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Als ich mein Büro betrat und die Tür hinter mir schloß, begrüßte mich Elsie Brand mit der Andeutung eines Kopfnickens. Sie erinnerte mich an einen mittelgroßen Eisberg, wenn man außer Betracht läßt, daß sie nicht zu sieben Achteln unter der Wasseroberfläche schwamm, Ich blieb vor ihr stehen und sah sie an. Sie nahm keine Notiz davon, sondern beugte sich tief über die Schreibmaschine.
»Hören Sie mal, Mädchen«, begann ich, »das nächste Mal spielen Sie gefälligst mit, ja? Sie können mir doch nicht einfach den Teppich unter den Füßen wegziehen.«
Sie sah mich groß an: »Was meinen Sie damit?«
»Sie wissen ganz genau, was ich meine«, fuhr ich fort. »Glauben Sie etwa im Ernst, ich würde Sie um Erlaubnis fragen, wenn ich mich mit jemand verabreden will? Wenn ich mal wieder anrufe und erzähle solchen Unsinn, dann bleiben Sie gefälligst am Apparat, bis Sie dahinter gekommen sind, was ich eigentlich will — verstanden? Sie konnten zum Beispiel gar nicht wissen, ob das Gespräch nicht abgehört wurde; außerdem mußte ich mich als Alleinunterhalter betätigen, um mich vor dieser Verabredung zu drücken.«
Ich hatte nicht geglaubt, daß Eisberge derart rasch schmelzen können. »Das tut mir aber wirklich leid, Donald«, entschuldigte sie sich, »aber ich konnte doch nicht ahnen, was Sie im Sinn hatten!«
»Also nächstens seien Sie etwas zurückhaltender mit Ihren Mißtrauenskundgebungen«, empfahl ich ihr. Unterdes war ich an meinen Schrank gegangen und hatte das Blasrohr herausgenommen.
»Sagen Sie mal, was ist das eigentlich?« erkundigte sich Elsie. »Das Ding ist mir vorhin beinahe auf den Kopf gefallen, als ich meinen Mantel auf hängen wollte.«
»Dies«, erklärte ich ihr, »ist gewissermaßen eine von den Keimzellen, aus denen später die Honorare werden... Ist Bertha in ihrem Büro?«
»Ja, sie ist drüben. Soll ich Sie anmelden?«
»Nicht nötig... oder hat sie Besuch?«
»Nein; ich glaube, sie diktiert Post.«
Ich nickte, nahm das Blasrohr und ging hinüber zu Bertha. Sie unterbrach sich, sah mich unwillig an und stellte das Diktiergerät ab. »Wenn man dich braucht, bist du nicht aufzutreiben«, stellte sie fest, »aber wenn man gerade mitten in einer wichtigen Sache ist, dann... was ist denn das, zum Henker?«
»Ach so, das...«, murmelte ich, »das ist nur das Blasrohr, weißt du. Übrigens . . — ich griff in die Tasche — »den Buddha hab’ ich auch.« Ich stellte die Statuette auf die Schreibtischplatte. »Ich denke, du bringst das Zeug am besten selbst zu Crockett; du hast ja mehr mit ihm zu tun gehabt als ich.«
Bertha sah mich an. Ihr Doppelkinn ruhte auf dem Adamsapfel; die Augen waren weit aufgerissen — ich hatte nie gewußt, daß sie so groß waren. »Verdammt noch mal!« Sie sagte es mit Inbrunst.
Ich stellte das Blasrohr in die Ecke, tat so, als wische ich ein Stäubchen vom Ärmel meines Jacketts, und sagte so nebenbei: »Also, mach’s gut... ich hab’ noch was vor.« Damit ging ich zur Tür.
»Hier bleibst du!« donnerte Bertha los.
»Ja?!« Ich blieb stehen und sah sie erneut über die Schulter an. »Ist noch was?«
»Allerdings ist noch was, du Idiot... wo hast du das Zeug her?«
»Na, von den Leuten, die es gestern mitgenommen haben, natürlich.«
Die Diamanten an Berthas Fingern beschrieben einen glitzernden Bogen, als sie auf den Sessel wies. »Du setzt dich jetzt da hin und erzählst mir gefälligst, was überhaupt los ist«, ordnete sie an.
Es ergibt sich nicht allzuoft, daß man so mit Bertha umspringen kann. Ich kostete die Situation aus, nahm Platz und zündete mir zunächst einmal umständlich eine Zigarette an.
