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Die Adresse des Internationalen Goodwill-Klubs fand ich im Telefonbuch. Ich merkte sie mir, verließ das Büro und nahm ein Taxi.
Eigentlich hatte ich erwartet, nur ein winziges Büro vorzufinden, in dem eine Halbtagssekretärin die Post erledigt. Um so erstaunter war ich nun, als ich das große, gut eingerichtete Büro betrat, hinter dem sich ein Klubzimmer und eine Bibliothek befanden. Der Managet kam hinter seinem Schreibtisch hervor und streckte mir die Hand entgegen.
»Lam«, stellte ich mich vor und schüttelte seine Hand. »Ich bin Journalist, und ich interessiere mich für Ihren Klub — ich möchte gelegentlich mal was darüber schreiben, wissen Sie.«
»Ich heiße Bedford«, sagte er, »Carl X. Bedford; ich bin Managet und Sekretär des Klubs. Ich werde alles für Sie tun, was in meinet Macht steht, Mr. Lam... wir sind außerordentlich daran interessiert, daß über unsere Arbeit berichtet wird.«
Ich sah mich um. »Hübsch haben Sie’s hier«, stellte ich fest.
»Bißchen klein«, meinte er. »Aber die Bibliothek ist recht gut; wir haben eine ganze Menge ziemlich seltener Reiseberichte und natürlich alle geographischen Magazine und derartige Publikationen. Da hinten ist dann noch eine Selbstbedienungsbar — das heißt, die Mitglieder können dort ihre eigenen Getränke aufbewahren; wir stellen sozusagen nur die Eiswürfel... Ja, wie gesagt, einstweilen sind wir noch etwas beengt; aber wir hoffen, uns eines Tages vergrößern zu können.«
Ich nickte und zog einen Block aus der Tasche, während ich in die Bibliothek trat.
»Für welche Zeitung schreiben Sie übrigens, wenn ich fragen darf?« erkundigte sich Bedford, der mir gefolgt war.
»Ach, das wechselt«, erklärte ich. »Ich bin freier Mitarbeiter, wissen Sie. Ich sammle erst den Stoff für meine Artikel, und dann biete ich sie verschiedenen Blättern an.«
»Ich verstehe.« Es klang nicht mehr ganz so liebenswürdig.
Ich ging an den Regalen entlang und betrachtete die Bücher. Neue Exemplare waren offenbar nicht darunter; sie machten alle den Eindruck, als ob sie aus anderen Bibliotheken zusammengetragen seien. Ich griff wahllos einen Band heraus; es war ein Reisebericht über Afrika. Auf dem Vorsatzblatt fand ich den Namenszug von Dean Crockett dem Zweiten.
»Sieh mal an«, sagte ich, halb zu mir selbst, »ist das der bekannte Forschungsreisende Crockett?«
»Ja, ganz recht. Hier steht eine ganze Menge von seinen Büchern.«
»So, so ...«
»Ja. Sehen Sie, das ist so: Sie kennen ja auch die Nöte des modernen Haushalts... die Wohnungen werden immer kleiner, und die Leute haben keinen Platz mehr für die vielen Bücher; es ist ja heute nicht mehr so wie vor... na, sagen wir, vor zwanzig Jahren; damals lebte ein Mann wie Mr. Crockett in einem großen Haus, aber heute ...«
»Crockett hat also dem Klub seine Reisebücher, Expeditionsberichte und so weiter gestiftet?«
»Einiges davon, ja.«
»Machen das andere Leute auch?«
»O ja; unsere Mitglieder sind in dieser Beziehung recht großzügig.«
»Wie nett von ihnen... Wieviel Mitglieder haben Sie?«
»Ja, da muß ich Ihnen nun sagen, daß wir ziemlich exklusiv sind... Offen gesagt, Mr. Lam — wir gehen nach Qualität, nicht nach Quantität.«
»Könnten Sie mir nicht die Zahl nennen?«
»Verstehen Sie’s nicht falsch, Mr. Lam, aber ich glaube nicht, daß der Klub gegenwärtig daran interessiert ist, derartige Details zur Veröffentlichung freizugeben... Wir sind in erster Linie darauf aus, unsere Ziele bekanntzumachen: die Förderung des gegenseitigen Verständnisses über die Grenzen der Länder und Rassen hinweg.«
»Sehr begrüßenswert, wirklich... wie machen Sie das?«
»Nun ja, der Klub organisiert Vortragsreisen im ganzen Land, dann versuchen wir, das Interesse der Öffentlichkeit auf die Lebensweise anderer Völker zu lenken, sie mit deren Zivilisation, Gebräuchen und Idealen vertraut zu machen... auf dieser Ebene bewegen sich unsere Bemühungen.«
»Ausgezeichnet. Sagen Sie, setzen Sie auch Redner ein, die honoriert werden?«
»O ja.«
»Würden Sie mir ein paar Namen nennen?«
Wieder zögerte er. »Das möchte ich lieber vermeiden... das ist ein wenig heikel, wissen Sie... Am Ende ist dann jemand verärgert, weil
er nicht genannt wird.«
»Ein Teil dieser Vorträge wird doch wahrscheinlich auch von Ihren Mitgliedern gehalten?« Ich stellte die Frage ganz beiläufig.
