Der Fleischbeschauungsmarkt

Nachts fahren die U-Bahnen eher selten in Brooklyn, also bestellte ich mir ein Taxi, das mich nach Manhattan bringen sollte. Während wir über die Brücke fuhren, wurde mir bewußt, daß ich wie eine Schlampe angezogen war. Ich hoffte, das würde Sabrina nichts ausmachen. Der Taxifahrer hörte einen Nachrichtensender. Das Blutbad bei Party Girls kam als erste Meldung. Anscheinend hatte die Polizei noch niemanden in Zusammenhang mit diesem Vorfall festgenommen, obwohl sie einige Personen verdächtigte. Sabrina Delorean war nichts geschehen. Tony Felluti war nur Minuten nach seiner Krönung zum Ultimate Party Guy an den Folgen eines Kopfschusses gestorben. Sein weibliches Gegenstück, Sandra Ulsen, hatte geringfügige Kratzer auf dem Rücken erlitten, weil Tony sie auf den Boden hatte fallen lassen. Die Polizei hatte auf einer der Laufplanken über dem Studio eine Pistole gefunden. »Fluch-Fluch«, murmelte ich vor mich hin, eine Angewohnheit, die sich in den letzten Monaten entwickelt hatte. Zuerst war mir das noch peinlich gewesen.

»Haben Sie ein Problem, junge Frau?« fragte der Taxifahrer unhöflich.

»Ich tendiere dazu, wegen meiner Klaustrophobie hysterisch zu werden, vor allem, wenn ich in Taxis sitze«, sagte ich. »Ich werde aber nur aggressiv, wenn man mich provoziert. Aber machen Sie sich mal keine Sorgen.« Den Rest des Wegs legten wir schweigend zurück.

Die Upper East Side von Manhattan zog draußen am Taxifenster vorüber, die Heimat so vieler Haushaltswaren- und Möbelladenketten, Hochhäuser und Luxusdomizile mit Doormen und unterirdischen Parkgaragen. Auf den Avenuen, auf der Madison, Park und Lex waren die überteuerten Kleiderläden, Boutiquen, Geschäfte für Designerklamotten für die Haustiere und Friseurläden (inklusive Santis), von denen behauptet wird, daß sie die Touristen anzögen. In allen Straßen oberhalb der Fifty-seventh Street kostet ein Burger mit Pommes im Diner einen ganzen Zehner. Wenn man keinen Diner findet, gibt es immer noch irgendeinen freundlichen irischen Pub mit Bildern von Pferden und dem Mull of Kintyre an den Wänden. Die Upper East Side ist im übrigen auch die Heimat von Max Greenbaum, hatte ich das schon erwähnt? Seine Wohnung lag noch weiter Uptown als Sabrinas, so daß ich mich nicht durch die Übung zu quälen brauchte, ob ich in der Lage wäre, seine Nähe zu spüren oder nicht.

Während das Taxi an Bloomingdale’s vorbeifuhr, gestattete ich mir langsam, darüber in Aufregung zu geraten, daß ich gleich Sabrina Delorean kennenlernen würde. Ich fragte mich, ob sie sicher aus dem Studio hinausgekommen war. Ich hoffte, Lola würde bei ihr sein. Ich zählte die Gourmet-Delis, als wir von der Sixty-second Street auf den Sutton Place um die Ecke bogen. Der Taxifahrer bremste vor Sabrinas Gebäude. Gegenüber gab es ein teures französisches Restaurant. Max und ich hatten dort unser einjähriges Jubiläum gefeiert. Ich bezahlte den Fahrer und sprang aus dem Taxi auf die Straße. An sich war es eher untypisch warm für November, aber ich fror. Ich hätte wohl eine Unterhose anziehen sollen.

Sabrinas Gebäude hatte eine pagodenartige Aufgangsrampe. Ich ging über die Brücke hinüber in die mit Spiegeln vollgehängte Eingangshalle. Dicke Säulen stützten die Wände. Die Menschen, die kamen und gingen, waren weißer als die Tünche und reicher als der Onassisclan. Ich fühlte mich in meinem Trainingsanzug und meinen Turnschuhen fehl am Platz. Es folgte sofort mein Groll darüber, daß ich mich fehl am Platz fühlte. Dann Schuld wegen des Grolls, dann Wut wegen der Schuld. Der Dominoeffekt der Emotionen endet in der Regel meistens wieder bei Schuld. Ich fragte mich, ob Santina darauf irgendeinen Einfluß hatte.

Der Lieferjunge eines Einkaufsservice für beschäftigte Reiche redete mit dem Doorman, während ich mir die Umgebung ansah. Die Lobby hatte ein hochtechnisiertes Sicherheitssystem mit Kameras am Aufzug, Bildschirmen von der Halle, Laseralarmanlagen, Magnetstrahlen, tragbaren Phasenverschiebern und einer sich drehenden Kommandozentrale für den Leiter der Starfleet. Mein Haus hatte an der Tür ein Doppelschloß. Dafür besitze ich aber eine Pistole. Das gleicht die Dinge wohl aus.

Der Lieferjunge ging weg. Ich näherte mich dem Tresen des Doorman. »Mallory für Sabrina Delorean«, sagte ich, vielleicht ein bißchen zu energisch. Er könnte mich für einen verrückten Fan aus Downtown halten. Ich hätte meine Brille tragen sollen. Sie läßt mich aussehen, als ob ich es ernst meinte, oder sagte Alex das nur ironisch?

