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Im Frühsommer hatte Hermann seinen ersten öffentlichen Auftritt. Als ich ihn über die Bühne schreiten sah, sämtliche Blicke auf ihn gerichtet, spürte ich schlagartig, daß er in ein Alter gekommen war, wo sich das Leben um ihn kümmern würde, ohne mich um meine Meinung zu fragen, und ich hatte Lust, ihm zuzurufen: NIMM DICH IN ACHT, HERMANN, PASS JETZT SCHWER AUF …!
Ich ließ meine Hand auf Elsies Knie zurückfallen. Sie tuschelte mir gerade ins Ohr:
- Sag mal, das macht ihn aber ganz schön alt, wie wird er erst mit zwanzig aussehen …!
Ich antwortete ihr mit leiser Stimme, sie solle sich deswegen keine grauen Haare wachsen lassen, in der Zwischenzeit könne sie sich ja um mich kümmern.
Wir waren allesamt gekommen, um ihn zu sehen. Marc war auch da, doch als es darum ging, Platz zu nehmen, hatte sich Elsie entschlossen, an meine Seite zu kommen. Auch wenn sie es abstritt, war ich doch überzeugt, daß sie sich im Grunde nicht entscheiden konnte. Zuweilen ertappte ich sie dabei, daß sie uns beide mit einer kleinen Sorgenfalte und einem starren Lächeln betrachtete. Das schien alles andere als leicht zu sein.
Ich nahm meine Hand von ihrem Knie, um mich auf Hermann konzentrieren zu können. Er war nicht besonders gut, aber man spürte, er war mit dem Herzen dabei, naja, ich als sein Vater, ich hätte ihm ‘ne Drei bis Vier gegeben, zumal sein Spiel an Geschmeidigkeit gewann, je mehr das Stück fortschritt. Elsie reichte mir ihr Kaugummipäckchen, dabei schenkte sie mir einen liebevollen Blick, der mir kundtat, daß sich ihre Gefühle für den Moment, vielleicht sogar für den Rest des Abends, zu meinen Gunsten neigten. Na schön, bestens.
Die letzte große Feier in meinem Hause war, mehrere Monate bevor mich Franck sitzengelassen hatte, über die Bühne gegangen. Ich erinnerte mich noch vage an das Ende, an den letzten Händedruck auf dem Bürgersteig, als der Morgen bereits graute, und an Franck, die stumm hinter mir stand. Zu diesem Zeitpunkt gelang es mir schon nicht mehr, zu schreiben, nur hatte ich mich noch nicht damit abgefunden und durchlief gerade meine schmerzlichste Entzugsphase überhaupt. Ich war darüber hinweg, mich mit Krämpfen im Bauch auf dem Boden zu wälzen, doch ich war völlig niedergeschmettert, und ich trank, um nicht mehr daran zu denken. Das klappte nicht immer, aber ich hatte zumindest den Eindruck, es handele sich nur um einen Alptraum und ich könne mich, wenn ich aufwachte, wieder an meine Schreibmaschine setzen und weiterarbeiten.
Franck war wortlos nach oben gegangen, aber ich wußte sehr gut, was los war. Ich hatte mich einmal mehr vollaufen lassen, und ich war an eine Frau geraten, die das nicht ertrug. Dabei hatte ich sie niemals geschlagen oder verprügelt, nie hatte ich ihr auch nur ein Haar gekrümmt, ich liebte sie abgöttisch. Nur daß sie mir nicht mehr glaubte, sie behauptete, ich würde mich anders benehmen, wenn ich sie wirklich liebte, und es war mir nicht gelungen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Damals zerrann mir alles zwischen den Fingern.
Das war ungefähr sieben, acht Jahre her. Ich glaube, das war eine der schlimmsten Szenen, die wir je hatten. Wir schrien beide dermaßen laut, daß Hermann schließlich aufwachte. Er stand weinend vor der Tür seines Zimmers. Auch Franck weinte. Ich hab gedacht, ich werd verrückt. Wer weiß, vielleicht war ich auf dem besten Wege dazu. Im Grunde kam ich erst viele Monate später wieder zu mir, als alles vorbei war und ich mich allein um Hermann zu kümmern hatte.
Sowie das Stück zu Ende war, versammelten wir uns in der Halle. Wir hatten vereinbart, zu warten, bis sich Hermann und seine Mitspieler umgezogen hatten, und uns dann auf die Wagen zu verteilen, doch da ich mit dem Motorrad gekommen war, beschloß ich, vorauszufahren und Hausherrin zu spielen. Elsie bestand darauf, mich zu begleiten. Diesen Abend war sie in mich verliebt, daran bestand kein Zweifel mehr.
Ich hielt unterwegs an, um Zigaretten und ein paar Extraflaschen zu kaufen, für den Fall, daß ich ein wenig knapp kalkuliert hatte. Die Nacht war mild und leicht klebrig. In Anbetracht der Größe meines Gartens würden längst nicht alle etwas davon haben, und ich befürchtete ein gewisses Gedränge um meine Liegestühle.
Ich kurvte über die Umgehungsstraße, um uns ein wenig frische Luft zu gönnen. Elsie hatte eine Hand zwischen zwei meiner Hemdenknöpfe geschoben und streichelte mir über den Bauch. Ihr Kopf ruhte an meinem Rücken. Ich bedauerte es, daß Franck so etwas nie kennengelernt hatte, ich war sicher, es hätte ihr gefallen. Den meisten Mädchen gefällt es, rittlings auf einem Sattel zu sitzen, zumindest bilde ich mir das gern ein.
Für den Anfang hängte sie sich um meinen Hals, als ich versuchte, den Schlüssel ins Schloß zu stecken. Das machte mir die Sache nicht gerade leichter, sie wog gut und gern sechzig Kilo. Da sie, wie ich merkte, nicht gewillt war, ihre Füße wieder auf den Boden zu setzen, drückte ich die Tür auf und transportierte uns mit einem etwas steifen Gang ins Haus.
Ich riskierte es, sie mit einem Fußtritt wieder zuzuschlagen, so daß wir für den Zeitraum von einer Sekunde auf einer Haxe balancierten. Ich machte kein Licht. Die Straßenbeleuchtung bewahrte uns netterweise vor völliger Dunkelheit.
Obwohl sie im Begriff war, mein Gesicht mit feurigen Küssen zu bedecken, schaffte ich es, ein Lächeln aufzusetzen. Was war in sie gefahren, was für Pillen hatte sie geschluckt, um in einen solchen Zustand zu geraten? Ihre Hände flogen durch meine Haare, zerzausten mich schonungslos, ihre Lippen hielten nicht still, ihr ganzer Körper stöhnte, und das in einem Maße, daß mich, wäre ich nicht mit der Natur dieser Dinge vertraut gewesen, durchaus eine gewisse Unruhe hätte beschleichen können, um so mehr, als sie heftig atmete und mir zwischen zwei Quiektönen schwor, sie werde in Nullkommanichts Hackfleisch aus mir machen.
Ich setzte sie vor meinen Knien ab. Mit einer präzisen Handbewegung ließ sie die Schnalle meines Ledergürtels aufspringen. Ich guckte trotzdem auf die Uhr. Jedes noch so simple Kalkül war unter diesen Umständen alles andere als einfach, dennoch schätzte ich, wir hatten kaum mehr als zehn Minuten. Das war knapp. Womöglich hatten sich die anderen schon auf den Weg gemacht, und viel Verkehr hatte ich unterwegs nicht bemerkt. Ich schob die Haare zur Seite, die ihr ins Gesicht fielen, um einen Moment zu sehen, was sie da trieb. Ich spürte, wie mich eine Aufwallung von Zärtlichkeit überkam.
