21
Jemand hatte irgendwann den Stein aus der Wand gelöst und dahinter eine Mulde in den Lehm gegraben, dann den Stein wieder eingesetzt und auf diese Weise ein Geheimfach geschaffen. Nun war der Hohlraum jedoch gerade so groß, dass Sandros oder Angelos Faust hineinpasste, Forlis Faust bereits nicht mehr.
»Na, Carissimi, was sagt Ihr?«
Forli ließ absichtlich jenen Teil weg, der sich mit der Art und Weise der Entdeckung befasst hätte. Das hätte den Ruhm geschmälert und Angelo in Erklärungsnot gebracht, weil er Gisbert hart angepackt hatte. Forli warf Angelo einen verschwörerischen Blick zu. »Eigentlich hat Angelo den größeren Anteil an der Entdeckung als ich. Der Junge hat Talent und Mut, das richtige Händchen sozusagen. Einen besseren Assistenten hättet Ihr nicht kriegen können. Wenn Ihr nicht aufpasst, läuft er Euch den Rang als Schürzenjäger ab. Haha. Die Weiber sind ganz wild auf Jungs wie ihn.«
Weder Carissimi noch Angelo sahen aus, als würden sie das Thema vertiefen wollen, also blickte Forli zum zehnten Mal in das Loch.
»Vielleicht hat Johannes Geld da drin versteckt gehabt«, schlug er vor.
»Schwerlich, Forli«, widersprach Carissimi. »Wir wissen, er hatte dreihundertfünfzig Dukaten in Gold geholt, von denen er dann fünfzig an Rosinas Bruder Franco zahlte, und zwar im Hinterhof. Blieben dreihundert Dukaten, und die passen nicht in die kleine Mulde.«
»Der Beutel, den ich bei Rodrigues gesehen habe«, ergänzte Angelo, »war bedeutend größer als die Mulde.«
Forli sagte: »Wein kann es auch nicht gewesen sein, der passt noch viel weniger da rein. Wie wär’s mit Briefen? Oder ein früherer Bewohner hat das Geheimfach gegraben, und Johannes wusste nichts davon. Wäre doch möglich.«
Möglich war viel. Jeder neue Hinweis schien die Ermittlungen eher zurückzuwerfen, als voranzubringen. Die Mulde, das Geld, die konspirative Wohnung, Giovannas letzte Worte - wer hatte wem nicht geholfen? wobei nicht geholfen? - und nun auch noch die Sache mit Birnbaum.
»Ich habe das Gefühl, wir sind nahe dran«, behauptete Carissimi.
»So? Das sehe ich anders. Wenn Birnbaum das Opfer werden sollte, dann müssen wir sowieso wieder ganz von vorn anfangen«, murrte Forli. »Andererseits - warum hat der Mörder später nicht ihn, sondern Giovanna und de Soto umgebracht?« Forli hasste Verbrechen, die nicht stark und mächtig und übersichtlich wie ein Baumstamm waren, sondern sich verästelten wie Brombeergestrüpp. Und er hasste zu langes Schweigen, so wie jetzt.
»Ich sage euch was. Wir lassen den Wasserbecher und die Mulde einfach mal beiseite und nehmen uns jetzt, wie wir’s vorhatten, diesen Rodrigues vor.«
Glücklicherweise waren alle mit seinem Vorschlag einverstanden.
 
Unglücklicherweise fieberte Miguel Rodrigues. Als sie in sein Zimmer traten, lag er schweißgebadet auf dem Bett und warf den Kopf hin und her. Seine Augen waren geöffnet, doch er schien nichts von dem wahrzunehmen, was um ihn herum passierte. Gelegentlich stieß er unzusammenhängende Wörter aus: tausend Lichter, herrlich, herrlich, die Leute, Ehrfurcht, großes Schweigen in der Nacht, heilig, Wunden, fünf Wunden, der Schmerz, der Rücken aus Feuer, tausend Lichter, Gesang der Engel, Zahn des Heiligen, wunderbar, o wunderbar, aber was, was ist das, ah, ah, nein, nein, bitte nicht, Judas, Spaltung, Onkel, will nicht, o bitte, Bruder Luis, will nicht, Johannes, das Kainsmal, Rache des Herrn, Ungehorsam, schrecklicher Ungehorsam.
