Wilde Nächte

Der Schrei hätte Tarzan aus Afrika herbeiholen können. Er brachte jedenfalls Jane ins Zimmer, Singers Empfangsdame. Sie rannte mit einer Dose Selbstverteidigungsspray herein und zögerte dann, in welche Richtung sie eigentlich sprühen sollte. Als sie gewahr wurde, daß das Kreischen aus dem Lautsprecher der Telefonanlage kam, drückte sie einmal fest auf die Dose. Der Schrei ging jedoch weiter. Ich war die erste, die sich aus dem Staub machte — meine sorgsam geschliffenen Reflexe gehen schneller als die der meisten anderen Menschen los. Alex war mir auf den Fersen. Wir rasten durch den Flur, wobei mein Mantel von Donna Karan hinter mir herwehte. Abgesehen davon, daß ich keinen Sport-BH trug, war mein einziges Problem, daß ich keinen Schimmer hatte, wo sich Sabrinas Garderobe befand.

Nach einigem Hin und Her stießen wir auf Patty, die ungeduldig an den Aufzügen wartete. Wir nahmen den Aufzug. Es war eine kurze Strecke in den dritten Stock. Das Set von Party Girls befand sich in demselben Geschoß. Patty führte den Sprint an, der durch ein Labyrinth von Korridoren und abgeteilten Räumen zur Garderobe ihrer Tochter ging. Wir liefen eine halbe Ewigkeit. Meine Lunge kam mir schon wesentlich gesünder vor. Das Rauchen aufgegeben zu haben, hatte allerdings eine nicht annähernd so unmittelbare Wirkung auf meine Beinmuskulatur, jedenfalls bislang.

Patty hielt endlich vor einer goldlackierten Tür inne. Ein silberner Stern, auf dem Sabrinas Name stand, hing daran. Die benachbarten Garderoben gehörten anscheinend Woody und Sherri. Deren Sterne waren kleiner. Patty brüllte: »Ich bin schon da, Schätzchen« und donnerte durch die Tür. Alex und ich drängelten uns hinter ihr hinein. Es gab nicht sehr viel Platz in der Garderobe. Die im übrigen den Namen Saustall eher verdient hätte. Leere Umschläge und Packpapier waren überall verstreut. Volle Aschenbecher und eine dünne Lage von Asche und Staub bedeckten jede freie Fläche. Unter einem Haufen zerknüllter Kleider (viele mit Pailletten, manche aus Seidentaft) war die Couch zu sehen, deren goldener Bezug Risse und Zigarettenlöcher aufzuweisen hatte. Ich sah einen Streifen Feuchtigkeitscreme, der über den Bildschirm des eingebauten Fernsehers verlief. Es gab noch mehr davon an der Wand darüber. Anscheinend hatten sich Lola und Sabrina gerade eine Schlacht mit zwei Cremetuben geliefert. Ich konnte mich nicht erinnern, daß ich als Kid auch jemals so einen Spaß gehabt hätte. Zwei Sacksessel aus goldenem Leder schienen willkürlich auf den Teppich geworfen.

Sabrina und Lola waren in ihnen versunken, wobei Sabrina weinte und ihre Knie umfaßt hielt, während Lola die roten Haare ihres Idols glattstrich. Sabrina trug Jeans, angemalte Fußnägel und ein rotes tief ausgeschnittenes Hemdchen, in dessen Ausschnitt frech eine dünne Kette aus Indianerperlen baumelte. Lola trug denselben Look, allerdings war zu ihrem Hemdchen das nicht mitgeliefert worden, was der Ausschnitt eigentlich offenbaren sollte. Als sie uns in der Tür stehen sahen, pellte sich Lola von Sabrina ab, die daraufhin in einem Meer von braunen Umschlägen und parfümiertem Briefpapier auf dem Boden zusammenbrach. Lolas Blick traf meinen. Das rosarote Telefon war immer noch ausgehängt, und ich streckte die Hand über das Sofa aus und legte den Hörer auf.

Patty war durch den Müll zu Sabrina gewatet. Sie versuchte, ihre Tochter zu umarmen, aber Sabrina schob sie mit beachtlicher Gewalt von sich. Patty sah leichtverletzt aus und steckte dann die Hand in die Tasche ihrer eleganten karierten Kostümjacke, aus der sie eine Flasche mit winzigen gelben Pillen nahm. Sie drückte Sabrina eine davon in die Hand. Sabrina warf sich ohne zu zögern die Pille ein. Innerhalb von Sekunden saß sie wieder aufrecht und hörte auf zu weinen. Diese neu-modischen Antidepressiva (oder in diesem Fall ein Mittel zur Befreiung von Zwangsneurosen) wirkten schnell, das wußte ich wohl. Aber angesichts dieser rasanten Verbesserung mußte ich mich fragen, ob diese Dinger süchtig machten und wie viele davon einer Überdosis gleichkämen.

»Ich verlange, darüber informiert zu werden, was hier vor sich geht«, dröhnte Mr. Singer, der plötzlich hinter uns auftauchte. Er hechelte derartig, daß ich mir um seine Gesundheit wirklich Sorgen machte. Im schmeichelnden warmen Licht des Raumes sah er keinen Tag älter aus als neunundsechzig.

Sabrina, die nun vollkommen — fast schon gespenstisch — ruhig war, sagte: »Ich habe nur einen gruseligen Fanbrief bekommen, Sinclair. Es geht mir gut. Es ist lieb, daß du dir Sorgen gemacht hast.« Sie klimperte mit den Augenlidern und wand sich eine rote Strähne ihres Haares provozierend um den Finger.

