VI

Krawutisch kann man im Notfall schon mit wütend übersetzen. Nur: Es bringt nix! Geht am Kern der Sache völlig vorbei. Wenn du wütend bist, haust du vielleicht ein bisserl was zusammen oder du haust einem eine herunter – je nach Temperament halt. Wenn du aber krawutisch bist, haut es dir sämtliche Sicherungen heraus. Das ist ein so ein himmel­weiter Unterschied wie zwischen einer Taschenlampen­batterie und einer Zehntausend-Volt-Starkstrom­leitung.

So krawutisch wie jetzt hat die Renate die Gucki noch nie erlebt. Die ganzen zehn Jahre nicht! Türen werden aufgerissen und zugeknallt. Gläser fliegen gegen die Wände und zerbröseln klirrend, das arme Fax kriegt so einen Fußtritt, dass es mit einem jämmerlichen Piepser sein Leben aushaucht, die ganze Redaktion der Mühlviertler Nachrichten ist mit Papierln übersät, wie wenn es geschneit hätte.

Sogar der Turrini, der wirklich ein tapferer kleiner Hund ist, wird immer kleinlauter, je länger der Gucki ihr Anfall dauert. Und flüchtet schließlich mit eingezogenem Schwanz unter der Renate ihren Schreibtisch. Was ist denn los mit seinem Frauli?

Was ist denn wirklich los mit der Gucki? Dreht sie komplett durch? Ist ihr am End alles zu viel geworden? Wär ja eh kein Wunder: kein Mann, keine Kinder, kein gar nix! Dafür aber seit zehn Jahren chronischer Alkoholmissbrauch!

Schmarrn! Die Gucki hat sehr wohl einen Grund zum Durchdrehen. Genauer gesagt: sogar mehrere Gründe. Zuerst einmal hat sie sich heute in der Früh verschlafen. Weil gestern Sonntag. Ist gleich: Frühschoppen. Und da ist sie hängen geblieben. Reines Pech! Da ist sie extra mit dem Turrini zu Fuß gegangen. Nach St. Anton. Sechs Kilometer. Dass sie was tut für ihre Bikinifigur. Und dann sitzen beim Frühschoppen der Fuzzi, der Johnny und der Maxi und überreden sie zum Tarockieren.

Und nach sechs Stunden Tarockieren überreden sie die Gucki zum Mitschauen. In Mandi’s Saustall. Zum Dämmerschoppen. Weil dort so eine kleine Blasmusikkapelle spielt. Die Blechtrotteln. Hat die Gucki nicht Nein sagen können. Weil der Turrini so gern Blechmusik hört. Wobei die Tuba sein absolutes Lieblingsinstrument ist. Weil er dem Leo schon oft beim Tuba-Üben zugehört hat. Da hat er dann immer mitgesungen.

Weil er aber das Repertoire der Blechtrotteln nicht gekannt hat, hat er die Schnauze gehalten und ist nach einem Seiterl Bier unter dem Tisch eingeschlafen. Und hat dann nur mit Müh und Not sein Frauli zum Heimgehen überreden können. Wo das Hundefutter schon sehnsüchtig auf ihn gewartet hat. Sind sie erst um fünf in der Früh heimgekommen. Weil ja das Frauli unbedingt noch fertigtarockieren hat müssen. Eh klar, dass sich die zwei dann verschlafen haben!

Aber das war ja noch lang nicht alles, das Verschlafen. Ist ja schon öfter vorgekommen. Wegen dem allein ist die Gucki nicht so krawutisch. Nur: Mit dem Verschlafen hat es angefangen. Und so ist es dann auch weitergegangen. Wie die Gucki parken wollte. Steht da auf ihrem Parkplatz doch glatt ein Motorrad. Offensichtlich ein Analphabet. So ein großes Schild, dass man es beim besten Willen nicht übersehen kann:

Reservierter Parkplatz

MÜHLVIERTLER NACHRICHTEN

Redaktionsleitung

Den Parkplatz hat die Gucki erst vor einem Jahr gekriegt. Sozusagen von der Helga geerbt. Wie sie die Frau Redaktionsleiterin hinausgeschmissen haben. Vorher hat sie immer erst langmächtig einen Parkplatz suchen müssen, wenn sie in die Arbeit gekommen ist.