Der Doorman, ungefähr fünfzig Jahre alt, verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen, aber ich konnte dennoch erkennen, daß sie die grüne Farbe von Gras im Juni hatten. Er riß sie sofort wieder weit auf. Sie sahen genauso tief aus wie meine Geldbörse — nicht besonders tief also, vor allem nicht an Wochenenden. Er trug einen Anzug von Armani und ein graues Seidenhemd. Ich konnte von meiner Stelle aus seine Schuhe nicht erkennen, aber wenn sie seine Füße beengten, so war ihm das nicht anzusehen. Er schürzte leicht die Lippen und berührte seine Nase. Er sah aus wie ein Typ Mann, der auf Titten steht.

»Was kann ich für Sie tun?« fragte er höflich. Auf dem Goldschildchen vor ihm stand Mick geschrieben. Kein Nachname. Sein Lächeln wirkte etwas schmerzlich.

»Mallory, für Sabrina Delorean«, wiederholte ich. »Ich werde erwartet.«

Er berührte erneut seine Nase und rief aus: »Ach, Sie sind dieses Detektivmädchen, nicht wahr?«

»Frau«, korrigierte ich.

»Detektiv-Frau also«, sagte er. »Sabrina hat mir schon gesagt, daß Sie kommen, damit ich weiß, daß Sie kommen.« Er lächelte. Er steckte die Hände in die Tasche und ließ sich auf den Hacken hin und her schwingen.

»Und da bin ich also«, entgegnete ich hoffnungsvoll.

Er schwankte noch ein bißchen hin und her, die Hände immer noch in den Armanitaschen versenkt. Ich wollte gerade damit anfangen, vor seinen Augen mit den

Fingern zu schnipsen, als er sagte: »Sie machen sich Sorgen um Sabrina, nicht wahr?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte ich.

»Sie ist heute fast erschossen worden, wissen Sie.« Er machte tztztz, als ob ihn das tief berühre. »Sie hat mächtig, mächtig Ärger.« Vielleicht wußte er etwas. Er könnte ja eine Klatschbase sein. Er starrte mich an und berührte seine Nase.

Ich berührte meine Nase. Entweder zeigte er mir einen Schmuddelflecken, oder das hier war ein bizarres Nachstellen gewisser humoristischer Filmszenen. »Wirklich?« hakte ich wie nebenbei nach. »Was für Ärger denn?«

Der Doorman lachte breit. Dann lächelte er mich an, und seine grünen Augen wurden dabei feucht. »Nichts, womit Sie nicht klar kommen würden, Frau Detektivin. Es ist das Penthouse, der Aufzug zu Ihrer Linken.« Er zeigte mir die Richtung, und ich folgte dem roten Läufer, der auf eine Reihe von Aufzügen zulief. Ich würde Sabrina ganz bestimmt nach Mick fragen.

Der oberste Knopf war mit P bezeichnet. Ich ging davon aus, daß das Penthouse heißen sollte. Die rasche Fahrt nach oben ließ es mir ein bißchen schlecht werden. Ich war gerade damit beschäftigt, mein Haar vor den gespiegelten Türen des Lifts hochzuzupfen, als sie sich öffneten — direkt in Sabrinas Wohnung. Das erste, was ich sah: Sabrina und Lola Lipsansky, die auf dem Bärenfellteppich im Wohnzimmer saßen. Sabrina flocht gerade Lolas Haare. Lola sah mich, sprang auf die Füße und lief zu mir. Als sie dicht genug herangekommen war, lehnte sie sich an mich und küßte mich auf die Wange. Dabei flüsterte sie mir ins Ohr: »Benimm dich normal. Wenn du hier Scheiße baust, bist du totes Fleisch.«

Ich berührte meine Wange. »Du hast mich geküßt«, sagte ich. Lola hatte mich noch nie zuvor geküßt — ihre gelegentlichen Anfälle von Zuneigung hob sie sich für Fremde in der U-Bahn auf. Lola lächelte mich falsch an. Ich wandte mich Sabrina zu.

Sie kämpfte gerade damit, aufzustehen, und sah aus wie eine rothaarige Giraffe. Ich war nicht darauf vorbereitet, wie groß Sabrina in Wirklichkeit war. Meine Stirn reichte ihr gerade ans Schlüsselbein. Meine Brüste waren auf der Höhe ihrer Taille. Ich fühlte mich einen schrecklichen Moment lang klein und alt und war vollkommen aus der Fassung gebracht von ihrer strahlenden Schönheit. Sabrina sagte: »Danke, daß du gekommen bist«, und streckte mir ihre Hand entgegen. Sie war erstaunlich ruhig, wenn man die gerade vergangenen Ereignisse bedenkt. Sie trug immer noch dieselben Sachen, die sie während der Show angehabt hatte, außer den Schuhen. Auf ihrer Schulter war ein bräunlicher Fleck.

Es war merkwürdig, Sabrina in drei Dimensionen zu sehen. Der Unterschied lag wohl in der Tiefenschärfe.

Es folgte ein ungemütlicher Moment, ehe ich bemerkte, daß ich mit dem Reden dran war. »Das ist ja schrecklich, was da passiert ist.«

»Komm doch herein«, sagte Sabrina schlicht und führte mich in das tiefer liegende Wohnzimmer.

Ich stolperte etwas, als ich die Treppenstufen hinunterging, konnte mich aber gerade noch graziös retten. Die Wände waren lila gestrichen, mit blauen und weißen Streifen. Das lila Sofa sah aus, als wäre es gerade gereinigt worden. Tierfelle lagen über einem rot und lila gepunkteten Teppich. Schlichte weiße Leinwände mit großen Zeichnungen hingen überall, außer an einer Wand, die von einem massigen Unterhaltungszentrum bedeckt war. Es hatte gefrostete Glastüren und gerundete Ecken, was ich sehr Long-Island-mäßig fand. Das Unterhaltungszentrum beherbergte einen Fernseher, Videorecorder, CD-Spieler, Verstärker, Radio, Kassettenspieler, Plattenspieler, eine Super-Nintendo-Basis, einen Anschluß für das Zellulartelefon, einen CD-Walkman und ein paar Gameboys. Sabrina hatte eindeutig etwas für Elektronik übrig.

