Das ultimative Party Girl
»Wanda Mallory?« fragte das Telefon. Die Stimme war weiblich, irgendwie bekannt und jedenfalls nicht Max.
Ich sagte: »Hier spricht Wandas Hausmädchen.« Mal sehen, wie die das Personal behandelt — immer eine gute Möglichkeit, um den Charakter eines fremden Menschen einzuschätzen. Ich würde nie im Leben wirklich ein Hausmädchen einstellen. Allein schon der Gedanke ist abstoßend. Ich würde mir allerdings überlegen, einen Hausjungen einzustellen. Die Uniform: ein Farmer-Overall (ohne Hemd) und ein großer Strohhut. Aber nur, wenn die Cowboyversion gerade nicht verfügbar ist.
»Ist Wanda Mallory da?« Sie schien mit Hausangestellten geduldig umgehen zu können.
»Einen Moment, bitte.« Ich hielt die Sprechmuschel an meine Handfläche gedrückt. Ich hoffte, daß sie nicht jemand vom Telefondienst war. Die sind nicht annähernd so nett wie die Leute von der Gasfirma. Ich nahm den Hörer wieder auf. »Hallo«, sagte ich und wählte dazu meine extra-tiefe sexy Stimme.
»Oh, entschuldigen Sie bitte, Sir. Ich wollte eigentlich Wanda Mallory erreichen.«
Ich räusperte mich und sagte: »Hier spricht Wanda.«
Sie hielt zwei Sekunden inne und sagte dann: »Ich habe es unter Ihrer Büronummer auch schon versucht, aber da war nur der Anrufbeantworter.« Ich gab mir Mühe, ihre Stimme irgendwie einzuordnen, aber erfolglos. Ich fragte mich, ob sie wohl meine Anzeige in den Gelben Seiten gesehen hatte. »Lola Lipsanski hat mir Ihre Telefonnummern gegeben«, erklärte sie. »Lola sagte, ich dürfte Sie auch zu Hause anrufen.« Lola ist meine Teenagerfreundin aus der Nachbarschaft. Sie betet mich an. Ich lasse es zu. Es ist das mindeste, was ich für eine sozial benachteiligte Jugendliche tun kann. Ich hatte in den letzten Wochen nichts mehr von ihr gehört und war davon ausgegangen, daß sie einen neuen Typen hatte.
»Freundinnen von Lola können sich mein Honorar wahrscheinlich nicht leisten«, sagte ich, obwohl mein Honorar durchaus verhandelbar ist.
»Ich bin mir sicher, daß ich Sie mir leisten kann«, sagte sie, und dann hielt sie inne. Ich konnte sie praktisch denken hören. »Hören Sie«, fuhr sie fort. »Ich wollte das hier nicht am Telefon besprechen, also lassen Sie uns zur Sache kommen. Mein Name ist Sabrina Delorean.« Ich schaffte es gerade noch, ein Aufjaulen herunterzuschlucken. In dem Moment, als sie das sagte, wußte ich auch, daß es stimmte. Kein Wunder, daß ihre Stimme mir so bekannt geklungen hatte. Sabrina Delorean, und ich mit ihr an der Strippe. Ein prickelnder Schauer schoß an meiner Wirbelsäule hoch.
Ich hatte schon andere Berühmtheiten kennengelernt. Es ist auch kaum möglich, in New York zu wohnen und nicht irgendwelche berühmten Leute kennenzulernen. Wie Lola Sabrina kennengelernt hatte, war allerdings eine Geschichte, die ich hören wollte. Schließlich sagte sie: »Hören Sie, wenn Sie wirklich Wanda Mallory, die Privatdetektivin sind, dann habe ich für Sie einen Job.«
Wie, ich sollte in diesem Stadium meines Lebens ins Showbusiness eintreten? »Was für eine Art von Job?« fragte ich und hoffte, sie würde »Garderobenfrau« sagen.
»Ich brauche einen Bodyguard.«
Scheiße, dachte ich. Ich wollte lieber hauptamtliche Besoffene in ihrer Show sein. »Sie haben keinen Leibwächter?« fragte ich. Das Studio mußte ihr doch eigentlich einen stellen.
»Ich bekomme in letzter Zeit Morddrohungen«, sagte sie mit genau der Trockenheit, deretwegen sie berühmt war. »Ich glaube, sie kommen von irgendjemandem hier im Studio.«
Meine Augenbrauen stellten zwei Kirchturmspitzen nach. Ich fragte mich, was eines der billigen Schundblätter für eine Indiskretion dieser Art bezahlen würde. Ich schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte mich lieber auf den eigentlichen Zusammenhang. »Ist Lola darin verwickelt? Ist mit ihr alles in Ordnung?« Ich erinnerte mich an die Zeit, in der Lola und ihr Freund Sonny, ein Biker, auseinandergegangen waren. Sie hatte sich geweigert, vor mir zu weinen, und schloß sich jedesmal im Badezimmer ein, wenn sie eine Welle der Trauer nahen spürte. Sie kam dann immer mit roten Augen und aufgedunsenem Gesicht wieder heraus und sagte, sie würde sich aus dem Arschloch sowieso nichts mehr machen, nicht für zwei Pfennige. Ich fragte sie, warum sie unbedingt so tough spielen mußte. Trennungen seien nun einmal schwierig. Sie antwortete, ich solle mich mit meinem Bullshit verpissen. Das machte sie häufiger. Sie meinte das nicht so. Dann lief sie wieder ins Badezimmer. Eine ganze Weile lang nahm sie dort sogar ihre Mahlzeiten zu sich. Ein Messer und eine Gabel befanden sich noch immer in meinem Medizinschrank.
»Könnten wir diese Sache woanders als am Telefon besprechen?« fragte Sabrina. Ich blickte auf meine Uhr. Fünf Minuten vor acht. Ihre Liveshow fing Punkt acht an. »Ich würde mich freuen, wenn wir uns nach der Show in meiner Wohnung treffen könnten«, sagte sie. »Lola wird auch da sein. Sie weiß von dieser ganzen Sache.« Ich war schockiert, daß Lola also vor mir Geheimnisse hatte. Ich war schließlich ihre Vertrauensperson, ihre Lehrerin — verdammt noch mal, ihr Vorbild. Sabrina sagte: »Notieren Sie doch bitte.« Sie nannte mir ihre Adresse, die ich sofort auswendig lernte. Ich kann das mit bis zu dreißig Adressen auf einmal. Der Weltrekord liegt bei ungefähr dreitausend. Nicht ganz dicht dran, aber ich bleibe am Ball.
