getan habe. Ich erzähle dir seit Jahren, daß ich es war.« Das war Sabrina. Alex zuckte zusammen, als sie das sagte.

»Sie lügt«, sagte Patty ganz aufgelöst. »Sie ist instabil. Sie weiß nicht, was sie da sagt.«

»Warum geben Sie ihr nicht noch eine Pille?« fragte Lola.

»Ich wußte immer schon, daß sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat«, sagte Woody.

»Also, das ist jetzt nicht sehr nett gewesen, Liebling«, sprudelte Sherri.

Alex räusperte sich. »Sie haben in den vergangenen Jahren Hervorragendes geleistet, indem Sie Ihre Tochter beschützt haben, Patty, aber vielleicht sollten Sie jetzt Ihrer Tochter lieber echte Hilfe verschaffen, als weiter vor der Wahrheit wegzulaufen.« An Sabrina gewandt sagte er: »Und die Verlobung ist hiermit offiziell aufgelöst.«

Patty sah von einem Gesicht zum nächsten und ließ schließlich ihren Blick auf den großen, offenen, braunen Augen ihrer gestörten Tochter ruhen. Pattys Lippen zuckten, und dann zerriß ihre gefaßte Miene ganz langsam, bis sie leise anfing zu schluchzen. »Sie hat meinen Mann umgebracht«, stieß sie hervor. »Versehentlich, es war ein Unfall.«

»Es war kein Unfall«, widersprach Sabrina. »Er hat mich darum gebeten.« Ihr leerer Blick landete auf ihrer zitternden Mutter. Sie starrte sie still und bewegungslos an.

Patty weinte offen.

»Da Sabrina also demnächst in eine Klapsmühle umziehen wird, ist Party Girls hiermit offiziell gestrichen«, beschloß Sinclair und löste damit die Spannung auf. »Patty, Sie werden zusehen, daß Sabrina professionelle Hilfe bekommt.« Sie nickte. »Gut. Bis After Midnight im Programm läuft, werden wir die Sendezeit mit Wiederholungen von Party Girls füllen. Natürlich müssen wir uns einen neuen Titel für die Talkshow einfallen lassen.«

Sherri, Woody und Ringo formierten sich zu einem Dreieck aus verstohlenen glücklichen Blicken.

»Und ich habe einen tollen Schlagzeuger für Sie«, sagte ich.

»Einen was?«

»Für die Band. Sie werden doch eine Band brauchen.«

»Ja, ja. Das können wir dann alles später regeln. Jetzt gehe ich davon aus, daß ich mit einiger Sicherheit sagen kann, daß wir uns hier alle gerne verpissen würden«, sagte Sinclair und kratzte sich am Hals. Ich hatte ihn noch nie fluchen hören. »Buster, könntest du bitte noch einen Moment hierbleiben?« Ich fragte mich, ob Sinclair sich wohl bei seinem Sohn dafür entschuldigen würde, daß er an ihm gezweifelt hatte. Oder ob er versuchen würde, sich nach der Distanzierung des letzten Jahres wieder mit ihm zu vertragen. Buster lächelte seinen Vater an. Ich fragte mich, ob ich jetzt nach dem Rest meines Honorars fragen sollte .Ich beschloß, ihnen diesen Augenblick nicht zu verderben.

»Wir regeln dann das Geschäftliche später«, sagte ich, da ich nicht gänzlich aus meiner Haut konnte.

»Warum bleiben Sie nicht auch noch einen Moment, Wanda? Wir werden das gleich regeln.«

Die Menge zerstreute sich. Ich sagte Alex und Lola, ich würde sie später in Do It Right treffen. Da das Zimmer nun etwas mehr Luft hatte, holte sich Sinclair aus seiner Schreibtischschublade ein paar Zigarren. Er reichte Buster eine und bot auch mir eine an. Ich lehnte ab. Sie zündeten sich ihre an.

Ich sagte: »Vielen Dank, daß Sie den District Attorney wegen mir angerufen haben, Mr. Singer.«

Sinclair sagte: »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Haben Sie das nicht getan?« fragte ich. Wer mochte denn dann dort angerufen haben?

Er schnippste seine Asche von der Zigarre. »Sie haben neulich etwas in meinem Büro vergessen, Wanda. Nach dem, was ich so höre, ist es eine illegale Substanz.« Scheiße, dachte ich. Das Khat.

