13
Eines Abends, vierzehn Tage nach Hermanns Abreise in Richtung Ozean, teilte mir Elsie mit, man habe ihr eine Tournee durchs Land angeboten, ihre Antwort stehe aber noch aus. Die Angelegenheit schien sie zu beschäftigen. Also nahm ich sie, nachdem wir zu Ende gegessen hatten, auf meinen Schoß und schlug ihr vor, wir sollten in Ruhe darüber reden. Ich war ein wenig überrascht, daß sie derart zögerte, wo sich ihr die Gelegenheit bot, hinter ein Mikro zu steigen.
Ich riet ihr zuzusagen. Ich wußte nur zu gut, was das für mich hieß, aber ich sagte ihr, man dürfe nicht zögern, wenn einem das Glück winke. Nichtsdestoweniger würde ich allein zurückbleiben. Dank Elsie war Hermanns Abwesenheit weniger spürbar, und „wir hatten ein paar friedliche Abende miteinander verbracht, aber daran durfte ich nicht denken. So langsam machte mir Elsie richtig Probleme.
Zwei Tage lang hüpfte sie von einem Bein aufs andere – They shoot horses don’t they? – , obwohl ich ihr unvermindert zuredete. So sehr, daß sie mich schließlich fragte, ob ich sie loswerden wollte. Ich ließ sie erneut auf meinem Schoß Platz nehmen. Eines Morgens dann rang sie sich durch.
Kaum war sie abgereist, gerieten meine Nächte wieder in Unordnung. Ich war doppelt allein, und das war doppelt so hart, ich war allein, selbst wenn ich unter Leuten war. Bernie und ich waren uns einig, daß wir in einem Alter waren, in dem man weder große Kälte vertrug, noch wie ein wildes Tier oder ein einsamer Held leben konnte. Wir brauchten ein bißchen Wärme. Leider waren wir nicht sicher, ob wir nicht ein wenig spät damit angefangen hatten.
- Stell dir so einen Schuft vor, der eine nette Frau gefunden hat … Stell dir vor, ein halbes Dutzend Kinder, das einem ständig zwischen den Beinen rumtanzt …!!
- Herr im Himmel! Du streust Salz in die Wunden …!
Kaum war sie abgereist, ermaß ich meinen Schmerz, aber man muß sich von Zeit zu Zeit einen Finger abschneiden können, wenn er einem die falsche Richtung weist. Ich war soweit, mir zu wünschen, daß das Unvermeidliche so schnell wie möglich eintraf, daß sie mit dem Erstbesten durchbrannte, auch wenn ich dabei Federn lassen mußte. Das war nichts, verglichen mit dem Verlust meines eignen Fleisch und Bluts, der mir bevorstand, selbst wenn sie mich innerhalb der nächsten Monate sitzenließ.
Andererseits war ich froh, daß sie mich anrief. Sie wartete, bis die Nacht hereingebrochen war, schreckte mich am Ende meines Arbeitstages auf, wenn ich mich nach einem Happen, den ich in der Küche im Stehen hinunterschlang, ins Wohnzimmer zurückzog und mühsam versuchte, meine düstere Lage zu vergessen. Mit anderen Worten, ich war reif. Aber ich blieb mir treu, ich erzählte ihr jedesmal, es sei alles in Ordnung, warum auch nicht …?
- Du bist nicht gerade nett …. antwortete sie mir darauf. Mein Magen krampfte sich zusammen, aber ich hielt mich wacker. Ich hatte stets ein Glas in Reichweite.
- Fehle ich dir wenigstens?
- Aber sicher, natürlich! versicherte ich ihr mit so fader Stimme, wie mir angesichts der Beklemmung, die mich bedrohte, möglich war.
Als ich sie fragte, wie es bei ihr denn laufe, hörte ich am anderen Ende so etwas wie einen leichten Seufzer, und ich vermißte jedwede Begeisterung, und wenn ich nachfragte, sagte sie, warum kommst du nicht zu mir, warum nimmst du dir nicht ein paar Tage frei …?
Die Nächte waren wie verlassene Dörfer, stille Ruinen, zerstörte Viertel, die ich zu Tode betrübt durchquerte, ein Glück, daß es Sommer war und das Tageslicht nicht allzu lang auf sich warten ließ, das hätte noch gefehlt.
Ich kam jeden Morgen zu früh. Ich machte es mir auf einer Terrasse bequem und wartete darauf, daß die Türen aufgingen oder die Sonne mir neue Kraft verlieh, ich setzte meine Brille ab und ließ mich mit einer Art erschöpftem Lächeln blenden und innerlich durchfluten. Bis dann Dolbellos Wagen aufkreuzte und hundert Meter entfernt stehenblieb. Es dauerte immer eine ganze Weile, bis Sarah ausstieg. Dann sah man sie eilig über den gegenüberliegenden Bürgersteig flitzen, und stets winkte sie ihm ein letztes Mal zu, während er sie an Bord seines verdammten Rover überholte.
Jetzt, da ich allein war, erschienen mir die Gründe, aus denen ich mein Geld von der Stiftung bezog, weniger einleuchtend. Ich spürte, daß ich langsam Abstand gewann, und seltsamerweise ließ mich diese Erkenntnis kalt. Auch die Scherereien, mit denen man zu rechnen hat, wenn man seinen Job los ist, sprangen mir nicht mehr auf der Stelle ins Gesicht. Ich hatte mich schon oft gefragt, was ich da eigentlich tat, aber noch nie so eindringlich. Das führte dazu, daß ich anfing zu grinsen, wenn ich die Eingangshalle betrat, im Aufzug und in den Gängen mußte ich lachen, und wenn ich an meinem Schreibtisch Platz nahm, prustete ich regelrecht los. Es ging das Gerücht, ich hätte einen Volltreffer im Lotto gelandet.
Als Marianne erfuhr, daß ich allein war, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus und erklärte mir, das sei ein unverhofftes Glück.
- Auf mich wartet auch niemand …! fügte sie hinzu, als sei das ein gelungener Witz.
Einmal mehr drehte es sich um diese verfluchten Manuskripte. Das war wirklich eine Sache, in die sie ihre Nase liebend gern hineinsteckte, sie liebte es, Bücher zu veröffentlichen, und fand Gefallen daran, sie zu überarbeiten, wenn die Autoren zu faul waren oder unfähig, es selbst zu tun. Das gehörte zu den Aktivitäten der Stiftung, um die sie sich unbedingt selbst kümmern mußte, und Paul, Astringart und ich waren die einzigen, die in dem erlauchten Kreis geduldet waren. Kurz und gut, sie war in Verzug geraten, aber das würde sich alles einrenken, denn ich war ja da.
- Mmm, ob nun hier oder woanders, was soll’s …. beschloß ich meinerseits und verkniff mir zugleich jegliche Widerrede, bei der sie erst Ruhe gegeben hätte, wenn ich ihr einen vernünftigen Grund genannt hätte.
Ihre Vorliebe für ein schädliches Klima, die sie schon ganz zu Anfang gehabt hatte, als ich sie kennenlernte, hatte sie beibehalten. In ihrem Fall hieß das vierzehn, fünfzehn Stunden Plackerei an einem Streifen, von denen die letzten für mich damals eine einzige Qual gewesen waren, ihr hingegen hatten sie Flügel verliehen und fiebrige Augen. Ich hatte nie nach solchen Momenten gestrebt, nicht einmal, als ich noch schrieb. Ich hatte es wie Hemingway gehalten, nie mehr als fünfhundert Wörter pro Sitzung, das war die richtige Schule, auch wenn das mehr als einen zum Lachen reizt. Was darüber hinaus ging, konnte man vergessen. Sich das Hirn zermartern, das ist etwas für die Unfähigen.
Da es ihr jedoch gefiel und zudem meine einsamen Nachtwachen verkürzte, hockte ich bis ungefähr zehn Uhr abends mit ihr zusammen, was mir noch reichlich Zeit ließ, nach Hause zu fahren und mich in Erwartung meines Anrufs zu entspannen.
Ich kam zu Hause an und ließ mich in meinen Sessel fallen. Mich entspannen, sagte ich …?! Das fiel mir von Tag zu Tag ein wenig schwerer. Wie hatte ich nur glauben können, ich könne diesen Rhythmus durchhalten, wenn mich schon ein einziger Tag spielend umwarf …?! Ich spürte, daß mich meine Kräfte verließen, ich ekelte mich vor diesen grauenhaften Büchern, die um jeden Preis veröffentlicht werden mußten und die wir mühsam zurechtschusterten. Ich arbeitete mittlerweile bald acht Monate in der Stiftung.
- Hallo, Dan …? Du, ich hab die Nase voll, hörst du …?
- Komm, Liebste, laß dich nicht gehen …!
Ich schlief nicht mehr, ich hatte nicht Frau noch Kind, ich war den lieben langen Tag in einem Büro eingesperrt, während der Sommer an den Fenstern leckte, und fahle Schriftsteller gingen mir auf die Eier, das war alles, was ich mitbekam.
- Scheiße nochmal! meinte ich und schnellte in die Höhe. Es ist bald Mitternacht, soll das noch lange dauern …?!!
Das war an einem Freitagabend, die Wache war so lang gewesen, daß ich den Anfang nicht mehr erkennen konnte. Auch nicht das Ende, weggetreten, wie ich war. Plötzlich hatte ich den Eindruck, ins Nichts zu treiben.
- Scheiße …! wiederholte ich und ging zum Fenster. Ich kann wirklich nicht mehr …!
- Sehr gut …. seufzte sie. Hören wir auf für heute.
Ich spürte, daß meine Augen rot waren vor Müdigkeit, trotz meiner Brille. Ich setzte sie dennoch ab und steckte sie in die Tasche, bevor ich mich ihr wieder zuwandte.
- Nein … Ich höre ganz auf. Ich mein’s ernst …
Sie schaute mich mit einem ersten Anflug von Besorgnis an, dann setzte sie ihren Rollstuhl in Bewegung und rückte vom Schreibtisch ab.
- Dan …
- Herrgott, Marianne … Ich höre auf …. ich verlasse die Stiftung …!
- Tut mir leid …. fügte ich hinzu, als ich sah, was sie für ein Gesicht machte. Ich war ebenfalls erschüttert, nicht nur sie, langsam wurde mir klar, was ich gesagt hatte. SSssiiii …. sie fuhr auf mich zu. Sie hatte ein hübsches Gesicht, eine sehr weiße Haut, sie war ein Mädchen, das keine Schwierigkeiten gehabt hätte. Im Stehen. Wie ich schon sagte, sie war nicht mehr die kleine Nervensäge, die Paul mir einige Jahre zuvor auf den Hals gehetzt hatte, das war sie ganz und gar nicht mehr.
- Komm … Wir überschlafen das …
- Nein, das ist sinnlos.
- Was ist denn eigentlich los …?
- Meine Güte, ich werde verrückt, das ist los …! Ich kann nicht in einem Büro arbeiten, Marianne, das übersteigt meine Kräfte … Ich ertrage es nicht, von morgens bis abends eingesperrt zu sein …! Und all diese Manuskripte, dieses ganze Zeug, das interessiert mich nicht, das weißt du genau …!
Ich wandte mich ab und musterte die Lichter der Stadt.
- Ich hab’s versucht, ehrlich, ich hab’s versucht …. fuhr ich fort. Mit dir hat das nichts zu tun, wirklich nicht.
Ich konnte die lauwarme Nachtluft fast atmen, trotz der Klimaanlage.
- Ich bin zu alt, um in die Zivilisation zurückzukehren …. scherzte ich.
SSssiiii …. sie war zu ihrem Schreibtisch zurückgefahren. Ich fühlte mich wie einer, der sich aus einem Würgegriff befreit hat und langsam wieder zu sich kommt. Ich dachte keineswegs an die dunkle Kehrseite der Medaille, ich konnte es nur nicht fassen, daß ich innerhalb von drei Sekunden meine Ketten gesprengt hatte. Ich hatte Lust, das Fenster zu öffnen und mich wie auf die Reling eines Überseedampfers aufzustützen.
- Einen Vorschlag hätte ich noch …. eröffnete sie mir und machte sich an ihren Schubladen zu scharfen.
Ich mußte ein hyperkostbarer Typ sein, daß sie sich derart abschindete, mich unter ihren Fittichen zu behalten. Aber sie hätte mich zum Generaldirektor ernennen können, es hätte nichts geändert. Ich hob eine abschreckende Hand, sie solle sich meinetwegen keine Mühe mehr machen.
In diesem Moment kramte sie diese alte Reliquie von Drehbuch hervor, an dem wir vor so langen Jahren – oh, unter Tausenden hätte ich diesen safrangelben Umschlag mit der kastanienbraunen Kante wiedererkannt – gemeinsam gesessen hatten. Daß es, so urplötzlich an die frische Luft gezerrt, nicht auf der Stelle zu Staub zerfiel, erstaunte mich einigermaßen.
Marianne starrte mich einen Moment an. Meine Freiheit war noch so frisch, daß ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte, grundlos und vor allem ohne jeden Bezug zu dem Gegenstand, den sie mir da präsentierte.
- Ich denke schon seit einiger Zeit darüber nach …. stieß sie fast widerwillig hervor, dann verstummte sie und lauerte verstohlen auf meine Reaktion.
Ich unterdrückte nur mühsam ein unangebrachtes Gähnen. Nahm sie an, ich würde auch nur das geringste Interesse für diesen elenden Schinken aufbringen, den sie da eilfertig ausgrub …?
- Verdammt, es ist spät …! seufzte ich.
Es tat mir schon im voraus leid um sie. Sicher, ich wußte nicht, worauf sie hinauswollte, aber daß sie nur einen Funken Hoffnung darauf gründete, mich mit einem solch armseligen Trumpf im Ärmel umzustimmen, betrübte mich ihretwegen.
Das war bestimmt das letzte, das in mir irgend etwas hätte wachrufen können.
- Hier, Dan, das meinte ich …. sagte sie. Du erhältst weiter deinen Scheck, und du bleibst zu Hause. Wäre das eine Lösung, mit der du dich anfreunden könntest …?
Ich spannte meine Bauchmuskeln an, wie in einem Aufzug, der zu schnell fährt.
- Ich weiß nicht … Sieht so aus …. murmelte ich.
- Ja, ich finde auch …! übertrumpfte sie mich mit dem entsprechenden Lächeln.
Wenn ich nicht mehr auf den Wecker zu achten brauchte, wenn ich zu Hause bleiben konnte und wenn man mich in Ruhe ließ, wenn man mir weiter meinen Scheck schickte …. ja, dann war ich bereit, Wunder zu vollbringen, ich wollte, daß sie in der Hinsicht keine Zweifel hatte. Ein Drehbuch zu schreiben, dazu war ich noch fähig. Das war, als bäte man einen ehemaligen Kapitän darum, am Strand entlang zu rudern.
Wir brauchten die Sache nicht stundenlang zu beraten, das Ganze war in weniger als einer Minute geregelt. Außerdem war das recht einfach: Ich packte das Drehbuch ein, und es stand mir frei, Hackfleisch daraus zu machen oder mich draufzusetzen. Ich durfte es nach Belieben bearbeiten, durfte tun, was ich für richtig hielt, sie interessierte sich nur für das Resultat. Ich wiederholte, unter diesen Bedingungen brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Und das war keine Angeberei. Ich hatte eine Weile gebraucht, um meine Grenzen kennenzulernen. Inzwischen hatte ich diese Probleme nicht mehr.