Wir verabschiedeten uns und legten auf. Ich grub in den Sofakissen nach der Fernbedienung und stellte den Fernseher an. Und da war es, auf Channel Six, dem Sender mit der Hyäne als Logo: Party Girls fing an. Meine Lieblingsshow. Ein absolutes Muß, vor allem an solchen Freitagen. Es muß natürlich nicht unbedingt jeder wissen, daß ich ein Fan von dieser Show bin. Aber ich gebe gerne zu, mein Vergnügen daran zu haben, zu beobachten, wie die Leute beim Essen kleckern. Ich genieße es, Zeugin eines verdienten Schlags in die Fresse zu werden oder einer gekonnten Abfuhr. Ich habe Spaß daran, Leute zu sehen, die in der Öffentlichkeit wild herumknutschen, sich mit Wein vollaufen lassen, lachen und sich an den Weichteilen befummeln. Also, das ist wirklich Unterhaltung, von den soziologischen Offenbarungen gar nicht zu sprechen.
Und Sabrina war die Herrin über dies alles. Sie trug die gewagtesten Röcke aller Zeiten — immer mindestens 20 Zentimeter über dem Knie, trotz der neuen längeren Mode — und hatte dafür auch die richtigen Oberschenkel. Sie trug gerne flauschige Kaschmirpullover mit Perlen und betonte damit den Jungfrauen-/Nutten-Look. Und ihre Schuhe — immer zehn Zentimeter hohe Geschichten mit Pfennigabsätzen, häufig aus Metall — wurden freundlich als die »oops mich«-Pumps bezeichnet. Ihre Haare, von einem Feuerrot, das die Natur sich nie im Leben so ausgedacht hatte, war in einen ordentlichen Pagenschnitt gebracht. Ihre Lippen waren voll, ihre braunen Augen groß und ihre Beine endlos. Und da sagen die Leute noch, ein Meter neunzig große Sexbomben sollten flache Absätze tragen. Ihr Benehmen war eisig, was sie um so geheimnisvoller erscheinen ließ. Die Mädchen wollten so sein wie sie. Die Groupies versuchten, ihre merkwürdige, aber anziehende Verbindung von Feuer und Eis nachzumachen. Die Jungs wollten sie bumsen und ihre eisige Oberfläche wegschmelzen. Ich wollte einfach nur mal was mit ihr unternehmen. Vielleicht würden wir zusammen Pumps einkaufen gehen, wenn das alles hier vorbei war, und dann auf Seite sechs der Tratschecke des Daily Mirror erscheinen. Es ist eines meiner Lebensziele, eine Erwähnung auf der Seite sechs zu erreichen.
Sabrinas Bild erschien auf meinem Bildschirm und füllte ihn mit ihrer makellosen Haut. Sie öffnete den Mund, als würde sie gleich die Kamera lecken, und bemerkte: »Heute abend fühle ich mich richtig gefährlich«, wobei sie die Augen weit aufriß. Das Publikum, bestehend aus College-Burschenschaften-Idioten und Sekretärinnen mit hochtoupierten Haaren aus Staten Island, kreischte auf, wie es die Bremsen bei einer Karambolage von fünf Autos nicht besser hätten tun können. Das Wummern von Heavy Metal dröhnte aus meinen Fernseherlautsprechern, und die einleitende Filmsequenz von jungen attraktiven Frauen und Männern in unterschiedlichen Stadien der Entkleidung lief zum Erkennungsjingle, zu dem man die Fäuste auf und nieder pumpte. Ich machte es mir auf meiner Couch gemütlich und lächelte. Nichts ist so gut wie einfältige Vergnügungen, dachte ich, während ich mir noch einen Schluck Tequila gönnte.
Wie die meisten Dinge, die einen sofort befriedigen, ist die Show einfach gestrickt. Im wesentlichen tun die Produzenten nicht mehr, als zwanzig ausgesprochen junge und gutaussehende (wenn nicht fast schon zu gelackte) Leute über drei Stunden in einen Raum zu sperren. Getränke und Imbisse gibt es zuhauf, inklusive Budweiser in Strömen, da die Firma einer der Sponsoren der Show ist. Fünf der zwanzig Teilnehmer werden danach eingeladen, um in der Show über die Fete zu erzählen und zu entscheiden, wer von der ganzen Truppe das Ultimate Party Girl und wer der Ultimate Party Gwywar. Die beiden kriegen dann eine Reise in das Sandal’s Resort in Dunn’s River auf Jamaika spendiert, wo selbstverständlich die ununterbrochene Fete weitergeht. Die fünf glücklichen Bewerber sind meistens die telegensten aus den ursprünglichen zwanzig. Man sucht sie quotenmäßig aus, nach Typen. Das habe ich bei einer sorgfältigen Analyse herausbekommen, nachdem ich die Show schon mehrere Monate lang gesehen hatte. Alle Bewerber sind gesund und zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahre alt. Immer mal wieder hat man eine Grufti-Show eingeschoben — für die Leute zwischen dreißig und fünfundvierzig. Die Einschaltquoten wurden prompt steil in den Keller katapultiert.
Sabrinas Stuhl und Tisch auf dem Set stehen an der Spitze eines Dreiecks. In einem Winkel von genau fünfundvierzig Grad stehen die beiden Sofas davon ab. Die Mädels sitzen auf der einen Couch, die Jungens gegenüber auf der anderen. Sowohl der Stuhl als auch die Sofas sind in allerkreischigstem Pink. Der Teppich, der dazwischen liegt, hat ein Paisleymuster, in dem sich Orange- und Rottöne austoben. Die Wände dahinter sind ebenfalls orangefarben. Allerdings könnte das Set von Party Girls möglicherweise nicht ganz so entsetzlich bunt aussehen, wie es auf meinem Bildschirm erscheint. Denn an einem eher verspielten Abend vor langer Zeit hatte ich den Farbeinstellungsknopf meines Fernsehers Max an den Kopf geworfen — wir waren damals ja noch so verliebt —, und Otis sorgte anschließend dafür, daß er endgültig im Orkus verschwand.
