10
Am folgenden Morgen rief ich gegen neun bei Crockett an. Die sanfte Stimme von Melvin Otis Olney meldete sich: »Wer ist am Apparat, bitte?«
»Hier spricht Donald Lam.«
»Ja bitte, Mr. Lam? Um was handelt es sich?«
»Ich habe das Blasrohr.«
»So, Sie haben... Was haben Sie???«
»Das Blasrohr«, wiederholte ich freundlich. »Hat Ihnen Mrs. Crockett nicht Bescheid gesagt?«
»Ich habe Mrs. Crockett noch gar nicht gesehen.«
»Drum«, sagte ich. »Nun ja, ich habe es ihr gestern übergeben.«
Seine Stimme wurde kühl und förmlich: »Ich fürchte, das war nicht im Sinne von Mr. Crockett; Sie hätten es ihm selbst geben sollen.«
Dieser Ton paßte mir durchaus nicht. »Hören Sie mal«, sagte ich scharf, »Crockett war nicht zu erreichen; er hatte sich in seiner >Höhle< eingeschlossen. Und sonst war niemand zu Hause — da habe ich eben Mrs. Crockett das Ding gegeben. Haben Sie was dagegen? Die beiden leben doch nicht in Gütertrennung, oder?«
»Eh —nein; ich glaube nicht.«
»Na also. Jedenfalls ist das Blasrohr bei ihr. Und jetzt habe ich diesen Buddha. Was soll ich damit machen?«
»Was haben Sie?«
»Den Buddha — sagen Sie mal, hören Sie schlecht?«
»Doch, ja; ich höre Sie schon. Aber... das ist ja unglaublich, Mr. Lam!«
»Was ist denn daran unglaublich?«
»Na — erst das Blasrohr, dann der Buddha...!«
»Ja und? Dazu hat uns Crockett ja beauftragt, nicht wahr?«
»Natürlich, ich weiß... aber in so kurzer Zeit... Mr. Crockett wird seinen Ohren nicht trauen, wenn ich ihm das erzähle.«
»Vielleicht traut er seinen Augen, wenn er die Statuette sieht«, tröstete ich ihn. »Was ist jetzt mit dem Buddha? Wo soll ich ihn abgeben?«
»Hier«, schlug er vor. »Kommen Sie doch gleich ‘rauf.«
»Langsam, langsam«, bremste ich, »vielleicht ist es gescheiter, wenn ich mit Mr. Crockett selbst spreche... Es war Ihnen ja auch nicht recht, daß ich das Blasrohr bei Mrs. Crockett gelassen habe, und wenn er wieder nicht zu erreichen ist, dann ...«
»Aber er ist da«, unterbrach er mich.
»Da war er gestern auch. Ist er heute zu sprechen?«
»Ja. Das heißt, er wird zu sprechen sein. Er hat mich für neun Uhr bestellt, weil er verschiedene Anweisungen geben will; den Sekretär hat er auch bestellt. Er soll abschreiben, Avas Crockett in die Maschine diktiert hat, glaube ich.«
»Er ist also bestimmt da?«
»Ich sage Ihnen doch, er wird bestimmt da sein, bis Sie hier eingetroffen sind.«
»Hm... und von dem Blasrohr hat Ihnen Mrs. Crockett nichts erzählt?«
»Nein. Das ist das erste, was ich höre.«
»Fragen Sie doch mal, wo das Ding ist«, schlug ich vor.
»Das sollten wir wohl besser Mr. Crockett überlassen. Wann können Sie hier sein, Mr. Lam?«
»Sagen wir — in zwanzig Minuten.«
»Sehr gut. Wir erwarten Sie.«
Ich verließ das Büro, kletterte in unseren etwas ramponierten Geschäftswagen und fuhr zu dem Apartmenthaus, in dem Crocketts Atelierwohnung lag.
Diesmal brauchte ich nicht angemeldet zu werden. Der Portier behandelte mich wie einen Staatsbesuch, für den »großer Bahnhof< befohlen ist. Er bestand sozusagen nur aus Lächeln: »Guten Morgen, Mr. Lam — ich weiß Bescheid; Sie werden erwartet... Sie kennen doch den Weg, nicht wahr? Der Fahrstuhl bringt Sie zum zwanzigsten Stock, und da steht schon der andere Aufzug bereit.«
»Na sehen Sie«, lobte ich ihn, »es geht doch! Sie lernen’s bestimmt noch!«
Ich fuhr zum zwanzigsten Stock hinauf und ging den Korridor entlang bis zu der Tür Nr. 20 S. Sie war nicht verschlossen; ich trat ein und befand mich im Vestibül. Die Holzverkleidung, die das Telefon normalerweise verbarg, war zur Seite geschoben; über dem Apparat hing ein Schild mit dem Aufdruck: HÖRER AUFHEBEN UND KNOPF DRÜCKEN.