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden «, versuchte ich mein Glück.

»Wir werden meine Beseitigung dieser Substanz als abschließende Rate meiner Bezahlung betrachten, ist das nicht eine gute Idee?« fragte er. Also auf diese Weise schafft er es, reich zu bleiben, dachte ich. »Die Taranteln finden es übrigens herrlich. Ich habe neulich etwas in die Terrarien gebröselt, als Experiment sozusagen, und sie sind schier verrückt geworden, sausten auf dem Boden hin und her, sprangen herum und spielten. Es war sehr vergnüglich, ihnen dabei zuzusehen.«

»Wie ist es dann mit einem Bonus?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, eher nicht.«

»Und wie wäre es damit, Lola Lipsanski einen Job bei After Midnight zu geben?«

»Das könnte ich eventuell einrichten, ja.«

Befriedigt schüttelte ich beiden Herren die Hand und dankte ihnen. Buster sagte, er würde sich mal melden. Wir wußten beide, daß er das nicht tun würde. Es machte mir nichts weiter aus.

Sandra drückte sich draußen herum und wartete auf Buster. Ich sagte: »Hallo.«

Sie sagte: »Hallo.«

»Die Bullen werden wohl jede Sekunde hier sein.«

»Ja.« Sie zog an ihrer Strumpfhose.

»Schon alles vorbereitet für die Reise nach Jamaika?« fragte ich.

Sie lächelte. »Ich hab die Tickets schon mit.« Sie tätschelte ihre Handtasche. »Ich habe sie gerade vor zwei Stunden abgeholt. Ich wünschte nur, Buster würde mitfliegen statt Eric. Buster und ich haben uns dort kennengelernt. In Jamaika. Er war so traurig. Ich habe mein Bestes getan, um ihn glücklich zu machen.«

»Und ich bin mir sicher, dein Bestes war gerade gut genug«, sagte ich.

»Hat er das Gegenteil behauptet?«

»Nicht im geringsten.«

»Das glaube ich. Wir sind uns ziemlich nahegekommen.«

»Er hat dir die Geschichte mit Sabrina und der U-Bahn erzählt, nicht wahr?«

»Stimmt, das hat er.«

»Jede Wette warst du da ziemlich sauer, oder?«

»Stimmt, das war ich auch.«

Ich lächelte und kratzte mir den Hals. Ich hoffte, Mrs. Fellutis Fluch war nicht ansteckend. »Die Bullen werden wahrscheinlich jeden Moment hier sein.«

Sandra blinzelte mich an. Sie stand auf und stützte ihre dünnen Arme auf ihre schmalen Hüften. »Also jetzt sag, was du zu sagen hast.«

»Du hast Tony eine Woche, bevor die Show gesendet wurde, kennengelernt. Du hast ihn nach seinem Tanz gefragt, und er hat dir erzählt, es sei ein alter Volkstanz aus Italien, der die Tarantella genannt wird. Er soll den Wahnsinn, der einem Tarantelbiß folgt, abwenden.« Sie schob die Lippen vor. »Ich gehe davon aus, daß du überhaupt nur in der Show auftreten wolltest, um neben Sabrina Delorean sitzen zu können. Die Reise war überhaupt nicht die eigentliche Attraktion für dich. Du hast mir doch selbst im Club Buff erzählt, daß du dauernd nach Jamaika fliegst. Und gerade eben hast du gesagt, daß du sauer warst über das, was sie Buster angetan hat. Du liebst Buster. Du wolltest ihn rächen. Aber als du tatsächlich für die Show ausgesucht wurdest, da wußtest du nicht mehr, was du eigentlich tun solltest. Und da hat Tony dir vom Wahnsinn durch Tarantelbisse erzählt. Sabrina in den Wahnsinn zu stürzen, wäre sicherlich weniger kriminell, als sie gleich umzubringen, also hast du beschlossen, ihr eine Tarantel zu schicken — in der Hoffnung, daß sie gleich davon gebissen würde.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du überhaupt redest.«

Ich beschloß, mich trotzdem weiter durchzubluffen.