Die billige Innenausstattung läßt allerdings die Teilnehmer der Show etwas weniger ordinär wirken. Die heutigen Wettbewerbsteilnehmerinnen auf der Mädelscouch waren streng gefärbte Blondinen in Kleidern, die einen an Lambadawettbewerbe erinnerten. Sie blinzelten durch einen Nebel roher Lust und reichlich ausgeschütteter Hormone und starrten ungeniert auf den Schritt der Männer, als hofften sie, heute abend ein wenig Levitation betreiben zu können. Das brachte mir mein erstes Grinsen. Die Männer gegenüber, alle drei wulstige Massen aus Muskelpaketen, fanden das eindeutig klasse. Ihre Augen zogen immer wieder die Bahn von den Beinen der Frauen zu ihren Titten und dann zu deren Augen, auf und nieder. Die Geschlechter lächelten nach hüben und drüben, als wäre ihnen das alles nicht im mindesten peinlich. Die Männer trugen Jeans, die sich nur im Grad ihres engen Sitzes voneinander unterschieden, und T-Shirts von The Gap - die inoffizielle Uniform des männlichen Party Guy.
Sabrina sah super aus. Sie rauchte seit einigen Wochen in der Sendung. Ich fragte mich, ob ihr Rauchen etwas mit den Morddrohungen zu tun hatte. Sie hinterließ einen dicken roten Lippenstiftabdruck auf der Zigarette. Ich beschloß, mir selber eine anzuzünden. Sie schmeckte großartig.
Die Teilnehmer wurden uns kurz vorgestellt. Die ganze Truppe war aus New York City — alle Shows dieser Woche hatten New Yorker als Teilnehmer gehabt. Die beiden Frauen waren dreiundzwanzig. Eine war Stewardess, die andere arbeitete in einer Bar. Zwei der Typen waren fünfundzwanzig, der dritte vierundzwanzig. Der größte von ihnen arbeitete auf dem Bau. Der niedlichste war in einem Restaurant in Downtown beschäftigt. Der schweigsamste arbeitete im Madison Square Garden, wo er die Stühle manchmal zusammenklappte, manchmal aufstellte. Ziemlich dröge. Er sah aber ganz anständig aus. Ich beschloß, ihn zu meinem Lieblingskandidaten zu ernennen.
Sabrina atmete aus und sagte: »Die Party hat mittags angefangen. Ihr müßt ja völlig fertig sein.« Die Menge grölte. Sie fragte die Teilnehmer: »Wie war denn das Essen so?« Alle murmelten etwas über Sojaburger. »Ja, alle beklagen sich über das Essen, aber es ist gut für euch, also laßt das oops-Meckern.« Die Zuschauer drehten durch. Bei dieser »Live«-Show wird das Fluchen ausgesprochen unterstützt. Es gibt eine Verzögerung von ungefähr sieben Sekunden, damit irgendein gelangweilter Zensor die Zoten mit einem oops übertönen und Party Girls so von der ganzen Familie gesehen werden kann.
Sabrina wandte sich nach rechts, zu den Frauen. Sie zeigte auf die Männer und fragte das Mädchen im Leopardenmuster: »Was hast du denn von diesen Typen gehalten?«
»Wenn die meine Hunde wären, dann würde ich ihnen beibringen, Männchen zu machen«, antwortete Leopardenmuster.
»Wenn die meine Hunde wären, dann würde ich ihnen beibringen, zu kommen«, erwiderte Sabrina, und die Menge bekam einen kollektiven Herzinfarkt. »Erzählt mir doch von eurer persönlichen Party-Philosophie«, forderte sie beide Frauen auf.
»Ich bin sehr geradeheraus mit den Leuten«, sagte Linda Leopardenmuster. »Ich schau mir alle an, entscheide mich, wen ich gerne kennenlernen würde, und leg dann los. Wenn ich jemanden nicht mag, dann schick ich ihn in die Wüste. Wenn die mich nicht mögen, dann sind die selber oops doof. Ich bin ziemlich direkt. Und außerdem passe ich auf, daß ich ordentlich esse und mich nicht zu sehr betrinke. Sonst wüßte ich ja gar nicht, mit wem ich schließlich nach Hause gehe.« Manche Männer im Publikum pfiffen. Sie lächelte.
Sandra die Stewardess sagte: »Als allererstes mache ich mich so richtig fein. Es bringt schließlich nichts, am nächsten Morgen schlechter als perfekt auszusehen. Dann versuche ich, mich mit allen zu unterhalten, alle kennenzulernen, und warte ab, wer mich am nächsten Tag anruft. Obwohl, mit den anderen Frauen rede ich meistens nicht. Linda und ich haben uns einmal unterhalten. Wir fanden, es wäre schön, wenn man auch ein Light-Bier anbieten würde.«
»Ich könnte mir im Moment auch gut ein kühles, leckeres Bud Light vorstellen«, pries Sabrina das Getränk an, wie sie es gelegentlich tun mußte. Sie wandte sich an den Bauarbeiter und sagte: »Eric, wie machst du einen guten ersten Eindruck, wenn du in ein Zimmer voller süßer Puppen kommst?«
Eric strich die Haare zurück und sagte: »Ich marschiere da gleich rein — ja? — und stell mich mitten ins Zimmer. Das gibt den Mädchen die Gelegenheit, mich von allen Seiten anzusehen und sich ein Bild von mir zu machen.« Eric hielt seinen Arm hoch und spannte die Muskeln an wie ein Bodybuilder. »Siehste, von mir ist genug da, um alle glücklich zu machen.« Manche Frauen im Publikum zischten. Er ignorierte das.