– Was für eine Unbekümmertheit …. sagte ich mir. Von einer Minute auf die andere können vierzig Personen hier aufkreuzen, und sie, sie läßt sich Zeit, sie hat sie vollkommen aus ihrem Gedächtnis gestrichen …!
Ich löste mich ganz behutsam von ihr und reckte meinen nackten Hintern nach hinten. Frohen Herzens tat ich das nicht.
- Dan …!? murmelte sie und blickte zu mir auf. Ich hielt den Zeigefinger vor den Mund, denn diesmal konnten Worte nur schaden, wir hatten keine Sekunde zu verlieren.
Ich streckte eine Hand nach ihr aus, um ihr hochzuhelfen. In meinem Kopf hatte der Countdown begonnen. Kaum auf den Beinen, machte sie Anstalten, sich meiner Lippen zu bemächtigen und nach meinem Ding zu packen, doch ich wich aus und hob sie auf die Arme. Zum Glück war meine Hose nur halb heruntergezogen, ich konnte noch gehen, und das Sofa war nicht meilenweit weg. Auf dem Weg knabberte ich an einer ihrer Brustwarzen.
Ihr Geruch betäubte mich so sehr, daß ich beinahe alles zum Teufel gejagt und mich mit ihr in der Bude verbarrikadiert hätte. Ich biß die Zähne zusammen, wir saßen auf einem Pulverfaß. Ich setzte sie schnell ab. Ihre Strümpfe schimmerten im Halbdunkel, ihre Augen leuchteten, ihr Hände waren wunderbar. Die Vernunft hätte geraten, sie auf der Stelle zu nehmen, aber ich konnte mich nicht dazu entschließen.
Da die Zeit drängte, beschränkte ich mich darauf, ihr Röckchen hochzuschürzen und oben aufzuhaken.
- Dan, Liebling …! stieß sie hervor und richtete sich auf, denn sie wollte noch mehr von meinen Lippen.
Ich regelte das in aller Eile, dann schaffte ich es, daß sie stillhielt. Ich konnte nicht umhin, sie eine Weile zu betrachten, ich stand vor einem Glutofen.
Ein Wagen fuhr am Haus vorbei, er ließ mir das Blut erstarren. Es war nicht der rechte Augenblick, vor mich hin zu dösen. Der Abend hatte noch nicht begonnen, es kam also nicht in Frage, daß ich ihre Strumpfhose in tausend Stücke zerfetzte. Dennoch, wenn man die Sache nüchtern anging, durfte man nicht außer acht lassen, daß ich nicht gerade jünger wurde, da brauchte ich mir nichts vorzumachen, und mir war vollkommen klar, daß ich mich auf solche Gelegenheiten stürzen und soviel wie möglich dabei herausholen mußte, denn, naja, ewig würde das nicht währen, und wer würde nicht mit dem Kopf gegen Mauern rennen, wer würde sich nicht verfluchen, wenn man es nicht verstanden hat, sich um seine Seele zu kümmern, als noch Zeit dazu war?
Ich beschloß, nicht länger zu trödeln, weigerte mich aber, sämtliche Etappen zu überspringen. Ihre Brust reizte mich. Ich leistete mir einen kurzen Abstecher, der ihr ein Stöhnen entlockte, das einem durch Mark und Bein gehen konnte.
- Donnerwetter!, dachte ich, denn ich kannte sie gut genug, um zu merken, daß sie wirklich sehr erregt war. Die Sache stellte sich noch schlimmer dar, als ich ohnehin dachte. Schlagartig verlor ich jegliche Hoffnung, das Ganze in ein paar Minuten zu regeln, es sei denn, ich hätte verdammtes Schwein. Ich spürte Schweißperlen auf meiner Stirn.
Ich spitzte ein letztes Mal die Ohren. Das ganze Viertel, von Elsie abgesehen, schien wie geknebelt, es gab kein einziges Lebenszeichen jenseits meiner Tür.
- Komm, Danny …. wir haben keine Zeit! wimmerte sie.
Ja, was dachte sie denn? Daß ich Maulaffen feilhielt …? Sie stützte sich leicht ab, und ich rollte ihre Strumpfhose über ihre Knöchel. Ich war heilfroh, als ich sah, daß sie keinen Slip anhatte, immerhin etwas.
Ich wollte ihre Knie auseinanderziehen, aber sie hatte bereits einen höheren Gang eingelegt und spreizte die Beine, ohne daß ich sie darum gebeten hatte. Meine Ohren, bislang lauwarm, wurden brennend heiß. Sie wartete nicht auf mich, um mit ihren Brüsten zu spielen.
- Wenn’s dich nicht stört, sagte ich, könntest du mir ruhig eine überlassen …!
Sie fügte sich bereitwillig. Ich legte meine Hand darauf und spürte ihre Brustwarze, die mir den Handteller kitzelte. Ich fragte mich beiläufig, wie lange ich die anderen auf dem Bürgersteig stehen lassen konnte, bis sie mir die Tür eintraten, dann fiel mir ein, daß Hermann einen Schlüssel hatte. Beklommen stieg ich zwischen ihre Beine herab, die sich sogleich noch ein wenig mehr öffneten. Klarer ging’s nicht. Die Botschaft lautete, ich solle nicht lang fackeln, sie habe nicht die Absicht, sich den sonstigen Spielchen zu widmen oder sich mit einer ganzen Batterie von Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Mußte man mir das lang und breit erklären?
- Sehr gut, Dan …! bedeutete sie mir mit den Augen, als sei ich ein Kind, das verloren am Straßenrand steht, sie fuhr mit beiden Händen zwischen ihre Beine hinab und wies mir den Weg, indem sie ihre Spalte mit den Fingerspitzen auseinanderzog.
Bevor ich zur Sache kam, legte ich einen Moment meine Wange auf die Innenseite ihres Oberschenkels. Das war eine Art Ritual, diese kurze Rast, und ich gab mich dem, wenn ich dort anlangte, mit schöner Regelmäßigkeit hin. Ich kannte nichts Feineres, die Zartheit ihrer Haut an eben dieser Stelle fesselte mich buchstäblich, und normalerweise hatte ich alle Mühe der Welt, mich davon zu lösen. Meines Wissens gab es keinen angenehmeren Kontakt, und gegen Ende schloß ich stets die Augen, um, den Verstand abgeschaltet und die Nasenlöcher weit offen, diese reine Freude voll in mich aufzunehmen, während ich mich damit vergnügte, mit einer Hand an ihrer Muschi zu spielen, und sie ein »Ah, Dan«, »Oh, mein lieber Dan« nach dem ändern ausstieß.
Leider begnügte ich mich diesmal nicht mit einem symbolischen Halt an ihrem Oberschenkel. Das machte mich halb krank, ich verspürte eine Art Haß auf die ganze Welt. Kurzum, es ging darum, zu retten, was noch zu retten war, aber schnell …!
Sie stützte sich auf die Ellbogen.
- Mensch, Dan, was treibst du da …?
Ich gab keine Antwort. Natürlich, für sie war das nicht dasselbe. In ihrem Alter zog man nicht einmal in Betracht, daß man nicht bis an sein Lebensende bumsen kann. Ich sagte mir, es führt zu nichts, ihr zu erklären, wie es da um mich stand. In diesem Moment interessierte sie nur eins, ihr Becken zu schwingen und mir das Lied ihrer Hinterbacken auf dem alten Leder meines Sofas vorzuspielen.
