13
Ich betrat den Empfangsraum unseres Büros und hatte die Tür noch nicht hinter mir geschlossen, da schnellte Lionel Palmer schon vom Stuhl und schoß auf mich zu. Er hatte halb hinter dem Aktenschrank verdeckt gesessen und sich offensichtlich mit Eva Ennis unterhalten; sie lächelte, ihr Gesicht war leicht gerötet und trug jenen schwer zu beschreibenden Ausdruck, den die meisten Frauen annehmen, wenn ihnen ein Mann Komplimente macht, die sie gerne hören, von denen sie aber nicht recht wissen, wie ernst sie gemeint sind.
»Morgen, Palmer«, grüßte ich freundlich.
»Ihren guten Morgen können Sie sich an den Hut stecken!« legte er los. »Der Teufel soll Sie holen, Sie...! Wie kommen Sie eigentlich dazu, mich bei Crockett mies zu machen?«
»Mies zu machen? Wieso?«
»Tun Sie doch nicht so! Sie wissen ganz genau, daß Sie mich mies gemacht haben! Kaum haben Sie den Auftrag, diesen geklauten Kram aufzustöbern, da kommen Sie Hals über Kopf geradewegs zu mir gerannt — das muß ja dann so aussehen, als hätten Sie mich im Verdacht; das sieht ja ein Blinder ohne Sonnenbrille! Jetzt glaubt Crockett, ich hab’ was damit zu tun, und Olney glaubt das auch... Ihnen hat vermutlich schon lange niemand mehr die Hucke vollgehauen — aber ich warne Sie!«
Ich suchte umständlich mein Zigarettenetui, fand es, ließ es aufschnappen und hielt es ihm hin: »Zigarette?«
»Bleiben Sie mir mit Ihren dämlichen Zigaretten vom Hals!« fauchte er. »Ich hab’ Sie was gefragt!«
Ich nahm eine Zigarette, klappte das Etui zu, steckte sie an und ließ den Rauch langsam durch die Nase entweichen. »Na und?! Ja, ich habe meine Nachforschungen bei Ihnen begonnen — weil ich nämlich auf den Bildern sehen wollte, was für Leute auf dieser Party waren. Ist das so schlimm?«
Mit einem raschen Seitenblick stellte ich fest, daß Eva Ennis etwas näher gerückt war. Sie blickte mit kaum verhohlener Bewunderung und leicht geöffnetem Mund zu Lionel Palmer hoch. >Mein Held!< sagten ihre Augen. >Gib ihm Saures!<
»Quatsch!« erklärte Palmer mit Nachdruck, gestärkt durch diese moralische Rückendeckung. »Reden Sie doch kein Blech! Sie haben mich über meine sämtlichen Bekannten ausgeholt, Sie scheinheiliger Patron! Sie haben mir einen solchen Haufen Ärger gemacht, daß ich am liebsten...« Er blieb stecken. Es schoß mir durch den Kopf, daß es doch eigentlich traurig ist, wenn einer nicht weiß, was er am liebsten will. Aber derlei philosophische Betrachtungen wollte er jetzt offensichtlich nicht hören. Ich sagte also freundlich:
»Ärger, so... Lieber Mann, Sie wissen überhaupt nicht, was Ärger ist — noch nicht.«
»Ach nee - und jetzt sagen Sie bloß noch, Sie wollen mir welchen machen — dann können Sie aber was erleben!«
»Ich?« fragte ich unschuldig. »Wie käme ich dazu?«
»Na, wer denn noch alles?« Er schielte zu Eva Ennis hinüber, stemmte die Fäuste in die Hüften und war sichtlich bemüht, möglichst breitschultrig zu wirken.