»Also hast du die Show gesehen«, sagte Sabrina, während sie sich auf die Couch warf. Sie wirkte im richtigen Leben geschmeidiger.

»Wie geht es dir jetzt?« fragte ich.

»Prima. Wirklich. Mir geht es prima.« An Sabrinas Seite nickte Lola. Sabrina kippte ihren Kopf hintenüber, und die Haare schwangen mit. Ihre Haut war unter dem Make-up ascheweiß.

Ich blubberte: »Ich bin ein großer Fan von dir.« Sie lächelte ein wenig, ihre Augen gingen in die Ferne. »Was hast du genommen?« fragte ich.

»Zanpac«, sagte sie. »Ein schwaches Mittel gegen Zwangsneurosen.«

»Das könnte meine Katze auch gut gebrauchen«, sagte ich. »Die hat ein Problem mit einem Melkzwang.«

Lola blickte mich streng an, während sie Sabrinas Rücken streichelte. Sie trug eine fransige Bolerojacke und braune Wildlederstiefel. Eindeutig steckte sie tief in der Cowboyphase. Lola ist blond, lang und dünn. Sie hat keinen Busen, und ihr Hintern ist eindeutig der eines Teenagers. Ihre Haare, die normalerweise ganz hochtoupiert sind, waren heute flach gebürstet worden und geflochten. Sie sahen naß aus. Ihre Nase sah spitzer aus denn je. Lola sagte: »Sabrina, mit Wanda kannst du dich entspannen. Sie ist cool.«

Ich war geschmeichelt und nickte selbstzufrieden mit dem Kopf. Sabrinas Augen blitzten immer wieder zum Unterhaltungszentrum hinüber. »Der heutige Abend ändert mein ganzes Leben, Wanda. Ich bin eine Gejagte«, erklärte sie. Klingt wie der Text eines Heavy-Metal-Liedes, dachte ich. Es gefiel mir, daß sie mich duzte, ohne vorher gefragt zu haben. Ich fragte mich, von welch großer Wichtigkeit unser Altersunterschied von fünf Jahren war.

Ich stand immer noch. Ich ging hinüber zum Unterhaltungszentrum, wobei ich knapp einem gußeisernen Wohnzimmertisch mit Glasplatte auswich. Die Mädchen blieben auf der Couch sitzen. Ich fragte: »Ist das die Aufnahme?«

Sabrinas braune Augen traten förmlich hervor. Sie fragte: »Woher hast du das gewußt, daß die Kassette eingeschoben ist?« Offensichtlich war sie beeindruckt.

»Nichts einfacher als das,« sagte ich und zeigte auf das blinkende Kassettensymbol des Videorekorders. »Wenn du es verkraften kannst, dann sollten wir uns die Sache gemeinsam ansehen und schauen, ob wir Hinweise finden.«

»Das können wir jetzt gleich machen.«

»Du kannst das noch nicht verkraften.« Das war Lola.

»Mir geht es prima.« Sabrinas Stimme hatte einen Knacks. »Ich bin ein erwachsener Mensch, und mir geht es prima.« Nicht sehr überzeugend.

Ich stellte die Geräte an und drückte auf die »Play«-Taste. Die heutige Sendung von Party Girls kam auf den Bildschirm. Eric fragte Sandra: »Wie heißt du noch mal?« Ich spulte schnell vor, um zum eigentlichen Moment zu kommen. Tony, gerade gekrönt, wie er Sandra hinabsenkt. Tony erschossen, wie Teile seines Kopfes nach hinten kippen. Das Paar, wie es auf dem Boden ringt, Sandra weint. Tony voller Blut.

Es war ziemlich intensiv. Ich merkte sofort, daß ich da einen Fehler gemacht hatte. Ich drückte auf Stop und wandte mich zu Sabrina. Sie blickte mich geradeheraus an und sagte: »Ich weiß einfach, daß diese Kugel mir gegolten hatte.« Sie war erstaunlich ruhig. Ich fragte mich, welchen Anteil die Zanpacs an dieser Ruhe hatten.

Von den Stufen beim Aufzug kam die Stimme einer Frau: »Denk daran, was wir über positives Denken gesagt haben, Sabrina.« Eine Frau mit leicht angegrauten roten Haaren, einer entzückenden (naja, sagen wir gut erhaltenen) Figur und einem einfachen Donna-Karan-Rock-mit-Jacke-Ensemble drohte mit dem Finger. »Die Menschen leben länger, wenn sie sich einen positiven Zugang zur Welt bewahren. So. Und Sie müssen Lolas Freundin, die Detektivin sein.«

»Wanda«, sagte Sabrina. »Darf ich dir Patty vorstellen. Sie hat mir die Tabletten verschrieben.«

Patty und ich schüttelten uns die Hand. Es war gut, jemanden mit im Zimmer zu haben, der älter war als ich. Ich sagte: »Wanda Mallory, Detektivin und Negativdenkerin.«

»Es tut mir leid, das zu hören«, sagte sie. »Negatives Denken fördert nur Verletzungen. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.«

»Aber sie denkt nicht immer negativ«, schritt Lola für mich ein.

Ich beobachtete, wie Sabrinas Aufmerksamkeit von Patty an die Decke schwebte. Lola glättete Sabrinas Haare. Eindeutig hatte ich keinen Überblick mehr. (Aber hatten die anderen ihn?) »Sie sind also die hausinterne Seelenklempnerin?« fragte ich.

»Ich bin Sabrinas Mutter und auch ihre Psychiaterin.«

»Und Sie wohnen hier. Mit Ihrer vierundzwanzig Jahre alten Tochter.«

»Finden Sie das ungewöhnlich?«

»Ja, ziemlich.«

Mit vierundzwanzig war ich schon seit Jahren selbständig gewesen. Lola war mit sechzehn von zu Hause ausgezogen.

