26
Als das Schiff nach elftägiger ruhiger Fahrt in den Hafen von Caesarea einlief, bot sich Agrippa und den anderen ein atemberaubendes Bild. Der Jubel Tausender empfing ihn schon von Ferne und schwoll mit jedem Augenblick mehr an. Männer, Frauen, Kinder, Greise winkten und hüpften, reckten die Köpfe und weinten, als sie die ersten Umrisse ihres Königs auf dem Bug des Schiffes sahen. Was für eine Kulisse bildete die Stadt! Weißer Marmor, breite, saubere Straßen, ein ovales Theater, alles umrahmt von sattgrünen Zedernwäldern. Im Hintergrund leuchteten die Berge Samarias im Licht der hoch am Himmel stehenden Frühlingssonne.
Agrippa war überwältigt. Die Melancholie der letzten Tage war wie weggefegt. »Caesarea ist gewiss die schönste Stadt meines Landes«, hauchte er.
»Das lasse nicht die Leute hören«, flüsterte Salome ihm von hinten zu. »Caesarea ist überwiegend von Griechen bewohnt.«
»Na und?«
»Die schönste Stadt deines Landes muss offiziell immer Jerusalem sein.«
Er nickte wie ein lernbereiter Schüler, dann wandte er sich wieder der Menschenmenge auf den Molen zu und winkte. Das Freudengeschrei, das auf diese Geste folgte, war ohrenbetäubend, und als das Schiff anlegte, mussten Scharen von Soldaten eine Gasse freimachen, damit Agrippa überhaupt an Land gelangen konnte.
Erst jetzt, die begeisterten, verweinten, bewegten Gesichter vor Augen, begriff er, was er diesen Menschen bedeutete. Für sie war der Zustand höchsten Glücks erreicht. Der Prokurator war gegangen, mit ihm die Adler, die Standarten, die Steuereinnehmer, Legionäre, Tribunen und Centurionen, und Agrippa war das Symbol dieser neuen Freiheit und Reinheit des Heiligen Landes.
Salome reichte ihm von hinten den goldenen Reif der Könige, den Claudius ihm zwar ausgehändigt, Agrippa jedoch noch nicht ein einziges Mal aufgesetzt hatte.
»Seit Herodes hat ihn niemand mehr getragen«, sagte sie. »Es wird Zeit.«
Und erneut brach ein Beifallssturm los, als er ihren Rat befolgte und den Reif aufsetzte.
Einige Abgesandte aus Jerusalem begrüßten ihn überschwänglich und äußerten die Hoffnung, er werde bald die Hauptstadt besuchen.
»Ich freue mich schon, die schönste und ehrwürdigste Stadt meines Landes zu erblicken«, antwortete er, der Worte Salomes gedenkend.
Den Abgesandten der Griechen Caesareas hingegen kanzelte er ab, als dieser ihn darauf hinwies, dass diese gewaltige Anzahl von Juden, die nach Caesarea gekommen waren, einen Bruch der mit Kaiser Claudius vereinbarten Regeln darstellten.
»Stell dich nicht so an«, sagte Agrippa. »Es ist doch nur für heute.« Dann ging er weiter.
Salome hatte anschließend die größte Mühe, den aufgebrachten Griechen wieder zu beruhigen. Diese Minderheit in Judäa, die selbst jede Gelegenheit nutzte, um gegen die Juden zu sticheln, war äußerst empfindlich, wenn sie selbst etwas einstecken musste.
Es gelang Salome schließlich, einen Streit zu verhindern, indem sie verkündete, es sei dem König ein Verlangen, die Kosten für den nächsten Wettkampf in Caesarea zu übernehmen. Daraufhin weiteten sich die Augen des Abgesandten, er gewann sein Lächeln wieder und verbeugte sich sogar.
 
Agrippa wäre gern noch länger in Caesarea geblieben, denn hier fühlte er sich sowohl verehrt und gefeiert wie auch an Italien erinnert. Die Berge und die von Blütenstaub glänzenden Haine waren beinahe ein Abbild der Campagna, und die Bäder, Theater und cryptoportici, die Säulenhallen, hätten auch in Rom stehen können. Hier konnte er wieder lachen und trinken. In Jerusalem dagegen, das ahnte er, erwarteten ihn Protokoll und Pflicht.
Salome jedoch drängte zum Aufbruch. Derzeit flogen Agrippa alle Herzen zu, die Gelegenheit für erste wegweisende Regierungshandlungen war einfach zu günstig. Nur einige wenige Fehler, sei es nun in Caesarea oder sonstwo, könnten alles erschweren.
Nach vier Tagen gab er endlich nach. Ihre erste Station war Philippi, die Stadt, die als Idee in ihrem Kopf geboren und von Timon und Kallisthenes zu Stein gemacht worden war. Sie stand in ihrer Pracht Caesarea in nichts nach, aber ihren Glanz gewann sie nicht aus Monumenten, sondern aus ihren herzlichen Menschen. Die einstigen Sklaven und Erbauer stellten einen guten Teil der Bewohner, und diese jubelten Salome zu, als sie zum ersten Mal überhaupt Einzug im fertigen Philippi hielt.