Singers Gesichtszüge beruhigten sich und gingen auf ein harmloses Feuerrot zurück. Er atmete langsamer und glättete seinen Anzug. Er sagte: »Du solltest Marnie deine Fanpost erledigen lassen.« Ich sah Marnie an, die hinter Singer stand und verzweifelt versuchte, einen Blick ins Zimmer zu erhaschen. Sie hechelte wie ein erschrockener Chow-Chow. Ihr Mund zuckte leicht. Ich dagegen atmete ganz ruhig. Also konnte ich mit großer Sicherheit sagen, daß ich in besserer Verfassung war als eine dickliche Frau mittleren Alters und ein übergewichtiger Siebzigjähriger. Ich verspürte wahren Stolz.

»Ich mache die Briefe meiner Fans gerne selber auf«, antwortete Sabrina. »Und außerdem brauche ich Marnie, damit sie meine Sachen in die Reinigung bringt.« Marnies Brillengläser beschlugen sich förmlich. Eindeutig war sie anderer Meinung, was ihre beruflichen Aufgaben anging. Sabrina streckte ihre Arme über dem Kopf in die Höhe, wobei ihre Brüste sich gegen ihr enges Hemdchen drückten. Wenn ich ein Typ wäre, hätte es einen Steifen zu bewundern gegeben. Ich schaute mir die anwesenden Männer an: keine bemerkenswerten Veränderungen. Sabrina gähnte und sagte: »Ich fühle mich ja schon so viel besser, jetzt, wo ihr alle da seid.«

Sie legte die Arme um ihren Brustkorb und lächelte. »Aber jetzt will ich lieber allein sein, also könnt ihr wohl bitte wieder gehen.«

»Aber wir machen uns Sorgen um dich«, sprudelte Sherri vom Korridor aus. Von dort, wo ich stand, konnte ich nur ihre braunen Haare sehen. »Ich habe einen Aromatherapieatomisierspray bei mir in der Garderobe. Warum gehen wir nicht einfach nach nebenan und — «

»Das ist lieb, Sherri«, wehrte Sabrina freundlich ab, ohne sie auch nur anzusehen. »Aber wirklich, mir geht es gut, ich fühle mich ganz normal, und ich kann erwachsen mit dieser Sache umgehen.«

»Du hast gekreischt, als ob jemand dir die Beine einzeln ausreißen würde«, bemerkte Sinclair.

Woodys Stimme erhob sich. »Und das wäre ja schließlich jammerschade.« Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich wäre jede Wette eingegangen, daß er mit den Augen gezwinkert hatte. Sabrina zuckte zusammen. Woody schleimte sich an Marnie vorbei in die Garderobe hinein.

»Wir wissen, was hier zu tun ist.« Ich übernahm jetzt die Kontrolle. »Beaudine, übliche Team-Maßnahmen.«

»Militärjargon.« Woody nickte wissend. »Ich habe auch gedient«, sagte er stolz. »Ich war bei der Marine«, ließ er uns wissen, und diesmal sah ich ihn wirklich zwinkern. Er klatschte energisch in die Hände. »Okay, Leute, auf geht’s nach draußen«, kommandierte er. Marnie, Sherri und Sinclair Singer folgten diesem Befehl.

Sabrina sah von ihrem Sacksessel aus zu. Sie sah aus, als wäre ihr mit einem Kissen ins Gesicht geschlagen worden. Dieses Mädchen hatte mehr Ausdrucke zu bieten als ein Laserdruckerhändler.

Patty sagte: »Ich habe ihr eine Schlaftablette verabreicht. In ungefähr fünfzehn Minuten wird es ihr wieder gut gehen.« Wenn »gut gehen« bewußtlos heißen sollte, dann hatte Patty sicher recht. Anscheinend verteilte Sabrinas Mutter noch andere Pillen als Zanpac. War Sabrina eigentlich jemals nüchtern?

»Du mußt Alex Beaudine sein«, sagte Sabrina. Alex blinkerte mit den Augenlidern.

»Du hast uns ganz schön erschreckt«, sagte er.

»Ich kann mir kaum vorstellen, daß ich dazu die Energie gehabt habe.« Sie blickte an Alex’ schlankem, 1,80 Meter großen Körper auf und ab und sagte: »Ich fühle mich von dir sehr angezogen.« Sie wandte sich zu Lola und sagte: »Nimm’s mir nicht übel, Lola.« Lola nahm das hin wie ein Mann.

»Sabrina, ich finde, wir sollten nach Hause gehen. Du weißt doch, wie schlecht es dir geht, wenn du unter Streß bist.« Das war Patty.

»Wo ist es?« fragte ich.

Sabrina blickte entrückt den Bildschirm des Fernsehers an. Lola suchte in den leeren Umschlägen auf dem Fußboden herum. Sie hob einen kleinen braunen Umschlag auf, dessen Inhalt sie auf den Teppich schüttete. Mit einem Augenstift tippte Lola daran. Die Spinne wackelte und schleppte sich mit ihren beiden kurzen Vorderfühlern fort, als ob sie Brustschwimmen übte. Patty kniete sich hin, um sie sich genau anzusehen.

Das Biest hatte überhaupt keine Beine. Die ausgerissenen Lücken, alle entlang dem Mittelteil, eiterten und sonderten eine durchsichtige gelbe Flüssigkeit ab. Es kroch ungefähr drei Zentimeter in meine Richtung.

Seine zuckenden Bewegungen waren gleichzeitig heroisch und mitleiderregend.