»Selbstverständlich; darauf legen wir besonderen Wert.«
Ich wandte mich um und sah ihn voll an: »Aber gibt es überhaupt Sprecher, die nicht Mitglieder des Klubs sind?«
»N-n-nein«, gab er zu, »ich glaube nicht... Sehen Sie, in Anbetracht der enormen Wichtigkeit dieser Dinge legt der Klub den größten Wert auf äußerste Genauigkeit. Wir wollen nicht riskieren, jemanden in unserem Namen sprechen zu lassen, dessen Fachwissen vielleicht nicht ganz auf der gleichen Höhe steht wie seine rhetorischen Fähigkeiten... Sie verstehen.«
»Ja natürlich, vollkommen ...« Ich beschloß, das Thema zu wechseln. »Ganz was anderes: Haben Sie eigentlich eine Klubfahne?«
»Aber gewiß!«
»Dann besitzen Sie doch sicher auch einige Wimpel oder dergleichen, die an irgendwelchen abgelegenen Punkten der Erde aufgepflanzt worden sind?«
»Sicher haben wir die, Mr. Lam! Außerdem gibt es eine wundervolle Sammlung von Fotos, die solche Ereignisse zeigen.«
»Könnte ich davon gegebenenfalls einige haben? Als Illustrationsmaterial zu meinem Artikel, meine ich?«
»Ich bin fest überzeugt, daß der Klub Ihnen derartiges Material mit dem größten Vergnügen zur Verfügung stellen wird.«
»Fein«, sagte ich; dann fuhr ich fort: »Ach ja — gibt es auch Tagebücher? Expeditionstagebücher und so?«
»Auch das, Mr. Lam. Hier, das ganze Regal...«
Er schob eine Glasscheibe zurück und wies auf zwei Reihen voller Diarien. Ich nahm eines der Hefte heraus. Es war die Beschreibung einer Safari, die Dean Crockett unternommen hatte. Ein weiterer Band enthielt Fotos von einer Tigerjagd in Indien, ein dritter handelte von Alaska.
»Hübsche Bilder«, murmelte ich.
»Ja, nicht wahr?«
Auf diese Weise kam ich jedoch nicht weiter. »Wie war das noch mi1 den Flaggen, Mr. Bedford — haben Sie sie hier? Ich würde sie gern einmal ansehen, wenn ich darf?«
»Aber gern... hier drüben, bitte. Wir bewahren sie in einem Spezialschrank auf ...«
Er öffnete eine Schranktür und zog ein ziemlich langes Gestell heraus, das sich lautlos auf Rollen bewegte. Darin standen etwa zwei Dutzend Flaggen. An den Stangen waren ovale Metallschilder angebracht, auf denen das Ziel der Expedition und die Namen der Teilnehmer eingraviert waren.
Ich sah mir diese Schildchen an. Es waren sechsundzwanzig, aber ich las immer wieder die gleichen Namen — fünf Namen, um es genau zu sagen.
»Der Wimpel hinten links«, erkundigte ich mich beiläufig, »ist der von der letzten Expedition?«
»Stimmt; ich habe ihn erst gestern abend erhalten — von Dean Crockett übrigens. Er hat ihn vor kurzem in Zentralborneo aufgepflanzt; es war eine bemerkenswerte Expedition.«
Ich hob die Flagge aus dem Gestell und nahm dann noch eine zweite, die ebenfalls von Dean Crockett aufgepflanzt worden war, und zwar, wie ich las, in den mexikanischen Anden.
Ich schüttelte die beiden Flaggen ein wenig. Die mexikanische war in Ordnung. Bei der anderen aber klapperte etwas in der Stange.