Heute wird sie wieder suchen müssen. Weil das Motorrad so brettelbreit dasteht, dass sie sich weder rechts noch links davon hineinzwicken kann. Oder soll sie dieses Grafföwea einfach über den Haufen fahren? Ist ihr dann doch leid um ihren Karmann Ghia. Erstens ein Erbstück vom Opa. Und zweitens kostet bei so einem Oldtimer wie bei ihrem Karli eine neue Stoßstange wahrscheinlich mehr, als das ganze Motorradl wert ist.

Weiß ja genau, was das für eins ist, unsere Gucki. Weil sie eine schneidige Mopedfahrerin war und natürlich auch den A-Schein gemacht hat. Weil sie sich längst ein Motorrad zugelegt hätt, wenn da nicht der Turrini wär. Weil ein Hund auf einer Maschin beim besten Willen nicht mitfahren kann. Obwohl dem Turrini so ein kleiner Helm gut stehen tät. Auf jeden Fall schaut sie sich jedes Mal wieder nur Motorrad-Zeitschriften an, wenn sie im Wartezimmer von einem Arzt sitzt. Und sicher nicht Frauenzeitschriften. Nur beim Gynäkologen hat sie Pech. Da gibt es keine einzige Motorrad-Zeitschrift.

Trotzdem weiß sie jetzt ganz genau, was für ein Hurns-Motorrad da auf ihrem Parkplatz steht. Eine Royal Enfield Bullet 500. Schon eine interessante Maschin. Schaut aus wie ein Oldtimer, ist aber nigelnagelneu. Aber nicht auf alt gemacht. Retro nennt man das heutzutage. Sagen wir einmal: die Kawasaki W 650. Die schaut zwar äußerlich so aus wie eine Triumph Tiger aus den siebziger Jahren, ist aber technisch am neuesten Stand. Nein, die Enfield ist wirklich technisch komplett veraltet. Wird immer noch so gebaut wie vor sechzig Jahren. Nur halt nicht in England, sondern in Indien. Damit die armen Inder auch ein bisserl Gas geben können.

Normal tät der Gucki so ein Motorradl wie die Enfield sogar gefallen. Weil sie schon ein bisserl für das Altertümliche ist. Nur: Im Moment gefallt ihr diese schiache Kraxn überhaupt nicht. Weil sie eine halbe Ewigkeit braucht, bis sie endlich einen Parkplatz gefunden hat.

Kommt die Gucki also schon ziemlich geladen in die Redaktion der Mühlviertler Nachrichten. Aber statt dass sie endlich ein Aspirin C hinunterzischen und endlich in Ruhe ihre Mord-Geschichte schreiben kann, geht das Krawutische jetzt endgültig mit ihr durch.

Da sitzt doch glatt ein Burli an ihrem Schreibtisch und hackt an ihrem PC herum! Nach dem vollen Aschenbecher zu schließen, schon den ganzen Vormittag! Die Rauchschwaden in ihrem Büro schauen aus wie der Nebel in einem Horrorfilm, der im schottischen Hochmoor spielt. Und dann ist das Burli offensichtlich auch noch der Arsch, der ihren Parkplatz verstellt! Hat den Motorradhelm ganz offen auf ihren Schreibtisch hingeknallt.

Hat es der Gucki die Sprache verschlagen. Passiert ihr nicht so oft. Dafür ist das Burli ganz und gar nicht auf den Mund gefallen.

„Ziemlich sexy, dein Outfit!“, scheibt es heraus. „Du bist also die Wurm?“

„Für so eine Rotzpippen wie dich bin ich immer noch die Frau Magister Wurm!“, erklärt die Gucki und verleiht ihrer Erklärung ein bisserl Nachdruck, indem sie dem Burli mit der flachen Hand so eine klescht, dass wenigstens einmal ihr Bürosessel frei ist. Und als gleich darauf auch noch der Motorradhelm draußen im Vorzimmer liegt, müsste die Rotzpippen eigentlich kapiert haben, dass sie hier nicht erwünscht ist.

