Kapitel 10

Bittere Wahrheit
(672-673 n. Chr.)

»Dann schickten sie eine Botschaft an den Kaiser der Griechen, die besagte: Gott hat dieses Land zum Erbe unserem Vater Abraham und seinen Nachkommen nach ihm gegeben, überlasst es uns friedlich, und wir dringen nicht in dein Territorium ein; wenn nicht, nehmen wir dir mit Wucherzinsen das ab, was du dir genommen hast. Der Kaiser lehnte ab und sagte, ohne ihnen eine befriedigende Antwort zu geben: Das Land gehört mir, dein Erbe ist die Wüste; geh in Frieden in dein Land.«

Sebeos, Geschichte des Herakleios, über die Araber (7. Jh.)

Der Stoffball baumelte über dem Kopf der Katze, die immer wieder emporsprang und mit der Pfote danach schlug. Doch stets zog das Kind blitzschnell die Schnur hoch, so dass das Tier seine Beute aufs Neue verfehlte.

»Gata!«, erklärte das kleine Mädchen ernst.

»Ja, das ist eine Katze«, lächelte die Frau, die sich immer wieder über die Leichtigkeit wunderte, mit der Fatima arabische wie lateinische Wörter aufsog.

Sie sah sich um. Die Sonne stand schon tiefer, ihre flachen Strahlen drangen jetzt unter die Stoffbahnen, die während der Mittagszeit für Schatten sorgten. Hier, auf dem flachen Dach ihres Hauses, war Pelagias Lieblingsplatz. Der weite Blick über die Stadt, der bis zum Dreiecksgiebel der Johanneskathedrale und zu der grünen Kuppel des Kalifenpalastes reichte, milderte das Gefühl, im Haus gefangen zu sein. Zwar durfte sie, wenn auch verschleiert, Ausflüge in das Gassengewirr von Damaskus unternehmen. Doch immer wenn Daud davon erfuhr – wofür meist Sergios Sorge trug –, folgten ermüdende Auseinandersetzungen. Was sie dort gewollt habe, warum das nicht Diener hätten erledigen können, mit wem sie gesprochen habe, ob sie zu Hause nicht glücklich sei. Vor allem seit ihr zweites Kind, wieder ein Mädchen, tot zur Welt gekommen war, schien Daud noch verschlossener geworden zu sein. Sie war seine Sklavin, hatte ihn enttäuscht – das ließ er sie spüren. »Soll ich deinetwegen ohne Söhne sterben? Als schwanzloser Mann, wie man bei uns sagt?«, war es ihm vor einer Woche während eines Wortwechsels entfahren. Mit Tränen in den Augen hatte Pelagia die kleine Fatima an sich gerissen und war in den Haram gelaufen. Durch die Türvorhänge hatte sie hören können, wie Daud die Diener anschrie, seine Reisesachen fertig zu machen.

Heute, das hatte sie Schirin entlocken können, würde er zurückerwartet. Noch immer verhielt sich ihre Schwiegermutter unnahbar, wie eine Statue aus Stein. Nur einmal, als Pelagia nach der zweiten Geburt entkräftet auf ihrem Bett gelegen hatte, das Gesicht tränenüberströmt, war sie gekommen, um ihr die Hand zu drücken.

Plötzlich schallten Stimmen aus dem Hof herauf und rissen Pelagia aus ihren Gedanken. Sie lief zur Brüstung, sah hinunter und erblickte Daud auf seinem Pferd. Auf einmal durchströmte Wärme ihr Herz, sie freute sich, ihn wiederzusehen, ihn in die Arme schließen zu können und die Nacht mit ihm zu verbringen. Gewiss würde sie ihm auch noch Söhne schenken, trotz ihrer fast dreißig Jahre war sie noch nicht zu alt.

Da sah sie Daud absteigen und zu einem niedergeknieten Kamel gehen, das einen Baldachin auf dem Rücken trug. Er schob den Vorhang beiseite und half einer verschleierten Frau heraus. Den Bewegungen nach musste sie jung sein, und die Art, wie Daud sich um sie bemühte, versetzte Pelagia einen Stich. Dann verschwanden sie zusammen im Haus, gefolgt von Dienern, die das Gepäck trugen. Langsam atmete Pelagia aus und lockerte ihre Hände, deren Finger sich in die Ballen gegraben hatten. Sie ging zu ihrer Tochter, nahm sie auf den Arm und stieg zu ihren Gemächern hinab, gefolgt von der leise maunzenden Diana. Dort ließ sie sich von den Dienern Wein bringen und wartete. Eine Stunde mochte vergangen sein, als sie endlich Dauds Schritte vernahm. Zögernd betrat er ihr Zimmer, lächelte sie an, setzte sich dann auf eine Bank zwischen die Seidenkissen.

Beide schwiegen. »Wie geht es dir und Fatima?«, fragte er zuletzt.

»Uns geht es gut«, antwortete Pelagia kühl, »und dir offenbar noch besser. Wer ist sie?« Sie fixierte den kleinen, drahtigen Mann, der sich seine Hakennase rieb.

»Wen meinst du?«, entgegnete er ausweichend und streichelte Diana, die, sich schnurrend an seinem Bein rieb.

»Na, wen wohl?«, fuhr sie ihn an. »Das Mädchen, das du mitgebracht hast!«

»Sie ist …«, plötzlich wirkte Daud verlegen, fasste sich jedoch sogleich wieder. »Sie ist eine Sklavin, die mir der Beherrscher der Gläubigen geschenkt hat. Für meine Verdienste um den Aufbau der Flotte. Aber das ändert nichts zwischen dir und mir.«

»Ach so? Weiß Mu'âwija denn nicht, dass es mich gibt?«

»Doch, aber wie du weißt, dürfen wir Muslime bis zu vier Ehefrauen nehmen, zusätzlich natürlich Beischläferinnen. So hat es der Prophet, gepriesen werde sein Name, einst bestimmt.«

»Und hat er auch bestimmt, dass ihr euch solche Gaben gleich ins Bett holen müsst?«

»Natürlich nicht. Das Mädchen ist einfach ein großer Gunstbeweis des Kalifen. Sie abzulehnen, hätte ihn sehr erzürnt.« Daud lächelte versöhnlich und griff nach ihrer Hand. »Du bleibst die Frau, die ich liebe!« Pelagia atmete tief durch. Mit zitternden Fingern ergriff sie das Weinglas. Mühsam beherrschte sie sich, nahm einen tiefen Schluck und schenkte sich nach.

»Und bist du – um dem Kalifen zu gefallen – schon mit ihr im Bett gewesen?«

»Nein«, gab Daud scharf zurück, »und mäßige deinen Ton.« Er stand auf und ging zur Türe, wo er sich nochmals umwandte. »Aber wenn du dich weiterhin so aufführst, werde ich das wohl bald nachholen!« Seine Stimme hatte jetzt die gewohnte Festigkeit zurückgewonnen. »Gute Nacht!«

Pelagia sah ihm nach, dann warf sie das Glas an die Wand, wo es zerschellte. Das Klirren weckte Fatima, die im Nebenzimmer geschlafen hatte und zu weinen begann.

***

Die nächsten Tage ließ sich Daud kaum blicken, und wenn, dann nur, um in Schirins Begleitung seine Tochter auf den Arm zu nehmen. So fand Pelagia, die ihre Heftigkeit bereits bereute, keine Gelegenheit, sich mit ihm auszusöhnen. Dafür verbrachte sie viel Zeit mit Helena, die zwar als Amme nicht mehr gebraucht wurde, jetzt jedoch als Dienerin im Haus arbeitete und mit der Zeit fast so etwas wie eine Freundin geworden war.

»Kommt der Herr gar nicht mehr zu dir?«, fragte sie eines Morgens stirnrunzelnd, als sie das Bett machte.

Pelagia errötete, dann seufzte sie. »Nein, er ist anders geworden, seit damals …« Sie verstummte, um nicht von der Totgeburt sprechen zu müssen. »Und seit dieses Mädchen im Haus ist, war er gar nicht mehr bei mir.«

»Sie heißt Layla«, bemerkte Helena sachlich, »und ist eine sechzehnjährige Sklavin. Nach einem Sieg über ihr Volk, das in die griechischen Provinzen eingefallen war, hat der Kaiser der Rum Tausende von ihnen in den Osten seines Reiches verschleppt. Dort sollten sie die Grenze gegen die Armee des Kalifen verteidigen. Bei der erstbesten Gelegenheit sind aber viele davon übergelaufen. Der Kalif hat sie mit offenen Armen empfangen und in Apameia angesiedelt.«

Pelagia stutzte unwillkürlich, als die Dienerin die arabische Bezeichnung für das Römerreich gebrauchte. »Aber wieso trägt sie einen sarazenischen Namen?«

»Weil sie zu ihrem Glauben übergetreten ist«, antwortete Helena und verzog spöttisch den Mund. »Manche wissen halt, wie man sich bei den Siegern lieb Kind macht. Auch du«, bei diesen Worten sah sie Pelagia vorwurfsvoll an, »tätest gut daran, von ihr zu lernen und etwas weniger halsstarrig zu sein. Wenn du deinen Mann halten willst, so …«

»Danke, aber deine Ratschläge brauche ich nicht«, schnappte Pelagia. »Kümmere du dich lieber um deine Arbeit.«

Helena zuckte mit den Schultern und schwieg.

