15
Phyllis Crockett war selbst am Telefon.
»Hier spricht Donald Lam«, meldete ich mich. »Ich muß Sie sprechen.«
»Jederzeit... Wann wollen Sie denn kommen?«
»Jetzt, wenn das geht.«
»Sicher geht das. Kommen Sie ‘rauf«, lud sie mich ein.
»Gleich«, versprach ich. »Wo stecken Sie denn? Im Atelier oder oben in der Wohnung?«
»Im Atelier. Und ich habe unten beim Portier Bescheid gesagt, daß man Sie hereinläßt, wann immer Sie kommen.«
»Gut. — Und sonst? Wie war’s denn inzwischen?«
»Na —es ging.«
»Schlimm?«
»Erträglich.«
»Freuen Sie sich nicht zu früh«, warnte ich, »es wird noch allerhand passieren... Also, ich komme erst mal ‘rauf.«
Damit legte ich den Hörer auf. Ich fuhr zu dem Apartmenthaus, in dem die Wohnung lag, parkte den Wagen und betrat das Vestibül. Der Portier war ein einziges strahlendes Lächeln und begrüßte mich, als ob ich der Hausbesitzer sei. Der Lift trug mich rasch zum zwanzigsten Stock hinauf. Ich ging den Korridor entlang und klingelte an der Tür von Mrs. Crocketts Atelier.
Sie öffnete in einem schwarzen, trägerlosen Kleid, das zum überwiegenden Teil aus Dekolleté zu bestehen schien. »Hallo, Donald«, begrüßte sie mich. Sie sah übernächtigt und abgespannt aus.
»Was haben Sie denn da an?« fragte ich statt eines Grußes und trat ein.
»Ach, das Kleid... warum? Gefällt es Ihnen nicht?«
»Darauf kommt es nicht an«, belehrte ich sie. »Aber vergessen Sie nicht, daß Sie jetzt eine Witwe sind — eine gramgebeugte Witwe.«
»Ach was!« rief sie ungeduldig. »Warum soll ich jetzt noch Theater spielen? Dean und ich, wir hatten uns völlig auseinandergelebt — seit über einem Jahr schon... Wissen Sie übrigens, was er an seinem Todestag getan hat?«
»Nein —wie sollte ich?«
»Mit einem Anwalt hat er telefoniert, wegen der Scheidung. Am nächsten Morgen sollte sie eingereicht werden. Die Vorbereitungen laufen schon seit Anfang dieser Woche, soviel ich weiß.«
»Ist die Scheidung tatsächlich eingereicht worden?«
»Nein. Am nächsten Morgen war Dean tot.«
»Hm, so... Und die Polizei? Ich meine, weiß die Polizei davon?«
»Die Polizei weiß es, die Zeitungen wissen es — es scheint, daß es die ganze Welt weiß.«
»So? Und woraus schließen Sie das?«
Sie lachte trocken. »Das war nicht gerade schwer zu bemerken... Deswegen sind sie doch alle hinter mir her wie der Teufel hinter der armen Seele. Nicht so sehr die Polizei. Aber die Reporter! Ich kann Ihnen sagen... Der Polizei habe ich alles gesagt, was ich weiß. Jetzt haben sie mir eine Atempause gegeben.«
»Die Polizei dürfte im Augenblick noch damit beschäftigt sein, Ihre Geschichte zu überprüfen. Und wehe Ihnen, wenn da etwas nicht stimmt!«
»Da können Sie ganz beruhigt sein. Es stimmt alles.«
»Um so besser. Und die Reporter? Wie war das mit denen?«
»Ziemlich widerlich war es. Sie haben die unmöglichsten Fragen gestellt. Es gibt so ungefähr nichts, was sie nicht wissen wollten... Schließlich konnte ich nicht mehr. Olney hat mir dann die Meute vom Hals gehalten — in solchen Situationen ist er Gold wert.«
»Olney, so ...«
»Ja. Auf Olney kann man sich verlassen, Donald. Er war Dean ergeben, solange Dean am Leben war. Aber er kannte Deans Schwächen wie wenige andere. Nachdem Sie heute mittag gegangen waren, haben wir uns ausgesprochen. Er hat sich erboten, mir in Zukunft zur Verfügung zu stehen wie bisher meinem Mann.«
Ich überlegte. »Und wozu?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich überlege mir, wozu Sie einen Presseagenten brauchen.«
