20
Sellers war in einer erstaunlich kurzen Zeit da. Er brachte Giddings mit, und alle beide kochten vor Wut. Aber zugleich konnte man ihnen anmerken, daß sie sich nicht allzu wohl in ihrer Haut fühlten.
»Welch schönes Bild der Häuslichkeit«, stellte Giddings sarkastisch fest und sah zu, wie Phyllis eine frische Kompresse auf mein Gesicht packte. »Nehmen Sie eigentlich nur Klienten an, die in Erster Hilfe ausgebildet sind, Lam?«
»Sollte man eigentlich tun«, gab ich zu, »kann ich mir aber nicht leisten... das ist ein glücklicher Zufall, sozusagen.«
»Und der ist hiermit beendet«, erklärte Sellers bestimmt. »Nehmen Sie die Lappen vom Gesicht und steh’n Sie auf. Ich habe mit Ihnen zu reden.«
Phyllis Crockett nahm die Kompresse weg, und ich setzte mich auf.
»Sehen Sie, Donald«, fuhr Sellers fort, »im Grunde stehen wir beide doch eigentlich ganz gut miteinander, nicht wahr? Sie sind zwar ein reichlich durchtriebener Hund, aber ich habe Thad immer wieder erklärt, daß Sie keinen ‘reinlegen, der Sie anständig behandelt.«
»Na und?« fragte ich. »Stimmt das etwa nicht? Wer hat denn wen ‘reingelegt?«
Giddings sah mich böse an: »Tun Sie nicht so unschuldig. Die Hadley hat ausgepackt.«
»Aha«, meinte ich, »das hatte ich eigentlich erwartet.«
»Ja«, nahm Sellers den Faden wieder auf, »sie hat ausgepackt. Sie hat das genaue Gegenteil von dem erzählt, was Sie uns aufgetischt haben. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit der Behauptung, Sie hätten nicht gewußt, daß Ihre Geschichte nicht stimmt! Das kauf’ ich Ihnen nämlich nicht mehr ab, mein Lieber!
Mortimer Jasper war hinter diesen beiden Statuetten her. Die Hadley besorgte ihm die eine — das heißt, sie stahl sie; dafür gab er ihr tausend Dollar. Für die zweite hatte er ihr den gleichen Betrag versprochen...«
»Aber hören Sie mal«, rief ich dazwischen und machte das unschuldigste Gesicht, dessen ich fähig bin, »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß Jasper das Hirn des Unternehmens war und diese Sylvia nur das ausführende Organ?«
»Das behaupte ich nicht — das weiß ich«, erwiderte Sellers geduldig. »Und nun komme ich zu etwas sehr Eigenartigem...«
»Nämlich?« Ich beugte mich vor und versuchte, gespannt auszusehen.
»Jasper hat Krach geschlagen. Er schwört Stein und Bein, Sie hätten den Buddha in seinen Papierkorb geschmuggelt. Irgendwann in dem Durcheinander beim Betreten seiner Wohnung oder während der Vernehmung hätten sie die Figur hineinfallen lassen. Nun erinnere ich mich tatsächlich, daß Sie einmal in der Nähe des Papierkorbs herumgestanden haben, Lam. Ich meine sogar, ich hätte etwas rascheln hören — zu dem Zeitpunkt habe ich nicht darauf geachtet, aber es könnte schon was dran sein.«
»Ja aber...«
»Warten Sie, Donald, Sie sind gleich dran... Jasper meint, Sie müßten die Figur erwischt haben, die bei der letzten Party gestohlen wurde. Und diese Figur hätten Sie ihm nun als die andere in seinen Papierkorb getan —als die, die vor drei Wochen verschwunden ist. Er schreit jetzt nach seinem Anwalt. Er will Haftbeschwerde erheben, uns wegen Freiheitsberaubung verklagen und was weiß ich noch alles: Verleumdung, üble Nachrede und was es so alles in der Preislage gibt. Und der Knabe hat unwahrscheinlich gute Verbindungen, hat sich jetzt herausgestellt. Thad und ich sind morgen um neun zum Chef bestellt.«
»Hm...« Ich überlegte. »Sehen Sie, Frank — es liegt doch auf der Hand, daß Jasper versuchen muß, das Ding irgend jemand anzuhängen. Das täte schließlich jeder in seiner Lage. Was haben Sie für einen Dusel, daß Sie mich dabei hatten; andernfalls würde Jasper jetzt behaupten, Sie hätten das Ding in seinem Papierkorb verstaut.«
»Damit würde er nicht weit kommen«, mischte sich Giddings ein. »Um das zu tun, hätten wir es ja erst einmal haben müssen. Und nun...«
Er stockte und sah fragend zu Sellers hinüber.