Aber in dem Moment tritt jetzt die Renate auf. Hat die Situation, vor allem aber die Stimmung mit einem Blick erfasst und schleppt die Gucki in ihr eigenes Büro hinüber.

„Komm, Gucki! Setz dich einmal in Ruhe her!“ Wie ein kleines Kind behandelt sie die Gucki. Aber nicht von oben herab, sondern wirklich liebevoll. Wenn nicht sogar mütterlich. Sonst hätt sich die Gucki das auch nicht gefallen lassen. Von niemandem sonst hätt sie sich das gefallen lassen. So aber trinkt sie sogar brav das Aspirin C, das ihr die Renate hingestellt hat.

Und hört der Renate sogar zu. Hört sogar bis zum Schluss zu. Obwohl es sie die ganze Zeit juckt, aufzuspringen und alles kurz und klein zu schlagen. Ist ja wirklich eine saublöde Geschichte, die sie sich da anhören kann!

Also: Die Rotzpippen ist ein Publizistik-Student und in den nächsten zwei Monaten Praktikant bei den Mühlviertler Nachrichten. Und sitzt leider rechtmäßig an der Gucki ihrem Schreibtisch, weil die Gucki ab übermorgen beurlaubt ist. Für acht Wochen. Praktisch Zwangsurlaub. Weil sie noch so viel alten Urlaub hat. Hat ja voriges Jahr nicht auf Urlaub gehen können. Weil sie die Hatzl hinausgeschmissen haben. Und heuer auch nicht.

Und dann kriegt die Gucki das Ganze auch noch schriftlich. Ein E-Mail vom Herausgeber der Mühlviertler Nachrichten. Wobei es ihr ein Satz besonders angetan hat:

Nachdem Herr Peter Glitzner ein äußerst vielversprechender junger Mann und außerdem das Patenkind meiner Gattin ist, erwarte ich von Ihnen nicht nur eine professionelle, sondern auch eine äußerst zuvorkommende Einschulung Ihres Praktikanten, sofern Sie nach Ihrem Urlaub weiterhin in unserem Unternehmen zu verbleiben gedenken.

Eine unverhohlene Drohung auch noch! Das schlägt doch dem Fass den Boden aus! Kein Wunder, dass die Gucki da krawutisch wird und komplett durchdreht. Aber das wissen wir eh schon, wie es da zugegangen ist. Praktisch Dritter Weltkrieg. Was wir aber noch nicht wissen, ist, wie sich der Sturm wieder gelegt hat.

Steht die Rotzpippen auf einmal vor der Gucki und sagt: „Sorry, Frau Magister! Ich red öfter ein bisserl einen Schas daher. Tut mir leid!“

„Das mit dem sexy Outfit war also nur ein Schas?“ So schnell geht die Gucki nicht herunter vom Gas. Da kann das Burli noch so zerknirscht dreinschauen!

Der arme Kerl weiß jetzt natürlich nicht, was er sagen soll. Sagt er „Ja“, ist sie beleidigt – sagt er „Nein, eh supersexy“, kriegt er womöglich gleich wieder eine Tetschen. Sagt er lieber gar nix.

Damit kommt er aber bei der Gucki nicht durch: „Ja – oder nein?“

„Ich bin der Pezi!“

Ist zwar nicht direkt eine Antwort auf ihre Frage. Trotzdem nimmt die Gucki seine schmale Hand und drückt sie so fest, dass er sie eigentlich auch gleich in einen Schraubstock stecken hätte können.

„Ich bin die Gucki!“

Und nach einer Viertelstunde Zusammenräumen und Staubsaugen und Aufwischen sitzen die zwei auch schon einträchtig am Schreibtisch und stoßen mit einem Flaschl Freistädter Bier auf eine gute Zusammenarbeit an.

Schließlich bleibt der Gucki nichts anderes über, als dass sie den Pezi in ihren Mordfall einweiht. Erstens steht es übermorgen sowieso in der Zeitung. Weil die Mühlviertler Nachrichten zwei ganze Seiten zum Thema Nordic Killing bringen. Und zweitens wird sie den Pezi brauchen. Wenn sie den Mörder mithilfe der Mühlviertler Nachrichten aus der Reserve locken will. Und das will sie! Was soll sie denn sonst tun im Urlaub? Sie kann ja nicht acht Wochen lang Schwammerl suchen gehen!