Zwei große, gebogene Reißzähne kamen aus dem Kopf. Sie bewegten sich zusammen und auseinander wie eine Hummerschere, die verzweifelt etwas festhalten und beißen will.

»Ich denke, das hier komplettiert dann wohl die Kollektion«, sagte Sabrina, als ob sie über Pullover redete.

»Tu es doch weg, ehe es irgendjemanden vergiftet«, sagte ich.

»Manche uralten Kulturen im Fernen Osten glaubten, daß der Biß einer Tarantel eine Form von Demenz verursacht, die Tarantismus genannt wurde«, sagte die besserwisserische Patty. »Allerdings ist es so, daß Taranteln zwar beißen, wenn man sie provoziert, aber sie sind nicht giftig.«

»Kein Wunder, daß sie so nette Haustiere sind«, sagte ich. Mit dem Kohlstift schob Lola die Spinne wieder zurück in den gepolsterten Umschlag. Das zierliche Garderobentelefon klingelte.

»Hallo?« Ich hob ab. Es war für Patty.

»Ja?« sagte sie in die Sprechmuschel. »Ich bin gleich oben.« Patty legte den Hörer wieder in die Gabel. Sie sah ihre Tochter an. »Ich muß hoch zu Mr. Singer. Wenn ich wieder da bin, bringe ich dich nach Hause, damit du dich ausschläfst.«

Patty stand auf und ging. Niemand sagte irgend etwas, ehe sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Sabrina kämpfte damit, eine Zigarette aus der Packung zu ihren Füßen zu holen. Sie zündete sie an und zog den Rauch tief ein. Jede Wette schmeckte ihr das klasse.

»Ich muß mal«, sagte ich. Ich wandte mich Lola zu: »Zeigst du mir, wo das Klo ist?«

Zwischen kleinen Paffern sagte Sabrina: »Links aus der Tür und dann die erste rechts.«

»Aus der Tür heraus, die erste links?«

»Rechts«, sagte Sabrina.

»Okay. Bin gleich wieder da.«

»Erste rechts«, wiederholte sie.

»Wenn’s nicht die erste ist, dann jedenfalls eine der ersten zehn.«

Sabrina seufzte. Sie sagte zu Lola: »Beeil dich.«

Lola und ich verließen die Garderobe. Während ich die Tür hinter uns zuzog, hörte ich, wie Sabrina zu Alex sagte: »Lola hat mir erzählt, daß du einmal zwei Flugzeugentführer mit einer Fadenrolle und einem Taschenmesser festgenommen hast.«

Sobald wir aus Sabrinas Sichtweite waren, legte ich meine Hand auf Lolas Schulter und begann, zu reden. Sie sagte: »Warte« und führte mich zum Klo. Es gab drei Kabinen mit Metalltüren, drei Waschbecken und graue Fliesen auf dem Boden. Ich hatte einen etwas aufwendigeren Lokus erwartet — schließlich befanden wir uns hier in der glitzernden Welt des Fernsehens. Ich bückte mich, um nach Füßen zu sehen. Nachdem ich keine entdeckt hatte, verschloß ich die Tür zum Lokus und drehte, um ganz sicher zu sein, alle Wasserhähne voll auf, damit uns keiner hören konnte. »Also jetzt«, sagte ich zu Lola. »Wenn du sehr tief drinsteckst, leihe ich dir meine Unterwasseruhr.« Ich hielt sie unter einen Strahl, um es ihr zu demonstrieren. Sie war ein Geschenk von Max. Er hatte gehofft, mich dadurch zum Geschirrspülen bewegen zu können.

»Du wirst es wirklich nicht glauben«, fing Lola an.

»Du steckst in der Scheiße.«

»Ich stecke im Luxus.« Sie schaute in den Spiegel und fuhr sich durch ihre blonden Haare, um sie wieder voluminöser zu bekommen. »Hier drin ist es ja ganz schön dampfig.«

»Also von vorne«, kommandierte ich und checkte auch, wie der Dampf auf meine Haare wirkte.

»Vor drei Wochen hat mich die Zeitarbeitgesellschaft hier zum Studio geschickt, wo ich für Ringo arbeiten sollte. Ans Telefon gehen, die Parties organisieren, Bullshit, Bullshit. Am ersten Tag kommt Sabrina Delorean an meinen Schreibtisch und sagt, daß sie sich von mir sehr angezogen fühlt. Einfach so. Kein weiterer Bullshit, nichts.«

»Wie sie das gerade mit Alex gemacht hat. Da bin ich schon eifersüchtig«, gab ich zu.

»Auf mich oder auf sie?«

»Auf sie mit Alex.«

»Na, sonst gibt’s auch nichts Neues, was?« fragte sie und kam dann wieder zur Sache. »Dieser große Fernsehstar sagt mir, sie will mit mir in die Kiste, soll ich da etwa nein sagen?«

»Sag mir nur eins: Ist Sabrinas Haar gefärbt oder ist das Rot echt?« Das würde Alex wissen wollen. Allerdings würde er das möglicherweise auch allein herausfinden können.