Ich war dafür nicht unempfänglich. Meine Bedenken überwindend, pflanzte ich ihr meine Zunge unten gegen das Steißbein und erkundete das Gelände bis zu ihrem Bauchnabel. Halb erstickt, bäumte sie sich auf, so daß wir um ein Haar zu Boden gegangen wären. Sie machte sich steif und packte mich kräftig an den Ohren.
- Weiter …! knurrte sie.
Alles andere hätte mich überrascht. Im übrigen war ich durchaus bereit, weiterzumachen, aber nur unter der Bedingung, daß sie endlich aufhörte, mich so zu packen.
- Oh, Danny …! Hab ich dir weh getan …?
Dannys Ohren waren Matsch, aber er schenkte ihr ein wohlwollendes Lächeln. Daß in der Bude immer noch eine tiefe Stille herrschte, grenzte dermaßen an ein Wunder, daß mich nichts wirklich bekümmern konnte.
- Wer weiß, vielleicht bleibt dir noch ein halbes Stündchen …. neckte ich mich übermütig, von verrücktem Optimismus erfüllt. Wer weiß, vielleicht quatschen sie noch ein wenig auf der Straße, während du hier Blut und Wasser schwitzt …?
Allzu fest glaubte ich nicht daran, dennoch nahm ich mir die Zeit, ihr die Strumpfhose ganz auszuziehen und sie zärtlich um ihren Schenkel zu knoten. Nicht daß diese Sitzung irgendwelche Chancen hatte, sich meinem Gedächtnis bleibend einzuprägen, aber ich hoffte trotz allem, ein Detail in Erinnerung zu behalten, das meinem Herzen teuer war.
Elsie seufzte beinahe gequält, als ich ihr ein Bein über die Rückenlehne des Sofas legte. Ich wunderte mich, daß sie ansonsten stumm blieb, sie, die gewöhnlich nicht mit freimütigen Obszönitäten geizte, aber im Grunde stimmte so gut wie nichts bei dieser ganzen Geschichte. Das war sicher gar nicht so einfach, zwei Typen im Kopf zu haben und den Geschmack am Spaß zu behalten. Ganz davon zu schweigen, daß – wenn ich mich nicht irre – die Aussicht, ruckzuck bumsen zu müssen, nicht dazu angetan war, ein Mädchen sonderlich gesprächig zu machen. Ich beugte mich erneut zwischen ihre Beine.
- Ich wichs dich durch und durch …! warnte ich sie mit dumpfer Stimme.
Ich, ich konnte es anstellen, wie ich wollte, ich hatte keinen Funken Phantasie auf diesem Gebiet, meine Worte klangen zumeist recht lächerlich. Elsie machte mir immer wieder Mut, aber ich fand mich nicht sehr überzeugend. Ich fragte mich sogar, ob ich das jemals hinkriegen würde. Ich glaube, selbst in sexueller Hinsicht hatten die Worte ihren Reiz für mich verloren.
- Hör mal, sagte ich zu ihr, dir ist doch klar, daß ich mich nicht ewig dranhalten kann … Also tu mir die Liebe und bummel nicht rum …!
Sie klimperte mit den Wimpern. Es ging los. Jetzt blieb einem nur noch zu beten.
Nach meinem Dafürhalten war die Enthaarung, die Elsie vornahm, eine ständige Wonne. Überdies war das meine erste Erfahrung auf diesem Gebiet, und ich war sehr schnell ein begeisterter Anhänger der Sache geworden. Ich klatschte in beide Hände angesichts dieser Mischung aus Unschuld und Verkommenheit, das Schamhaar hatte jedweden Reiz für mich verloren. Bei Elsie konnte man beherzt rangehen, man lief nicht Gefahr, an einem Härchen tief in der Kehle zu ersticken.
Man mußte sie während der gesamten Übung kräftig packen, nur ja nicht glauben, sie werde sich damit begnügen, friedlich zu strampeln oder mit den Hüften zu wackeln wie die meisten ändern. Es hätte mich interessiert, wie sich Marc beim erstenmal aus der Affäre gezogen hatte, ich für mein Teil hatte mich nur ein paar mickrige Sekunden gehalten, ehe ich auf dem Bettvorleger gelandet war, ohne zu wissen, wie mir geschah. Ah, Elsie …! Kaum war man mit der Nase voraus zwischen ihren Beinen niedergegangen, setzte auch schon ein starkes Wogen ein, und wenn man das Pech hatte, mit einem seiner Finger ihren Anus zu streifen, brach der Sturm brutal los, und man hätte meinen können, der ganze Himmel versuche einen über Bord zu schmeißen.
Inzwischen hatte ich jedoch einige Erfahrung in der Sache. Und wenn sie noch so bockte, ich ließ nicht los, und wären wir mitten auf die Straße gerollt. In diesem Moment hatte ich ihren Kopf gegen die Armlehne des Sofas gepreßt, und ich drückte sie nieder, aber nicht ohne eine relative Elastizität, was mir erlaubte, manch hinterhältigen Hüftschwung abzuschwächen und zu vermeiden, daß mir die Lippen an ihren Beckenknochen aufplatzten.
Sie hatte mich an den Haaren gepackt, aber das war ihr gutes Recht, und ich war da auch nicht sehr empfindlich. Ich hoffte, sie würde mir nur die grauen ausreißen. Ich kämpfte lautlos, während sie zappelte und mich mit tonloser Stimme beschwor, um Himmels willen nicht aufzuhören. Ich fühlte mich in diesen Augenblicken stets sehr bedeutsam, als wäre ich dabei, ein Stück Feuerstein aus den Flammen hervorschnellen zu lassen. Ich war selbst schrecklich erregt und wartete stets voller Ungeduld, daß ich an die Reihe kam, aber deshalb rührte ich mich trotzdem nicht von der Stelle, ich ließ nicht davon ab, artig ihr Döschen zu wienern.
- O ja, ich fleh dich an …! wimmerte sie. O Gott, ich fleh dich an …!!
Sie erzitterte von Kopf bis Fuß. Von neuen Kräften beseelt, steckte ich einen Finger in ihren Mund und schob ihn ihr anschließend in den Hintern. Sie stützte sich auf den Ellbogen, um mir zu schwören, sie liebe mich. Das machte mir Freude, und ich lächelte sie an, aber ich glaubte ihr kein Wort. Ich nutzte die Gelegenheit, um ein wenig zu verschnaufen und ein Bein aus meiner Hose zu schälen.
- Das ist mein Ernst, weißt du das …
Ich gab keine Antwort. Ich wischte mir ein wenig das Kinn ab und schickte mich an, zwischen ihre Beine zurückzukehren, aber sie zog mich an sich und verpaßte mir einen dieser Wahnsinnsküsse, bei denen kein Ende abzusehen war. Ich fand mich auf allen vieren über ihr wieder. Ihre Arme hatten sich um meinen Hals geschlossen, ihre Beine um meine Lenden verknotet, mit anderen Worten: sie hing an mir wie eine Klette, und das Ganze drohte sich in die Länge zu ziehen. Sie war im Begriff, jeden Quadratzentimeter meines Gesichts abzuküssen, besonders lästig war mir das nicht, aber ich verlor auch nicht aus den Augen, daß wir mit dem Feuer spielten und das Schlimmste jeden Moment eintreffen konnte. Bislang hatten wir sagenhaftes Glück gehabt, ich war mir des Geschenks, das uns zuteil wurde, voll bewußt, und ich hatte nicht die Absicht, mehr zu verlangen, es widerstrebte mir, den Bogen zu überspannen.