Einige Tage später, als Pelagia abends in einer griechischen Schriftrolle las, die sie im Bücherbazar gekauft hatte, trat Daud ins Zimmer. Einen Augenblick stand er schweigend vor ihr, dann kniete er sich neben sie und küsste sie auf die Wange.

»Was hast du da?«

»Ein Roman des Kallisthenes über den großen Alexander«, erklärte sie. »Das war ein Makedonier, der vor einem Jahrtausend hier in Damaskus eingezogen ist. Dort fiel ihm der Schatz des Perserkönigs in die Hände. Aber wie so vielen Männern reichte ihm ein Sieg nicht. Der Ehrgeiz trieb ihn immer weiter, um die Welt zu erobern. Am Ende starb er, kaum älter als du heute bist, und sein Reich zerfiel.«

»Danke für die Belehrung. Meinst du, ich habe noch nie vom großen Iskender gehört?«, spottete Daud, »nur weil ich als dreckiger kleiner Araberjunge aufgewachsen bin? Meine Mutter hat mir oft Geschichten von ihm erzählt. Und unter dem Namen Dhulkarnein, der Doppelgehörnte, wird er sogar im Koran erwähnt.« Er nahm ihre Hand. »Ich weiß auch, dass Iskender bis Indien kam, dass er Perser und Griechen versöhnte. In Alexandria habe ich an seinem Grab gestanden.« Daud blickte in die Flammen der Öllampen. »Noch heute wird sein Name an allen Lagerfeuern mit Ehrfurcht genannt. Was kann man Höheres erstreben? Aber eine Frau wird das wohl nie verstehen …«

»Entschuldige, ich wollte nicht überheblich sein«, murmelte Pelagia.

»Möchtest du dir gerne mehr Bücher kaufen?«, wechselte Daud überraschend das Thema. »Hier, nimm.« Er reichte ihr einen kleinen Lederbeutel. »Da sind zehn Dinare drin.«

Zunächst lag Pelagia die Frage auf der Zunge, ob er sie damit beschäftigt wissen wolle, um sich in Ruhe Layla widmen zu können. Doch gerade noch rechtzeitig schluckte sie die bittere Bemerkung herunter.

»Danke, das ist sehr großzügig. Willst du dich nicht etwas zu mir setzen? Oder legen? Ich habe dich vermisst.«

Daud drückte ihre Hand. »Ja gerne. Auch du hast mir gefehlt.«

Doch als sich diesen Abend liebten, hatte Pelagia das Gefühl, dass Daud sich nicht so bewegte wie sonst. Ganz so, als habe eine andere Frau ihn andere Dinge gelehrt.

***

In den folgenden Monaten, als die Sonne immer stärker auf die Stadt herabbrannte, führte Pelagia ein seltsames Dasein. Jeden zweiten oder dritten Abend empfing sie Daud, doch ohne zu fragen, wo er die anderen Nächte verbrachte. Dazwischen versuchte sie, möglichst viel über ihre Rivalin in Erfahrung zu bringen – denn dass Layla das war, daran zweifelte sie nicht. Das Mädchen hatte helle Haut und dunkelblonde Haare. Schlank war sie, mit breiten Hüften und üppigem Busen, wie Pelagia mit stillem Neid feststellte, als sie sich zum ersten Mal im Bad des Hauses begegneten. Sie sprach zwar weder Griechisch noch Latein, doch da Pelagia inzwischen Arabisch leidlich beherrschte, konnten sie sich verständigen. So erfuhr sie, dass Laylas Eltern einem der wilden Stämme angehörten, die vor einem Menschenalter die Donaugrenze überquert und sich trotz aller kaiserlicher Gegenwehr in den Provinzen südlich des Flusses festgesetzt hatten. Heidnische Barbaren mit einer unverständlichen Sprache, die Pelagia hässlich und hart fand, voller Konsonanten und Zischlaute, als Layla einmal auf ihre Bitten hin einige Sätze sagte.

Immer wieder war Pelagia versucht, Daud zur Rede zu stellen, ihn herauszufordern, um zu sehen, wie er reagieren würde. Doch Helenas Rat hielt sie davon ab, so dass sie an den einsamen Abenden lieber Trost im Wein suchte und oft am nächsten Morgen mit schwerem Kopf erwachte.

Jeden Freitag ließ sich Layla in ihrer Sänfte demonstrativ zur Masdjid tragen, wo ein abgetrennter Bereich den Frauen vorbehalten war. Pelagia ärgerte sich über diese weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Mädchen und Daud. Doch ihr Trotz verbot es ihr, den gleichen Schritt zu tun, ja trieb sie sogar zum Widerstand. Eine Weile zögerte sie, bis sie eines Morgens Helena fragte, in welche Kirche sie am Sonntag ginge.

»In die Johanneskathedrale«, antworte die Dienerin, »zu den Chalkedoniern.«

»Zu wem?«, fragte Pelagia erstaunt, die sich an Ursos Bemerkung erinnerte. »Sind das die gleichen wie die Melkiten?«

»Ja. Wir bekennen uns zu den Beschlüssen des Konzils von Chalkedon. Melkiten nennen uns die Sarazenen, weil unsere Kirche dieselbe ist wie die des Kaisers in Konstantinopel. Der heißt bei ihnen Malik, König, und so sind wir eben die Melkiten«, lachte Helena, »im Unterschied zu den Nestorianern und den Monophysiten, die sich heftig mit unseren Priestern um den rechten Glauben streiten. Was wohl Jesus dazu gesagt hätte?«

Pelagia überlegte kurz. Von den Zänkereien der christlichen Bekenntnisse hatte sie schon oft gehört, ohne sich jedoch ernsthaft dafür zu interessieren. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Weißt du, welcher Richtung Sergios anhängt?«

»Er ist Nestorianer«, antwortete Helena prompt. »Ich kann ihn gerne fragen, wohin er geht.«

»Nicht nötig«, wehrte Pelagia ab, die hier eine willkommene Gelegenheit sah, den wachsamen Augen des Beschnittenen zu entgehen. »Wenn, dann komme ich mit dir.«

Ganz langsam, wie eine Schleierwolke am Himmel, formte sich ein Gedanke in ihrem Kopf, den sie immer wieder zu verdrängen suchte. Schließlich ging sie zu dem in die Wand eingelassenen Schränkchen, das ihre persönlichen Dinge barg. Zuerst nahm sie den versteinerten Seeigel in die Hand und legte ihn wieder zurück, dann öffnete sie ihre Schmuckschatulle, warf einen Blick auf das Armband und die Halskette, und griff zuletzt zu dem kleinen Ledersäckchen, dessen Inhalt sie bisher nicht angerührt hatte. Sie schüttete die Münzen in die linke Hand, ging zum Fenster, freute sich an dem warmen Glanz und nahm einen der Dinare in die Hand. Auf den ersten Blick sah er genauso aus wie die Solidi, die der Kaiser prägen ließ und die sie zuletzt in Syrakus, als Geliebte des Mizizios, in der Hand gehabt hatte.

Gold bedeutet Macht, ging ihr durch den Kopf, aber man kann sich auch Bequemlichkeit damit erkaufen. Oder Ansehen. Vielleicht … zögernd drehte sie die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger, … sogar Freiheit. Sie betrachtete das Goldstück genauer. Die Vorderseite zeigte das vertraute Herrscherbildnis, wenn auch mit arabischer Umschrift. Auf der Rückseite waren die üblichen drei Stufen zu sehen, aber wo sie bei den Solidi ein Kreuz trugen, war hier ein senkrechter Pfahl ohne Querbalken abgebildet. Pelagia legte die Münzen nachdenklich zurück. Zehn Dinare – mehr als ein normaler Jahresverdienst. Wer wusste schon, wozu sie das Gold einmal brauchen würde …

Dann schüttelte sie unwillig den Kopf und verscheuchte ihre Gedanken. Sie war Dauds Geliebte, würde ihm einen Sohn schenken, seine Frau werden und ihren Platz keineswegs kampflos räumen. Anstatt wie bisher der Rivalin aus dem Wege zu gehen, musste sie ihr die Stirn bieten. Am besten gleich heute!