Patty schürzte ihre rosa Lippen. Ihre warmen braunen Augen wurden schmal. Ich fragte mich gerade, ob ich wohl etwas zu weit gegangen war, als sie sagte: »Sie haben selbstverständlich das Recht, sich Ihre eigene Meinung zu bilden.«

Ich erinnerte mich schwach daran, einmal im People Magazine gelesen zu haben, Sabrinas Vater sei gestorben, als sie noch ein kleines Kind war. Ihre Mutter hatte sie allein großgezogen. Ich konnte mir vorstellen, daß Patty eher der übermäßig beschützende Typ Mutter war. Ich sah plötzlich Bev Greenbaum vor mir.

»Könnten wir jetzt mal zur Sache kommen?« fragte Lola. Ich konnte mir für mein Leben nicht vorstellen, wie sie mit den Deloreans bekannt geworden war.

»Ja, dann wollen wir mal«, sagte Sabrina. Patty setzte sich auf einen der gelben Sessel. Ich setzte mich ihr gegenüber. »Alles fing vor ungefähr einer Woche an«, fuhr sie fort. »Ich habe die erste in einer Tiffany-Kiste in meiner Garderobe im Studio gefunden.«

»Die erste was?« fragte ich.

Patty und Sabrina starrten die von einem Schal bedeckte Kiste auf dem gußeisernen Kaffeetisch an. Lola setzte sich vor und faßte mit den Fingerspitzen den Schal an. Und ich hatte gedacht, darunter würden sich irgendwelche Horsd’oeuvres verbergen. Mit einem Ruck warf Lola den Schal in eine Ecke, und es kam ein Aquarium zum Vorschein — aber ohne Fische.

»Ach du Scheiße«, brach es aus mir heraus. Ich lehnte mich so weit zum Glas vor, wie ich es irgend wagte. Es waren acht darin. Alle waren sie schwarz, sehr haarig, und hatten Köpfe in der Größe eines Quarters mit winzigen roten Augen und schwarzen Fangzähnen.

»Taranteln sind in stärkerem Maße einschüchternd als wirklich gefährlich«, sagte Patty. »Sie sind das, woraus Legenden und Religionen ihre Stoffe beziehen, und in der Psychologie haben sie als Symbol große Bedeutung.«

»Und sie sind eklig«, steuerte Sabrina bei. Das war auch das, was ich gerade dachte.

»In Träumen sind sie das Böse. Oder die Hilflosigkeit«, fuhr Patty fort. »In einem Netz gefangen sein.«

Lola piekste eine der Spinnen mit einem langen Stock. Sie schrubberte über den Boden des Aquariums und blieb dann in der gegenüberliegenden Ecke stehen. Ich fühlte mich mehr als nur ein bißchen angegruselt, aber ich konnte mich nicht dazu bringen, wegzusehen. Irgend etwas an diesem Bild war falsch. Ich schaute noch einmal in die Ecke schräg gegenüber. Die kleinste Arachnide ruhte dort und streckte trotzig eine einsame Gliedmaße in die Gegend. Die sichtbaren Lücken der fehlenden Beine waren verschorft. Ich setzte mich mit einem Ruck wieder aufrecht.

»Die erste hatte alle acht Beine. Die nächste hatte sieben, und so weiter runter bis zur Einbeinigen von heute abend«, berichtete Lola. »Wir wollten keine Gnadentötungen durchführen, aber wir konnten sie ja auch nicht das Klo runterspülen. Stell dir einmal vor, wie sie wieder hochgekrochen kommen und dich in den Hintern beißen.« Sabrina schauderte bei der Vorstellung. Lola klopfte ans Glas. Die Achtbeinige sauste hinüber und biß einer anderen amputierten Spinne ins Hinterteil. Ich bekam eine Gänsehaut. Lola schien keine Angst zu haben.

»Ziemlich beschissen schrecklich, was?« fragte sie und kommentierte wohl meine Gedanken mit dieser Äußerung, was in letzter Zeit eindeutig zu oft geschah. Patty zuckte mit keiner Wimper wegen Lolas Sprachgebrauch. Ich fragte mich, wie tolerant sie wohl war.

»Beschissen schrecklich ist der richtige Ausdruck«, sagte ich. »Also, wir haben hier acht Taranteln, sieben davon verstümmelt. Was ist mit den Briefen?«

»Welche Briefe?« fragte Lola.

»Briefe.«

»Keine Briefe«, flüsterte Sabrina. »Nur Spinnen, in Seidenpapier eingewickelt und in einer Kiste von Tiffany.« Sie war immer noch bei uns, aber das Beruhigungsmittel nahm immer stärker von ihr Besitz.

»Sie rutschen auf ihren Bäuchen umher«, beobachtete sie ruhig, »Heute abend fühlen sie sich gefährlich.«

»Hast du irgendeine Regelmäßigkeit bemerkt, was ihre Ablieferung angeht?«

»Also irgendwas außer der Tatsache, daß sie alle in Kisten von Tiffany gesteckt haben?« fragte Sabrina. »Das habe ich allerdings bemerkt. Haben wir alle.«

»Du sagtest, schon vor der Schießerei heute abend hätte es Morddrohungen gegeben«, half ich ihr auf die Sprünge.

Patty unterbrach mich. »Wir sind sehr erleichtert, daß Lola eine Privatdetektivin kennt.«

»Ich habe Sabrina und Patty erzählt, wie unglaublich gut du bist«, sagte Lola und nickte heftig.

»Wir waren sehr beeindruckt«, fügte Patty hinzu. »Vor allem, als wir hörten, daß Sie einmal sechs Bankräuber mit Ihrer Wimperntusche entwaffnet haben.«

»Du erinnerst dich doch noch daran?« flehte Lola mich an. Sie kaschierte ein Zwinkern als Staubkorn im Auge.