»Und nun berichtet die Hadley, daß Sie die Figur aus der Kamera von diesem Palmer genommen haben«, beendete Sellers den Satz. »Dort hatte die hübsche Kleine sie nämlich versteckt.«
»So«, sagte ich, »berichtet sie das ...«
»Allerdings«, knurrte Sellers. »Und diese Figur will ich jetzt sehen, Lam. Jetzt sofort. Wenn Sie mir das Ding zeigen können, ist alles gut. Dann kann sich der gute Mortimer beschweren, bis er blau im Gesicht ist. Wenn Sie es aber nicht können, sind wir im Eimer.«
»Und Sie auch«, schaltete sich Giddings ein. »Dann werd’ ich Sie mir mal vorknöpfen. Und ich fürchte, dann werden Sie hinterher mit Kompressen allein nicht auskommen.«
Ich seufzte. »Ich weiß nicht, Sellers, warum Sie auf das Wort eines Ganoven wie Jasper mehr geben als auf das, was ich Ihnen sage... Wenn ich nun nicht dabeigewesen wäre und Jasper Ihren Kollegen Giddings beschuldigt hätte — was hätten Sie denn dann gemacht? Hätten Sie ihn auch so sang- und klanglos fallenlassen? Ich glaube nicht... Na schön, kommen Sie. Wir wollen die Figur holen gehen.«
»Wo ist sie denn?« fragte Sellers.
»In meiner Wohnung... Sagen Sie mal, reicht es nicht, wenn ich Ihnen das Ding morgen früh...«
»Nichts da«, unterbrach mich Sellers, »jetzt gleich!«
Ich stand auf und schloß meinen Kragen. »Ja, dann muß ich wohl«, sagte ich zu Phyllis Crockett.
»Ja, ich hab’s gehört...« Und mit einem bösen Blick auf die beiden Beamten fügte sie hinzu: »Wie fühlen Sie sich denn jetzt?«
»Großartig«, behauptete ich, »ich könnte Bäume ausreißen.«
»Sie werden ein blaues Auge bekommen«, prophezeite sie. ^
»Macht nichts«, erklärte ich fröhlich, »das bin ich schon gewohnt!... das einzige, was mich ein bißchen stört, ist die Rippe; sie scheint gebrochen zu sein.«
»Dann... aber das ist doch ein Irrsinn!« brauste sie auf, zu Sellers gewandt. »Sehen Sie denn nicht, daß er einen Arzt braucht?«
»Den soll er haben«, versprach Sellers großmütig. »Er soll mir nur; erst rasch noch den Buddha geben.«
»Augenblick mal!« bremste ich. »Ich habe nicht gesagt, daß ich Ihnen die Figur geben werde — zeigen, hab’ ich gesagt. Sie ist Eigentum von Mrs. Crockett, und ...«
Sellers ließ mich nicht ausreden. »Vorläufig ist sie ein Beweisstück in einer Morduntersuchung«, erklärte er mit Nachdruck. »Aus diesem Grund hatten Sie auch kein Recht, die Figur einfach zu behalten.«
»Ob sie etwas mit dem Mord zu tun hat, das muß sich erst noch herausstellen«, erwiderte ich. »Auf alle Fälle ist sie nicht gestohlen worden.«
»Was soll das heißen?«
»Die Hadley hat mir erklärt, daß sie die Figur mit Wissen und im Auftrag von Dean Crockett genommen hat.«
Giddings lachte kurz auf. »Den Bonbon hat sie uns auch ans Hemd kleben wollen... nach zwei Minuten gab sie’s auf.«
»Ich hatte keinen Grund, ihr das nicht zu glauben«, meinte ich.
»Das ist allerdings wahr«, schnaubte Giddings. »Das war ja der Kuhhandel zwischen euch beiden... Sie haben ihr das geglaubt, und die liebe Sylvia hat den Mund gehalten, was gewisse Beobachtungen...«
Er brach plötzlich ab. Sellers zog seinen Fuß von dem seines Mitarbeiters und meinte: »Wir reden zuviel. Wir wollen lieber den Buddha holen.«
Giddings sah auf seine Fußspitzen und bewegte vorsichtig die Zehen. Dann warf er mir einen finsteren Blick zu und brummte: »Ist recht. Gehen wir mal zu dem lieben Donald. Und wehe, wenn ich den Buddha nicht zu sehen kriege!«
Wir standen auf und gingen zum Fahrstuhl hinüber. Ich sagte zu Phyllis Crockett: »Ich seh’ nachher noch mal rein. Gehen Sie bitte noch nicht zu Bett und lassen Sie alles offen.«
»Warten Sie ...« Sie kramte in ihrer Handtasche. »Ich geb’ Ihnen den Schlüssel mit.«
»Wenn er den Buddha nicht ‘rausrückt, kommt er sowieso nicht so bald wieder«, behauptete Giddings düster. »Darm können Sie ihn im Krankenhaus besuchen.«
Wir fuhren zu dritt hinunter und bestiegen das wartende Polizeiauto. Schweigend lenkte Giddings den Wagen durch die leeren Straßen. Auch Sellers und ich sagten nichts. Bald waren wir vor dem Haus angelangt und gingen gleich in meine Wohnung. Ich schloß auf, knipste das Licht an und trat beiseite. »Bitte sehr, meine Herren...« sagte ich.