»Laß dir nur Zeit«, knurrte sie, »laß dich bitte bloß nicht hetzen — ich warte gern.«
»Ach«, begann ich schließlich, »es war eigentlich alles ganz einfach. Du hattest doch den Fahrstuhl überwacht, nicht wahr? Und dieses Blasrohr ist immerhin ungefähr einsachtzig lang; das konnte nicht gut einer an dir vorbeigeschmuggelt haben.«
»Es war also noch in der Wohnung?«
»Nein«, erwiderte ich, »da war es nicht mehr. Da konnte es nicht mehr sein. Die haben doch alles abgesucht.«
»Weiter!« drängte Bertha.
»Ich hab mir also überlegt«, fuhr ich fort, »ob es einen Gegenstand gibt, der groß genug ist, um ein einsachtzig langes Blasrohr darin zu verbergen, und der ganz offiziell aus Crocketts Wohnung herausgeholt werden konnte... Nachdem ich so weit war, war die Geschichte ziemlich einfach.«
»Und wo war es versteckt? Laß dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!«
»Es war in der Stange von dieser Klubfahne, die der Sekretär mitgenommen hat.«
»Also hat der das Ding geklaut?«
»Das glaube ich eigentlich nicht...«
»Aber er hat’s doch ‘rausgeschleppt!«
»Das schon. Aber ich bezweifle, daß er das gewußt hat.«
»Wieso?«
»Einmal«, erklärte ich ihr, »erforderte das Unternehmen einige Vorbereitungen. Das vor allen Dingen. Diese Fahnenstangen sind dafür gedacht, in festen, vielleicht sogar in felsigen Boden gesteckt zu werden; sie sind aus hartem Holz. Es ist nicht so ganz einfach, eine solche Stange in der Längsachse zu durchbohren — ich bin nicht sicher, ob das ein Nichtfachmann überhaupt fertigbringt. Außerdem gibt es Dreck, Sägemehl und so weiter. Vor allem kann es aber nur jemand gemacht haben, der die genauen Abmessungen des Blasrohrs kannte.«
»Verdammt juchhe!« sagte Bertha. »Jetzt brat’ mir einer ‘n Storch... Wer steckt da wohl dahinter — was meinst du?«
Ich zuckte die Achseln: »Wir sollten das Zeug wiederfinden; dafür werden wir bezahlt. Alles andere interessiert mich nicht.«
»Und wie war das mit dem Buddha?« fragte Bertha nach einer Pause.
»Der Buddha? Das war eigentlich noch einfacher.«
»Ja, ich weiß schon«, knurrte Bertha, konnte aber den in ihrer
Stimme mitschwingenden Unterton widerwillig gezollter Anerkennung nicht ganz verbergen. »Du hast die Gästeliste durchgesehen, und dann bist du einfach zu dem Dieb gegangen und hast gesagt: >Geben Sie den Buddha her< — so war’s doch vermutlich?!«
»Nein«, entgegnete ich schlicht, »ganz falsch. Es war noch viel einfacher.«
»Jetzt hör aber auf! Das gibt’s doch gar nicht!«
»Doch, doch«, sagte ich, »paß mal auf: Wir wußten doch, daß im Fahrstuhl eine Röntgenkamera eingebaut war; wer also ankam oder wegging, der wurde erst mal durchleuchtet, nicht wahr? Wir wußten das, und vermutlich wußte es der Dieb auch. Und trotzdem hat der Mann am Röntgenschirm nichts bemerkt. Mit anderen Worten, die Statuette muß von jemand mitgenommen worden sein, dessentwegen die Röntgenapparatur extra abgeschaltet worden ist.«
»Abgeschaltet? Ja du meine Güte — wem zuliebe sollten sie denn das Ding abschalten?«
»Dem Fotografen zuliebe. Der Mann hatte doch Kameras und Filme bei sich. Die Filme wären durch die Röntgenstrahlen belichtet und die gemachten Aufnahmen dadurch unbrauchbar geworden, wenn man für den Fotografen die Anlage nicht abgeschaltet hätte. Nun sind aber die Bilder was geworden — folglich kann er nicht durchleuchtet worden sein; weder beim Kommen noch beim Weggehen.«
Bertha zwinkerte heftig und bemühte sich, das zu verdauen. »Und der Fotograf hatte den Buddha?« fragte sie schließlich.
»Ich will mal so sagen: Das Ding hat in einer seiner Kameras gesteckt.«
»Na und? Was hat er gesagt, wie du’s ‘rausgeholt hast?«
»Nichts. Er weiß es gar nicht. Ich hab’s geklaut.«
»Also da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt!« stellte Bertha fest.
Ich stand auf und ließ sie in ihrem Büro allein zurück.