»Wieso«, fragte Agrippa säuerlich, »rufen sie nur deinen Namen und nicht meinen?«
»Sie hatten noch keine Gelegenheit, mir zu danken.«
»Wieso kommen wir überhaupt hierher?«
»Weil ich noch keine Gelegenheit hatte, ihnen zu danken.«
Agrippa brummte etwas in sich hinein und ließ den zweitägigen Aufenthalt widerspruchslos über sich ergehen, doch es war unübersehbar, dass ihm das Aufhebens um Salome nicht gefiel, während er nur ehrenvoll und nicht begeistert begrüßt wurde.
Über Sepphoris, Tiberias, Jesreel und Jericho zogen sie gen Jerusalem. Die sonnenfahlen Felder Galiläas, die Segelboote der Fischer auf dem See Genezareth, die Reben des Jordantales, die Wüste … Für Agrippa war es eine Reise durch fremde Gegenden, die ihm vertraut werden mussten, damit er ein Gefühl für sein Königreich und das Volk bekam.
»Die meisten Juden sind einfache Bauern«, erklärte Salome. »Sie leben von Ackerland und Obstanbau, einige auch von Viehzucht. An den Seen leben Fischer, an der Küste die Kaufleute. Doch nicht jeder hat Arbeit. Viele Knechte haben nur zur Aussaat und Ernte zu tun und streifen in der übrigen Zeit auf der Suche nach Anstellung durch das Land. Als Hilfskräfte pflastern sie zum Beispiel Straßen – was miserabel bezahlt wird.«
»Was du alles weißt …«
»Vielen Dank. Du wirst mich allerdings noch verfluchen, denn wir haben viel Arbeit vor uns.«
 
Das Volk von Jerusalem bereitete Agrippa einen nicht weniger herzlichen Empfang als die Bürgerschaften in den Städten zuvor. Wie er jedoch bereits vermutet hatte, galt es hier, protokollarische Aufgaben zu erfüllen, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden durften. Am Fuß des Tempels erwarteten ihn bereits der Hohepriester, die kohen sowie die Tempelaufseher, Kämmerer und Schatzmeister. Ein Chor intonierte Psalmen, das Volk schwieg mit gesenkten Köpfen. Agrippa trat der Priesterschaft entgegen. Zu Füßen des Hohepriesters stand ein Korb mit Früchten und daneben zwei Knaben, die die Aufgabe hatten, ihn die Stufen hoch zum Tempel und dort zum Altar zu tragen, damit Agrippa die Früchte dem Einen Gott als Opfer darbringen konnte. Intuitiv nahm Agrippa den Knaben den Korb ab und trug ihn selbst die Stufen hinauf. Und wieder jubelte das Volk, so dass sogar die Psalmen nicht mehr zu hören waren.
Nach dem Opfer wandte Agrippa sich direkt an die Menschen. Den Tempel im Rücken, die Menschen zu Füßen, hielt er eine Rede. Er versprach, die einst eingestürzte Halle des Sanhedrin wieder aufzubauen, die Steuern maßvoll zu halten und keine Ungerechtigkeit in seinem Königreich zu dulden. Er versprach ein goldenes Zeitalter – und die Menschen glaubten ihm. Agrippa übertraf ihre sämtlichen Erwartungen.
Am Abend, als er mit Salome und der übrigen Familie im prächtigen Herodespalast eintraf, hatte der Jubel noch immer nicht aufgehört. Agrippa platzte beinahe vor Freude und Selbstbewusstsein. »Was soll denn schwierig an diesem Volk sein?«, fragte er. »Es sind wunderbare Menschen.«
Er trat zusammen mit seinem Sohn Agrippinos auf eine Terrasse, genoss ein weiteres Mal den Beifall der Menge und winkte ihr wieder und wieder zu. Dann bat er auch seine übrige Familie zu sich.
Wie oft hatte Salome sich früher gewünscht, ebenso umjubelt zu werden, doch es war ihr nie vergönnt gewesen. Die Versuchung, jetzt neben Agrippa zu treten und ein wenig von seinem Glanz abzubekommen, war groß, denn sie hatte ihren Anteil daran, dass er König geworden war und als Retter Judäas galt. Doch sie vergaß die Worte Efraims nicht: Bleibe verborgen! Sei ein unsichtbarer Geist! Sie musste lernen, damit zu leben, nie wieder in der hellen Sonne der Macht zu stehen, sondern immer nur im Schatten zu dienen.
Salome und Gilead blieben ein Stück hinter Agrippa zurück, um von unten nicht gesehen zu werden.
Der König strahlte über das ganze Gesicht. »Ich bin auf dem Gipfel angekommen, Salome. Auf dem höchsten Gipfel.«
Salome erwiderte nichts, um Agrippa die Laune nicht zu verderben. Sie wusste aber, dass jemand, der auf dem Gipfel stand, vom Abgrund umgeben war.
