XVII
Gfeazt kannst du eigentlich nur im Dialekt sein. Weil du nur im Dialekt die ganze Doppelblödigkeit der Sprache voll ausnutzen kannst. Dass keiner dann sagen kann: „Das ist eine Frechheit!“ Oder: „Das ist eine Bosheit!“ Weil man die Frechheit und die Bosheit nicht beweisen kann.
Eh klar, dass du gfeazt nicht übersetzen kannst. Außer mit hinterfotzig. Nur ist das halt auch wieder ein Dialektwort. Das sagen aber mehr die Innviertler oder die Bayern. Während das Hochdeutsche komplett versagt. Sprachlich-hinterlistig tät zwar hinkommen, ist aber viel zu umständlich. Stimmen tut es schon, das mit der Hinterlist. Weil das Feazn oft so harmlos daherkommt, dass es der Gfeazte nicht einmal überreißt.
Jetzt natürlich die Frage: Wie komm ich überhaupt auf gfeazt? Ganz einfach, weil die Gucki schon die ganze Zeit „Ein so ein gfeazta Hund!“ vor sich hinmurmelt. Während sie das Nachtkastl durchsucht. Und dann den Kasten.
Fallt eigentlich gar nicht auf, der Gucki ihr Murmeln. Weil alle sechs Frauen in dem Raum ein bisserl murmeln. Ihre Bettnachbarin, die Ilse heißt und schon seit drei Wochen in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg weilt, während die Gucki erst seit gestern Abend da ist – ihre Nachbarin also murmelt grad: „Heilige Hildegard von Bingen, bewahre uns vor der Klimakatastrophe und vor Blähungen!“
Und was die anderen so murmeln, bewegt sich auch in derselben Preisklasse. Eh klar! Weil Landesnervenklinik ja nur eine Umschreibung ist. Für Narrenhaus. Kein Wunder, dass die Gucki da ihr Handy nirgends finden kann. Genauso wenig wie ihr Feuerzeug, ihr Taschenmesser, ihren Gürtel und ihre Schuhbandl. Ein bisserl was nehmen sie dir nämlich schon weg, wenn sie dich in A 7 unterbringen. Ist gleich: geschlossene Abteilung.
Jetzt aber interessant: Ihre Zigaretten haben sie der Gucki gelassen. Ein fast volles Packerl Gauloises filterlos. Machen die das zufleiß – praktisch auch ein bisserl gfeazt? Nein, ich tät sagen: Selbstüberschätzung.
Weil bis der Rauchmelder am Klo angeschlagen hat und bis die Krankenschwester dann endlich kommt, haben die Gucki und die Ilse ihre Zigaretten schon in aller Ruhe ausgeraucht. Und dass sie der Ilse ihr Feuerzeug abnehmen, macht auch nix. Fladert sie halt bei der nächsten Visite wieder ein neues. Hoffentlich hat er schon wieder eines, der fesche Herr Oberarzt!
Jetzt muss ich aber vielleicht doch einmal erklären, wen die Gucki mit gfeazta Hund gemeint hat. Weil dann ist auch klar, was sie im Wagner-Jauregg macht. Also: Mit dem gfeaztn Hund ist kein anderer als der Herr Bezirksinspektor Raffl gemeint. Vor zwei Jahren hat ihn die Gucki ins Narrenhaus gebracht – jetzt er sie. Rache ist süß!
Und dann noch: wie er es angegangen ist! Gfeazt! Mit der Sprache nämlich. Obwohl ich die Geschichte am liebsten gar nicht erzählen tät. Weil sie nicht mit meiner Theorie zusammenpasst: dass man nur im Dialekt gfeazt sein kann. Weil der Raffl auf Hochdeutsch gfeazt war. Wie der Notarzt gesagt hat: „Die hat’s am Kopf erwischt!“, hat der Raffl nämlich gesagt: „Nein, die hat’s im Kopf erwischt!“ Ist die Gucki also nicht ins Landeskrankenhaus Freistadt eingeliefert worden, sondern in die Landesnervenklinik Wagner-Jauregg.
Hat sich dann aber letzten Endes nicht wirklich freuen können, der Raffl. Über seine sprachliche Meisterleistung. Weil er sich doch mehr für Führerscheine interessiert als wie für die Sprache. Und der Gucki ihren Führerschein hat er nicht gekriegt. Weil die Magister Wurm bei der Blutabnahme im Spital nur 0,4 Promille gehabt hat. Leider!
Das hätt ich ihm gleich sagen können! Dass die Gucki an dem Tag ausnahmsweise einmal nix getrunken hat. Besser gesagt wenig. Aber für der Gucki ihre Verhältnisse kann man wirklich sagen: nix. Nur zwei Stamperl Weichsellikör. Mit der Erni. Wie sie ihr eingeredet hat, dass sie die Diana als Universalerbin einsetzen soll.