Ich drückte sorgfältig meine Zigarette im Aschenbecher aus. »Wer?« Ich überzeugte mich, daß auch wirklich kein Großfeuer zu befürchten war, und sagte dann zerstreut: »Och — bloß die Polizei...«
Es dauerte ziemlich lange, bis er begriff. Aber dann schrumpfte die Breitschultrigkeit überraschend schnell zusammen, und er fragte unsicher: »Die Polizei? Was hat denn die damit zu tun?«
»Ach — so allerlei, nicht? Sie sucht übrigens schon nach Ihnen.«
»Nach mir? Wieso?«
»Wegen des Verhörs«, erklärte ich bereitwillig. »Sie sollen vernommen werden.«
»Ja weswegen denn, um Himmels willen?«
Ich fragte zurück: »Haben Sie gewußt, daß auf dieser Party ein Blasrohr und eine kleine Plastik gestohlen worden sind?«
»Ja natürlich... aber ...«
Ich ließ ihn nicht ausreden: »Und? Sagt Ihnen das nichts?«
»Nein —warum auch?«
»Sie wußten also, daß dieses Blasrohr verschwunden war?«
»Ja, zum Henker, das sagte ich doch. Es wäre auch schwer gewesen, das nicht zu bemerken — bei dem Geschrei, das Crockett deswegen gemacht hat! Und gestern, da hat er mir gesagt, daß er Sie beauftragt hat, das Zeug wiederzufinden. Dann wollte er wissen, wieso Sie ausgerechnet zu mir gekommen sind, und was das überhaupt...«
»Ich habe das Zeug wiedergefunden«, unterbrach ich abermals.
»Na und? Das kann mir doch Wurscht sein!«
»Ach... ich dachte, es interessiert Sie vielleicht...«
»Das interessiert mich einen Dreck, wenn Sie’s genau wissen wollen... Das einzige, was mich interessiert, ist, daß Sie nie mehr Ihr dummes Gesicht bei mir sehen lassen!«
Er versuchte offensichtlich, wieder zu seiner vorigen Form aufzulaufen, aber so ganz gelang es ihm nicht mehr.
»Na schön. Auf alle Fälle wird Ihnen die Polizei ein paar Fragen stellen wollen — zum Beispiel, was Sie ...«
»Von mir aus«, schnitt er mir das Wort ab. »Die können mich fragen, bis sie blau anlaufen im Gesicht!«
»...zum Beispiel«, fuhr ich ungerührt fort, »was Sie im Atelier von Mrs. Crockett gemacht haben... Sie haben doch einen Schlüssel, nicht wahr?«
Er schwieg trotzig.
»Sie waren doch gestern dort?«
»Darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig.«
»Nein, das sind Sie nicht, das stimmt. Aber die Polizei wird Rechenschaft von Ihnen verlangen.«
»Soll sie doch... Ich hatte was im Atelier zu erledigen.«
»Sicher«, sagte ich beiläufig, »Sie hatten dort was zu erledigen. Sie hatten ja auch einen Schlüssel. Und Dean Crockett ist wahrscheinlich vom Atelier aus ermordet worden.«
Er trat zwei Schritte zurück und krachte mit der Hüfte gegen die Schreibtischkante, ohne es auch nur zu bemerken. »Er... was?« flüsterte er rauh.
»-mordet«, ergänzte ich und fuhr fort: »Und kurz davor hatten Sie eine Auseinandersetzung mit ihm, in deren Verlauf Sie ihn am Rockaufschlag packten, woraufhin er Sie quer durchs Zimmer segeln ließ und sich Ihre Aufdringlichkeit verbat... Na ja, und jetzt wird die Polizei vermutlich rasend gern wissen wollen, was sie anschließend gemacht haben; das werden Sie doch verstehen... So, und jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen, ich habe etwas Dringendes zu erledigen.«
Ich ließ ihn stehen und ging zu meinem Büro hinüber. Während ich die Tür öffnete, sah ich mich nach ihm um. Er stand wie versteinert. Auch Eva Ennis beobachtete ihn, aber alle Bewunderung war aus ihrem Gesicht verschwunden. Dann machte ich die Tür hinter mir zu.
»Morgen, Elsie«, grüßte ich und ließ mich in den Schreibtischsessel fallen.