»Ich weiß es nicht«, sagte Lola. »Sie sagt, daß sie mich begehrt, aber bisher ist nichts passiert. Um ehrlich zu sein, ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob das mein Ding wäre. Nicht, daß ich daran irgend etwas merkwürdig fände. Es ist nur, ich weiß ja nicht. Aber ich wollte mit ihr zusammen sein. Und wenn das bedeutet, daß ich mir einen Dildo anschnallen muß, bitte sehr.«

»Aber dann wurde es komplizierter.«

»Ja, zum Beispiel ist sie schlicht ein Junkie«, sagte Lola. »Aber als ich das herausgefunden hatte, hatte Patty schon beschlossen, daß Sabrina eine neue beste Freundin gefunden hat, die sie von allem Ärger fernhalten wird. Plötzlich wohne ich also in ihrer Wohnung und schlafe in ihrem Schlafzimmer — es ist wirklich nichts passiert, kuck mich nicht so an.« Es war mir gar nicht bewußt, daß ich irgendwie gekuckt hatte. Lola fuhr fort: »Also nach ungefähr zwei Wochen, in denen ich noch nicht einmal soviel Zeit für mich hatte, um allein aufs Klo zu gehen, versuchte ich, ein bißchen Luft zu kriegen. Ich sagte, ich wollte mal für eine Nacht in meine eigenen vier Wände gehen. Ein paar eigene Klamotten holen. Sabrina hatte mir dauernd neue Sachen gekauft. Also erzählt mir Sabrina eine Geschichte von diesem Typen, den sie in der U-Bahn vor einen Zug geschubst hat. Ich fange an, mir zu überlegen, ob sie wohl verrückt ist. Und dann tauchen die Taranteln auf. Woraufhin ich anfange, mir zu überlegen, ob sie möglicherweise wirklich Hilfe braucht. Also erzähle ich Patty und Sabrina, daß ich eine Freundin habe, die Privatdetektivin ist und ziemlich cool.«

»Hast du jemals Angst gehabt, daß dir etwas zustoßen könnte?«

»Du meinst außer den Taranteln und dem Mord?« fragte sie. Ich nickte. »Das eine Mal, als sie mir diese U-Bahn-Geschichte erzählt hat, hatte ich den Eindruck, daß sie mir die aus einem bestimmten Grund erzählt. Aber sie fährt nie mit der verdammten U-Bahn, vielleicht bin ich ja nur von Verfolgungswahn geplagt.«

»Du hast nicht zufällig eine Zigarette dabei?« fragte ich.

»Du nicht?« Sie schien erstaunt zu sein. »Du mußt ja völlig ausflippen.« Lola schenkte mir ein fieses Grinsen.

Diese freundliche Unterstützung fand ich wirklich besonders nett. Ich sagte: »Wenn du gehen willst, dann geh ruhig. Du kannst auch bei Santina übernachten, wenn du lieber nicht nach Hause gehen willst.« Ich müßte zwar zuerst fragen, aber Santina liebt Lola schließlich. Ich war mir sicher, daß das in Ordnung gehen würde.

»Ich hau hier nicht ab.« Lolas Augen blickten mich geradeheraus an. Ich war stolz auf sie. Außerdem spürte ich einen vertrauten Beschützerinstinkt. Ich streckte die Hand nach ihrer Teenagerschulter aus. Sie schüttelte mich ab. »Ich kann gut auf mich selber aufpassen«, sagte sie. »Bleib einfach in der Nähe, okay?« Sie wandte sich dem Spiegel zu, um sich die Haare zu richten. Ihr kleiner Hintern füllte gerade mal die Jeans aus.

»Du bist ja so niedlich«, sagte ich.

»Fuck off«, erwiderte sie.

»Klär mich vorher noch kurz auf, was hier läuft.«

Sie nickte. »Ringo ist ein totaler Arsch, aber er ist irre schlau, so daß sie es alle doch mit ihm aushalten. Er ist der Chef — jedenfalls ist er mein Chef. Marnie rennt durch die Gegend und koordiniert die Scheißarbeiten. Ich und die anderen Assistentinnen sind die einzigen Leute, die in der Hierarchie unter ihr stehen, und deswegen sieht sie zu, daß sie uns entsprechend schlecht behandelt. Sherri hat eine Erbse anstelle des Gehirns. Woody auch. Auf dem Set wird behauptet, die beiden wollten eine neue Show anfangen. Ich glaube, es geht um eine Talkshow mit besonderen Gästen und einer Band. Niemand denkt, daß sie das hinkriegen. Und Sinclair Singer — der läßt sich nicht so oft blicken. Bei dieser Pressekonferenz habe ich ihn zum ersten Mal in diesem Stockwerk gesehen.«

Ich sagte: »Patty.«

»Die ist seit Jahren nicht mehr aufs Kreuz gelegt worden.«

An der Tür zur Damentoilette wurde gerüttelt. Als dem Menschen klar wurde, daß sie verschlossen war, fing er an, auf sie einzuschlagen. Eine weibliche Stimme brüllte: »Ist da irgendjemand drin?«

Ich drehte die Wasserhähne ab. Lola sagte: »Es findet heute abend eine Party im Club Buff statt, für die Teilnehmer von letzter Woche aus New York City. Sabrina macht die Gastgeberin.«

»Obwohl gestern abend jemand gestorben ist?«

»The show must go on.« Lola schien einen Moment lang genervt zu sein. Die Klopferin bearbeitete jetzt den Türgriff.