Sabrina fragte: »Und wie unternimmst du den ersten Schritt?«
Eric kreuzte die Arme über der Brust — eine merkwürdig defensive Geste, aber vielleicht war es auch nur eine Möglichkeit, seinen Bizeps vorzuzeigen — und sagte: »Ich sage nicht irgendwelche bescheuerten Anmachsprüche oder so einen Bulloopser. Ich gehe einfach zu der Puppe, die für mich in Frage kommt, und sage: >Hey Puppe, wie geht’s denn so?<«
»Ein entspannter Einstieg also«, stellte Sabrina fest. Sie schnipste Asche von ihrer Zigarette und wandte sich den Frauen zu, um Linda zu fragen: »Was hast du von Eric gedacht, als er zum ersten Mal hereinkam?«
Leopardenmuster kreuzte ihre Beine über- und untereinander, während sie sagte: »Er marschierte rein und sah sich alle Frauen an. Und dann sah er mich und kam gleich schnurstracks auf mich zu. Rumms. Noch nicht mal ein kurzer Zwischenstop am Buffet.«
»Eben ein Mann, der weiß, was er will«, ging Sabrina darauf ein. Die Männer klatschten Eric gegen die Hand.
»Das Problem ist nur, daß ihn keiner will«, konterte Leopardenmuster mit einem hexenhaften Lächeln. »Ich meine, ehrlich. Er kommt zu mir herüber, legt seinen Schweinehaxenarm um meine Schulter und sagt, er wäre kein Bulloopser, er wolle nur mein wahres Wesen kennenlernen. Korrektur: Er will in Wirklichkeit mein nacktes Wesen kennenlernen.«
»Träum ruhig weiter so süß, du alte Jungfer«, unterbrach Eric sie. Damit bekam er ein paar solidarische Schnaufer auf der Männercouch. Leopardenmuster wurde knallrot. Das Publikum johlte und grölte wie ein Haufen wilder Tiere, die in einer Falle gefangen saßen.
Sabrina wandte sich daraufhin zu Sandra mit den roten Pailletten. Sie fragte: »Und wie ist es mit dir?« Rotes Paillettenkleid grinste und kicherte.
»Ein Kichern? Ich kann also davon ausgehen, daß du anders über Eric denkst?«
»Naja, ich habe ihn gleich bemerkt, als er ins Zimmer gekommen ist«, sagte sie ausgleichend, ganz die Stewardess. »Ich dachte sofort, der hat ja einen unglaublichen Body.«
Jauchzer und Händeklatschen von der Männercouch. Die Stewardess fuhr fort: »Er kam auf mich zu, und ich war sehr geschmeichelt. Ich hatte gehofft, daß ich ihm auffallen würde. Er sah mich wirklich an, während wir uns unterhalten haben — nicht nur meinen Busen, wie so manch anderer.« Die anderen beiden Typen grinsten. Ihre Brüste waren riesig. Ich fragte mich, ob sie sie überhaupt im Flugzeug in eine Lebensrettungsweste stopfen konnte. »Ich fand Eric echt aufrichtig. Und als er mich am Ende der Party am Hals geküßt hat, hat er meinen Namen immer und immer wieder leise in mein Ohr geflüstert. Es war so romantisch.«
Sabrina sagte zu Eric: »Das zeig uns doch mal.« Das rote Paillettenkleid blickte erwartungsfroh. Die Menge spornte sie mit Zurufen und Gebrüll an.
Langsam stand Eric auf — er war eher klein — und nahm die Stewardess an der Hand. Sie stand auch auf. Er warf seinen Arm um ihre Schulter und traktierte ihren langen Hals mit seinen Lippen. Sie gingen auseinander. Sie schwankte träumerisch hin und her. Er blickte ihr gerade in die Augen und sagte: »Wie heißt du noch mal?« Die Menge buhte ihn spöttisch aus, und er machte für die Kamera den Clown.
Sabrina sagte, man unterbräche jetzt für einen kurzen Werbespot. Die Metall-Musik dröhnte wieder, und alle ließen ihre Pobacken in den Sitzen tanzen.
Ich gönnte mir noch einen Schuß Tequila und amüsierte mich darüber, daß Notfallwattebäuschchen behaupteten, über Nacht Pickel wegzuzaubern. Ich fragte mich, ob unser Freund Benjamin Savage solche Notfallwattebäuschchen benutzte. Otis sprang mir auf den Schoß und traktierte meine Oberschenkel mit ihren kleinen schwarzen Pfoten, als wolle sie sie melken. Ich fragte ; mich, ob Max wohl gerade an mich dachte, ob er vielleicht sogar gerade auf dem Weg zu mir wäre, mit Badeölperlen und einer großen Tüte Kartoffelchips. Ich schloß die Augen und sah vor meinem inneren Auge, wie er auf der Treppe zur Tür meines Hauses steht, die Tür mit seinem Schlüssel öffnet, den Flur zu meiner Wohnung entlanggeht. Otis sprang plötzlich von meinem Schoß. Sie hatte vor mir das Klopfen an der Tür gehört. — Ich wußte in meinem tiefsten Innersten, daß es Max war. Ich stand auf, fuhr mir durchs Haar und ging auf das immer drängendere Klopfen zu. Otis miaute mit Nachdruck an der Tür. Das Aroma wehte mir Sekunden später um die Nase — Muscheln und Knoblauch. Verdammt, dachte ich. Mein tiefstes Innerstes hatte sich mal wieder geirrt. Ich nahm mir vor, in Zukunft wieder meine Hellseherinnen-Übungen zu machen. Ich öffnete die Tür, und Santina Epstein drängte sich in meine Küche. Sie trug einen Topf mit Linguine in Muschelsauce. »Ich war gerade in der Gegend«, sagte sie und schnaubte ein Lachen hervor, wie sie das immer tut. Santi ist immer in der Gegend. Sie wohnt mit ihrem Verlobten, Shlomo Zambini, einem Orthopäden, in der Wohnung über mir. Sie ist Kosmetikerin im Adrienne Argola Frisurenstudio an der Upper East Side. Sie poliert und lackiert, wachst und kämmt und versucht, mich von Ärger fernzuhalten. Sie könnte sich wirklich nicht noch mehr um mich kümmern — aber sie findet, ich könnte es.