»Morgen, Donald... Wissen Sie, daß Bertha Sie verzweifelt sucht und alle Welt verrückt macht deswegen?«
»Soll ruhig ein bißchen verzweifeln, die Gute... Hören Sie, Elsie, die Anmeldung wird gleich anrufen und sagen, daß mich ein gewisser Palmer sprechen will. Der soll erst mal warten, ja?«
»Psychologie des Alltags, was? Kapitel siebzehn: Vom Umgang mit Besuchern!«
»So ungefähr, ja. Legen Sie ihn ein bißchen auf Eis.«
»Ist recht... Aber was soll ich Bertha sagen?«
Ich warf einen Blick auf die Uhr und entschied: »Also von mir aus — melden Sie ihr, daß ich da bin.«
»Sie möchten gleich ‘rüberkommen, hat sie gesagt«, wandte sie ein.
»Trotzdem. Rufen Sie erst mal an, bitte.«
Elsie nahm den Hörer ab, wählte den Hausanschluß und schob den Apparat zu mir hinüber.
»Hallo - Bertha?!« meldete ich mich. »Ich bin wieder zurück.«
Ich hörte, wie sie tief Luft holte. Und dann ging es los: »Ach nee — tatsächlich? Schon zurück? Das ist ja nicht zu fassen! Sag mal, wo treibst du dich eigentlich dauernd rum? Ich brauche dich dringend brauche ich dich, und kein Mensch Weiß, wo du steckst. Du benimmst dich wie ein Aufsichtsratsvorsitzender auf Urlaub. Aber du bist keiner, merk dir das! Und auf Urlaub bist du schon gar nicht! Ich habe Arbeit für dich. Du kommst jetzt sofort zu mir rüber, und...«
»Was für Arbeit?« unterbrach ich ihren Redeschwall.
»Das wirst du gleich hören. Mach, daß du rüberkommst!«
»Ich kann jetzt nicht«, widersprach ich. »Im Vorzimmer wartet schon jemand auf mich.«
»Dann laß ihn gefälligst warten!«
»Ist mir recht«, sagte ich friedfertig, »das hatte ich ohnehin vor.«
Damit legte ich den Hörer auf die Gabel, lehnte mich im Sessel zurück und brachte meine Füße auf dem Tisch unter. Da klingelte das Telefon. Ich schob es mit dem Fuß zu Elsie Brand hinüber und zündete mir eine Zigarette an.
»Mr. Lionel Palmer möchte Sie sprechen«, meldete sie.
»Soll warten«, entschied ich und verfolgte träumerisch die Rauchkringel, die langsam zur Decke emporkräuselten. Da flog plötzlich die Tür auf, und jemand kam ins Zimmer gewuchtet. Es hörte sich an wie eine Sturmgeschützabteilung, die einen Angriff fährt. Aber es war nur Bertha.
»Derartige dumme Witze kannst du dir nächstens sparen!« schrie sie mich an. »Wenn ich sage >Komm!<, dann kommst du gefälligst, verstanden? Und jetzt nimm die Beine vom Tisch und schreib endlich den Bericht für Crockett!«
»Was für einen Bericht?« erkundigte ich mich gähnend.
