9 Caleb

Ich spiele im Keller Billard gegen mich selbst, während mein Eingliederungscoach oben im Wohnzimmer mit meinen Eltern spricht. Wenn die Situation nicht so bedrohlich wäre, fände ich sie zum Schreien.

Mein Eingliederungscoach ist Damon Manning, ein Typ, der den Jugendstrafvollzug aus eigener Erfahrung kennt, so wie ich. Er hat die Aufgabe, regelmäßig nach mir zu sehen und zu überwachen, dass ich meine Sozialstunden ableiste. Ich Glückspilz. Ich habe einen Bewährungshelfer mit dem schicken Titel »Eingliederungscoach«.

Das alles könnte mir ja am Arsch vorbeigehen, aber Mannings Bericht geht direkt an den Richter, der für meinen Fall zuständig ist und an den Bewährungsausschuss, also muss ich mitspielen. Es wird nicht leicht werden. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, seit ich wieder zu Hause bin.

Ich habe Manning kennengelernt, kurz bevor ich das DOC verlassen habe. Der Kerl ist ein hünenhafter schwarzer Mann, der sich von niemandem etwas bieten lässt.

Mein Dad steckt den Kopf zur Kellertür herein, als ich versehentlich die Acht versenke. »Caleb«, ruft er. »Mr Manning möchte dich jetzt sehen.«

Ich komme ins Wohnzimmer und beobachte meine Mom.

»Kann ich Ihnen irgendetwas bringen?«, fragt sie den Coach nervös. Sie ist es nicht gewohnt, hünenhafte schwarze Exknackis in ihrem Haus zu haben, aber sie spielt noch immer die Rolle der vollendeten Gastgeberin.

»Nein, danke. Ich werde mich nur noch ein bisschen mit Ihrem Sohn unterhalten und dann aufbrechen.«

Ich setze mich auf einen der seidenbezogenen Stühle, aber Manning steht im selben Moment auf.

»Lass uns einen Spaziergang machen«, sagt er. Es ist kein Vorschlag.

Ich zucke mit den Achseln. »Klar. Was immer, Mr Manning.«

»Wie wär’s, wenn du mich Damon nennst.«

Damon hält eine Akte in der Hand, während wir die Masey Avenue entlang auf den Park zugehen, wo wir uns auf eine Bank setzen.

»Wie läuft’s denn so?«, fragt Damon. Der Typ schlägt seine Mappe auf und klickt mit seinem Stift. Klick. Klick.

»Wunderbar«, lüge ich.

»Führe das bitte etwas genauer aus.« Bei Damon klingt das wie ein Befehl. Alles, was der Typ sagt, klingt wie ein Befehl. Meine Nerven spannen sich noch eine Idee mehr an.

»Was denn?«

Klick. Klick. »Erzähl mir von deiner Familie. Scheint so, als hättest du ein ziemlich schönes Zuhause.«

Das entscheidende Wort in diesem Satz ist scheint. »Hören Sie, meine Mom ist ein Roboter, mein Dad ein Waschlappen und meine Schwester ein verfluchter Zombie. Ich würde sagen, das fasst es ziemlich genau zusammen.«

Ich beobachte, wie Damon die Mappe zuklappt, um mir anschließend fest in die Augen zu blicken. »Niemand hat behauptet, es würde leicht.«

»Ja, aber es hat auch niemand behauptet, es würde so verdammt hart.«

»Kommst du dir vor wie einer von den großen Jungs, wenn du in jedem Satz fluchst, der aus deinem Mund kommt?«

»Lassen Sie mich in Ruhe, Mann.«

»Es ist mein Job, genau das nicht zu tun, Caleb. Und ich kann dir nicht helfen, wenn du dich mir nicht anvertraust.«

Ich gucke in den Himmel und schüttle den Kopf. »Ich brauche Ihre Hilfe nicht. Meine Eltern und meine Schwester … sie brauchen viel eher Hilfe als ich. Warum nehmen Sie die nicht als Versuchskaninchen?«

»Du bist fast ein Jahr lang weg gewesen. Hab etwas Geduld mit ihnen. Du führst dich auf, als müssten sie sich bei dir entschuldigen, und nicht andersherum. Was haben sie falsch gemacht, hm? Vielleicht solltest du zur Abwechslung mal die Schuld bei dir suchen, Caleb. Dies könnte dir die Augen öffnen.«

»Die Wahrheit würde allen die Augen öffnen«, entgegne ich.