 
Natürlich ebbten die Feierlichkeiten und Freudenfeste irgendwann ab. Was blieb, war die Zuversicht der Menschen, dass alles nun besser würde, und ein großes Interesse an den Entscheidungen, die der König traf. Einerseits versprach diese Aufmerksamkeit des Volkes eine schwungvolle Beteiligung in der Umsetzung etwaiger Maßnahmen, andererseits lag eine umso schwerere Verantwortung auf Agrippa. Wie sollte er die Probleme lösen? Und welche sollte er lösen? Wo durfte er reformieren und wo lagen die Stolperfallen? Wenn er bei kniffligen Fragen nicht weiter wusste, fragte er Salome um Rat und ließ sich von ihr auch gerne auf neue Ideen bringen. Ihre Besprechungen hielten sie nie vor dem Hohepriester, dem Schatzmeister oder anderen Beamten ab – Agrippa wollte Selbständigkeit beweisen. Salome vermutete noch einen weiteren Grund, dass es ihm nämlich peinlich war, von einer Frau beraten zu werden, noch dazu von einer Nichte. Meistens also kamen sie am Vorabend seiner Besprechungen zusammen, was zweimal wöchentlich geschah. Ausreichend Zeit für Salome, nach Missständen Ausschau zu halten und Verbesserungen vorzuschlagen.
»Du solltest dir einmal die Monopole ansehen, Agrippa.«
»Monopole?«
»Einige Familien besitzen für Herstellung oder Verkauf bestimmter Waren Monopole, die ihnen vor vielen Jahrzehnten gewährt wurden. So besitzt zum Beispiel die Familie Garmo das Monopol für die Zubereitung der Schau- und Opferbrote für den Tempel.«
»Ich soll mich um Brote kümmern?«
»Es handelt sich über das Jahr gerechnet um zweitausend Brote, und jedes einzelne kostet das Zwanzigfache eines Brotes von anderen Bäckern. Die Kosten für diese umgerechnet vierzigtausend Brote trägt nicht der Tempel, sondern deine Staatskasse. Das Gleiche gilt übrigens für das Weihrauchmonopol der Familie Abtinas. Du solltest die Monopole aufheben und allen Bäckern und Weihrauchhändlern damit einen Gefallen tun.«
Er nickte bereitwillig, denn wo es um den Ausbau seiner Beliebtheit ging, war Agrippa für alles zu haben.
Ein anderes Anliegen trug sie schon seit Jahrzehnten mit sich herum, da es nur ein König umsetzen konnte. Wenige Wochen nach der Ankunft in Jerusalem trug sie es Agrippa vor.
»Ein Mann kann sich von seiner Frau scheiden lassen, indem er ihr einen Scheidebrief zuschickt, den gittin. Eine Frau hingegen kann sich nicht einmal dann scheiden lassen, wenn ein Gericht ihr im Grunde Recht gibt.«
»Warum?«
»Ohne Einwilligung des Gatten ist bisher keine Scheidung möglich.«
»Kann ich das überhaupt ändern?«
»Du brauchst die Einwilligung des Sanhedrin, aber wenn du die Priestergehälter erhöhst, bekommst du die leicht.«
Er rieb sich den flaumigen Bart, den er sich seit einiger Zeit wachsen ließ. »Ob eine Änderung den Männern gefallen wird?«, fragte er unsicher.
»Den Frauen wird sie gefallen. Es geht ja vorerst nur darum, dass eine Ehe aufgelöst werden kann, wenn die Frau es beantragt und ein Gericht zustimmt.«
Er seufzte. »Meinetwegen. Können wir zum Ausgleich noch etwas beschließen, das den Männern gefällt? Ich muss an meine Beliebtheit denken.«
Sie zwinkerte schelmisch. »Da fällt mir bedauerlicherweise nichts ein.«
In den folgenden Monaten fielen ihr stattdessen viele andere Verbesserungen ein. In den heiligen Schriften wimmelte es von Regeln für den Alltag, zum Beispiel, wie Bauern ihre Böden umzugraben hatten oder wie man den Brandschutz in den Städten handhaben musste. Salome hatte nie verstanden, weshalb Gott sich für die Höhe von Häusern interessieren sollte, und sie empfahl Agrippa, die Gesetzeswerke daraufhin zu überarbeiten. Hier stieß er allerdings auf den ersten Widerstand des Sanhedrin, vor allem den der Pharisäer, die sich seit Jahrzehnten erfolgreich bemühten, das Regelwerk stetig zu erweitern – zum Wohlgefallen des Herrn, wie sie sagten. Dieses Argument allein reichte, um ihre Anhänger im Volk zu überzeugen, dass alle diese Regeln einen Sinn ergaben. Schließlich konnten sich hundert Prediger Gottes unmöglich irren! Ein Ketzer, wer dem widersprach! Agrippa hatte es schwer mit den Pharisäern, und zum ersten Mal seit seinem Eintreffen in Judäa musste er sich anhören, gottlos zu sein, ja, sie gingen sogar so weit, im Sanhedrin zu beantragen, dass Agrippa vorerst den Tempel nicht mehr betreten dürfe. Er erschrak zutiefst und warf Salome vor, ihn falsch beraten zu haben.
