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Als ich am nächsten Morgen ins Büro kam, sagte Elsie Brand anstatt einer Begrüßung: »Bertha kaut schon an den Fingernägeln; sie kann’s nicht erwarten.«
»Wen oder was kann sie nicht erwarten?«
»Sie, Donald.«
»So, so, mich... und warum diese Sehnsucht?«
»Es dreht sich um diesen Diebstahl auf der Party, glaube ich.«
»Ach nee«, grinste ich, »ich denke, die Kleinigkeit wollte sie allein erledigen... da hat doch so was in der Zeitung gestanden...«
Im allgemeinen war Elsie immer ängstlich darauf bedacht, jegliche
Erwähnung der gelegentlich auftretenden innerbetrieblichen Spannungen zu vermeiden. Aber jetzt bemerkte sie zurückhaltend: »Heute früh sieht sie die Dinge wohl etwas anders.«
»Na schön«, murmelte ich, »von mir aus... Ich bin nicht nachtragend.«
Ich ging hinüber zu Berthas Privatkontor, klopfte an und trat ein.
»Donnerwetter noch mal! Bist du tatsächlich auch schon da?« schnauzte mich Bertha an. »Wird langsam Zeit!«
»Sonst noch was?« erkundigte ich mich. »Wolltest du mich nur anbrüllen, oder ...«
»Ach komm, sei friedlich«, brummte sie. Es klang zwar noch nicht gerade freundlich, aber doch schon wesentlich zivilisierter.
»Es ist wegen diesem blödsinnigen Buddha. Und wegen dem Blasrohr.«
»Na und?!«
»Wir sollen sie wieder herbeischaffen.«
»Ich glaube kaum, daß Crockett das Zeug wirklich wiederhaben will«, wandte ich ein. »In diesem Fall müßte er ja der Versicherungsgesellschaft die Schadensumme von neuntausend Dollar zurückzahlen.«
»Das ist ihm ganz egal. Er will die Sachen wiederhaben, hat er gesagt.«
»Auch gut. Dann beschaffst du sie ihm eben.«
»Hör mal, komm mir gefälligst nicht auf die Tour... >Dann beschaffst du sie eben!< — Ja wie denn, zum Henker? Wie fang’ ich das an? —Mensch, hätt’ ich dich doch nie in die Firma genommen! Ein . nettes, ruhiges Geschäft war das früher ...«
»Vor allen Dingen ruhig«, warf ich ein.
»... bis du angefangen hast, hier zu arbeiten. Seitdem spielen wir Räuber und Gendarm und stehen dauernd mit einem Bein im Zuchthaus!«
Ich antwortete nicht, sondern betrachtete mir nur ihre Diamantringe. Bertha folgte meinem Blick und versuchte mannhaft, böse auszusehen. Aber schließlich mußte sie doch lachen: »Laß gut sein, Donald! Du bist schon in Ordnung. Aber sag mal, ganz im Ernst: Wie kriegt man das Zeug wieder, ohne die Polizei zu verständigen?«
Sie schob ihren Schreibtischsessel zurück, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Ihr Gang — eine seltsame Mischung zwischen Watscheln und Schreiten — fasziniert mich immer wieder. »Es waren 62 Gäste in der Wohnung«, grübelte sie. »62 — du kannst sie nachzählen. Alle mit Einladungen — ich hab’ sie kontrolliert. Jeder einzelne ist laut Crockett ein Pfeiler der Ehrbarkeit... und irgend so ein verdammter Pfeiler hat den Buddha geklaut mitsamt dem Blasrohr...
Was machen wir jetzt — ohne die Polizei, meine ich? Ohne Polizei kannst du nicht sämtliche Pfandleiher abklappern; außerdem ist das Zeug garantiert nicht im Leihhaus, sondern vermutlich in der Privatsammlung eines der Gäste...«
»Falls das Blasrohr zumindest nicht noch oben in der Wohnung ist — irgendwo versteckt«, gab ich zu bedenken.
»Nee, ist nicht«, entgegnete sie. »Das hab’ ich auch erst gedacht. Daraufhin haben sie heute früh die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt; jede Ecke haben sie durchsucht — nix.«
»Dann versuch’s doch mal mit einer Zeitungsanzeige«, riet ich. »Etwa so: >Derjenige, der anläßlich der von einer bekannten Persönlichkeit veranstalteten Party irrtümlicherweise Gegenstände aus einer Sammlung an sich genommen hat, wird gebeten, sich gegen Belohnung mit Postfach sowieso in Verbindung zu setzen< oder so ähnlich.«
Bertha blitzte mich an. »Laß die Witze, ja?«
»Ganz im Ernst«, widersprach ich.
Sie schnaubte nur verächtlich durch die Nase.