Sie gingen hinein und blieben wie angewurzelt stehen.
»Was ist denn da los?... Ach du lieber Himmel!«
Wir betrachteten das Durcheinander.
»Das sieht ja lieblich aus«, stöhnte ich. »Da muß doch jemand... Augenblick mal!«
Sellers und Giddings tauschten vielsagende Blicke aus. Ich beachtete sie nicht, sondern eilte zu der Kommode und wühlte einige Minuten in dem Inhalt der ausgekippten Schubfächer, i »Weg«, berichtete ich dann. »Der Buddha ist weg.«
Sellers schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht, Kleiner«, erklärte er grimmig. »Ich weiß, Sie halten mich für ein Rindvieh mit Eichenlaub und Schwertern. Aber diesmal kommen Sie nicht so leicht davon. Lassen Sie sich was Besseres einfallen.«
Ich ging zurück zu den beiden und baute mich vor ihnen auf. »Jetzt langt’s mir aber«, schrie ich sie an. »Was muß ich mir, denn noch alles gefallen lassen? Erst bringt mir ein anonymer Wohltäter die Bude durcheinander, und dann stellen Sie sich hin und kommen mir dämlich! Was denken Sie sich denn eigentlich dabei, he? Hören Sie endlich auf, mich durch den Kakao zu ziehen. Sehen Sie lieber zu, daß Sie ‘rauskriegen, wer hier Atombombe gespielt hat — gucken Sie sich mal um! Stehen Sie nicht ‘rum — tun Sie gefälligst was!«
Sellers sah Giddings an. »So unrecht hat er da gar nicht«, meinte I er. »Ruf mal im Präsidium an; die sollen jemand schicken, der hier Fingerabdrücke sucht.«
Giddings lachte höhnisch. »Zeitverlust!« erklärte er.
»Abwarten«, brummte Sellers und ging selbst ans Telefon.
Dann warteten wir. Als es schließlich klingelte und ich zur Tür ging, um den Beamten einzulassen, warf ich einen Blick in den Küchenausguß. »Was ist das? Das ist nicht von mir«, erklärte ich und I wies auf die leere Flasche.
»Was ist nicht von Ihnen?« fragte Sellers.
»Die Flasche da im Ausguß...« Ich hatte die Tür erreicht und ließ den Fingerabdruck-Mann eintreten.
Als ich mit ihm in das Zimmer kam, sagte Sellers gerade zu Giddings: »... kann er recht haben, Thad. Er trinkt fast nie. Ich glaube nicht, daß er je so was in der Wohnung hat oder gar mit sich herum« trägt...« Er wandte sich an den Fingerabdruck-Experxen: »Nehmen Sie sich mal die Flasche da vor. Stellen Sie fest, was für Abdrücke drauf sind. Nehmen sie auch die Abdrücke von Mr. Lam hier, und dann sehen Sie sich in der Wohnung um.«
Es stellte sich heraus, daß die Fingerabdrücke auf der Flasche nicht die meinen waren. In der Wohnung fanden sich nur Abdrücke von mir und der Aufwartefrau.
»Zu schön, um wahr zu sein«, meinte Giddings. »Da stimmt doch was nicht.«
»Wahrscheinlich stimmt was nicht«, entgegnete Sellers. »Aber wir dürfen keinen Fehler machen — nicht, wenn wir es mit Lam zu tun haben.«
Giddings warf mir einen vernichtenden Blick zu. Aber er fügte sich, und ein paar Minuten später waren wir unterwegs zum Präsidium, um die Fingerabdrücke auf der Flasche mit denen zu vergleichen, die die Polizei, in Karteikästen geordnet, von ihren »Kunden« aufbewahrt.