Als die Dämmerung hereinbrach, schritt Pelagia energisch in Richtung des Bades. Sie wusste, wann die Andere dort zu sein pflegte, und hatte sich zuvor mit duftenden Ölen eingerieben. Voll Ärger hatte sie bei einem Blick in den Spiegel erste Fältchen um die Augen wahrgenommen, ebenso den nach zwei Schwangerschaften nicht mehr ganz so straffen Bauch. Doch bei den Falten half Creme und der Bauch ließ sich einziehen. Zumindest vorübergehend, schmunzelte sie, als sie das dampferfüllte Gewölbe betrat. Layla war schon da, ausgestreckt auf einer Liege, den nackten Körper mit einer Seidendecke verhüllt, die ihre Formen nachzeichnete.

Wenn sie erstaunt war, so verbarg sie es und begrüßte Pelagia mit einem freundlichen Kopfnicken. Diese musterte die vollen Lippen, die Stupsnase und die üppige Lockenpracht des Mädchens. »Gewöhnlich«, war ihr stummes Urteil, »eine Dorfschlampe, die weiß, wie man sich an Männer heranmacht.« Doch zwang sie sich gleichfalls ein Lächeln ab und hatte die Andere bald in ein Gespräch verwickelt. So erfuhr sie manches aus Dauds Leben, wovon sie zuvor keine Ahnung gehabt hatte.

»Woher weißt du das alles?«, fragte sie erstaunt.

»Weil ich ihn gefragt habe und ihm zuhöre«, lächelte Layla. »Kommst du mit ins Becken?«

Pelagia nickte stumm. Die Andere streifte das Tuch ab, um in das heiße Wasser zu steigen. Sie folgte ihr, bemüht, ihr Hinken zu unterdrücken. Plötzlich stutzte sie. Dieser kleine, runde Bauch des Mädchens – obgleich stämmig, war sie doch sonst schlank? Bedeutete das etwa …? Sie ballte die Fäuste und biss sich auf die Lippen. Nachdem beide untergetaucht waren und sich im Wasser räkelten, fasste Pelagia sich ein Herz. Im Ton freudiger Überraschung fragte sie: »Layla, bist du … bist du etwa guter Hoffnung?«

»Ja«, antwortete das Mädchen strahlend. »Ist das nicht wunderbar? Aber«, setzte sie tröstend hinzu und legte ihre Rechte auf Pelagias Arm, »auch du bist sicher noch nicht zu alt. Gib nicht auf!«

»Natürlich nicht!«, entgegnete Pelagia mit erstickter Stimme. Sie musste an sich halten, um nicht nach der Seifenschale zu greifen und der Rivalin den Schädel einzuschlagen.

Diese Nacht fand sie keinen Schlaf, sondern wälzte sich im Bett, bis der Morgen graute. Die nächsten Abende wartete sie vergeblich auf Daud, und wenn er nicht kam, befahl sie Helena, unverdünnten Wein zu holen, den diese mit missbilligendem Blick brachte. Becher um Becher schüttete sie die blutrote Flüssigkeit in sich hinein, bis die Welt um sie herum leicht zu werden schien und mitsamt ihren Sorgen davonwirbelte. Doch am nächsten Tag erwachte sie mit schwerem Kopf, und alles war noch schlimmer als zuvor. Vor allem, als sie am dritten Morgen Sergios erblickte, der neben ihrem Bett stand, sein glattes Kinn mit Daumen und Zeigefinger rieb und sie tadelnd musterte.

»Schluss mit Wein, sagt der Herr«, verkündete seine helle Knabenstimme.

Da Pelagia sich hundeelend fühlte, nickte sie nur stumm, obwohl sie den Beschnittenen für seine Spitzeldienste hasste.

An diesem Abend kam Daud wieder einmal zu ihr, wenn auch später als sonst. Er setzte sich in einen Sessel, fragte nach Fatima, erzählte Belangloses vom Hof des Kalifen, das ihn jedoch in gutem Licht erscheinen ließ, und holte zuletzt eine quadratische Ebenholzkiste hervor.

»Ich habe hier ein Spiel«, sagte er, »das auch der Kalif gerne spielt. Hättest du Lust, es mit mir auszuprobieren?«

Pelagia, die sich von seinem Besuch etwas anderes erhofft hatte, zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst … Zeig es mir.« Sie ließ ihre Finger über die Halskette aus blauen Glasperlen gleiten, die sie zu Hause stets trug. Langsam drehte sie das Rollsiegel, um ihr Glück zu beschwören.

»Es ist ein Kriegsspiel aus Persien, das Schatrandsch heißt«, erläuterte Daud. »Auf einem Brett mit acht mal acht Feldern stellt man je zwei Reihen von Figuren einander gegenüber auf. In der vorderen Reihe stehen die Bauern, dahinter stellt man die stärkeren Figuren auf. Ganz außen beginnt man mit dem mächtigen Rukh, dem Vogel, der selbst Elefanten wegtragen kann …«

Pelagia hörte aufmerksam zu und nahm sich vor, Daud eine würdige Gegnerin zu sein. Die ersten Partien gewann er leicht, doch bald holte sie auf, der Gleichmut der vergangenen Tag fiel von ihr ab, und als er um Mitternacht aufstand, hatte sie zum ersten Mal fast ein Unentschieden erreicht.

Als sie wieder alleine war, konnte sie trotz aller Müdigkeit nicht einschlafen. Zuletzt ging sie zum Fenster und blickte in den von Nachtschwärze erfüllten Hof herunter, hob dann ihren Blick. Grillen zirpten, unzählige Sterne flimmerten am Nachthimmel. Die vergangenen Stunden waren schön gewesen, dachte sie wehmütig. Voll Vertrautheit, aber ohne Leidenschaft. Liebte Daud jetzt diese Layla, die nicht einmal lesen und schreiben konnte? Ein ungebildetes Bauernmädchen mit gewöhnlichen Zügen, deren einziger Vorzug ihre Jugend war? Obwohl man ihr jetzt schon ansehen konnte, wie reizlos sie in einem Jahrzehnt aussehen würde? Mit Doppelkinn, plumpem Hintern und Hängebrüsten? Konnte sie das ertragen, hinter einem solchen Landtrampel zurückstehen zu müssen? Oder hatte sie keine Wahl? Nein, schoss es ihr durch den Kopf, man hatte immer eine Wahl – sofern man bereit war, den Preis dafür zu bezahlen.

***

Die nächsten Monate vergingen in angespannter Erwartung. Die drei Frauen – Pelagia, Schirin und Layla – teilten sich den Haram des Hauses, gingen sich aus dem Weg oder umschlichen einander wie lauernde Katzen. Daud kam jetzt regelmäßig zu Pelagia, um Schatrandsch zu spielen – und verlor immer häufiger. An solchen Abenden verabschiedete er sich ohne Zärtlichkeiten, so dass Pelagia gelegentlich eine Figur bewusst falsch setzte, um ihn gewinnen zu lassen. Doch obwohl sie ihn dann meist verführen konnte, wurde sie nicht wieder schwanger. So verging der Sommer, die Herbststürme fegten über die Stadt, der Winter brachte Kälte mit einzelnen Schneeflocken, und als der März kam, stand eines Morgens Helena atemlos in der Türe.

»Es ist so weit. Bei Layla haben die Wehen eingesetzt.«

Pelagia erstarrte. Was sollte sie wünschen? Dass die Rivalin im Kindbett verblutete? Dass ihr Balg starb? Oder dass es zumindest nur ein Mädchen sein würde? Aufgewühlt ging sie zum Fenster, um in den Hof zu lauschen, auf den auch das Zimmer der Anderen ging. Ein gedämpfter Schrei, danach Ruhe, Stimmengemurmel, Stöhnen. Pelagia biss sich auf die Lippen. Längere Zeit war nichts mehr zu vernehmen, bevor erneut Schreie durch den Innenhof hallten. Jetzt glichen sie Wellen, die kamen und gingen, stärker wurden, sich an den Mauern brachen, verebbten, um kurz darauf erneut einzusetzen.

Die Zeit verstrich, während sich nach und nach Mitleid in Pelagias Eifersucht mischte. Plötzlich weinte Fatima im Nebenzimmer, und als sie ihre Tochter auf den Arm nahm, wollte die Kleine mit Tränen in den Augen wissen. »Mama, muss die andere Frau jetzt sterben?«

Da schämte sich Pelagia ihrer missgünstigen Wünsche. Ein Mädchen, dachte sie, ein gesundes Mädchen gönne ich ihr, das soll sie bekommen, mehr will ich gar nicht.

