15.

Du kannst dich an meinen Arbeitsplatz setzen, auf meinen Stuhl, und ich werde Behälter mit Perlen, Amuletten und Glücksbringern, Draht, Glas und Edelsteinen vor dich hinstellen, aus denen du wählen kannst. Du wirst mit einem Spiegelprisma beginnen müssen«, erklärte Judith. »Das hier ist ein Fünfkantsystem, ein Standardmuster. Das hier ist eines, das ich gern benutze, ein Sechskant. Dieses hier ist ein Siebenkant. Ein Siebenkantprisma erschafft ein komplexeres Mandala. Ein Mandala ist das Bild, das entsteht, wenn du durch das Spiegelprisma in die Kammer schaust.«

Ihr Studio wirkte beruhigend auf sie, ein vertrauter Ort, an dem sie Stunden des Glücks verbrachte, wenn sie Kaleidoskope anfertigte und wusste, dass Menschen in anderen Ländern, Menschen, die sie nicht kannte, Blicke in die Welt werfen würden, die sie erschuf, und aus ihrer Arbeit Trost oder Freude schöpfen würden.

Judith behielt Stefan im Auge, als sie Behälter mit Amuletten und Glasperlen herauszog, sie beliebig aufstellte und die leuchtend bunten Edelsteine und Drähte, aus denen er wählen konnte, dazustellte. Stefan sah sich jedes der Spiegelprismen sorgfältig an, musterte sie unter jedem Blickwinkel und studierte sie so eingehend, als prägte er sich jedes ins Gedächtnis ein – und vielleicht tat er das ja auch.

Stefan war ein hochintelligenter Mann, daran bestand für sie kein Zweifel, und er hatte sein ganzes Leben damit verbracht, Menschen zu durchschauen und ihnen das zu geben, was sie wollten, um seine eigenen Ziele zu verfolgen. Er könnte versuchen, Dinge auszuwählen, von denen er glaubte, sie würde sie gutheißen, aber angesichts einer so großen Auswahl würde am Ende doch seine wahre Natur enthüllt werden, ob er es wollte oder nicht.

Ihr Herz pochte heftig und sie schmeckte Furcht in ihrem Mund. Sie köderte einen Tiger und das konnte sehr schnell in hohem Maß schiefgehen. Ihre Welt würde zusammenbrechen, wenn er all die falschen Dinge wählte, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als es zu riskieren. Sie wollte diesen Mann. Sie wollte diese Frau sein, für die er lebte, diejenige, um die herum er sein Leben aufbaute. Sie wollte zu ihm gehören. Erst hatte ihr Element ihn auserkoren und dann ihr Körper, lange bevor sie Gelegenheit gehabt hatte klar zu denken. Sie war schon jetzt im freien Fall und es lag an ihm, ob er sie auffing oder nicht.

Stefan musterte die Spiegelprismen. Ihn faszinierte die Idee, sein eigenes Kaleidoskop zu bauen. Bis er in das eine in Judiths finsterem Studio geblickt hatte, hatte er nie wirklich in Betracht gezogen, was mit einem Kaleidoskop alles möglich war. Die meisten Menschen sahen sie als Kinderspielzeuge an und auch er war diesem Irrtum aufgesessen. Selbst als sie ihm gesagt hatte, mit Kaleidoskopen könnte man den Blutdruck senken und Frauen bei der Geburt unterstützen oder Autisten helfen, war ihm noch nicht klar gewesen, was sich damit erreichen ließ. Als er jedoch in ihrem düsteren Studio in Judiths Kaleidoskop geschaut hatte, war ihm klar geworden, dass er in ihre Seele blickte.

Er betrachtete die Amulette, Perlen, den Draht und die Edelsteine vor sich auf dem langen Tisch und wusste, dass die Auswahl, die er traf, Judith eben diesen Einblick in ihn selbst gewähren würde. Wenn er sich auf dieses Vorhaben einließ, lief es im Grunde genommen darauf hinaus, dass er sein wahres Ich vor ihr entblößte. Tausende von Wahlmöglichkeiten lagen vor ihm ausgebreitet. Diese winzigen Teilchen aus Metall und Edelsteinen würden Judith allen Grund dazu geben, vor ihm davonzulaufen, doch er weigerte sich zu mogeln. Entweder sie liebte ihn so, wie er war, zerbrochen und verbogen wie das Metall, oder sie würden ohnehin keine Chance haben.

Das Siebenkantprisma sprach ihn an. Er warf einen Blick auf sie, als er es ihr reichte.

Judith nickte. »Du bist ein vielschichtiger Mann und ich kann mir vorstellen, dass die Wahl des Siebenkantprismas für dich viel mehr bedeutet als nur seine Vielschichtigkeit.«

»Ich bin einer von sieben Brüdern. Obwohl sie uns voneinander getrennt haben, sind unsere Leben sehr ähnlich verlaufen. Was kann ich für die Röhre nehmen?«

»Ich habe Papiere für die Röhre, aber du könntest sie auch mit Pulver beschichten.«

»Ich würde sie lieber mit Pulver beschichten«, sagte er sofort. Er hatte nichts für Schnickschnack übrig. Tatsächlich wollte er ein schlichtes Äußeres und die Pulverbeschichtung konnte ruhig aussehen wie Schießpulver … »Oder …« Sein Blick fiel auf ein bereits fertiges Kaleidoskop am Ende ihres Tisches. »Was ist das?«

Das Kaleidoskop saß auf einem Turm aus etwas, das wie Buntglas aussah. Das Kaleidoskop selbst war mit Pulver beschichtet, doch um den Rand herum erweckte es den Eindruck von Buntglas, ein Material, das ihn reizte. Das Glas schien zu schimmern und seine Farbe zu verändern, wenn er es ansah.

»Das nennt sich dichroitisches Glas oder Farbeffektglas.«

»Es ist faszinierend. Es verändert seine Farbe, sowie man den Blickwinkel verändert.«

»Es wird unter Verwendung verschiedener Metalle in hauchdünnen Lagen hergestellt, die mit einem Elektronenstrahl in einem Vakuumbehälter vaporisiert werden. Ich stelle es nicht selbst her, aber ich liebe die Vielseitigkeit. Manche sind auf der Rückseite klar und andere haben eine schwarze Rückseite.«

Judith trank von ihrem Tee, während sie zusah, wie er sich darin vertiefte, sein eigenes Kaleidoskop herzustellen. Sie liebte es, Kurse zu geben, in denen sie die Techniken der Herstellung von Kaleidoskopen vermittelte, denn niemand konnte von den leuchtend bunten Gegenständen umgeben sein und sich nicht in seiner Kreativität angesprochen fühlen. Manche Teilnehmer summten vor sich hin und andere waren stumm, aber alle lächelten bei der Arbeit. Sie selber fühlte sich bei diesem Unterricht immer von Freude umgeben.