Als ich die Nacht draußen betrachtete, lächelte ich ob der Vorstellung, daß ich mir jetzt lange Ferien leisten würde, und der Teppichboden gab unter meinen Füßen nach wie warmer Sand. Während sie sich fertigmachte, rannte ich in mein Büro, um meine Sachen zu packen – meine Flasche Wild Turkey und meine Nagelschere, der Rest gehörte der Stiftung –, und ich setzte mich ein letztes Mal auf meinen Bürostuhl. Ich hinterließ wirklich nichts, ich hatte nichts auf meinen Tisch gekritzelt und nichts an die Wand gehängt. Meine Schubladen waren leer. Bevor ich ging, drehte ich meinen Stuhl auf den Tisch und warf den Kalender in den Papierkorb.
Lächelnd warteten wir auf den Aufzug.
- Warum tust du das für mich …? fragte ich sie.
Die Türen öffneten sich gerade, als sie mir in vergnügtem Ton antwortete:
- Ich bin nicht verliebt in dich, wenn du das meinst.
Während wir hinunterfuhren, fügte sie hinzu, immerhin kennten wir uns nun schon seit einer Weile, und wenn ich es wirklich wissen wollte, wenn das meine Bescheidenheit nicht verletze, dann wolle sie mir gern ein paar Dinge aufzählen, die ihr an mir gefielen. Ich sagte, das sei nicht nötig, und lächelte zur Decke. Ganz davon zu schweigen, fuhr sie fort, daß es – für den Fall, daß diese Gründe nicht ausreichten – unter Leuten, die nicht mehr schreiben, und Leuten, die nicht mehr gehen konnten, normal sei, daß man einander helfe.
Bei diesen Worten hielten wir im Erdgeschoß an.
- Derjenige, der dir das angetan hat, brät in den Flammen der Hölle …! sagte ich.
Die Kolben des Öffnungssystems zischten wie Schwefeldampfstrahler.
- Ein komisches Bild …. meinte sie kopfschüttelnd. Während wir die Eingangshalle durchquerten, sagte sie mir, sie werde ja sehen, ob ich ein undankbarer Kerl sei, und ich versprach ihr, von Zeit zu Zeit hereinzuschauen, als schlichter Besucher, dann könnte ich mich auch auf eine Ecke ihres Schreibtischs setzen und mich nach den großen und kleinen Dingen erkundigen, die sich innerhalb der Stiftung zusammenbrauten, da kenne sie mich aber schlecht, und während ich ihr diesen Vortrag hielt – schließlich durfte ich trotz allem nicht vergessen, wie mir geschah –, zählte ich bewegt die letzten Schritte, die mich vom Ausgang trennten, und diesmal endgültig.
Hans hielt mir die Tür auf, und ich trug sie eigenhändig in ihren Wagen.
- Ich glaube, er mag es nicht, wenn sich jemand anders um dich kümmert …! raunte ich Marianne ins Ohr.
- Und du, wie fühlst du dich jetzt …? fragte sie mich, während ich mich auf dem Bürgersteig streckte und mir mit leicht beunruhigter Hand über das Kreuz strich.
Ich schenkte ihr ein breites Buddha-Lächeln:
- Danny kehren in Dschungel zurück …
Als ich am nächsten Morgen wach wurde, bemerkte ich als erstes einen sanften Wind, der sich in den Vorhängen vergnügte, auch wenn man eher hätte meinen können, sie würden von dem satten Licht angehoben, das mit Macht ins Zimmer drang, sowie laute Stimmen, die aus dem Garten kamen, Harold und Bernie zankten sich aus unverständlichem Grund. Mein erster Tag in Freiheit nach so langen Monaten! Er war so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, lau und heiter, und das nach einigen Stunden richtigen Schlafs … Ich lag auf dem Bauch, wunderbar reglos und noch nicht entschlossen, mich zu rühren, als ich plötzlich meinen Wecker erblickte, und mir stockte der Atem. Ich dachte sogleich daran, ihn mit den Fingerspitzen zu fassen und feierlich in der äußersten Ecke des Gartens zu vergraben. Ich drehte mich also auf einen Ellbogen. In der gleichen Sekunde wurde ich buchstäblich in meinem Bett erdolcht. Im wahrsten Sinne des Wortes von einem glühenden Säbel durchbohrt. Ich schrie auf vor Schmerzen, kurz und laut wie ein Schuß aus einem Gewehr, dann kippte ich vornüber, brach mit der Nase auf meinem Kopfkissen zusammen. Keuchend. Beide Fäuste ins Bettlaken verkrallt. Schon perlte eiskalter Schweiß auf meiner Stirn. Das war das dritte Mal in meinem Leben, daß mir diese Sache passierte. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie ich eine solche Qual hatte überleben können.
- Warum, Herr …? Warum an einem Tag wie heute …?!!
Ich konnte mich praktisch nicht mehr bewegen. Dachte ich nur daran, stöhnte ich auf. Mir war schlecht, aber das war nichts, verglichen mit dem stechenden Schmerz, der mich umschlich und auf jede meiner Bewegungen lauerte.
Trotzdem wälzte ich mich auf den Rücken. Wie der letzte Idiot. Draußen war nichts mehr zu hören. Ich rief Bernie um Hilfe, aber sie waren wie vom Erdboden verschwunden.
Ich brauchte fast eine Viertelstunde, um mich auf den Bauch zu drehen. Wahre Tränen liefen mir aus den Augen, obwohl ich an Fante dachte mit seiner Diabetes, an Hem mit seiner kranken Leber, Miller mit seinen kaputten Beinen. War mein Schmerz nicht viel zu groß für einen einfachen Drehbuchautor? Verstand man überhaupt, was das hieß, ein Lumbago …?! Ich robbte zur Bettkante und ließ mich auf den Boden gleiten. Allein diese simple Übung brachte mich in Schweiß.
Ich rutschte auf Knien zum Treppenabsatz. Dann richtete ich mich langsam am Geländer auf, nur mit der Kraft meiner Arme, und ich hielt mich krampfhaft daran fest angesichts des Abstiegs, der mir bevorstand. Mir war leicht schwindelig. Mein Oberkörper war schweißgebadet, und meine Pyjamahose schlotterte mir um die Knie.
Stufe für Stufe litt ich Höllenqualen, ich brüllte, ich biß mit schmerzverzerrtem Gesicht die Zähne zusammen, daß ich sie mir fast in die Kiefer gedrückt hätte, ich schwitzte vor Angst, und unten sah ich mich im Spiegel, kreidebleich, bleicher als der Tod.
Und doch war alles gut. Dieser Tag hätte ein einziger wollüstiger Seufzer sein sollen, das sanfte und geduldige Wiedererlernen eines Rhythmus, den diese düsteren Monate verwischt hatten. Aber ich hatte zu lange in diesem Büro gesessen, ich hatte mir wahrlich den Rücken versaut, als ich mich in einem fort über diese verdammten Manuskripte gebeugt hatte. Rächten sie sich auf diese Weise dafür, daß ich sie frohen Herzens im Stich gelassen hatte …?
- Egal, ich bereue nichts …! sagte ich mir mit Tränen in den Augen, während ich mich, mit beiden Händen am unteren Ende des Geländers, auf den Boden herabließ. Beißt sich der Fuchs nicht eine Pfote ab, um sich aus der Falle zu befreien …?!
Einzig mein Schmerz kam meiner Freude gleich. Einige derbe Worte hervorstoßend, machte ich mich daran, auf Ellbogen durchs Wohnzimmer zu kriechen. Was scherte mich der Preis der Freiheit, ich hätte mich über eine staubige Straße voll Schotter geschleppt, und hätte ich mein Leben dabei lassen müssen.
Ich trichterte mir ein, daß meine Qual, verglichen mit dem, was ich dafür erhielt, nicht der Rede wert war. Ich hämmerte mir mit den Fäusten ins Kreuz. Das war so schmerzhaft, daß ich anfing zu lachen, die Stirn in den Teppich gepreßt. O John, o Ernest, o Henri …!!
Schließlich erreichte ich die Tür zum Garten. Das Wetter war herrlich. Oberhalb der Hecke erstreckte sich ein azurblauer Himmel, unter dem ich, das Gesicht im Rasen vergraben, zusammenbrach, nachdem ich die Tür zugestoßen hatte. Ich schloß einen Moment die Augen, dann fing ich an, aus Leibeskräften nach Bernie zu rufen. Nach einer Weile kamen sie alle beide.
- Um Himmels willen, faßt mich nicht an …!! schrie ich, bevor sie irgendeine Ungeschicklichkeit begingen.
Ich erklärte ihnen, ich könne zerbrechen wie Glas, die geringste Grobheit werde mich töten. Ich mißtraute besonders Harold, der die ganze Sache bereits als Spaß auffaßte und davon redete, mich wieder auf die Beine zu stellen.
- Nein, bloß nicht …. sagte ich. Hol mir lieber eine Decke …! -Warum? Ist dir kalt …?!
- Verflixt, wie hast du das erraten …?!!
Während er gehorchte, zog Bernie sein Taschentuch heraus, um den Schweiß abzuwischen, der über mein Gesicht lief. Ich war fix und fertig.
- Das kannst du dir nicht vorstellen …! seufzte ich.
- Doch, das ist mir auch schon passiert …
- Meine Güte, du hast es bestimmt vergessen … An sowas kann man sich nicht erinnern …!
Ich hätte wer weiß was dafür gegeben, mich einfach in der Sonne ausstrecken zu können. Ich spürte ihre Wärme in meinem Rücken, ihren sanften Schein auf meinem Nacken. Trockene Grashalme stachen mir in die Brust und ins Gesicht, aber ich wagte es nicht, mich auch nur ein klein wenig zu rühren.
- Bernie … glaubst du fest, daß es auf Erden eine Gerechtigkeit gibt …?!
Als Harold mit der Decke zurückkam, erklärte ich ihnen, wie sie vorgehen mußten, um mich ins Haus zu transportieren.
- He, du bist ja wie ‘ne Hängematte …! scherzte Harold, als sie mich hochgehoben hatten, und beglückte mich bei diesen Worten mit einem greulichen Schaukeln.
Obwohl ich ihn für fähig hielt, mich loszulassen – solche Sachen machte er niemals mit Absicht –, sagte ich nichts, überzeugt, meine Befürchtungen könnten ihn nur im falschen Sinne ermutigen. Er lachte. Ich kenne nichts, was mehr zum Lachen reizt als ein Typ, den ein Hexenschuß zwickt. Ich hatte da einige Erfahrung. Niemand nimmt einen richtig ernst. Ob man nun ellenlang braucht, um sich ächzend und Fratzenschneidend aus einem Sessel zu schrauben, oder sich niedergekauert auf dem Bettvorleger erwischen läßt, es gibt einfach nichts, was einem Mitleid oder Erbarmen einträgt. Und doch, welch schreckliche Prüfung, und in welche Einsamkeit stürzt sie einen …! Herrgott, es gibt nichts, was darunter geht, verdammt, das ist eine Niedertracht des Himmels.
Meinem Wunsch gemäß setzten sie mich auf dem Sofa ab. Harold fragte, ob er noch gebraucht werde, dann rauschte er ab.
- Ich sag dir, der macht mich verrückt …! seufzte Bernie. Aber was soll’s, reden wir von was anderem.
- Mmm … Weißt du, daß dieser Tag trotz allem zu den schönsten meines Lebens zählt …?!
Ich verkündete ihm, daß er, den äußeren Anzeichen zum Trotz, einen freien Mann vor sich habe, daß eine innige Freude meine Lippen bewege und daß meine Grimassen belanglos seien.
- Du siehst es nicht, Bernie, aber ich strahle …! Ich leide unsäglich, alter Freund, aber gleichzeitig frohlocke ich …!
Ich hatte eine Salbe im Badezimmer. In dem Zustand, in dem ich mich befand, war das im Grunde verlorene Liebesmüh, aber das wenige, das sie bewirken würde, war immer noch beträchtlich.
- Das geht von den Pobacken bis knapp unter die Schulterblätter, wies ich ihm die Richtung. Aber fang vorsichtig an … Weißt du, man muß den Schmerz einschläfern.
Ich litt geschlagene fünfzig Stunden lang. Mein ganzes Wochenende ging dabei drauf. Am Montagmorgen dann kam ein Typ vorbei, ich hatte zwei Kilo abgenommen. Der Typ war groß und stark, sehr imposant, würde ich sagen. Er nahm mich in seine Arme, als sei ich ein kleines Kind, er klemmte meine Beine mit einem Knie zusammen, dann ließ er meine Wirbelsäule knacken. In beide Richtungen.
- Warum lachen Sie? fragte er mich.
- Das können Sie nicht verstehen …. antwortete ich. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Schmerzen!
Ich hatte kein Auge zugetan. Bernie hatte während dieser beiden Tage die meiste Zeit mit mir verbracht, doch als er mich gegen Mitternacht nach einer letzten Massage verließ, war mir zwar eine halbe Stunde lang das Schlimmste erspart geblieben, aber dann hatte es mich voll erwischt. Die Nächte waren schrecklich. Mein Rücken gönnte mir keine Minute Ruhe. Ich hatte solche Schmerzen, daß ich nicht ruhig liegen bleiben konnte, stundenlang drehte ich mich wie am Spieß über dem Feuer, suchte vergebens eine Lage, die mir ein wenig Linderung verschaffte, wo sie doch alle gleich fürchterlich waren. Manchmal wurde ich im Zuge einer dieser mühsamen Umwälzungen von einem derart heftigen Schmerz zur Ordnung gerufen, daß ich minutenlang wie betäubt innehielt und kaum zu atmen wagte, die Augen sperrangelweit aufgerissen ob eines solchen Horrors.
An mein Sofa geklammert, mußte ich Angriff um Angriff über mich ergehen lassen, aber ich brauchte nur einen Blick zum Fenster hinaus zu werfen, schon erspähte ich meinen guten Stern, und war ich auch geschwächt, gezeichnet, ließ ich doch den Mut nicht sinken, ich kämpfte weiter bis zum frühen Morgen, meckerte wie die berühmte Ziege, allerdings siegreich, und ich versank in einen unruhigen Halbschlaf, kaum daß der Tag graute. Gott lieht nur den, der gelitten, hatte ich irgendwo gelesen.
Am Montagabend fühlte ich mich ein wenig besser. Nicht gerade brillant, aber das Schlimmste hatte ich hinter mir, ich konnte aufstehen, wenn auch nur vornübergebeugt. Ich beruhigte Elsie.
Sie hatte am Abend zuvor angerufen, und ehe ich mich einschalten konnte, hatte Bernie sie über die Lage aufgeklärt, und ich hatte größte Mühe gehabt, sie davon abzubringen, augenblicklich abzureisen. Bernie glaubte, sie liebe mich wirklich, es war Sonntagabend, ich war mitten in der schlimmsten Krise, aber ich hatte es noch geschafft, höhnisch zu feixen:
- Gottogott, Bernie, guck mich doch an, findest du das lustig …?! Guck dir doch die Lachnummer an, die sie sich ausgesucht hat …! Herr im Himmel, das ist grotesk …!!
Es hatte eine Weile gedauert, bis ich sie davon überzeugt hatte, nicht zurückzukehren, ich hatte meine letzten Kräfte verbraucht und darüber vergessen, ihr zu erzählen, daß ich die Stiftung verlassen hatte. Diesmal verkündete ich ihr die frohe Botschaft und berichtete ihr alles haarklein. Ich hörte sie am anderen Ende prusten.
- Dan … Du weißt gar nicht, wie glücklich ich bin …!
- Jaja, der Alptraum ist vorüber.
- Du, hör mal … Warum kommst du nicht zu mir …?!
- Mensch, Elsie, ich kann kaum auf den Beinen stehen. Meine Güte, du weißt, ich bin nicht mehr der Jüngste … Vergiß das nicht …!