»Sie schätzen ihn falsch ein, Donald. Er ist nicht nur ein Public-Relations-Mann, er ist ein Manager. Er kennt sich überall aus. Er weiß, an welchen Strippen man ziehen muß... Mit den Presseleuten ist er zum Beispiel großartig fertig geworden. Er war nett und höflich zu ihnen, aber er hat keinen zu mir gelassen.«
»Na ja, wenn Sie meinen...« Ich wechselte das Thema: »Wann ist übrigens die Polizei oben in der Wohnung endgültig fertig geworden?«
»Vorhin, vor — ungefähr vor zwei Stunden. Sie haben gesagt, ich kann die Wohnung wieder beziehen. Aber ich habe mich schon die ganze Zeit hier unten aufgehalten — wegen der Reporter, wissen Sie.«
»Aber gerade in dieser Beziehung ist das Atelier doch viel ungünstiger als die Wohnung oben. Nach oben kann keiner, wenn Sie nicht wollen; aber hier...«
»Ja, das stimmt schon, aber ...« Sie stockte, dann fuhr sie rasch fort: »Ich wollte nicht, daß Melvin Olney erfährt, daß ich Sie jetzt schon empfange. Ich habe ihm gesagt, ich müßte mich ausruhen.«
»Aber er weiß, daß Sie hier unten sind?«
»Ja.«
Es entstand eine Pause. Ich gab mir einen Ruck und beschloß, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Ach ja«, begann ich, »da ist noch etwas... das war gestern. Versuchen Sie sich so genau wie möglich zu erinnern...«
»Ich werde mir Mühe geben.«
»Gestern nachmittag bin ich doch zu Ihnen gekommen und habe Ihnen dieses Blasrohr übergeben...«
»Wir wollen mal sagen, Sie haben es bei mir abgegeben. Sie haben es dort hingelehnt und mich gebeten, es Dean zu überbringen.«
»Ja, ganz recht. Und jetzt wüßte ich gern, was Sie gemacht haben, nachdem ich gegangen war.«
»Was ich... nun, ich habe gemalt.«
»Gemalt, so. Sind Sie noch einmal ins Badezimmer hinübergegangen?«
Sie lachte. »Na hören Sie mal, wie soll ich das wissen? Wahrscheinlich... ich bin auch nur ein Mensch. Aber ich führe doch nicht Buch darüber! «
»Bitte, tun Sie nicht so, als wüßten Sie nicht, was ich meine. Sind Sie aus einem ganz bestimmten Grund ins Bad gegangen?«
»Das möchte ich fast annehmen ...« Sie fand die Sache noch immer komisch.
»Ich fürchte, das Lachen wird Ihnen jetzt vergehen«, meinte ich ernst. »Sylvia Hadley behauptete, Sie seien ins Bad gegangen, hätten das Fenster geöffnet und das Blasrohr nach draußen geschoben — in der Richtung auf das Arbeitszimmer Ihres Mannes. Sie hat gehört, wie das Fenster aufging, und sie hat die Spitze des Blasrohrs gesehen.«
Phyllis Crockett lachte jetzt nicht mehr. »Das ist gelogen«, sagte sie, und ihre Stimme klang heiser. »Das kann sie nicht gesehen haben! «
»Bitte genauer«, drang ich in sie. »Ist das gelogen, weil Sie es nicht getan haben, oder ist es gelogen, weil die Hadley es nicht sehen konnte?«
»Aus beiden Gründen.«
»Wir wollen doch einmal einen Versuch machen«, schlug ich vor. »Gibt es hier irgendeinen Gegenstand, der ungefähr die Länge des Blasrohrs hat? Vielleicht einen Besen oder so etwas?«
»Ja, ein Besen muß irgendwo sein«, gab sie unwillig zu. »Aber geben Sie sich keine Mühe — Sylvia kann von ihrem Standort aus einfach nichts gesehen haben.«
»Das werden wir ja gleich heraus haben«, meinte ich. »Holen Sie jetzt den Besen, gehen Sie ins Bad und strecken Sie den Stiel zum Fenster hinaus — so weit wie möglich.«
Sie wollte etwas erwidern, aber dann schluckte sie es hinunter und holte einen Besen aus dem Wandschrank, ging ins Bad und öffnete das Fenster.