»Ein König muss tun, was seinem Volk nutzt«, erwiderte sie. »Nicht, was Religionsführern gefällt.«
»Und was meinem Volk nutzt, das bestimmst also neuerdings du, ja?«
»Wenn du deinem Volk weiterhin jeden Gang zum Abort vorschreiben willst, ist das deine Sache. Phantasie und Wissenschaft werden sich dann in deinem Königreich allerdings nie entwickeln.«
»Aber sie wollen die Reformen doch überhaupt nicht.«
»Sie wollen sie nicht, weil sie Angst vor ihnen haben. Und sie haben Angst vor ihnen, weil sie sie nicht kennen. Wenn sie erst einmal mit den Änderungen leben, werden sie feststellen, dass Gott nicht die Erde aufreißt und Judäa verschlingt, nur weil die Abfallbeseitigung künftig im Ermessen der Städte liegt.«
Agrippa setzte einige Änderungen widerwillig durch, weil er sein Gesicht nicht verlieren wollte. Ihren künftigen Empfehlungen stand er allerdings wesentlich skeptischer gegenüber.
»Allgemeiner Unterricht an Schulen?«
»Jawohl. Geometrie, Rhetorik, Naturwissenschaften, Geschichte, Medizin … alles, was auch in Griechenland und Rom gelehrt wird. In Philippi und Ashdod habe ich solchen Unterricht schon vor langem eingeführt.«
»Es heißt hierzulande, diese Wissenschaften seien profan.«
Salome kannte dieses Argument noch aus ihrer eigenen Schulzeit im cheder von Zacharias. »Wie kann etwas, das uns die Welt besser verstehen lässt, profan sein?«
»Warum das Volk mit fremden Lehren in seinem Glauben verunsichern?«
»Darauf wüsste ich tausend Antworten. Hier nur eine: Wenn sich ein Glaube dadurch erschüttern lässt, dass die Menschen verstehen, wie ihr Körper funktioniert oder wer Alexander der Große war, dann scheint dieser Glaube schon vorher brüchig gewesen zu sein, meinst du nicht?«
Letztendlich brachte Agrippa zwar den Vorschlag vor den Sanhedrin, holte sich dort jedoch eine schroffe Ablehnung, schon deswegen, weil er nicht entschieden genug auftrat. Hatten die Pharisäer anfangs geglaubt, Agrippas Ideen seien auf sein Leben in Rom zurückzuführen, kamen sie nun dahinter, dass im Grunde nicht seine Stimme zu ihnen sprach, sondern die seiner Nichte. Sie trachteten fortan danach, Salomes Einfluss zu schmälern, wussten jedoch nicht, wie. Zudem tappten sie immer wieder in Fallen, die ihnen Salome stellte. Kurz nachdem die Pharisäer Agrippa eine Abfuhr mit seinem Schulgesetz erteilt hatten, ließen sie sich dazu überreden, dass nur jene Schulen frei von profanem Lehrstoff bleiben mussten, in denen Rabbiner unterrichteten. Das waren alle, daher stimmten sie dem neuen Text zu. Als Salome kurz darauf aus eigenen Mitteln je eine Mädchenschule in Jericho, Jebna und Hebron gründete, in denen jüdische Gelehrte aus der Diaspora heidnische Wissenschaften unterrichteten – was dazu führen würde, dass einige junge Frauen bald mehr von der Welt verstanden als gleichaltrige Männer -, fühlten sie sich hintergangen. Ihr Ärger über die listige Herodianerin, die im Volk nicht wenige »die Löwin« nannten, steigerte sich allmählich zur Wut.
Wenn Salome keine Gesetzestexte auf Missstände überprüfte, die Rechte der Frauen stärkte oder umfangreiche Korrespondenz mit der Diaspora führte, um dortige Gelehrte nach Judäa zu holen, machte sie Ausflüge mit Berenike und den Kindern. Agrippa schloss sich ihnen selten an, aber er hatte nichts dagegen, dass Agrippinos mit ihnen ging. Er selbst bevorzugte es, sich einige Tage in Caesarea, Apollonia oder anderen vorwiegend von Griechen bewohnten Küstenstädten zu amüsieren, denn hier durfte er die strengen Regeln der thora, die auch für Könige galten, etwas lockerer handhaben als im heiligen Jerusalem.
Sukkot, das herbstliche Laubhüttenfest im Monat tishri, feierten Salome, Berenike und die Kinder daher nur zu viert auf dem Land. Die beiden Frauen reisten in Sänften, Gilead und Agrippinos dagegen galoppierten auf ihren jungen Pferden die staubigen Wege entlang.
»Nicht so schnell«, mahnte Salome ihren Sohn, sobald er ausnahmsweise einmal in Rufweite kam, doch es half wenig.
»Er ist ein Wildfang«, lachte Berenike. »Das bekommst du nicht aus ihm heraus.«
Salome lächelte. Gilead erinnerte sie tatsächlich häufig an Timon. Die schwarzen Haare und Augen hatte er zwar von ihr, doch die helle Haut und die schlanke, sehnige Gestalt stammten eindeutig von Timon. Auch Gileads verhältnismäßig kleine Statur rührte vom Vater. Er war verglichen mit Kindern seines Alters beinahe einen halben Kopf kleiner, doch er glich dies durch besondere Aufgewecktheit und Abenteuerlust aus. Agrippinos war weit vorsichtiger als Gilead, und so kam es, dass er trotz seines Altersvorsprungs selten derjenige war, der den Ton angab, sondern sich häufig von Gilead mitreißen ließ.