Es gebrach mir an Schneid, sie direkt in die Arme eines anderen zu treiben, aber ich versuchte ihr schüchtern den Weg zu weisen. Ich war zu übel dran, als daß mich irgendwelche sexuellen Dinge hätten ablenken können, und ich mußte die Gelegenheit nutzen, um sie auf den Trichter zu bringen, was im vorliegenden Fall hieß, unsere Trennung zu verlängern, damit sie ein wenig die Augen aufmachte und die Natur wieder zu ihrem Recht kam. Mehr durfte man jedoch nicht von mir verlangen.
Natürlich, es bestand das Risiko, daß sie durchdrehte und mich nach Strich und Faden betrog, um anschließend mit Unschuldsmiene und noch feuchtem Arsch wieder anzutanzen. Es gefiel mir nicht, so zu denken. Das hieß sie herabsetzen, ich wollte nicht, daß mir solche Dinge durch den Kopf gingen. Das war schändlich. Ich hatte in meinem Leben einige unangenehme Überraschungen erlebt, aber ich durfte mich nicht gehenlassen. Ich war überzeugt, daß ich eines Tages an ein Mädchen geraten würde, das mir gegenüber in diesem Punkt ehrlich war, und ich wollte gern glauben, daß dieses Mädchen Elsie war. Naja, ich hoffte es inständig.
Ich konnte die Leere, die sie hinterlassen hatte, nur zu gut ermessen. Das war beeindruckend und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, geradezu entsetzlich. Mitunter fragte ich mich, ob ich mich nicht überschätzte, ob mir überhaupt bewußt war, wie hart der Schlag werden konnte. Ich lief Gefahr, mich weniger schnell wieder aufzurappeln, als ich annahm.
- Ja, aber ich sag dir, immer noch besser, sich mit Schmerzen wieder aufzurappeln, als überhaupt nicht mehr, glaub mir …! Ich wußte, daß ich recht hatte. Und wenn ich mich aufgab, dann diesmal in völliger Kenntnis der Sache.
Im Laufe der Tage erkannte ich, daß mir die Stille am meisten gefehlt hatte. Während mein Rücken wieder auf die Beine kam, spürte ich, daß mich neue Kräfte durchströmten. Es kam vor, daß ich den ganzen Tag über niemand sah und den Mund nicht aufmachte, und am Abend dann prickelte mein Verstand und setzte Muskeln an. Ich war auf dem Weg zu einer Form, in der ich seit Jahren nicht mehr gewesen war. Die Stille war gesund, die Einsamkeit war gesund. Elsie war nicht die einzige, die ich vermißte, auch Hermann fehlte mir. Ihre Abwesenheit war wie ein Bad in einem eiskalten Gebirgsbach, ein belebendes Übel, dem ich nicht auszuweichen suchte. Trotz des Hochsommers versank ich bisweilen in einer trockenen Kälte, als stände ich nackt mitten im Wind, und das härtete mich ab.
- Früher oder später wirst du diesen Kampf zu bestehen haben …! stachelte ich mich an. Und jeder Tag, der verging, war ein Stein, den ich in meiner Hand zermalmte.
Äußerlich ungerührt nahm ich die Gelegenheit wahr, über das Drehbuch nachzudenken. Streng genommen arbeitete ich nicht daran, aber ich machte mir meine Gedanken, ich drehte und wendete es in aller Ruhe mehrmals am Tag. Ich hatte nicht die Absicht, viel davon zu übernehmen. Tatsächlich keimte allmählich eine kleine Idee in meinem Hinterkopf. Mein Geist hüpfte und zeterte vor Ungeduld, während ich mich körperlich mit neuen Kräften eindeckte. Ich war nahe daran, ob dieses glücklichen Zustroms von Energie in der Dunkelheit aufzuleuchten. Einzig mein Herz blutete ein wenig.
Gegen Ende der Woche machte ich glatt einen vernünftigen Eindruck. Die letzten Spuren meines Hexenschusses waren verflogen, und der gewissen, auf meinen Weltschmerz zurückgehenden Blässe hatte ich praktisch den Garaus gemacht, indem ich mich im Gras ausgestreckt hatte. (Aufbaucreme, doppelter UV-Schutz [A + B]: Gefahrlose Bräunung!). Ich hatte keinen großen Appetit, aber ich machte mich auf gut Glück über Gladys’ Pillen her, und ich hatte zwei Kilo von ihrem Vollkornreis verputzt. Es war immer noch genauso warm. Der Himmel war von morgens früh bis abends spät von einem unbeweglichen und endlosen Blau. Elsie hatte nicht jeden Tag angerufen. Ich hatte Hemingways Briefwechsel und einige Romane von Faulkner gelesen, um mich von der schlechten Lektüre zu erholen, die ich mir in all diesen Bürostunden hatte aufhalsen müssen. Bei Einbruch der Nacht lungerte ich wieder in meinem Garten herum, Corona und Monte Cristo. Daß Marianne mir die Freiheit gewährt hatte, war nicht alles, ich brauchte noch einige Tage, um mich wieder daran zu gewöhnen.
Ich hatte es fast geschafft, ich hatte praktisch all meine alten Gewohnheiten wieder angenommen und bog eben auf die Zielgerade ein – dieser Tag gehört dir allein, du kannst tun, was du für richtig hältst, Artikel 1 –, als Sarah eines Mittags bei mir aufkreuzte. Ich holte gerade meine Wäsche aus dem Trockner und faltete sie sorgfältig zusammen und war meilenweit davon entfernt, an sie zu denken.
Sie trat ein, ohne zu klopfen, wie in der guten alten Zeit, nur daß sie diesmal nicht das geringste Lächeln erntete, nicht einmal ein eisiges, nichts, überhaupt nichts.
- Was ist los …? fragte ich sie. Ist dir meine Adresse wieder eingefallen …?!
- Ich bin nicht gekommen, um mich mit dir zu streiten, antwortete sie.
Tausendmal war sie in dieses Haus eingetreten, jedes Molekül der Bude kannte sie, nie hatte es die geringste Verlegenheit zwischen uns gegeben, aber an diesem Morgen hüpfte sie von einem Bein aufs andere, wußte wohl nicht so recht, wo sie sich lassen sollte, ungeschickt sogar die Art und Weise, wie sie ihre Tasche -es sah aus, als hätte sie sich dieser Geste eben erst erinnert – aufs Sofa warf. Ich empfand fast so etwas wie Scham für das, was mit uns beiden geschehen war. Ich ahnte zwar, daß sie gekommen war, um mich etwas zu fragen, aber ihrem Gesicht war nichts zu entnehmen, außer daß sie es nicht eilig hatte, zur Sache zu kommen.
Ich wandte meinen Blick ab. Glättete einige unschöne Falten auf meinem City Lights-T-Shirt, bevor ich es zu den anderen legte, und fragte sie, ob sie noch lange wie angewurzelt mitten im Zimmer zu stehen gedenke, sie könne sich wie zu Hause fühlen, ich käme sofort. Aber ehrlich, es war ein Jammer.
Sie hatte noch nicht gegessen. Sie hatte nicht viel Zeit, denn sie mußte in die Stiftung zurück, dennoch setzten wir uns mit ein wenig Reis und Tomaten in den Garten, und ich stellte ihr keinerlei Fragen. Ich hatte keine Lust, ihr zu helfen, sah sie kaum an, mein Reis war zu weich, schwer zu schlucken, und ich tat so, als kratze es mich nicht, was sie mir erzählte, wenig Interessantes, nebenbei gesagt, trostlose Banalitäten, die sie herunterleierte, als wollte sie einen Schutzschild zwischen uns aufbauen. Erst als sie auf die Kinder zu sprechen kam, spitzte ich ein Ohr.
- Gladys hat mich heute morgen angerufen. Ich glaube, zwischen Richard und Vincent steht es nicht zum besten …
- Aha, er ist bei ihnen …?!
- Hör mal … Das ist sein Haus, er ist hingefahren, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist …
- Meine Güte, was für ein Feingefühl!
Seltsam, jedesmal, wenn ich eine Artigkeit in Richtung Dolbello einfließen ließ, schien sie mich nicht zu hören.
- Ich weiß nicht genau, was los ist … Aber Gladys hat mich gebeten vorbeizukommen, naja, sie meint, es wäre besser, wenn ich käme …
- Nun gut, ich nehme an, sie hat ihre Gründe …
- Dan … Ich will nicht zwischen Richard und Vincent geraten …!
Obwohl sie mir bei diesen Worten einen verzweifelten Blick zuwarf, schob ich meinen Teller von mir und zerknüllte meine Serviette auf dem Tisch:
- Gottverflucht nochmal …! Das fällt dir jetzt erst ein …?! Ich durchbohrte sie mit einem finsteren Blick, dann wandte ich den Kopf ab. Die Sonne brutzelte im Gras, an der Grenze zum Sonnenschirm, ich spürte, daß Ärger nahte.
- Dan … Ich möchte, daß du mit mir kommst …
Ich gab keine Antwort. Schaute sie nicht an, zuckte mit keiner Faser. Mein Verstand schaltete sehr schnell.
- Bitte, Dan, bitte … Bist du noch in der Lage, mir einen Gefallen zu tun …?
- Sowas nennst du einen Gefallen …?! knurrte ich.
Ich kreuzte in der Abenddämmerung bei ihr auf. Ich schob mein Motorrad in die Garage und schnallte langsam meine Ledertasche vom Gepäckträger, während ich Richards Fahrrad musterte, das an der Decke hing, ein Sportrad, das er jahrelang mit immer höherem Sattel mitgeschleppt hatte und dessen Zeit vorbei war.
Ich trat durch die Küche ein und schritt ins Wohnzimmer. Es war nicht der Geruch, auch nicht eine gewisse Präsenz, aber ich merkte sehr schnell, daß Dolbello die Räumlichkeiten in Besitz genommen hatte. Vielleicht hatte er sogar meinen Lieblingsplatz mit Beschlag belegt, und jetzt war ich der Eindringling, wo wir einmal dabei waren.
- Schlappes Pack! knurrte ich die Gegenstände an, die um mich herum waren und sich mit ausweichender Miene abwandten.
Sie kam die Treppe herab, in ein schmales, lockeres Kostüm gekleidet und mit einem Lächeln, das sie mir seit Ewigkeiten nicht mehr geschenkt hatte. Anscheinend existierte ich auf einmal wieder, hatte sie die Größe meiner Seele entdeckt und freute sich jetzt also, daß wir die Reise gemeinsam unternahmen. Ich mäßigte sie mit einem teilnahmslosen Blick, dann forderte ich sie auf, nachzusehen, ob sie nichts vergessen hatte, und bestellte ein Taxi.
Ich hatte mich am Nachmittag um die Fahrkarten gekümmert. Ich wußte nicht, ob sie sich eingebildet hatte, wir würden die Nacht auf einer Sitzbank verbringen und den mangelnden Komfort mit einem bestimmten Personenkreis teilen – persönlich war ich über das Alter hinaus –, als sie jedenfalls sah, daß ich ein Abteil nur für uns beide reserviert hatte, zögerte sie ungefähr eine Viertelsekunde, ehe sie eintrat, und als sie sich dann nach mir umdrehte, verbarg sie die konfusen Empfindungen, die auf sie einstürmten, hinter einem schwachen Lächeln. Von mir aus mochte sie ruhig denken, was sie wollte, meinetwegen konnte sie auf dem Gang übernachten, wenn ihr das lieber war, ich hatte niemand gezwungen. Nun ja, wie dem auch sei, ich reichte dem Typ, der uns die Tür geöffnet hatte, die Fahrkarten, und sie sagte:
- Ich bin ewig lang nicht mehr mit dem Zug gefahren, weißt du. Ich hatte diese eigentümliche Atmosphäre vergessen …
Ihrer Stimme war noch eine gewisse Unruhe anzuhören, aber nichts Boshaftes, man hätte meinen können, sie rede und denke dabei an etwas anderes. Ich wußte ganz genau, was sie sich wohl vorstellte – was überdies jede andere an ihrer Stelle getan hätte –, trotzdem, es handelte sich dabei keineswegs um ein abgekartetes Spiel meinerseits. Ob sie mir nun glaubte oder nicht, ich hatte sie nicht belogen: sämtliche Flüge bis zum nächsten Tag waren ausgebucht. Und die Nacht in einem Mief von Körpergerüchen zu verbringen und ständig schnarcht irgendein Idiot auf seiner Liege zweiter Klasse, naja, o Gott …
Die äußeren Umstände sprachen gegen mich, aber das hatte nicht die geringste Bedeutung. Ich spekulierte auf nichts mehr. Ich war nicht besonders scharf darauf, die Nacht mit ihr zu verbringen, wenn sie es genau wissen wollte.
Wir kauften dem Typ auf dem Bahnsteig ein paar Zeitungen und Illustrierte sowie Kaugummidragees für Sarah ab. Die Nacht war noch nicht schwarz, sondern leicht rotorange und wie von einem höllischen Feuer angestrahlt. In der Luft hing ein Geruch von Maschine, von poliertem Stahl.
Als sich der Zug in Bewegung setzte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus und entspannte sich tatsächlich. Ich spürte das sehr deutlich, ich war ganz mit der Speisekarte beschäftigt, und ich hatte den Eindruck, daß sie meine Unachtsamkeit dazu ausgenutzt hatte, irgend etwas mit der Atmosphäre anzustellen oder einfach ein Opiumkügelchen zu verschlingen. Ich blickte flüchtig zu ihr hinüber. Ihre Arme ruhten auf den Lehnen des Sessels, ihr Nacken auf der Rückenlehne. Ihr Gesicht war halb zum Fenster gewandt, und sie wirkte abwesend, besänftigt und nicht weit davon entfernt, ein Lächeln aufzusetzen, wenn ich mich nicht täuschte. Ich hätte gern gewußt, woran sie dachte, aus reiner Neugier. Ich nahm meine Lektüre wieder auf, während der Zug an Geschwindigkeit gewann und in Richtung Südwesten abbog. Durch die leicht geöffneten Fenster herrschte eine recht angenehme Temperatur.
Ich fragte sie, ob sie lieber hier oder im Speisewa …
- O nein, ich kann mich nicht mehr bewegen, unterbrach sie mich.
Ich veranlaßte das Notwendige und bestellte einstweilen etwas zu trinken. Mittlerweile nahmen die Lichter, die in der Dunkelheit vorbeisausten, ihre Aufmerksamkeit gefangen. Oder auch die Schatten der ausfransenden Vorstadt. Oder das plötzliche, der Garbe einer Brandbombe ähnliche Aufleuchten eines Bahnsteigs. Sie hatte ihre Jacke ausgezogen und trank ihr Glas in kleinen Schlucken, sie hatte es sich bequem gemacht, und ihr Gesicht war ruhig und ihre Lippen feucht, und ihr Parfüm wehte langsam zu mir herüber. Sie hatte die Beine angezogen, ihre Strümpfe schimmerten über ihren Knien, ihr Rock spannte sich wie eine Trommel und dazu ihre Bluse und die feine Spitze, die ihr Schlüsselbein kreuzte und die Perle, die an ihrem Ohr hing, und die Strähnen, die ihr entwischt waren, als sie mit einer einzigen Handbewegung ihre Haare hochgesteckt – puh, du weißt gar nicht, wie warm mir darunter ist – und einige Nadeln sowie eine durchscheinende Spange in Form eines Krokodils, die Gladys gehörte, angebracht hatte. Ich mußte zugeben, sie war begehrenswert, ich verspürte immer noch die gleiche Bewunderung für ihre Weiblichkeit, und ich kannte nicht viele, die eine solche Wirkung auf mich ausübten, aber das war nicht mehr, was ich einst für sie empfunden hatte. Zum erstenmal war ich mir dessen richtig bewußt. Jetzt, da ich sie neben mir hatte, konnte ich mir das ein wenig näher ansehen, niemand kam mir in die Quere, und ich konnte in aller Ruhe darüber nachdenken und mich daran machen, die Haltetaue einzeln zu überprüfen, und an diesem Abend konnte ich feststellen, daß es einige gab, die tatsächlich lockerer geworden waren.