Ist der Pezi natürlich Feuer und Flamme. Da hat er sich ein sterbenslangweiliges Praktikum bei einer letztklassigen Provinzzeitung erwartet – und was ist? Es ist wie Ostern und Weihnachten miteinander! Erstens darf er die Mühlviertler Nachrichten die nächsten acht Wochen ganz allein machen. Zweitens sitzt er als Vertreter der Mühlviertler Nachrichten in der Jury für die Wahl der Miss Mühlviertel und kriegt jedes Wochenende in einer anderen Dorfdisco eine Eins-a-Fleischbeschau geboten. Drittens aber hat er den Mord des Jahres praktisch schon in der Tasche. Und das nach vier Semester Publizistik! Herz, was willst du mehr?

Ein paar Informationen braucht er allerdings schon noch, bevor er als neuer Stern am Journalistenhimmel erstrahlt. „Und lassen wir den Mörder, diesen Friseur – lassen wir den jetzt gleich auffliegen – oder lassen wir ihn noch ein bisserl zappeln?“, will er von seiner neuen Kollegin wissen.

Und schaut ihr dabei tief in die Augen. Weil er ihr nicht dauernd auf den Busen schauen will. Wird ihm aber genauso schwindlig. Weil der Gucki ihre Augen nicht einfach dunkelbraun sind. Mehr so wie glühende Kohlen. Ein Teufelsweib halt!

„Meingott, Burli!“, reißt ihn da die Gucki jäh aus seinen teuflischen Fantasien. „Hat der kleine Pezi wieder einmal nicht gescheit aufgepasst? Muss die Tante Gucki das Ganze noch einmal erklären?“

Eh klar, dass die Gucki zufleiß so mit dem armen Pezi redet. Wie mit einem Bub. Weil ihr natürlich nicht entgangen ist, dass er sie schon die längste Zeit mit den Augen frisst. Und dabei sogar rot wird.

Und außerdem ist sie ungerecht. Weil sie ihm die Geschichte mit dem Billy wirklich nicht ordentlich erklärt hat. Müssen wir also noch einmal zurück: Samstagabend, Leopoldschlag, Countryfest, Schnapsbar!

Der Joe hat seinen rechten Arm so besitzergreifend um dem Billy seine schmalen Hüften gelegt, dass sich die Gucki die Frage, ob die zwei leicht schwul sind, sparen kann. Fragt sie den Billy halt was anderes: „Habt’s ihr g’stritten, du und die Milena, weil sie eifersüchtig war?“

„Aber woher denn!“, antwortet der Billy. „Die Milli hat von Anfang an g’wusst, dass ich auf Männer abfahr. Auf richtige Männer!“, und wirft dabei dem Joe einen schmachtenden Blick zu.

Der ist übrigens wirklich ein richtiger Mann. Wenn man auf sowas steht: oben und unten Muskeln – und in der Mitte ein stattlicher Bierbauch. Und wenn er auch nur Kranführer ist, so schaut er fast so aus, wie wenn er die tonnenschweren Bleche in der VOEST im Notfall auch mit eigener Kraft derheben tät.

„Warum dann der Streit?“ Die Gucki lässt nicht locker. Da kann sie der Joe noch so finster anstarren. Ein Indianer kennt keinen Schmerz – und eine Indianerin kennt keine Angst!

„Nur wegen der Diana!“

„Wer ist jetzt wieder die Diana?“

„Die Tochter von der Milli. Mit die zwei bin ich immer auf Urlaub gefahren. Im Sommer. Haben wir praktisch auf Familie gemacht. Heuer wollten wir nach Lignano. Jetzt wollt ich aber den Joe auch mitnehmen. Da hat die Milli durchdreht. Weil dann die Diana erfahren hätt, dass ihre Mama gar keinen richtigen Freund hat, der sie einmal heiratet. Weil mich die Diana unbedingt als Papa haben wollt. Und weil ihr die Milli auf keinen Fall die Wahrheit sagen wollt. Dass unser ganzes Gspusi praktisch nur Tarnung war. Mich hat meine Mama in Ruh lassen mit ihrer ewigen Raunzerei, dass ich mir endlich eine Frau suchen soll. Und die Milli haben die ganzen Männer in Ruh lassen, die alle mit ihr ins Bett hupfen wollten. Haben wir beide was gehabt davon. Und verstanden haben wir uns auch super!“

