Es wird christlich geteilt
Wir sind immer froh, wenn die amerikanischen Soldaten Manöver haben. Wenn sie damit fertig sind, sieht’s da wirklich wie auf einem Schlachtfeld aus. Man findet jedenfalls immer interessante Sachen. Marmelade in Dosen, Margarine in Tuben, ja sogar Schokolade in Dosen. Und vieles andere mehr. Vor allen Dingen sind wir an den vielen leeren Bierflaschen interessiert; denn dafür bekommen wir beim Braun Geld. Ich verkaufe zwar manchmal ein paar leere Flaschen aus unserem Keller, aber das sind nicht viele. Und wenn ich soviel verkaufe, dass man’s merkt, kriege ich Ärger mit meinem Vater, weil er da wieder Flaschenpfand bezahlen muss.
Deshalb sind Manöver für uns so lohnend. Die Soldaten lassen die Bierflaschen einfach liegen, sicher wissen sie nicht, dass sie Pfand kosten, weil es deutsche Flaschen sind. Gisi Simoneit ist überhaupt als Erste auf den Gedanken gekommen, auf Manöverplätzen zu suchen.
Maria und Barbara Martin, Gisi, ich und Heidi gehen meistens zusammen hin. Wenn Gisi nur wenig findet, sagt sie immer: „Es wird christlich geteilt!“ Wenn sie aber die meisten Flaschen von uns allen hat, ist sie nicht mehr so christlich. Dann heißt es bei ihr: „Jeder soviel, wie er hat!“
Sie ist auch auf was ganz Neues gekommen. Damit ist sie nicht mehr nur von den Manövern abhängig. Herr Braun hat gegenüber von seinem Laden einen Schuppen, den er nie abschließt. Da drin hat er massenweise Kästen mit Flaschen stehen. Da holt sich Gisi öfter mal welche raus und verkauft Herrn Braun vorne im Laden seine eigenen Flaschen. Er erkennt sie nicht und Gisi verdient gut daran. Sie wollte, dass wir das alle machen. Ich tu so was aber nicht. Wenn ich nämlich erwischt würde, wäre meine Mutter ganz verzweifelt, weil man so was eben nicht tun darf. Außerdem finde ich, dass dies Diebstahl ist. Aber natürlich verrate ich Gisi nicht.
Manchmal gehe ich auch für unsere Nachbarn einkaufen. Sogar für Frau Mühlbauer, die das zwar lieber selber macht, manchmal aber auch kochen muss und deshalb keine Zeit hat.
Herr Mühlbauer ist nicht immer mit ihrem Essen zufrieden. Neulich hat er ganz laut gebrüllt: „Du hast wohl den Hof für diesen Fraß zusammengekehrt. Am liebsten würde ich diese Suppe aus dem Fenster schütten!“ Da ich gerade im Hof war, habe ich mich lieber verdrückt. Schließlich wollte ich nicht mit heißer Suppe übergossen werden.
Von Frau Mühlbauer bekomme ich zehn Pfennig fürs Einkaufen, von Frau Uhlig sogar zwanzig. Frau Mohr hat selber Kinder zum Einkaufen, die kosten nichts.