»Ist es recht so?« rief sie durch die offengebliebene Tür.
»Augenblick...« Ich klappte die große Milchglasscheibe des Atelierfensters nach innen, trat auf die Modell-Plattform und schielte durch den schmalen Spalt der Öffnung. Ich konnte reichlich dreißig Zentimeter von dem Besenstiel sehen.
»Danke!« rief ich ins Bad hinüber. »Das genügt.«
Phyllis Crockett stellte den Besen beiseite und kam wieder in das Atelier. »Na?« fragte sie erwartungsvoll.
»Sie haben Pech«, berichtete ich. »Sie hätte es tatsächlich sehen können.«
»Nein!«
Ich nickte. »Doch, Mrs. Crockett.«
Sie biß sich auf die Unterlippe und blickte zu Boden.
»Und sie wird es verdammt eilig haben, das der Polizei zu erzählen«, fuhr ich fort. »Wenn Sie Ihren Gatten nicht umgebracht haben, dann haben Sie sich doch ganz schön in die Tinte gesetzt. Und wenn Sie ihn umgebracht haben, dann haben Sie sich selbst in die Gaskammer gesetzt.«
»Ich habe ihn nicht umgebracht!« brauste sie auf.
Ich sah ihr gerade in die Augen und fragte: »Aber das Fenster haben Sie doch aufgemacht, wie? Und das Blasrohr haben Sie auch nach draußen gehalten?«
Sie vermied meinen Blick und schwieg. Ich wartete.
»Ja«, gab sie schließlich mit leiser Stimme zu.
»Erzählen Sie«, forderte ich sie auf.
Sie holte tief Atem und begann: »Das war gleich nachdem Sie weggegangen waren, Donald... Ich wußte, daß meinem Mann sehr an dem Blasrohr lag, und ich erinnerte mich, daß sein Fenster offen gewesen war. Da ging ich noch einmal ins Bad und überlegte, wie ich seine Aufmerksamkeit vielleicht doch erregen könnte. Ich machte das Fenster auf und sah hinauf.«
»Konnten Sie ihn sehen?«
»Ja. Er stand in dem kleinen Vorraum, in dem dann später die Leiche gefunden wurde. Und es war jemand bei ihm. Dean stand mildem Rücken zu mir und verdeckte die zweite Person. Es war... ich konnte... also, das heißt, es war nicht zu erkennen, wer es war. Es könnte auch eine Frau gewesen sein.«
»Und weiter? Was taten Sie dann?«
»Ich lehnte mich zum Fenster hinaus und rief seinen Namen. Aber er hörte mich nicht. Ich rief ein zweites Mal. Wieder ohne Erfolg. Und dann...«
»Dann?« drängte ich.
»Dann hielt ich das Blasrohr zum Fenster hinaus und rief noch einmal. Ich dachte, wenn ich mit dem langen Ding winke, vielleicht hilft das.«
»Na und? Hat es geholfen?«
»Nein. Ich merkte, er war so mit dieser anderen Person beschäftigt, daß ich ihn nicht würde ablenken können. Da gab ich es auf. Ich schloß das Fenster, stellte das Blasrohr in die Ecke und ging wieder malen.«
»Hm...« Ich überlegte. »Sagen Sie —warum haben Sie es nicht mit der Taschenlampe versucht? Wenn er mit dem Rücken zum Fenster stand, hätte er doch den Lichtfleck auf der Wand sehen müssen.«
»Ich weiß nicht... Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»So... Aber zu diesem Zweck haben Sie doch die große Stablampe, nicht wahr?«
»Ja...«
»Schlecht«, meinte ich, »sehr schlecht. Dann hätten Sie eigentlich daran denken müssen.«
»Ja«, grübelte sie, »das klingt plausibel, wenn Sie das so sagen... Aber vielleicht hätte ja auch dieser Besucher das Signal bemerkt; vielleicht hätte ich irgendeine wichtige Besprechung unterbrochen... das wollte ich vermeiden, sehen Sie.«
Wieder entstand eine Pause. Schließlich sagte ich: »Diese Taschenlampe —haben Sie die eigentlich häufig benutzt?«
»Nein. Wenn Dean in seinen Arbeitsräumen war, wollte er nicht gestört Werden — nicht wegen irgendwelcher Nebensächlichkeiten.