»Es ist ein guter, logischer Vorschlag«, verteidigte ich mich. »Aber wenn du nicht willst — ich kann dich nicht zwingen.«
»Wenn ich nicht will!« explodierte sie. »Meinst du vielleicht, dich geht die Geschichte nichts an? Du bist derjenige, der den Kram wieder beischaffen wird —das nur zu deiner Orientierung! Du kannst nicht im Namen der Partnerschaft alles auf mich abwälzen.«
Ich zog die Augenbrauen hoch, erwiderte aber nichts.
»Ich hab’ wahrhaftig mein Teil geschafft«, fuhr sie fort. Sie geriet immer mehr in Rage. »Ich bin hingegangen und hab’ mir vor dem verdammten Fahrstuhl die Beine in den Bauch gestanden, bin nett zu all diesen Idioten gewesen, damit sie mir ihre Einladungen vorzeigten — und jetzt kommst du mir so! Nee, mein Lieber: mit mir nicht — verstehst du?! Wenn dieser blöde Olney kommt, werd’ ich ihm sagen lassen, daß ich keine Zeit habe; er soll sich an dich wenden. Basta!«
»Du bist reizend«, sagte ich und ließ mich auf einen Sessel fallen. Dann zündete ich mir eine Zigarette an und fragte: »Wie kommst du übrigens mit Olney zurecht?«
»Ich kann ihn nicht ausstehen«, knurrte sie. »Das ist ein Speichellecker, ein Radfahrer, ein... ein ...« Es fiel ihr nichts Passendes mehr ein. »...Hanswurscht!« ergänzte sie etwas lahm.
»Und der Fotograf?« bohrte ich weiter.
»Der Fotograf?« Sie blickte hoch. »Der Fotograf ist ganz nett.«
»War er gestern abend auch da?«
»Klar, der hat gestern abend alles und jeden fotografiert!«
Ich überlegte. »Sag mal — ist der bei Crockett angestellt, oder arbeitet er frei?«
»Kommt drauf an, was du unter >frei< verstehst. Crockett ist ein guter Kunde, denke ich mir. Wenn der irgendwas tut, will er doch dabei fotografiert werden.«
»Ja, natürlich ...« Mir fiel noch etwas ein: »Diese Party gestern abend — was war eigentlich der Anlaß?«
»Crockett ist gerade von einer Expedition zurückgekommen; er hat die Urwälder von was weiß ich wo durchquert und schrecklich viele Fotos gemacht: halbnackte Mädchen mit Körben auf dem Kopf und halbnackte Mädchen mit Krügen auf dem Kopf, und dann welche ohne was auf dem Kopf — na, du weißt schon. Und dann natürlich... zigmal er selbst mit Gewehr, den rechten Fuß auf irgendeinem Vieh, das er gerade geschossen hat...«
»Hast du alles mit ansehen können?«
»Nein, alles nicht. Ich hab’ ja am Fahrstuhl gestanden. Aber dann, wie so ziemlich alle da waren, hab’ ich mich an den Eingang gestellt, wo ich die Fahrstuhltür noch im Auge hatte — wegen eventueller Nachzügler.«
»Und? Kamen noch welche?«
»Ein Ehepaar.«
»Hm, so... na, das wird wohl kaum etwas zu bedeuten haben... Übrigens, wohin, sagst du, ging diese Expedition?«
»Ach, was weiß denn ich — nach irgendwo in Afrika oder Borneo oder so.«
»Das ist aber ein kleiner Unterschied, weißt du.«
»Meinetwegen, aber zwischen deinem dummen Geschwätz und dem
Wiederfinden des Buddhas auch.«
Ich ging darauf nicht ein. »Hat er nicht vielleicht auch eine Flagge gehißt —vom >Klub der Abenteurer< oder so?«
»Klar hat er das. Das machen sie doch alle. Es ist auch ein Film gezeigt worden, da konntest du sehen, wie er die Fahnenstange in den Boden rammt — in Großaufnahme! Die Flagge war gestern abend übrigens auch da; irgendwer hat sie feierlich überreicht bekommen.«
»Und dieser Irgendwer hat sie nachher mitgenommen?«
»Hm, hm.«
»Aha... du hast keine Ahnung, wer Herr Irgendwer war, oder?«
»Nee, sag’ ich doch. Der Manager von so einem verrückten Klub, glaube ich. Auf alle Fälle ist er den ganzen Abend hinter Crockett hergewetzt und wär’ ihm am liebsten sonstwo ‘reingekrochen.«
»Ja, dann will ich mich mal dahinterklemmen«, sagte ich und stand auf. Ich gähnte und streckte mich.