„Warum hast du sie dann umgebracht?“ Gefühlsmäßig weiß die Gucki schon längst, dass der Billy nicht der Mörder ist. Stellen tut sie die Frage ja nur, dass sie den Joe ein bisserl provoziert. Der schaut schon eher wie ein Mörder aus. Und macht auch wirklich den Mund auf. Nur kommt halt leider kein Geständnis heraus, sondern das Gegenteil:

„Weißt du was, du schiache Rothaut? Die Milli ist am 1. Juni umbracht worden. Aber da sind der Billy und ich in Wien unten gewesen. Mit einer Busreise. Ist gleich: Zeugen noch und nöcher! Da haben wir uns nämlich Tanz der Vampire angeschaut. Und sind erst um zwei in der Früh heimkommen. Haben wir praktisch alle zwei ein Alibi. Also sauf deinen Whiskey aus und schleich dich!“

Aber so redet keiner mit der Gucki! Auch nicht, wenn er zwei Meter groß ist. Drum hat der Joe dann im nächsten Moment auch schon einen doppelten Whiskey in der Pappen. Aber eh ohne Eis.

Trotzdem macht der Joe gleich noch einen Fehler. Wie er die Gucki beim Krawattl packt und aushebt. So dreißig Zentimeter werden es schon sein. Das Indianerinnengewand aus Rauleder hält das locker aus. Nicht einmal die Nähte krachen. Nur der Joe hält es nicht aus. Wie sich die Gucki an seinen breiten Schultern festhält und ihm mit aller Kraft ihr rechtes Knie in die Eier rammt. Da lasst er sie dann gern wieder aus.

Wird der Pezi zur Abwechslung einmal blass. Wie ihm die Gucki die Szene schildert. Und rückt ein paar Zentimeter weg von ihr. Mit der Frau sollte er sich besser nicht anlegen! Auch wenn er nach dem dritten Bier schon überlegt hat, wie er das anstellen könnt, dass er der Gucki ihren Busen ein bisserl mit der Hand streift: quasi unabsichtlich.

Jetzt aber kein Hindenken mehr an ein Anstreifen! Ist ihm die Schneid vergangen, dem Pezi. Hätte er sich nie träumen lassen, dass er schon fünf Minuten später der Gucki ihre Hüften fest umklammern wird. Bleibt ihm aber nichts anderes über. Hätt ihn ja sonst von der Enfield hinuntergeprackt. Bei dem brutalen Start, den die Gucki jetzt hinlegt.

Hat die Gucki doch glatt seinen Zündschlüssel, seinen Helm, vor allem aber seine Enfield beschlagnahmt. Und ihm grad noch ein winziges Fuzerl Beifahrersitz gelassen.

„Da kannst du gleich einmal was lernen!“, hat sie gesagt. Hat sie das jetzt im journalistischen Sinn gemeint – oder im motorradfahrerischen? Vorläufig kriegt der Pezi einmal ein bisserl Nachhilfeunterricht im Fahren. Wobei er nicht recht weiß, wie er der Gucki ihren Fahrstil einordnen soll: wie eine gesengte Sau – oder doch schon eher Kamikaze?

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, wird man sich fragen. Da sind die Gucki und ihr Praktikant grad noch im Büro gesessen – und jetzt brettern sie auf einmal den Freistädter Stadtberg hinauf, dass die Fußraster in jeder Kurve die schönsten Funken schlagen, dabei aber ein ziemlich ein schiaches Geräusch machen.

Das war so: Wie die Gucki letzten Donnerstag im Altersheim in St. Hans gewesen ist und die alten Herrschaften ein bisserl ausgefratschelt hat, hat sie zum Schluss noch allen ihre Visitenkarte gegeben. Mit ihrer Telefonnummer. Und hat ihnen eingeschärft, dass sie sofort anrufen sollen, wenn ihnen noch was einfallt. Und hat natürlich auch eine Flasche Eierlikör als Belohnung in Aussicht gestellt.