Ich schloß die Tür wieder auf. Lola und ich gingen hinaus. Eine Frau mit streng gemalten Augenbrauen runzelte die Stirn und ging hinein. Ich hatte sie noch nie gesehen. Die Badezimmertür war noch nicht einmal halb geschlossen, als Lola sagte: »Die doofe Kuh von der Maske.«

Wir kehrten zu Sabrinas Garderobe zurück. Alex saß im Schneidersitz auf dem Boden vor Amerikas Herzblatt. Er massierte ihr die Füße. Patty saß auf der Couch und sah sehr beunruhigt aus wegen irgend etwas. Ich wollte sie fragen, weswegen sie nach oben gerufen und was besprochen worden war, aber ich tat das dann doch nicht. Patty sagte: »Wir gehen jetzt sofort nach Hause und werden die Wohnung nicht verlassen, bis die Party anfängt. Diese ganze Geschichte ist für Sabrina außerordentlich anstrengend gewesen.« Mir schien allerdings eher Patty diejenige zu sein, die angestrengt war.

Alex sortierte seine Beine und stand auf. Ich winkte ihn zu mir herüber und sagte: »Du bleibst bei Sabrina. Ich werde vor dieser Club-Buff-Geschichte noch ein bißchen Recherchen treiben.«

»Es wundert mich, daß du sogar freiwillig Scheißarbeit auf dich nehmen willst«, sagte er. »Es könnte doch nicht etwa sein, daß du von mir weg willst, um heimlich eine Zigarette zu rauchen?«

»Der Gedanke ist mir noch nicht gekommen,« log ich.

Alex lehnte sich dicht an mich und flüsterte: »Die winzigen Haare auf Sabrinas Zehen sind erdbeer-blond.« Er schien über diese Entdeckung erfreut zu sein.

Patty half einer wackligen Sabrina in den Mantel. Ich sagte Lola, sie solle sich bis zur Fete um Sabrina kümmern. Sie nickte und fühlte sich wichtig — oder tat zumindest so, um mir damit eine Freude zu machen. Alex, Lola, Sabrina, Patty und ich fuhren alle gemeinsam mit dem Aufzug zur Straße hinunter. Wir vereinbarten, uns um neun Uhr im Club Buff zu treffen. Die Party sollte zwar um sieben Uhr beginnen, aber Sabrina wollte nicht so spießig pünktlich kommen. Ich nahm ein Taxi nach Downtown und dachte sogar daran, mir eine Quittung geben zu lassen.

Meine Clubzeiten hatte ich im Alter von fünfzehn bis siebzehn hinter mich gebracht. Ich nahm dann immer heimlich das Auto meiner Eltern und fuhr mit meinen High-School-Freunden nach New York, um mich zu betrinken und mit wildfremden Leuten zu knutschen, entweder in der Peppermint Lounge oder in der Danceteria. Letzteres war der Laden, in dem damals ein mittlerweile berühmtes multimediales Sexsymbol die Küchenaushilfen auf der hinteren Treppe bumste, um ein paar Drinks kostenlos zu bekommen. Ich habe diese glitschige Treppe nie gesehen, obwohl ich auch reichlich kostenlose Drinks bekam. Mein Trick, Streichholzheftchen in einen Hut zu schnipsen, besorgte sie mir ganz mühelos.

Ich war noch nie im Club Buff gewesen und hatte da eigentlich auch noch nie hingewollt. Es war der neuste der In-Läden in der Stadt. Er befand sich am Times Square, anderthalb Blocks von Do It Right entfernt. Irgendein Playboy und Disco-Impresario hatte den Club vor einigen Monaten eröffnet. Limousinen stellten die Straße davor vollkommen zu. Sie standen dicht an dicht, und auch die Taxis machten in dem Gemenge mit. Die Kundschaft an Berühmtheiten — Stars, TV-Darsteller, Modedesigner, Transvestiten-Performancekünstler, Supermodels und ihre Photographen — kamen jeden Abend hergetrottet, um auf dem Karussel des Clubs zu fahren und die drei Stockwerke hohe Rutsche hinunterzuschliddern. Der Club hatte auf jeder seiner vier Etagen drei Bars, eine Bühne für die Kapelle, DJs und die größte Tanzfläche von New York, deren schwere Holzplanken speziell für Hip-Hop ausgesucht worden waren.

Der Laden brachte Geld in Mengen ein. Die Berühmtheiten zogen die Leute aus den Vorstädten an, aber auch die Prolls von Downtown. Der Club war darauf ausgerichtet, jede Nacht Tausende von Leuten zu beherbergen, um die Kosten wieder reinzuholen. Der Haken an der Sache: Berühmtheiten mischen sich nicht gerne unter die Normalsterblichen. Sterbliche hingegen wollen dahin, wo die VIPs sind. Die Limousinenquote war schon gesunken. Nach den Tratschmeldungen zu urteilen gingen die Supermodels und ihre Photographen mittlerweile ins Posh Broccoli, einen Ort der Sammlung mit dem Anspruch, auf holistischem Weg der Gesundheit zu dienen. Dort wurden Massageräume und Synchro-Energisierung angeboten anstelle von DJs und Tanz.

Es überraschte mich nicht weiter, daß Party Girls eine Promo-Veranstaltung in einem derart schicken Laden machte. Die Teilnehmer waren ja geradezu für schicke Läden geschaffen.

Ich stand seit ungefähr zehn Minuten vor dem riesigen Backsteingebäude, lehnte mich gegen eine hölzerne Absperrung und beobachtete Hundertschaften von Kids, die im Flower-Power-Unschuldslook der siebziger Jahre oder in Heavy-Metal-Outfits mit unglaublich hochtoupierten Haaren den Eingang überfluteten. Die Veranstaltung von Party Girls wurde in der VIP-Lounge im obersten Stockwerk abgehalten. Ich bemerkte, daß die Rausschmeißer kontrollierten, ob die Leute auch Einladungen hatten. Ich war für den Abend auf der Gästeliste eingetragen. Es war mir peinlich, aber ich war gleichzeitig davon beeindruckt.