»Ich habe Crockett gesagt, daß er jeden Tag einen Tätigkeitsbericht bekommt.«
»Wie aufmerksam von dir.«
»Laß die Witze. Sag mir lieber, was mit dem Buddha und mit dem Blasrohr ist.«
»Den Buddha«, begann ich, zog die Schreibtischschublade auf und stellte die Statuette vor mich auf die Platte, »den habe ich hier.«
Das machte doch einen gewissen Eindruck auf sie. »Na endlich«, knurrte sie. »Und das Blasrohr?«
»Ach ja, das Blasrohr... das ist auch wieder da. Im Augenblick hat es die Polizei.«
»Gut«, meinte Bertha befriedigt, »es war ja auch langsam Zeit, daß du... was sagst du da? Polizei?«
»Ja, ganz recht, die Polizei. Dein Freund Sellers hat sich nämlich sehr für das Ding interessiert, weißt du.«
»Sellers? Aber der ist doch bei der Mordkommission!«
»Ja natürlich — warum?«
»Was hat denn die Mordkommission mit der Sache zu tun?«
»Na, die muß doch den Mord aufklären!«
»Mord? Mensch, laß dir doch nicht jedes Wort einzeln aus den Zähnen ziehen! Wer ist denn ermordet worden?«
»Dein Klient, Bertha.«
»Nein!«
»Doch.«
»Crockett?«
»Crockett.«
»Und wer... wer hat ihn denn ...«
»Das wissen sie noch nicht.«
»Wie ist er denn ermordet worden? Womit?«
»Womit...«, wiederholte ich und fuhr dann nachdenklich fort: »Wir haben diesmal zu fix gearbeitet, Bertha: Mit dem Blasrohr... zumindest sieht es so aus, und Sellers ist überzeugt davon.«
Bertha zwinkerte heftig mit den Augen und sagte zunächst einmal gar nichts. Diesen Brocken mußte sie erst verdauen. Schließlich raffte sie sich zu der Frage auf: »Wann ist es denn passiert?«
»Gestern abend oder heute nacht. Die Leiche ist erst heute früh gefunden worden.«
»Und was hast du mit der Geschichte zu tun?«
»Ich soll den Mord aufklären.«
»Den Mord? Du? Wer hat dir den Auftrag gegeben?«
»Die Witwe.«
»Ach nein... warum denn? Meint sie, Sellers schafft’s nicht allein?«
»Das weniger. Sie rechnet damit, verdächtigt zu werden.«
Bertha pfiff durch die Zähne. »Oha ...«, murmelte sie dann, »so ist das... na und? Hat sie’s getan?«
»Keine Ahnung.«
»Was meint denn Sellers?«
»Das hat er mir nicht auf die Nase gebunden.«
Bertha versank in Nachdenken. »Hör mal«, meinte sie dann, »wenn Frank Sellers auf die Idee kommt, daß die Dame Crockett ihren Mann umgelegt hat, und du versuchst, ihr aus der Patsche zu helfen - du, das gibt aber einen Haufen Ärger!«
»Für wen?«
»Na, für uns, für unsere Agentur... Das ist eine üble Situation, Donald.«
»Hm, hm, das findet Mrs. Crockett auch ...«
»Kann ich mir denken... Sag mal, was ist denn mit hier?« Sie begleitete die Frage mit der Geste des Geldzählens.
»Ach, das Honorar meinst du... Ich weiß nicht. Darüber haben wir nicht gesprochen.«
»Das sieht dir ähnlich«, seufzte Bertha. »Dann besprich das gefälligst mit ihr — oder nein, bring sie lieber hierher, das werde ich besser selber tun... Ich versteh’ dich einfach nicht, Donald. Du bist doch nicht dumm, aber vom Geschäft verstehst du nichts, da bist du eine glatte Niete. Ich hab’ dir hundertmal gesagt: Erst Vorschuß! Was ist denn jetzt, wenn sie die Dame einbuchten, he? Und wenn sie als Mörderin verurteilt wird? Dann erbt sie nämlich keinen Cent, und wir gucken in die Röhre!«
»Da hast du recht«, räumte ich ein. »Wir müssen also alles tun, damit sie freigesprochen wird.«
Sie beachtete den Einwand gar nicht. Wenn Bertha auf Geld zu sprechen kommt, ist sie schwer zu bremsen. »Immer erst Vorschuß geben lassen«, predigte sie, »dann kann hinterher nichts passieren.«
»Sag mal«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen, »wieviel Vorschuß hast du eigentlich bei Crockett ‘rausgeholt?«
»Aber ich bitte dich — das ist doch ganz was anderes!« Sie versuchte, ihre Verlegenheit unter Würde zu verbergen. »Bei einem Mann von seinem Kaliber kann man doch nicht... Schließlich ist der Mann ein Millionär!«
»Wir wollen mal sagen, er war ein Millionär«, korrigierte ich.