Also drang ich blindlings in sie ein, was sie mit einem entzückenden Fauchen aufnahm, bei dem sie mir die Fersen gegen den Hintern rammte.
- Ah, komm näher, steck ihn rein, steck ihn tief rein, Danny …! Ich beruhigte sie, indem ich die Hüfte schwang, damit sie merkte, daß ich in Fahrt war und bestimmt nicht vorhatte zu knausern. Ich küßte sie auf den Hals.
- E non ho amato mai tanto la vita, tanto la vital summte ich, die Augen halb geschlossen.
- Du, mein Danny …. gurrte sie. Ich bin sicher, wir haben noch Zeit …!
Grinsend reichte ich ihr eine Rolle Küchenpapier.
- Elsie … Sei vernünftig. Die können jeden Moment aufkreuzen.
Sie seufzte und schnappte sich die Rolle, während ich meine Hose hochzog. Ich beugte mich lächelnd über sie, um ihr Haar zu küssen. Ich wußte, sie war ahnungslos. Mochte ich auch in einer für mein Alter relativ akzeptablen Form sein, war ich doch nicht mehr in der Lage, Schlag auf Schlag zu bumsen wie einst, als ich zwanzig Jahre jünger war, als es mir vergönnt war, die halbe Nacht einen stehen zu haben. Mittlerweile mußte ich kleine Pausen einlegen. Ich wurde deswegen nicht rot, aber eines meiner Lieblingsthemen war das auch wieder nicht.
- Führe mich nicht in Versuchung, murmelte ich. Ich bitte dich, rück diesen Rock zurecht, oder wir sind erledigt …
Sie zögerte eine Sekunde, mit gespreizten Beinen und leuchtender Möse. In diesem Augenblick habe ich geglaubt, vielleicht schaffe ich es. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher. Ich senkte die Augen und ich trat zur Seite, um die Fenster ein wenig aufzureißen, um zu lüften. Die Straße war leer, der Himmel sternklar. Wenn man sich fragt, ob man es schafft, braucht man es gar nicht erst zu versuchen. Ich goß mir ein Glas voll, ohne mich umzuwenden, während sie sich abwischte, dann hörte ich sie ins Bad rennen, und ich blieb eine Weile reglos stehen, in Erinnerung an alte Zeiten.
Als wir den Wagenzug vor der Bude bremsen hörten, warf mir Elsie einen herben Blick zu. Wir hatten gut eine Viertelstunde auf dem Sofa herumgesessen, und aus ihrer Sicht verstand es sich von selbst, daß ich nur Schiß gehabt hatte und daß wir diese kostbaren Minuten anders als sinnlos schwafelnd hätten verbringen können, und ich glaube schon, daß sie mir böse war. Ich zwinkerte ihr für alle Fälle zu, dann stand ich auf, während draußen die Wagentüren knallten und sie sich wortlos eine Handvoll Erdnüsse krallte.
Ich riß die Tür sperrangelweit auf und trat zurück, darauf bedacht, mein Glas gegen die Brust zu pressen. Die erste Welle strömte herein, buntgescheckt und lärmend, während die alten Hasen besonnen und mit amüsiertem Gesicht draußen auf dem Bürgersteig warteten. Diejenigen, die die Arme voll hatten, schickte ich direkt in die Küche. Berge von Klamotten stapelten sich am Fuß der Treppe. Auf einmal wurde es unbestreitbar wärmer. Jemand kümmerte sich um die Musik, während draußen immer noch Leute standen. Paul steckte mir im Vorbeigehen eine Handvoll Monte Christo No.1 in die Brusttasche. Ich kannte bei weitem nicht alle. Manche legten mir die Hand auf die Schulter, andere umarmten mich, etliche warfen mir einen entsetzlich leeren Blick zu. Insgesamt zählte ich fünfundsechzig Personen. Ich fragte mich, ob ich noch zu retten war.
Wie gesagt, es war ewig her, daß ich im Haus ein Fest gegeben hatte, und einige Minuten lang stand ich wie angewurzelt im Eingang und trat von einem Bein aufs andere, käute alte Erinnerungen wieder, fragte mich, welchem Zweck das Ganze wohl diente und ob ich es womöglich verlernt hatte, mich zu amüsieren. Ich beschloß, mein Glas nachzufüllen und mich näher mit dieser Frage zu befassen.
Hermann hatte sich bereits seines Hemds entledigt und stolz eines seiner eleganten, so sorgsam aufbewahrten T-Shirts mit den verschlissenen Fasern übergestreift. Seine Augen funkelten, er schien in Hochform, er redete lautstark und vergewisserte sich, daß jeder zu trinken hatte und es niemandem an etwas fehlte. Auch ich hatte mir diese Sorte von Veranstaltungen gefallen lassen, ich hatte einen Großteil meiner Jugend in überfüllten Räumen verbracht und das gleiche Gesicht gemacht wie er, es hatte mir Spaß gemacht, unter Leuten zu sein, sie zu beobachten, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu diskutieren und mit den ersten Strahlen der Sonne auf der Straße zu stehen, mit vielleicht einer Unbekannten am Arm und vor Zigaretten heiserer Stimme und die Sinne von einem letzten Glas aufgepeitscht. Was Hermann gerade entdeckte, hatte ich zwanzig Jahre hindurch praktiziert, und ich wußte nicht, was es mir gebracht hatte, aber ich bereute nichts. Ich hob mein Glas über meine Nase und trank heimlich auf das Wohl meines Sohnes, ehe ich auf ihn zutrat.
- Überlaß sie ruhig sich selbst …. raunte ich ihm ins Ohr. Sonst tust du den ganzen Abend nichts anderes.
- Jaja, keine Bange.
Ein Mädchen von der dreisten Sorte schlängelte sich zwischen uns und fragte ihn, wo in dieser verflixten Bude das stille Örtchen sei, sie müsse nämlich ihren Tampon wechseln, und zwar auf der Stelle. Hermann wies ihr freundlich den Weg.
- Sag mal, kennst du die …? erkundigte ich mich.
- Hmm …. die macht auch Theater.
- Die hält sich aber mächtig ran, finde ich … Ich bereitete mich vor, ihn daran zu erinnern, daß dieses Fest ein wenig ihm zu Ehren stattfand und daß er und seine Freunde dies, ehrlich gesagt, nur verdient hatten, aber leider wurden wir getrennt, und so sparte ich mir meinen süßen Senf und schnalzte nur mit der Zunge. Aus dem Augenwinkel machte ich Marc und Elsie ausfindig, sie unterhielten sich, und wenn man mich fragte, redeten sie nicht über die Musik, sie standen in einer Ecke und schauten sich in die Augen. Im allgemeinen interessiere ich mich für die Veränderungen, die in meinem Verhalten vorgehen, und ich stellte fest, daß die Irrwege meiner Freundin, die mir zu anderen Zeiten überaus mißfallen hätten, nicht mehr viel in mir auslösten. Es war mir zwar nicht egal, aber ich zeigte keinerlei Reaktion und empfand nicht die geringste Wut. Ich fragte mich gerade, ob ich meine Haltung als einen Schritt auf eine größere Einsamkeit hin ansehen sollte, als mich Sarah an der Hüfte schnappte und mir einen Typ in den Vierzigern vorstellte, der mir sehr männlich die Hand drückte und mir versicherte, er sei erfreut, mich kennenzulernen. Seine Hand war feucht, seine Zähne zu weiß, perfekt ausgerichtet. Der da, dachte ich bei mir, der macht’s nicht lang.