»Wie könnte ich es vergessen?« schwelgte ich. Dann fragte ich: »Hat Lola euch denn schon von dem Mal erzählt, als sie ganz allein einen international gesuchten Terroristen dingfest gemacht hat, der versuchen wollte, das Gebäude der Vereinten Nationen in die Luft zu jagen?« Patty und Sabrina wandten sich Lola voller Bewunderung zu. Lola war genervt.

»Vielleicht sollten wir uns wieder auf diese Spinnenangelegenheit konzentrieren«, sagte sie ungeduldig.

»Ich bin ein Fan von dir, Sabrina, aber Fälle mit Krabbeltieren übernehme ich nicht«, warnte ich sie.

»Wir zahlen Ihnen eintausend Dollar am Tag, um Sabrina vor Schaden zu bewahren.« Das war Patty. »Und um herauszufinden, wer diese Abscheulichkeiten an Sabrina schickt.«

»Irgendeinen Verdacht?« fragte ich.

»Sabrina«, wies Patty sie an, »kannst du über das Ereignis von letztem Jahr sprechen?«

Sabrinas Blick schwebte auf mich zu. Sie sagte: »Ein Mann hat versucht, mich anzugreifen, und ich habe ihn auf die Gleise der U-Bahn geschubst. Er wurde von einem Zug erfaßt.« Sabrina Delorean fuhr U-Bahn? »Sei bitte nicht geschockt«, fuhr sie fort. »Er hatte mich über eine Stunde lang verfolgt. Ich dachte, ich könnte ihn abhängen, wenn ich in die U-Bahn verschwände. Aber ich wurde ihn nicht los. Er holte mich ein und versuchte, mich zu vergewaltigen. Er drückte mich gegen die Wand am Gleis. Er faßte mich an. Ich habe ihn weggeschoben. Ich wußte nicht, daß da eine U-Bahn kam.«

»Und der ist von den Toten auferstanden und hat jetzt eine Spinnenneurose?« fragte ich.

»Er ist nicht gestorben«, wimmerte sie. »Er hat sich verletzt, aber er lebt noch. Zumindest glaube ich das. Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.«

»Wer ist es denn?«

»Sein Vater arbeitet im Studio«, sagte Patty. »Er heißt Buster Singer.«

»Sein Vater besitzt das Studio«, wurde Lola etwas ausführlicher.

Mein Kopf wirbelte. Wie hatte Sabrina nur ihren Job behalten können? Ärgern derartig gewalttätige Begegnungen mit Familienmitgliedern nicht den Leiter eines Fernsehsenders?

»Was passierte also mit ihm?«

Patty und Sabrina sahen sich an. Endlich meldete sich Patty zu Wort. »Er verlor ein Bein«, sagte sie.

Das ließ ich erst einmal sacken. »Gibt es noch weitere Spinnefeinde?«

»Es ist doch eindeutig, daß er es war«, insistierte Patty.

»Redet er viel?« fragte ich und steckte die Hand in die Tasche, um mir eine Zigarette zu nehmen. Sabrina und Patty sahen beunruhigt aus, als fürchteten sie, daß ich nach meiner Pistole suchen würde. Ich fand meine Packung, fischte eine Kippe heraus und zündete sie an. Ich fragte: »Könnte ich Lola mal für fünf Minuten allein sprechen, bitte?« Ich wollte geradeheraus reden können. Leute aus Brooklyn sind darin ziemlich gut.

Sabrina rutschte von der Couch herunter und ließ ihren Kopf in Lolas Schoß fallen. Sie wimmerte: »Nein, Lola, bleib bei mir.«

Lola warf mir einen flammend bittenden Blick zu, den ich aber nicht ganz verstand. Ich stand auf und wandte mich Patty zu. »Zweitausend am Tag«, sagte ich.

»Fünfzehnhundert.«

»Anzahlung von dreitausend«, ging ich den Kompromiß ein. »Zu bezahlen bei Auftragsvergabe.« Sie nickte und holte einen Packen Dollars aus der Tasche ihres Blazers.

»Können Sie heute abend anfangen?« fragte sie.

Da mußte ich leider noch eine unerledigte Sache zuende bringen. »Morgen früh. Heute abend stelle ich Ihnen nicht in Rechnung.«

»Wir treffen uns um neun in Ihrem Büro«, sagte sie. Das war eine Uhrzeit, die mich schon lange nicht mehr wach gesehen hatte.

»Ich muß noch ein paar Recherchen vorab erledigen«, sagte ich.

»Neun Uhr dreißig. Bis dahin.« Patty streckte mir die Dollars entgegen.

Ich nahm das Geld und sagte: »Bis morgen also.«

Lola strich Sabrina über den roten Pagenkopf. Er glänzte einfach wunderbar. Ich ging zum Aufzug und drückte den Rufknopf. Lola warf ich einen Handkuß zu. Der Aufzug kam und ging wieder. Ich sank mit ihm in die Tiefe.

Draußen marschierte ich den Bürgersteig entlang. Taxis krochen langsam an mir vorbei, auf der Suche nach großzügigen Trinkgeldgebern. Ich rief Alex von einer Telefonzelle aus an. Niemand ging dran. Ich schaute auf meine Uhr: zwanzig nach. Ich hinterließ ihm auf seinem Anrufbeantworter eine Nachricht, er möge zu der unanständigen Zeit von halb neun Uhr morgen früh bei Do It Right sein. Ich machte keine Andeutungen darüber, wer unser Kunde sei. Allerdings erwähnte ich einen Geldbetrag, damit ich sicher sein konnte, daß er aufkreuzte.