»Ich bin einfach brillant«, kündigte sie an und wedelte den Knoblauchgeruch mit der einen Hand in ihre gierigen Nasenlöcher, während sie den Topf auf ihre Hüfte stützte. »Hör mir zu, hörst du mir auch zu? Ich bin ein Genie in Sachen Knoblauch. Probier das nur mal, du wirst dahinschmelzen.« Sie hielt mir den Topf hin. Ich streckte die Hand aus, um ihn zu nehmen. Sie zog ihn zurück. »Nur ein Schmeckerchen. Zwing mich nicht, deine Hüften zu erwähnen.« Sie schnalzte mit der Zunge und drückte mir den Topf in die Hände. Ich schoß ihr Pfeile statt Blicken zu. Es gab an meinen Hüften nichts zu bemängeln. Santi ging durch das Wohnzimmer und annektierte meinen vorgewärmten Sitzplatz auf der Couch. Sie trug Leggings und einen langen, ausgeschlabberten Pullover. Sie arrangierte ihre fünfzigjährigen Beine in einen Schneidersitz und fing an, Krümel von den Kissen herunterzupflücken.
»Also«, fragte sie, »wie geht es Max?« Die Frage nach dem Mann ist stets der nächste Tagesordnungspunkt, nachdem die Beurteilung der Hüften vorüber ist. Ich war dazu aber nicht in der Laune.
»Sabrina Delorean hat mich heute angerufen«, sagte ich. »Sie ist meine neue beste Freundin.« Ich legte mir einen Berg von Pasta auf den Teller und leckte mir die Finger.
»Leck dir nicht die Finger.«
»Ich meine es ernst. Ich bin heute abend bei ihr zum Abendessen eingeladen. Gleich nach der Show.«
»Zum Abendessen, ja? Dann solltest du vielleicht nichts von dieser Pasta da essen, Fräulein Mit-meinen-Hüften-ist-doch-nichts.«
»Halt die Klappe wegen meiner Hüften.« Ich meinte das ernst. Sie merkte das.
Sie arrangierte also ihre Gliedmaßen auf dem Sofa neu und tat so, als sei der Themenwechsel nicht meine Idee gewesen. Als Ersatzeltern teil kann Santina beleidigend, kontrollierend und abscheulich sein, aber sie ist der einzige Mensch, von dem ich ganz genau weiß, daß er nur das allerbeste für mich will. Ich bin mir sicher, daß Alex und Max (naja, Max vielleicht schon nicht mehr) behaupten würden, mir nur das allerbeste zu wünschen, aber die Beziehungen waren zu kompliziert, um die Möglichkeit subtiler Rivalitäten oder eines ausgewachsenen Egoismus auszuschließen. Ich weiß, daß ich Max schrecklich vermissen würde, wenn er als Schlagzeuger doch irgendwann die richtige Band fände und seinen Job bei der Bank aufgeben würde, um auf Tournee zu gehen. Ich stelle mir gerne vor, daß ich ihn wie einen Schmetterling freisetzen und hoffen würde, daß er anschließend auf einer Wolke totaler Anbetung zu mir zurückkehren würde. Es ist allerdings wahrscheinlicher, daß ich ihn anbetteln würde, nicht zu gehen. Er würde bleiben und mir das den Rest seines Lebens übelnehmen, was er aber erst mit fünfzig merken würde, wenn er in seine Midlife Crisis hineinschlitterte. Und dann würde er anfangen, Motorrad zu fahren und Zwanzigjährigen nachzustellen. Ich wäre dann eine Sitzengelassene mit gebrochenem Herzen, und ich könnte noch nicht einmal behaupten, daß ich einen echten Rock’n’Roll-Star gebumst hatte.
»Hallo? Erde an Raumstation Tagträumerei, Erde an Tagträumerin?« rief mir Santi zu, weil ich in der Küche stand und die Gabel mitten in der Luft hielt, mit herunterbaumelnden Linguine. »Die Show fängt wieder an, also trag mal deinen Hintern hier rüber. Sabrina sieht ja heute abend wieder mal entzückend aus. So niedlich. Sie erinnert mich daran, wie ich in ihrem Alter aussah.« Sabrina Delorean war erst vierundzwanzig Jahre alt. Sie hatte als Wetteransagerin bei der Lokalnachrichtenredaktion eines Vermonter Senders angefangen (in der Nähe des Ortes, in dem ich ins College gegangen bin), als sie noch an der University of Vermont studierte. Es wird gemunkelt, daß sie ihren großen Durchbruch erlebte, als sie einen Bericht über eine beeindruckende geologische Formation am Appalachian Trail drehte. Ein wilder Bergwolf erschien aus dem Nichts, attackierte einen Kameramann und warf ihn in eine Schlucht. Der Kameramann landete hart und tief unten, aber er atmete noch, wenn auch nur schwach. Sabrina seilte sich mit einem Elektrizitätskabel zu ihm ab und belebte den blutenden und halbtoten Kameramann wieder. Sie wurde durch die Sache zu einer Lokalheldin, und ihre Geschichte wurde von AP in alle Welt geschickt. Irgendein heißdüsiger Senderfritze sah ihr Bild und lud sie ein, sich um eine Stelle bei einer neuen Spielshow des Hyena Network zu bewerben, die live auf Channel Six von New York aus gesendet werden sollte. Das war vor zwei Jahren. Der Rest steht in den Geschichtsbüchern der Gameshows geschrieben.
Ich setzte mich mit meinem Teller zu Santi auf die Couch. Die Heavy-Metal-Musik wummerte immer leiser durch den Äther, während Sabrina an einer Flasche Evian nippte — einer der anderen Sponsoren der Show. Sie sagte: »Junggeselle Nummer zwei — Darren — sagte mir vor der Show, daß... ach, Darren, erzähl ihnen das doch selber.«
»Die Sache mit den Dehnübungen, meinst du?«
Sabrina sagte: »Nein, deine Regeln für das Gespräch mit Frauen.«
Darren im blauen Hemd setzte sich zackig auf. Er sagte: »Meine Regel Nummer eins: Ich rede nicht über mich selbst. Regel Nummer zwei: Wenn ich doch über mich selbst rede, dann darüber, wie meine Gefühle für sie sind. Sie ist hübsch, hat einen Super-Vorbau, sie törnt mich an. Du weißt schon. Regel Nummer drei: Ich sehe zu, daß sie nicht gelangweilt von dannen zieht. Ich versuche, immer mal ein paar Witze zu erzählen, damit die Mädchen interessiert bleiben.«
»Zum Beispiel?« fragte Sabrina.