»Nanu?« sagte ich. Ich stellte die Anden-Flagge in den Schrank zurück und betrachtete die andere genauer. Am unteren Ende der Stange war eine Metallkappe aufgeschraubt.
»Ach das«, lachte Bedford, »das ist eine Sicherheitsmaßnahme, Mr. Lam. Die Spitze am unteren Ende ist auswechselbar; die scharfe Spitze, die man braucht, um die Fahnenstange in den Boden rammen zu können, wird gegen diese stumpfe Kappe ausgewechselt, sobald die Fahnenstange hier in den Ehrenschrein kommt. Sonst kriegt er Kratzer, wissen Sie.«
»Sehr praktisch«, bemerkte ich und schraubte die Metallkappe ab. Dann neigte ich die Stange, und ein langer, dünner Holzgegenstand glitt heraus. Ich hob ihn auf und tat erstaunt: »Was ist denn das?«
»Ja um Himmels willen«, rief Bedfort, »das ist... das ist ja ein Blasrohr... und... und es sieht gerade aus wie... wie das von Mr. Crockett! Wie in aller Welt kommt denn das da hinein?«
»Ja eben«, sagte ich trocken, »wie in aller Welt kommt das da hinein...?«
Das Blasrohr war etwa 1 Meter 80 lang und aus dunklem, eisenhartem Holz. Ich hielt es gegen das Licht und betrachtete die glatte Innenwandung. Dann lehnte ich die Flagge gegen das Gestell, nahm das Blasrohr unter den Arm und verabschiedete mich: »Ja, also dann - vielen Dank für das Interview!«
»Halt! Halt!« rief Bedford. »Wo wollen Sie mit dem Blasrohr hin?«
»Zu seinem Eigentümer«, entgegnete ich leichthin. »Ich will’s ihm wiederbringen.«
»Woher wissen Sie denn, wem es gehört?«
»Wo Sie es auch her wissen, Mr. Bedford. Von Dean Crockett.«
»Aber... aber es ist Klubeigentum... ich werde es Mr. Crockett zustellen lassen...«
Ich lächelte. »Nicht nötig. Das besorge ich schon selbst.«
Er vertrat mir den Weg und sah zornig auf mich herab. »Den Teufel werden Sie tun«, erklärte er. »Geben Sie das Ding her!«
»Sie können es mir vermutlich ohne größere Schwierigkeiten abnehmen«, entgegnete ich. »Aber wenn Sie das tun, werde ich die Polizei rufen.«
Er zögerte. »Ich glaube kaum, daß Mr. Crockett in diesem Fall auf Publicity Wert legt...«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, Publicity zu vermeiden: Lassen Sie mich das Blasrohr zurückbringen. Und halten Sie den Mund über die ganze Geschichte.«
»Was soll das heißen?« fuhr er auf.
»Was das heißen soll? Jetzt hören Sie mal gut zu: Dieses Blasrohr, das ist nämlich gestern abend gestohlen worden, verstehen Sie? Und ich habe den Auftrag, es wieder aufzutreiben; das ist der wahre Grund, weshalb ich hier bin.«
»Sie... Sie sind...?«
Ich zeigte ihm meine Lizenz als Privatdetektiv. »Zufrieden?« fragte ich.
Er schluckte mehrmals. »Sie sind ein Detektiv?«
»Allerdings.«
»Ich... also da wäre ich nicht drauf gekommen!«
Ich schwieg und ließ ihn im eigenen Saft schmoren.
»Sie haben mich ganz schön reingelegt«, brummte er schließlich.
»Und jetzt«, schlug ich vor, »sollen Sie mir vielleicht mal erzählen, warum Sie das Ding gestern abend mitgenommen haben. Wie wär’s?«
»Ich? Aber ich hab’s doch gar nicht mitgenommen!«
Ich sah ihn nur an und grinste.
»Ich versichere Ihnen, Mr. Lam, ich habe nichts davon gewußt. Ich habe lediglich in meiner Eigenschaft als Klubsekretär die Flagge entgegengenommen, ich habe heute früh das Schildchen am Schaft anbringen lassen und die Flagge in den Schrank gestellt.«
»So, hm, hm... Hören Sie, Bedford — ich glaube, wir sollten uns doch noch ein bißchen unterhalten — was meinen Sie?«
»Unterhalten? Worüber?«
»Ich nehme an, es würde Ihnen nicht recht sein, wenn dieser ganze Schwindel hier aufplatzte, oder?«
»Was für ein Schwindel denn? Wie meinen Sie das?«
»Sagen Sie mal — mit dem Finanzamt haben Sie hier wohl nichts zu tun, wie?«
»Nein, durchaus nicht, Mr. Lam. Warum sollten wir auch?«
»Na, Sie haben doch Einkünfte, nicht?«
»O nein; wir sind als Gesellschaft eingetragen, die lediglich gemeinnützigen Zwecken dient. Wir haben kein Einkommen und verfolgen ausschließlich das Ziel der internationalen Verständigung.«
Ich grinste wieder: »Na endlich! Das wollte ich bloß hören.«
Jetzt war er völlig verwirrt. »Was soll das?« fragte er unsicher.