Bertha lief rot an. Sie holte tief Luft und wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Einen Augenblick stand sie unschlüssig da,
dann drehte sie sich auf dem Absatz um und marschierte aus dem
Zimmer. Die Lampe an der Decke klirrte leise. Dann knallte die Tür zu.
Ich sah Elsie Brand an und grinste. Sie zuckte die Schultern.
»So«, entschied ich, »dann rufen Sie mal dieses Brechmittel namens Palmer.«
Es war ein völlig verwandelter Palmer, der mir eine Minute später gegenübersaß. Er versuchte nicht mehr, wie Joe Louis auszusehen, er bemühte sich vielmehr, höflich zu sein. »Sie müssen das verstehen, Lam«, begann er zögernd, »ich wüßte gern, was die Polizei gegen mich in der Hand...«
Da entdeckte er die kleine Buddha-Figur auf meinem Schreibtisch. Er brach ab und starrte sie an. »Ist das ...«, stotterte er, »das Ding da auf dem Tisch...«
»Ganz recht«, sagte ich verbindlich, »das ist der Buddha.«
Er schluckte. »Sie haben ihn also?«
»Sieht so aus, nicht wahr?«
»Wie haben Sie ihn denn so schnell gefunden?«
»Och... ich habe mich ein bißchen umgesehen«, erklärte ich unbestimmt.
»Wann war das?«
»Gestern.«
»Und wer hat ihn gehabt?«
»Sie, Palmer!«
Er schoß vom Sessel hoch. Jetzt explodierte er, dachte ich. Aber er setzte sich langsam wieder hin.
»Nein«, sagte er dann leise und schüttelte energisch den Kopf, »nein... bei mir können ‘Sie den Buddha nicht gefunden haben. Das ist ja ausgeschlossen.«
Ich stieß sofort nach: »Er war aber in einer Ihrer Kameras versteckt, und zwar in der Speed Graphic mit dem Weitwinkelobjektiv.«
»Aber das ist... nein. Sie sind ja verrückt, Lam!«
»Das ist ein strittiger Punkt«, gab ich zu. »Meine Partnerin Bertha Cool würde Ihnen da beistimmen — zeitweise zumindest. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß ich den Buddha aus Ihrer Kamera herausgeholt habe.«
»Das... das glaube ich einfach nicht!«
»Oh, das macht nichts. Frank Sellers wird mir schon glauben.«
»Frank Sellers? Wer ist denn das?«
»Das ist ein ziemlich zielbewußter Herr; er ist bei der Mordkommission und wird Sie sich demnächst vorknöpfen.«
»Weiß er’s schon?«
»Was soll er wissen?«
»Daß Sie den Buddha in meiner... daß Sie behaupten, den Buddha in meiner Kamera gefunden zu haben?«
»Nein, bis jetzt weiß er das noch nicht.«
»Und... werden Sie es ihm sagen?«
»Klar. Das muß ich doch.«
Palmer begann, unruhig auf dem Sessel hin und her zu rutschen. »Wissen Sie«, nahm er schließlich einen Anlauf, »eigentlich sind Sie doch ein ganz netter Kerl, Lam ...«
»Schönen Dank für die Blumen!«
»Ja, wirklich, ganz ehrlich. Und wenn ich mir’s so überlege — ich sehe nicht ein, weshalb wir beide nicht miteinander auskommen sollten ...«
»Richtig, da bin ich völlig Ihrer Ansicht.«
»Sagen Sie mal... wie ist dieser verdammte Buddha in meine Speed Graphic gekommen — was meinen Sie?«
»Da fragen Sie mich zuviel.« Ich zuckte die Schultern. »Geht mich ja auch nichts an. Das ist Sellers’ Sache, der wird schon dahinterkommen. Dafür wird er ja schließlich von unseren Steuergeldern bezahlt.«
»Er... wird dahinterkommen, meinen Sie?«
»Darauf können Sie getrost Gift nehmen, Palmer.«
Er versuchte jetzt nicht mehr, seine Nervosität zu verbergen. Er rückte mit dem Sessel näher zu mir heran und warf einen mißtrauischen Blick durch die halboffene Tür in den Nebenraum, wo Elsie Brand irgendwelche alten Briefe sortierte und so tat, als höre sie nicht zu.