Stefan Prakenskij war ein ernsthafter Mann mit einer tragischen Vergangenheit, allerdings bezweifelte sie, dass er selbst es auch so sah. Sein Leben war in seinen Augen schlichtweg so, wie es war. Er nahm hin, dass seine Eltern ermordet worden waren und dass man ihm seine Brüder entrissen hatte. Er nahm hin, dass er durch strenge Disziplin und Strafe zu einem Mörder gemacht worden war, ebenso wie er auch die seltsame magnetische Anziehungskraft zwischen ihnen hinnahm.

Er war ein Mann, der Momente der Freude an schönen Dingen fand. Er fand sie schön, wie die Kunst, die er so sehr bewunderte. Die Form von Arbeit, der er nachging – und sie wollte sich nicht allzu genau ausmalen, was genau das war –, hatte ihn zu einem wachsamen, sehr gefährlichen Mann verhärtet. Er würde Action brauchen, nachdem er dieses Leben so lange geführt hatte. Konnte er sich da auf eine dauerhafte Beziehung mit ihr einlassen?

Sie seufzte und zog damit augenblicklich seine Aufmerksamkeit auf sich.

»Was ist?«

Sogar seine Stimme konnte ihre Haut streicheln. Sie beobachtete, wie seine langen, geschickten Finger das dichroitische Glas nach allen Richtungen drehten, während sich die Farben spielerisch verschoben. Mit solchen Fingern hätte er Pianist sein können. Er bewegte seine Hände mit einem sicheren Anschlag über ihren Körper, als wüsste er instinktiv, was ihre Lust steigern würde, bis sie blind für alles andere war – sogar für den gesunden Menschenverstand.

»Ich versuche verzweifelt zu glauben, du könntest das, was du tust, aufgeben und ein ruhiges Leben führen. Hier. Mit mir.« Sie strengte sich an, die Worte hervorzubringen, obwohl ihre Kehle plötzlich zugeschnürt war. »Die ›Chemie‹ hat eine begrenzte Lebensdauer und dann muss etwas anderes da sein, Stefan.« Sie benutzte vorsätzlich seinen richtigen Namen, um ihn daran zu erinnern, dass er nicht der reizende Thomas war. Er war ein Mann, der andere Menschen tötete. Sie mochte Jean-Claude zwar einen grässlichen Tod wünschen, aber dieser Mann konnte solche Dinge einfach in die Tat umsetzen.

Sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass der Gedanke, ihn für einen so finsteren und destruktiven Zweck zu benutzen, ihr tatsächlich durch den Kopf gegangen war. Die Versuchung war da gewesen und hatte sie alarmiert und zugleich Scham bei ihr ausgelöst.

»Was ich tue, das ist kein Leben, Judith. Meine Arbeit macht mir keinen Spaß. Ich bin gut darin, aber meine wahre Identität zu verbergen, sogar vor mir selbst – so kann man nicht dauerhaft leben. Ich weiß, dass hier der Ort ist, an dem ich sein möchte, auf dieser Farm. Ich möchte an der Küste leben, umgeben von wunderschönen Wäldern. Mit dir.«

Er sah von ihr zu dem langen Tisch voller Farben. Mit einer ausholenden Geste beschrieb er den Raum. »Dein Zuhause ist für Gelächter und Liebe geschaffen, Judith. Für Kinder. Eine Kulisse für einen Mann und eine Frau, die einander lieben. Du verstehst diese Dinge besser, als ich sie jemals verstehen werde, aber ich möchte sie gemeinsam mit dir erleben.«

»Du willst Kinder?« Sie wusste nicht, warum sie das überraschte, aber es war so. Sie wollte unbedingt Kinder haben. Das hatte sie sich schon immer gewünscht. Sie sollten alles über ihr japanisches Erbe erfahren, und sie selber wollte wie ihre Mutter sein; mit einer so heiteren Ruhe sich anmutig durch ihr Haus bewegen und ihren Kindern das Gefühl geben, sie seien die klügsten, meistgeliebten Kinder auf der ganzen Welt.

Er nickte langsam. »Ich würde mit Begeisterung kleine Mädchen mit deinem Haar und deinem Lächeln und kleine Jungen mit meinen Augen und deinem Haar mit dir gemeinsam herumlaufen sehen.«

Sie berührte ihr Haar und konnte das Lächeln nicht unterdrücken, das in ihr aufstieg. »Du scheinst mein Haar wirklich zu mögen.«

Sein Lächeln erreichte seine Augen. »Wenn sich mir diese Chance bietet, werde ich sie nicht vergeuden. Ich packe zu und nehme alles, was ich kriegen kann.«

»Ich dachte, du hättest gesagt, selbst wenn du dir Ivanov vom Hals schaffst, würde dieser Sorbacov jemand anderen auf dich ansetzen.«

Er nickte. »Ich werde dich nicht belügen. Sorbacov wird ganz bestimmt einen anderen Eliminator schicken, aber mein Bruder lebt auch hier. Und wir werden vorbereitet sein. Glaube mir, meine Süße, wenn wir zu zweit hier sind, dann sind wir ziemlich sicher.«

Etwas in seiner Stimme ließ sie erschauern. Er nahm eines der kleinen Stücke Draht in die Hand, dessen Aquamarinblau ihn reizte, und ohne nachzudenken begann er ihn zu weicheren Kurven zu verbiegen. Sie sah ihm dabei zu und konnte den Blick nicht von der Intensität abwenden, die sich auf seinem Gesicht ausdrückte. Wenn er sich auf sie konzentrierte, wurde ihr dieselbe andächtige Aufmerksamkeit zuteil, und doch wusste sie, dass er jede kleinste Bewegung des Hauses und insbesondere ihre Gegenwart bewusst wahrnahm. Sie setzte sich ihm am Tisch gegenüber und beschäftigte sich mit dem Kaleidoskop, das sie für Jonas Harringtons Frau anfertigte, damit sie sich während der Wehen darauf konzentrieren konnte.

»Schau zwischendurch immer wieder mit dem Spiegelprisma in die Kammer«, ermutigte sie ihn, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. »Und gib nicht der Versuchung nach, zu viel hineinzupacken. Die Objekte müssen sich ungehindert in der Flüssigkeit bewegen können.«

Sie kannte jeden Gegenstand, den er in die Hand nahm und auch wieder weglegte, nachdem er ihn eingehend gemustert hatte. In einem kleinen Bereich des Tisches legte er eine Sammlung von Drähten, Amuletten und Edelsteinen an. Sie ließ ihn die Behälter durchstöbern und alles durch das Spiegelprisma seiner Wahl betrachten. Seine Gesichtsmuskulatur lockerte sich und die Anspannung floss aus seinen Schultern. Er hatte jetzt etwas weniger von einem Tiger im Käfig und dafür mehr von einem zufriedenen Tiger, der die Grenzen seines Reviers weiter steckt.