»Willste einen hören?« Die Menge applaudierte. Darren sagte: »Ein Rabbi, ein Priester und ein Schlangenbeschwörer aus Kalkutta gehen die Straße hinunter...«
»Macht euch nicht die Mühe, weiter zuzuhören«, zickte Leopardenmuster. »Er sieht gut aus, aber seine Witze sind beschissen.«
Sandra die Stewardess sagte: »Seine Witze waren irrsinnig komisch. Ich hab mir fast in die Hosen gemacht vor Lachen.« Sie trug ein Kleid.
»Gab es irgend etwas an ihm, was du eigentlich doch mochtest?« fragte Sabrina das Leopardenmuster.
Sie wand sich auf der Couch. »Ich mochte die Art, wie seine Zunge über meine Zähne glitt, als ob sie ihre lang verloren geglaubte Heimat gefunden hätte.« Die Menge johlte auf und stöhnte. Die Männer hieben sich auf die Schultern.
»Moment mal«, sagte die Stewardess. Alles wandte sich zu ihr. Sie lehnte sich vor, damit man besser in ihren Ausschnitt blicken konnte, und sagte: »Darren, du hast mir doch gesagt, du wärst an ihr nicht interessiert. Du hast mir gesagt, sie gäbe dir das Gefühl, du müßtest gleich reihern.« Die Menge krähte und kicherte, während Darren und Leopardenmuster glühend rote Gesichter bekamen (obwohl, das rate ich nur — auf meinem Bildschirm waren sie nämlich lila).
Santi wedelte ihre Hand in Richtung des Fernsehers und schnaubte durch die Nase. »Geh lieber mal zu einem anständigen Friseur, wie wäre es damit? Sieh dir doch mal diese Haarwurzeln an. Hörst du mir zu, kannst du mir vielleicht einmal zuhören?« Sie gab mir einen Stoß in die Rippen.
»Mußt du gerade sagen«, sagte ich und registrierte Santis (gefärbte) blonde Hochfrisur, deren Haaransatz den kalifornischen Mammutbäumen alle Konkurrenz machte.
Santi hieb mir auf das Knie. »Schau dir mal dieses doofe Kleid an«, monierte sie und winkte zur Mattscheibe. »Mach mal eine Diät, Mädel.«
Im Fernsehland sagte Sabrina: »Darren? Wie war das mit Linda und kotzen?«
»Das habe ich doch nur gesagt, damit ich mit beiden knutschen kann.« Er wandte sich den anderen Männern zu. Sein gegeltes Haar bewegte sich dabei nicht. »Ist doch wahr, oder, Jungs? Die Frauen erwarten doch, daß man sie anlügt. Das ist ein Teil des Paarungsrituals.«
»Zum Teufel ist es das«, platzte Leopardenmuster heraus. Heute war wirklich ein schwerer Tag für sie. Sie mußte geglaubt haben, daß Darren sie wirklich mochte. »Ich meine, oops. Wen muß ich hier denn noch alles oopsen, bevor ich einen heterosexuellen, gutaussehenden, intelligenten Typen finde, der keine Lügen erzählt, um irgendeiner anderen Tucke unter den Rock zu kommen?« ;
»Ist das eine rhetorische Frage?« fragte Sabrina und rauchte weiter ihre Zigarette.
»Ich kann die Antwort darauf geben«, unterbrach der ruhigste von allen das Gespräch, Tony, der Auf- und Zusammenklapper von Stühlen im Madison Square Garden, der, den ich favorisierte. »Ich werde all das für dich sein und noch mehr. Ich werde gut zu dir sein, ich werde dich nett behandeln. Ich bin derjenige, den du suchst.«
»Du bist überhaupt nicht derjenige, den ich suche«, schoß das Leopardenmuster zurück. Sie wandte sich an Sabrina und sagte: »Dieser Trottel tanzt wie ein Idiot und hat sein ganzes Bier über mein Kleid gekippt.«
»Ich bin angerempelt worden«, protestierte er.
Eric und Darren gönnten sich ein geheimes Grinsen unter Komplizen.
»Ich finde dich dafür einfach traumhaft«, sagte Sandra zu meinem Lieblingskandidaten. »Du hast mir ganz süß einen Dessertteller gebracht und ihn gehalten, damit ich davon essen konnte. Und« — sie wandte sich Sabrina zu — »als wir uns geküßt haben, war er sehr aufgeregt.« Die Menge flippte aus.
»Gab es eigentlich einen Typen auf der Fete, den du nicht mochtest?« fragte Sabrina.
»Es gab einige Kerle, die totale Ekelpakete waren. Aber diese Typen hier mochte ich alle. Vielleicht mag ich Eric am meisten, weil er die größten Muskeln hat.«
»Wie steht es mit dir?« fragte Sabrina das Leopardenmuster.
»Ich mochte Darren gut leiden, aber er hat mich ja angelogen wie ein totales oopsloch. Ich kann mir vorstellen, daß Tony gar nicht so schlecht ist, aber leider tanzt er wie ein totaler Trottel.«
Sabrina sah Tony an. Sie sagte: »Musik bitte.« Die Metal-Melodie dröhnte aus meinem Fernseher. »Laß mal sehen, wie du abhottest, Tony.«
Der arme Tony, von der Menge angefeuert, stand auf und hottete sich ab. Es war eigentlich gar nicht so furchtbar. Er bewegte nur seine Füße nicht. Er zuckte herum, sprang gelegentlich in die Luft und machte juchzende Geräusche. Nach ein paar Sekunden kam die Stewardess dazu und schob eine Tanznummer, passend zu ihrem Lambadakleid. Dann sprangen Eric und Darren auf und rieben sich an der Stewardess. Leopardenmuster fand auch ihren Rhythmus. Gerade, als ihr Eric den Rock über das Höschen zog (schwarz und seidig) wurde das Bild aus- und eine Reklame für Tampons eingeblendet.