»Ich kann mir denken, Was passiert ist«, flüsterte er endlich. »Wob len Sie’s wissen?«
»Schießen Sie los.«
»Nee, nee — so nicht! Eine Hand wäscht die andere. Ich sag’ Ihnen, was ich vermute, und Sie halten mich raus aus der Geschichte — okay?«
»Das kann ich nicht versprechen«, erklärte ich. »Ich arbeite für einen Auftraggeber; das heißt, ich arbeite ausschließlich für ihn und für sonst niemand.«
»Aber Sie könnten doch... ich meine... müssen Sie nicht Ihre Informationsquellen geheimhalten?«
»Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus, Palmer.« Ich räkelte mich tiefer in den Sessel und fuhr gähnend fort: »Ich brauche nämlich keine Informationsquellen mehr. Ich kann alles erfahren, was ich will... Was hat übrigens die Hadley gesagt, als sie zu Ihnen ins Geschäft kam und der Buddha war weg?«
»Sylvia Hadley!« rief er überrascht.
Ich nickte nur.
»Aber Sylvia... Sylvia kann es doch nicht gewesen sein!«
»Sie ist doch sicherlich gestern nachmittag bei Ihnen vorbeigekommen, oder?«
»Ja, das schon... Sie hat mal ‘reingesehen, ganz kurz. Sie war auf dem Weg zu Mrs. Crockett, zum Modellstehen.«
»Sehen Sie ...«
»Trotzdem... das kann nicht stimmen. Sylvia ist in Ordnung.«
»Hat sie nicht vielleicht versucht, Sie in die Dunkelkammer zu schicken? Damit sie allein im Vorderzimmer blieb, wo die Kameras stehen?«
»Aber sie war ohnehin allein im Vorderraum... das heißt, zuerst war sie hinten bei mir in der Dunkelkammer — ich hatte gerade etwas zu tun, als sie kam. Dann haben sie aber die Dämpfe gestört — die Fixiersalzlösung verdunstet ziemlich stark, wissen Sie, und sie hat so empfindliche Augen... Da ist sie dann ‘rausgegangen und hat draußen auf mich gewartet.«
»Ja, und bei dieser Gelegenheit hat sie dann in der Kamera nachgesehen, aber das Ding war weg. Als Sie dann auch nach vorn kamen, war sie da nicht irgendwie... na, verändert?«
Er antwortete nicht. Aber er machte ein Gesicht, als ob er gerade einen Schwinger in die Magengrube verpaßt bekommen hätte.
»Ja, also dann...«, sagte ich abschließend. Ich stand auf und streckte mich. »Sie müssen mich jetzt entschuldigen, Palmer, ich habe zu arbeiten.«
Damit ließ ich ihn sitzen und ging zu Elsie Brand hinüber. Ich nahm einen Teil der alten Briefe, stöberte darin herum und schielte zu ihm hinaus. Er stand langsam auf und ging durch die offene Tür in das Vorzimmer. Er bewegte sich, als sei er in Trance, und schob sich wortlos an Eva Ennis vorbei. Die blickte ihm erstaunt nach.
Ich legte die alte Korrespondenz beiseite und ging in das Vorzimmer hinüber. Eva Ennis holte gerade einen Hefter aus dem Aktenschrank. Als sie mich sah, sagte sie: »Ach, Mr. Lam... zu Ihnen wollte ich gerade. Sie haben doch nach einem Vorgang gefragt, wegen diesem Smith, wissen Sie...«
»Ach ja, richtig; danke schön.« Ich nahm die dünne Mappe an mich.