»Übrigens«, meinte ich, »vielleicht könnte ich die beiden Burschen wiedererkennen, die mich verdroschen haben.«
Daraufhin blätterten wir gemeinsam das Verbrecheralbum durch. Die Zeit verrann. Es war schon halb zwei Uhr früh, da sagte ich plötzlich: »Das ist er... So hat der eine von ihnen ausgesehen.«
Giddings war skeptisch. »Na schön, Sie müssen’s ja wissen. Wir werden die Fingerabdrücke vergleichen lassen.«
Zehn Minuten später fand ein bemerkenswerter Wechsel im Benehmen von Inspektor Thad Giddings statt. Er sah mich an, als ob ich ein Kalb mit zwei Köpfen sei, und verkündete: »Es stimmt... Die Fingerabdrücke auf der Flasche sind von dem Burschen, den Sie im Album erkannt haben... Sieht so aus, als hätten Sie uns doch nicht verkohlt, Lam.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. »Na, ein Glück! Jetzt wissen wir auch, wer den Buddha hat!«
»Augenblick noch«, meinte Giddings, »da sind noch andere Abdrücke auf der Flasche. Wir wollen mal sehen, ob wir sie auch identifizieren können.«
»Wie Sie meinen«, sagte ich. »Was mich angeht, so bin ich ein Bürger, bei dem eingebrochen worden ist. Ich möchte jetzt erleben, daß die Polizei etwas unternimmt.«
»Sie ist ja schon dabei«, beruhigte mich Giddings. »Werden Sie doch nicht nervös!«
Damit zog er sich wieder zurück. Ich blieb allein im Zimmer und wartete. Nach zwanzig Minuten kamen Giddings und Sellers zurück.
»Ich glaube, wir haben sie«, verkündete Sellers. »Alle beide. Der Mann, den Sie identifiziert haben, ist ein gewisser Ferguson. Er wohnt in der 61. Straße und hat noch Bewährungsfrist für das letzte Ding, das er gedreht hat. Bisher hat er sich gut geführt. Er ist Radiotechniker und hat auch eine feste Stellung. Aber er hat sich seinerzeit im Knast mit einem Burschen namens Lennox zusammengetan — >Alibi-Lennox< nennen sie ihn, weil er meistens ein bombensicheres Alibi nachweist, wenn er etwas ausgefressen hat. Und da haben Sie Dusel gehabt, Donald: Die anderen Abdrücke auf der Flasche stammen von Lennox. Wenn aber diese beiden Gauner zusammenstecken, dann ist unter Garantie etwas faul. Noch etwas kommt hinzu: die Adresse. Das Grundstück in der 61. Straße stößt hinten an den Garten des Hauses, in dem Jasper wohnt.«
»Sieh mal an«, nickte ich.
»Ich schlage nun vor«, fuhr Sellers fort, »daß Sie formell eine Anzeige gegen die beiden machen, dann können wir uns einen Haussuchungsbefehl geben lassen.«
»Warum?« entgegnete ich. »Können Sie das nicht auf Ihre Kappe nehmen?«
»Menschenskind«, beschwor er mich, »haben Sie denn noch nicht bemerkt, daß wir alle beide, Giddings und ich, schon bis an den Hals ‘reingeschliddert sind? Wenn wir jetzt den Brüdern auf die Bude rücken, bloß weil Sie was in Ihren Bart gemurmelt haben, dann sind wir womöglich in das einzige Fettnäpfchen getreten, in dem wir bisher noch nicht dringestanden haben... Sehen Sie Donald, Sie haben gerade gesagt, Sie sind ein Bürger, bei dem eingebrochen worden ist; außerdem glauben Sie zu wissen, wer es getan hat. Wollen Sie uns nicht ein ganz klein wenig helfen und Anzeige erstatten?«
Ich warf einen Blick zu Giddings hinüber. »Ich weiß nicht recht«, meinte ich, »mir ist nicht so recht nach Nachbarschaftshilfe zumute Ich glaube, ich bin zuviel ‘rumgeschubst worden heute abend.«
»Zum Kuckuck, seien Sie doch nicht so empfindlich, Lam! Ich weiß auch, daß Thad sich manchmal wie der berühmte Elefant im Porzellanladen benimmt. Das dürfen Sie ihm aber nicht übelnehmen. Er meint’s nicht so böse. Er hat Sie einfach falsch eingeschätzt.«
»So, meinen Sie? Na ja, kann ja sein... Gesagt hat er’s noch nicht.«
Giddings holte tief Luft. Er sah mich an wie ein Patient den Zahnarzt, der mit der Zange in der Hand auf ihn zukommt. »Ich glaube, ich habe Sie falsch eingeschätzt, Lam«, quetschte er zwischen den Zähnen hervor.
»Reden wir nicht mehr davon, Giddings... So — wie war das mit der Anzeige?«