»Nein, mein Schatz, sie hat nur Bauchweh«, antwortete sie und rief nach der Sänfte, »weil sie ein kleines Kind bekommt, so wie du eines warst.« Sie ließ sich durch den heiligen Bezirk bis zu dem Brunnen tragen, der jenseits der Ostmauer einen Strahl klaren Wassers in ein uraltes Becken plätschern ließ und den Fatima so liebte. Dort saß sie, bis die Sonne sank und es kühl wurde, sah ihrer Tochter beim Spielen zu, wechselte einige Worte mit dem Wasserverkäufer und versuchte, die Gedanken an das zu verdrängen, was einige Straßen weiter geschehen mochte. Als sie endlich nach Hause zurückkehrte, herrschte dort eine verstörende Stille. Bei Sergios' Anblick stockte ihr der Atem.

»Ist sie …«, fragte sie leise, »hat Layla …?«

»Ja, Herrin«, antwortete der Beschnittene mit zufrieden glänzendem Gesicht, »Ihr könnt beruhigt sein. Sie hat einen gesunden Jungen zur Welt gebracht.«

»Danke«, stammelte Pelagia mit versteinerter Miene und eilte, Fatima hinter sich her zerrend, die Treppe zu ihrem Zimmer empor. Niemand sollte sehen, was sie empfand.

***

In den nächsten Wochen kam Daud wieder regelmäßig, und sie liebten sich, wenn auch Pelagia den Verdacht nicht los wurde, dass diese Zuwendung hauptsächlich der Unpässlichkeit ihrer Rivalin geschuldet war. Doch ließ sie sich nichts anmerken, so dass er oft noch auf ein oder zwei Partien Schatrandsch blieb und dabei eines Abends sogar auf seine Arbeit zu sprechen kam.

»Stell dir vor«, bemerkte er mit sichtbarem Stolz, während er einen Bauern vorschob. »Der Kalif wird mich und einige andere damit beauftragen, eine starke Flotte auszurüsten …«

»Das ist gewiss eine große Ehre«, entgegnete sie lächelnd, wobei sie ihren General versetzte, um einer anderen Figur die Angriffslinie freizugeben. »Aber warum das, was will er erreichen?«

»Die Flotte der Rum hat kürzlich einen großen Überfall auf die ägyptische Stadt Barallus verübt«, antwortete er und durchkreuzte ihre Pläne durch ein geschicktes Manöver, »wobei die ungläubigen Hunde viele unserer Schiffe verbrennen konnten. Das muss ein für alle Mal ein Ende haben, befiehlt der Beherrscher der Gläubigen …«

Pelagia fühlte einen Kloß im Magen – weniger wegen der Aussicht auf einen weiteren, fernen Krieg, als wegen seiner Wortwahl. Zu diesen Ungläubigen zählte auch sie. War ihm das nicht mehr bewusst oder riss der Graben zwischen ihnen immer weiter auf? Sie überlegte, machte einen gewagten Zug und fragte mit unschuldiger Miene. »Und wohin soll eure Flotte segeln?«

»Das darf ich dir nicht verraten«, entgegnete er und nutzte seinen Vorteil aus, um ihre Figur zu schlagen.

»Na ja«, Pelagia zuckte leichthin mit den Schultern, »es wird wohl das Übliche werden. Ihr greift an, erobert ein paar Festungen, plündert Kirchen, erschlagt Männer, vergewaltigt Frauen, kehrt stolz zurück und nächstes Jahr geht alles von neuem los …«

Daud sah sie stirnrunzelnd an, doch dann schmunzelte er. »Ja, so war es bisher, aber so wird es nicht wieder sein. Diesmal siegen wir endgültig. Der Kaiser der Rum muss sich vor dem Kalifen in den Staub werfen oder seinen Thron verlieren. Aber weil ihm seine Verblendung die Unterwerfung nicht gestattet, erwartet ihn Allahs strenge Strafe. Unsere Beute jedoch wird eine ungeheure sein – und damit auch mein Anteil. Wir werden im Gold schwimmen!« Er setzte seinen Rukh vor, so dass er ihren General bedrohte, und sah sie mitleidig an. »Du spielst heute schlecht. Gib auf, du hast verloren!«

Pelagia nickte abwesend. »Ja, das sehe ich. Ich habe verloren.«

***

Die Wochen vergingen, die Oleander im Hof blühten, und Pelagia fragte sich hin und wieder, was Daud wohl gemeint haben konnte. Ein Sieg, der alles entscheiden würde? Ungeheure Beute? Da bliebe eigentlich nur ein Angriffsziel …

Doch dann kreisten ihre Gedanken immer mehr um ihre eigene Lage, so dass sie die große Politik verdrängte. Sobald Layla sich von der Geburt erholt hatte, stolzierte sie wie eine Königin durch das Haus, den kleinen Suleiman auf dem Arm. Zwei Dienerinnen wurden für sie eingestellt sowie eine eigene Amme, mit der Helena bald Freundschaft schloss, so dass sie Pelagia allen Klatsch aus dem anderen Bereich des Harams brühwarm berichten konnte.

»Daud verlangt, dass alle sie jetzt mit ›Umm Suleiman‹ anreden«, berichtete sie eines Tages. »Ich glaube, er wird sie bald freilassen und heiraten.«

»Was?!«, fuhr Pelagia auf und ließ ihre Buchrolle fallen. »Diesen Trampel zur Frau nehmen? Sag, dass das nicht stimmen kann!«

Helena betrachtete ihre Herrin mitleidig. »Die Frau, die einem Sarazenen als erstes einen Jungen schenkt, wird die Herrin des Hauses. Daran musst du dich jetzt gewöhnen.«

»Nichts muss ich!«, schrie Pelagia und warf einen Teller mit Feigen an die Wand, dass er zersplitterte und die Katze mit einem lauten Miauen aus der Türe stob. »Ich bin die Richtige für ihn! Die Frau, die ihm das Schicksal verheißen hat. Das hat er selbst gesagt!«

Helena schüttelte nur stumm den Kopf und klaubte die mit zerquetschen Früchten vermengten Scherben auf, während ihre Herrin schwer atmete.

»Bring mir Wein«, stieß diese schließlich hervor. »Ja, ich weiß, dass Daud das nicht will!«, herrschte sie Helena an, als diese den Mund öffnete. »Aber heute brauche ich das. In letzter Zeit beehrt mich mein Herr eh selten genug …«

An diesem Abend jedoch stand Daud unerwartet in der Türe. Er schnupperte, als er den Raum betrat, und Pelagia, die bereits ausgezogen unter einer Seidendecke lag, stellte schnell den Becher hinter ihre Liege. Doch ließ er sich nichts anmerken, setzte sich zu ihr und strich ihr übers Haar. »Wie geht es dir?«, fragte er zuletzt, um das Schweigen zu brechen.

»Gut«, antwortete sie nur, obwohl ihr eine bittere Replik auf der Zunge lag, »aber du fehlst mir.« Sie sah ihm ins Gesicht, ließ ihre Finger über die wulstige Narbe gleiten, die seine linke Wange entstellte, und sah die grauen Strähnen, die seine schwarzen Haare durchzogen. Er strahlte Stärke aus, und plötzlich begehrte sie ihn. Zugleich fielen ihr aber auch die zahlreichen Fältchen auf, die seine Augen wie ein Netz umgaben. »Du siehst müde aus«, fügte sie hinzu, »hast du Sorgen?«

»Nein, meine Gazelle, mir geht es gut. Ich habe einen wunderbaren Sohn, eine Frau, ich habe dich …«

»Bin ich nicht deine Frau?«

Daud zögerte. »Mit dir kann ich so gut reden wie mit niemandem sonst.«

»Obwohl du mir nicht einmal sagen würdest, was es mit dieser Flotte auf sich hat?«

Er zuckte mit den Schultern. »Das musst du einsehen. Ich kann dir keine Staatsgeheimnisse anvertrauen!«

»Aber natürlich nicht«, entgegnete sie mit gespitztem Mund, während sie mit der Rechten über seine Brustmuskeln strich. »Wenn das der liebe Sergios dem Kalif berichten würde …« Träge glitt ihre Hand tiefer. »Was kannst du denn mit mir noch besonders gut?«

Er schob ihre Hand weg. »Was soll das mit Sergios?«

»Nur so«, antwortete sie leichthin, »wer immer im Haus herumschleicht, könnte leicht auch zu viel erfahren, meinst du nicht?« Sie legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel und schob sie langsam aufwärts. »Sag, dass du mich liebst. Dass du mich begehrst.« Als sie seine Reaktion spürte, kicherte sie. »Sag es!«

»Ja, ich liebe dich, ich begehre dich!«, murmelte er und küsste sie.