Sie sah mich durch ihre langen Wimpern hindurch an: »Was haben Sie denn mit ihm angestellt?«
»Angestellt? Mit wem?«
Sie machte mit dem Kopf eine Bewegung nach der Tür hin. »Na, mit Lionel Palmer.«
Ich tat erstaunt: »Wieso - nichts hab’ ich mit ihm angestellt. Wie kommen Sie darauf?«
»Er sieht auf einmal so... so niedergeschlagen aus.«
»Ach nein! Das ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Dabei wollte er... er hat doch schon auf Sie gewartet, nicht wahr; und er hat den Mund ziemlich voll genommen, ehe Sie kamen.«
»Was Sie nicht sagen ...« Ich begann, in der Akte Smith zu blättern.
Sie zögerte; dann fuhr sie fort: »Ja, das hat er. >Mit dem wische ich den Fußboden auf!< hat er gesagt.«
»Tatsächlich?« Ich klappte >Mr. Smith< wieder zu und sah sie an: »Sagen Sie mal — wie lange arbeiten Sie eigentlich schon für uns?«
»Rund zwei Monate«, antwortete sie verwundert.
»So, zwei Monate. Na, Sie lernen das schon noch. Merken Sie sich: Und wenn einer zehnmal den Boden mit mir aufgewischt hat — deswegen hat er noch lange nicht das Recht, hinter dem Büropersonal her zu sein... Was hat er überhaupt gewollt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie wissen ganz genau, was ich meine. Was hat er gewollt?«
Jetzt war sie befangen. »Na ja, er wollte... Ach, was wird er schon gewollt haben! Er wollte eben, Punkt. Ist das deutlich genug?«
»Bei weitem nicht«, belehrte ich sie. »Sie mißverstehen mich. Ich spreche nicht von Ihrer Person, ich spreche von Ihrem Aktenschrank.«
»Wieso?« fragte sie verblüfft. »Der interessiert sich doch nicht für die Akten ...«
»Ich hatte aber doch den Eindruck, nach der ganzen Art und Weise zu schließen, wie er da bei Ihnen so vor dem Schrank stand.«
»Aber nein, Mr. Lam ...« Sie fing an zu kichern: »Er hat doch nur... er wollte ein bißchen poussieren, verstehen Sie?«
»So, glauben Sie«, meinte ich skeptisch. »Was hat er denn gesagt?«
»Na, er ist natürlich nicht gleich mit der Tür ins Haus gefallen. Er hat gefragt, wie unsere Ablage eingerichtet ist und wie lange ich schon in der Firma bin und wie man so etwas anlegt, damit sich eine neue Kraft gleich auskennt... Lauter solche Sachen wollte er wissen.«
»Hat er Sie gebeten, ihm das mal zu zeigen? Hat er einen Schubkasten herausgezogen?«
»Ja, er wollte es gezeigt haben. Aber ich glaube, es kam ihm mehr darauf an, mich in der Ecke zu haben...«
»Ich will Ihr Selbstvertrauen nicht zerstören, aber .. Wie war das: Hat er ein Fach herausgezogen?«
»Ja.«
»Ich vermute, es war das Fach mit dem Buchstaben C — stimmt das?«
Sie zog die Stirn in Falten und überlegte. »Ja«, gab sie dann zu, »ich glaube... Ich bin nicht ganz sicher, aber ich meine, es war tatsächlich die C-Ablage.«
»Hm... ist da schon irgend etwas dabei, was Dean Crockett betrifft?«
»Ja, die Notizen von Mrs. Cool; sie hatte verschiedenes aufgeschrieben wegen des Überwachungsauftrags.«
»Sonst nichts?«
»Nein, mehr nicht.«
»Na schön. Wenn sich Palmer hier wieder mal blicken läßt, dann sorgen Sie dafür, daß er vom Aktenschrank wegbleibt. Ist das klar?«
»Ja, natürlich... Aber der kommt nicht wieder!«
»Möglich«, meinte ich. »Aber man kann nie wissen.«
Damit wollte ich in mein Büro zurück. Aber sie hielt mich zurück: »Mr. Lam...« Ich wandte mich um. »Ja?«
Sie hatte die Wimpernvorhänge wieder halb heruntergelassen und sah mich an. »Sie sind wundervoll, Mr. Lam.«
Hoppla! dachte ich. Was hat sie vor? Und wie reagiert der Mann von Welt auf derartige Geständnisse?