»Das will ich Ihnen gern erklären«, entgegnete ich. »Sie sind also als gemeinnützige Gesellschaft eingetragen, ja? Und Sie haben — na, wenn’s hoch kommt, vielleicht acht oder zehn Mitglieder. Wahrscheinlich gibt es noch einen ganzen Rattenschwanz von Ehrenmitgliedern, aber die brauchen Sie nur als Aushängeschild. Ihre aktiven Mitglieder hingegen überweisen große Beträge an den Klub — als Spenden. Der Klub seinerseits finanziert die Reisen und >Expeditionen< dieser Leute.
Nehmen wir zum Beispiel Dean Crockett. Er will nach Borneo; er reist auf seiner Jacht, und er nimmt vier oder fünf Gäste mit, seinen Fotografen und seinen Public-Relations-Mann. Als normale Vergnügungsreise wäre dieses Unternehmen aber sogar für einen Mann seines Einkommens ein bißchen zu kostspielig, nicht wahr? Auch Crockett verdient die Zechinen für so was nicht im Handumdrehen — und wenn er sie verdient hat, muß er ja erst mal Steuern zahlen.
Aber das kann er ja viel bequemer haben: Er macht einfach eine Schenkung an den Klub — sagen wir, von 50 000 Dollar. Der Klub finanziert nun die Borneo-Expedition. Wenn Crockett zurückkommt, überreicht er feierlich dieses Fähnchen da; außerdem Fotos, Tagebücher, Filme und so weiter. Der ganze Kram kommt in das Klubarchiv. Und dann präsentiert Crockett eine Spesenrechnung von 50 607 Dollar.
Diesen Betrag braucht er nun aber nicht über die Steuer laufen zu lassen — es ist ja nur eine Rückerstattung seiner tatsächlichen Ausgaben. Die 50 000 Dollar hat er aber nicht angegeben, weil es doch eine steuerfreie Schenkung ist, die er übrigens noch von seinem Einkommen absetzen kann — ganz einfache Sache.
Auf diese Art und Weise bringt es eine kleine Gruppe von Millionären fertig, mitsamt ihren Freunden Weltreisen zu unternehmen, die sozusagen vom Finanzamt finanziert werden... ich vermute sogar, daß auch die Party gestern abend vom Klub bezahlt wird — schließlich ging es ja darum, ein geistiges Band zwischen den oberen Zehntausend dieser Stadt und den Kopfjägern von Borneo zu knüpfen... Und nächste Woche wird Crockett wahrscheinlich wieder eine kleine Spende überweisen — steuerfrei, versteht sich.«
Bedford sah aus, als sei er unter eine Dampfwalze gekommen. »Wer... für wen arbeiten Sie in Wirklichkeit?« stieß er hervor.
»Das habe ich Ihnen bereits mitgeteilt: für Dean Crockett.«
»So, aha, für Mr. Crockett... ich war einen Augenblick lang nicht mehr so ganz davon überzeugt«, murmelte er verstört.
»Na, wenn schon«, gab ich zurück. »Das alles geht mich auch gar nichts an. Ich habe den Auftrag, dieses verdammte Blasrohr wiederzufinden; das hab’ ich jetzt. Den Rest hab’ ich Ihnen aus reiner Menschenfreundlichkeit erzählt, das kriegen Sie gratis — das und den guten Rat, mir keine Schwierigkeiten zu machen. Denn in diesem Falle wäre ich genötigt, vielleicht doch noch einen Artikel über Ihren Klub zu schreiben, Mr. Bedford. Und wenn dieser Schwindel hier in die Zeitung kommt, sind Sie vermutlich die längste Zeit Klubsekretär gewesen — und ich vermute, daß die Stellung ganz attraktiv ist. — Guten Morgen.«
Er holte tief Luft und machte eine vollendete Verbeugung. »Guten Morgen, Mr. Lam.«
Ich klemmte das Blasrohr unter den Arm und ließ ihn stehen.