»Selbstverständlich werden die Zuschauer die nuttige Stewardess nach Jamaika schicken,« sagte Santi voraus. »Diese Linda ist einfach zu aggressiv. Das erschreckt die Männer. Die wollen ihre Frauen zart haben, geheimnisvoll, wie Sabrina. Hörst du mir überhaupt zu? Du könntest selber auch ein bißchen zarter sein.« Vielleicht würde Sabrina mir ja später noch ein paar gute Tips geben.
»Leopardenmuster könnte immerhin die Ferien gebrauchen.«
»Wie auch immer. Wie geht es Max, und warum sitzt du an einem Freitagabend allein zu Hause rum?« Santi änderte mit atemberaubender Geschwindigkeit das Thema.
Da ich mich darauf nicht einlassen wollte, ignorierte ich die Frage einfach. »Ich bin für Tony. Er ist so nett. Er wird auch nie gewinnen.«
»Also willst du nicht über Max reden. Irgendwas muß mit eurer Beziehung passiert sein. Hör mir mal zu, Fräulein Beziehungszerstörerin, untersteh dich, das hier in den Sand zu setzen. Ich habe mir richtig Mühe gegeben, euch zusammenzubringen. Du brichst mir das Herz.« Santina griff sich an die Brust, um mir zu zeigen, wo es weh tat. Santina hat Max und mich tatsächlich zusammengebracht, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
»Wir haben uns gestritten«, sagte ich. »Ich will darüber nicht reden.«
»Wegen Sex?«
»Nein.«
»Wegen Geld?«
»Nein. Halt die Klappe.«
»Was gibt’s noch? Oh richtig — ihr seid doch gestern abend mit den Greenbaums aus gewesen, stimmt’s? Also. Ihr habt euch wegen der Schwiegers gestritten. Das hätte ich dir gleich sagen können, daß es da Ärger geben würde. Du weißt doch, daß ich im Friseursalon Bev Greenbaum die Haare färbe. Aus der größten und dicksten Tube, die dir jemals untergekommen ist. Also was ist, hat sie dich nicht gemocht?«
»Ich habe kaum etwas gesagt.«
»Oh ja doch — also hast du nicht die Rolle der liebenden Freundin übernommen, die alles sagen oder tun würde, um die Mutter zu beeindrucken. Du weißt doch, daß sie keine Töchter hat. Sie wollte immer Töchter haben. Gerade neulich hat sie mir wieder gesagt: ’Santina, ich wünschte, ich hätte eine Tochter, mit der ich mich zusammen maniküren lassen könnte.’«
Das war mir egal. »Das ist mir egal.«
»Das sollte dir mal lieber nicht egal sein, junge Dame, denn wie sie über dich denkt, wird eine Menge damit zu tun haben, wie du dich mit Max verträgst. Diese Leute laden dich zu einem großen teuren Familienabendessen ein...«
»Ins The Barnacle Barge? « fragte ich skeptisch.
»Als ob du jeden Abend in den Four Seasons speisen würdest«, seufzte Santi. »Ruf sie jetzt einfach an und bedank dich für das Abendessen. Das ist alles, was du zu tun brauchst.«
Jetzt war ich mit dem Seufzen dran. Gottseidank ging die Show gerade weiter. Ich zeigte auf den Bildschirm und stellte meinen leeren Teller auf den Boden, damit Otis ihn ablecken konnte. Sabrinas Lächeln hieß uns nach der Unterbrechung für den Spot willkommen. Sie sagte: »Okay, wir sind wieder da. Ehe wir das Video abspielen, möchte ich heute abend noch zwei Menschen vorstellen, ohne deren Bemühungen diese Show nicht möglich wäre.« Jeden Freitag läßt sie die beiden Partytechniker heraustraben, Sherri Tigre und Woody Latrek. Die sorgen bei den Parties dafür, daß alle Gäste sich wohlfühlen und tanzen und knutschen. Obwohl die Gäste wissen, daß sie die Party wild gestalten müssen, um überhaupt in der Show zu erscheinen, sind die Teilnehmer am Anfang immer etwas schüchtern. Sherri trug ein lila Kleid mit Pailletten (ich meine, es sah auf meinem Bildschirm lila aus) und dazu passende lila Pumps, die genauso glitzerten wie Dorothys im Lande Oz. Ihr langes, gerades braunes Haar wurde vorne mit einer glitzernden Spange zurückgezogen, und ihr Gesicht war quer von einem riesigen roten Lächeln gespalten. Ihre Haut war makellos und olivfarben. Sie war ungefähr dreißig Jahre alt.
Woody Latrek, um die fünfunddreißig, strahlte mit aller Macht. Meine Pupillen zogen sich regelrecht vor dem grellen Glanz seiner Zähne zusammen. Das Haar: trockener Look und dick wie Fell. Der Anzug: glänzend, als ob Fliegen daran kleben bleiben könnten, aber schon irgendwie cool, wenn man versteht, wie ich das meine. Sherris weiche volle Lippen berührten Woodys sauber rasierten Wangenknochen. Alle Welt wußte, daß sie ein Paar waren.
Sherri winkte der Menge zu und sagte: »Hallo, ihr da!«
Woody tat es ihr gleich und sagte: »Feiert mal schön!« Und machte dann ein Alles-in-Ordnung-voll-cool-Daumen-hoch-Zeichen. Sabrina konnte ihre Genervtheit über die beiden kaum verbergen. Die Menge jedoch genoß die aufgedonnerte Anziehungskraft dieses Plastikpaares. Sie waren überschäumend, glitzerig und immer guter Laune. Konnte man sich ein besseres Team zum Animieren und Mitfeiern für eine Fete wünschen? Woody fuhr fort: »Wir hatten eine ganz tolle Fete!«
»Wirklich?« soufflierte Sabrina.