»Der Vorschlag mit dem Inserat gefällt dir also nicht, wie?«
»Scher dich raus, sonst schmeiß’ ich dir was ins Kreuz!«
Zuerst ging ich einmal Kaffee trinken, und unterwegs kaufte ich mir die Morgenzeitung. Dieser Olney verstand sein Geschäft, stellte ich fest. Der Artikel über die Party war geschickt aufgemacht, und zwei Bilder von Crockett hatte er auch untergebracht: eines aus der Fuß-auf-Jagdbeute-Serie und ein weiteres, auf dem Dean Crockett der Zweite zu bewundern war, wie er gerade die Flagge des Internationalen Goodwill-Klubs aufpflanzte. Dieser Klub, entnahm ich dem Bericht, hatte sich zum Ziel gesetzt, Freundschaft und gegenseitiges Verständnis über die Grenzen und Meere hinweg zu fördern, indem er die Kenntnis von Sitten und Gebräuchen anderer Völker und Rassen verbreiten half.
Ich trank meinen Kaffee aus und ging ins Büro zurück. Elsie Brand klapperte auf der Schreibmaschine. »Sagen Sie mal, Elsie«, begann ich, »was wissen Sie über unsere Buchhalterin?«
»Eva Ennis?« Das Klappern hörte auf. »Eigentlich nichts.«
»Wie lange ist sie schon bei uns beschäftigt?«
»Ungefähr... warten Sie mal... ungefähr sechs Wochen.«
»Wie findet sie Bertha?« tastete ich weiter.
»Bertha? Ich glaube, sie hat Angst vor ihr.«
»So... und was hält sie von mir?«
»Meinen Sie nicht auch, daß Sie das besser selbst herausfinden sollten?« fragte sie würdevoll.
»Irrtum, Mädchen —ich frage dienstlich!« stellte ich richtig.
»So sehen Sie gerade aus«, warf sie schnippisch hin.
»Also dann«, seufzte ich, »Sie werden sie jetzt bitte rufen... und Sie werden bei dem Gespräch anwesend sein; es muß offenbar mal was gegen Ihre schmutzige Phantasie getan werden.«
Sie sah mich neugierig an: »Was soll denn das alles überhaupt?«
»Holen Sie sie rein, dann werden Sie’s schon erfahren... sie hat doch keine Angst vor mir, oder?«
»Aber nein, Donald — wie könnte sie!«
Ich kommentierte diese Spitze nicht weiter. »Los, rufen Sie sie.«
Elsie ging hinaus und kam gleich darauf mit Eva Ennis zurück.
Ich musterte die Buchhalterin gründlich. Es lohnte sich schon, sich zweimal nach ihr umzusehen, und sie wußte das. Sie trug ein Kostüm und darunter einen hochgeschlossenen, enganliegenden Pullover. Der schüchterne Gesichtsausdruck schien nicht recht mit ihrem Wesen in Einklang zu stehen.
»Sie wollten mich sprechen, Mr. Lam?«
»Setzen Sie sich, Eva«, lud ich sie ein. »Ich habe mit Ihnen zu reden.«
Sie lächelte mich an, nahm Platz und setzte sich in Positur. Dann warf sie einen Blick zu Elsie hinüber.
»Setzen Sie sich dazu, Elsie«, forderte ich meine Sekretärin auf. »Ich will Eva über ihr Liebesieben ausfragen; dazu brauch’ ich einen Anstandswauwau. «
Eva wollte etwas sagen, überlegte sich’s aber anders und platzte schließlich doch heraus: »Glauben Sie, daß die Methode gut ist —mit Anstandswauwau?«
Ich nickte ernst, als ob ich diese Bemerkung für sehr treffend hielte, und begann: »Ich wüßte gern etwas über diesen Fotografen, der vorgestern hier war. Vielleicht hab’ ich nächstens Arbeit für ihn.«
»Ach, Lionel«,murmelte sie und ergänzte rasch: »Lionel Palmer ...«
»Was wissen Sie über ihn?«
»Aber Mr. Lam! Ich habe den Mann doch erst vorgestern kennengelernt!«
»Das interessiert mich nicht«, lächelte ich, »ich habe Sie gefragt, was Sie über ihn wissen.«
»Ooooch... er ist ein ganz netter Kerl...«
»Und was treibt er so?«
»Na —er fotografiert eben, nicht?«
»Hat er Ihnen von seiner Arbeit erzählt?«
»Ja, das hat er. Er ist immer mit Mr. Crockett unterwegs, und er muß die... na, sozusagen die Bilddokumente zu jeder Reise liefern, ja? Er macht Farbdias und Schwarzweiß-Aufnahmen und natürlich auch Farbfilme.«
»Ein gründlicher Mann, dieser Crockett, nicht wahr?«
»Ja, das braucht er alles. Die Diapositive für seine Vorträge, und die Schwarzweiß-Bilder kommen in die Zeitungen. Und die Filme, die zeigt er mit Vorliebe bei seinen Parties, so wie gestern abend.«
»Waren Sie gestern abend auf der Party?«
Sie verzog das Gesicht ein wenig. »Nein«, sagte sie. Es klang kurz und abweisend.