Ich hatte Max eine Stunde zuvor angerufen. Ich dachte, er würde ebenfalls davon beeindruckt sein. Er sagte: »Bei mir bist du jeden Abend ganz groß in.«

»Du bist wirklich merkwürdig«, sagte ich.

»Das bist wohl eher du.«

»Nein, du.« Ich kicherte. Ich hasse es, wenn ich mich wie ein richtiges Mädchen benehme. »Komm doch mit zur Party. Ich will mit meinem neuen Nichtraucheratem angeben.«

»Du arbeitest doch aber«, sagte er.

»Wenn irgend jemand fragt, können wir so tun, als wäre es ein merkwürdiger Zufall.« Ich dachte, daß es eigentlich keinen guten Grund gab, daß ich den Samstagabend ohne Verabredung verbringen sollte, selbst wenn ich arbeitete. »Ich werde zusehen, daß du umsonst reinkommst«, fügte ich hinzu.

»Wirst du mich Sabrina vorstellen?« bat mich Max. Obwohl ich bei Alex in solchen Dingen immer eifersüchtig war, war ich das aus irgendeinem Grund bei Max nie.

»Vielleicht«, neckte ich ihn.

»Ich werde etwas Unbequemes anziehen.«

»Mach das«, sagte ich. Wir legten auf.

Ich hatte nun schon eine ganze Weile da gestanden und gewartet. Sowohl Sabrina als auch Max kamen zu spät. Ich verbrachte die Zeit damit, mir Max vorzustellen, an einen Stallhaken festgebunden, während im Hintergrund Pferde wiehern. Um zwanzig nach neun kam eine riesige schwarze Limousine vor den Eingang gefahren. Es war die erste Limousine dieses Abends. Ich hoffte, es würde Sabrina sein. Ich ging näher heran, um einen Blick hineinwerfen zu können. Alex stieg zuerst aus. Er blähte seinen Brustkorb auf, ein fehlschlagender Versuch, muskulöser zu wirken. Er wirkte so einschüchternd wie ein Zweig. Lola und Patty kamen als nächste. Sie sahen in schwarzen Paillettenminikleidern großartig aus. Ich hingegen trug immer noch meine Docs und den Flanellsack von Putumayo. Eine Welle von Gefühlen der Unzulänglichkeit und Befangenheit überspülte mich, und ich hatte mehr als je zuvor Lust auf eine Zigarette. Schließlich platzte Sabrina aus der Limousine. Sie trug ein knallrotes Minikleid mit Pailletten und die Fick-mich-jetzt-roten Pumps mit den für sie typischen Stahl-Pfennigabsätzen. Die Proleten vor dem Eingang erkannten sie sofort, und manche traten aus der Schlange heraus, um sie besser sehen zu können. Sie sah mich und winkte mir zu. Die Prolls überlegten, ob ich wohl auch berühmt sei. Ich lächelte strahlend und warf mit dramatischer Geste meine Locken nach hinten. Die Menge blieb unbeeindruckt.

Zwei Rausschmeißer in Übergröße eilten herbei, um Sabrina zum VIP-Eingang zu geleiten. Wir anderen dackelten hinterher. Ich hielt kurz inne, um dem leitenden Rausschmeißer Max zu beschreiben. Ich schob dem Typen einen Fünfer rüber, damit er nach Max Ausschau hielte und ihn kostenlos hereinließe. Der Rausschmeißer sah erst den Fünfer an und dann mich. Er wollte mehr. So’n Pech, dachte ich, und gab ihm noch einen. Ich bat um eine Quittung und bekam statt dessen eine Abfuhr. Ich holte Sabrina ein. Ich hoffte, Max würde mich finden. Er würde genervt sein, wenn das alles nicht klappte, vor allem, wenn er doch noch die fünfzehn Dollar Eintrittsgeld bezahlen müßte.

Wir konnten uns wegen der lauten Musik nicht unterhalten. Einer der Rausschmeißer führte uns zu einer Wendeltreppe. Wir stiegen in den obersten Stock, wo der Empfang anscheinend schon heftig im Gange war. Alex sagte, er hätte den Tag damit verbracht, mit Lola Weintrauben zu essen und Videoaufnahmen der Star-Wars-Trilogie zu sehen. Patty war einkaufen gegangen. Sabrina hatte den ganzen Nachmittag geschlafen. Sie sei noch immer groggy, berichtete er. Ich ließ ihn an den Ereignissen meiner letzten sechs Stunden teilhaben.

Ich hatte den Tag am Telefon verbracht, in der Hoffnung, eine Tierhandlung zu finden, die in der letzten Woche acht Taranteln an einen einbeinigen Kunden verkauft hatte. Nur drei Tierhandlungen im ganzen Stadtbezirk von Manhattan verkauften überhaupt diese großen Spinnen, und nicht eine von ihnen hatte mehr als ein oder zwei dieser Tierchen an den Mann gebracht. Und ich hatte gedacht, die Nachfrage nach so etwas wäre riesig. Der Preis einer voll ausgewachsenen, achtzehn Zentimeter langen südamerikanischen Tarantel betrug fünfzig Dollar. Wer auch immer die armen Amputierten an Sabrina sandte, konnte es sich leisten, vierhundertfünfzig Dollar für einen solchen Streich, oder eine solche Drohung, auszugeben. Buster Singer konnte das auf jeden Fall.