Klick. Klick. »Wie war das?«

Ich schüttle den Kopf. »Nichts. Vergessen Sie es.«

Damon schlägt wieder die Akte auf. Sie erzählt Damon wahrscheinlich alles über mein Leben vor, während und nach der Verhaftung. Ich frage mich, ob etwas davon drin steht, wie ich Joe Sanders Haus mit Toilettenpapier umwickelt habe. Oder wie ich einen Typen von der Fremont High verprügelt habe, weil er meine Schwester damit aufgezogen hat, ihr sei die Dauerwelle explodiert. Die Leute haben zu mir aufgesehen, ich war der coole Rebell. Jetzt bin ich der verurteilte Straftäter. Nicht cool.

Er reicht mir ein paar Zettel. »Du lebst in einer Kleinstadt, Caleb. Daher ist die Auswahl an gemeinnütziger Arbeit nicht besonders groß, aber auf deinem Fragebogen hast du notiert, dass du Erfahrung im Baugewerbe und mit kleinen Handwerksarbeiten am Haus hast.

»Ich habe während der Sommerferien immer auf den Baustellen meines Onkels gearbeitet«, erzähle ich ihm.

»Also gut. Am Montag nach der Schule meldest du dich um Punkt Viertel vor vier beim Trusty Nail Eisenwarenladen. Sei pünktlich. Sie weisen dir eine Arbeitsstätte zu und bringen die benötigten Materialien dort vorbei. Wenn du eine Arbeit fertiggestellt hast, lass es dir auf einem dieser Zettel quittieren. Einfach genug?«

»Klar.«

»Ich habe nur noch ein paar Fragen. Dann bleibt dir meine hässliche Visage eine ganze Woche lang erspart.« Als Damon mir den Blick zuwendet, fragt er: »Was ist mit Körperkontakt?«

»So was wie Sex?«

Damon zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht, erzähl du es mir. Hat deine frühere Freundin dich sehnsüchtig vor dem Haus erwartet, als du gestern heimgekommen bist?«

Das Lachen bleibt mir im Halse stecken. »Eher nicht. Meine Schwester hat mich umarmt, mein Dad hat mir die Hand geschüttelt und ein paar von Moms willkürlichen Freunden haben mir gestern Abend auf den Rücken geklopft.«

»Ging es von dir aus?«

»Nein. Das ist ja abartig, Mann.«

»Caleb, einige haben Bindungsprobleme, wenn sie nach Hause kommen. Es fällt ihnen schwer nachzuvollziehen, welche Art von Körperkontakt angemessen ist und welche …«

»Ich habe ein Mädchen berührt«, unterbreche ich ihn.

Klick. »Erzähl mir davon.«

Ich denke an gestern Abend zurück, als Maggie versucht hat aufzustehen. Der heftige Schmerz, den sie gespürt hat, wurde deutlich an ihren zusammengebissenen Zähnen, den geballten Fäusten und den gerunzelten Augenbrauen. Seit ich aus dem Knast zurück bin, ist Maggie der einzige Mensch gewesen, nach dem tatsächlich ich die Hand ausgestreckt habe. Es ist nicht gut gelaufen.

»Ein Mädchen hat Hilfe beim Aufstehen gebraucht, also habe ich versucht, ihr Halt zu geben. Ende der Geschichte.« In gewisser Weise.

»Hat sie sich bei dir bedankt?«

Ich zögere, dann hebe ich einen Stein auf und schleudere ihn bis zum Basketballplatz am anderen Ende des Parks. »Sie hat schnell ihren Arm weggezogen. Ist es nicht das, was Sie hören wollen?«

»Wenn es die Wahrheit ist.«

Ich drehe mich um und werfe ihm einen Blick zu. Er weiß, dass ich ihn nicht verarsche.

»Vielleicht warst du zu grob.«

Ich war nicht zu grob«, sage ich barsch.

»Wer war sie?«

Ich greife nach hinten und massiere den hartnäckigen Knoten in meinem Nacken. Wenn ich nicht antworte, wird Damon wahrscheinlich morgen und jeden weiteren Tag auf der Matte stehen, bis ich es ihm verrate. Und überhaupt, was ist schon groß dabei? Ich werfe einen Blick zur alten Eiche und rechne beinah damit, Maggie mit ängstlicher und zugleich wütender Miene dort sitzen zu sehen.

Ich gucke wieder Damon an, der immer noch auf eine Antwort wartet.

Dann spreche ich es schließlich aus: »Ich habe das Mädchen berührt, das ich zum Krüppel gemacht habe und wegen dem ich im Gefängnis gesessen habe.«

Klick.