Ich folgte dieser Aufforderung, und es meldete sich eine Männerstimme: »Wer ist da, bitte?«
»Donald Lam... Wer spricht dort? Sie sind doch nicht Olney?«
»Nein, Sir; hier spricht Wilbur C. Denton; ich bin der Sekretär von Mr. Crockett. Ich werde Ihnen sofort den Fahrstuhl schicken, Mr. Lam.«
»Ja, danke«, sagte ich, legte den Hörer auf die Gabel zurück und wartete. Es dauerte keine 30 Sekunden, da war der Aufzug bereits da. Während ich nach oben glitt, schoß mir die Frage durch den Kopf, ob wohl die Röntgenanlage eingeschaltet sein mochte. Wahrscheinlich ja, vermutete ich. Da hielt der Fahrstuhl; ich stieg aus und stand vor einem männlichen Wesen, dessen Länge durch seine schlechte Haltung übertroffen wurde. »Mein Name ist Denton«, begrüßte er mich. »Erfreut, Sie kennenzulernen.«
Seine Hand lag schlaff in der meinen. Ich ließ sie rasch wieder los und erkundigte mich: »Wo steckt Olney?«
»Er telefoniert gerade, Mr. Lam.«
»So; und Crockett?«
»Mr. Crockett muß jeden Moment hier sein. Es kann sich höchstens noch um ein paar Minuten handeln; er hat heute vormittag etwas sehr Wichtiges vor und hat mich eigens deshalb herbestellt. Aber Mr. Olney meint, daß er trotzdem unter allen Umständen erst mit Ihnen sprechen will.« ,
Denton lächelte; es war eine etwas verwässerte Version der Olneyschen Herzlichkeit. Dann bedeutete er mir, ihm zu folgen, und führte mich in einen Raum, den ich noch gar nicht kannte. Eine elektrische Schreibmaschine, ein Kopiergerät, Aktenschränke und einige bequeme Sessel ließen erkennen, daß er als Schreibbüro diente.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, forderte er mich auf. »Wenn Sie gestatten, arbeite ich solange noch ein bißchen.«
»Lassen Sie sich nicht stören.«
Denton setzte einen Kopfhörer auf und stellte das Diktiergerät an. Seine langen, knochigen Finger schwebten eine Sekunde lang über der Tastatur der Schreibmaschine; dann fielen sie auf die Tasten wie die Hände eines Klaviervirtuosen.
Fasziniert beobachtete ich ihn. Das Stakkato der Anschläge wurde nur durch das Klingelzeichen am Ende jeder Zeile unterbrochen. Ich hatte den Eindruck, daß der Schlitten ebenso rasch von rechts nach links glitt, wie er von dem elektrischen Mechanismus von links nach rechts transportiert wurde. Im Nu war das Ende des Bogens erreicht, und Denton legte ein neues Blatt ein.
Da ging die Tür auf, und Olney kam herein. Er bestand nur aus Lächeln, und Herzenswärme strahlte ihm aus allen Knopflöchern. »Na, da sind Sie ja endlich!« rief er. »Donald Lam, der Meisterdetektiv... großartig haben Sie das gemacht, Lam! Wie geht’s Ihnen?«
Er packte meine Rechte und schüttelte sie heftig; gleichzeitig schlug er mir mehrfach auf die Schulter. Es war fast ein Bühnenauftritt.
Denton ließ sich indessen von dieser Szene nicht beeindrucken. Er würdigte uns keines Blickes und hämmerte ohne Pause auf die Tasten.
»Also, dann kommen Sie mal mit rüber, Lam«, beendete Olney schließlich die Begrüßung. »Mr. Crockett erwartet Sie.«
Er führte mich in einen anderen Arbeitsraum und klopfte an eine Tür in der Rückwand, die so aussah, als liege dahinter ein Wandschrank.
Da niemand antwortete, klopfte er abermals.