»Der hatt’se schon vorher nicht mehr alle gehabt«, sagte Forli und tippte sich an die Schläfe. »Bei Fieber ist es dann ganz aus.«
Der Zustand von Miguel Rodrigues war so bedenklich, dass man Magister Duré rief, der dem Kranken eine Salbe aus Malven- und Holunderblüten auftrug und kalte Umschläge machte. Einen Aderlass lehnte er zu diesem frühen Zeitpunkt ab, weil das Fieber nicht körperlicher, sondern geistiger Natur sei.
»Und der Quacksalber«, sagte Forli, als Duré gegangen war, »sollte sich auch gleich mal was auf die Brust schmieren. Blödes Gerede. Geistiges Fieber, wo gibt’s denn das? Nur bei Mönchen, wie? Die sind alle zu weich.«
»Rodrigues hat gerade seinen Mentor verloren, Hauptmann«, wandte Angelo ein.
»Na und? Wenn ich einen Mentor hätte - schon das ist ein lächerlicher Gedanke, ich bin mein eigener Mentor, aber angenommen, ich hätte einen -, würde ich wegen dessen Tod doch kein geistiges Fieber kriegen. Angenommen, einer von euch beiden stürbe, na, dann ginge ich drei Tage und Nächte in die Taverne, leerte ein Fass, und fertig.«
»Das ist uns ein großer Trost, Hauptmann. Jetzt sehe ich meinem Tod gleich viel gelassener entgegen.«
»Fein, Angelo, ich meine ja bloß. Gib mir drei Monate. Wenn ich den Portugiesen drei Monate unter meinen Fittichen hätte, hätte es sich ein für alle Mal ausgefiebert, ganz bestimmt.«
Doch auch Forli musste zugeben, dass sie keine drei Monate Zeit hatten und Durés Salbe im Moment das bessere Mittel war, um Rodrigues verhörfähig zu kriegen.
Forli fiel auf, dass Carissimi noch fast nichts gesagt hatte, seit sie das Zimmer betreten hatten.
»Dieses Schweigen kenne ich, Carissimi. Ihr sitzt wie ein Sumpfhuhn auf dem Ei. Da schlüpft bald was.«
Ohne die Bemerkung zu kommentieren, sagte Carissimi: »Angelo, bleib bitte bei Miguel Rodrigues und schreib mit, was er im Fieber redet. Forli, Ihr passt auf, dass Königsteiner, Birnbaum, Tilman Ried und Gisbert von Donaustauf in ihren Zimmern bleiben. Niemand darf irgendwohin gehen, außer auf die Latrine. Nur der Ehrwürdige und der Magister dürfen sich frei bewegen.«
»Und Ihr?«, fragte Forli. »Wohin geht Ihr?«
»Ich«, sagte Carissimi, »gehe zum Papst.«
 
Milos Stadt war zu seinem Kerker geworden. Er kannte sich bestens darin aus, kannte zahllose Leute, die mit ihm darin lebten, konnte aber weder einem von ihnen trauen noch die Mauern überwinden.
Die ganze Nacht und den Morgen hatte er damit verbracht, zuerst Schlupflöcher und dann einen Unterschlupf zu suchen. Durch die Tore zu kommen versuchte er erst gar nicht, die wurden penibel bewacht, und jeder Wagen wurde so gründlich durchsucht, dass keine Schabe unentdeckt blieb. Die Lücken in der Stadtmauer waren ebenso mit Wachen besetzt, was die Schmuggler gewiss zum Schimpfen brachte, und zahlreiche Streifen stellten sicher, dass sogar der halsbrecherische Versuch, irgendwo das Bollwerk zu überwinden, scheitern musste. Zusätzlich zur Stadtwache patrouillierte die Schweizergarde durch die Gassen.
Milo war bei einem Bekannten untergekommen, was bedeutete, bei einem Verbrecher. Dort fühlte er sich am sichersten, denn Leute seines Schlages hatten wenig Neigung, ihn an die Polizei zu verraten. Jeder könnte schließlich mal in Milos Lage kommen und wäre dann froh, ein Versteck zu haben. Milo hatte im Laufe der Jahre gewiss sieben oder acht Flüchtlingen Obdach im Teatro gewährt, und sei es nur für eine Nacht.