Sie versuchte, nicht zu oft hinzusehen, aber sie konnte unmöglich widerstehen. Er nahm etliche zweieinhalb Zentimeter lange Stücke von einem sehr feinen schwarzen Draht. Etwa ein Dutzend dieser Stücke, wenn nicht mehr, drehte er an einem Ende zusammen und breitete die Drähte sorgfältig aus. Er schien großen Wert darauf zu legen, die Drähte genau so zu biegen, wie er sie haben wollte, was hieß, dass dieses spezielle Objekt ihm etwas bedeutete.

Auf den ersten Blick schien es sich bei den Gegenständen, die er unter den silbernen Amuletten auswählte, um Ackerbaugeräte zu handeln, doch sie erkannte, dass jedes einem zweifachen Zweck diente. Wie die sich verändernden Farben in dem dichroitischen Glas konnte man auch die Gebrauchsgegenstände, die er auswählte, aus verschiedenen Blickwinkeln ansehen. Sie waren entweder todbringende Waffen oder aber dienten dazu, den Ackerboden zu bestellen.

Judith deaktivierte die Alarmanlage, die sie ohnehin für völlig nutzlos hielt, und öffnete die Glastüren, die in die Gärten führten, um frische Meeresluft in den Raum einzulassen. Sie war unruhig und sie war das ganze Experiment leid. Da sich das Kaleidoskop jetzt seiner Fertigstellung näherte, wollte sie fast nicht mehr sehen, was er entworfen hatte. Die Nachtluft war frisch. Sie konnte das Bellen der Seelöwen hören, als sie einander riefen. Je mehr sie in dem Raum umherlief, desto deutlicher nahm sie die Stille wahr – seine Stille. Er war ein Leben in Stille gewohnt. Selbst wenn er sich ganz auf seine Arbeit zu konzentrieren schien, war er jederzeit sprungbereit.

Mehr als eine Stunde lang arbeitete er schon schweigend. Sein Vorgehen, um genau die richtigen Objekte für die Kammer seines Kaleidoskops zu finden, war methodisch. Es schien ihm keine Sorgen zu bereiten, ob ihr gefallen würde, was sie sah, denn er schaute sie nicht ein einziges Mal auf der Suche nach Anerkennung – oder Hilfe – an. Er schien entschlossen zu sein, ihr zu zeigen, wer er wirklich war, ohne sich um die Konsequenzen zu scheren.

Sie warf einen weiteren verstohlenen Blick auf ihn. Er schien tropfenförmige Perlen, die mit roter Flüssigkeit gefüllt waren, auf einen weißen Schneeflocken-Glücksbringer zu kleben. Er ging mit Sicherheit und Präzision und ohne jedes Zögern vor. Sie brauchte ihn auch nicht daran zu erinnern, den Inhalt seiner trockenen Objektkammer durch das Spiegelprisma zu betrachten. Jedes Mal, wenn er einen weiteren Gegenstand hineintat, achtete er sorgsam darauf, ihn durch das Siebenkantprisma anzusehen.

Ihr Magen flatterte vor Unruhe und sie presste ihre Hand fest darauf, damit er sich nicht hob. Es fiel ihr schwer, im selben Raum wie er zu sein und nicht zu ihm rübergehen und ihm einen Kuss auf den Nacken drücken zu wollen, während er den Kopf dicht über seine Arbeit beugte.

Plötzlich blickte er zu ihr auf und sah ihr mit blanker Lust in die Augen. Ihr Magen schlingerte und flüssige Glut ließ sie feucht werden. Er lächelte sie an.

»Mir geht es auch so.«

Ihr Mund wurde trocken. Ihre Handfläche juckte. Sie lechzte verzweifelt nach ihm und es war nicht gerade hilfreich, dass sie sich ausgerechnet hier auf ihrem Tisch wild und berauschend geliebt hatten.

»Nächstes Mal benutzen wir das Bett.«

Er stellte es als einen Tatbestand hin – als Gewissheit, es würde ein nächstes Mal geben. O Gott, sie wünschte sich so sehr, dass es ein nächstes Mal geben würde. Bitte, lass es ein nächstes Mal geben. Sie fühlte die Berührung seines Blicks wie Fingerspitzen, die ihre Haut streichelten. Ihre Brustwarzen stellten sich unter ihrem dünnen T-Shirt auf. Sie hätte sich etwas anderes anziehen sollen.

»Wir kriegen das schon hin, mein Engel«, sagte er. »Hab Vertrauen.«

Komisch, dass ausgerechnet er derjenige war, der ihr sagte, sie solle Vertrauen haben.

Er lächelte sie an. »Du bist mein ganz persönlicher Engel, der für mich vom Himmel gefallen ist. Sag mir jetzt, wie ich das Ganze versiegele.«

Sie war nicht sicher, was er damit meinte, ihre Flügel gestutzt zu haben, aber sie wollte es hinter sich bringen, damit die Spannung nachließ. Gleichzeitig wollte sie es gar nicht wirklich wissen, falls das Experiment schlecht ausgehen würde.

»Mir gefällt das Ergebnis.« Wieder äußerte er sich mit großer Entschiedenheit und das sagte ihr viel über ihn. Wenn er sich erst einmal entschlossen hatte, war er sich seiner Sache sicher und handelte demgemäß.

»Befestige den Deckel mit Acrylzement«, wies Judith ihn an. »Wenn du damit fertig bist, siehst du dir das kleine vorgebohrte Loch in der Seite der Objektkammer an. Dort füllst du mit der Spritze das Mineralöl hinein.« Sie zeigte ihm, wo. »Benutze den winzigen Gewindestift dort, um das Loch zu schließen, nachdem du die Kammer mit dem Öl gefüllt hast.«

Judith sah ihm bei der Arbeit zu und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Bald würde sie sich sein Werk ansehen müssen und sie fürchtete sich vor dem, was sie sehen könnte. Sie durchquerte den Raum, blieb vor den Glastüren stehen und starrte in ihren Garten hinaus. Die Pflanzen beschwichtigten sie immer. Sie liebte die vielen farbigen Ahornbäume, die sie so zurückschnitt, dass anmutige Äste über das schmale Band des plätschernden Bachs hingen, der über Felsen strömte und einen kleinen Wasserfall bildete, welcher wiederum den großen Koi-Teich an einem Ende speiste. Dort, wo es am tiefsten war, führte eine schmale Brücke über das Wasser. Ihr liebster Platz zum Lesen befand sich unter einem der größeren Ahornbäume. Ein Teil von ihr wünschte, sie wäre jetzt dort draußen in der kühlen Nacht und säße, während der Wind ihr ins Gesicht wehte, an ihrem Koi-Teich.

»Komm her, schau es dir an«, forderte er sie auf.