»Gut. Und jetzt sag, dass nur ich deine Frau bin. Dass du mich freilassen und heiraten willst.« Bei diesen Worten umspielten ihre Finger seine Männlichkeit, so dass er aufstöhnte.

»Lass das!«

»Aber ich will dich«, schnurrte Pelagia. »Und du hast mir noch nicht geantwortet!«

Daud atmete heftig ein und aus, dann umschlossen seine Hände ihre Rechte. »Du bist betrunken!«

»Und du weichst mir aus!«, konterte sie. »Kannst du nicht ehrlich antworten?«

Er zögerte, schluckte, sah in eine Ecke. »Doch, das kann ich. Ich … Ich werde Layla heiraten!«

Pelagia erstarrte. »Ist das dein Ernst? Aber die ist doch nichts für dich!«

»Das musst du schon mir überlassen!«, erwiderte er kühl.

»Du könntest doch sie als Beischläferin behalten«, versuchte es Pelagia erneut. »Ich bin die viel bessere Frau für dich. Das Schicksal hat mich gesandt. Du hast es selbst gesagt.-.«

»Aber sie ist die Mutter meines erstgeborenen Sohnes«, entgegnete er, »sie ist meine Umm Suleiman!«

»Und nur deshalb musst du sie gleich zu deiner Frau machen?«, spottete Pelagia, »weil es in deiner Wüste so Sitte war?«

»Lass bitte den Ton!«, seufzte er. »Nein, nicht nur deswegen. Ich … liebe sie auch. Sie ist … nun, zärtlich, sie gehorcht mir, sieht zu mir auf und sie …«

»Und sie wirkt wahre Wunder im Bett, das wolltest du doch sagen!«, zischte Pelagia. »Alles andere stört dich nicht?«

»Was sollte mich denn stören?«

»Wie wäre es damit: Sie ist ungebildet, sie kann weder lesen noch schreiben?«

»Das wird sie lernen!«, gab Daud ohne große Überzeugung zurück.

»Der Lehrer tut mir heute schon Leid!«, spottete Pelagia. »Und hast du sie mal von der Seite angesehen?«

»Wozu das?«

»Weil du dann erkennen müsstest, dass sie in wenigen Jahren ein Doppelkinn haben wird. Vom Hängesteiß ganz zu schweigen!«

»Jetzt reicht's«, fuhr er sie an. »Hüte deine Zunge, sonst …«

»Sonst was? Setzt es dann wieder etwas aus der Koransura über die Frauen?«

»Pelagia! Auch meine Geduld kennt Grenzen!«

»Dann halte dir keine zwei Weiber. Das bewältigst du nämlich nicht. Weißt du, was noch in der vierten Sura steht?«

»Willst du etwa behaupten, dass du …«

»Nein, ich besitze keinen Koran. Aber in der Stadt habe ich einmal einen weisen Mann getroffen, der ebenfalls das ganze Buch auswendig konnte, und der mir diesen Teil übersetzt hat. Ja, ihr könnt bis zu vier Frauen haben. Aber euer Allah warnt darin auch die Männer: ›So ihr fürchtet, nicht gerecht zu euren Frauen zu sein, so heiratet nur eine.‹«

»Genau das werde ich tun!«, gab Daud wütend zurück. »Und zwar diejenige, die mir nicht ständig das Wort im Munde herumdreht, die …«

»Strohdumm ist und an deinen Lippen hängt!«

»Noch ein Ton, und du wirst es bereuen!«

»So, werde ich das?«, vom Wein ermutigt, blitzte sie ihn herausfordernd an. »Weil mein Mann dann sein von Allah verliehenes Züchtigungsrecht ausüben könnte?« Es bereitete ihr eine seltsame Freude, ihn zur Weißglut zu reizen, und die Spannung, was jetzt wohl geschehen mochte, erregte sie. Sie legte den Kopf zur Seite und fragte spöttisch: »Na, was tut mein armer Gebieter nun? Zuschlagen?«

»Halte deinen Mund! Das ist meine letzte Warnung!«

»Also schweige ich von dümmlichen Dorftrampeln mit teigigen Gesichtern, die …«

Weiter sollte sie nicht mehr kommen. Mit wutverzerrtem Gesicht zog Daud die Decke weg, stutzte, als er ihre Nacktheit sah, riss Pelagia hoch und drehte sie mit wenigen Griffen auf den Bauch. Mit der Linken presste er ihren Oberkörper auf die Kissen. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie er mit der Rechten ausholte, dann hörte sie das Klatschen. Der Schmerz war so scharf, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste. Wieder und wieder schlug er zu, wobei ihr stummer Widerstand ihn nur noch mehr zu reizen schien. Bald brannte ihre Rückseite wie Feuer, doch ihr Trotz war stärker. Noch nie hatte sie ein Mann geschlagen, und plötzlich merkte sie, dass sie es als demütigend, zugleich aber auch als seltsam erregend empfand. Und als er unvermittelt innehielt und sie schwer atmend fragte, ob sie sich nun entschuldigen wolle, so dass er ihr den Rest erlassen könne, schüttelte sie nur verächtlich den Kopf. Mit einem Male war sie die Stärkere, beugte sich nicht mehr seinen Befehlen und zeigte ihm, dass er so ihren Willen nicht würde brechen können. Wieder schlug er zu, diesmal mit aller Kraft, so dass sich Pelagia unter seinen Hieben wand, doch weiterhin ohne einen Laut von sich zu geben. Niemand im Haus sollte sie schreien hören – an diesem Gedanken biss sie sich fest. Als Daud schließlich erschöpft die Hand sinken ließ, standen ihr Tränen in den Augen. Doch sie war stärker gewesen, hatte seine Gewalt stumm ertragen und ihm so ihre Verachtung gezeigt! Während der beißende Schmerz allmählich zu einem Brennen herabsank, spürte sie auf einmal ein seltsames Gefühl der Lust, das sie sich zuerst nicht eingestehen wollte. Doch am Ende rollte sie sich zur Seite, stand mit zitternden Beinen auf, drückte Daud auf das Bett, warf sich auf den verblüfften Mann und zog ihm die Kleider vom Leibe. Dann liebten sie sich mit einer nie zuvor gekannten Heftigkeit. Zum ersten Mal erlebte Pelagia seit den Nächten mit Mizizios wieder dieses Gefühl der Ekstase, das für wenige kostbare Augenblicke die ganze übrige Welt in Bedeutungslosigkeit versinken ließ.

Als sie am nächsten Morgen erwachte und sich aufsetzen wollte, stöhnte sie unwillkürlich. Nicht nur dass ihr der Kopf weh tat, auch das Sitzen verursachte Schmerzen. Im Handspiegel sah sie die blauen Flecke, fühlte Stolz und Scham zugleich. In den nächsten Tagen würde sie das Bad meiden müssen – oder es zumindest nur dann aufsuchen, wenn sie sicher sein konnte, alleine zu sein.

Da stieß ihr Fuß gegen etwas metallisch Klirrendes. Sie bückte sich und hielt einen kleinen Schlüssel mit fein gearbeitetem Bart in der Hand. Daud musste ihn gestern Abend verloren haben, und Pelagia glaubte zu wissen, wozu er gehörte: Zu einer eisenbeschlagenen Kiste, die in seinem Zimmer stand, und in der er, wie sie einmal beobachtet hatte, Wertsachen und Dokumente verwahrte. Eine Weile hielt sie das kleine Stück Eisen in der Hand, dann nahm sie eine Kerze aus ihrem Wandschrank, erwärmte das Wachs zwischen den Handflächen und drückte den Schlüsselbart sorgfältig ab. Wozu sie das tat, konnte sie nicht sagen, aber es bereitete ihr eine tiefe Genugtuung. Anschließend bat sie Helena, dem Herrn sein Eigentum zurückzubringen.

***

In den nächsten zwei Monaten sah Pelagia Daud kaum, da er die meiste Zeit in der Hafenstadt Tyrus verbrachte, wo in den Werften ein Schiff nach dem anderen auf Kiel gelegt wurde. Mehr aus Langeweile denn aus Frömmigkeit beschloss sie, nun tatsächlich den sonntäglichen Gottesdienst in der Johanneskathedrale zu besuchen. Alles war besser, als in dem leeren Haus herumzusitzen, in dem die einzige Abwechslung das stete Plärren des kleinen Suleiman bildete, den die mutterstolze Layla allen Anwesenden zur gebührenden Bewunderung unter die Nase hielt.