Sie gelangten auf eine herrliche, weite Wiese, aus der sich bei jedem Schritt Schmetterlingsschwärme erhoben. Dort stellten sie die Körbe ab, breiteten Decken aus und holten alle Speisen hervor, die der Erntesegen in diesem Jahr Judäa geschenkt hatte: Trauben, Granatäpfel, aromatische Salate, Süßspeisen aus Feigen …
»Halt«, rief Salome den Kindern zu, »noch nicht essen.«
»Wir haben Hunger.«
»Erst brauchen wir ein traditionelles sukkot-Gebinde auf unserer Tafel, bestehend aus vier verschiedenen Zweigen. Von einer Myrte, weil sie wohlriechend ist, von einer Dattel, weil ihre Früchte wohlschmeckend sind, von einem Zitrusbaum, weil er sowohl wohlriechend wie auch wohlschmeckend ist, und von …«
Berenike übernahm für sie. »Und von einer Bachweide, die zwar weder wohlriechend noch wohlschmeckend ist, dafür aber nützlich. Alle vier sind unerlässlich fürs Leben. Die Weisheit ist …«
Gilead und Agrippinos sahen sich ratlos an, und die Freundinnen riefen gleichzeitig: »Kein Mensch ist unnütz.«
Dann fielen die Frauen rücklings ins Gras und lachten, während die Jungen sich auf die Suche nach den Zweigen machten.
Salome und Berenike kicherten wie Mädchen. Vor vielen Jahrzehnten waren sie diejenigen gewesen, die die Weisheiten des jüdischen Glaubens vorgebetet bekommen hatten. Allerdings waren ihre Väter dabei wesentlich ernster vorgegangen. Salome und Berenike achteten heutzutage zwar viele der Bräuche – sie tauchten zum Beispiel jedes neue Geschirr im Palast eigenhändig in einen Brunnen -, doch für sie war es mehr ein Spaß als eine heilige Handlung.
»Du konntest die Sprüche deines Vaters nicht ausstehen«, erinnerte sich Berenike. »Und du hast auf der Suche nach den Zweigen geschummelt.«
»Wie bitte?«, fragte Salome in gespielter Empörung.
»Jawohl! Du hast dir die Zweige bereits im Palast gepflückt und unter das Gewand gesteckt. So warst du immer früher als wir anderen mit deinem Gebinde fertig und konntest dich über das charosseth hermachen.«
»Danach hatte ich immer Bauchschmerzen.«
»Und du tatest mir dann sogar noch Leid. Schön dumm von mir!«
Salome blickte ihre Freundin liebevoll über das sattgrüne Gras an. »Im Gegenteil. Damals habe ich mir oft gewünscht, etwas von deiner Güte und Sanftmut zu haben, und heute ist das manchmal auch noch so. Weißt du, diese vielen Pläne, die ich hatte, kamen mich teuer zu stehen.«
»Und wohin hat meine Sanftmut mich gebracht?«, widersprach Berenike. »Nein, Salome, so darf man sein Leben nicht betrachten. Natürlich hast du einiges verloren, andererseits auch vieles gewonnen. Gilead, vor allem, außerdem ein glückliches Ashdod und schließlich Philippi. Du hast etwas, worauf du stolz sein kannst. Was mich angeht: Ich bin zufrieden wie nie zuvor. Durch das neue Scheidungsgesetz konnte ich die letzte Verbindung zwischen Kephallion und mir endlich kappen. Ich bin eine freie Frau. Und ich werde Menahem heiraten.«
Salome gefiel der neueste Plan Berenikes nicht, diesen Menahem zu heiraten. Zwar hatten die Bluttaten aufgehört, und der Sektenführer Sadoq hatte kürzlich sogar verlautbaren lassen, er werde die Zeloten bald auflösen, da ihr Ziel eines von Rom befreiten Judäas vollbracht sei, doch Salome traute dem neuen Frieden im Land noch nicht.
Berenike bemerkte Salomes Skepsis. »Er hat mich vor Kephallion gerettet.«
»Er ist ein Zelot.«
»Ein gemäßigter Zelot.«
»Das ist ein Widerspruch in sich, so als würde man sagen ›himmlische Unterwelt‹ oder ›milder Hass‹.«
»Du selbst hast Agrippa dazu überredet, die Zeloten schon bald zu begnadigen.«
»Ja, damit in diesem Land endlich die Gewalt aufhört. Nichtsdestotrotz diente dein Menahem jahrzehntelang einem Verrückten.«
»Sadoq ist nicht verrückt. Er will Frieden und Freiheit.«
»Dann hat er eine seltsame Art, seinem Willen Ausdruck zu verleihen.«
»Kephallion hat ihn zu einigen falschen Entscheidungen überredet.«
»Dann ist Sadoq nicht nur verrückt, sondern auch beeinflussbar, und solche Menschen sind im höchsten Grade gefährlich.«
»Nackte Frauen, die tanzen, können auch gefährlich sein.«
Berenike bereute im nächsten Moment ihre Worte und schlug sich die Hand vor den Mund. »Das hätte ich nicht sagen dürfen, Salome. Bitte verzeih.«
Salome richtete sich halb auf und blickte ihre Freundin mit todernster Miene an. »So leicht kommst du mir nicht davon«, sagte sie eisig.
»Es tut mir Leid. Ein Wort hat das andere gegeben.«
»Weißt du, wie ich vor vielen Jahren Timon bestraft habe, als er mich beleidigte?«
Berenike schluckte. »Nein, wie?« Im nächsten Moment klatschte ihr ein klebriger Klumpen charosseth ins Gesicht.