Trotzdem fühlt sich die Gucki momentan nicht so besonders. Irgendwie nicht klar im Kopf. Hat sie leicht gar Entzugserscheinungen? Wär ja kein Wunder: bei dem, was sie in letzter Zeit so zusammengesoffen hat. Besser gesagt: bei dem, was sie in den letzten zehn Jahren zusammengesoffen hat. Seit sie im Mühlviertel ist.
Nein, da tut man ihr unrecht! Ist nur die Gehirnerschütterung. Wie sie mit dem Schädel gegen die Windschutzscheibe geknallt ist. Wie der Sicherheitsgurt gerissen ist. Den noch der Opa eingebaut hat. In den siebziger Jahren. Praktisch voriges Jahrhundert! Von dem wird auch das Cut über dem linken Aug kommen. Ist aber eh schon fachmännisch genäht.
Sonst fehlt der Gucki nicht viel. Ein paar Rippen geprellt – das muss das Lenkrad gewesen sein – und beide Hände mit Heftpflaster verpickt. Wird sie sich halt ein bisserl geschnitten haben, wie sie durch die Windschutzscheibe aus dem Auto gekraxelt ist. Aber sonst ist die Gucki praktisch wie neu!
Sieht sie natürlich nicht ein, warum sie wegen solcherne Kleinigkeiten im Spital liegen soll. Noch dazu in der Geschlossenen. Verlangt sofort einen Arzt. Gerät aber an den falschen. An den Dr. Hochleitner nämlich. Da schaffst du es eher, aus einem Hochsicherheitsgefängnis auszubrechen, als dass dich der Herr Oberarzt vorzeitig aus dem Narrenhaus auslasst. Weil er grundsätzlich davon ausgeht, dass sowieso neunzig Prozent der Bevölkerung in psychiatrische Behandlung gehören.
Sekkiert er also die Gucki mit seinen Fragen bis aufs Blut. Nur ein Beispiel – damit klar ist, wie der Dr. Hochleitner tickt. „Wenn wir von einem inzestuösen Nahverhältnis zu Ihrem Großvater ausgehen: Wann haben Sie angefangen, diese Beziehung auf das Auto zu übertragen, das Sie von ihm gekriegt haben? Wann haben Sie eine quasi libidinöse Beziehung zu Ihrem Auto entwickelt?“, fragt er die Gucki ganz ernsthaft.
„Sie meinen: Zuerst hab ich mit dem Opa geschnackselt – und dann mit dem VW?“, fragt die Gucki zurück.
„Immerhin haben Sie diesen VW mehrfach Karli genannt!“
„Aber wie hab ich mit dem Karli geschnackselt? Denken Sie da an den Ganghebel?“
Den Rest von dieser schwachsinnigen Unterhaltung spar ich mir lieber! Sonst haut es mir womöglich noch selber den Vogel heraus. Auf jeden Fall hat der Herr Oberarzt dann ein Gutachten verfasst, in dem die Patientin als hochgradig suizidgefährdet eingestuft wird. Wegen Verlust des geliebten Partners. In diesem Fall halt ein Auto. Ist gleich: kein Hindenken an eine Verlegung auf eine offene Station geschweige denn an eine Entlassung.
War der Gucki aber wurscht. Erstens hat sie eh ein ziemliches Schädelweh gehabt. Und schlecht war ihr auch. Zweitens aber hat sie dem Dr. Hochleitner nicht nur sein neues Feuerzeug gefladert, sondern auch sein Handy. Braucht sie nur den Franz anrufen. Der setzt seinen Anwalt in Bewegung – und im Nu ist sie draußen. Da kann sich der Herr Oberarzt auf den Kopf stellen!
Gut, dass sie die Nummer vom Franz auswendig kann! Ist ja heutzutage nimmer selbstverständlich, dass man sich Telefonnummern merkt. Weil ja eh alle Nummern im Handy gespeichert sind. Für die Gucki ist es das Normalste auf der Welt, dass sie sich eine jede Telefonnummer merkt. Hat ja als Kind sämtliche Nummern von sämtlichen Verwandten und von sämtlichen Kriegskameraden vom Opa auswendig lernen müssen. Als Gedächtnistraining für das Tarockieren. Da musst du dir schließlich bei jedem Spiel eine jede Karte dermerken. Und das ist um einiges schwieriger als ein paar Telefonnummern!
Wird aber dann gar nicht so leicht, dass der Anwalt die Gucki aus dem Narrenhaus herausholt. Weil sich an diesem Mittwoch sämtlich Tageszeitungen auf die Story vom Autorennen zwischen dem Horsti und der Gucki gestürzt haben. Und weil der Horsti halt einmal ziemlich tot ist, wird die Gucki als die Böse hingestellt.