Ihr Herz machte einen Satz. Sie sah ihm in die Augen und wappnete sich, schloss die Augen und holte tief Atem. Es würde kein Zurück geben, wenn sie erst einmal in sein Kaleidoskop sah. Sie würde seine wahre Natur erkennen. Und sie würde wahrscheinlich der einzige Mensch auf Erden sein, der sie kannte.

Sie nahm das Kaleidoskop behutsam in beide Hände und drehte es. Ehe sie es an ihr Auge hob, warf sie einen schnellen Blick auf ihn. Licht ergoss sich durch die Objektkammer und erhellte die Bilder, sodass das Siebenkantprisma wie ein neues Sternbild schlagartig zum Leben erwachte. Kleine Blutstropfen fielen vor weißem Schnee und die Bewegung war so fließend und anmutig, als könnte sie jenen Mord vor langer Zeit sehen, mit dem Stefans Kindheit abrupt ein Ende fand.

Die Szene in der Kammer war faszinierend, fast schon hypnotisch und sehr intensiv. Das dichroitische Glas veränderte seine Farben, dunkel und hell, Blutrot und Schwarz verwandelten sich in hellere Farben, ebenso wie Stefan als Abschluss jedes Auftrags von einer Haut in eine neue Haut schlüpfte, die alte abwarf und eine neue anlegte. Dunkelheit senkte sich herab und Farben durchbrachen sie explosiv; sie brachten Sterne aus Edelsteinen, die durch die diversen Waffen und Ackerbaugeräte glitzerten.

Durch den Strom von Waffen kamen unerwartete Dinge, langes schwarzes Haar, das wie zarte Seide herabfiel, winzige Muschelschalen, die durch blaugrüne Wellen taumelten; zwei goldene Ringe, die miteinander verschlungen waren, ein kleines Amulett aus Zinn, auf dessen einer Seite Freude stand, auf der anderen die japanische Glyphe. Ein Kimono, der inmitten eines Feldes aus weißen Siebensternen lag.

Judiths Herz verkrampfte sich. Dunkelheit strömte durch die Kammer, als sie sie langsam umdrehte. Schatten spielten auf den Rändern der Sterne, während Blutstropfen auf den Schnee wie Regen fielen. Das war Stefans Welt aus Hoffnung, Leid und künstlerischem Schaffen. Er war sowohl ein Mörder als auch ein Liebender. Er war ein Mann mit Prinzipien, mit einem strengen Ehrenkodex und ungeheurer Disziplin. Alles in seiner Objektkammer drehte sich um Dualität. Er hatte zwei Seiten, und der Fall von seidigem Haar, die Muscheln, die Ackerbaugeräte, die doppelten Ringe, sogar die japanischen Symbole waren sein Ausblick auf eine Zukunft.

Dieser Mann war zu Liebe fähig und er war auch dazu fähig, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Und all sein Sehnen galt einer einzigen Frau. Ihre Initialen befanden sich in diesem Kaleidoskop. J.H. Sie sah sie dort gemeinsam mit den Initialen S.P. Für sie war von großer Bedeutung, dass er nicht ein T.V. für Thomas Vincent genommen hatte. Für sie – bei ihr – gab er sein wahres Ich preis. Er hatte nicht versucht, sich vor ihr zu verbergen. Er hatte ihr seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Hoffnung auf eine Zukunft preisgegeben.

Tränen verschleierten ihren Blick. Alles an dem Kaleidoskop sprach sie an. Es war durch und durch maskulin und ohne Ausschmückungen und Schönfärberei, ganz so wie Stefan. Es war eine stille Erklärung, eine Absichtsbekundung. Sie hatte das Gefühl, ihn bereits zu kennen und zu wissen, dass er einen einmal gefassten Entschluss nie widerrufen würde. Für ihn waren Entscheidungen in Stein gemeißelt, wie es hier geschrieben stand, in diesem umwerfenden Geschenk, das er ihr gemacht hatte.

Es musste ihm schwergefallen sein, sich freiwillig so angreifbar zu machen. Er musste wissen, dass sie sein unversöhnliches Wesen sehen würde. Der Krieger in ihm war so tief verwurzelt, dass es unmöglich sein würde, ihn jemals auszumerzen. Diese unnachgiebige Härte, auf die sie zwischendurch stoßen würde. Der seidige Fall des mitternachtsschwarzen Haares vor diesem schrecklichen Schneefall und den Blutstropfen sandte Glut in ihren Körper, die sich spiralförmig ausbreitete. Das Bild war sanft und sinnlich und kam ganz unerwartet – ein Zeugnis der heilenden Kraft der Liebe. Ihr Stefan war Künstler und Killer zu gleichen Teilen.

Und dann brachte die letzte Umdrehung eine schwarze Mistgabel, die von goldenen Flügeln bedeckt wurde. Sein gefallener Engel. Seiner. Er hatte sie für sich gefordert und sie sah deutlich, dass er es ernst meinte. Sie war seine Rettung, seine Freude, sein Beweggrund.

Draußen konnte sie den sanften Wind durch das Laub ihres japanischen Gartens flattern hören und drinnen konnte sie ihren eigenen Herzschlag hören. Sie feuchtete ihre Lippen an und sicherte sich sorgfältig ab, dass sie die Objektkammer oft genug gedreht hatte, um alles zu sehen. Jede Szene würde immer wieder anders sein, aber jede von ihnen würde immer ein Blick in Stefans Seele sein. Sie fand kaum die Kraft, das Kaleidoskop sinken zu lassen, weil sie es so spannend fand. Ihre Hände zitterten und ihr Körper bebte. Mit jeder Drehung des Kaleidoskops forderte er sie für sich und, mochte Gott ihr beistehen, alles in ihr reagierte auf seinen Ruf.

Sie feuchtete ihre Lippen an. Ohne nachzudenken presste sie das Kaleidoskop an ihr Herz und sah ihm in die Augen. »Das ist ein unglaubliches Geschenk. Ich danke dir.«

»Gib dich mir hin.«

Ihr Herz machte diese seltsamen kleinen Hüpfer in ihrer Brust und ihr wurde ganz anders. Seine Stimme war gesenkt, so leise, dass sie kaum noch ein zusammenhängender Klangfaden war, aber es ließ sich nicht leugnen, dass er eine Aussage machte. Eine Forderung stellte. Sie hatte ihn herausgefordert und er hatte die Herausforderung mit größter Bereitwilligkeit angenommen. Stefan hatte nicht versucht, seine wahre Natur abzumildern, sondern sie in die Objektkammer gepackt – die Waffen, darunter auch eine kleine Garrotte, die er aus Metall gebogen hatte.