Ich sah zu, daß ich wegkam. Sarah stöberte mich bei den harten Getränken wieder auf, vor denen ich auf die Knie gesunken war, und kauerte sich neben mich.
- Und …? Was hältst du von ihm …?
- Hör zu, Sarah … Ich möchte, daß du diese Manie ablegst. Ich brauch nicht mit denen schlafen, ich mach mir keine Gedanken über diese Knacker, das solltest du ein für allemal begreifen …
Ich angelte mir eine Flasche aus dem Fundus und hielt sie mit beiden Händen fest. Obwohl ich es auswendig kannte, las ich mir das Etikett durch.
- Soll ich dir mal was sagen …? Daß dich dieser Typ mit seinen Händen anfaßt, da möchte ich lieber nicht dran denken. Aber im Grunde, was macht das schon …? Ich hab das Gefühl, du bist alt genug …
- Meine Güte, du mußt auch alles komplizieren …!
- Mag sein. Wenn du unbedingt meine Meinung wissen willst: ich finde, seine Nase ist zu groß.
Sie richtete sich seufzend auf. Ich goß mir vergnügt ein Glas voll, dann schlenderte ich umher, um da und dort ein wenig zu quatschen und sämtliche Frauen anzustieren, die meinen Weg kreuzten, denn das Geheimnis blieb unergründlich.
Hermann hatte weiterhin alles im Griff. Gladys assistierte ihm tatkräftig, und von Zeit zu Zeit stakste Richard mit einem Tablett auf den Armen und Gandalf auf der Schulter aus der Küche. Irgendein Typ kümmerte sich um die Musik, ein Bärtiger, der, wenn ich mich nicht täuschte, Bücher schrieb, aber solange er die Finger von meinen Klassikplatten ließ, hatte er meinen Segen. Im Garten wurde getanzt, sie lümmelten sich zu zweit in meinen Liegestühlen, streckten sich im Gras aus und guckten zum Himmel, andere wieder grölten, palaverten, zerflossen über den Appetithäppchen. Drinnen herrschte ebenfalls eine angenehme Atmosphäre, die Gesichter wirkten erleuchtet, die Augen funkelten, die Frauen warfen ihre Köpfe zurück, und die Typen hielten sich bereit, sie im Flug zu fangen. Die Nacht nistete sich seelenruhig auf ihrem Platz ein und ließ sich sanft gehen. Es war wie eines dieser mit Wasser und künstlichem Schnee gefüllten Spielzeuge, die man schütteln kann. Man mußte noch ein wenig warten, bevor man klar sehen konnte.
Um Punkt drei Uhr morgens dann, obwohl meine Sinne leicht benebelt waren, zuckte ich einigermaßen zusammen, als ich Kiri Te Kanawa Ruhe sanft, mein holdes Leben … anstimmen hörte, und die Härchen sträubten sich mir auf den Unterarmen. Zutiefst verärgert verfluchte ich diesen Hurensohn, ich stand auf und schritt mit finsterer Miene auf ihn zu.
Er stand mit dem Rücken zu mir. Ich packte ihn an der Schulter.
- Paß mal auf, mein Junge …. schnauzte ich ihn an. Er drehte sich mit geschlossenen Augen um, einen Finger quer über die Lippen, das Cover gegen die Brust gepreßt. Sein Gesicht war von einer solchen Glückseligkeit durchdrungen, daß jeglicher Zorn jäh in mir erlosch und ich meinerseits die Luft anhielt.
Im großen und ganzen hatten alle leicht einen in der Krone, und die Gespräche, die da und dort noch abliefen, hatten einiges an Verve verloren, so daß man durchaus ein wenig Musik hören konnte.
Ich ließ den Bärtigen erst am Ende des Stückes los, aber ich hatte meinen Griff gelockert und meine Hand ruhte freundschaftlich auf seiner Schulter. Das ist eine ganz merkwürdige Sache, sich einer Person verbunden zu fühlen, die man so gut wie überhaupt nicht kennt. Besonders in meinem Fall, wenn es sich obendrein um einen Schriftsteller handelt, und männlichen Geschlechts, und mit einem Bart von zwanzig Zentimetern. Als er die Augen aufschlug, begrüßte ich ihn mit einer Art Lächeln.
- Laß mir aber niemand anders daran …. murmelte ich.
Ich wandte mich ab und setzte mich neben Paul, der mir den Unterschied zwischen einem Typen mit einem aufgeschlossenen Geist und einem Sturkopf zu erklären versuchte. Ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, ich guckte mir Hermann und seine Freunde an, die in einer Ecke beieinander hockten, und ich fragte mich, was sie trieben, ohne mich deshalb mit dem Gedanken zu tragen, wieder aufzustehen. Elsie saß seit einer Weile neben mir, seit sich Marc seine Gitarre geschnappt und mit einem ganzen Schwärm von Mädchen in den Garten verdrückt hatte. Ab und zu schmiegte sie sich an mich, und ich fuhr ihr mit der Hand durch die Haare, ohne mich zu bemühen, irgend etwas zu verstehen. Sie beklagte sich bei Sarah, ihre Platte werde schlecht vertrieben und die Rundfunksender seien in der Hand einiger Schwachköpfe, genauer gesagt, wenn man sie so hörte, einer Bande von mongoloiden Idioten, die angeblich ihre Mütter fickten. Andrea, meine holde kleine Sekretärin, beugte sich zu ihr hinüber und nickte verständnisvoll, sie saß auf spitzem Hintern, die Knie zusammengepreßt, und verkündete, bei den Verlagen sei das ganz genauso, die seien alle gleich. Sie klagten einmütig, daß die Zügel unweigerlich in die Hände einer kleinen Schar von Saukerlen gelangten, meinten aber, dies sei unvermeidlich.
Der Typ, den mir Sarah vorgestellt hatte, war schließlich in einem Stuhl eingenickt. Sie hatte ihn, ohne ausgesprochen abweisend zu sein, im Laufe des Abends alles andere als ermutigt, und der Typ war mit unglücklicher Miene um sie herumscharwenzeit. Ich wußte nicht, ob mein Gespräch mit Sarah etwas damit zu tun hatte, aber wenn dem so war, taten mir meine Worte leid. Ich ärgerte mich, daß ich es nicht verstanden hatte, meine Zunge im Zaum zu halten. Wenn ich Sarah nur eine einzige Minute ihres Lebens verdorben hatte, wenn ich ihr nur einen winzigen Augenblick ihres Glücks geraubt hatte, war ich eine Art Mörder, und noch dazu einer ohne wirkliches Motiv. Eigentlich glaubte ich mich zu kennen, aber man hört nie auf, die Abgründe seiner Seele zu entdecken.
Gut die Hälfte der Anwesenden hatte uns nach und nach verlassen. Nur mehr die Jüngeren, die Schlaflosen, die Sitzengelassenen hielten die Stellung. Die Callas, Norma von Bellini, aufgenommen 1957 in der Mailänder Scala. Ich blieb auf dem Pfad des Jack Daniel’s, unter reichlicher Zuhilfenahme von Eisstückchen in Form eines Herzens oder Weihnachtsbaums.
Ich kümmerte mich um Pauls Glas. Alle halbe Stunde befiel ihn ein Anflug von Nostalgie, er faßte nach meiner Hand und fragte mich, ob ich mich noch an die Zeit erinnerte, wo es nur uns beide gab, wo wir nichts als die Literatur hatten und gerade soviel, um uns ein paar Sandwichs zu kaufen. Im allgemeinen dachte ich nicht so gern daran. Aber er ließ nicht locker, und als Andrea zufällig zwei, drei Fetzen unserer Unterhaltung mitbekam, war sie auf ihrem Stuhl einer Ohnmacht nahe, ihre Wangen röteten sich, und sie blickte uns aus zärtlichen Augen an, als wären wir ihre lieben Kinder. Ich ließ sie spinnen. Ich war mittlerweile in einem Zustand, in dem mich nichts mehr treffen konnte.