In Helenas Begleitung ließ Pelagia sich in ihrer Sänfte zu der Kirche tragen, hob die Augen zu den riesigen Säulen der Vorhalle und stand ehrfurchtsvoll vor den zweiflügeligen Bronzetüren, die höher ragten als vier übereinander gestellte Männer. Innen war der fensterlose Raum von unzähligen Kerzen erhellt, deren Flackerschein von Reliquienkästchen, reich verzierten Kelchen und goldglänzenden Wandmosaiken mit Szenen aus der Bibel reflektiert wurde. In den von Säulen eingefassten Wandnischen, die einst heidnische Bildnisse enthalten haben mochten, hingen nun edelsteingeschmückte Ikonen, deren Heilige mit strengem, weltentrücktem Blick auf die Gläubigen herabsahen. Umrahmt wurden sie von zahllosen Votivgaben, die ihre wundertätige Macht bezeugten.

Anfangs kam sich Pelagia inmitten der düsteren Pracht einsam vor, doch als unbekannte, offenbar wohlhabende Dame, die erst in der Kirche ihren schwarzen Schleier ablegte, erregte sie die Neugierde der anderen Gottesdienstbesucher. Bald kannte sie immer mehr Gläubige, fand Freunde und erfuhr mancherlei Neuigkeiten aus dem Reich des Kalifen. Selbst ihr geheimer Verdacht bestätigte sich: Auch die anderen Christen flüsterten angstvoll, die neue, große Flotte würde gewiss gegen Konstantinopel gerüstet – die Stadt, in der nicht nur der Kaiser residierte, sondern auch der Patriarch, das Oberhaupt ihrer Kirche. Nur Urso traf sie nicht, obwohl sie immer wieder die rechte Bankreihe musterte, in der die Männer saßen.

Als Daud endlich zurückkehrte, begrüßte ihn Layla so überschwänglich, dass es durch den ganzen Hof hallte. Später am Abend sah er bei Pelagia vorbei, wirkte jedoch müde, so dass beide nur einige höfliche Worte miteinander wechselten. Ja, der Flottenbau schritte gut voran, nein, er könne noch nicht absehen, wann seine Aufgabe erledigt sei, leider sei es keineswegs möglich, morgen frei zu nehmen, um den Tag mit ihr zu verbringen, da er zu einem Treffen des Kriegsrates müsse.

Am Abend des Folgetages, als Pelagia gerade in einer neu erworbenen Ausgabe der Historien des Herodotos las, trat Helena mit sorgenvollem Gesicht durch die Türe. »Fatima will ihr Kichererbsenmus nicht essen.«

»Hat die Köchin wieder zu viel Knoblauch hineingetan?«, fragte Pelagia abwesend, doch die Dienerin schüttelte den Kopf und blieb in der Türe stehen.

»Nein, die Kleine hat einfach keinen Hunger. Selbst die Datteln in Honig hat sie weggeschoben.«

»Ach, lass sie noch etwas spielen«, meinte Pelagia beschwichtigend. »Du wirst sehen, in einer halben Stunde reißt sie dir den Teller aus der Hand.«

»Gebe es Gott«, murmelte Helena und ging wieder an die Arbeit, während Pelagia sich erneut in ihre Schriftrolle versenkte.

Kurze Zeit später jedoch kam ihre Tochter weinend angelaufen. »Mama, ich hab Aua!«

Pelagia nahm sie auf den Arm und erschrak, wie fiebrig sie sich anfühlte. »Wo tut es denn genau weh, mein Engel?«

Fatima legte die Hand auf ihren Bauch, unterhalb des Nabels, und wimmerte: »Hier, Mama!«

»Hast du mittags etwas gegessen, das dir nicht bekommen ist?«, fragte die Mutter und rief die Köchin, doch es hatte seit dem Vortag nichts gegeben, das leicht verderblich gewesen wäre – keinen Fisch, keine Innereien.

»Komm, ich bringe dich ins Bett und erzähle dir etwas.« Pelagia trug ihre Tochter ins Nebenzimmer. »Was willst du hören?«

»Die Geschichte von dem indischen König!«

Und so beschrieb Pelagia das mächtige Reich dieses Königs, der über zahllose Städte mit Tausenden von Einwohnern herrschte, schilderte die Tempel voll goldener Statuen, die heiligen Flüsse, die tapferen Armeen und die glitzernden Edelsteine, die seine Schatztruhen füllten. »Doch leider gab es in diesem wunderbaren Land viel Hader und Zank«, erzählte sie, »denn die Priester der verschiedenen Religionen bekämpften sich erbittert, wobei jeder behauptete, nur sein Glaube sei der einzig wahre. Und so ließ der König eines Tages die Blinden seiner Hauptstadt herbeischaffen und aus einem Tempel einen zahmen Elefanten bringen. Daraufhin gebot er den Blinden, ihm das Tier zu beschreiben. Alsbald betasteten sie es alle und der, welcher ein Bein umfasst hielt, behauptete: ›Der Elefant ist rau und mächtig wie ein Baumstamm.‹ Der jedoch, der seine Hand auf den Rüssel gelegt hatte, widersprach: ›Dummkopf, der Elefant ist lang und geschmeidig wie eine Riesenschlange!‹ Daraufhin schrie der, welcher das buschige Schwanzende gepackt hatte: ›Welch ein Unsinn! Der Elefant ist dünn und haarig, ich fühle es genau!‹ Und während sie noch weiterstritten, bemerkte der König zu den Priestern, die er ebenfalls herbeibefohlen hatte: ›Genau so blind und eigensinnig seid auch ihr. Gott in seiner Größe ist unfassbar für den menschlichen Geist. Jeder von euch besitzt ein Stückchen Wahrheit, aber keiner vermag den Allmächtigen wirklich zu schauen. Gehet nun hin in Frieden und streitet euch nie wieder.‹ Und so gingen die Priester beschämt aus dem Palast und hinfort gab es im Reich keinen Zank mehr um den rechten Glauben.«

Pelagia hielt kurz inne, als sie an ihren Vater dachte, der ihr einst diese Geschichte erzählt hatte, da begann das kleine Mädchen plötzlich zu weinen. »Mama, jetzt ist mir schlecht.«

Die eilig herbeigerufene Helena hielt ihr eine Schüssel hin, in die sich Fatima würgend erbrach. Doch auch danach hörten die Schmerzen nicht auf, aber immerhin wurde das Mädchen allmählich müde. Ihre Mutter erzählte ihr noch eine Geschichte, aber bereits vor dem Schluss fielen der entkräfteten Kleinen die Augen zu. Pelagia ging in ihr Zimmer, doch ohne Ruhe zu finden. Als sie hörte, dass Daud zurückkam, eilte sie zu ihm und bat um Einlass. Er saß an einem großen Tisch, auf dem Pergamentblätter ausgebreitet lagen – Listen und Landkarten, so schien es Pelagia, doch schob er alles schnell auf einen Stapel.

»Was hast du?«, fragte er. Seine Augen waren matt, der Ton gereizt.

»Fatima ist krank«, sagte Pelagia leise. »Ich mache mir Sorgen.« Sie schilderte die Beschwerden.

Daud sah sie verwundert an. »Sie hat sich gewiss den Magen verdorben. Pack sie warm ein, dann wird das schon wieder. Wenn nicht, solltest du morgen einen Arzt rufen.« Pelagia nickte, doch ohne innere Überzeugung. Einen Augenblick war sie versucht, zu ihm zu gehen und ihn zu umarmen, doch sie brachte es nicht über sich. Der zwischen ihnen aufgerissene Graben war zu einem Abgrund geworden.

***

Diese Nacht wurde sie mehrfach durch Fatimas Weinen aus dem Schlaf gerissen, deren Bauchweh trotz der warmen Tücher nicht aufhören wollte. Schließlich holte sie das Mädchen zu sich ins Bett und sprach mit sanfter Stimme auf sie ein, wenn wieder ein Krampf den Körper erschütterte. Völlig erschöpft fanden beide erst zum Morgen hin Schlaf. Helena brachte einen warmen Kräutersud, den die Kleine schluckweise trank, doch dann setzten die Krämpfe erneut ein, so dass Pelagia den Eunuchen nach einem Arzt schickte. Sergios kehrte mit einem weißhaarigen, rundlichen Ägypter namens Joseph zurück, der bedenklich den Kopf schüttelte, jedoch mit der Kleinen scherzte, bis sie Vertrauen zu ihm fasste und ihn ihren Bauch betasten ließ. Vorsichtig drückte er unterhalb des Nabels, dann fester, bis Fatima jäh einen gellenden Schrei ausstieß und panisch versuchte, sich seinen Händen zu entwinden. Pelagia wollte ihr Kind an sich reißen, doch mit einem Mal zog ein Lächeln über das kleine Gesicht. »Das Aua ist weg!«

Der Arzt, zuerst selbst über seinen schnellen Erfolg erstaunt, strich sich zufrieden über den Bauch. »Sie hatte wohl eine Verstopfung im Darm, die sich gelöst hat. Gebt ihr reichlich zu trinken und«, so setzte er nach kurzem Zögern hinzu, »ruft mich sofort, wenn sich etwas an ihrem Befinden ändern sollte.«

Dankbar entlohnte ihn Pelagia und lief zu Daud, der jedoch, wie der Stallknecht berichtete, unerwartet weggeritten war. Den Tag verbrachte sie mit Fatima, die noch sehr schwach war, herzte sie, erzählte ihr Geschichten und fütterte sie mit Datteln in Honig. Dem Mädchen ging es besser, obwohl das Fieber nicht weichen wollte, sodass sie völlig verausgabt einschlief. Diese Nacht verlief ruhig, bis Pelagia am nächsten Morgen durch laute Rufe geweckt wurde.