Das Lichtsignal habe ich immer nur dann benutzt, wenn es etwas Wichtiges gab.«
Ich wechselte das Thema. »Was ist eigentlich mit dieser Sylvia Hadley?« erkundigte ich mich.
»Mit Sylvia? Wie meinen Sie das?«
»Ganz allgemein. Ich möchte mehr über sie erfahren.«
Sie lachte. »Na, ich denke, die haben Sie genau kennengelernt!«
»Ja, ich erinnere mich dunkel«, lächelte ich. »Ich spreche jetzt aber nicht von der zweifellos reizvollen Oberfläche der Dame. Ich will wissen, was darunter liegt.«
»Darunter?« sagte sie langsam. »Ich weiß nicht, ob da viel ist... Sie ist ohne die geringsten Hemmungen, verstehen Sie, und wie viele Frauen mit einem besonders schönen Körper neigt auch sie zum Exhibitionismus. Sie ist schön, und sie weiß es; und die anderen Leute sollen es auch merken.«
»Welche anderen Leute?«
»Na, alle. Hier stehe ich, Sylvia Hadley, und ich bin schön — jetzt seid gefälligst so gut und nehmt Kenntnis davon.«
»Betraf das auch ...« Ich zögerte.
»Dean Crockett, meinen Sie?« Ein müder Zug trat in ihr Gesicht. »Was weiß denn ich... Ja, wahrscheinlich betraf es ihn auch, obwohl... Wissen Sie, wenn Dean mit irgend etwas beschäftigt war, dann kannte er nur seine Arbeit. Dann existierte einfach keine Frau für ihn. Frauen waren in solchen Augenblicken störende Ablenkungen... das heißt, das waren sie wohl im Grunde immer für ihn.«
»Aber von dieser Sylvia ließ er sich gelegentlich ablenken, ja?«
»Ich vermute das nur. Immerhin, wenn Sylvia sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie nicht so leicht davon abzubringen.«
»Und Sie?« forschte ich. »War Ihnen das so völlig gleichgültig?«
Sie zuckte die Schultern. »Wenn ich ein großes Theater gemacht hätte — wäre es davon anders geworden?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber ich will auf etwas anderes hinaus: Hatten Sie die Hadley im Verdacht? Und wenn ja, warum behandelten Sie sie so freundschaftlich?«
»Wie hätte ich sie denn behandeln sollen?«
»Na, ich kenne Frauen, die hätten ihr die Augen ausgekratzt.«
Wieder lachte sie. Es War ein fast lautloses Lachen, und ihre Augen blieben ernst. »Wenn ich jeder Frau die Augen ausgekratzt hätte, mit der Dean mal was gehabt hat, ergäbe das die Belegschaft eines mittleren Blindenheims!«
»Ich dachte, er hätte nur seine Arbeit im Kopf gehabt?«
»Na, so ja nun auch wieder nicht! Er konnte zeitweise auch anders sein —und in solchen Augenblicken war er ziemlich fix.«
»Ich verstehe ...« Ich dachte nach. »Sagen Sie, da waren doch diese beiden Buddha-Figuren — es waren doch zwei, nicht wahr?«
»Ja, ganz recht.«
»Hm... Wie ist Ihre Freundin Sylvia finanziell gestellt?«