Trotzdem hatte er nicht geschlafen. Nicht Misstrauen hielt ihn wach und auch nicht Angst, sondern etwas Neuartiges, ein unbekannter Gast, der sich in Milos Gedanken und Gefühle hineinfraß. Denn was war es anderes, wenn ein Bild, wenn ein Augenblick einem wieder und wieder vor Augen stand? Diese Frau ließ ihn nicht los.
Antonia? Wäre es doch bloß Antonia! Nein, sie nicht, eine andere Frau, deren Namen er nicht kannte, die er bloß ein einziges Mal gesehen hatte und der er auf der Straße nicht einmal nachgeblickt hätte. Es handelte sich um die mädchenhafte Frau, mit der er gestern auf der Flucht vor den Wachen an der Porta San Paolo zusammengestoßen war.
Dann der Schuss. Ihre Augen, diese jungen Augen, sahen ihn vorwurfsvoll an, so als sei er ihr Mörder. Genauso hatten seine Opfer ihn im Moment ihres Todes angesehen. Doch von denen kannte er Namen und Alter, er hatte einen Auftrag erhalten und ihn ausgeführt. Mit diesem Mädchen hatte er nichts zu schaffen, er hatte sie nicht umgebracht. Ein Soldat hatte sich als schlechter Schütze erwiesen; was konnte denn er, Milo, dafür? Und doch kam die Frau immer wieder zurück.
Sie war seine Tote, sein Opfer. Sie war die Einzige seiner Getöteten, die er nicht selbst getötet hatte und deren Tod ihn belastete. Dieser einen Frau wegen entwickelte sich ein Gewissen in ihm, ein Gewissen nur für sie, seiner einzigen Last.
Wie viele Menschen hatte er umgebracht? Zwanzig, fünfundzwanzig? So viele, wie er Jahre zählte? Es war sein Schicksal, Menschenleben zu verschlingen, sogar noch im eigenen Untergang, sogar noch, wenn er nichts anderes tat, als wegzulaufen.
Im Morgengrauen waren die Ausrufer auf die Straßen und Plätze gegangen und hatten eine Belohnung für die Ergreifung Milos ausgesetzt - fünfhundert Dukaten. Damit kam eine Großfamilie durchs Jahr. Für eine solche Summe wurde auch ein Verbrecher zum Verräter an seinesgleichen. Milo hatte dem Mann, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte, nicht länger vertraut, war abgehauen und zum ersten Mal in seinem Leben mit gesenktem Kopf durch Rom gegangen. Er hatte befürchtet, von jeder Wäscherin, jedem spielenden Kind, erkannt zu werden. Da hatte er angefangen, Carissimi zu hassen.
Nun stand er vor der Stätte seiner Kindheit und Jugend, seinem Heim, dem Teatro. Von einem ruhigen Winkel aus - der Vordereingang war bewacht - sah er zum Fenster seiner Mutter hinauf, und tatsächlich erblickte er sie, als sie die Läden öffnete. Kurz schien es so, als spüre sie seine Nähe, und ihr Blick suchte nach ihm, doch er drückte sich hinter einen Mauervorsprung. Gewiss war die Wachmannschaft als Erstes bei ihr gewesen, hatte sie befragt und informiert, und nun sorgte sie sich um ihn. Ja, so viel Gefühl billigte er ihr zu. Mehr aber auch nicht. In all den Jahren hatte sie keinen Wimpernschlag lang erwogen, dass ein Hurenhaus ein ungeeigneter Ort war, um ein Kind großzuziehen. Bereits mit vier Jahren hatte er mitbekommen, wie die Frauen des Hauses Nacht für Nacht von anderen Männern besprungen wurden. Er hatte durch die dünnen Wände des Hauses die Lust hören müssen, die Schreie, die Beschimpfungen, die Erniedrigung und so manchen Schlag. Mit dreizehn Jahren schließlich war er Teil des Inventars gewesen und hatte erste Aufgaben übernommen. Natürlich war das Teatro immer auch ein Zuhause gewesen, zugleich aber eines, das ihn anwiderte; so manche Hure war eine Freundin geworden, aber eine, die ihm und der er gleichgültig war; so mancher »ehrenwerte« Gast war zum Geschäftspartner für ihn geworden, aber einer, der ihn und den er verachtete. Das Teatro war eine Schule der Heuchelei, des Betrugs, der Geringschätzung und der niedrigen Gesinnung gewesen.