»So!«, sagte Salome lachend. »Da hast du jetzt das charosseth bekommen, das dir als Kind entgangen ist.«
Ehe sie sich’s versah, klatschte Berenike ihr eine Hand voll des süßen Breis ins Gesicht, woraufhin die beiden sich lachend und kreischend mit Datteln und Trauben bewarfen und bald wie die Spätsommerwiese in allen Farben leuchteten.
Als Gilead und Agrippinos zurückkamen, trauten sie ihren Augen nicht. »Werden wir auch mal so?«, fragte Agrippinos.
Gilead lächelte. »Hoffentlich.«
Und dann stürzten sie sich in die Schlacht.
 
Der Winter kam in diesem Jahr ungewöhnlich früh und heftig nach Nazareth. Eisige Stürme peitschten über die Hochebenen Galiläas, denen schon bald die Stille des Schnees folgte. Das Leben ruhte. Bauern und Handwerker saßen untätig in ihren Häusern, Märkte schlossen, und Soldaten und Polizei gingen nicht mehr auf Streife. Durch den Schnee konnte man kaum vorankommen. Nur einer kämpfte sich auf seinem Pferd durch die Täler bis nach Nazareth hinein.
Sadoq schloss eilig die Tür hinter seinem Gast, und zwar nicht nur wegen der Kälte.
»Du hättest nicht kommen dürfen«, sagte er.
»Warum? Hast du Angst vor mir?« Kephallion wartete nicht ab, bis Sadoq ihm anbot, den Mantel abzulegen, sondern warf ihn über das nächstbeste Möbelstück. »Ich hätte viel mehr Grund, Angst vor dir zu haben als umgekehrt. Schließlich hast du mich damals verraten.«
Sadoq schüttelte den Kopf. »Nicht, bevor du mich verraten hast.«
Kephallion grinste. »Geschichten von vorgestern, Sadoq. So etwas sollte nicht länger zwischen uns stehen.« Er ging zum wärmenden Kohlenbecken und rieb sich die Hände. Er kannte die Kälte noch von früher, doch in den letzten Jahren hatte er in Arabien gelebt, wo die Römer ihm nichts anhaben konnten. Was für ein grauenhaftes Leben hatte er dort geführt! Er, ein judäischer Prinz, ein Diener Gottes, beinahe mittellos in einem Land voller Ungläubiger. Wie sehr hatte er diese Jahre gehasst. Und wie sehr hasste er jene, die an seinem Martyrium schuld waren. Er würde es ihnen allen heimzahlen: Berenike, Menahem, den Römern und – auch Sadoq. Der, den er früher für den Messias angesehen hatte, war für ihn jetzt nur noch ein gewöhnlicher Greis ohne Rückgrat, ein Verräter aus Schwäche. Nicht nur, dass Sadoq sich damals gegen seinen treuesten Anhänger gewandt hatte, gegen ihn, heute wandte Sadoq sich sogar gegen die Bewegung als Ganzes, gegen die zelotische Idee, denn er plante die Auflösung der Sekte. Als Kephallion in seinem arabischen Exil davon gehört hatte, war ihm die Erleuchtung gekommen – im wahrsten Sinne des Wortes. Welch einem Irrtum war er so viele Jahre aufgesessen! Wie blind war er doch für den wahren Willen des Herrn gewesen! Nicht Sadoq war der Messias, der große Befreier des Volkes, sondern er selbst war es, Kephallion. Er war dazu bestimmt, den Staat Gottes zu errichten.
Aber mit dieser Erleuchtung war ihm auch die Erkenntnis gekommen, dass er raffinierter und geduldiger als damals vorgehen musste, um das erhabene Ziel zu erreichen. Zunächst einmal musste er wieder in die Führungsriege der Zeloten aufgenommen werden, denn nur von dort aus konnte er weiterkommen.
»Ich habe damals Fehler gemacht«, räumte er ein. »Heute sehe ich die Dinge anders, das musst du mir glauben.«
Sadoq setzte sich müde auf ein Bodenkissen. »Was macht das für einen Unterschied, ob ich dir glaube oder nicht? Die Schlacht ist geschlagen, unser Kampf ist zu Ende. Der Zweck, weshalb ich die Zeloten einst gründete, hat sich erfüllt. Judäa ist frei. Ich warte nur noch auf die Bestätigung, dass alle Zeloten begnadigt werden, dann löse ich die Sekte auf. Ich rechne noch in diesem Monat mit der Amnestie des Königs.«
Des Königs, dachte Kephallion bitter. Warum fiel das Volk bloß auf diesen so genannten König herein? Agrippa war doch eher ein Römer denn ein Jude, eingesetzt vom römischen Kaiser, dazu ein Sünder, der lieber in Caesarea seichten Vergnügen frönte, als von Jerusalem aus Judäa zu einem starken Staat zu machen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie gottlos Agrippa war, dann musste man sich nur ansehen, welche Gesetze er in den letzten Monaten beschlossen hatte: Rechte für Frauen, Bruch der Traditionen, und alles unter dem Einfluss der Heidenhure Salome.