Allerdings erzählte der Besitzer einer Tierhandlung tatsächlich etwas, das ich interessant fand. Er hatte zwar einen Bestand an Taranteln, aber aus irgendeinem rätselhaften Grund starben sie ihm dauernd unter der Hand weg. Er hatte früher einmal Schlüsselanhänger mit einem Tarantelbein verkauft, ähnlich wie Anhänger mit einem Hasenfuß. Irgendwann hatte er gehört, daß die Spinnenbeine den bösen Blick abwenden könnten. Er hatte noch ein paar übrig, wußte aber nicht, wo sie waren. Ich sagte, ich würde am nächsten Tag vorbeischauen.

Von der Treppe des Club Buff aus zeigte mir Alex ein Paar auf der Tanzfläche. Sie tanzten Hip-hop und Fly-dance, in heftiger Konkurrenz zum DJ. Wenn ich mich so bewegen könnte, müßte ich nicht hiermit meinen Lebensunterhalt verdienen, dachte ich. Noch eine Treppe, und wir kamen zum Eingang der VIP-Lounge. Es gab hinten eine Bar, Reihen von bunten Lichtern an der Decke, eine hip-hop-fähige Tanzfläche und eine Kabine für den DJ. Etliche Teilnehmer von Party Girls tanzten zur Musik oder standen an der Bar herum. Diese war so weit, wie es nur irgend ging, von mir entfernt. Ich holte tief Luft und marschierte durch den Ozean aus wild umeinanderwirbelnden Körpern. Alex versuchte, mit mir Schritt zu halten, versagte aber jämmerlich. Ich ließ ihn irgendwo mitten auf der Tanzfläche stehen, kämpfte mich nach vorne zur Bar und bestellte einen Tequila Sunrise. Der Barkeeper bat mich tatsächlich, mich als Volljährige auszuweisen. Der Süße. Sein Trinkgeld hat er wirklich verdient.

Während ich dort stand und zufrieden an meiner Mescal-Mischung nuckelte, hielt ich ein Auge nach Max auf den Eingang gerichtet, eins auf Sabrina und ein weiteres auf die verschiedenen Dinge, die sich so taten. Ich hatte meine Brille aufgesetzt, damit hatte ich also noch ein Auge übrig. Das hielt ich weit offen, falls ich jemanden sähe, den ich kannte. Sherri und Woody unterhielten sich mit einigen Teilnehmern am Buffet. Sie mischten sich unter die Leute, machten sich gegenseitig und den Menschen um sie herum Komplimente in bezug auf ihre Outfits, das Essen, die Haare. Damit verdienten sie schließlich ihr Geld. Kein Wunder, daß sie neue Jobs wollten. Sabrina herrschte über die Menge. Sie saß auf einer Empore in einem weichen, samtbezogenen Sessel. Patty wachte an ihrer Seite und beschützte sie vor den Fans. Ich bemerkte, wie ein Teeny näher heranrobbte, aber Patty versetzte ihr einen Stoß mit dem Ellbogen. Sabrina bemerkte es kaum.

Lola griff Alex am Arm, und die beiden rauschten auf die Tanzfläche. Alex war zunächst ungeschickt. Er haßte es, in der Öffentlichkeit zu tanzen. Ich dachte an Max, der nicht nur schönes Haar hatte, sondern auch voller Rhythmus steckte. Anstatt mir eine Zigarette zu wünschen, nahm ich noch einen Schluck von meinem Drink.

Die Teilnehmer waren eigentlich ein gesitteter Haufen, selbst die Risse und Löcher in ihren Outfits waren ordentlich plaziert. Die meisten von ihnen gingen richtig mit der Musik mit. Ihre eckigen Bewegungen im Tanz erinnerten mich an irgend etwas, das ich schon einmal gesehen hatte. Ich dachte noch darüber nach, als eine sprudelnde Blondine mich in ihrem Kampf um einen Drink von meinem Barhocker warf. Mein Tequila Sunrise landete auf dem Boden. Die Getränke waren kostenlos. Ich beschloß, es ihr trotzdem schwer zu machen. Ich wandte mich zu ihr um. Ihre Brüste waren riesig.

»Sandra die Stewardess«, sagte ich.

»Hi!« sagte sie. »Tut mir leid mit deinem Drink.«

»Der Boden hatte sowieso Durst.«

»Hihi.« Sie nahm ihre Flasche Bud Light und bewegte sich fort.

»Hey, Sandra«, rief ich. »Mordsmäßig gute Show gestern abend.«

Sie hielt inne, eindeutig erfreut darüber, in eine Unterhaltung gezogen zu werden. »Ja«, sagte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ich erinnerte mich — sie redete nicht gerne mit anderen Frauen. »Tony war ein wirklich netter Typ. Ich hatte mich richtig darauf gefreut, mit ihm nach Jamaika zu fahren. Aber ich habe es nicht eilig, dahinzukommen. Ich bin gerade erst letzte Woche von dort zurückgeflogen.«

»Und jetzt sind deine Arme aber müde.«

»Hihi.« Sie lächelte mich strahlend an. »Ich mag komische Menschen.«

Ich hielt die Unterhaltung in Gang. »Du hast Tony wohl ganz gut kennengelernt.«

»Ja, auf der Party letzte Woche und dann gestern abend bei der Show.«

»Die Party von letzter Woche?«

»Ja, die halten die Parties eine Woche vorher ab. Tony und ich haben uns ein paarmal zwischendrin getroffen, aber erzähl das keinem, das ist eigentlich nicht erlaubt. Ich könnte vielleicht die Reise doch nicht machen, wenn irgendjemand das herausfindet. Eric, der zweitplazierte Ultimate Party Guy, fährt anstelle von Tony«, sagte sie. »Er ist auch ziemlich heiß, findest du nicht?«

Sie zeigte mir den Idioten vom Bau, den ich während der gestrigen Show am meisten verabscheut hatte. Er führte einen merkwürdigen Tanz auf, bewegte die Arme sehr zuckend und sprang in die Höhe, wobei er Juchzer von sich gab. »Es sieht richtig super aus, wie er den Tony macht«, fand Sandra.