Mitunter brach aus einer Gruppe, die man eingeschlafen glaubte, ein Lachen hervor, oder irgendein Arsch zerbrach mir ein Glas, oder ein Mädchen kam vom Lokus und zog die Spülung. Eine Gruppe Ausgehungerter hatte sich in der Küche verschanzt und mopste die Ladenhüter und meine letzten Flaschen Wein. Ich konnte am Geräusch erkennen, was sie trieben, welche Schublade sie öffneten, welchen Schrank sie belagerten und ob sie kaltes oder warmes Wasser laufen ließen und wie oft sie den Griff des Kühlschranks betätigten. Wenn ich mich trotz allem recht wohl fühlte, dann lag das zum großen Teil daran, daß ich bei mir zu Hause war und fast das Empfinden hatte, überall auf einmal zu sein, ich kannte den Geruch des Gartens, ich wußte, wie es war, dort nächtens in den Armen eines Liegestuhls zu träumen, es gab in dieser Bude keinen Winkel, den ich nicht kannte, und ich brauchte nicht umherzuwandern, um das alles zu genießen.
Ich strich mit einer Hand über den Teppichboden. Ich hatte mich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und die Beine ausgestreckt. In dieser angenehmen Haltung konnte ich zwei, drei Mädchenschlüpfer erspähen, und ich weidete mich an ihrem Anblick, ohne jedoch Arges zu denken. Tatsächlich nahm ich nur Anschauungsunterricht, ich stellte fest, daß die Mode wieder auf Weiß zurückgekommen war und daß es einen Durchbruch in puncto Spitze und Satinhöschen gegeben hatte. Ein leichter Stich brach mir das Herz, als eine von ihnen die Beine übereinander-schlug, doch sogleich vollführte sie die gleiche Bewegung in Gegenrichtung, und alles fügte sich wie von Zauberhand wieder zusammen.
Leider versteckte sich Elsie hinter meinem Hals, um ein Gähnen zu unterdrücken, und sie nahm die Gelegenheit wahr, mich zu fragen, ob ich ein Schatz sein wolle, was ich ihr selbstredend nicht abschlagen konnte, ob ich so lieb sein wolle, ihr ein Glas kaltes Wasser zu holen, das wäre unheimlich nett von mir. Ich dachte lieber nicht darüber nach, und ich sagte mir, daß ich in weniger als dreißig Sekunden meinen Platz wieder einnehmen konnte, vielleicht würde ich nicht einmal etwas merken.
Im nächsten Moment schnellte ich vom Boden hoch, überrascht, daß ich zu einer solchen Übung noch fähig war. So viel war es eigentlich noch gar nicht, worum ich einen zwanzigjährigen Knaben zu beneiden brauchte, nur sehr wenig, aber das war schon Haarspalterei. Im Grunde war das keine üble Idee, sich die Beine zu vertreten, auch andere als ich schienen daran gedacht zu haben, und ich begegnete einigen, die sich noch aufrecht hielten und von einem Zimmer ins andere irrten, und wir lächelten uns im Vorbeigehen an oder erkundigten uns gegenseitig, was es Neues gebe.
Über den Daumen gepeilt, schätzte ich, blieb mir noch ein Spielraum von zwei, drei Gläsern, dann würde sich die Lage ernstlich zuspitzen, vielleicht noch ein paar mehr, wenn ich mich dazu durchrang, einen Happen zu essen, aber da war nichts, was mich wirklich reizte. Der kümmerliche Rest, der einem noch zwischen die Finger geraten konnte, zog traurige Grimassen oder starb auf dem Sonnenuntergang, der meine Pappteller zierte, schlicht und ergreifend vor sich hin. Ein paar junge Schriftsteller standen in der Küche beisammen, ein kleiner Teil des frischen Blutes der Literatur meines Landes. Es herrschte eine recht aufgeräumte Stimmung, denn diese Leute haben die Angewohnheit, alle zugleich zu reden. Und es war abzusehen, daß das bis zum frühen Morgen dauern würde, denn nichts ist widerstandsfähiger als ein unruhiger Geist und nichts beruhigender, als sich in Worten zu wiegen.
- Na, alles klar, Jungs …? fragte ich sie in jovialem Ton, doch keiner von ihnen drehte die Nasenspitze in meine Richtung. Sie hatten mich sicher nicht gehört, aber es war auch möglich, daß der Klang meiner Stimme schwächer geworden war, seit ich kein Schriftsteller mehr war. Die Schuld mußte bei mir liegen.
Also durchquerte ich inkognito die Küche, füllte mein Wasserglas und ging wieder hinaus, ohne ein Spur zu hinterlassen. Gelegentlich trauerte ich den Zeiten meines Erfolgs nach, ich hätte mir gewünscht, er liege mir wieder zu Füßen, und sei es nur für einige Minuten, nur um ihn noch einmal zu kosten und zu prüfen, ob meine Erinnerungen stimmten. Während ich durchs Wohnzimmer schritt, hätte ich die Hälfte dessen, was ich besaß, für eine Handvoll Mädchen gegeben, die, hochrot bei meinem Anblick, im Chor mit leiser, zittriger Stimme gemurmelt hätten:
- Dan … Du bis’ uns’r Guru …!
Leicht benebelt ob dieses hübschen Traums, reichte ich Elsie ihr Glas, verzichtete jedoch darauf, mich neben sie zu setzen. Paul war eingeschlafen, und die drei anderen diskutierten über eine neue Methode, sich die Falten innerhalb von zwei Injektionssitzungen glätten zu lassen. Ich wollte nichts darüber wissen, zumal der Alkohol ohnehin die Tendenz hat, einem die Gesichtszüge aufzuschwemmen. Ich ließ in Ruhe meinen Blick durchs Zimmer schweifen, dann räkelte ich mich unauffällig, um mir einen neuen Standort zu überlegen. Sollte ich mich unter jene mischen, die begonnen hatten, Karten zu spielen, war mir danach zumute, im Garten frische Luft zu schnappen und gemeinsam mit Marcs Chor Return to sender anzustimmen?
Schließlich trat ich zu der dicht gedrängten Gruppe um Hermann und seine Freunde. Ich fragte mich schon seit einiger Zeit, was sie da trieben, aber so viel Lust, mir die Sache näher anzusehen, hatte ich auch wieder nicht. Alles in allem fand ich die Gesellschaft der Jugend nicht interessanter als jede andere auch, und einem bartlosen Gesicht mißtraute ich ebenso wie dem Rest. Im Grunde zog es mich nur zu ihnen hin, weil sie zahlreich genug waren, daß man sich zwischen die Reihen schlängeln konnte, ohne allzusehr aufzufallen, und auch wieder hinaus, wenn man Lust dazu hatte, und ohne jemanden zu verletzen.