»Gewiss, die Römer sind abgezogen, Sadoq, aber was wäre, wenn Judäa nun von anderer Seite Gefahr drohte?«
Sadoq runzelte die faltige Stirn. »Ich verstehe nicht. Von welcher Seite?«
»Antworte mir. Warum hast du die Zeloten gegründet?«
»Wegen der Römer.«
»Es waren doch nicht nur Römer, die deinen Freund Zelon umgebracht haben. Verräterische, vom Glauben abgefallene Juden wie Archelaos waren ebenso beteiligt gewesen. Sind solche Juden nicht ebenso unsere Feinde wie die Römer? Sind sie nicht noch viel gefährlicher, weil sie unseren Glauben unterwandern?«
»Schon richtig. Aber diese Zeiten sind längst vorbei, Kephallion. Agrippa mag nicht unser Idealkönig sein, aber er ist kein Verräter an unserem Glauben.«
»Ich spreche nicht von Agrippa«, orakelte Kephallion. »Im Gegenteil. Wenn ich dir nun sagen würde, dass Agrippa die Zeloten bald schon bräuchte, um eine Gefahr vom Volk abzuwehren, würdest du dich dann diesem Auftrag verweigern? Und würdest du meinen Beistand in diesem Kampf ablehnen?«
Sadoq verstand überhaupt nichts mehr. »Natürlich nicht«, antwortete er. »Er bittet uns, ihm zu helfen?«
»Er wird, Sadoq, er wird. Erst muss ich Kontakt zu den Pharisäern aufnehmen, dann …«
»Den Pharisäern?«
Kephallion grinste. »Bevor ich dir erzähle, worum es geht, trinken wir erst einmal einen guten heißen Tee.«
Salome beugte sich in ihrem Gemach über den Plan der heiligen Stadt und studierte ihn eingehend. Agrippa hatte sich in den Kopf gesetzt, Jerusalem ein großartiges Bauwerk zu schenken, das auf immer mit seinem Namen verknüpft werden sollte. Das war schwierig, denn Jerusalem hatte von Herodes und seinen Vorgängern bereits alles bekommen, was eine Stadt sich wünschen konnte: Paläste, Festungen, Türme, Heiligtümer … Was Monumentalbauten anging, stand Jerusalem Städten wie Alexandria und Antiochia in nichts nach. Was hingegen fehlte, waren eine gute Wasserversorgung und gepflasterte Straßen – die Gassen der Unterstadt wurden jeden Winter zu Schlammlöchern. Doch davon wollte Agrippa nichts wissen. Als sie ihm einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet hatte, hatte er sie angesehen, als sei sie nicht mehr ganz richtig im Kopf. Er wollte nicht, dass sein Name in hundert Jahren mit simplen Wasserleitungen oder ein paar Pflastersteinen verknüpft würde. Ihm schwebte ein Jahrtausendwerk vor.
»Jahrtausendwerk, lächerlich«, murmelte Salome, als ihr Blick über den Stadtplan huschte. Sie hatte für diesen aberwitzigen und kostspieligen Plan insgeheim nur Hohn übrig. »Warum nicht gleich ein Jahrmillionenwerk, warum nicht den Turm zu Babylon neu errichten oder Jerusalem in Agrippopolis umbenennen?« Natürlich war sie diplomatischer vorgegangen, als sie versucht hatte, Agrippa diese Idee auszureden – vergeblich. Wenn also schon monströs gebaut werden musste, dann wenigstens etwas Sinnvolles. Ihr Zusammenleben mit Timon und der Bau Philippis hatten ihr Auge für Pläne und Bauwerke geschärft, doch ihr wollten nur Gebäude einfallen, die auch einen praktischen oder künstlerischen Zweck erfüllten, oder solche, die nur von Nichtjuden genutzt würden, wie zum Beispiel eine Therme. Agrippa bestand dagegen auf etwas, das die Herzen des jüdischen Volkes erfreuen würde.
Ihr Finger glitt auf der Karte langsam von Norden nach Süden, über die Hügel Golgatha und Ophel, über Oberstadt und Unterstadt und wieder zurück. Es war zum Verzweifeln. Das Einzige, was ihr einfiel, war ein Mausoleum für die kommenden Könige, aber ob Agrippa so begeistert davon wäre, jetzt schon sein künftiges Grabmal …
»Ich hatte die Möglichkeit, dich zu töten«, raunte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Sie fuhr erschrocken herum.
»Kephallion!«
Er grinste. »Ich bin gerührt, dass du mich nach all den Jahren sofort erkennst.«
Für einen Augenblick war es, als blicke sie einen Geist an. Sie hatte diesen Mann, der früher sie und dann Berenike gepeinigt hatte, völlig vergessen. Seine Züge waren noch ausgeprägter als damals: pralle Backen und zwei tiefe Furchen an der Nase entlang, die Augen in tiefen Höhlen liegend, ein kleiner dicklippiger Mund, der schon seit langer Zeit nicht mehr ehrlich gelacht zu haben schien – das Gesicht eines Menschen, der nur für eine einzige Idee lebte.
»Deine Fratze würde ich immer erkennen, und wenn du fünf Masken trügest«, erwiderte sie scharf. Sie hatte sich schnell vom ersten Schreck erholt und blickte Kephallion misstrauisch an.