»Keine Ahnung. Also wirklich, darüber weiß ich gar nicht Bescheid. Das heißt, irgendwelche Quellen muß sie haben. Kürzlich hat sie mich einmal gebeten, die Bürgschaft für einen Scheck zu übernehmen, den sie kassieren wollte. Es war ein Scheck über tausend Dollar.«
»Zahlbar an sie?«
»Ja.«
»Sieh mal an... Und von wem war der Scheck ausgestellt — konnten Sie das sehen?«
»Ja; ich habe einfach die Unterschrift gelesen. Das mußte ich schließlich, weil ich doch praktisch für die Summe geradestehen sollte, aber es war Sylvia gar nicht recht... Der Scheck war von einem gewissen Mortimer Jasper.«
»Kennen Sie ihn?«
»Flüchtig. Ich habe ihn gelegentlich auf Kunstauktionen getroffen.«
Ich beschloß, diesen neuen Faden einstweilen liegen zu lassen, um später wieder aufzunehmen. Vorher wollte ich etwas anderes wissen: »Wie stand eigentlich Sylvia Hadley zu Kunstwerken? — Ich meine, imponierte ihr der Marktwert eines Bildes, oder hatte sie Zugang vom Ästhetischen her —hatte sie Freude am Schönen schlechthin?«
»Sie hat Freude an ihrer eigenen Schönheit, an ihrem Spiegelbild. Ich glaube, darüber hinaus geht ihr ästhetisches Empfinden nicht. Aber ich mag sie trotzdem gut leiden, Donald. Trotzdem sie so ist, meine ich.«
»Ja? Und warum?«
»Das ist schwer zu sagen... Gerade weil sie so... na, so hemmungslos ist. So ungehemmt, sollte ich besser sagen.«
Ich glaubte, eine mögliche Verbindung zwischen dieser Charaktereigenschaft und dem Tausend-Dollar-Scheck zu sehen: »Nehmen wir einmal an, die gute Sylvia war aus irgendeinem Grund in Geldverlegenheit«, sagte ich. »Und unterstellen wir, daß sie die Gelegenheit hatte, diese Buddhas zu stehlen. Wem könnte sie die Dinger verkauft haben?«
Phyllis Crockett schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Donald«, meinte sie, »das würde ihr gar nicht ähnlich sehen. Sie mag in manchen Dingen ein leichtsinniges Huhn sein; in Geldsachen ist sie ehrlich. Obwohl...« Sie brach plötzlich ab.
»Obwohl was?«
»Ach, mir fällt nachträglich auf... Na ja, sie hat sich in der letzten Zeit manchmal ein bißchen komisch benommen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, aber neulich habe ich sie mal in einem Sportwagen sitzen sehen, neben Mortimer Jasper... Er parkte hier vor dem Haus — wahrscheinlich hatte er sie zur Arbeit gefahren. Und die beiden hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich offenbar sehr angeregt...«
Nun schien es mir an der Zeit, das Thema wiederaufzunehmen, das ich vorhin abgebrochen hatte. »Wer ist eigentlich dieser Mortimer Jasper?« erkundigte ich mich.
»Es kommt ganz darauf an, wen Sie fragen ...«, meinte sie.