Milo gelangte auf das Dach des Teatro, indem er die Ruine des Marcellus-Theaters hinaufkletterte. Von dort war es nur noch ein Sprung. Auf allen vieren bewegte er sich vorsichtig und geschmeidig über das Dach. Dort, wo unterhalb von ihm das geöffnete Fenster seiner Mutter lag, kletterte er über den Rand des Daches und landete auf dem Sims des Fensters. Im nächsten Moment befand er sich im Zimmer seiner Mutter.
Er war sich nicht sicher gewesen, ob er sie dort antreffen würde. Eigentlich saß sie zu dieser Stunde bereits im Arbeitszimmer über ihren Büchern, doch heute, an so einem Tag, an dem nach dem Sohn gefahndet wurde … Sie hatte sich offenbar nicht davon beirren lassen, und im Grunde war es ihm lieber so.
Das Haus schlief noch. Die Huren hatten erst vor vier, fünf Stunden, beim ersten Morgengrauen, den letzten Kunden verabschiedet oder waren neben ihm eingeschlummert. Auf seinem Weg in die Küche begegnete Milo niemandem. Er holte sich Zündstein und Lampenöl, ging wieder nach oben und verteilte das Öl in seinem Zimmer und im Zimmer daneben, dem seiner Mutter. Dann entzündete er es.
Milo vergeudete keine Zeit damit, sein Werk zu betrach - ten. Er kletterte auf demselben Weg zurück, den er gekommen war, wobei er sich nicht sicher gewesen war, ob er die Kraft und das Geschick hätte, sich vom Fenster auf das Dach zu ziehen. Als er die Ruinen des Marcellus-Theaters hinabstieg, stand bereits das oberste Stockwerk des Teatro in Flammen. Er hörte die Rufe. Und dann sah er, wieder gut verborgen, die Huren aus dem Haus rennen, darunter auch seine Mutter. Fassungslos schauten sie zu, wie das bekannteste Hurenhaus Roms vollständig vom Feuer erfasst wurde.
Niemand kam in den Flammen ums Leben. Gut so, dachte er. Genug der Opfer. Nur ein Letztes noch, das musste sein.
 
Als sein Privatsekretär durfte Sandro den Papst zu jeder Zeit und bei nahezu jeder Beschäftigung stören, ob er nun schlief, aß, hohe Gäste empfing, sich bei Mummenschanz vor Lachen schüttelte, mit Bauchschmerzen auf dem Krankenlager lag, vor Trunkenheit nicht mehr gerade gehen konnte … Außer auf der Latrine und im Liebesbett hatte Sandro den Heiligen Vater schon in jeder Situation aufgesucht, und so war es auch nichts Neues für ihn, Julius in einem Waschzuber sitzen zu sehen. Ein Diener holte unentwegt frisches, warmes Wasser, während ein zweiter Julius’ Rücken und Schultern schrubbte.
Sandro fand, dass der Bischof von Rom und Stellvertreter Christi, wenn man ihn ohne Gewänder sah, einfach nur ein dicker nackter Mann war, der ohne Hilfe nicht mehr aus dem Zuber herauskäme. Das hätte er natürlich nie ausgesprochen, aber ein feines Lächeln konnte er sich nicht verkneifen.
»Sandro, schön dich zu sehen. Du lächelst, also hast du gute Laune?«
»Es geht so, Eure Heiligkeit.«
»Gibt es etwas Neues von diesem - wie hieß er noch gleich?«
»Milo, Eure Heiligkeit. Nein, leider nicht, seit er gestern versucht hat, durch die Porta San Paolo zu gelangen. Er hat eine Wache getötet, und eine unbeteiligte Frau ringt noch mit dem Leben. Wir kriegen ihn. Irgendwann kriegen wir ihn.«
»Lieber Sandro, Rom ist ein Ameisenhaufen. Dein Mörder könnte sich monatelang versteckt halten, aber wir können nicht monatelang Stadtwache und Schweizergarde in höchster Bereitschaft halten. Diese peniblen Kontrollen … An den Toren werden sich allmorgendlich die Wagen stauen. Ich bin kein Wahrsager, wenn ich dir prophezeie, dass heute Mittag die ersten Gilden protestieren werden. In drei Tagen musst du deinen Verbrecher gefasst haben, ansonsten hast du Pech gehabt. Ich kann nicht das Wohl der - nach Jerusalem - bedeutendsten Stadt der Welt wegen eines einzelnen Mörders gefährden. Das siehst du doch ein.«
Sandro sah es ein. Er hätte Milo gerne gefasst und den Richtern übergeben, nicht nur wegen Carlotta oder weil es sich so gehörte, sondern auch wegen sich selbst. Die »Causa Milo« wäre ansonsten eine nicht geschlossene Akte, etwas, woran er ständig würde denken müssen. Für Antonia wäre ein Schlussstrich ebenfalls besser - sie müsste sich dann nicht vorhalten, Milo bis zum letzten Moment, also noch gestern Abend in der Kirche Santo Spirito, ahnungslos bei seiner Flucht geholfen zu haben. Aber Julius hatte recht, eine Stadt wie Rom ließ sich nicht länger als ein paar Tage in einem Ausnahmezustand halten.