»Zuletzt haben wir uns in Tiberias gesehen«, fuhr er fort. »Das waren noch Zeiten, was? Zur Einweihung der Stadt stand ich hinter dir und dem Römer, und beinahe hätte ich zugestoßen.«
»Du warst schon immer ein Feigling«, parierte sie und genoss das kurze zornige Aufblitzen in seinen Augen.
»Unverschämt wie je«, stellte er mit falschem Grinsen fest.
Salome war angewidert von ihm. Seine Verbrechen fielen unter die Amnestie, dagegen war nichts zu machen. Sie würde jedoch verhindern, dass er wieder den Status eines Prinzen von Judäa bekäme und womöglich in den Palast einzöge.
»Was willst du hier? Berenikes Hochzeit verhindern? Das wird dir nicht gelingen. Sie ist rechtmäßig von dir geschieden und kann heiraten, wen sie will.«
»Mir ist sogar recht, dass sie Menahem heiratet. Dann leben sie zusammen und ich kann die beiden irgendwann – besuchen. Das macht vieles einfacher für mich.«
»Ich rate dir gut, die beiden in Ruhe zu lassen, sonst …«
Er lachte schallend. »Die Prinzessin droht mir. Ich zittere, oh, siehst du, wie ich zittere?« Er ging einen Schritt auf sie zu.
Sie wich instinktiv zurück und griff nach einem Gegenstand.
»Nicht doch«, sagte er. »Du denkst doch wohl nicht, ich würde Hand an dich legen? Jetzt bin ich enttäuscht. Nein, das wäre billig und einfallslos. Ich habe mir etwas viel Besseres für dich überlegt. Nacheinander werde ich dir alles nehmen, was dir noch etwas bedeutet. Mit deinem Einfluss auf Agrippa fange ich an.«
»Ich lasse dich auf der Stelle aus dem Palast werfen.«
Wieder lachte er. »Typisch Salome, impulsiv bis ins Grab. Ich gebe dir einen Rat. Das mit dem Rausschmiss solltest du besser bleiben lassen, denn ich bin auf Einladung des Königs hier. Noch in dieser Stunde habe ich eine Besprechung mit ihm, dem Hohepriester und einem Führer der Pharisäer.«
»Mit … Agrippa?«, fragte sie verwundert.
»Soweit ich weiß, ist er der König – noch jedenfalls. Er zählt auch zu den Dingen, die ich dir eines Tages nehmen werde, ebenso übrigens wie deine Freundin und …« Er machte eine Pause und funkelte sie gemein an. »Ich habe eben dein niedliches Söhnchen getroffen. Dafür, dass er ein Hurensohn ist, sieht er erstaunlich jüdisch aus. Für mich ein Zeichen, dass jüdisches Blut stärker ist als griechisches. Dennoch bleibt der Bursche ein Bastard, und niemand wird ihm eine Träne nachweinen, wenn ich ihn eines Tages …«
Ihre Ohrfeige hallte wie ein Peitschenknall durch das Gemach. »Wenn du ihn auch nur schief ansiehst«, flüsterte sie, »wirst du es bereuen. Das schwöre ich dir, chamor
Kephallion rieb sich die feuerrote Wange. »Der Letzte, der mich so genannt hat – mein Vater, wie du weißt – starb mit meinem Dolch im Rücken. Du wirst länger leiden, Hure, das schwöre ich dir.«
Salome wartete, bis Kephallion den Raum verlassen hatte, dann erst setzte sie sich und atmete tief durch. Sie gestand es sich nicht gerne ein, aber Kephallion hatte es geschafft, sie aufzuregen. Seine Drohungen, seine unheimlichen Andeutungen bezüglich Gilead und Agrippa … Und dann diese seltsame Besprechung: der König, die Zeloten, die Pharisäer. Eine beunruhigende Konstellation. Schon die Tatsache, dass zwei verfeindete Sekten bei Agrippa zusammentrafen, verwirrte sie.
Kephallion hatte immer schon eine Spur von Gewalt hinterlassen, wo er stand und ging. Wenn er nach Jerusalem gekommen war, dann nur, um Verderben zu bringen.
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
cover.html
walz_9783641023393_oeb_cover_r1.html
walz_9783641023393_oeb_toc_r1.html
walz_9783641023393_oeb_fm1_r1.html
walz_9783641023393_oeb_ata_r1.html
walz_9783641023393_oeb_fm2_r1.html
walz_9783641023393_oeb_ded_r1.html
walz_9783641023393_oeb_fm3_r1.html
walz_9783641023393_oeb_fm4_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p01_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c01_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c02_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c03_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p02_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c04_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c05_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c06_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c07_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p03_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c08_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c09_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c10_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c11_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c12_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p04_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c13_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c14_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c15_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p05_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c16_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c17_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c18_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p06_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c19_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c20_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c21_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c22_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p07_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c23_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c24_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c25_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c26_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p08_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c27_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c28_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c29_r1.html
walz_9783641023393_oeb_p09_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c30_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c31_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c32_r1.html
walz_9783641023393_oeb_c33_r1.html
walz_9783641023393_oeb_bm1_r1.html
walz_9783641023393_oeb_bm2_r1.html
walz_9783641023393_oeb_bm3_r1.html
walz_9783641023393_oeb_cop_r1.html