Wieder rührte sich nichts. Nun drückte er auf einen Klingelknopf - einen außerordentlich geschickt verborgenen Klingelknopf, der selbst bei genauem Hinsehen nicht zu entdecken war. Wahrscheinlich hätte man ihn mit einem Vergrößerungsglas finden können, aber wer nicht wußte, wo er zu suchen war, würde kaum Erfolg haben. Obgleich ich ihm zugesehen hatte, merkte ich nur an einem entfernten Klingeln, was die rasche Bewegung seines Daumens zu bedeuten hatte.
Auch diesmal geschah nichts. Olney blickte auf seine Armbanduhr und murmelte: »Komisch ...«
Da sagte hinter uns eine Frauenstimme: »Ist etwas nicht in Ordnung, Melvin?«
Ich wandte mich um und erkannte Mrs. Crockett. Sie war mit einem ziemlich durchsichtigen Neglige bekleidet, und da sie gegen das Licht stand, bot sie einen recht offenherzigen Anblick. Das schien sie aber nicht weiter zu stören.
Olneys Stimme war kühl und formell: »Alles in bester Ordnung, Mrs. Crockett.«
In diesem Augenblick bemerkte sie mich. »Ach, Mr. Lam — guten Morgen... oh, ich fürchte, ich bin ein bißchen transparent...«
Also doch, dachte ich. Sie lachte und zog das Négligé enger zusammen, ohne daß hierdurch die Sicht wesentlich verschlechtert worden wäre.
»Was ist mit Dean — wo steckt er denn?« erkundigte sie sich.
»In seinem Privatbüro«, berichtete Olney. »Er sagte mir, daß er heute früh um neun Arbeit für mich haben werde, und trug mir auf, dafür zu sorgen, daß Wilbur rechtzeitig hier ist. Es scheint sich um etwas Wichtiges zu handeln.«
»Wann hat er Ihnen das gesagt?«
»Gestern abend.«
»Ach? Ich dachte, er sei gestern überhaupt nicht mehr aufgetaucht.«
»Doch, er kam für etwa eine halbe Stunde heraus — ich glaube, Sie waren in Ihrem Atelier unten.«
Wieder drückte Olney auf den verborgenen Knopf, und wieder erklang das gedämpfte Glockenzeichen.
Hinter der Tür blieb es still.
»Da muß irgend etwas nicht in Ordnung sein«, meinte Olney. »Wir sollten lieber nachsehen; es ist immerhin denkbar, daß ...«
»Nein, auf keinen Fall! Lassen Sie das sein!« rief Mrs. Crockett nervös. »Das würde er nie verzeihen — niemand würde er das verzeihen. Wenn er in seiner >Höhle< ist, will er unter gar keinen Umständen gestört werden.«
»Aber vielleicht ist er krank?«
»Er... nein; er kann doch nicht auf einmal so krank geworden sein, daß er nicht herauskommen könnte.«
»Ich weiß nicht recht«, überlegte Olney. »Man kann so plötzlich krank werden, daß man nicht einmal mehr vom Stuhl hochkommt... Wo ist der Notschlüssel?«
»Der Not...? Er liegt im Safe. Aber ich würde nicht um alles in der Welt... nein, das geht nicht. Das ist ausgeschlossen.«
»Im Safe, sagen Sie? Wo liegt er da?«
»Oben rechts; in der oberen rechten Schublade.«
»Sie haben die Kombination, nicht wahr?«
»Ja, natürlich.«
»Dann möchte ich doch vorschlagen, daß Sie jetzt den Safe öffnen und den Schlüssel holen. Wir müssen nachsehen, was los ist, Mrs. Crockett.«
Sie schüttelte den Kopf.
Da erklärte Olney mit kalter Höflichkeit: »Wie Sie wünschen. Diese Entscheidung müssen Sie treffen, Mrs. Crockett. Allerdings
muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie unter diesen Umständen auch die gesamte Verantwortung tragen ...« Er warf einen Blick auf seine Uhr und fuhr fort: »Es ist jetzt sieben Minuten nach zehn — ich darf Sie bitten, Mr. Lam, sich daran zu erinnern, daß ich um diese Zeit den Notschlüssel gebrauchen wollte, und daß sich Mrs. Crockett dem widersetzt hat.«
»Was soll denn das heißen?« sagte sie aufgebracht. »So haben wir nicht gewettet — Sie können mir doch nicht einfach die ganze Verantwortung aufhalsen!«
»Dann geben Sie den Schlüssel heraus.«
Sie zögerte einen Augenblick; dann stand ihr Entschluß fest. »Also gut. Wollen Sie bitte auch im Gedächtnis behalten, Mr. Lam, daß mir Mr. Olney mitgeteilt hat, er werde mich für alle Folgen verantwortlich machen, die daraus entstehen könnten, daß ich den Notschlüssel nicht herausgebe... es ist jetzt zehn Uhr siebeneinhalb.«
Ich hatte dieses Duell schweigend mit angehört; ich äußerte mich auch jetzt nicht.