»Nanu?« Ich tat erstaunt. »Ich dachte, Lionel wollte Sie mitnehmen?«
»Wer hat das gesagt?«
»Na, zieren Sie sich nur nicht so, Eva«, wies ich sie sanft zurecht, »man kann’s auch übertreiben! Ich habe nämlich gesehen, wie er vorgestern nach der Knipserei Ihre Telefonnummer aufgeschrieben hat.«
»Meine Adresse hat- er aufgeschrieben«, verbesserte sie mich. »Er hat mir einen Abzug von dem Bild versprochen.«
»Ins Büro konnte er ihn wohl nicht schicken, wie?«
»Ich wollte ihn lieber nach Hause geschickt haben.«
»Haben Sie das Bild schon erhalten?«
»Nein. Ich bekomme es erst heute abend.«
Ich grinste: »Die letzte Postzustellung ist nachmittags...! Kommt wohl mit Boten, wie?«
»Haben Sie was dagegen?« Ihre Augen funkelten.
»Nein, nein — durchaus nicht«, lenkte ich ein. »Aber wir sprachen über Lionel, und es hat keinen Zweck, dauernd um den heißen Brei herumzugehen: Sie sind gestern abend mit ihm ausgegangen, und heute abend werden Sie wieder mit ihm ausgehen — stimmt’s?«
»Eben nicht«, stellte sie richtig. »Wir wollten zusammen ausgehen, aber dann wurde alles über den Haufen geworfen... Er hatte ursprünglich vor, die Sache so zu arrangieren, daß ich in die Party heimlich hineinschlüpfen konnte — ich wollte doch gern die Filme sehen, wissen Sie... und danach wollten wir noch zusammen essen gehen. Aber dann hat er mich angerufen und abgesagt; es ginge irgendwas schief, und er könnte nicht gleich weg... und ich hatte übrigens keine Lust, mich da reinzuschmuggeln, nachdem ich wußte, wer... na ja, Sie wissen ja, wer die Gäste kontrolliert hat.«
»Na sehen Sie — es geht doch!« stellte ich fest. »Das war doch schon sehr hübsch für den Anfang... und das ist alles, was Sie bis jetzt wissen?«
»Bis jetzt — ja«, antwortete sie bedeutungsvoll.
»Wäre es zuviel verlangt«, erkundigte ich mich, »wenn ich Sie bäte, mir morgen früh Bescheid zu sagen, wenn Sie noch etwas erfahren haben?«
»Was wollen Sie denn sonst noch wissen?«
»Na, ‘n bißchen was über den Knaben selbst; was er so treibt und so... und vor allem, wie viele Aufnahmen er gestern abend gemacht hat. Ich brauche Abzüge von allen Aufnahmen, nebenbei gesagt.«
»Von allen? Wozu?«
»Weil wir für Mr. Crockett arbeiten. Es ist wichtig. Natürlich könnte ich sie auch von Crockett selbst haben; ich würde aber lieber mit dem Fotografen Zusammenarbeiten. Ich laß mir nicht gern von den Klienten in die Karten gucken, verstehen Sie? Der Klient bekommt die Resultate geliefert und muß blechen — sonst will ich nichts mit ihm zu tun haben.«
Sie zögerte einen Augenblick und zeichnete mit dem Finger das Muster ihres Rockes nach. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen, und der Rock lag eng an.
»Na — wie ist es?« ermunterte ich sie.
»Gut«, willigte sie endlich ein. Sie erhob sich und ging zur Tür; dann blieb sie plötzlich stehen und sagte: »Damit wir uns recht verstehen, Mr. Lam — ich bin kein Lockspitzel. Ich bin... bereit, Ihnen zu helfen. Aber ich habe noch nie einen Freund reingelegt. Und ich werde es auch in Zukunft nicht tun.«
»Das verlangt auch kein Mensch von Ihnen«, versicherte ich.
»Danke!« Damit ging sie hinaus.
Elsie Brand sah mich fragend an. »Hoffentlich wissen Sie, was Sie da tun«, sagte sie.
»Einstweilen weiß ich das noch nicht so ganz genau«, erwiderte ich; »ich versuche, mich an die Dinge heranzutasten.«
»Tun Sie, was Sie für richtig halten«, meinte sie. »Aber passen Sie gut auf die junge Dame auf... Sie wissen, was ich von Büroklatsch halte, aber sie soll ziemlich haarsträubende Dinge erzählen, was ihr Privatleben angeht.«
»Schönen Dank für den Tip.«
»Das ist kein Tip, Donald...« Sie sah mir offen in die Augen. »Das ist eine Warnung.«