»Ich habe mich gerade in deine Hände begeben, Judith. Ich habe dir das überreicht, was von Stefan Prakenskij noch übrig war. Gib dich mir hin.«

Sie sog seinen Anblick in sich ein. Er war ein großer, kräftiger Mann, der nur aus Muskeln bestand und keine weichen Stellen bot, aber sie konnte in seinen blaugrünen Augen ertrinken, sich von seinem zögernden Lächeln gefangen nehmen lassen und unter seinen Berührungen glühend entflammen. Er würde ganz und gar ihr gehören, das hatte sie in seinem unbeirrbaren Vorsatz gesehen. »Wenn du mich verließest, wäre ich am Boden zerstört«, gestand sie. »Du musst wissen, ob du fähig bist zu bleiben oder nicht.«

»Wenn ich mich binde, Judith, dann ist es für immer. Und von meiner Frau erwarte ich dasselbe.« Es war ebenso sehr eine Warnung wie ein Versprechen. »Sie muss mir vertrauen und sich auf mich verlassen, wie auch ich ihr vertrauen und mich auf sie verlassen werde. Ich weiß nicht, wie man halbe Sachen macht. Du musst dir sicher sein, dass ich es bin, den du wirklich willst, mein Engel.«

»Ich muss dir vieles unbesehen glauben, Stefan.«

»Ich weiß, dass ich viel von dir verlange. Ich bin nie ein guter Mensch gewesen. Ich habe nach einem Ehrenkodex gelebt und versucht nie zuzulassen, dass einem Unschuldigen etwas zustößt, aber ich habe Menschen getötet, Judith. Viele Male. Und ich habe das, wovon ich etwas verstehe, benutzt, um Informationen von anderen Agenten zu bekommen. Ich bin nicht stolz auf die Dinge, die ich getan habe, aber ich schäme mich auch nicht dafür. Das war mein Leben. Ich würde gern sagen, ein Teil meines Lebens sei vorbei, aber bis Ivanov tot ist und Sorbacov begreift, dass wir, wenn er uns in Ruhe lässt, keine Bedrohung für ihn darstellen, kann ich dir das nicht versprechen.«

Judith nickte. »Ich finde trotzdem, wir sollten mit Jonas reden.«

»Ich habe keine Ahnung, wie man eine Beziehung führt, und ich werde zwangsläufig Fehler machen. Ich bin kein geselliger Mann. Unter Menschen werde ich mich nie behaglich fühlen.«

»Das ist mir schon aufgefallen.« Sie konnte nichts dagegen tun, dass sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen. »Mach dir keine Sorgen, ich werde dich beschützen. Ich komme sehr gut mit den Leuten aus.«

Er ging zielstrebig auf die Glastüren zu und schloss sie wieder, verriegelte sie und schaltete die Alarmanlage wieder ein.

Judith verdrehte die Augen. »Meinst du nicht, dass diese alberne Alarmanlage ziemlich nutzlos ist?«

»Sie wird alle anderen fernhalten.« Er drehte sich zu ihr um, und als er seinen Blick über sie gleiten ließ, wuchs in den Tiefen seiner Augen die Gier. »Zieh dich aus. Mir bist du am liebsten, wenn du nur diese goldene Kette auf all dieser zarten Haut trägst.«

Sie spürte, wie Glut sie durchströmte und sich in ihrem Unterleib sammelte. Ihre Brustwarzen reagierten und wurden zu harten Kieselsteinchen. Farbe kroch an ihrem Hals hinauf. Sie fühlte sich fast schwach vor Begehren. Es war so sexy, wie er das Kommando übernahm. Es begeisterte sie, dass er ihr gehörte. Und das tat er. Sie hatte es in dem Moment gewusst, als sich ihr Geist mit seinem verbunden hatte. Es war tröstlich zu wissen, dass sie sich einen heftigen Gefühlssturm erlauben durfte, weil er damit umgehen konnte.

»Judith.«

Die sanfte Ungeduld, mit der er ihren Namen aussprach, sandte eine weitere Woge von Glut durch ihre Adern. Die Elektrizität im Raum ließ Funken sprühen. Sie packte den Saum ihres T-Shirts, ohne wirklich nachzudenken, und zog es sich über den Kopf. Sein hörbares Ausatmen sandte ihr einen Schauer über den Rücken.

Er trat dichter vor sie, so nah, dass sein maskuliner Duft sie einhüllte. »Wenn ich dich ansehe, muss ich mir manchmal ins Gedächtnis zurückrufen, dass du echt bist. Ich finde dich einfach wunderschön, alles an dir«, gestand er und hob sie hoch, als wöge sie kein Gramm mehr als eine Feder.

Judith, die ihr T-Shirt noch in der Hand hielt, schlang ihm ihre Arme um den Hals und hielt sich fest, als er sie aus dem Studio trug. Er blieb nicht stehen, um den Lichtschalter zu benutzen oder die Tür zu schließen, aber sie fühlte ein Aufwogen von Kraft, und zwei Dinge geschahen fast gleichzeitig. Sie schnappte nach Luft, als ihr klar wurde, dass Stefan nicht einfach nur telepathische Anlagen hatte oder sie gegen Emotionen abschirmen konnte, sondern dass er auch zur Telekinese fähig war. Schlösser öffneten sich für ihn und er konnte Gegenstände von der Stelle bewegen, eine seltene Gabe.

»Dein Geist verstärkt meine Fähigkeiten«, sagte er, als er sie die Treppe hinauftrug. »Das habe ich schon gefühlt, als wir das erste Mal gemeinsam eine erotische Phantasie hatten. Ich weiß nicht, ob sie von mir ausging oder von dir, aber die Kraft war unglaublich. Du musst sie gefühlt haben.«

Sie konnte nicht warten, bis sie im Schlafzimmer waren. Sie küsste sein Kinn und seine Mundwinkel und presste ihre Lippen dann ziemlich fest auf seine. Flüssiges Gold ergoss sich in ihre Adern und bewegte sich in der sommerlichen Hitze in einer trägen, herrlich dicken Melasse durch ihren Körper. Es war ein köstliches Gefühl und sie konnte nicht aufhören, ihn zu küssen. Sie liebte seinen Geschmack, all diese Männlichkeit, das würzige Verlangen in seinem Mund, das sie so sexy fand, als er jeden ihrer Küsse erwiderte.

Sie schien zu schweben, und irgendwie gelangte sie ins Schlafzimmer und Stefan ließ sich mit ihr auf das Bett sinken, kniete über ihr, als er sie küsste, die Hände auf ihren Shorts, die er ihr über die Hüften zog. Sein Mund zog eine feurige Spur von ihrer Kehle zu ihren Brüsten und raubte ihr den Atem und die Zurechnungsfähigkeit. Ihr Körper bebte vor Gier nach ihm und ihre Hüften und Beine bewegten sich voller Verlangen unruhig unter ihm.

Oft fühlte sie sich so vollständig und restlos allein und leer. Niemand hatte ihr jemals das Gefühl gegeben, das er ihr gab – so ausgefüllt von ihm zu sein. Er ergoss sich in ihren Geist, wie sie sich in seinen ergossen hatte. Sie füllten einander aus, sodass keine leeren Bereiche blieben, keine Schatten, nur ein vollständiges Verschmelzen zweier Geister.