Ich stellte mich hinter einen Typen, der Coca-Cola trank und sich an der Taille seiner Freundin festhielt, für den Fall, daß Wind aufkommen sollte. Über seine Schulter hinweg erblickte ich Hermann, er saß auf dem Boden inmitten einiger anderer, und neben ihm stapelten sich unsere sämtlichen Fotoalben, abgesehen von einem, das weit aufgeklappt zwischen seinen Beinen lag. Das war mein Lieblingsalbum, das, das ich mir am häufigsten ansah. Ein komischer Augenblick, Fotos auszupacken, dachte ich bei mir, aber die Bilder schienen sie zu amüsieren, besonders jenes, wo ich mir den Schädel rasiert hatte. Hatte er ihnen auch das eine gezeigt, auf dem mein linkes Auge infolge eines Mückenstichs auf doppelte Größe angeschwollen war, damals, als wir am Rande eines Sumpfs kampierten?
Er blätterte die Seite um und geriet an ein Foto von Franck, das ich ganz besonders liebte. Ich hatte es ungefähr sechzehn Jahre zuvor aufgenommen, kurz vor Hermanns Geburt, und ich war verrückt nach dem Blick, den seine Mutter auf diesem Bild hatte, ich hatte ein Dutzend Abzüge davon machen lassen und aus Angst vor Einbrechern kreuz und quer im Haus verteilt.
Das Mädchen, das neben Hermann saß, faßte ihn seufzend am Arm. Ich erkannte sie und fragte mich, ob sie womöglich wieder Unannehmlichkeiten mit ihrem Tampon hatte.
- Meine Güte, sieht die gut aus …! erklärte sie Hermann. Schrecklich, diese Geschichte mit dem Fallschirm …
Er begnügte sich damit, leicht zu nicken und das Foto anzulächeln.
Ich machte mich schleunigst von dannen. Ich durchquerte den ganzen Raum und flitzte in den Garten, ohne mich aufhalten zu lassen, aber leider war es genau so, wie ich befürchtet hatte, ich erfaßte mit einem Blick, daß sämtliche Liegestühle besetzt waren. Ich tobte innerlich, mußte ich doch gar feststellen, daß einige bereits den ganzen Abend auf ihrem Arsch saßen und keine Anstalten machten, sich zu erheben. Weiter hinten, den Rücken gegen den Maschendraht gelehnt, quatschte Marc mit Elsies Musikern, Typen, die einen auf Kadaver machten, mit geschminkten Augen und Hinterbacken wie Äpfelchen. Er winkte mir zu, ich solle kommen, aber ich schaute weg und rührte mich nicht von der Stelle.
Wie durch ein Wunder erblickte ich, halb verdeckt von einem Grasbüschel, eine Flasche. Ich hatte nicht das geringste Verlangen mehr, mit jemandem zu reden oder jemandem zuzuhören, ganz gleich, wem.
Einige Tage danach zogen zwei Neuankömmlinge in dem Haus ein, das neben unserem lag und das sich kurz zuvor geleert hatte. Ich saß im Garten und las wieder einmal die letzten Seiten von Moby Dick, als ich sie kommen hörte. Sie waren zu zweit, ein blonder Athlet um die dreißig, und ein anderer mit einem Schädel, glatt wie Ebenholz, und einem kurzen, sorgfältig gestutzten Bart. Ich blickte ihnen durch die lichte Hecke nach, die unsere Grundstücke trennte, und dachte bei mir, daß ich meine Studentinnenhöhle wohl abhaken konnte. Das ist auch ein Elend dieser Erde, daß man sich seine Nachbarn nicht aussuchen kann.
Als ich Hermann davon erzählte, zeigte er sich überaus interessiert und wollte sogleich mehr darüber wissen.
-Ja, Herr im Himmel …. was zum Henker soll ich dir darauf antworten …?!
- WAS …? stieß er hervor und guckte mich an, als betriebe ich Okkultismus. Sag bloß, du hast sie dir nicht näher angeguckt …!?
- Hör mal, ich bin doch nicht der Volkszähler des Viertels … Außerdem war ich gerade bei Ahabs letzten Worten, du weißt doch, wenn er verkündet: Nun wend ich mich ab von der Sonne.
Das schien ihn nicht zu beeindrucken. Er wiegte den Kopf hin und her und blickte zur Decke, was ihn nicht daran hinderte, sich ein Butterbrot von der Größe eines mittleren Surfbretts zu schmieren.
- Ach verflixt …! erkannte er. Ein bißchen neugieriger könnteste schon sein …!
Es herrschte eine fürchterliche Hitze, und der Himmel war so hell, daß wir von morgens bis abends unsere Sonnenbrillen aufhatten. Ich verzichtete sogar darauf, sie abzusetzen, wenn ich durchs Haus schlenderte, und die Zunge hing mir drei Meter zum Hals heraus, wenn ich vor dem Thermometer stehenblieb. Draußen auf der Straße ließen sich die Leute auf eine Bank fallen und warfen, die Hand über der Stirn, besorgte Blicke gen Himmel.
- Ich muß gestehen, daß ich ein wenig enttäuscht war, vertraute ich ihm an. Stell dir nur den hinreißenden Anblick einer jungen Frau vor, die morgens ihre Fensterläden öffnet, bereit, dir ihr erstes Lächeln zu schenken …
Er machte sich über sein Sandwich her und postierte sich damit am Fenster, beide Augen auf die Bude nebenan gerichtet. Er war im Laufe des Jahres ganz schön gewachsen, er war genauso groß wie Richard, sogar breiter in den Schultern, aber weniger muskulös, und seine Wangen waren noch glatt. Es war mir ein Rätsel, wie man den lieben langen Tag essen und dabei so dünn bleiben konnte.
Ich shakte mir einen Eiscafé, dann kehrte ich unter meinen Sonnenschirm zurück, um die Ruhe auszunutzen und ein wenig zu meditieren. Man kann sagen, was man will, das Schriftstellerdasein hat doch einiges Gute an sich, und ich konnte mir noch so den Kopf zerbrechen, ich wußte keine andere Branche, in der ich eine solche Freiheit genießen konnte, falls ich zu meinem Leidwesen eines Tages dazu gezwungen sein sollte, umzuschulen. Ich versuchte nicht allzusehr daran zu denken, ich wußte, es würde mich umbringen, hinter einem Schreibtisch zu hocken. Ich betete Tag für Tag zum Himmel, daß mir eine Erbschaft oder sonstwas in den Schoß fiel, und nachts warf ich heimlich ein Geldstück aus dem Fenster.
Hermann machte es sich neben mir bequem. Er zog einen Liegestuhl in die pralle Sonne und streckte sich, den Walkman über den Ohren, darauf aus. Das Schuljahr näherte sich seinem Ende, also legte er sich auf die faule Haut, sobald er nach Hause kam. Er ruhte sich auf seinem Schnitt von 11,5 aus, der ihn in die nächste Klasse versetzte, er fand, damit hatte er genug getan. Ich schenkte ihm gern Glauben, wenn er das sagte, mich interessierte ohnehin nur, ihn lesen zu sehen. Es war mir gelungen, ihm im Laufe des Frühjahrs den gesamten Hemingway sowie den ersten Band der gesammelten Werke von Blaise Cendrars unterzujubeln, und ich war der Ansicht, damit hatte ich einiges erreicht, das waren Dinge, die würde er sein Leben lang behalten, und sie würden ihm auf die eine oder andere Art helfen. Wenn alles glatt ging, hoffte ich ihm mit den ersten Sommertagen den großen Jack vorlegen zu können.
Richard war sitzengeblieben, so daß sie sich nach den Ferien alle drei in der gleichen Klasse wiederfinden würden. Dieser kleine Betriebsunfall schien ihn jedoch nicht zu berühren, im übrigen fanden wir alle, seine Ergebnisse seien gut genug, man brauchte bloß ein paar Monate zurückzugehen, zu jener Zeit, als er allen auf die Nerven gegangen war, um sich über die Fortschritte zu wundern, die er gemacht hatte. Auch wenn sich dies Herz voll Zorn sicher nicht in ein Lamm verwandelt hatte, so konnte man sich dennoch freuen, daß Richard ein gewisses Gleichgewicht gefunden hatte. Sarah bebte immer noch vor Rührung, wenn sie bedachte, daß sie beinahe nein gesagt hätte.