Ich machte mich auf zur First Avenue, wo ich einen guten Diner kenne. Der nächste Gedanke gehörte dann Max. Ich überdachte die Essensfrage noch einmal zugunsten eines flacheren Bauches und ging in Richtung von Max’ Wohnung auf der Sixty-third und Second. Sein schwarzgläsernes Dies-ist-ein-Phallus-Symbol-Gebäude hat vierzig Stockwerke. Max lebt allein in einem der dreißig Apartments in seinem Stockwerk. Seine Inneneinrichtung sieht genauso karg aus wie meine, mit dem Unterschied, daß seine durcheinandergewürfelte Ansammlung von Möbeln tatsächlich Geld gekostet hat. Ethan Allen und Conran’s waren beide nur wenige Blocks entfernt. Die Farben, hauptsächlich Blau- und Grautöne, ließen das Zimmer aussehen wie einen selbstgemachten Quilt vom großen Landsitz der Familie. Max hat eine Katze namens Sydney, nach irgendjemandes

Zahnarzt benannt. Sein Set von Yamahatrommeln steht neben der Stereoanlage. Max spielt gerne zu Platten. Gelegentlich singe ich mit.

Wir hatten uns auf eine nette Weise kennengelernt. Ich war in der Zeit davor nur mit irgendwelchen Arschlöchern ausgegangen, und Santina, Herrin über mein Liebesieben, hatte mir dauernd einen Typen aufdrängen wollen, den sie in ihrem Friseursalon kennengelernt hatte. Die Mutter des Typen kam alle paar Wochen zu einer neuen Tönung. Sie wohnte draußen in irgendeinem Vorort und fuhr in die Stadt, um sich die Haare machen zu lassen. Der Sohn, so Santi, sei ein süßer Banker. Gegen das mit der Vorstadt oder das mit dem süß sein hatte ich nichts einzuwenden, aber Banker zog bei mir nicht. Ich dachte außerdem, Santina würde die Sache mit dem süß wahrscheinlich wie immer etwas übertreiben.

Santina bestach mich mit einer kostenlosen Tönung, und ich fuhr Uptown zum Friseursalon. Ich sah beschissen aus, als ich Max kennenlernte. Er sah total gut aus und hatte ausgesprochen durchdringende Pheromone. Wir unterhielten uns kurz über dem Haarwaschbecken: Small Talk, der übliche Bullshit. Wir konnten uns sowieso nicht so richtig unterhalten, weil Santina immer in der Nähe schwebte und die Sätze für uns zu Ende sprach. Ich spürte keine wesentlichen Liebeswellen in mir, obwohl ich von dem Pheromonkick, den er mir lieferte, beeindruckt war.

Am nächsten Tag fragte mich Santina, was ich denn so von Max hielte. Ich sagte, vergiß es. Ich würde lieber den Rest meines Lebens allein und ohne weitere Verabredung bleiben, als meine Zunge in den Mund eines Bankers zu stecken, egal wie süß er aussehen mochte.

Sie sagte, daß er nicht aufhörte, sich nach mir zu erkundigen, daß er ihr zwanzig Dollar gegeben hätte, damit sie ihm meine Nummer verrate, daß ich mal lieber mit ihm ausgehen sollte, sonst würde sie mir ein paar runterknallen. Ich sagte, er könne mich doch selber anrufen, wenn er mir irgend etwas zu sagen hätte. Innerhalb einer Stunde rief er mich von einem auf »Mithören« gestellten Telefon an, denen ich sowieso nicht traue. Unsere Unterhaltung ging wie folgt:

»Hier spricht Max Greenbaum«, sagte er, und es klang, als rufe er aus einem Tunnel heraus. »Santina hat mir deine Nummer gegeben.«

»Oder so was ähnliches«, neckte ich ihn. Ich war entschieden uncool.

»Ich würde dich gerne einladen.«

»Angenommen«, sagte ich enthusiastisch. Ich hoffte, das klang echt.

»Hast du irgendwann Zeit für ein Abendessen?« fragte er.

»Heute abend«, schlug ich vor. »Ich werde etwas Unbequemes anziehen.« Ich hoffte, das klänge ironisch.

»Tu das«, sagte er. Wir legten auf.

Wir gingen in ein Restaurant in Little Italy. Photos mit Autogrammen von italienischen Berühmtheiten wie Lina, der sizilianischen Zirkuskünstlerin, bedeckten die Wände. Wein wurde gallonenweise verkauft, aus Flaschen mit Schraubverschlüssen. Käse und Würste hingen in vielsagenden Arrangements von der Decke. Alle Kunden und Kellner sprachen italienisch, nur wir nicht. Die Kellner nannten uns dauernd dasjunge Liebespaar. Max wehrte sich auf sehr niedliche Art dagegen, aber auch nur einmal.

Bei einer ersten Verabredung esse ich nie. Das ist keine Regel, sondern ein persönliches Unvermögen. Mit zunehmender Dauer einer Beziehung verschwindet das Problem wie durch ein Wunder. Max aß von meinem Teller, was ich eher frech fand. Ich trug ein schwarzes Samtkleid, das mich aussehen ließ wie eine olympische Eiskunstläuferin. Max sagte mir später, daß er damals fand, ich hätte ausgesehen wie eine Fledermaus. Sein kastanienbraunes Haar war kürzer, als es heute ist, aber zu lang für einen Banker. Seine Augen waren grün und glitzerten. Sein Kinn war ein klitzekleines bißchen weich, aber dafür waren die Wangenknochen ausgesprochen scharf gestochen. Er trug Jeans und ein Marlboro-T-Shirt. Ich war erstaunt, wie genervt er von meinen Zigaretten war. Seine Zähne waren gerade und weiß, und ich konnte sehen, wie sich die Muskeln unter seinem Hemd bewegten. Seine Finger waren lang, und man weiß ja, was die Leute über Männer mit großen Händen sagen. Große Handschuhe brauchen die.