Seine Zunge schnellte gegen ihre Brustwarze, seine Zähne bissen zu und sie wölbte sich ihm entgegen und bot ihm ihre fülligen Brüste an, die mittlerweile schmerzten und seine Aufmerksamkeit brauchten. Ihre Arme schlangen sich um seinen Kopf und pressten ihn an sie, während er sich an ihr labte. Peitschende Flammen verbanden ihre Brüste mit ihrer tropfenden Scheide. Feuer zischte in ihr und ließ sie aufschreien; sie schluchzte fast vor Verlangen, ihn in sich zu fühlen.

»Zieh dich aus. Diesmal will ich dich ganz sehen«, keuchte sie.

Er hob seinen Kopf und in seinen ausdrucksvollen Augen, die jetzt dunkel waren, tobte stürmische Lust. »Bist du sicher, dass du darauf gefasst bist, Judith? Mein Körper ist etwas ramponiert.«

Sie berührte sein Gesicht – dieses geliebte Gesicht, das so vollendet gemeißelt war. Es war das Gesicht eines Mannes, ohne eine Spur von dem Jungen, der auch aus seinem Geist schon so lange Zeit getilgt war. Mit zitternden Fingerspitzen fuhr sie die Narben nach. »Lass mich dich lieben, Stefan«, flüsterte sie. »Diese Dinge, die dir zugestoßen sind, haben dich zu dem Mann gemacht, den ich will. Lass mich dich ganz und gar haben.«

Stefan kniete sich wortlos über sie und seine Augen nahmen ein noch leuchtenderes Blaugrün an. Seine Hände sanken auf die Knöpfe seines Hemdes und er zog langsam die Ränder auseinander und schälte sich heraus. Sie biss sich fest auf die Unterlippe. Sein Brustkorb war mit Narben und mit alten Wunden übersät. Auf dem Bauch und auf den Hüften hatte er Schnittwunden, die in seiner Jeans verschwanden.

Judith ließ einen Finger über den Wulst einer langen Narbe gleiten, die in den Hosenbund reichte, ehe sie seine Jeans selbst aufknöpfte. Sie zog sie ihm bis auf die Knie und ihre Augen wurden groß, als seine starke Erektion in ihr Gesicht ragte. Narben zogen sich über seine Oberschenkel und eine zog sich durch das Haar über seinem Penis. Es bestand kein Zweifel daran, dass er Schlachten mitgemacht hatte.

Stefan befreite sich von der Jeans, dann setzte er sich neben sie und gestattete ihr, sich die Straßenkarte aus Narben gründlich anzusehen. Judith untersuchte jede Narbe genau und ließ ihre Finger ehrfürchtig darübergleiten, um schließlich eine Reihe von Küssen auf jede Narbe zu drücken.

Stefan schloss die Augen und gestattete seinem Körper, einfach nur zu fühlen. Sie war ein Wunder und sie erweckte ihn zum Leben. Er hatte sich keiner Frau jemals hingegeben, sich von keiner berühren lassen, keine Ansprüche auf ihn geltend machen lassen, wie Judith es jetzt tat; und wenn er sie ein bisschen mehr liebte, als andere Männer ihre Frauen liebten, dann empfand er das nicht nur als akzeptabel, sondern es war voll und ganz verständlich und er vergab sich seinen Verlust an Disziplin und Selbstbeherrschung.

Ihre Berührungen fühlten sich an wie das allererste Mal. Er wusste, dass er diesen Moment nie vergessen würde. Das Gleiten ihres Haares über seine Oberschenkel war so verdammt sinnlich, dass sein Schwanz schmerzhaft anschwoll. Er legte seine Hand leicht um den dicken Schaft, um die entsetzliche Gier zu lindern, während sie sich Zeit damit ließ, seinen Körper mit ihren Fingern zu erkunden.

Sein Herz machte einen Satz, als er fühlte, wie ihre Zunge über seinen Schenkel strich. Ihre Hände glitten um die Säule seines Beines, um ihrem Oberkörper Halt zu geben, während sie sich an der Innenseite seines Oberschenkels hocharbeitete. Sein Herz stand einen Moment lang still und begann dann heftig zu pochen, als ihre Zunge seinen Hodensack fand. Von ihrer Seite aus war kein Zögern wahrzunehmen, sondern nur der Eifer, ihm Lust zu bereiten und ihn ebenso entschlossen für sich zu fordern, wie er es mit ihr getan hatte.

Bisher war er immer der Verführer gewesen und hatte dafür gesorgt, dass sein auserkorenes Opfer seinen Künsten schnell erlag. Und er hatte nie erwartet – oder zugelassen –, dass eine Frau ihm ebenso viel Lust bereitete, nicht in dieser Form. Keine vollständige Eroberung all seiner Sinne. Früher hatte er seinen Verstand eingesetzt und sich ein Urteil über seine Zielperson gebildet. Er hatte immer nur darauf geachtet, was ihrer Lust besonders förderlich war, um seinen Auftrag auszuführen. Jetzt war sein Verstand vollkommen benebelt, verstärkt durch ihr Geistelement, und er ließ sich von dieser Frau verführen, in die er sich in Windeseile rasend verliebt hatte.

Ihre Hände legten sich auf seinen Hintern, massierten ihn und packten zu, als ihre Küsse an seinem Schwanz nach oben wanderten und ihre Zunge über die hervortretenden Adern glitt und um die dunkle Eichel herumtanzte. Jeglicher Atem strömte aus seiner Lunge, als ihr Mund so eng wie eine Faust um ihn glitt, heiß und feucht und samtweich. Sein Herz explodierte fast. Seine Hände fanden ihre Brüste, drehten ihre Brustwarzen und zogen an ihnen, während sie an ihm saugte, erst kräftig und dann sanft. Ihre Zunge tanzte über ihn, flach und hart, und schleckte ihn dann wie ein kleines Kätzchen.

Er rang um Luft, rang um ein Minimum an Beherrschung. Genau das war Sex – ein Werkzeug unter vielen, eine Waffe. Aber sie verwandelte den Sex in etwas ganz anderes, in etwas, was so gar nichts mehr mit alldem zu tun hatte, was er jemals gekannt hatte. Eine Flut von Gefühlen schlug über ihm zusammen, verbunden mit reinen Sinneswahrnehmungen, die seinen Körper entflammten.

Sie gab einen Laut von sich, ein Flehen, dessen Vibration sich durch seinen Körper fortsetzte, bis ihn das Verlangen, sich in sie zu stoßen, von Kopf bis Fuß beben ließ.

Bitte.