»Schon gut, Lam.« Olneys Lachen klang gezwungen. »Wenn ich etwas unternehme, dann stehe ich auch für die Folgen gerade.«
»Bitte warten Sie einen Moment«, forderte uns Phyllis Crockett liebenswürdig auf. »Ich hole jetzt den Schlüssel.«
Damit verließ sie das Zimmer.
»Irgend etwas stimmt da nicht«, behauptete Olney, und ein seltsamer Unterton lag in seiner Stimme. »Er hat sich schon immer gern dorthinein zurückgezogen, wenn er es einrichten konnte; er haßt es, bei der Arbeit gestört zu werden. Und seine Frau hat nicht viel Verständnis für seine Schriftstellerei; häufig irritiert sie ihn im ungünstigsten Augenblick mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten — was das schlimmste ist, sie kann einfach nicht unterscheiden, was wichtig ist und was nicht... Aber ich sollte Ihnen all das wohl nicht erzählen; bitte betrachten Sie diese Mitteilungen als vertraulich — ich habe überhaupt nur davon angefangen, weil ich mir doch allmählich Sorgen mache. Irgend etwas ist nicht in Ordnung mit Dean Crockett; womöglich hat er einen Herzanfall oder so etwas... Dieser Klingelknopf ist ein Geheimsignal, verstehen Sie; nur Mrs. Crockett und ich kennen ihn. Versuchen Sie mal, ob Sie ihn finden.«
Er trat zur Seite, und ich betrachtete die hölzerne Wandverkleidung. Ich sah sie mir sehr genau an, aber ich konnte nichts entdecken.
»Jetzt achten Sie mal auf meinen Daumen«, sagte Olney. Er trat wieder an die Wand, tastete kurz über die glatte Holzfläche und drückte dann auf eine bestimmte Stelle. Hinter der Tür erscholl wieder das Läuten.
»Jetzt hab’ ich es«, erklärte ich. Olney lächelte und gab die Wand frei. »Dann versuchen Sie’s doch noch einmal«, lud er mich ein.
Ich stellte mich an die gleiche Stelle, an der er gestanden hatte, und ließ die Finger über die Wand gleiten. Gleichzeitig setzte ich den linken Fuß unmittelbar vor der Tür dicht an die Stoßleiste. Dann drückte ich wahllos mit dem Daumen irgendwohin, preßte aber gleichzeitig die linke Fußspitze fest gegen den Fußboden.
Augenblicklich erklang drinnen die Glocke.
Olney riß die Augen auf. »Donnerwetter!«, rief er aus. »Vor Ihnen muß man sich ja in acht nehmen!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Phyllis Crockett kam mit dem Schlüssel. »Ich gebe ihn nur heraus, weil Sie mir versichert haben, daß ...«
Olney ließ sie nicht ausreden. Er riß ihr fast den Schlüssel aus der Hand, schob ihn in das Schloß, ließ es aufschnappen lind stieß die Tür auf.
Wir traten gleichzeitig vor und blieben gleichzeitig wie angenagelt stehen. Hinter der Tür befand sich die kleine Kammer, die ich am Tage zuvor vom Badezimmerfenster aus gesehen hatte. Und vor uns lag Dean Crockett der Zweite. Er lag auf dem Rücken; die Knie waren extrem gebeugt und die Füße halb unter seinem Körper verborgen. In seiner Brust steckte dicht unter dem Halsansatz der Bolzen eines Blasrohrs. Offensichtlich war der Mann schon eine ganze Weile tot.