Mit dem schneidenden Geräusch eines Rollschuhs, der einen eisernen Hügel hinunterrollt, in regelmäßigen Abständen auf einer Reihe von Nieten zusammenzuckend, purzelten wir in das flache Land, und ein riesiger Kalmar stieß uns einen dicken Strahl Tinte entgegen. Draußen war nichts mehr zu sehen. Die Nacht war so dunkel, daß man Himmel und Erde nicht mehr unterscheiden konnte, und schließlich drehte sie sich um und fragte mich, ob wir nicht noch eins bestellen sollten. Ich angelte den Flachmann aus meiner Ledertasche. Ich ziehe es vor zu fliegen, da ist der Service schneller. Ein merkwürdiges, fast schmerzliches Lächeln spielte um ihre Lippen. Tja, Dinge ansehen, die vorbeihuschen und vom Schatten verschlungen werden, ist nicht unbedingt das Beste für die Moral.
Sie hob ein wenig ihr Glas, als wollte sie mir zuprosten. Ich hob meines nicht. Ich wußte, daß sie mich unangenehmen Dingen zuführte. Man hätte meinen können, sie wolle nicht daran denken, sei entschlossen, diese Reise so angenehm wie irgend möglich zu gestalten, aber mir war nicht danach, auf ihr Spiel einzugehen, ich war nicht so wendig wie sie, ich hatte nicht die Fähigkeit, plötzlich zu vergessen, was sie mit dieser famosen Freundschaft angestellt hatte, mit der sie mir in den Ohren gelegen hatte, mir steckte noch ihr keusches Murmeln in der Kehle, o nein, Dan, Dan, wir dürfen nicht, ich hab so etwas noch nie mit einem anderen Mann erlebt, ich brauch dich zu sehr, O NEIN,WIR DÜRFEN NICHT …!! Ich war zweifelsohne in einer erstaunlichen körperlichen Verfassung, denn während ich mir diese traurigen Worte ins Gedächtnis rief, hatte ich den verchromten Hals meines Flachmanns unbewußt in meiner Hand zerquetscht, er sah aus wie ein Rest Alufolie. Sie hatte nichts davon mitbekommen, denn ich hatte im Schatten des Tisches gewirkt, übertönt vom Rauschen der Gleise, und so hatte sie mir nicht anmerken können, was ich in puncto Waffenruhe dachte. Wenn sie jemals in mir hatte lesen können wie in einem Buch, dann war das an diesem Tag nicht der Fall. Anscheinend setzte ich, manchen Blicken nach zu urteilen, die sie mir zuwarf, eine recht undurchdringliche und verwirrende Miene auf. Wahrscheinlich bildete sie sich ein, ich schmollte nur, es würde nicht lang dauern, dann würde ich es nicht mehr aushallen und die Maske fallen lassen und wieder ihr alter Gefährte sein, aber da täuschte sie sich, denn es gab keinen anderen Dan in diesem Abteil und auch keine Maske, die ich auf der Nase trug, damit war Essig, das war mein wahres Gesicht. Nichts als ein etwas fades Lächeln, das gönnte ich ihr noch als Lohn für ihre Bemühungen, vielleicht war ich sogar irgendwie gerührt, als sie die Augen niederschlug und ein bekümmerter Schatten hinzukam, allein, wer war schuld daran …? Ich glaubte sehr gut verstanden zu haben, daß sie nur noch ein ganz gewöhnliches Verhältnis mit mir suchte, eine völlig beschissene Freundschaft. Nun gut, unter diesen Bedingungen stand ich ihr zur Verfügung, das konnte sie haben.
Trotz alldem hatte ich nicht die Absicht, unfreundlich zu sein, und als sie beschloß, ein ganz normales Gespräch mit mir anzufangen, trottete ich mit, ohne das Tempo zu forcieren, unbekümmert, hochnäsig sozusagen.
Wir teilten uns den letzten Tropfen meines Bourbon. Ich hatte nicht erwartet, daß sie in diesem Punkt mit mir Schritt halten würde – soweit ich mich erinnerte, trank sie selten auf nüchternen Magen –, aber ich schluckte meine Verwunderung hinunter und begnügte mich damit zu notieren, daß ihre Augen einen gewissen Glanz annahmen und eine zarte Röte ihre Wange überzog.
Obwohl die Luft durchs Fenster zischte, drang nur eine entwaffnend laue Wärme hinein, angereichert mit dem Geruch trockenen Grases und nächtlicher Erde, den sie mechanisch fächerte, während sie mit mir sprach, indem sie träge mit einem Exemplar aus der Familie der Prospekte vor ihrer Kehle wedelte.
Sie fand es nur natürlich, daß ich meine Arbeit als Schriftsteller wieder aufnahm, die Welt sei zwar absurd, aber manchmal müsse sie sich eben doch beugen und zulassen, daß die Dinge wieder ins Lot kamen, nun ja, sofern sie sie zufällig einmal nicht zerbrochen hatte. Jedenfalls machte sie sich um mich keine Sorgen, sie freute sich über das, was ich erreicht hatte. Das Abteil vibrierte leicht, es ächzte, bullerte, klimperte in einem fort wie ein Sack voll Münzen in einer Räuberhöhle. Ich hatte das Gefühl, daß einige Begriffe in ihrem Kopf durcheinandergeraten waren, ich hörte jedoch auf mein gutes Herz und erklärte ihr, daß es ein Unterschied sei, ob man ein Drehbuch hinschmiere oder ein Buch schreibe. Erklärte ihr, daß zwischen der Arbeit, die mir Marianne anvertraut hatte, und dem Quasi-Wunder kaum ein Zusammenhang bestehe. Ich ließ mich sogar ein bißchen fortreißen.
-Jeder kann sich den Kopf zerbrechen und auf eine Idee kommen. Mit einer Idee und ein wenig Talent kannst du ein Drehbuch schreiben. Wenn du eitel bist, schreibst du ein Buch. Nur, weißt du, wenn du eines wirklich brauchst, um ein Schriftsteller zu sein, dann ist das der Stil. Und nichts, keine Idee, kein Talent, kein noch so unbändiger Stolz kann ihn je ersetzen. So etwas ist sehr selten, aber man erkennt ihn auf den ersten Blick … Der Stil ist das Licht, das vom Himmel fällt …!
Hiernach, die Augen noch ungestüm zu dunklen Schießscharten zusammengekniffen, ärgerte ich mich schwarz, daß wir meine eiserne Reserve aufgebraucht hatten. Ich wollte nur einen Kurzen, einen simplen Schluck, um die Pille hinunterzuwürgen, aber wir hatten nicht einen Tropfen mehr übriggelassen. Ich schielte einen Augenblick nach der Notbremse, dann resignierte ich und fragte Sarah, ob sie mir bitte einen Kaugummi reichen könne. Es war schon eine Weile her, daß ich aufgehört hatte zu schreiben, aber mir war, als schleppte ich das seit ewigen Zeiten mit mir herum. Sie starrte mich einen Moment an, während mir diese schmerzliche Überlegung durch den Kopf ging, dann verkündete sie, langsam habe sie schrecklichen Hunger.
Flaschen waren in diesem Zug nicht zu bekommen, doch zum Glück geriet ich an einen jungen, recht aufgeweckten Kerl, der sich bereit fand, meinen Flachmann gegen eine kleine Belohnung aufzufüllen, M’sieur, sooft sie wollen, versicherte er mir, während er geschwind den Schein in seiner Tasche verschwinden ließ. Er wirkte etwas enttäuscht, als ich ihm erklärte, das sei wohl nicht erforderlich. Während er den Tisch abräumte, dachte ich kurz nach, und zur Sicherheit bestellte ich noch zwei Bourbon zusätzlich. Sowie Mineralwasser, und zwar die große Ausführung, präzisierte ich.
Ich hatte keineswegs die Absicht, mich zu betrinken. Aus diesem Grund hatte ich zum Essen auch nur eine halbe Flasche Wein bestellt, und ich hatte sie kaum angerührt, Sarah hatte es auf sich genommen, ihr den Garaus zu machen. Während der gesamten Mahlzeit war ich Zeuge der ungeheuren Ausstrahlung gewesen, die von ihr ausgehen konnte, und immer wieder war ein unwiderstehliches Lächeln zu mir herübergeflogen und hatte mich flüchtig angestrahlt, bevor es im Schatten verschwand. Das war bestimmt eine prickelnde Nummer, voll Zauber und Geheimnis, und – wenn man mich fragte – das erste Weltwunder, aber sie zu würdigen war etwas anderes. Sie hätte tanzen können, um Regen vom Himmel fallen zu lassen, mein Herz wäre trocken geblieben. Ich wurde von einem dumpfen Weltschmerz ergriffen, Gott, sie verdiente es, daß man sich ihr zu Füßen warf …! Aber ich blieb seelenruhig in meinem Sessel sitzen, ach ja, es gibt Dinge, die sind nicht zu erklären.
Kaum war der Typ zur Tür hinaus, stand ich auf, um das Abteil abzuschließen, und in diesem Moment sagte sie:
- Erzähl Vincent bitte nichts davon, sag ihm nicht, daß wir beide allein in einem Abteil waren …
Ich setzte mich erst einmal hin, so gut fand ich das.
- Nein, sag ehrlich … Meinst du das ernst …? fragte ich sie mit sanfter Stimme.
Sie lächelte immer noch, aber ich ließ mich dadurch nicht täuschen. -Ja, natürlich … Ich wollte mich nicht aufregen, das war mir zu dämlich.
- Verdammt …! seufzte ich.
- Komm, Dan … Vielleicht würde er das falsch verstehen. Kopfschüttelnd schaute ich zum Fenster hinaus, doch ich sah nur ihr Spiegelbild, das sich zu mir hinüber beugte, und die Verstimmung, die sich plötzlich in ihren Zügen abmalte, und ich dachte:
- Jessesmaria …! Ich drehte mich um. Ich glaubte mich zu erinnern, daß sie die Farbe meiner Augen mochte, sie würde sich gewiß freuen.
- Weißt du, Sarah … (oh, und meine Stimme war zuckersüß, zart wie ein Frühstück im Freien), weißt du, Sarah, ich sitze nicht zufällig in diesem Zug. Niemand anders als du hat mich darum gebeten, erinnerst du dich … Weil du Probleme hattest. Weil dein Freund nicht umhin konnte, nach dem Rechten zu sehen, und weil er sich nicht mit deinem Sohn versteht. Zugfahrten sind mir ein Greuel. Und nur seinetwegen verbringe ich die Nacht in diesem fürchterlichen Radau. Ich hab dieses Tete-ä-tete nicht gesucht. Eigentlich sollte ich jetzt zu Hause sein und auf einen Anruf warten. Der Kerl kotzt mich an, falls du das immer noch nicht begriffen hast. Was meinst du, wie mich das kratzt, ob er Verständnis hat oder nicht, habe ich ihn um etwas gebeten …?
Ich bemerkte einmal mehr, daß sie nicht hinhörte, wenn ich kundtat, was ich von Dolbello hielt. Sie interessierte nur eins: daß ich mir das Versprechen eines geziemenden Schweigens abringen ließ, daß er auf gar keinen Fall erfuhr, daß sie und ich …. im gleichen Abteil … allein … die ganze Nacht … die Vibrationen … das enge Beisammensein … die Liegeplätze … die sommerliche Schwüle … das Rütteln, die reifen Ähren, die Tunnel und so weiter und so fort … Wahrhaftig, ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Persönlich hatte ich nichts dagegen, wenn er ein wenig ins Schwitzen kam. Er war an allem schuld. Aber sie wirkte so aufgewühlt, als ich mich weigerte, ihr mein Wort zu geben, daß ich schließlich nachgab. Zum Teufel, ihre Dankesworte widerten mich an, lieber schlug ich die Augen nieder.
Sie trank ihr Glas aus. Jetzt strahlte sie, sie wirkte gelöst, nachdem sie einen Sekunden zuvor noch zu Tränen gerührt hatte. Ich strich mir langsam über den rechten Arm, eben jenen Arm, den ich mir einst hätte abhacken lassen, hätte jemand behauptet, Sarah könne einem Mann nachgeben. Nein, kein Zweifel, ich verstand einfach nichts von Frauen. Sarah, die bei der Vorstellung zitterte, ein Typ könne ihr eine Szene machen, wer wollte noch bestreiten, daß ich in eine Welt geraten war, die sich verkehrt herum drehte …?!
- Guck sie dir an, sagte ich mir, du wirst bestimmt noch mehr Überraschungen erleben. Alles, was du weißt, ist nur Illusion, Torheit, Sand, den du dir in die Augen streust.
Sie betrachtete mich mit gerührter Miene, mit einer Art verträumter Melancholie – wahrscheinlich spielte da auch der Alkohol eine Rolle, obwohl ich für die Folge nichts mehr beschwören möchte – , die sie durch eine lässige Haltung noch betonte: den Kopf leicht geneigt und die Hüften seitlich verschoben, die Beine wieder angewinkelt. Mehr hatte es früher nicht bedurft, um sogleich einen schweren Schwall lüsterner Hitze in mir aufsteigen zu lassen. Wenn ich sie bei einem solchen Blick ertappt hatte -wohl wissend, daß sie mich letztlich abweisen würde –, hatte ich für den Rest des Tages genug zu tun, um mich davon zu erholen, es war mitunter schwierig, sich mit einer freundschaftlichen Umarmung zu bescheiden, wenn man höher gesteckte Ziele verfolgte. Nicht nur, daß ich sie bumsen wollte, da war auch noch etwas anderes.
- Woran denkst du …? fragte sie mich.
- Was soll ich sagen … Das ist ziemlich persönlich.
Sie wartete auf die Fortsetzung. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, daß sie allein unterwegs war, daß ich auf halbem Weg stehengeblieben war. Die Macht der Gewohnheit, diese unsere Manie, einander nichts zu verheimlichen …
Enttäuscht – ich sah noch dieses nicht Faßbare auf ihrem Gesicht, dieses so spürbare Unendliche – spielte sie einen Moment mit dem obersten Knopf ihrer Bluse, dann stand sie auf und verschwand hinter mir. Ich hörte, wie sie die Tür des Waschraums aufzog. Obwohl sie nicht abschloß, verzichtete ich darauf, mich zurückzubeugen und mir die Augen auszugucken, – Augen können auch berühren …! hatte sie mir eingetrichtert –, und schnappte mir eine Illustrierte, ich legte sie auf den Tisch und peilte die erste Seite an. Es war gegen ein Uhr, aber nicht die geringste Kühle drang von draußen herein, und wir dampften gen Süden. Sie sagte, ihr Rock sei zerknautscht. Ich stand auf und drehte das Licht dunkler, setzte mich wieder. Mir war, als ob ich jedesmal, wenn ich eine Erinnerung wachrief oder ein Bild aus vergangenen Zeiten, das mit ihr zu tun hatte, ausgrub und in Augenschein nahm, als ob ich all das zum letztenmal sah, danach zerfiel alles ganz ohne mein Zutun zu Staub. Auf diese Weise lösten sich auch so manche Dokumente, die um ihr Badezimmer kreisten, ein frottierter Rücken, ein abgetrockneter Körper, in Wohlgefallen auf, zumindest war dies mein Eindruck, zog nicht danach tiefste Finsternis auf …?
- Immerhin, besonders fröhlich bist du nicht …! meinte sie in recht freundlichem Ton.