O Gott. Dieses kleine Flehen. So großzügig. So typisch Judith. Seine Frau. Sie wollte ihm dieses Geschenk machen, ihm gestatten, dass er sich dem reinen fleischlichen Verlangen hingab und ihren Körper ausschließlich für seine Lust benutzte. Sie verlangte keine Gegenleistung und er spürte unwillkürlich, dass mit der Lust auch Liebe in ihm aufstieg und sich damit verflocht, bis beides nicht mehr voneinander getrennt, sondern eng miteinander verwoben und für alle Zeiten miteinander verbunden war.

Sie hatte einen Weg in sein Herz gefunden und diese massive Stahltür durchbrochen, die seine Ausbilder so brutal errichtet hatten, um jedes Gefühl auszusperren und ihn in die Isolation zu treiben. Mit sanfter Heiterkeit und mit ihrem exotischen, großzügigen, mitfühlenden Wesen hatte sie sich in ihn eingeschlichen und herausgefunden, wie sie ihn in eine andere Welt führen konnte, eine Welt, von der er sich nie vorgestellt hatte, er könnte sie jemals betreten. Seine Augen brannten und seine Brust fühlte sich an wie zugeschnürt, als er um Luft rang. Es war schon viel zu spät; auf einer Flutwelle blanken Verlangens riss sie ihn in ihr Herz.

Ihr Mund spannte sich straff um ihn, glitt über seinen Schaft und konnte seine volle Länge nicht in sich aufnehmen, aber sie versuchte nicht, ihn mit ihrer Hand aufzuhalten, sondern vertraute ihm und war gewillt, ihr Bestes zu geben. Sie war nicht geschult wie die Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, doch ihre Freude und ihre angeborene Großzügigkeit, verbunden mit einem Gefühl von immenser Liebe, beförderten ihn an den Rand der Euphorie. Falls es einen Ort der reinen Ekstase gab, an dem sich alle Sinneswahrnehmungen miteinander zu einer ultimativen Lust verbanden, und in die dann auch noch Gefühle einflossen, dann war er gerade dort.

Seine Hände packten ihr Haar und hielten ihren Kopf still. Obwohl sein Körper lautstark dagegen aufbegehrte, begann er so langsam wie möglich, damit sie sich daran gewöhnen konnte, die Kontrolle zu übernehmen. Sie wehrte sich nicht dagegen, auch nicht, als er noch zwei Zentimeter tiefer in sie glitt und fühlte, wie ihre Kehle sich schloss, sich eng um ihn herum zusammenzog und zudrückte. Er warf seinen Kopf zurück und hielt sie still, um dieses erstaunliche Gefühl mit zurückgeworfenem Kopf intensiv auszukosten. Sie holte Atem, als er zu einem raueren Rhythmus überging, tief in sie hineinglitt und dort einen Moment innehielt, um das Paradies zu erleben.

Ihre Hände legten sich auf seine straffen Eier, massierten sie sanft und packten dann wieder fester zu, als er tiefer in sie glitt. Er konnte fühlen, dass sein Körper immer heißer wurde, bis die kochende Hitze es ihm erschwerte, seine Stöße unter Kontrolle zu behalten. Ihr verführerischer Mund machte es ihm nicht gerade leichter. Tatsächlich ermutigte sie ihn sogar mit ihren Händen und mit ihrem Mund.

»Moja angel, ja tebja ljublu«, sagte er durch zusammengebissene Zähne, Worte, die seinem tiefsten Inneren entrissen wurden. Liebe war ein so schales Wort für das Gefühl, das wie ein Vulkan in ihm brodelte. Er musste aufhören, ehe es zu spät war, und das war ihm in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Mal passiert.

Mit größtem Widerstreben löste er seine Hände in ihrem Haar, schloss die Augen und zog sich aus dem Paradies ihres heißen Mundes zurück. »Heute Nacht will ich deinen Körper anbeten, Judith.«

»Ich dachte, ich bete gerade deinen Körper an«, sagte sie. »Und ich hoffe, du verstehst, dass ich dir mein Herz schenke.«

Er zog eine Spur von Küssen über ihr Kinn auf ihre Kehle hinunter. »Das habe ich durchaus verstanden und ich hoffe, du verstehst ebenfalls, was ich dir sage.«

Judith bekam kaum Luft, als sein Mund an ihren Brüsten zog und seine Zähne und seine Zunge ihre Brustwarzen neckten, bis sie so stramm wurden, dass sie vor Verlangen schmerzten. Sie war jetzt schon fast verrückt vor Gier, die er jedoch rasch steigerte. Sie liebte es, ihn um den Verstand zu bringen, da sie wusste, dass sie die einzige Frau war, die das jemals geschafft hatte. Es war eine berauschende Erfahrung. Sie begeisterte sich für seinen Geschmack und seine Beschaffenheit und sie liebte es, dass sie ihn fast so hilflos vor Verlangen machen konnte wie er sie. Ihn zu berühren und ihn in den Mund zu nehmen hatte ihre eigenen Gelüste angestachelt.

Seine Zunge fuhr ihre Rippen nach und fand ihren Nabel. Sie hatte nicht geahnt, dass sie derart erregbar sein konnte. Entsprangen diese Laute etwa ihrer eigenen Kehle? Sie klangen verzweifelt und flehentlich. Judith stand in Flammen und konnte nichts dagegen tun, dass sich ihre Hüften drängend aufbäumten. Sie wollte weinen vor Verlangen.

Du kannst dich mir anvertrauen, Kleines, beteuerte er ihr. Seine Zunge tauchte noch einmal in ihren Nabel ein und begab sich dann dahin, wo ihre Beine zusammentrafen.

Die Liebkosung seiner Stimme in ihrem Kopf diente nur dazu, ihre Lust noch mehr zu erhöhen. Es hatte etwas ungemein Intimes an sich, sich auf einer solchen Ebene mit ihm zu verständigen. Sie konnte die Intensität seines Begehrens fühlen, das dringende Bedürfnis, sie zu besitzen und sie für sich allein zu beanspruchen. Er wollte ein Leben mit ihr – eine Ewigkeit mit ihr – und er sah sich bereits mit ihr hier auf der Farm, in ihrem Haus. Er hatte vor, sie in jedem einzelnen Raum zu lieben und auf den Balkonen auch. Die erotischen Bilder in seinem Kopf verstärkten ihre eigenen Phantasien.

Und dann senkte er den Kopf und seine Zunge schleckte die flüssige Glut, die an ihren Schenkeln hinunterlief, um ihn willkommen zu heißen, und jeder vernünftige Gedanke war verschwunden. Ein flehentliches Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Seine Zunge beschrieb einen langsamen Kreis und stieß sich dann, immer noch bewusst langsam, so tief in sie, dass es ihr den Atemverschlug.

»Ich bin so weit. Ich bin es wirklich. Du brauchst das nicht zu tun«, flehte sie, denn sie stand zu dicht davor, in Stücke zu zerspringen.

Ich will es aber tun. Ich liebe deinen Geschmack. Ich kann nicht genug von dir bekommen.