Und wirklich! Grad wie die Gucki dem Pezi erklärt, dass er jetzt sämtliche Vereinsnachrichten redigieren darf, während sie den Leitartikel schreibt, beginnt der Gucki ihre Lederjacke erbärmlich zu kreischen. Natürlich nicht die Jacke, sondern das Handy, das da drinnen ist. Kreischen ist aber kein bisserl übertrieben. Weil sich die Gucki als Klingelton ein Stromgitarrensolo von einem gewissen Alvin Lee ausgesucht hat. Eine Live-Aufnahme von dem berüchtigten Konzert in Woodstock – wenn das wer kennt.

„Bist es du, Gucki? Ich bin’s, der Steidl Gerhard! Kennst mich noch?“

„Eh klar: der Steidi, der alte Geilspecht!“

Die Gucki kennt den Steidi wirklich. Vom letzten Dämmerschoppen vom Musikverein St. Moritz. Da hat er aushilfsweise Tuba gespielt. Weil der Höllerer Leo grad auf Urlaub war. Passiert eh nur alle heiligen Zeiten. Weil der Leo grundsätzlich nur auf Kriegsschauplätze fährt, wo die deutsche Wehrmacht eine gute Figur gemacht hat. So viele Urlaubsziele bleiben ihm da wirklich nicht. Beim Dämmerschoppen war er halt grad in Monte Cassino. Drum hat der Steidi dann die Gucki unsittlich belästigen können. Trotz seiner zweiundachtzig Jahre. Und letzte Woche hat er sie in St. Hans wieder ein bisserl belästigt. Der alte Saubartl, der!

Und jetzt belästigt er sie telefonisch. „Einen Eierlikör hab ich mir auf jeden Fall verdient. Wenn nicht sogar ein Busserl!“, schreit der Steidi in sein Handy. Wie wenn die Gucki genau so terrisch wär wie seine Mitbewohner im Altersheim.

„Und mit was? Ist dir jetzt nach langer reiflicher Überlegung doch noch der Mörder eingefallen?“ Ziemlich schnippisch, die Gucki – wenn du mich fragst. Dabei muss man gerade mit älteren Herrschaften ziemlich eine Geduld haben, wenn man von ihnen was erfahren will. Das sollte sie eigentlich wissen, die Gucki!

Aber der Steidi ist so stolz auf seine Neuigkeit, dass er der Gucki ihre Bosheit komplett überhört. „Mörder hab ich keinen, aber eine neue Leich kann ich anbieten!“

„Hn?“ Hat es der Gucki zuerst die Sprache verschlagen. Reagiert dann aber reflexartig. Wie aus der Pistole geschossen: „Wer, wann, wo?“

„Die Leni. Die brünette Pflegerin mit dem geilen Arsch. Kann nicht lang her sein. Weil sie noch warm ist. Hinten im Garten, unter der Buche.“

Das nenn ich eine präzise Auskunft! Der hätt jederzeit als Praktikant bei den Mühlviertler Nachrichten anfangen können, der Steidi.

„Woher weißt du, dass sie nimmer lebt?“ Die Gucki traut ihrem Glück nicht so ganz.

„Kein Puls. Immerhin war ich fünfundzwanzig Jahre lang Rettungsfahrer beim Roten Kreuz! Und so einen Skistecken hat sie auch in der Brust drinnen.“

„Ist die Polizei schon da?“

„Spinnst? Von mir erfahrt keiner was! Und außer mir ist um die Zeit kein Schwein im Garten. Machen ja alle ihr Mittagsschlaferl, die braven Senioren. Wie wenn sie nicht am Friedhof lang genug schlafen könnten!“

„Danke, Steidi! Hast was gut bei mir! In einer Viertelstunde bin ich da.“

„Du, Gucki?“

„Ja?“

„Könntest mir nicht statt dem Eierlikör ein Packerl Viagra mitbringen?“

„Saubartl! Bis gleich!“