»Möchtest du ein Bad nehmen, Sandro? Wie du siehst, steht hier ein zweiter Zuber.«
Es gab Angebote, die von dem, der sie machte, als überaus verlockend und von dem, der sie bekam, als überaus fad angesehen wurden. Dieses war ein solches.
»Vielleicht ein anderes Mal, Eure Heiligkeit. Jetzt muss ich über ein heikles Thema mit Euch sprechen.«
»Wie überraschend! Wo du doch sonst nie über heikle Themen mit mir sprichst.«
Sandro gab den beiden Dienern ein Zeichen, dass er mit dem Papst allein zu sein wünsche, wartete, bis sie gegangen waren, und stellte sich neben den Zuber. »Unsere Besprechung ist für die Ohren von Domestiken ungeeignet, Eure Heiligkeit.«
»Und wer schrubbt mir nun den Rücken?«
»Ich werde das machen.«
Sandro ergriff sogleich die Bürste, beugte sich über den Zuber und begann mit der Reinigung der päpstlichen Haut. Nach einer kurzen Weile sagte er: »De Soto ist tot.«
Julius fuhr herum, und ein Schwall Badewasser platschte auf Sandros Soutane.
»Erhängt. Es sieht nach Selbstmord aus. Da jedoch Visitatoren ebenso wie Päpste sehr wohl wissen, dass fast nichts so ist, wie es zu sein scheint, glauben wir natürlich keinen Lidschlag lang an Selbstmord, nicht wahr, Eure Heiligkeit? Wir kannten Luis de Soto zu gut.«
»Willst du damit andeuten, ich wüsste etwas über seinen Tod?«
»Nein.« Und das stimmte auch. Über seinen Tod beziehungsweise das Motiv seiner Ermordung war Julius gewiss nicht im Geringsten im Bilde. Über Luis’ Treiben zu Lebzeiten jedoch … »Ich will nur sagen, dass er weit mehr als ein beliebiger Geistlicher für Euch war. Immerhin, Eure Heiligkeit, habt Ihr ihm wichtige Missionen übertragen. Zum Beispiel war er Euer Wortführer auf dem Konzil von Trient. Ihr habt ihn gefördert, ähnlich wie mich.«
Julius fuhr erneut herum, ein zweiter Schwall Wasser landete auf Sandros Sandalen.
»Das war nicht dasselbe«, sagte Julius. »Darauf lege ich großen Wert. De Soto war Diplomat, ein politischer Kopf, ich habe ihn gebraucht, um die Interessen der einzig wahren Kirche und des Heiligen Stuhls zu wahren.«
»Ihr hättet ihn gerne als Nachfolger Loyolas gesehen.«
»Das gebe ich zu. De Soto wäre ein General ohne Format geworden, aber genau deshalb hätte man mit ihm über alles reden können. Loyola ist - wie sage ich es? - ein rechter Dickschädel. Er tut immer so, als sei er der Diener des Papstes, tatsächlich gelingt es ihm, alles so zu machen, wie er es will. Und er hat in allem seine Finger drin: Konzil, Missionierung der Heiden, Kampf gegen den Protestantismus, Ausbildung der Geistlichen, Schulwesen … Das sind wichtige Bereiche der Zukunft, Sandro. Weißt du, dass es sein erklärtes Ziel ist, dass die Jesuiten eines Tages die Beichtväter sämtlicher Fürsten stellen? Ohne den Jesuitengeneral werden Päpste schon bald keine Machtpolitik mehr betreiben können, ja, wir werden auf seinen Nachrichtendienst angewiesen sein, während er alles mitkriegt, was wir reden und tun.«
»Vergesst nicht, dass Ihr einen Jesuiten im Vorzimmer sitzen habt.«
»Erstens bist du viel zu ungehorsam, um als richtiger Jesuit zu gelten, und zweitens sitzt du kaum im Vorzimmer, weil du entweder Mörder jagst oder Kranke wäschst.«
»Manchmal auch Päpste.«
»Da du es erwähnst - mein Rücken ist keine Werkbank, Sandro. Wenn du weiter so darauf herumschmirgelst, habe ich bald keine Haut mehr.«
Sandro legte die Bürste beiseite, ging um den Zuber herum und lehnte sich mit den Armen auf dessen Rand. Der heiße Dampf schlug ihm ins Gesicht.