Seine Stimme war ein samtiges Brummen und seine Hände hielten ihre Hüften still, denn sonst hätte sie sich unter ihm von einer Seite auf die andere geworfen. Judith konnte die kleinen keuchenden Laute und die jammernden Klagerufe nicht unterdrücken, die sich ihrer Kehle entrangen, als er sie wie ein Besessener verschlang.

Musik. Ich liebe die Musik, die du machst.

Er brachte sie um vor Lust. Mit seinem Mund. Mit seinen Fingern. Sogar mit seiner Stimme. Wenn er sich an irgendeinen Rhythmus gehalten hätte, hätte sie es vielleicht noch geschafft, einen klaren Gedanken zu fassen, doch er änderte seinen Rhythmus ständig, leckte, saugte und ließ seine Zunge hervorschnellen, bis sie sich wild geworden und außer Rand und Band fühlte. Tief in ihrem Innern baute sich die Spannung immer mehr auf, bis sie keuchend um Luft rang und bettelte, er solle sie ausfüllen.

Als er über ihr kniete, seine Hände auf ihre Hüften legte, sie an sich zog und ihren Körper mühelos hochhob, fiel ihr sein Gesicht auf. Sie war Künstlerin und falls sie ihn jemals malen würde, würde sie versuchen, diesen in Stein gemeißelten Ausdruck reiner Sinnlichkeit einzufangen, der sich in seine klaren Züge eingegraben hatte. Das glühende Verlangen in seinen Augen und die Gier auf seinen Lippen. Er war wunderschön und so sexy, dass sich ihre Kehle zuschnürte und kein Laut hervorkam, als sie stillhielt und fühlte, wie sich seine gewaltige Erektion an ihre Schamlippen presste.

Sie hörte das Donnern ihres eigenen Herzschlags in ihren Ohren, als sein Schaft langsam in ihren Körper eindrang, Zentimeter für Zentimeter. Er füllte sie vollständig aus, sandte Flammenzungen – Blitze – über ihre Haut und entflammte jedes Nervenende in einem Maß, das schon fast nicht mehr erträglich war. Sein steinhartes Fleisch stieß sich tiefer und immer tiefer in ihren Körper und versengte sie mit seiner Glut.

Sie wollte ihn mit jeder Zelle ihres Körpers und sie wollte, dass er ausschließlich ihr gehörte. Sie spannte ihre Muskeln um ihn herum an und packte fest zu, denn sie brauchte ihn ganz dringend. Sein gemartertes Zischen schockierte sie und seine Augen wurden aufgewühlt und stürmisch vor Lust. Er stöhnte tatsächlich, ein erstickter, gepeinigter Laut, der ihr Herz schneller schlagen ließ und dazu führte, dass sich ihr Körper unter seinem wand.

»Mein Engel, wenn du so weitermachst, verliere ich die Selbstbeherrschung. Ich schwöre es dir, Kleines, du bist so verflucht heiß und eng, dass es mich um den Verstand bringt.«

Sie wollte ihn um den Verstand bringen und sie wollte, dass er jegliche Selbstbeherrschung verlor – für sie und mit ihr. »Dann verliere eben den Verstand, Stefan. Mit mir. Verliere mit mir deinen Verstand«, flüsterte sie, ohne selbst ganz zu verstehen, wozu sie ihn aufforderte, doch sie wusste, dass sie mit ihm überallhin gegangen wäre.

Er zog sich aus ihr zurück und stieß sich grob, nahezu brutal durch die samtigen Falten und tief in sie hinein; und sie wölbte sich ihm entgegen und ihre Muskeln pochten um sein pulsierendes Fleisch herum. Tief in ihrem Innern füllte jede Bewegung, die er machte, sie aus, liebkoste sie und sandte diese feurigen Strahlen aus, bis die Sinneseindrücke, die sie durchzuckten, ihr fast den Verstand raubten.

Seine Hände packten sie fester und sie nahm die Veränderung an ihm wahr, als hätte auch seine innere Anspannung beträchtlich zugenommen – als sei er am Ende seiner Selbstbeherrschung, an der er so lange festgehalten hatte, angelangt. Es wurde ein wilder Ritt, bei dem er sich hart und brutal in sie rammte, tief und vollständig, ein Presslufthammer, der es darauf abgesehen hatte, ihren Uterus zu finden und sich dort einzuquartieren. Sie hörte ihren eigenen klagenden Schrei, als er immer wieder in sie eintauchte, das rhythmische Stampfen, das ihr Blut in Flammen setzte und sie fast aus dem Bett warf. Nur seine Hände, die sie umklammert hielten, konnten sie dort festhalten.

Die Anspannung nahm zu und schraubte sich immer höher hinauf, bis sie den Kopf von einer Seite auf die andere warf, ihre Fersen in die Matratze grub und verzweifelt versuchte, dem ein Ende zu bereiten, sich fester an ihn zu pressen und sich auf diesem stählernen Stachel zu pfählen, der sich immer wieder gnadenlos in sie rammte. Er quälte sie und machte sie verrückt mit einem rasenden Verlangen, das niemals ein Ende zu finden schien. Ihr Atem war ein keuchendes Schluchzen, als die Feuersbrunst über sie hinwegraste.

Ihr Mund öffnete sich weit zu einem lautlosen Schrei, als sich sein Schaft fest an ihre überempfindliche Knospe presste. Ihr Körper packte fest und fordernd zu und zog sich zusammen wie ein Schraubstock aus Seide und Stahl. Eine Woge nach der anderen erschütterte sie, riss sie beide mit sich und schleuderte sie in den reißenden Strom der Sinneswahrnehmungen. Sein heiserer Aufschrei war rau, ein verblüfftes Triumphgeheul, irgendwo zwischen Liebe und Gelächter gefangen, Ausdruck seines Erstaunens darüber, dass er gemeinsam mit ihr in Flammen aufgehen und gemeinsam mit ihr fühlen konnte.

Mit seiner restlichen Kraft zog Stefan sie wieder ganz auf das Bett und brach auf ihr zusammen, während sie beide um Atem rangen. Ihr Haar war feucht und ihre Körper waren mit einer dünnen Schweißschicht überzogen. Ihre Herzen schlugen wie verrückt, in einem beschleunigten Rhythmus, der sie beide zum Lachen brachte. Stefan schlang seine Arme um sie und rollte sich mit ihr herum, bis sie auf ihm lag. Er hielt sie lange Zeit in seinen Armen und atmete tief, ehe er den Kopf hob, um ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken und ihr mit einer Hand das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Sein Blick glitt langsam über sie, seine Augen lächelten und sein Gesicht war entspannt.

»Wir sind noch lange nicht fertig miteinander, moja angel. Es fängt gerade erst an.«

Sie blickte auf ihn hinunter. Er war noch nicht weich, noch nicht einmal annähernd. »Das ist unmöglich.«

Er lächelte sie an. »Du hast keine Ahnung, wozu ich in der Lage bin.«