»Ganz wirklich«, nickte Sherri. »MAZ ab.« Eine Videomontage füllte den halben Bildschirm aus. Man sah Eric, den Schlägertypen vom Bau, der ein Bier nach dem anderen hinunterkippte. Den ruhigen Tony, der versuchte, cool zu wirken, und eindeutig hoffte, er würde nicht dabei erwischt werden, wie er sein Budweiser in einen Blumentopf goß. Eine Schnittfolge mit der Stewardess zeigte, wie sie jeden der anwesenden Männer abknutschte, mit zunehmender Hitzigkeit. Linda Leopardenmuster war gefilmt worden, wie sie ihr Makeup im Badezimmer auffrischte. Als sie wieder hinausging, kam Tony mit einem Teller vom Büffet für sie herübergedackelt. Mit einem Stoß schleuderte sie den Teller in die Luft und stelzte von dannen. Tony sammelte die Bonbons vom Boden und stand gerade auf, als Sandra zu ihm gehüpft kam. Sie aß den Süßkram und küßte Tony dafür, daß er solch ein Gentleman war. Eric und Darren klopften sich gegenseitig auf die Schulter, wenn sie erfolgreich, aber nicht besonders subtil, mit ihren Ellbogen die Brüste der weiblichen Partygäste berührt hatten, selbst Sherris. Eine entsprechende Aufnahme von Sandra, wie sie sich an Woodys Brust rieb, blitzte kurz auf. Die Montage lief noch ein bißchen weiter, dann war sie zu Ende.
Woody drohte spielerisch Eric und Darren: »Nehmt euch nach der Show in acht, ihr beiden!«
Sherri zwitscherte: »Also Woody, Liebling! Jetzt sei mal nicht so eifersüchtig. Und was dich angeht, Sandra, würde ich an deiner Stelle aufpassen, wo deine Hände überall hingeraten.«
Sabrina wandte sich an die Zuschauer: »Okay. Wir schreiten zur Wahl. Die Schalttafel ist vor euch. Bitte wählt nur ein Mädchen und einen Jungen. Die Gewinner werden als Ultimate Party Girl und als Ultimate Party Guy gekrönt, und wir werden die beiden nach Jamaika schicken, wo sie weiter fetzen dürfen. Ihr habt sie gesehen und gehört, ihr Lieben. Auf geht’s.« Sherri und Woody winkten auf Wiedersehen und gingen, wobei ihre Schuhe ein rasches Stakkato auf dem Parkett
klickerten. Sabrina sagte eine letzte Spot-Unterbrechung an. Danach würden die Gewinner gekrönt.
»Bitte laß Tony gewinnen«, sagte ich und war sofort peinlich berührt.
»Tony? Du bist ja verrückt. Dieser Darren sollte gewinnen. Er ist der süßeste von allen dreien.«
»Er ist ein widerlicher Typ«, sagte ich, »und seit wann unterstützt du nicht mehr den Underdog?«
»Ich habe doch Max unterstützt.«
»Ich dachte immer, du unterstützt mich.«
»Wirst du jetzt Bev anrufen oder nicht?«
»Halt die Klappe.«
»Ich kann zufällig ihre Telefonnummer auswendig.«
»Und ihre Adresse auch?«
»Was?« fragte Santi. »Natürlich weiß ich ihre Adresse auswendig. Ich kenne die Adressen aller meiner Kundinnen auswendig.«
»Wie viele? So um die zehn?« Ich fragte mich, ob sie wohl meine dreißig schlagen könnte.
Santina sah mich an, als würde ich langsam den Zugriff auf meine Vernunftreserven verlieren, und sagte dann: »Nur zu deiner Information, ich unterstütze natürlich insgeheim Tony, aber ich will das nicht gefährden, indem ich es laut sage. Also, nun weißt du es, Fräulein Verrückte Nuß.«
Die Show ging weiter. Die fünf Wettbewerber saßen ruhig da, und Sabrina sog noch einmal an ihrer Zigarette. Ich zündete mir auch noch eine an. Santi zog eine Grimasse.
»Heute ist die Entscheidung besonders knapp gewesen«, sagte Sabrina und ließ ihre Hand an einem Bein bis zum Rocksaum hochgleiten, »aber das Ergebnis ist endgültig. Zum Ultimate Party Girl haben die Zuschauer gewählt... Sandra!« Die Stewardeß fiel fast aus ihrem Lambadakleidchen. Sabrina fuhr fort: »Und als Ultimate Party Guy will das Publikum weiterfeiern mit... Tony!«
Ich konnte es kaum glauben. Der hatte noch nicht einmal enge Hosen an. Santi schlug mir vor Begeisterung auf den Schenkel. Tony blickte um sich, selber auch wie unter Schock, und stand auf. Sandra sprang auf ihn zu, und sie umarmten sich. Seine Arme gingen fast zweimal um ihre winzige Taille herum. Ich machte mir innerlich eine Notiz, öfter Flugzeugfraß zu mir zu nehmen. Sabrina sagte ihre Abschiedsworte, und die beiden Gewinner begannen, miteinander zu tanzen. Tony schwenkte Sandra hinab und ließ sie fast auf dem Boden aufkommen. Sein Kopf verdeckte meinen Blick auf Sabrina.
In dem Moment hörten wir das Knallen. Ich dachte eine Sekunde lang, es sei der Hosenknopf von irgend jemandem gewesen. Aber dann flog Tonys Kopf in alle Richtungen auseinander. Sein Körper brach auf dem Fußboden zusammen und begrub Sandra unter sich. Die blutigen Reste seines Schädels waren in ihrem Ausschnitt verkeilt. Sie schrie und versuchte, sich zu befreien. Sabrina saß bewegungslos auf ihrem Stuhl und ließ ihre Zigarette zwischen den mittleren Fingern baumeln. Sandra schaffte es endlich, unter Tony hervorzukriechen, ihr Busen vollgekleckert mit dicken, dunklen Stücken und glitschigem Glibber. Das Publikum brach in einen höllischen Tumult aus, und nach einigen Sekunden verdunkelte sich der Bildschirm. Das Blut allerdings war ziemlich rot gewesen, selbst auf meiner alten Glotze.