»Mir ist so kalt«, weinte Fatima und zitterte am ganzen Körper, obgleich ihre Stirn glühte. In den nächsten Stunden wurden auch die Bauchschmerzen wieder stärker, bis Pelagia voll Verzweiflung Sergios rufen ließ.

»Ein Arzt muss her, sofort!«, befahl sie. »Hol mir den besten, den es gibt. Daud hat erzählt, dass am Hof des Kalifen ein berühmter christlicher Arzt namens Ibn-Uthal verkehren soll. Kennst du ihn?«

»Ja, wer kennt den Namen nicht. Nur wird er nicht so einfach alles stehen und liegen lassen und kommen.«

»Aber auf Daud hört er sicher. Daud ist einflussreich, er …«

»Aber der Herr ist nicht da. Er musste gestern nach Tyrus, wegen des Flottenbaus.«

»Und wann«, Pelagia zitterte, »wann kommt er zurück?«

»Er wollte sich beeilen, nur vor einer Woche wird er es nicht schaffen.«

»Eine Woche?« Sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. »Dann ruf Joseph. Renn los!«

Doch der Ägypter war in der Stadt unterwegs, so dass Stunde um Stunde verstrich, bis er endlich durch die Türe hastete. Behutsam legte er seine Hand auf den Bauch des wimmernden Kindes, und Pelagia konnte sehen, wie er zusammenzuckte.

»Die Bauchdecke ist ganz hart«, murmelte er, »ich gebe ihr Mohnsaft mit Honig gegen die Schmerzen.« Er flößte Fatima einige Schlucke ein, dann bat er Pelagia, ihm ins Nebenzimmer zu folgen.

»Es sieht schlecht aus«, sagte er leise, »sie hat etwas im Bauch. Einen Dämon, gegen den erfahrungsgemäß keines meiner Heilmittel hilft. Gebt ihr weiter Mohnsaft. Ist sie getauft?«

»Nein«, Pelagia verkrampfte die Hände. »Ihr Vater wollte, dass sie im Sarazenenglauben erzogen wird.«

Joseph zuckte mit den Schultern. »Betet für eure Tochter – ich kann nichts mehr für sie tun. Betet und überlegt, ob ihr sie nicht doch noch taufen lassen wollt.« Mit diesen Worten verabschiedete er sich, die angebotene Bezahlung lehnte er ab.

Pelagia blieb wie gelähmt zurück. Alle Anspannung, alle Erschöpfung lasteten plötzlich bleischwer auf ihr, so dass sie sich kaum noch aufrecht halten konnte. Sie nahm Fatima in die Arme, die fiebrig und völlig teilnahmslos wirkte, setzte sich in ihren Sessel und starrte handlungsunfähig aus dem Fenster, wo die späte Nachmittagssonne ihre schrägen Strahlen über die Stadt warf. Eine halbe Stunde mochte sie so gesessen haben, dann sprang sie auf.

»Helena!«, rief sie. »Lass die Sänfte fertig machen. Schnell!«

»Ihr wollt ausgehen? Und Fatima?«

»Die nehme ich mit. Ich muss sie …«, die folgenden Worte flüsterte sie, »zu einem Priester bringen, der sie tauft! Aber kein Wort zu Sergios, der würde es nur Daud verraten!«

Kurze Zeit später saß sie in der schaukelnden Sänfte, deren Träger sich bemühten, so schnell wie möglich voranzukommen. Doch es war Markttag und die Straßen voller Händler, voll schwer bepackter Lastenträger, einkaufender Frauen und Handwerker vom Land, die in dem Gedränge versuchten, ihre Waren feilzubieten.

»Schneller!«, trieb Pelagia sie an, als sie den äußeren Tempelbezirk mit seinen zahllosen Verkaufsständen überquerten. Doch in dem Geschiebe kamen sie der vor ihnen aufragenden Mauer des heiligen Bezirks, in dem die Johanneskathedrale lag, nur im Schneckentempo näher.

»Beeilt euch doch!« Pelagias Stimme kippte fast, Schluchzen schüttelte sie. Sie umklammerte verzweifelt ihre Tochter, die schwer atmete und leise wimmerte. »Mein Bauch … Aua …«

Endlich erreichten sie das Portal, durch das man in den heiligen Bezirk gelangte. Jetzt lag der weite, von Säulen umstandene Platz vor ihnen, in dessen Mitte sich die Johanneskathedrale erhob. Der Giebel, von riesigen Säulen mit vergoldeten Bronzekapitellen gestützt, schimmerte noch in der Abendsonne, während der untere Teil mit dem Eingang bereits in grauem Schatten versank. Einige Sarazenen, die auf dem Weg zum Abendgebet in die Masdjid waren, verdrehten erstaunt die Köpfe, als sie die verschleierte Frau aus der Sänfte steigen und mit einem Kind im Arm in die Kirche hinken sahen. Innen blickte sich Pelagia wie ein gehetztes Tier um, verwirrt von der Dunkelheit, in der zahllose Kerzen und Öllampen flackerten.

»Ist hier wer?«, schrie sie, dass es in dem Riesenraum widerhallte. »Hört mich denn niemand? Hilfe!«

Ein alter Diakon erhob sich von einem Hocker, schlurfte heran, musterte Pelagias Kleidung und schüttelte missbilligend den Kopf. »Junge Frau, die Sarazenen versammeln sich …«

»Ich bin Christin, das ist meine Tochter«, fiel ihm Pelagia weinend ins Wort. »Sie ist schwer krank, sie muss sofort getauft werden!«

»Ja, oh Gott, natürlich …«, der alte Mann hastete zum Ausgang, wo er sich nochmals umwandte. »Aber es kann etwas dauern. Gerade ist kein Priester hier. Betet derweil zum heiligen Johannes. Da hinten führt die Treppe zu dem Gewölbe mit seiner Reliquie!«

Pelagia nickte, stieg die Stufen hinab und kniete sich vor dem reichverzierten Schrein mit dem Kopf des Täufers auf den Boden. Die Kleine in ihrem Arm atmete nur noch schwach, der Mund stand offen und gelegentlich stöhnte sie leise. Ihr Leben verrann, niemand würde sie mehr retten. Aber vielleicht, daran klammerte sich Pelagia, die Zeit ihres Lebens nie gläubig gewesen war, vielleicht konnte sie wenigstens noch etwas für sie tun, indem sie sie taufen ließ. Wo nur der Priester blieb? Fieberhaft murmelte sie alle Gebete, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte, während die feuchte Kühle des Gewölbes sie erschauern ließ. Wie in einer Gruft, durchfuhr es sie, aber noch ist sie nicht tot, noch lebt meine Tochter. Sie rüttelte das Kind, das plötzlich die Augen öffnete. »Mama«, flüsterte Fatima und lächelte schwach, bevor sich ihr Gesicht wieder vor Schmerzen verzog.

Da eilten Schritte die Treppe herunter. »Schnell, kommt hoch!«

Pelagia sprang auf und folgte dem jungen Priester, der ihr das Kind abnahm und dabei Unverständliches murmelte. In einer Ecke neben dem Hauptaltar stand ein Baldachin, von vier Säulen getragen, unter dem sich ein kreuzförmiges Becken befand, zu dem Stufen hinabführten. Der Priester schritt mit dem Mädchen hinunter, entkleidete es und sagte mit klarer Stimme: »Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes«, wobei er jedes Mal den kleinen Körper in das dunkel schimmernde Wasser tauchte. Fatima weinte, doch beruhigte sie sich schnell, als ihre Mutter sie mit einem Tuch abtrocknete, das ihr der Priester reichte, und sie an ihre Brust drückte. Pelagia bedankte sich, lief zum Ausgang und winkte ihre Sänfte herbei. Als sie zu Hause Fatima in ihr Bettchen legen wollte, gab die Kleine kein Lebenszeichen mehr von sich.