- Nein, nein, es ist alles in Ordnung …. sagte ich.
- Ich brauch nicht mehr lange … Oh, es gibt nichts Schöneres! Trotz des dumpfen Lärms, der hartnäckig durch das Abteil dröhnte, konnte ich hören, wie sie mit dem Wasser spielte, einem dichten Nebel gleich sah ich die Spitzen einiger zarter Dampfschwaden über den Boden kriechen.
- Bist du müde …?
- Es geht.
- Hast du keine Lust zu reden …?
- Ich weiß nicht, wozu ich überhaupt Lust habe. Vielleicht höre ich dir lieber zu.
Schlagartig sagte sie nichts mehr. Doch das Wasser hörte auf zu fließen, und es entstand eine Art Schweigen, ein weißer Fleck im Reich der Blinden. Wie oft hatte ich, seit sie Dolbello begegnet war, von einer solchen Situation geträumt, davon, daß die Stunde schlug, da ich allein mit ihr war, um sie zu packen und mich mit ihr auszusprechen, ohne daß sie entweichen oder sich taub stellen konnte, doch jetzt, da der ersehnte Augenblick da war, stand mir nicht der Sinn danach, ihn wahrzunehmen, bewußt ließ ich die schöne Gelegenheit sausen, selbst auf die Gefahr hin, daß es die letzte war, mit ihr abzurechnen. Ich wußte selbst nicht, was in mich gefahren war. Mir war, als sähe ich mein Hab und Gut abbrennen, ohne einen Finger krummzumachen. Vielleicht kam mir endlich zu Bewußtsein, daß ich sie unwiderruflich verloren hatte, vielleicht errichteten wir Welten, die zwangsläufig zur Auflösung verurteilt waren. Ich schloß einen Moment die Augen, von einer dumpfen Trägheit an meinen Sitz gefesselt.
Noch bevor sich ihre Hände auf meine Schulter legten, erzitterte mein ganzer Körper. Ich nahm die Füße vom Tisch, neigte den Kopf zurück und überließ mich wortlos diesem alten ehrwürdigen Ritual. Ich hatte ihr einmal vorgeschlagen, sie dafür zu bezahlen, um mich dieser Sitzungen zu versichern, und das im Ernst, ich hatte geschworen, kein Preis sei mir zu hoch, aber sie hatte mir nur ins Gesicht gelacht und sich nicht gescheut, mich in ein Grab der Ungewißheit sinken zu lassen, sie mache das nämlich ganz nach Lust und Laune und ich solle mich zum Teufel scheren.
Meine Trapez- und Deltamuskeln rollten in ihren Fingern, unter ihren Daumen, jeder kleine und große Obliquus, als ich, von meiner Überraschung nur halb erholt, die Augen öffnete und sie in der Glasscheibe erblickte, in einen weißen Bademantel gehüllt und über mich gebeugt, die Augen niedergeschlagen und die Haare noch feucht und sorgfältig zurückgekämmt, und ich fragte mich, worauf sie hinauswollte. Mit was für einer verflixten Bitte würde sie jetzt wieder herausrücken …?! Besser, ich machte mich auf das Schlimmste gefaßt, wenn ich sah, mit welchem Eifer, ja welcher Andacht sie sich ihrer Aufgabe widmete. Allein, konnte ich ihr irgend etwas abschlagen, wenn sie in dieser Weise vorging …?
- Du weißt, das hätte niemals geklappt …. murmelte sie.
Ich sagte nichts. Ich hatte jedoch oft darüber nachgedacht, und ich war nicht ganz ihrer Ansicht, ich glaubte nicht, daß wir gar keine Chance gehabt hätten. Deshalb hätte ich es auch gern auf einen Versuch ankommen lassen, wenn sie mich nur gelassen hätte. Mit halben Sachen lassen sie sich natürlich nie abspeisen.
Sie hatte einen Rhythmus gefunden, der zu einem Sklavenlied auf einem Dampfschiff gepaßt hätte. Es kam mir vor, als schwanke der Zug langsam hin und her und als führen wir einen großen, träge dahinfließenden Fluß hinauf. Ihre Hände glitten nicht über meine Haut, sie schienen wahrhaftig in sie einzudringen, leicht wie mein eigenes Fleisch zwischen meine Muskeln zu schlüpfen. Nebenbei gesagt, auch Elsie schlug sich da nicht schlecht.
- Du, ich kann nichts dafür, wenn das Leben bescheuert ist …
- Mmm, Sarah … Ich habe dir nie irgendwelche Vorwürfe gemacht.
- Ach … Es bringt doch nichts, darüber zu diskutieren, ächzte sie.
- Da kann ich dir nur zustimmen.
- Du weißt es, das Leben ist bescheuert, und ich kann nichts dafür … Ich hab keine Lust, darüber zu reden …
- Mach weiter, sagte ich zu ihr. Wenn es das letzte Mal ist, dann gönn mir noch ein paar Minuten …
Sie stieß ein amüsiertes Knurren aus und streichelte mir sanft über die Schultern. Einen Moment lang verharrten wir schweigend, fast reglos. Ich spürte ihren Atem in meinen Haaren. Manchmal verstärkte sich der Druck ihrer Finger, so als wollten sie sprechen. Natürlich, sie hatte ein wenig getrunken, aber das erklärte nicht alles, jedenfalls war das verdammt angenehm. Früher hatten wir mitunter gewisse Spielchen recht weit getrieben – nur noch ein Schritt, und da wäre der Abgrund gewesen, in den ich zu stürzen hoffte –, neben denen das hier nur Kinderei war. Ich hatte bereits an ihren Brüsten geknabbert, meine Hand auf ihre Hinterbacken gelegt, halbnackt hatten wir uns aneinander gepreßt, ich hatte meine Zunge in ihren Mund geschoben usw. und nicht nur einmal, nein, des öfteren, so daß eigentlich mehr als eine schlichte Nackenmassage hätte kommen müssen, um mich aufzuwühlen. Doch diesmal war das anders, ich spürte, daß etwas in der Luft lag.
Als die Sitzung endete, war ich irgendwie belemmert, wie nach einem Dampfbad, und ich kannte meinen Hals und meine Schultern nicht mehr. Sie zog ihre Hände nicht sofort zurück, ein Glück angesichts des traurigen Schlamassels, den ein zu abrupter Abbruch bewirkt hätte. Dabei glitt sie jedoch unmerklich zur Seite, und ganz allmählich sah ich neben mir die ersten Vorboten eines weißen Morgenlichts erscheinen. Das war, in Frottee gehüllt, der Umriß ihrer Hüfte, der sich unglaublich langsam aus dem Schatten schob. Ich kannte sie trotz allem gut genug, um zu wissen, daß sie keine Schau abzog, sondern schlicht zögerte und widerstrebenden Kräften ausgesetzt war. Sarah und zögern …?! Ich war mit Sicherheit der erste Typ, der sie in dieses Dilemma stürzte.
Ich rührte mich nicht. Sie brauchte nicht darauf zu hoffen, daß ich ihr half. Als sie gänzlich in Licht getaucht war, drehte ich leicht den Kopf. Die Schöße ihres Bademantels überlappten sich nicht. Keine Ahnung, ob Dolbello für ihre Dessous aufkam, jedenfalls handelte es sich um ein hinreißendes, elfenbeinfarbenes Höschen aus Seidenkrepp mit breiten Spitzen in den Einbuchtungen der Oberschenkel. Ich hatte noch nie die Erlaubnis gehabt, mich in diese Gegend vorzuwagen, ich hatte höchstens ihr Vlies einmal flüchtig berührt, als sie nicht acht gab, aber ihren Geruch kannte ich. Ansonsten barg keine Pore ihrer Haut ein Geheimnis für mich.
Bestimmt fragte sie sich, was ich trieb. Eine ihrer Hände umschloß behutsam meinen Nacken – und das ist noch übertrieben für eine solche zarte Berührung –, während sie ein wenig die Beine spreizte. Auch da konnte sie vielleicht nichts für, vielleicht zwang sie das nervtötende Schlingern des Waggons, ihr Gleichgewicht zu wahren. Ich wartete ab, schielte seelenruhig nach der Frucht meines früheren Begehrens, die sich eng in weiße Seide schmiegte und auf diese Weise zu einer reizenden Schamlosigkeit, einer unverfälschten Obszönität gelangte.
Da sie meine Passivität nicht mehr aushielt, beugte sie sich zum Tisch und angelte sich eine Zigarette. Offensichtlich weigerte sie sich, mir noch mehr auf die Sprünge zu helfen. Sie verstand nicht so recht, was los war, zumal ich ihr mit einem schwachsinnigen Lächeln aufwartete. Ich gab ihr Feuer. Sie schaute mich kurz an, sie dachte:
- Habe ich mich vielleicht mißverständlich ausgedrückt …? Meine Güte, was braucht er denn noch …?!
Sie setzte sich mir gegenüber auf ihre Liege, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und schlug demonstrativ die Schöße des Kleidungsstücks über ihre Beine. Sie schien nicht wütend, auch nicht nervös, höchstens ein wenig enttäuscht. Ihr Gesicht – ungeschminkt, die Haare straff auf dem Kopf – war von jener ruhigen Schönheit, die mir naheging. Einige Minuten lang verlor sich ihr Blick in der Ferne. Dann richtete er sich auf mich:
- Legst du dich nicht schlafen …?
- Hör mal, fragt man einen chronisch Schlaflosen, ob er in einem Zug schlafen kann …? scherzte ich.
- Oh, ich dachte, das sei besser geworden …
- Nein, das hat wieder angefangen, seit Elsie fort ist. Ich glaube, das ist mein wahres Wesen …
- Herrgott! Es wird immer wärmer, findest du nicht …?
Ich nickte. Es konnte gut sein, daß das mit der Temperatur zu tun hatte. Ich wurde mir nicht schlüssig, ob sie einfach körperlich Lust hatte oder ob das etwas Tiefergehendes war. Jedenfalls war ihr Körper verflixt da, ganz so, als hinge er wie Pulver in der Luft. Ich hatte den Eindruck, sie schämte sich dessen beinahe. War es eine natürliche Feuchtigkeit, die ihrer Haut diesen so feurigen Glanz verlieh, oder sah ich Gespenster?
Für eine Weile übte sie sich in einem konfusen Gespräch, dabei wechselte sie mehrmals mit einem Anflug von Nervosität die Haltung, um zum Schluß erneut zu klagen, daß man hier keine Luft bekam, daß nicht das geringste Lüftchen zu spüren war. Sie entblößte vollständig ihre Beine und musterte mich mit einer Miene, als wollte sie sagen, sie könne nicht anders. Beim besten Willen nicht, und ich müsse mich damit abfinden. Das bereitete mir ehrlich gesagt keine großen Probleme. Auch nicht, daß sie sich weiter auf ihrer Decke wand, um die ideale Lage zu finden. Ich mochte sie noch so gut kennen, das war eine Sache, von der bekam ich nie genug. Schon als kleiner Junge liebte ich es, ihnen zuzusehen, wenn sie sich bewegten, sie faszinierten mich, wenn sie nur einen Arm rührten, ihr Körper war das tiefste aller Geheimnisse, von Beginn an war ich einer ihrer glühendsten Bewunderer. Hatte ich nicht einer kleinen Nachbarin, damit sie ihre Röcke vor mir hob, mein einziges Exemplar von Moby Dick überreicht, ohne das geringste Bedauern, außer vielleicht, daß sich ihre große Schwester nicht auf den Handel eingelassen hatte?
Plötzlich seufzte sie auf, preßte die Knie in ihre Arme und fing an, sich auf die Lippen zu beißen:
- Weißt du, ich hab bei ihm eine Art Gleichgewicht gefunden …
- Puh, ich glaube, das weißt du selbst am besten …
- Nein, beim besten Willen, du verstehst mich nicht …
- Jaja … Ich geb zu, das will mir nicht in den Kopf. Aber das ist auch nicht mehr so wichtig.
- Dan, ich bin mein ganzes Leben nur gerannt … Ich brauchte ein wenig Ruhe, das konnte nicht mehr so weitergehn …
- Mmm, schon richtig.
- Du verstehst nichts, nicht wahr …? Dir ist ganz egal, was ich dir erzähle …!
Ich konnte nicht umhin, an der Pikanterie der Situation zu schnuppern: Träumte ich oder bekam ich gerade wirklich eins auf den Deckel …?!
- Sag mal, Sarah … Man könnte meinen, auf einmal interessiert dich, was ich denke …
- Nein. Ich weiß, was du denkst …!
Sie wandte den Kopf ab. Beugte sich zur Seite und holte ein Fläschchen aus ihrer Tasche. Ich wußte, was das war, Öl aus Aprikosenkernen, ich kannte das alles nur zu gut. Eines Abends, als sie sich ein wenig hatte gehenlassen, war es mir vergönnt gewesen, sie damit einzureihen. Es hatte mich überwältigt. Doch was gut war für ihre Haut, hatte meinen Nerven erheblich geschadet. Jetzt, mit ein wenig Abstand, erschien es mir, als sei ich all die Zeit halb verrückt gewesen. Inzwischen war mir klar, wie groß meine Angst gewesen sein mußte, sie zu verlieren. Wie sonst hätte ich all diese Geschichten ertragen? Gab es noch jemand, der so erbärmlich gewesen wäre wie ich, jemand, der sich mit all diesen Notlösungen beschieden hätte, während sie die Typen reihenweise vernaschte …?! Jemand, der ihren scheußlichen Bettgeschichten ebenso verständnisvoll Gehör geschenkt hätte …?! Plötzlich konnte ich das volle Leid ermessen, das mir Franck angetan hatte, als sie mich verließ. Der Schmerz, nicht mehr schreiben zu können – und ich war weiß Gott nicht daran gestorben! –, hatte mich derart verblendet, daß ich die eigentliche Katastrophe nicht erkannt hatte.
Sie schien nicht mehr auf mich zu achten und ölte sich sorgfältig Arme und Beine ein, während in mir alles hell wurde. Ich schaute sie an, ohne sie zu sehen, bedrückt erkannte ich den Umfang des Schadens. Ich hatte also Angst gehabt, ein zweites Mal verlassen zu werden …?! So große Angst, daß ich mir selbst etwas vorgemacht und alles mögliche von Sarah hingenommen hatte …??!! Das war ein ganzes neues Licht auf die letzten zehn Jahre meines Lebens. Das konnte man unterschiedlich aufnehmen. Einige Verse von Ezra Pound kamen mir in den Sinn: Was du geliebt hast, wird bleiben – der Rest ist nur Asche – Was du geliebt hast, wird nicht entfliegen – Was du geliebt hast, ist dein ganzer Besitz … (Pisaner Cantos)
-Dan …?
-Mmm …?
- Fühlst du dich wohl …?
- Warum? Sehe ich krank aus?
- Redest du jetzt mit dir selbst …?
- Oh …. achte nicht darauf … Ich hab beschlossen, mir jeden Abend ein paar Verse aufzusagen. Ich finde, das ist gut für den Teint.
- Und was war das?
- Ach, unwichtig.
Wieder schaute sie mich mit diesem Gedanken an, der ihr durch den Kopf ging. Hierauf stand ich auf und setzte mich an das Fußende ihres Betts. Ich lächelte sie an. Sie konnte es nicht fassen, daß ich mich so jäh entschlossen hatte. Ich nahm einen ihrer Knöchel und drückte ihn zart gegen meine Wange, während sie sich auf die Ellbogen stützte und ihr Gesicht erstrahlte.
- Mein Gott …! murmelte ich.
- O Dan …! sagte sie.
Ich liebte ihre Füße wirklich. Ich hatte schöne Mädchen gekannt mit so häßlichen Füßen, daß mir darüber alles vergangen war, dermaßen derben Füßen, daß ich nichts mehr davon hatte wissen wollen.