Ich hatte erwartet, daß er mir jeden Wunsch von den Augen ablesen würde, aber das tat er nicht. Er war spröde. Er war eingebildet. Er ließ sich von mir unterhalten, die Arme über der Brust gekreuzt, nickte gelegentlich und lachte zu den richtigen Momenten. Für einen Typen, der sich verliebt hat, hatte er schlicht die Ruhe weg. Ich nahm an, daß er einfach überkompensierte, weil er merkte, daß ihm die Nerven durchgingen. Ich versuchte, ihn (und mich) nach dem Essen zu entkrampfen, indem ich ihm meine Zunge in den Mund steckte. Wir bumsten bei der ersten Verabredung. Und ich rede hier nicht von einem Autounfall.

Später, nach ein paar Monaten ungefähr, lagen wir auf dem Bett und erinnerten uns voller Nostalgie an diese erste Nacht. Wir hatten die vorherige Nacht an derselben Stelle verbracht. Sie war in der Zwischenzeit getrocknet. Ich warf einen Schenkel über seinen Bauch.

»Du hast mich an dem Abend wirklich heftig begehrt, das konnte man richtig riechen.«

»Projizierst du häufig von dir auf andere?« fragte er. Er war therapieerfahren.

»Sag mir mal, wie sehr«, half ich ihm nach.

»Ich habe dich so sehr begehrt, daß ich mir zwei Schwänze gewünscht habe, mit denen ich dich hätte bumsen können.« Er ließ seine Hand mein Bein hinaufgleiten. »Gib zu, daß du mich noch doller wolltest«, raunte er mir ins Ohr.

»Nur in deinen feuchten Träumen.«

Er sagte: »Immerhin bist du diejenige, die Santina fünfzig Eier gegeben hat, damit ich dich anrufe.«

»Ich würde lieber meiner Leber auf Wiedersehen winken als fünfzig Dollar«, erwiderte ich und ließ meine Finger über Max’ Bauch streicheln. Man könnte Erbsen davon essen.

»Ich fasse es nicht, daß du das nicht zugeben willst«, sagte er, und es klang fast beleidigt.

»Liebling«, tönte ich glockenhell, »du hast Santina zwanzig Eier gegeben, um meine Nummer herauszubekommen.«

»Ich würde lieber meiner Leber auf Wiedersehen winken als zwanzig Dollar«, äffte er mich nach und küßte mich. Die Kolben in meinem Hirn kamen plötzlich in Gleichlauf. Ich spürte, wie eine Blutwelle mein Gesicht übergoß. Max bemerkte das auch. Seine Augen verrieten, daß er begriff.

»Ich bin reingelegt worden«, sagte ich und war vollkommen erstaunt. Es gab ein verlegenes Schweigen. Jetzt erst verstand ich seine Arroganz an jenem ersten Abend.

»Das ändert die Dinge doch nicht, Wanda«, stupste Max mich an. Ich ließ das Ganze noch einmal analysierend an mir vorbeirollen. Ich fragte mich, ob er mit mir ausgegangen wäre, wenn Santina ihn nicht hereingelegt hätte. Ich fragte mich, wie lange Santina hatte betteln müssen, um ihn weich zu bekommen, daß er mich anrief. Am meisten aber fragte ich mich, warum er dreißig Dollar mehr wert sein sollte als ich.

Wir bewältigten unser Unbehagen, indem wir uns die nächsten Stunden gegenseitig wie die Hunde besprangen. Als ich kam, flüsterte Max: »Na also« und küßte mich auf die Augenlider.

Während ich jetzt auf der Second Avenue in Richtung Norden ging, machte ein Typ im Anzug ein schlürfendes Geräusch, als er an mir vorbeikam. Ich war so geschmeichelt, daß ich einen Kotzanfall gerade noch herunterwürgen konnte. Es war gegen zehn Uhr an einem Freitagabend. Etliche College-Studenten sausten an mir vorbei, auf der Suche nach Wodka und blauen Daiquiris mit Schirmchen. Ich zählte Teppichläden und Designersupermärkte. Pärchen besuchten den Pornovideoladen an der Sixty-second Street. Es gab ein Poster im Fenster, auf dem die jüngste Neuheit angepriesen wurde: JKF- seine unpolitische Geschichte. Ich schaute hinein, erkannte aber niemanden dort. Dafür fiel mir auf, daß mehr als einer der Kunden Leder trug, während er sich Pornos besorgte. Ich ging weiter und bog an der Sixty-third Street um die Ecke, Max’ Block. Ein Berber fragte mich, ob ich Wechselgeld hätte. Ich gab ihm vier Fünfundzwanzigcentmünzen. Er gab mir eine frische Dollarnote zurück.

Max wohnte im dritten Stock. Ich ging die Treppe hinauf, um einen rosigen Teint zu bekommen. Im Treppenhaus legte ich mir rasch eine Rede zurecht. Sie fing so an: »Du hast vielleicht Nerven, mein Freundchen. Ich bin stinksauer auf dich.« Von da aus konnte ich immer weitermachen. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloß und drückte die Tür auf. Geradeaus, genau in meinem Blickfeld, saß Max mit einem Bier am Küchentisch. Er trug Jeans ohne Hemd und Socken. Die einzelne grüne Perle an einem Lederbändchen um seinen Hals blinkte im schwachen Licht. Seine Haare wogten um seinen Kopf.

»Ich habe dich schon erwartet«, sagte er.

»Du hast vielleicht Nerven, mein Freundchen«, fing ich an. »Ich bin stinksauer auf dich.«

»Was du gesagt hast, ist unverzeihlich«, stellte er fest. Er nahm zu keinem Zeitpunkt seine Augen von mir, während er das Bier an seine Lippen hob und trank.