***

Anfangs war Pelagia wie versteinert. Stundenlang hielt sie den reglosen Körper im Arm, sprach mit ihrer Tochter und wiegte sie, als sei sie nur eingeschlummert. Erst nach Mitternacht begann sie zu schluchzen, immer lauter, bis ihre Schreie durch das Haus hallten. Alle Diener liefen erschrocken zusammen, Layla ließ sich nicht blicken, doch auf einmal stand Schirin in der Türe. Ihre Haare waren vom Schlaf zerzaust und das sonst stets beherrschte Gesicht hatte seine Strenge verloren. Stumm setzte sie sich neben Pelagia, legte den Arm um sie und begann, leise zu weinen. So saßen die Frauen, bis Schirin zu sprechen begann. »Weißt du noch, wie Fatima ihre erste Puppe bekam?« Pelagia lächelte und beide verloren sich in ihren Erinnerungen, bis die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen. Da löste sich Schirin, stand auf und sah Pelagias Halskette an.

»Darf ich?«

Als Pelagia nickte, nahm sie das Rollsiegel in die Hand und betrachtete es lange. »Woher hast du das?«, fragte sie mit belegter Stimme.

»Eine ferne Vorfahrin von mir bekam es einmal von dem Mann, den sie liebte, in Babylon geschenkt. Ihr Vater war ein palmyrenischer Kaufmann, dessen Eltern aus Persien stammten. Das muss jetzt vier Jahrhunderte her sein. Warum interessiert es dich?«

»Weil ich selbst aus der Gegend komme. In meiner Jugend, bevor mich die siegreichen Araber als Kriegsbeute verschleppten, habe ich in Ktesiphon gewohnt. Da gab es viele Gebäude, die aus Ziegeln erbaut waren, die die gleichen merkwürdigen Zeichen trugen. Diese heidnische Schrift, die heute niemand mehr zu lesen vermag.«

Auf diese Weise entstand in dieser Nacht der Trauer eine Freundschaft zwischen den einander bisher so fremden Frauen. Schirin nickte, als Pelagia ihre Tochter auf einem christlichen Friedhof bestatten lassen wollte, und bat sie nur, es ohne Aufhebens zu tun. Sie ging auch mit ihr zu Daud, als dieser nach fünf Tagen aus Tyrus zurückkehrte. Er hatte die schreckliche Nachricht schon beim Betreten des Hauses erfahren, saß mit versteinertem Gesicht an seinem mit Schriftrollen bedeckten Tisch und brauste erst auf, als er von der Taufe hörte.

Doch Schirin schnitt ihm das Wort ab. »Sei still. Du warst nicht da!«

»Ich musste an die Küste!«, wehrte er ab. »Allah hat uns einen großartigen Sieg geschenkt. Unsere Flotte hat soeben die Insel Rhodos erobert. Das wird ein wichtiger Stützpunkt in unserem Kampf!«

»Du warst nicht da, und Pelagia hat getan, was ihr Gewissen gebot.«

»Aber was sollen die anderen Muslime denken? Mein Kind …«

»Fatima ist tot, und du warst nicht da, um ihr die Hand in der letzten Stunde zu halten«, herrschte ihn seine Mutter an. »Ich will nichts mehr davon hören!«

Daud schwieg mit hängendem Kopf. Doch zwei Wochen später ließ er Layla frei und nahm sie offiziell zur Frau.

***

Seit dem Tod ihrer Tochter ging Pelagia jeden Sonntag in die Johanneskathedrale. Trotz Schirins Freundschaft fühlte sie sich hier mehr zu Hause als in Dauds kleinem Palast, in dem sie jetzt nichts mehr galt. Eines Tages, als sie auf den Beginn des Gottesdienstes wartete, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme.

»Du hier? Welch wunderbare Überraschung!« Sie drehte sich um und erblickte Urso. Er war wohlgenährt, in feinen Stoff gekleidet und trug bestickte Stiefel an den Füßen. Ohne Rücksicht auf die Umstehenden kam er auf sie zu und umarmte sie. Erst dann bemerkte er die Sorgenfalten und den müden Ausdruck in ihrem Gesicht. Als sie erzählt hatte, was geschehen war, blieb er einen Augenblick stumm, bevor er sich die Augen wischte.

»Das tut mir so unendlich leid«, sagte er leise und schwieg eine Weile, bevor er auf einen rundlichen, glatzköpfigen Mann zeigte, der ein paar Schritte entfernt stand. »Darf ich dir einen Freund aus Baalbek vorstellen? Kallinikos, ein Erfinder und Baumeister, der hier ist, um sich bei dem Kalifen über den Steuereintreiber seiner Heimatstadt zu beschweren. Dieser Beamte gehört offenbar zu den Schurken, von denen der Weise Salomo sagt: ›Denn jene können nicht schlafen, wenn sie nicht Übel getan, und sie ruhen nicht, wenn sie nicht Schaden angerichtet.‹ Aber zu viele Hoffnungen, mein Freund«, mit diesen Worten wandte er sich dem Mann zu, der mit düsterer Miene zugehört hatte, während Pelagia seit langer Zeit wieder einmal zum Lächeln zumute war, »würde ich mir nicht machen.«

»Ja, ich weiß«, antwortete dieser. »Beim Streit zwischen einem Sarazenen und einem Christen entscheidet ein Sarazenenrichter. Aber Mu'âwija soll weise sein, und vielleicht lässt Gott ja Gerechtigkeit walten.«

»Hoffen wir es«, nickte Urso, als hielte er Wunder nicht für gänzlich ausgeschlossen. »Nur wenn jetzt wieder ein großer Krieg mit dem Kaiser droht, wird der Kalif wohl kaum ein Ohr für christliche Klagen frei haben. Aber wir werden es versuchen. Und du, Pelagia, weißt sicher noch, was ich dir damals versprochen hatte?«

»Ja«, nickte sie, dachte an das rote Tuch und lächelte ihn dankbar an. »Wenn ich Hilfe brauche, wirst du es erfahren.«

Als Pelagia an diesem Sonntag nach Hause kam, war Daud mit Layla und Schirin ausgeritten, so dass sie das ganze große Haus für sich alleine hatte. Nachdenklich ging sie, von den Dienern beäugt, durch die leeren Räume und dachte über ihr Leben nach. Jeder Stein erinnerte sie an die vergangenen zwei Jahre, die sie hier mit Fatima verbracht hatte – und an all ihre zerstörten Träume. Sie musste immer wieder die Tränen unterdrücken, während ihr bewusst wurde, dass sie hier nicht länger würde leben können. Daud war höflich zu ihr, aber er mied ihre Gesellschaft, und sie hatten sich seit Langem nicht mehr geliebt. Jetzt war Layla seine Frau, die sicher bald wieder schwanger sein würde, um ihm den nächsten Stammhalter zu gebären. Und wenn sie Daud bitten würde, sie gehen zu lassen? Wenn sie ihm allen Schmuck, alles Gold, das er ihr geschenkt hatte, anbieten würde, zum Preis der Freiheit? Lange dachte sie darüber nach, bis sie wusste, was sie tun musste.

Noch am gleichen Abend klopfte sie an seine Türe. Er sah sie misstrauisch an, als sie bat, ihn sprechen zu dürfen, räumte einige Blätter mit Landkarten zur Seite und hörte mit steinernem Gesicht zu, bis sie ihn zuletzt bat: »Deshalb flehe ich dich an, mich gehen zu lassen.«

Doch seine Antwort war anders, als sie gehofft hatte. »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich hätte dir vielleicht, ja sogar wahrscheinlich die Freiheit geschenkt, wenn du mich nicht so hintergangen hättest.« Er sah sie scharf an. »Du weißt, was ich sagen will. Meine Tochter, das Kind eines Muslims, taufen zu lassen – welch schreckliche Schande!«

»Aber das weiß doch niemand außer uns!«

»Doch, Allah weiß es! Ich muss jeden Tag daran denken, wenn ich einen von euch Nasrani sehe.« Nun war sein Gesichtsausdruck hart. »Du hast mich getäuscht und zutiefst enttäuscht. Jetzt wirst du lernen, zu bereuen. Du wirst dich bedingungslos meiner Macht unterwerfen. Vielleicht kann ich dir später einmal verzeihen, dir deinen Wunsch gewähren. Wenn Allah sich gnädig zeigt. Wenn den Gläubigen das große Werk gelungen ist.«

»Welches große Werk?«, fragte Pelagia, obwohl sie die Antwort ahnte.

»Die Eroberung von Konstantinija!«