Ich wies sie darauf hin, daß wir auf der schiefen Bahn waren. Sie gab keine Antwort, musterte mich, als wolle sie sich darin üben, mich aus dem Gedächtnis zu zeichnen, aber mit sanftem Blick. Lachend versicherte ich ihr, ich würde bestimmt aus dem Zug springen, wenn sie mich daran hinderte, aufs Ganze zu gehen. Sie stützte sich auf einen Arm, um mir mit dem Handrücken des anderen über die Schläfe zu streicheln, dann sank sie, mich mit ihren Lippen berührend, zurück.
- Weißt du, daß ich schon nicht mehr daran geglaubt habe …? erklärte ich ihr, während ich ihre Knie kraulte, die sie angezogen hatte, die Fersen gegen die Pobacken, und schmachtend bewegte wie zahnlose Krokodilkiefer, so daß ich dann und wann ihres Höschens frivole Furche erspähte.
- Oh, sag nichts …. hauchte sie.
- Das wird mir schwerfallen …. gab ich zur Antwort.
Sie fügte hinzu, daß sie an nichts mehr denke und daß ich mir ein Beispiel daran nehmen solle. Diese Nacht sei nämlich heilig und auch so aufwühlend genug.
Ich sank über sie und verschloß ihre Lippen mit einem wilden und wahrlich feurigen, absolut aufrichtigen Kuß.
Dann nahm ich ihre Arme von meinem Hals und widmete mich wieder ihren nach oben stehenden Knien. Ich rührte sie nicht an, nein, trotzdem fielen sie im gleichen Moment zur Seite wie die Flügel eines ausgeleierten Fächers. Ich fing sie auf und drückte sie heftig zusammen.
- Noch einmal, bitte …! Noch einmal, aber nicht so schnell …! Ich habe Jahre davor gelegen …!
Sie kippte ein wenig zur Seite, während sie ihre Brüste befühlte, doch diesmal öffnete sie sich mit kalkulierter Langsamkeit, wiegte sich sogar in den Hüften wie eine, die versucht, auf dem Rücken liegend zu kriechen.
- Komisch …. sagte ich. Eins frage ich mich …
In der Tat, ich überlegte schon seit einer ganzen Weile.
- Dan …! stöhnte sie. Was denn noch …?!
Ich beugte mich ein wenig vor und packte ihren Slip in Höhe der Leiste. An dieser Stelle war nur ein zartes Blattwerk aus Spitze, nichts, was irgendwelche Probleme bereiten konnte. Ich zerriß ihn mit einem Ruck. Was ihr leicht zusetzte, aber sie zuckte nicht mit der Wimper. Schamlos legte ich ihre Spalte frei und holte sie an das ockerfarbene, unanständige Licht, das in den Schlafwagen herrscht. Mit einem schmachtenden Beben ermunterte sie mich fortzufahren, und ein Funkeln hemmungsloser Sinnlichkeit zog über ihr Gesicht. Ihr Instrument glänzte und sabberte wie ein Neugeborenes.
- Ich weiß nicht mehr, was ich sagen wollte …. seufzte ich. Aber es wird mir schon wieder einfallen.
- Komm, das kann doch bestimmt warten …!
Ich zog ihr die Stoff etzen aus, um sie auf die Folter zu spannen, strich sie ihr mit vergnüglicher Langsamkeit über die Beine, während sie wie ein Gummibaum dahinfloß. Dann warf ich ihr einen eisigen Blick zu.
- Ich hab mich gefragt … Wenn wir miteinander bumsen, du und ich … Hast du keine Angst, daß das deinem Gleichgewicht schadet …??!
Eine Sekunde lang starrte sie mich an und sagte bestürzt:
- Dan …!, und ihre Beine schlössen sich wieder. Ich stand im gleichen Moment auf und warf die Reste ihres Höschens in ihre Richtung, bevor sie so recht begriff, was vorging, und ich setzte mich wieder ans Fenster. Ich schloß die Augen. Das Kinn gegen die Brust gepreßt, fuhr ich mir mit weit gespreizter Hand durch die Haare, und das zwei-, dreimal.
- Wozu dieses Theater …?!
Ihre Stimme war von kalter, wenn auch mit Bitterkeit getränkter Wut durchdrungen. Sie war gekränkt. Es heißt, in solchen Augenblicken sind sie am gefährlichsten.
- Das war kein Theater. Das war alles echt.
- Ich nehme an, du bist stolz auf dich. Sicher hast du dir irgend etwas bewiesen.
Sie saß mitten auf ihrer Liege, im Schneidersitz, den Ellbogen auf ein Knie gerammt und das Kinn in die Hand, und sie sah mich scharf an, nicht besonders feindselig, aber kalt und genau.
- Nein, ich habe mir nur das Leben vereinfacht. Beweise, die brauche ich nun wirklich nicht mehr.
- Trotzdem hast du gewartet, daß ich die Hand nach dir ausstrecke … Ich hoffe, du weißt es zu würdigen, ich hoffe, du erinnerst dich wenigstens daran, ich bin regelrecht zerflossen, so muß man es wohl nennen … Das wolltest du doch, nicht wahr, o hab keine Angst, ich versichere dir, du hast nicht geträumt … Na, wem willst du jetzt noch weismachen, du ständest mit leeren Händen da …?! Du hast mir etwas genommen, und das weißt du genau … Ich möchte wissen, was ich dafür erhalten habe, sag mir doch, was hast du mir gegeben …?!
- Das war kein Tausch. Manchmal erhält man nichts, es gibt nicht für alles eine Gegenleistung im Leben. Was willst du …?! Habe ich deine Eigenliebe verletzt …? Weißt du, wie oft ich bei dir meinen Stolz hinunterschlucken mußte …?!
- Wir hatten etwas beschlossen …!
- Nein, ich habe niemals auch nur irgend etwas beschlossen. Ich hab bei diesem Freundschaftstralala mitgemacht, weil ich keine andere Wahl hatte. Aber wenn man nicht bekommen kann, was man möchte, sollte man nicht den tragischen Fehler begehen, etwas zu akzeptieren, das dem ähnelt.
- Ich brauchte einen Freund, nicht noch einen Typen, der mich bumst …!
- Unter diesen Umständen solltest du mich weiter warmhalten, da kann ich dir noch nützlich sein.
Etc. Ad nauseam. Nil novi sub sole.
V. Dolbellos Hütte lag zum Meer hin. Es handelte sich um ein recht hübsches Bauwerk am Ende der Stadt, ein wenig tiefer gelegen und relativ isoliert im Schatten robuster Pinien, die es von der Straße aus praktisch unsichtbar machten und den Duft von Hustenbonbons verströmten.
Der Taxifahrer hatte uns am oberen Ende des Weges abgesetzt, er weigerte sich, seinen nagelneuen 190 D über einen Lehmweg zu steuern. Es störte mich nicht, ein wenig zu wandern. Nach der Nacht, die wir hinter uns hatten, erschien mir nichts aufmunternder als dieser stille, von staubigen Strahlen durchbohrte Hohlweg, der sich unter Bäumen zusammenkauerte, aber von meinem Trinkgeld würde sich der Kerl keine neuen Alufelgen kaufen.
Ich war recht vage gestimmt. Während wir auf das Haus zugingen, versuchte ich mich ein wenig zu entspannen, indem ich die Landschaft bewunderte, aber bei dem Gedanken, Dolbello wiederzusehen und dazu noch bei ihm, verging mir alles. Erst als ich Gladys hinter der Bude auftauchen und in einem fluoreszierenden Badeanzug rasch auf uns zulaufen sah, fand ich mein Lächeln wieder.
- Ah, kommt schnell! rief sie uns zu. Er hat Richard im Keller eingeschlossen …!
- Das ist doch nicht dein Ernst …! erklärte ich und eilte ihr nach.
Hermann war mit dem Schloß beschäftigt. Ich schleuderte meine Tasche auf einen Stuhl und blickte ihn fragend an.
- Tag Papa. Du kommst gerade recht. Ich fummel schon ‘ne Weile daran rum, aber ich geb’s bald auf …!
- Nein, sagt mal … Spinnt der, der Kerl …?! Das war eigentlich keine Frage.
Ohne noch länger zu zögern, schaute ich mir die Tür an. Hermann reichte mir eine Gabel mit verdrehten Zinken sowie ein altes Küchenmesser, das ich mit mildem Lächeln zurückwies. Dann forderte ich Richard auf, von der Tür wegzutreten.
- Ich glaub, auf die Tour wirst du sie ganz schön demolieren …. raunte mir Hermann zu.
- Pah, das ist nicht gesagt …
Ich verpaßte der Türfüllung einen fürchterlichen Tritt, genau über der Klinke, mit dem Absatz nach vorn und mit zusammengebissenen Zähnen und dem Gefühl, das Übel der Welt zu bekämpfen. Aber es passierte überhaupt nichts.
- Verdammt nochmal! Ich brauchte ‘nen Hammer oder ‘nen Stoßbohrer!
Ich verpaßte ihr noch einen, noch ein wenig wilder und ohne das geringste Mitleid. Und sogleich einen dritten. Diesmal spuckte sie sämtliche Zähne aus, sie drehte sich in ihren Angeln und prallte vehement gegen die Wand.
Richard ging durch die Küche, ohne einen Ton zu sagen. Sämtliche Blicke richteten sich auf ihn, aber er sauste schnurstracks nach draußen, er bückte sich nur, um seine Katze einzusammeln, die sich nach ihm erkundigen wollte, und ließ die Tür sperrangelweit auf.
- Ich seh nach, wie’s ihm geht …. flüsterte mir Hermann zu und verschwand seinerseits.
- Also nein, was ist denn passiert …?! stöhnte Sarah, während ich die Risse in der Zarge untersuchte. Und wo steckt Vincent …?!
- Ich glaube, er ist fischen gegangen, antwortete Gladys. Er hat Richard eingeschlossen, bevor er loszog.
Sarah stieß einen schmerzlichen Seufzer aus und ließ sich auf einen Stuhl fallen:
- Herrgott …! Und warum …?!
Gladys schien ein wenig verlegen. Sie schaute mich an, bevor sie sich in Erklärungen stürzte, und allmählich dämmerte mir, woher der Wind wehte.
- Naja … Er will ihn daran hindern, auszugehen … Was Besseres ist ihm nicht eingefallen.
- Wie bitte, er will ihn daran hindern, auszugehen …?
- Ja, das heißt, Leute zu treffen … Freunde … Ich hab doch gesagt, sie verstehn sich nicht, die beiden … Als Richard heute morgen zurückkam …. naja, da hat es ziemlich gekracht.
Sarah machte den Mund auf, aber sie brachte keinen Ton zustande. Deutete eine Handbewegung an, die sogleich abbrach. Das war erst der Anfang, aber sie wirkte bereits erschöpft.
- Hör zu, Mama, ich muß dir was sagen …
Wieder schauten wir uns an, Gladys und ich. Das Leben steckt voller Engpässe, durch die man wohl oder übel hindurch muß, nicht anders beginnt es ja auch.
- Richard war mit einem Jungen zusammen.
Sarah hob langsam den Kopf. Sie hatte noch nicht begriffen, was Gladys da gesagt hatte. Das war wie ein Stockhieb an einem eiskalten Tag, man spürt ihn nicht sofort.
- Muß ich dir das erst lang und breit erklären …? fragte ich sie. Ich war nicht dafür, groß herumzudrucksen, sondern gleich mit der Sprache herauszurücken.
- Hör zu, Mama … So dramatisch ist das auch nicht …! Einige Sekunden lang war nur das Kreischen der Vögel und das Tosen der Wellen am Fuß der Dünen zu hören.
- Ich gebe zu, damit habe ich nicht gerechnet …! murmelte sie mit tonloser Stimme und streichelte die Hand, die Gladys auf ihre Schulter gelegt hatte.
In diesem Moment bin ich rausgegangen. Der Himmel war von einem überwältigenden Blau. Zum erstenmal an diesem Tag war ich mir seiner Farbe bewußt. Der Sand hatte die Absperrung am Ende des Gartens halb umgeworfen, und einige verkümmerte, salzzerfressene Grasbüschel waren alles, was von einem früheren Rasen übriggeblieben war. Hinter einer Reihe von Tamarisken blinkte der Ozean, und ein schwacher jodhaltiger Wind staubte über den Strand.
Hermann holte mich ein, als ich am Wasser entlangtrottete, die Hose hochgekrempelt, die Schuhe in der Hand und Dolbello von ganzem Herzen verfluchend.
- Und …? fragte ich ihn.
- Es geht. Er ist wieder in die Stadt gefahren.
- Was sagt man dazu … An einen solchen Idioten zu geraten …! Und sie hat auch noch ihr Gleichgewicht bei ihm gefunden … Weißt du, ich fürchte, Richard steht noch einiges bevor.
- Ja, ich mache mir Sorgen um ihn … Er braucht jetzt vor allem Ruhe … Ich bin froh, daß du da bist, die Dinge haben sich seltsam entwickelt.
- Mmm, ich wüßte nicht, was ich tun kann. Glaub nicht, ich brauche nur zu erscheinen und alles renkt sich ein. Das war einmal, als du noch ein kleiner Junge warst, ich will hoffen, mittlerweile weißt du, woran du bist … Ehrlich, dieser Kerl da, keine Ahnung, was ich von dem halten soll …!
- Ach verflixt, er war wütend. Er hat Richard geschworen, daß er ihn auf den rechten Weg zurückbringt …
- Klar doch … Von solchen Typen hab ich gehört. Du wirst bald merken, wie die Welt beschaffen ist.
Das war nicht bloß angenehm, an seiner Seite zu schlendern, das war eine tiefe und in gewisser Hinsicht erschreckende Freude.
Ich nahm die Gelegenheit wahr, ihm mitzuteilen, daß ich wieder in Amt und Würden eines Drehbuchautors war und, besser noch, daß es mit diesen Bürostunden ein Ende hatte. Er fand auch, ich sähe topfit aus. Ich sagte, er solle bloß nicht hinter die Fassade gucken.
Er sah ebenfalls frisch aus. Am Vorabend ihrer Abreise hatte er sich, auch wenn er es nicht zugeben wollte, kaum noch auf den Beinen halten können. Das mit dem Theater ging regelmäßig bis zwei, drei Uhr morgens, und am Ende kippte er stocksteif auf sein Bett, und Gladys mußte ihn ausziehen und kurz darauf wieder ankleiden, damit er auf sein Fahrrad springen konnte. Ich drohte damit, das Handtuch zu werfen, aber er flehte mich an, Herrgott, nur noch ein paar Tage …!! Ich war froh, daß er sich so gut erholt hatte. Ich fand ihn auch ein wenig verändert, wie immer, wenn wir länger als vierzehn Tage getrennt waren – man könnte meinen, sie tun das, kaum daß man ihnen den Rücken kehrt.
An diesem Teil der Küste war der Strand wild und verlassen. Selbst der dümmste und trotteligste Idiot hätte das gemerkt, und wenn er noch so in den Dreck der Stadt vernarrt war. Einige Minuten lang wanderten wir schweigend durch den Blitzschlag der Göttlichen Schönheit. Natürlich konnte das nicht lang so bleiben. Als wir den ersten Anzeichen der Entartung ansichtig wurden – wir waren auf eine Gruppe von Badenden gestoßen, die ihre Brüste in die frische Luft hängten, rotverbrannte Steaks, die ein ausgehungerter Hund verschmäht hatte –, schlug ich vor umzukehren.