»Den Tony?« Ich hatte damals schon Vogueing verpaßt und Funk Aerobics. Ich war noch nicht dreißig und kam mir so aktuell vor wie Hillary Clinton.

»Das ist der Tanz, den Tony bei der Show gemacht hat, ehe er erschossen wurde. Die machen das in memoriam.« Sandra nahm einen Schluck von ihrem Bier. »Eric törnt mich richtig an.«

»Eric törnt mich richtig ab«, sagte ich. »Er ist ein Vollidiot. Du findest doch noch einen besseren!«

»Ich habe schon bessere gehabt. Ich mag Vollidioten.« Sie zog ihr Lambadakleidchen mit festem Griff zurecht. »Alles, was diese Vollidioten wollen, ist Sex, und sie wollen ihn die ganze Zeit. Es sind die Männer, die keinen Sex wollen, in die ich mich verliebe, und dann benehme ich mich wie eine Vollidiotin.«

Ich hatte keine Ahnung, wovon diese Frau sprach. Ich würde mich niemals in jemanden verlieben, der keinen Sex wollte, aber ich wollte mich bei ihr einschmeicheln, also sagte ich: »Ja, ich weiß genau, was du meinst.«

»Guck dir mal den Typen da an.« Sie zeigte auf Alex. Ich spürte eine Welle des Stolzes über mich schwemmen. Den hatte ich schon hinter mir.

»Der ist aber süß«, sagte ich.

»Niedlich, aber zu dünn.«

»Hmhm«, sagte ich.

»Ich mag außerdem Typen, die glauben, ich wäre ein bißchen doof«, sagte sie. »Die kann man so gut in Erstaunen versetzen.« Von irgendwo aus ihren buntgeblümten Rüschen holte Sandra die Stewardess eine Packung Zigaretten hervor. Meine Sorte. Sie steckte sich eine in den Mund. Sie zündete mit einer Hand ein Streichholz von einem Klubheftchen an. »Und dann wollen sie nämlich den Sex noch doller.« Sie streckte mir die Packung entgegen. »Zigarette?« fragte sie.

Herrgott, ja. Ich dachte starke Gedanken. Herkules, Wisch-und-Weg. Äthylalkohol. Ich sah mich im Raum um. Alex und Lola waren damit beschäftigt, den Tony zu tanzen. Ich dachte, reden würde meinen Mund beschäftigen. »Männer wollen die ganze Zeit Sex, Sandra«, sagte ich. »Frauen auch. Die Männer wollen nur einfach nicht gesagt bekommen, wann sie Sex kriegen dürfen, und die Frauen wollen nicht allzeit bereit sein müssen.« Max war der erste Mann, mit dem ich zusammengewesen war, den ich mit einiger Regelmäßigkeit abgelehnt hatte. Es war nicht so, daß ich mit ihm nicht klargekommen wäre. Ich wußte nur, daß er mir keine Schwierigkeiten machen würde. Er hat mich einmal abgelehnt. Ich machte ihm Schwierigkeiten. Also ist er ein besserer Mann als ich.

»Du bist ja richtiggehend schlau«, sagte Sandra. Sie fing an, die Packung zuzumachen. Das Philosophieren, und vor allem das Philosophieren über Männer, ist zum Rauchen geschaffen worden.

»Die Liebe, Sandra, ist ein glänzendes Geschöpf.« Ich ließ die Zigarette zwischen meine Fingerspitzen gleiten. Ich beobachtete in Zeitlupe, wie es geschah. Sie zündete ein Streichholz an. Ich hielt mir die Zigarette an die Lippen, sog tief ein. Der Rush fühlte sich an wie das wahre Glück. Ich schloß die Augen und lehnte mich an der Bar zurück, um den Augenblick zu genießen.

Sandra sagte: »Da kommt ja ein ganz Süßer. Der da, das sehe ich sofort, will nur Sex. Aber er sieht nicht ganz aus wie ein Vollidiot.« Ich öffnete die Augen. Sandra hatte den Kopf zur Seite gelegt. Ich folgte ihrem Blick.

»Scheiße«, sagte ich. Unsere Blicke trafen sich. Max lächelte jedenfalls nicht sein glückliches Lächeln. Er mußte wohl bezahlt haben müssen, um reinzukommen, dachte ich. Außerdem hatte er mich mit einer Zigarette erwischt. »Scheiße«, wiederholte ich. Max kam nicht in meine Richtung. Vielmehr versicherte er sich, daß ich auch wirklich gemerkt hatte, daß er mich gesehen hatte, und wandte sich dann um, um die Wendeltreppe wieder hinunterzugehen. Ich überlegte kurz, ob ich ihm nachlaufen sollte und ihn anbetteln, mir zu vergeben.

»Tony wollte Sex. Außerdem konnte er die Zukunft Vorhersagen. Er hat mich gewarnt, daß jemandem in der Show ein Unglück zustoßen würde«, sagte Sandra und verursachte damit, daß ich mitten im Schritt stehen blieb. »Ich vermute, er wußte nicht, daß er selbst es sein würde.«