»Aha«, sagte ich schließlich.
»Ja. Wundervoll.«
»Wie äußert sich das bitte?«
»Sie sind so... so völlig furchtlos.«
»Liebes Kind«, widersprach ich, »ich bin durchaus nicht furchtlos. Furchtlosigkeit ist meistens nur ein Zeichen dafür, daß jemand keine Phantasie hat. Nein, ich habe mich nur mit der Tatsache abgefunden, daß ich mich fürchte.«
In diesem Augenblick ging die Tür zu meinem Zimmer auf, und Elsie Brand kam heraus. Sie sah sich suchend um. Dann entdeckte sie uns. Eva Ennis war während unseres Gesprächs sehr dicht an mich herangekommen. Sie sah mich noch immer bewundernd an. Ich gebe zu, daß die Situation bei einiger Phantasie (siehe unter Furchtlosigkeit) mißverstanden werden konnte. Elsie näherte sich also mit einem diskreten Räuspern und teilte mir mit: »Es tut mir sehr leid, daß ich störe... Aber da ist eine junge Dame am Telefon; sie sagt, sie muß Sie unbedingt sprechen, Donald.«
»Wer ist es denn?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Ist gut; ich komme.«
Ich warf Eva Ennis ein vielsagendes Lächeln zu und überließ es ihr, es auszulegen. Es konnte alles mögliche bedeuten. Das hoffte ich wenigstens. Dann folgte ich Elsie in mein Zimmer.
»Der werde ich gelegentlich mal ein Exemplar des Jagdrechts mitbringen«, kündigte ich an, während ich die Tür Hinter mir schloß.
»Der Dame am Telefon?« erkundigte sich Elsie kühl.
»Nein, der Ennis. Mir scheint, die hat noch einiges zu lernen - über die Beachtung der Reviergrenzen zum Beispiel.«
Ich grinste und nahm den Hörer. »Ja? Hier spricht Lam...«
Eine verängstigte Mädchenstimme meldete sich: »Donald, ich muß Sie sofort sehen... es eilt.«
»Wer spricht denn überhaupt?«
»Sylvia Hadley. «
»Ach, Sie sind’s... Was ist denn passiert?«
»Es wird erst passieren, und zwar allerhand... Hoffentlich können Sie hier sein, ehe es losgeht.«
»Was verstehen Sie unter >hier<?«
»Meine Wohnung; Cresta Vista, Apartment 319.«
Ich tat, als überlegte ich: »Ich weiß nicht recht... Ich habe einen Fall zu bearbeiten, wissen Sie... Es käme darauf an, um was es sich eigentlich handelt... Praktisch hat unser Klient meine Zeit gekauft.«
»Bitte, Donald... Sie müssen kommen... bitte!« flüsterte die Stimme im Hörer. »Es ist furchtbar wichtig für mich und auch für Sie... und für Phyllis Crockett.«
Ich zögerte noch. Ich wollte unbedingt vermeiden, daß der Eindruck entstand, ich risse mich darum, sie in ihrer Wohnung aufzusuchen. »Also gut«, entschied ich mich schließlich, »ich komme.«
»Aber gleich, Donald, ja? So rasch wie möglich.«
»Sobald ich hier loskomme«, versprach ich und legte auf. Dann teilte ich Elsie mit, daß ich etwas in der Stadt zu erledigen hätte. »Wenn jemand fragen sollte — in einer Stunde bin ich zurück.«
»Seien Sie vorsichtig«, warnte Elsie.
»Vorsichtig? Warum denn?«
»Ich weiß nicht recht... die Stimme der Dame hat so merkwürdig geklungen...«