»Du bist in die Creepy-Crawly-Zoohandlung gegangen und hast dort Vin kennengelernt. Der mochte dich. Er hat dir gesagt, daß er dich mochte. Er zeigte dir die Taranteln, das Stück fünfzig Ohren. Der Laden hatte gerade eine neue Lieferung reinbekommmen. Das war es dir wert, Sabrina quälen zu können, und du hast eine gekauft. Nur, daß nichts passiert ist, nachdem du sie bei ihr abgeliefert hast. Du dachtest, die war wohl nicht wütend genug, um richtig zuzubeißen, also hast du Vin davon überzeugen können, dir eine unter der Hand zu geben, ohne daß sein Vater etwas davon merkt. Er sollte Arnie erzählen, daß die Spinne gestorben sei und er sie das Klo hinuntergespült hätte. Vin kann seinen Vater nicht ausstehen — er war äußerst erfreut, das zu tun, vor allem für eine Frau mit Titten wie deinen. Du hast der Tarantel ein Bein ausgerissen, damit sie wütend genug würde, um zu beißen, oder du hast Vin das machen lassen. Aber immer noch ist nichts passiert. Also hast du noch eine Spinne von Vin geholt. Um die jetzt wirklich wütend zu machen, hast du ihr gleich zwei Beine ausgerissen. Wieder nichts. Also hast du immer mehr Spinnen geholt und denen immer mehr Beine ausgerissen, bis es keine Spinnen mehr gab und keine Beine, die man hätte ausreißen können. Und immer noch wurde Sabrina nicht vom Tarantismus befallen. Ich habe allerdings keine Ahnung, warum du dann heute die Spinnenbeine abgeliefert hast.«

»Ich habe nichts von alledem getan.«

»Ich weiß, daß du es doch getan hast. Vin mochte mich nämlich auch gut leiden.« Ich log noch weiter: »Er hat mir alles erzählt.«

Sie sah mich unter ihren langen Wimpern an. Und sie fiel drauf rein. »Wirst du das weitersagen?« fragte sie.

»Warum hast du die Beine gebracht?«

»Ich weiß nicht. Sie waren eklig. Ich wollte sie einfach aus meiner Wohnung haben. Und möglicherweise dachte ich, daß sie endlich durchdrehen würde, wenn sie die Dinger sähe. Das war doof.« Sie zuckte mit den Achseln. »Wirst du es petzen?«

»Ja«, sagte ich.

»Bitte nicht. Ich tue alles, was du willst.«

»Ich weiß wirklich nicht, was du für mich tun könntest. Für dich ist es Zeit, in den Knast zu wandern, Sandra.«

»Ich gebe dir hundert Ohren.«

»Mit Hundertdollarscheinen reinige ich mir die Zahnlücken.«

»Ich besorge dir Reisen im Miles-and-More-Programm, in der ersten Klasse.«

»Ärger ist mein Geschäft, Sandra. Ich muß nicht weit reisen, um ihn zu finden.«

Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Jetzt hatte sie Angst. Sie griff nach meinem Arm und sagte: »Ich gebe dir eine Zigarette.« Darüber konnte ich nur lachen.

»Ich nehme die Reise nach Jamaika«, sagte ich.

»Und was soll ich Eric sagen?«

»Du tust so doof, Sandra, aber in Wahrheit bist du ein gerissenes Mädchen. Und er hingegen ist wahrhaftig dumm. Ich bin sicher, du kannst ihn dazu bringen, einfach alles zu glauben.«

Sie wußte, daß sie das wohl konnte, lächelte und sagte: »Abgemacht.« Sie streckte mir den Party Girls-Ferienumschlag entgegen, mit den Flugtickets, den Hotelzimmergutscheinen für das Sandals am Dunn’s River (Vollpension und alle Services inbegriffen). Das Wochenende voller Spaß fing an diesem Freitag an. Max wird mich ewig lieben, dachte ich. Wenn mich das nicht aus Thanksgiving herauspauken würde, dann würde es durch nichts gelingen.