Wir schlenderten den gleichen Weg zurück und nahmen den Gesprächsfaden an der Stelle wieder auf, wo wir ihn gelassen hatten: bei den Maßnahmen, die zu treffen waren. Das eine war, daß sie gleich morgen abhauen würden. Zudem kam es nicht in Frage, auch nur eine Nacht unter dem Dach des Neandertalers zu verbringen, sie würden ihr Zelt am Strand aufschlagen. Alles war bestens geregelt. Das hieß, fast alles. Richard bestand darauf, seine Sachen selbst abzuholen. Abreisen oder die Flucht ergreifen war ihm zufolge zweierlei. Ich war mir keineswegs sicher, ob das eine gute Idee war, noch einmal zurückzukehren. Aber es sind nicht immer die guten Ideen, die Klasse haben.
Auf halbem Weg setzten wir uns ein wenig auf den Sand.
- Und wie geht’s Elsie …?
- Mmm, Elsie …?
Ich verspürte eine Art Magenkrampf, als ich nur ihren Namen aussprach. Und ich mied seinen Blick, als hätte ich mir etwas vorzuwerfen, ich rieb mir den Sand von den Füßen und Waden. Ich blickte mit verzerrtem Gesicht in die Sonne.
- Meine Güte, ich nehme an, es geht ihr gut … Sie ist auf Tournee … Wußtest du das nicht …?
- Nein, keine Ahnung …
- Jaja … Damit war zu rechnen … Das mußte früher oder später so kommen.
- Na klar! Ich hab ihr gesagt, sie soll die Hoffnung nicht aufgeben …!
Was mir zu schaffen machte, das waren diese kleinen glitzernden Partikel, die an meiner Haut klebten.
- Nein …. korrigierte ich ihn. Das habe ich nicht gemeint … Es tat mir bereits leid, daß ich das Thema nicht vermieden hatte, da ich noch voll auf Entzug war. Aber es war zu spät. Also zog ich mechanisch die Knie an die Brust und atmete hörbar aus -ein Typ, der sich mit sowas auskennt, ein Unglücklicher, der solche Dinge gewohnt ist.
Ich zuckte leicht mit den Schultern:
- Was soll’s … Man muß im Leben auch verlieren können …! Ich mach ihr keinen Vorwurf, sie war ein tolles Mädchen …
Er mochte Elsie. Im Gegensatz zu Sarah hatte ich jemand gefunden, der meinem Sohn gefiel. Das Problem lag woanders.
- Dan, das ist doch nicht wahr …!
Natürlich versetzte ihm das einen Schlag. Aber mir war selbst nicht nach Lachen zumute, ich hatte nicht die geringste Lust, auf dem Sand herumzutollen, und wenn er sich noch so fein und flauschig anfühlte, so warm und so weich, daß es eine Wonne gewesen wäre.
Gelassen verfiel ich in ein schwaches Lächeln:
- Weißt du, Hermann, ich hab’s immer gewußt … Hältst du deinen Vater für einen Trottel …? Glaubst du denn, ich hätte mir auch nur eine Sekunde etwas anderes ausgemalt …?! Paß auf … Nicht nur, daß es auf Erden nichts gibt, was man für alle Zeiten erringt, nein, ich bin obendrein in eine unmögliche Situation geraten. Ich wußte nur zu gut, was mich erwartete. Aber betrachte das nicht als Verrücktheit, ich bereue es nicht, im Gegenteil … Verflixt nochmal, Hermann, sie war wunderbar, und das sind keine leeren Worte …! Nein, weißt du, die einzig wahre Verrücktheit, der einzige unverzeihliche Fehler wäre gewesen, sich ein anderes Ende dieser Geschichte vorzustellen … Ich weiß nicht, ob du dir darüber klar bist, ich bin fünf ‘zehn Jahre älter als sie, fünfzehn scheußliche, verdammte Jahre …! Glaub mir, du kannst die Sache drehen und wenden, wie du willst … Ich weiß nicht, ob ich sagen darf, daß ich mein Leben hinter mir habe, aber ich kann dir versichern, sie hat ihres noch vor sich.
Er hatte mit einem Holzstück gespielt, während ich auf ihn einredete, trocken und weiß wie ein Knochen, er hatte es dazu benutzt, ein kleines Stück des Strandes sorgsam zu glätten – und darin war alles, die Illusion, das natürliche Chaos ordnen zu können, das Wunder einer verlockenden, qualfreien Welt. Als er merkte, daß ich zu Ende gesprochen hatte, warf er mir einen argwöhnischen Blick zu, dann schleuderte er mit einer müden Bewegung sein Holzstück in die Ferne.
- Herrgott … Das ist wirklich zu bescheuert …! maulte er.
- Du meinst, ich bin bescheuert, nicht wahr …?
Er gab keine Antwort, natürlich nicht, er blickte sich lediglich nach einem anderen Utensil um, wahrscheinlich hätte es schon ein einfacher Grashalm getan.
- Ich weiß nicht … Vielleicht hast du recht … Tatsache ist, daß ich in meinem Leben ein paar wahnsinnige Frauen hatte und es nie verstanden habe, sie festzuhalten. Ich weiß nicht, woran es liegt … Das ist kein Pech, ich hab eher das Gefühl, das hat mit mir zu tun … Ich kann dir aber nicht genau sagen, was es ist … Findest du, mit mir stimmt was nicht …. ich meine, abgesehen von meiner Wirbelsäule …?
Ich entlockte ihm ein Lächeln. Mein Seelenleben war das größte Fiasko, das sich denken ließ, aber hatte das in diesem Moment irgendeine Bedeutung …?! Ich spürte an seinem Blick, worauf er hinauswollte.
- Mmm, mach dir um mich keine Sorgen …. fügte ich hinzu.
Wir saßen im Garten, als Dolbello aufkreuzte.
Baden und goldbraune Kreuzigung hatten einen Großteil des Nachmittags in Anspruch genommen, danach waren Hermann und ich in die Stadt gezogen, um ein paar Flaschen zu kaufen – ein plötzliches Verlangen, ein paar Bloody Mary zu kippen, aber da war ich nicht der einzige-, während die Mädchen das Essen zubereiteten. Der Himmel errötete zart. Wir waren gut abgefüllt, und die Bloody gab uns den Rest, wir beobachteten Eichhörnchen in den Bäumen und lauschten amüsiert dem Kreischen der Vögel. Sarah war fast gelöst. Hermann und Gladys schienen an nichts zu denken. Ich träumte, sein Boot sei untergegangen, und wenn er nicht tot war, trug ihn eine mächtige Strömung in die Hölle davon.
- Hey …! Sarah …! Wow …!! brüllte er und breitete die Arme aus, die Angelrute in der einen, den Pullover in der anderen Hand.
Sie sprang auf.
- Hey …! Dan …! Ich blieb sitzen.
- Freut mich, dich zu sehen …! sagte ich und beobachtete resigniert, wie sie sich an ihn preßte, an seinen dunkel behaarten Oberkörper, so dunkel, daß er in dem Licht blau schimmerte. Er setzte seine Angel ab und hob Sarah in seine Arme.
- Verflucht! Das ist ja ‘ne Überraschung …!
Die Muskeln traten an seinen Armen und Beinen hervor, und noch bis ins Innere seines Schädels. Bei diesem Typ Mann fanden sie also ihr Gleichgewicht – Abel, der Typ, mit dem Franck in ihre zweite Ehe geflattert war, hatte einen Halsumfang von 46 –, immer und ewig dieses Bedürfnis nach Sicherheit, dieser tierische Ruf nach Stärke, nach dem Kerl, der den Eingang der Höhle bewachte, ohne ihnen mit seinen existentiellen Problemen auf die Nerven zu gehen … Das war es, was meine Aktien fallen ließ, um so mehr, als es nicht damit getan war, sich einen athletischen Körper zuzulegen, man mußte darüber hinaus eine gewisse Unverwüstlichkeit ausstrahlen, ein beruhigendes Licht in den Augen haben … Trotz allem, ich gab ihnen da nicht ganz unrecht, ich wußte nichts dagegen einzuwenden. Wenn sie ihr Instinkt dazu trieb, dort zu schwimmen, wo man stehen konnte, wenn sie letztlich den wählten, der ihnen am solidesten erschien, dann war das nur allzu verständlich. Und die Bloody Mary war nicht für die Katz.
- O wei o wei …! murmelte Gladys, als die beiden in der Bude verschwanden.
- Warum o wei o wei …? Meinst du, deine Mutter ist nicht in der Lage, uns aus der Klemme zu ziehen …?!
- Doch, aber …
- Ach, daß ich nicht lache! Da müßten schon zehn von seiner Sorte kommen, ehe ich mir Sorgen mache …! Eine Horde ausgehungerter Wölfe würde ihr die Hände lecken, wenn sie wollte.
Ich hatte sie nur halb überzeugt, sie starrte weiter mit ängstlicher Miene auf das Haus, die Hände gefaltet, die Arme auf die Lehnen gepreßt und den Oberkörper nach vorne geneigt.
- Hör mal …. fügte ich hinzu. Selbst wenn er wie ein wildgewordener Stier wieder rauskommt, wird nichts passieren. Ich hab’s deiner Mutter versprochen.
Eine beruhigende Stille ergoß sich nach meinen Worten, eine betäubende Ruhe begegnete ihren Ängsten.
- Was habe ich gesagt …?! trumpfte ich auf und streckte die Hände flach gen Himmel. Ist sie nicht großartig …!
Sie beschlossen, in der Zwischenzeit das Zelt aufzuschlagen. Sie holten ihre Ausrüstung aus dem Fiat, und ich blickte ihnen nach, als sie zum Strand hinuntergingen, bis sie zwischen den Dünen verschwunden waren. Ich hatte ihr alles versprochen, was sie wollte, weil es nicht mehr möglich war, mit ihr zu reden. Ich hatte es versucht, aber schnell einsehen müssen, daß sie nicht mehr imstande war, irgend etwas zu verstehen. Ihre Gefühle standen im Widerstreit, und es schien alles noch schlimmer zu werden, wenn ich nur den Mund aufmachte. Sie hatte mich zwar hierher gebracht, inzwischen aber, wie ich feststellen mußte, ihre Meinung geändert.
- Ah, misch dich nicht ein, ich flehe dich an …!! Herrgott, halt dich da raus …!! Es handele sich um ihren Sohn und um den Mann, mit dem sie zusammenlebte, nur für den Fall, daß ich nicht verstanden hätte. Und das müsse mir reichen. Man hätte meinen können, sie habe Angst vor mir und ich sei derjenige, der ihr Glück über den Haufen zu schmeißen drohe. Ihre Lippen zitterten. Ihr Blick durchbohrte mich, als sei ich nur mehr ein Tele-plasma. Ich hatte sie an den Handgelenken gepackt und sanft zurückgedrängt, und sie hatte mein Hemd losgelassen. Ich hatte es zurechtgerückt und ihr kommentarlos alles versprochen, was sie wollte. Aber diesmal nicht, um ihr einen Gefallen zu tun – kein Vergleich mit meinem Versprechen von letzter Nacht, unsere intime Reise top secret zu behandeln –, ich hatte einfach die Nase voll.
- Immerhin … Das ist ‘ne blöde Sache mit dieser Tür …! sagte er in boshaftem Ton und ließ sich mit einem grausamen Lächeln vor mir nieder.
Du hast es versprochen. Frag ihn nicht, ob ihm das öfters passiert, daß er Leute einsperrt. Frag ihn nicht, ob er deswegen unter ärztlicher Obhut steht oder ob er sich nur einer ganz allgemeinen Behandlung unterzieht. Du hast es versprochen.
- Alter, es tut mir leid …! seufzte ich. Ich beugte mich vor, um ihm ein Glas zu kredenzen. Sei so nett und schick mir die Rechnung.
- Nein … Darum geht’s nicht.
Im gleichen Moment erblickte ich Sarah hinter dem Küchenfenster. Sie fabrizierte weiß der Kuckuck was über dem Spülbecken, doch ihr Gesicht war uns zugewandt und ihr Blick so leiderfüllt, daß ich mir fast die Lippen zerfleischte. Dolbello hatte sie nicht bemerkt. Er blinzelte mit der Miene eines lüsternen Buddha gegen die untergehende Sonne.
- Na schön, vergessen wir die Sache …. fuhr er fort. Aber der Junge brauchte eine Lektion.
Du hast es versprochen. Halt dich zurück, trink in Ruhe dein Glas aus. Du hast den Weg des Schlappen Schwanzes gewählt, dieser Schwachkopf trifft nur ins Leere.
- Mmm …. meinte ich nickend. Das Leben ist eine einzige lange Lehre.
Er fühlte sich wohl in seiner Haut, richtig selbstgefällig, man hätte ihn in gewissen Katalogen antreffen können, in der Kosmetikabteilung oder in einem RANGE-ROVER-Werbespot.
Und er duftete, ein würziges, herbes Parfüm, das sich aufdringlich bemerkbar machte, als er sich vorbeugte.
- Unter uns … Es gibt gewisse Dinge, die kann ich nicht akzeptieren … Du verstehst, was ich meine …?
Er war widerlich, das heißt, ganz und gar nicht mein Stil in puncto »menschliches Wesen«.
- Verdammt … Wir sind schließlich Männer, oder nicht …?! knurrte er.
Ich schnappte mir einen Fächer, der auf dem Tisch herumflog, und erzeugte einen leichten Luftzug zwischen uns. Einen ordentlichen Mundschutz konnte das nicht ersetzen.
- Also, was soll der ganze Quatsch …?! fügte er hinzu.
Sieh sie dir an hinter ihrer Scheibe. Sieh doch, was sie für einen Schiß hat, daß unser Gespräch abgleitet, und diese Leidensmiene.
Meinst du nicht, daß das für sie nicht noch viel härter ist? Außerdem, du hast es versprochen.
- Ich glaub, ich träume …
Ich sah ihm zu, wie er den Kopf schüttelte. Ich hatte größte Lust, aufzustehen und ihm eins mit dem Spaten überzuziehen, um ihn von seiner Enttäuschung zu heilen. Stattdessen schenkte ich ihm nach.
- Hör mal, ich versteh dich nicht …! meinte ich in vertraulichem Ton. Warum regst du dich über Dinge auf, die es nicht wert sind? Ich an deiner Stelle …
- Nicht bei sowas! Da kann ich nicht anders …! knirschte er.
Der Horizont dehnte sich hinter seinem Hals wie eine Blutlache. Je mehr sich der Tag neigte, um so intensiver wurde der Duft der Pinien, die Luft füllte sich mit einer jodhaltigen, einem feinen Nebel ähnlichen Bläue, und die Stille wurde immer undurchdringlicher. Ich konnte mir die Atmosphäre, wenn Richard erscheinen würde, nur zu gut vorstellen. Dolbello war bestimmt ein solcher Dämlack, wie zu befürchten war. Wenn ich diesbezüglich je den geringsten Zweifel gehegt hatte, dann war das jetzt nicht mehr der Fall, allein den Blick auf ihn zu richten war eine einzige Qual.
Sarah war eine angenehme Ablenkung, als sie sich zu uns gesellte. Sie erklärte, wir könnten bald essen, und verhehlte kaum ihr Entzücken, daß ich nicht alles über den Haufen geworfen hatte, wie sie es nannte. Sie war bescheuert. Als ob es zig Möglichkeiten gab, die Dinge zu sehen. Sie fühlte sich unwohl, dennoch lächelte sie. Es wollte mir nicht gelingen, ihren Zügen einen bestimmten Ausdruck zu entnehmen, ihr Gesicht war ein Sammelsurium widersprüchlicher Empfindungen, als müßte sie es sich verkneifen, pinkeln zu gehen, das war schon komisch und doch so bitter, daß ich wie vor den Kopf geschlagen war. Wenn man sich die beiden ansah, mochte man glauben, man sei zu Besuch in einer Nervenklinik.