»Ich frage Sie.«
»Manche Leute halten ihn für einen Mann von Welt und für einen Sammler orientalischer Kunst. Und andere behaupten, er sei so eine Art... Hehler.«
»Hm, so; eine Art Hehler... klingt interessant. Wo kann man ihn erreichen?«
»Er hat irgendwo unten in der Stadt einen kleinen Laden; aber wo er wohnt...? Er muß ja im Telefonbuch stehen.«
Mortimer Jasper, memorierte ich, Kunstsammler und Hehler... »Haben Sie der Polizei etwas davon gesagt, daß Sie mit dem Blasrohr Winke-Winke gemacht haben?« fragte ich dann.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich glaube, ich habe einfach nicht daran gedacht... Es schien so unwichtig.«
»Sehen Sie, so kann man sich irren«, meinte ich trocken. »Und gerade dadurch haben Sie den Kopf in die Schlinge gesteckt... Jetzt denken Sie einmal scharf nach: Als ich gestern weggegangen war, sind Sie ins Bad marschiert; so viel wissen wir mittlerweile. Aber was ist mit Sylvia — war sie auch noch einmal im Bad?«
»Aber woher soll ich das wissen! Schließlich ist das keine so weltbewegende Sache, daß man... Halt mal! Ja, natürlich — sie ist ins Bad gegangen! Jetzt weiß ich’s wieder.«
»Und das Blasrohr, war das etwa im Badezimmer geblieben?«
»Ja, es stand gleich vorn in der Ecke.«
»Und wie lange war Sylvia im Bad?«
»Keine Ahnung; ich hab’ nicht auf die Uhr gesehen. Ich blieb an der Staffelei und malte weiter... Offen gesagt, ich ging völlig auf in meiner Tätigkeit. Ich hätte vielleicht gar nicht gemerkt, daß sie hinausgegangen war, aber ich hatte Schwierigkeiten mit einem bestimmten Lichteffekt, und ich konnte nicht weitermalen, bis sie zurückkam. Ich erinnere mich deutlich, daß ich deswegen ziemlich ungeduldig wurde.«
»Na schön«, meinte ich, »das Hilft jetzt nicht mehr viel. Wenn die Polizei wiederkommt, dann sagen Sie einfach, Sie seien nicht in der Lage, weitere Fragen zu beantworten... die Nerven, Sie wissen schon. Und vor allen Dingen ziehen Sie schleunigst ein anderes Kleid an. Etwas weniger Aufregendes; wenn möglich ein Trauerkleid. Sie sollen hier nicht die lustige Witwe spielen.«
»Wenn ich aber doch keinerlei Trauer fühle! Ich kann doch...«
»O ja, Sie fühlen Trauer! Und Sie werden dafür sorgen, daß die Leute das merken, verstanden? Ihr Mann hat Ihnen nicht besonders nahegestanden; er war eine eigenwillige Persönlichkeit, immer in seine Arbeit vergraben. Aber Sie waren ihm ergeben, und Sie haben ihn immer von fern bewundert, sozusagen... verstehen Sie mich? Sie haben nicht sehr eng zusammen gelebt. Er hatte seine Arbeit und deshalb wenig Zeit für Sie, und das haben Sie immer bedauert. Jetzt fühlen Sie die Lücke, die er in Ihrem Leben hinterlassen hat, und Sie sind vollkommen außer sich, daß er auf diese Art gestorben ist. Sie können es nicht erwarten, bis die Polizei den Mörder faßt. Sie haben sogar Detektive angestellt, die bestimmte Spuren verfolgen und die Ergebnisse der Polizei übergeben sollen — nicht der Polizei helfen, das wäre psychologisch ungeschickt; bringen Sie das bitte nicht durcheinander. Und dann ist da noch etwas...« Ich sah mich fragend um.
»Was suchen Sie denn?«
»Geben Sie mir einen Bogen Papier.«
Sie öffnete eine Schublade und riß einen Bogen von einem Skizzenblock. Ich nahm ihn und schrieb: »Hiermit wird die Firma Cool & Lam beauftragt, nach Möglichkeit die beiden jadegeschnitzten Buddha-Statuetten aufzufinden und wiederzubeschaffen, die aus der Sammlung meines Mannes gestohlen wurden.« Dann schob ich ihr das Blatt zu und reichte ihr den Füllfederhalter. »Bitte unterschreiben Sie das.«
Sie las den kurzen Text und fragte dann: »Und das Datum?«
Ich schüttelte den Kopf. »Kein Datum.«
»Auch nicht das Datum des letzten Einbruchs?«
Wieder schüttelte ich entschieden den Kopf.
»Und... wozu brauchen Sie das?« wollte sie wissen.
»Ich brauche es eben. Möglicherweise, heißt das.«
Sie zögerte kurz, dann unterschrieb sie.
Ich nahm das Papier an mich, faltete es zusammen und schob es in die Tasche. »Also dann — auf bald!«
Sie sah mir enttäuscht nach: »Warum haben Sie’s immer so schrecklieh eilig, Donald? Ich wollte, Sie hätten einmal ein bißchen länger Zeit.«
»Das wünsche ich mir manchmal auch«, erklärte ich und machte die Tür hinter mir zu.