Nachdem unsere Reisetaschen gepackt waren (einschließlich einiger Gegenstände, die möglicherweise besondere Adapter benötigen würden), bestiegen wir in der Penn Station den Zug. Allerdings: einen Zug der Long Island Railroad. Und als wir uns Merrick, Long Island näherten, der Heimat von Amy Fisher, Joe Butta-fuoco und Max’ Eltern, Bev und Walter Greenbaum, sagte Max: »Da wären wir. Guck nicht so genervt. Meine Eltern warten auf dem Bahnsteig.« Wir konnten sie bereits sehen. Sie winkten. »Nur eine Nacht, Wanda. Ich vertraue dir.«

»Ich will eine Zigarette.«

»Du hast mir doch gesagt, du hättest keine Lust mehr, zu rauchen.«

»Ich habe meine Ansicht eben geändert.«

»Dann ändere sie wieder zurück.« Er küßte mich auf die Stirn, und wir gingen den Bahnsteig entlang, um seine Eltern zu begrüßen.

Max war von der Reise begeistert gewesen, auch als ich ihm erzählte, wie sie zustande gekommen war. Aber als ich vorschlug, daß wir am Abend von Thanksgiving packen sollten, anstatt nach Long Island zu fahren, lehnte er rundheraus ab.

Am vorangegangenen Dienstagmorgen hatte Alex gemeint, ich würde mich wie ein Riesenbaby benehmen, weil ich mich überhaupt beschwerte. Aber wenn ich mich nicht dazu durchringen könnte, mich bei Max’ Mutter zu entschuldigen, dann würde er sich freiwillig dazu bereit erklären, mir die Sache abzunehmen. Anscheinend hatten er und die Studentin von der New York University ohne Namen wieder zusammengefunden. Sie hatte ihn im Fernsehen erkannt. Er hätte so niedlich ausgesehen, sagte sie, daß sie ihn einfach hatte zurückhaben müssen. Alex lehnte nicht ab.

Am Mittwochabend spät wurde ich von Mrs. Felluti angerufen. Sie erzählte mir, sie hätte die ganze Sache im Fernsehen gesehen und Marnie O’Shea täte ihr einfach schrecklich leid. Obwohl Marnie ja ihren Sohn umgebracht hatte, so teilten sie doch dasselbe Schicksal. Mrs. Felluti befreite Sinclair Singer von dem Fluch. Es sei nicht wirklich seine Schuld, daß er ein solches Schwein sei. Das allsehende Auge hatte ihr gezeigt, daß seine inneren Qualen von einem unerquicklichen Zwischenfall herrührten, der sich während seiner Schulzeit im Umkleideraum nach dem Sport ereignet hatte. Ich wollte mehr erfahren, aber Mrs. Felluti, ganz die Professionelle, weigerte sich, irgendwelche Details zu liefern, die eines Massenblattes würdig gewesen wären. Ich fragte sie: »Einer Ihrer wichtigeren Kunden ist nicht zufällig der District Attorney, oder?«

Sie entgegnete: »Ich habe ein vertrauliches Verhältnis zu meinen Kunden, Wanda. Wenn Sie meine Dienste in Anspruch nehmen wollen, dann würde ich auch über Ihre Angelegenheiten schweigen.«

Ich entgegnete: »Lassen Sie uns einen Deal machen. Sie halten weiterhin Ihr allwissendes Auge auf mich gerichtet und warnen mich rechtzeitig. Dann komme ich zu Ihnen, und wir besprechen alles.«

»Ich werde Sie gleich jetzt warnen. Wenn Sie sich nicht sofort bei der Mutter Ihres Freundes entschuldigen, dann sind Sie ein Volltrottel.« »Und was für eine Farbe hat meine Unterwäsche?«

»Wie zum Teufel soll ich das wissen?« hatte sie gefragt und dann aufgelegt.

Im Bahnhof waren Bev und Walter fast bei uns angekommen. Sie trug einen Overall, der mich an Marnie O’Shea erinnerte. Sie lächelte fest und weich, beides gleichzeitig.

Ich hatte meine Rede während der Zugfahrt vorbereitet. Ich sagte: »Als allererstes, Bev, es tut mir sehr leid.«

Sie sagte: »Sie ist ja so entzückend! Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen.«

Ich blickte zu Max auf. Er zuckte mit den Achseln. »Wirklich, ich möchte mich aber entschuldigen.«

»Kein weiteres Wort mehr«, insistierte sie.

Wir gingen die Treppe hinunter zum Auto der Greenbaums. Ich sagte kein weiteres Wort. Max schien nichts dagegen zu haben.