Dolbello zog einen Moment lang eine schiefe, zufriedene Visage, als er sie betrachtete und mit Blicken auszog. Dann drückte er sich in seinen Stuhl und legte die Füße auf den Tisch.
- Mein Schatz, ich habe Dan gerade erklärt, daß es höchste Zeit war, die Sache in die Hand zu nehmen …! In letzter Zeit haben wir mit Richard sowieso nur Enttäuschungen erlebt …
Ich rutschte ein wenig auf meinem Kunstharzsessel:
- Oh …. hör mal …. das Ganze ist ziemlich kompliziert … Das heißt, ich weiß nicht, wie Sarah darüber denkt …. naja, weißt du, ich finde, man sollte da sehr behutsam …
Ich reckte Sarah meinen Hals entgegen, hängte mich an ihre Lippen, ganz so, als wollte ich den letzten Willen eines Todgeweihten ablesen, aber es kam nichts, nicht das geringste Zeichen, kein Brauenrunzeln, nicht die Spur von einer Meinung. Sie machte den Eindruck, als könne sie nichts mehr treffen, als wolle sie sagen:
- Töte mich, das ist auch nicht mehr von Belang …!
In diesem Moment wäre ich fast aufgestanden. Ich verstand nicht mehr, wofür ich überhaupt da war. Ich hatte ihr versprochen, mich nicht einzumischen, aber hatte ich auch zugesagt, als überflüssiger Dritter dabeizusein, hatten wir eine Abmachung getroffen, die mich verpflichtete, sie mit all ihrem Kram noch länger zu ertragen …?! Schon trank ich mein Glas aus. Hörte diesem Sack kaum noch zu, der mir, einmal in Schwung, versicherte, er habe da seine eigene Methode. Bis auf den letzten Tropfen, dann setzte ich es heftig ab. Und ich wäre fast aufgestanden, doch in diesem Moment kam Richard.
Er tauchte am hinteren Ende des Gartens auf, oben auf der Düne, die die Absperrung umgeknickt hatte. Er schlenderte sie seelenruhig hinab, die Hände in den Taschen, Gandalf im Schlepptau und ziemlich locker für einen, der sich in die Höhle des Löwen stürzt.
Er hüpfte hinunter und ging auf das Haus zu, ohne auch nur im mindesten zu zögern.
Im ersten Moment hatte es Dolbello die Sprache verschlagen, doch sein Schweigen verseuchte die Luft, und er kniff die Augen zusammen und zog die giftigste Flappe, die man je gesehen hat. Man konnte die Pimennadeln fallen hören, während Richard näherkam. Ich zündete mir eine Especial an (ich stand mich gut mit dem Hause Monte Cristo), um zu zeigen, auf welcher Seite ich war, ich blies einen feinen Rauchfaden in den pastellfarbenen Sonnenuntergang und warf das Streichholz.in mein Glas.
Er ging an uns vorbei, ohne uns irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken, mit diesem kalten, teilnahmslosen Gesichtsausdruck, den er schon hatte, als wir ihn aus dem Keller befreit hatten. Wir verdienten nichts Besseres, dessen war ich mir vollkommen bewußt. Das war keine Welt, auf die wir stolz sein konnten.
Dolbello blickte ihm nach, bis er in der Bude verschwunden war, dann verzogen sich seine Lippen zu einem verächtlichen Lächeln, und er fing vor meiner Nase an zu feixen:
- Das ist nur eine Frage des Umgangs … Aber da werde ich mich schnell drum kümmern, sei unbesorgt …
Ich musterte ihn einen Moment, dann betrachtete ich gelassen das Mundstück meiner Zigarre.
- Dan …. ich will offen zu dir sein …
Ich wollte, daß er überhaupt nichts zu mir war. Mein Mülleimer stand weit offen.
- Dan …. ich will dir die Wahrheit sagen. Ich glaube, das geht auch dich an, die Art, wie du deine Freunde aussuchst. Ich bin nicht du, aber ich sag dir, was ich denke: du solltest in deiner Umgebung ein wenig aufräumen … Es gibt da einige, die einen schlechten Einfluß auf Richard ausüben, es wird Zeit, daß du das merkst … Man tut ihm keinen Gefallen damit, wenn man ihn mit diesen Leuten zusammenkommen läßt, da hat niemand etwas von …
Ich beobachtete die Wirkung meines bloßen Atmens in seinem glühenden Auge, und ich sah die Flammen auf seinem Scheiterhaufen und die Art, wie er gestikulierte. Dann blickte ich langsam zu Sarah hinüber. In der Tat, sie hing dermaßen an diesem Kerl, es war kaum vorstellbar.
- Und du, was meinst du …?! fragte ich sie. Hast du die Sprache verloren …?!!
Sie gab keine Antwort.
Aber für diesen Blick, den du mir zugeworfen hast, für dieses elende, saubeschissene S.O.S. das mir beinahe das ganze Leben verleidet hat, dafür danke ich dir! Verlaß dich drauf, ich werde dich weiter bewundern, wie du es verdienst! Herrgott nochmal, ich glaube gar, ich werde noch anfangen, für dich zu BETEN …!!
- Sie wird dir das gleiche sagen wie ich …. erklärte der Typ zu meiner Linken, ein Mittelgewichtler mit dem Kopf eines Waffenhändlers.
- Vielleicht sollten wir ihr ein Zuckerstückchen geben …? scherzte ich.
Keine Ahnung, ob das daran lag, daß er mich mochte, jedenfalls schenkte er mir immer noch das gleiche Lächeln.
- Du solltest über meinen Rat nachdenken … Ich möchte, daß das klar ist …
Diese Unterhaltung wäre bestimmt schlecht ausgegangen, wenn ihr nicht Richards Rückkehr ein Ende gesetzt hätte. Ich wüßte nicht, wie wir da anders hätten rauskommen können. Ich sah nur einen langen, seifigen Abhang, den wir hinunterschlitterten. Vielleicht würde er mir sogar vorwerfen, ich hätte Gladys verführt, wo er einmal dabei war. Ich war froh, daß Sarah zugegen war. Ich wollte, daß sie begriff, daß man ein Versprechen nur bis zu einem gewissen Punkt halten kann.
Als ich Richard erblickte, spürte ich, daß ich der Gefahr nur mit knapper Not entronnen war, ich dachte, viel hätte nicht mehr gefehlt und es wäre soweit gewesen. Er hatte seine Tasche auf der Schulter, und ich begriff, daß das die einzig vernünftige Haltung war, die einzige Antwort, die man darauf geben konnte. Ich war bereits zu weit gegangen, ich hatte dem Kerl um einiges mehr bewilligt, als er verdiente. Richard stieg die wenigen Stufen der Freitreppe hinunter und schritt in dem zaudernden Abendlicht auf uns zu. Ich hatte nicht die Absicht zu trödeln. Der Sessel brannte mir bereits unter dem Hintern.
- He, wo willst du so einfach hin …? knurrte Dolbello, während Richard, den Blick zum Horizont gerichtet, näherkam.
Als er keine Antwort erhielt, sprang er auf, und bevor wir auch nur Uff sagen konnten, hatte er die Tasche an sich gerissen und auf die Erde gepfeffert. Richard erbleichte.
- Ich hab dich gefragt, wohin du gehst! Was soll das heißen …?!! Was glaubst du eigentlich, wo du bist …?!!
Seine Stimme klang so drohend, daß Gandalf mit gesträubtem Fell in seine Richtung spuckte.
Dolbello verpaßte ihm einen Tritt.
- DU ALTES ARSCHLOCH …!! brüllte Richard. Dolbello ohrfeigte ihn mit voller Wucht.
Ich knallte ihm eine Gerade mitten ins Gesicht.
Sarah stieß einen Schrei aus. Er flog in die Piniennadeln. Als ich mich umdrehte, um zu sehen, was Richard machte, rappelte er sich auf und fiel über meinen Rücken her. Das war nicht mein stärkster Punkt. Ich bog mich wie eine Kerze vor einem glimmenden Holzstück und riß ihn mit mir zu Boden.
Wir wälzten uns, umschlungen wie zwei Raubkatzen. Kaum wieder auf den Beinen – seine Unterlippe war aufgesprungen –, stieß er meinen Kopf gegen eine kleine Gartenhütte. Ich zielte nach seinem Magen. Verfehlte ihn.
Er versetzte mir einen Hieb, der mir das Auge schloß. Mit einem weiteren zwang er mich in die Knie, mir blieb die Luft weg. Er packte mich an den Haaren. Ich pflanzte ihm meine Faust in die Eier. Allmählich wurde die Sache ernst.
Wieder standen wir uns gegenüber. Erneut mußte ich einen einstecken, der direkt auf mich zuflog und wie eine Sternschnuppe an meiner Stirn abprallte. Die ganze Geschichte dauerte noch keine dreißig Sekunden, aber ich hatte nur den einen Wunsch, daß sie aufhörte. Ich schwankte. Er stürzte sich auf mich. Wir flogen quer durch die Hütte.
Er holte mich wieder hervor und versuchte mir die Fassade zu demolieren. Ich war einigermaßen benommen, aber ich schäumte vor Wut. Langsam fragte ich mich, ob er vielleicht stärker war als ich. Um ein Haar hätte er mir den Kiefer gebrochen. Ich verpaßte ihm eine Gerade an die Schläfe.
Und ich ließ ihm keine Zeit mehr, sich zu sammeln. Ich schnappte mir einen Klappstuhl, der dort herumstand, ein altes Modell aus Holz, an dem der Lack abblätterte, obwohl mir ein Baseballschläger lieber gewesen wäre. Ich zerschmetterte ihn auf seinem Kopf. Das allzu trockene Holz zersprang in tausend Stücke, doch Dolbello setzte ein Knie auf den Boden.
Sarah stürzte herbei und schloß ihn wimmernd in die Arme. Ich war ebenfalls in einem schönen Zustand, aber ich hatte keinen Anspruch in puncto Erste Hilfe. Ich schleuderte den Holm des Stuhls über den Zaun. Dann beugte ich die Knie, und ich guckte ihn von unten her an, damit kein Mißverständnis aufkam.
- Krümm Richard nur ein Haar, und ich bring dich um …! warnte ich ihn, bevor ich ging.
Gladys gab mir Arnikatabletten, und Hermann lief los, um ein Handtuch in den Ozean zu tunken. Richard war untröstlich. Mein Kopf brannte wie Feuer, aber ich sagte, alles halb so schlimm, er könne nichts dafür, es gebe nun mal gewisse Personen, mit denen könne man nicht reden, und leichter ums Herz sei mir auch. Zumindest waren die Dinge jetzt klar.
Als die Nacht hereinbrach, streiften sie durch die Dünen, um trockenes Holz zu sammeln. Das Tuch, das ich gegen mein Gesicht drückte, war glühend heiß. Ich rappelte mich mühsam auf, dann stapfte ich zum Wasser. Ich versuchte, mit den Fingerspitzen mein Gesicht wiederzuerkennen, aber es schien mir hart wie verleimter Karton. Das Meer war glatt, starr dahingestreckt im Mondschein. Ich schritt hinein bis über die Waden, und ich kniete mich mitten in die kleinen Wellen, daß sie sich mollig um meine Oberschenkel bauschten. Ich hatte nicht einen Tropfen Blut verloren, aber ich spürte, wie es in meiner rechten Gesichtsälfte toste. Ich beugte mich nach vorne, dann tauchte ich die wunde Stelle in die himmlische Kühle. Meine letzte Especial rutschte aus meiner Hemdentasche und sank auf den Grund, nicht mehr und nicht weniger, aber ich zuckte nicht einmal zusammen. Das Wasser war wohltuend weich, ich spürte, daß sich mein Auge, einer Seeanemone gleich, öffnete.
Als nächstes streckte ich mich aus und ließ mich auf dem Rücken treiben, wenige Schritte vom Ufer, die rechte Wange tief im Wasser und den Geist abgeschaltet, um Ruhe zu finden. Ich sagte ihnen, sie sollten sich keine Sorgen machen.
Als ich im Sand strandete, prasselte das Feuer, und jede Menge Funken stiebten in die Luft und wirbelten im Wind. Ich wickelte mich in Hermanns Badetuch. Sie fanden ebenfalls, daß es meinem Auge besser ging und daß ich auch sonst nicht allzu lädiert war, trotzdem, ich war am ganzen Körper zerkratzt. Ich zog mich um. Gladys hatte sich ins Haus geschlichen, um meine Tasche zu holen. Sie hatte Sarah gesehen. Dolbello stand unter der Dusche. Sarah war dabei, ihm ein Schlafmittel zuzubereiten. Ich sagte, es sei mir egal, was sie trieben. Ich fragte, ob jemand einen Schluck von meinem Bourbon wolle, dann rückte ich ein Stück zur Seite, ich sagte, ich könne mit meinem Gesicht nicht zu nah am Feuer sitzen.
Ich hatte keine Lust zu sprechen. Meine Wut war verflogen, aber stattdessen empfand ich eine unangenehme Leere. Ich streckte mich aus, und ich hörte ihnen zu, sofern nicht gerade mitten im Satz ein Ast im Feuer knackte oder ihre Stimmen im Zirpen der Grillen untergingen.
Als der Tag anbrach, fuhren sie mich zum Flughafen, dann rasten sie, wie vereinbart, wieder los. Ich stand eine Weile wie angewurzelt inmitten der Halle, mit diesem Loch, diesem Gefühl der Leere, das mich die ganze Nacht nicht losgelassen hatte.
Während des Flugs blieb der Platz neben mir leer. Nicht daß mein Gesicht derart angeschwollen war, daß man meine Gesellschaft bewußt gemieden hätte – davon war ich hinter meiner wayfarer weit entfernt –, trotzdem, es war eben so. Ein Loch von der Größe eines Schuhkartons in der Lungengegend.
Ich glaubte nicht, daß es günstig war, in ein leeres Haus zurückzukehren, aber ich hatte keine zündende Idee. Ich holte mein Motorrad aus Sarahs Garage. Ich überlegte kurz, ob ich ein wenig durch die Gegend fahren sollte, ob das irgendeinen wohltuenden Einfluß haben könnte, dann verzichtete ich darauf und lenkte meine Maschine direkt nach Hause.
Dort angekommen, entschied ich, daß sie nicht einwandfrei lief, ich fuhr sie vor die Tür und bückte mich, um mir den Leerlauf und alles andere anzuhören, und ich merkte, was zu tun war. Ich nahm das Gas weg. Ich bockte sie auf den Ständer und betrachtete sie einen Moment, wohlwissend, daß ich damit zwar nicht meinen Seelenfrieden, aber immerhin eine gewisse Erleichterung finden konnte. Dann blickte ich mich um, ich überlegte mir, daß ich mit dem Garten weitermachen, vielleicht auch den Stoff meiner Liegestühle erneuern oder die Fenster streichen könnte.
Als ich eintrat, sah ich sie, den Tränen nah, auf der untersten Treppenstufe sitzen. Die Tasche fiel mir aus der Hand. Mir wurde schwarz vor Augen, fast wäre ich angesichts des Himmels, der sich da auftat, erstickt.
- Verdammt nochmal, Dan … Wo warst du …?!! stöhnte sie. Ich wußte, wenn ich sie nicht auf der Stelle in meine Arme nahm, wenn ich sie nicht im nächsten Moment einatmete, war ich erledigt.
- Ah, Elsie …!! stammelte ich.
Wir fielen einander um den Hals. Wie von Sinnen riß ich sie vom Boden, und ich taumelte rückwärts, sie mit Küssen bedeckend, in die Sonne, ich lehnte mich mit ihr in die Öffnung der Tür.