»De Soto hatte irgendetwas vor. Ich habe mir den Kopf zermartert, was es gewesen sein könnte, aber ich komme immer wieder auf meinen ersten Einfall zurück: Er wollte um jeden Preis Rektor des Germanicums werden, damit er, wenn es eines Tages um die Nachfolge Loyolas geht, eine gute Ausgangsposition hätte. Denn trotz seines Rufs als tüchtiger Diplomat bekleidete er bis zuletzt kein Amt im Orden. Er war einer von vielen, doch er wollte der Erste werden. Ich weiß nur noch nicht, wie, und auch nicht, was es mit diesen portugiesischen Briefen auf sich hat.«
Sandro erkannte an der Art, wie Julius ihn durch den Dampf hindurch ansah, dass er gleich die Wahrheit erfahren würde. Er traute Julius manches zu, so allerlei graue Händel, die ein Papst kaum vermeiden konnte. Doch Sandro war sich sicher, dass Julius ihm mittlerweile vertraute und ihn nicht anlügen würde.
»Du liegst richtig, Sandro, und doch auch wieder nicht. Hilf mir aus diesem Bottich heraus, sonst schrumple ich noch wie eine Dörrpflaume zusammen.«
Sandro reichte dem Papst die Hand, zog ihn hoch, holte das große Leinentuch und spannte es mit beiden Armen auf.
»De Soto«, sagte Julius, während Sandro ihn abtrocknete, »wusste schon seit längerem, dass Loyola ihn nicht zum Rektor des Germanicums machen würde.«
»Aber der ehrwürdige Pater General hat doch …«
»Lass mich ausreden, Ungestümer! Ich will es ja erklären. De Soto bat mich vor Monaten, bei Loyola ein gutes Wort für ihn einzulegen, damit man ihn zum Rektor des in Planung befindlichen Collegiums ernenne. Daraufhin schrieb Loyola mir zurück, dass er zwar daran gedacht und de Soto in die engere Wahl gezogen habe, jedoch davon abgerückt sei, weil er de Soto für charakterlich ungeeignet halte. Man kann über Loyola sagen, was man will, aber er hat ein gutes Gespür. Er zweifelte an de Sotos Demut, worin du ihm - wie ich deinem heftigen Nicken entnehme - zustimmst.«
»Und hat der Ehrwürdige seine Entscheidung de Soto mitgeteilt?«
»Ja, und da er offene Worte liebt, stelle ich mir vor, dass er de Soto auch die Gründe darlegte. Doch bat er sowohl ihn als auch mich, die Entscheidung einem gewissen Bruder Königsteiner noch nicht bekannt zu machen, da er gerne beobachten wolle, wie sich Königsteiner, der in Unkenntnis gelassen wurde, verhalte, ob es zu Rivalitäten käme und so weiter.«
Der Papst wickelte sich das Leintuch um den Körper und setzte sich auf seinen Schemel - sehr zu Sandros Verdruss, der gehofft hatte, sie würden den feuchtwarmen Waschraum verlassen.
»Ein Rückschlag für Luis«, sagte Sandro. »Aber sein Ziel, General der Jesuiten zu werden, hatte er deswegen bestimmt nicht aufgegeben.«
»Wie wahr!«
»Was hatte er geplant? Werdet Ihr es mir verraten, Eure Heiligkeit?«
»Du hättest es ohnehin bald erfahren. In zwei, drei Wochen, schätze ich.«
»Distribuicao?«, fragte Sandro.
Julius zog die Augenbrauen hoch. »Ich sehe, du warst schon nahe dran. Ja, Sandro. Distribuicao
Der Schwarze Papst
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