- Meine Güte, Dan, erinnere dich … Ich war kurz davor, seine Katze rauszuschmeißen!! Ah, Herr im Himmel, ich muß eine Erleuchtung gehabt haben …! Konnte ich denn ahnen, daß da solch ein Sonnenschein in unser Haus kam …?
Sie war völlig aus dem Häuschen, und manchmal stieß sie mich mit dem Ellbogen in die Seite, wenn wir ausgingen und Richard vor dem Fernseher sitzen sahen, mit entspanntem Gesicht, eine Hand auf Gandalfs Kopf, der zwischen seinen Knien schnurrte.
Hermann und Gladys waren zwar noch auf der Hut, wenn er zugegen war, aber ich hatte das Gefühl, es war ihnen gelungen, ihn davon zu überzeugen, daß sie letztlich nur eine platonische Liebe verband, was natürlich halb so schlimm war. Gladys hatte mir anvertraut, daß sie ihre Pille unter einer Parkettleiste versteckte, die sie mit dem Bettpfosten festklemmte.
- Sicher, das ist nicht gerade praktisch, aber ich hab keine Lust, daß er sie in die Finger bekommt. Ich glaub, je weniger er davon weiß, um so besser für alle Beteiligten, findest du nicht …?
O la la, und ob ich das fand, und alle lasen wir Gandalf jeden Wunsch von den Augen ab, alle bedachten wir ihn mit zärtlichen Blicken, und in einem Schrank des Hauses Bartholomi fand sich ein wahres Arsenal von Katzenplätzchen.
Wir waren Gefangene der Hitze, die in den Garten sank, wir lagen reglos da und träumten hinter unseren Sonnenbrillen. Hermann fing sich langsam einen Brand auf der Nase und auf den Armen, was ich unter meinem Sonnenschirm mit einem leisen Kichern quittierte. Bei dem Geld, das mich meine Ginseng-Lotion gekostet hatte, hätte es mich gefuchst, wenn meine Gesichtshaut in Fetzen gegangen wäre.
Nach einer Weile kreuzten Richard und Gladys auf. Man hätte glatt glauben können, dieser Sonnenschirm habe die Seuche oder der Schatten habe etwas Altbackenes an sich. Ah, zuweilen wünscht man sich, diese vermessene Jugend möge sich pellen, man möchte ihre Knochen knirschen hören, möchte, daß sie ein wenig in unsere kleinen Sorgen hineinschnuppern. Hermann hatte seinen Kopfhörer abgenommen, und sie beratschlagten zu dritt, ob es sich in Anbetracht der Uhrzeit noch lohnte, etwas zu unternehmen. Der Himmel rötete sich langsam. Ich persönlich, ich liebte diese Abende voller Ruhe und Hitze, aber ich mußte zugeben, daß sie ein der Apathie recht nahes Gefühl der Unentschlossenheit hervorriefen und einen durch die schlichte Frage: Ist es zu früh oder zu spät …? zur Untätigkeit verurteilten. Gladys meinte, was sie davon hielten, ein Stündchen ins Schwimmbad zu gehen, aber die beiden verzogen nur stöhnend das Gesicht. Gladys war der Typ Mädchen, einem vorzuschlagen, mit bloßen Händen durch eine Felswand zu kraxeln. Mit ihren sechzehn Jahren schlang sie bereits jede Menge Vitamine in sich hinein, um ihre Energie zu erhöhen, und man mußte sie laufen sehen, man mußte die Beine sehen, die sie hatte, und diese schlanke Figur, die sich praktisch nur noch von Mineralwasser ernährte. Neben ihr schienen die beiden direkt aus einem Sanatorium zu kommen.
- Scheiße, ihr seid langweilig …
Sie riß ein Grasbüschel aus meinem Rasen und schleuderte es in die Luft, na klar hätte ihr das nicht gefallen, wenn man dasselbe mit ihren Haaren angestellt hätte, dachte ich mir.
In diesem Moment ertönte ein entsetzlicher Schrei. Das kam aus dem Garten nebenan:
- AAAHH …!!, gefolgt von einem langgezogenen Wimmern. Das waren unsere neuen Nachbarn. Wir sprangen auf, während eine Stimme hinter der Hecke wimmerte:
- Meine Finger, o wei o wei … Mein lieber Freund, was kannst du brutal sein …!
Ich blickte in Richtung Hermann.
- Das fängt ja gut an …. sagte ich zu ihm, dann schritten wir auf die Umzäunung zu und spähten durch die Zweige.
Ich hatte meine Mütze abgenommen, um mir Luft zuzufächeln. Der Kahle mit dem zentimeterkurzen Bart blies sich gerade auf die Finger. In der Eingangshalle stand, halb hineinmanövriert und auf zwei Beinen abgesetzt, ein großer Tisch, und dahinter ereiferte sich der Blonde, wir sahen, wie er den Kopf senkte und fluchend sein güldenes Haar schüttelte.
- Bitte, Harold, zwing mich nicht …. verteidigte sich der andere. Du weißt genau, ich habe nicht soviel Kraft wie du, ich schaff das nicht …! Merkst du das denn nicht, ich hab mir die ganze Hand kaputtgemacht …
- Na fein!! tobte Harold. Wunderbar! Mir macht das nichts. Du kannst ja durchs Fenster einsteigen …
- Harold …!
- Herrgott nochmal, Bernie …! Du hast wirklich nichts in den Armen. Das ist doch nur ein armseliger Tisch, Alterchen. Ungelogen, ich hab noch nie jemand gesehen, der so ungeschickt ist. Ich sag dir, mir wäre lieber, du machtest das mit Absicht, denn wenn nicht, würdest du in meiner Achtung noch tiefer sinken, willst du das …? Bernie, was ist …??!
Bernie erstarrte buchstäblich. Dann zog er ein Tuch aus der Gesäßtasche seiner Jeans und wickelte es sich wortlos um die Hand. Harold schien ihn zutiefst getroffen zu haben. Mit seinen Dockerschuhen wirkte er wie ein Universitätsprofessor, der sich ein sportives Wochenende gönnt. Harold hätte sein Schüler sein können, einer, der es sich erlaubte, die Vorlesungen im Jogginganzug zu hören, und ihn zwang, die Augen niederzuschlagen. Obwohl der Himmel rot war, wurde Bernie kreidebleich. Plötzlich packte er den Tisch, er biß sich auf die Lippen und stieß ihn mit dem Becken an.
- Puh, so schaffen die das nie! murmelte Richard.
Ich habe in meinem Leben bei so vielen Umzügen geholfen, daß ich mich schon gefragt habe, ob ich sie nicht magisch anziehe und ob dem womöglich eine tiefere Bedeutung zugrunde liegt. Sollten wir hienieden vielleicht nur auf Durchreise sein?
Als wir hinter ihnen auftauchten, verzog Bernie vor Anstrengung das Gesicht, doch der Tisch bewegte sich keinen Millimeter. Immerhin war das ein ziemlich schweres Exemplar aus massiver Eiche, ein Tisch, den man aus einer Burg hätte klauen können. Harold traten die Augen aus dem Kopf.
- Los, streng dich an, Bernie, um Himmels willen …!! kreischte er.