»Unverzeihlich?«

»Das habe ich gesagt.«

»Nach meiner Definition heißt unverzeihlich >wütend für ein paar Stunden und nach dem Versöhnungssex stärker verliebt als vorher<.«

Max schüttelte ernst den Kopf und sagte: »Geh nach Hause, Wanda.« Er schob sich aus dem Küchenstuhl hoch und stapfte hinter die spanische Wand, die den Teil seiner Wohnung abtrennt, der als Schlafzimmer dient.

Ich kann Zurückweisungen durchaus erkennen, vor allem natürlich, wenn man sie mir derart um die Ohren haut. Und diesmal war ich auch nicht sicher, ob ich sie noch rückgängig machen konnte. Aber da ich nun schon einmal hier war, schaute ich mir den Kühlschrank an. Wie ich schon sagte, ich hatte Hunger. Ich nahm Brot heraus, um mir ein Peanut Butter and Jelly Sandwich zu machen. Ich hatte eigentlich vor, es für die Reise zurück nach Brooklyn einzupacken, aber da schaute Max hinter dem Schirm hervor. Ich hatte ein Messer in meiner Hand. Er sagte trotzdem: »Komm her.« Es war keine Frage. Ich warf das Messer in den Spülstein und attackierte ihn auf dem Bett. Ich küßte und umarmte ihn. Er ging nicht darauf ein.

Er sagte: »Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, mit meiner Mutter zu reden.« Die jeansbekleidete Ausbuchtung zwischen seinen Beinen hatte eine verlockende Kurve bekommen. Ich konnte mich nicht davon abhalten, sie zu bewundern und auch die Art, wie sein Bauch unter dem Bund seiner Jeans hinabsank. Seine Arme waren hinter dem Kopf verschränkt. Selbst Max’ Achselhöhlen hatten Charme.

»Ich habe den ganzen Abend mit Sabrina Delorean verbracht«, gab ich an, in der Hoffnung, damit das Thema ändern zu können.

»Die berühmte?« fragte er. Ich nickte und öffnete den Mund, um die ganze Geschichte zu erzählen, aber er sagte: »Versuch jetzt nicht, das Thema zu wechseln, Wanda.« Er konnte in mir lesen wie in einem Kaugummipapierchen.

Ich versuchte es mit: »Ich war eben so durcheinander«, da ich wußte, daß mir das in der Regel eine etwas entspanntere Atmosphäre einbrachte, zumindest aber ein Streicheln über den Rücken.

»Ich will, daß du dich bei meiner Mutter entschuldigst. Persönlich.« Das könnte ich nie. Allein schon der Vorschlag war eine Demütigung.

»Oder was?«

»Oder wir trennen uns.« Er sagte das mit so großem Ernst, daß ich es auch wirklich glaubte. Ich überdachte die Alternativen, die ich hatte. Dann wurde ich aber von den mächtigen Pheromonen, die von seiner Seite des Bettes auf mich einströmten, abgelenkt. Ich umarmte ihn, küßte ihn und kletterte auf ihn.

Er faßte mich um die Taille und ließ seine Zunge in meinen Mund gleiten. Er verursachte mir regelrecht Fieber. Er wurde unter mir steif. Ich rutschte von ihm herunter. Ich küßte ihn seinen Brustkorb entlang, nachdem ich kurz, aber sehr befriedigend in seinen Achselhöhlen gewesen war. Ich zog mit den Zähnen seinen Reißverschluß auf. Er machte winzige zwitschernde Geräusche, die mich an singende Vögel erinnerten.

Er hob meinen Kopf am Kinn hoch und sagte: »Benutzt du jetzt Sex als Waffe?«

»So etwas würde ich nie tun«, antwortete ich und versuchte weiterzumachen.

Er hob seine Hüften an, um das zu verhindern. »Du stehst mit der Aufrichtigkeit wirklich auf Kriegsfuß«, sagte er.

»Das tue ich mit Algebra auch. Es hat sich aber herausgestellt, daß ich auch das nie wirklich gebraucht habe.«

Er mußte gegen seinen Willen lächeln. Er rollte auf mich zu und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich — das sind nachts ungefähr 91 Kilo. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht und küßte meine Augenlider. Seine Hand versenkte er zwischen meinen Beinen. Ich hätte einen Rock tragen sollen. Ich spürte ein schwebendes Gefühl.

»Du würdest doch nicht etwa Sex als Waffe einsetzen, oder?« äffte ich ihn nach und hatte gar nichts dagegen, wenn er es doch täte.

Zwischen leidenschaftlichen Küssen sagte er: »Ich mache dir ein Angebot. Entweder du entschuldigst dich persönlich bei meiner Mutter oder du hörst eine Woche lang auf zu rauchen.«

Ich bedachte das eine Weile, während wir über- und untereinander rollten und uns mit den Hosen des jeweils anderen aufhielten. Ich konnte ja immer noch schummeln. »Nur um dir zu beweisen, daß ich nicht unterzukriegen bin, werde ich noch nicht einmal passiv mitrauchen.«

»Gut«, sagte er und lächelte. »Ich würde es ungern sehen, daß irgend etwas mit deinen schönen Lungen passiert.« Ich hatte den heimlichen Verdacht, er glaubte, daß ich es nie eine Woche lang durchhalten würde. Damit hatten wir den Gesprächsteil des Abends hinter uns gebracht.

Er nahm mir meinen Jogginganzug ab. Ich holte ihn aus seiner Hose. Wir bumsten. Es war gut. Ich kam mehr als zweimal, was mir nicht häufig passiert. Er schlief sofort ein, was ihm nicht häufig passiert. Kurz nach Mitternacht schlich ich ins Badezimmer und rauchte meine letzte Zigarette der Woche. Man glaube es mir: sie schmeckte super.