Ohne meinen Standort zu verändern, ließ ich den Blick rundum durch den kleinen Raum wandern. Die Kammer war unmöbliert, bis auf die Regale, die ich schon gestern gesehen hatte. Sie waren mit allen möglichen Dingen vollgestellt: Konservenbüchsen, Bücher, Kunstgegenstände, Schreibpapier, Zettelkästen und sonstiger Kram lagen auf den Brettern durcheinander. In der Rückwand der Kammer bemerkte ich knapp unterhalb der Decke einen zweiten Bolzen. Er war tief in das Holz der Wandverkleidung gedrungen, und ich mußte daran denken, was mir Phyllis Crockett von der Durchschlagskraft erzählt hatte, die das verschwundene und wiedergefundene Blasrohr den Bolzen verleihen sollte.
»Großer Gott!« stöhnte Olney.
»Da — in seiner Kehle!« schrie Phyllis Crockett. »Der Bolzen ...« Ihre Stimme war völlig verzerrt.
»Da oben im Regal steckt noch einer.« Ich wies dorthin.
»Wo?« Mrs. Crockett trat rasch vor, sah den Bolzen und wollte danach greifen.
»Finger weg!« sagte ich scharf.
Sie fuhr herum. »Was soll das heißen, Mr. Lam? In was für einem Ton reden Sie mit mir? Sie haben kein Recht...«
»Lassen Sie den Bolzen, wo er ist«, unterbrach ich sie ungerührt. »Der Bolzen ist ein Beweisgegenstand. Und wenn Sie irgend etwas hier drin anrühren, dann wird es Ihnen wahrscheinlich bald außerordentlich leid tun.«
»Was meinen Sie damit? « fragte sie, im Augenblick mehr verwirrt als zornig.
»Aus dem Winkel, in dem dieser Bolzen in das Holz eingedrungen ist, kann man seine Flugbahn berechnen«, erklärte ich ihr. »Er muß durch das offene Fenster gekommen sein, das kann man schon von hier aus erkennen. Und ich vermute, bei näherer Prüfung wird sich herausstellen, daß die Flugbahn nach Ihrem Badezimmerfenster weist.«
Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, sagte aber nichts.
»Wenn Sie also jetzt den Bolzen ‘rausziehen«, fuhr ich fort, »dann wird man nachher behaupten, daß Sie sich nicht zuerst um Ihren Mann gekümmert haben, sondern daß Sie bemüht waren, schleunigst Spuren zu verwischen — Spuren, die nach Ihrem Badezimmerfenster wiesen. Und dann wird mit Sicherheit jemand auf die Idee kommen, daß Sie selbst den Bolzen abgeschossen haben könnten... Nein, Mrs. Crockett, es ist schon besser, wenn Sie jetzt diesen Raum verlassen und nichts darin verändern. Ich werde die Polizei verständigen.«
Olney betrachtete mich erstaunt. »Ich weiß nicht recht«, sagte er kalt, »ich glaube, ich sehe mich gezwungen, Mrs. Crockett zuzustimmen: Sie haben wirklich kein Recht zu dieser Haltung; Sie maßen sich Befugnisse an, die Ihnen nicht zustehen.«
»Das lassen Sie doch meine Sorge sein«, wies ich ihn zurecht. »Ich besitze eine Lizenz aus Privatdetektiv, und ich weiß, was ich in diesem Fall zu tun habe. Sie werden jetzt den Raum verlassen — alle beide —, und ich werde die Mordkommission anrufen.«
»Und wenn wir es ablehnen, Ihren Anordnungen zu gehorchen?« fragte Olney erregt.
»Dann werde ich der Polizei nicht nur sagen, daß Sie Spuren verwischt haben, sondern auch, daß Sie es absichtlich getan haben.«
Einen Augenblick lang maßen wir uns wortlos mit den Augen. Dann grinste er: »Das ändert allerdings die Sachlage... Kommen Sie, Mrs. Crockett; wir tun, was er gesagt hat. Und um dieser kleinen Klapperschlange auch gleich die Giftzähne auszubrechen: soll er doch den Schlüssel behalten, bis die Polizei da ist. Dann kann wenigstens niemand behaupten, wir hätten irgendwelche Beweismittel entfernt.«
Während er das sagte, schob er Phyllis Crockett aus dem Kämmerchen. Ich folgte, und er schloß die Tür ab. Ich ließ mir den Schlüssel geben und meinte: »Das ist eine der besten Reden, die Sie je gehalten haben — auch wenn Sie das vielleicht gar nicht wissen... oder wissen Sie es?«