Wobei man dazusagen muss, dass das Ganze nicht auf dem Raffl seinem Mist gewachsen ist. Der hat nur festgehalten, dass ein Autorennen stattgefunden hat. Nicht mehr und nicht weniger! Den Rest haben sich dann die Damen und Herren Journalisten ganz einfach aus den Fingern gezuzelt.
Nehmen wir nur einmal die Kronen Zeitung her. Gleich auf Seite eins ein Foto von der Gucki. Und darüber die Schlagzeile:
EISKALTER
KILLERENGEL
Und dann noch ein Bericht, der beweist, dass Journalisten wirklich eine Fantasie haben:
War es nur der Nervenkitzel oder war es reiner Männerhass, der die ledige Gudrun W. (38) dazu bewogen hat, einen jungen Burschen zu einem illegalen Wettrennen herauszufordern, bei dem er mit seinem VW Golf gegen ihren Sportwagen ohnehin keine Chance hatte? Auf jeden Fall musste der allseits beliebte Horst H. (28) dieses Abenteuer mit dem Tod bezahlen. Mit einem unvorstellbaren grauenhaften Tod. Dem Tod durch Verbrennen.
Ich möcht nur wissen, wo die Kronen Zeitung das Titelfoto hergehabt hat? Stammt offensichtlich vom Rasenmähertraktor-Rennen in St. Moritz. Zeigt die Gucki mit einem Sturzhelm unterm Arm: wie wenn sie praktisch jeden Tag rennfahren tät! Und außerdem ziemlich sexy. Weil halt die Arbeitskluft vom Kevin schon ziemlich spannt über der Gucki ihrem Busen. Aber das wissen wir eh schon! Da waren wir ja dabei.
In den anderen Zeitungen kommt die Gucki auch nicht viel besser davon. Die Schuldige ist immer sie. Dabei wird die Kronen Zeitung sogar noch übertroffen. Von Österreich. Wer diese Zeitung nicht kennt: Das ist die absolut billigste Zeitung des gleichnamigen Landes. Und damit mein ich jetzt nicht nur den Verkaufspreis. Besteht eigentlich nur aus bunten Bilderln. Ganz wenig Text. Praktisch auch für Analphabeten geeignet. An diesem 7. Juli bringt Österreich auf der Titelseite ein Foto von der Gucki. In ihrer schwarzen Lederkluft. Nur dass das Foto so bearbeitet ist, dass es wie Lackleder ausschaut. Praktisch die Gucki als Strenge Herrin. Mit der passenden Schlagzeile:
Sex-Spiele
mit 200 PS
Liegt eigentlich der Verdacht nahe, dass auch der Dr. Hochleitner Österreich liest. Weil der Herr Oberarzt für Psychiatrie zu derselben Einschätzung kommt: dass Autorennen für die Gucki eine Ersatzbefriedigung für ihr nicht vorhandenes Sexualleben sind.
Ha! So ein Schmarrn! Da müsst ja im Mühlviertel die halberte Bevölkerung ununterbrochen Autorennen fahren. Weil ja die wenigsten Leute ein gescheites Sexualleben haben. Na, ja – ein bisserl was wird da schon dran sein. Weil ja wirklich die meisten zu schnell fahren.
Jetzt kann man über den Dr. Hochleitner sagen, was man will, aber seine Verantwortung als Arzt nimmt er ernst. Wie nämlich der Rammer im Wagner-Jauregg auftaucht und die Gucki verhören will, lasst er ihn einfach nicht hinein. Patientin nicht vernehmungsfähig – und damit basta!
Trotzdem schafft es der Herr Oberstleutnant, dass er in die Geschlossene hineinkommt. Aber halt als Patient. Indem er zuerst aufdreht und dann durchdreht und dem Herrn Oberarzt einen ordentlichen Stesser gibt. So schnell kann er gar nicht schauen – haben ihn auch schon zwei baumlange Krankenpfleger geschnappt. Und der Dr. Hochleitner verpasst ihm eine Spritze, die ein Pferd umgehaut hätt. Ist vielleicht eh gescheiter, er rastet sich ein bisserl aus, der Rammer. Weil seine Gehirnerschütterung sowieso noch nicht ganz abgeklungen ist.
Dafür hat der Herr Oberarzt mit der Gucki nicht so viel Glück. Die muss er entlassen – ob er will oder nicht. Weil der zuständige Richter wieder einmal ein Studienkollege und guter Spezl vom Dr. Canetti ist.
Da blutet ihm wirklich das Herz, dem Herrn Dr. Hochleitner. So ein interessanter Fall: ein Großvater-Trauma und eine Geschwindigkeits-Psychose auf einmal! Und eine Kleptomanin ist sie ja auch noch! Gibt sie ihm bei der Entlassung doch glatt sein Handy zurück! Und sagt auch noch: „Danke, Herr Doktor!“