7
- Also nein, Max …! Fühlst du dich hier wohl …?! knurrte ich eines frühen Sonntagmorgens, als ich im Gleichschritt neben ihm her trabte. Findst du das nicht vollkommen lachhaft? HMM …?!!
Der Bürgersteig, auf den wir abgebogen waren, stieg ein wenig an. Auf der einen Seite engte uns eine lange Backsteinmauer ein, auf der anderen eine Reihe von parkenden Autos, und jedesmal, wenn wir an einem Laternenpfahl vorbeikamen, mußte ich zur Seite springen und aufpassen, daß ich mich nicht an einem Rückspiegel aufspießte.
Statt mir zu antworten, blickte er stur geradeaus, mit verschlossenem Gesicht, und ein azurnes Licht schimmerte in seinen weißen Haaren.
Ich zwang ihn stehenzubleiben.
- He, wart mal ‘ne Sekunde, sagte ich zu ihm.
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Mauer und nestelte an dem Handtuch, das um meinen Hals hing, um mir das Gesicht abzuwischen. Er nutzte die Pause, um seine Hose hochzuziehen, dann atmete er, die Fäuste in die Seiten gestemmt, tief durch.
- Max, sag ehrlich … Bist du sicher, daß sie in dieser Straße noch niemandem die Kehle durchgeschnitten haben …? Spürst du keine bösen Schwingungen …? fragte ich ihn in bissigem Ton.
Er setzte eine ärgerliche Miene auf und fixierte einen Punkt am Horizont.
- Weißt du, wenn nicht, dann sag’s mir, dann können wir immer noch die Route wechseln …!
Weiter unten waren der Sportplatz und das große Brachgelände zu erkennen, das direkt dahinter lag, die einzige Stelle, wo sich’s noch laufen ließ, wo man noch ein wenig Gras entlang der Pfade vorfand, und Bäume und riesige, schweigsame Ginster, die einen starken Duft unter den Strahlen der aufgehenden Sonne verströmten. Max’ neuste Errungenschaft machte mich wütend.
- Scheiße, das ist ‘ne Gegend wie jede andere …! fügte ich hinzu. Was haben wir hier zu suchen …?! Findest du das etwa angenehm, mitten auf der Straße zu laufen, findest du, hier riecht’s gut …?! Meine Güte, du bist ja schlimmer als ein kleines Kind …!
- Jaja, aber das verstehst du nicht, seufzte er. Für mich ist das was anderes … Ich seh das Tag für Tag.
- Ich weiß … Ich weiß, daß du das Tag für Tag siehst! Aber Herrgott nochmal, wenn man sie in der Metro überfallen hätte, würdest du dann auch nicht mehr Metro fahren …??!
Er sah ganz danach aus, als ließe er sich das durch den Kopf gehen, und ich bin nicht da, um Witze zu erzählen. Schließlich schüttelte er den Kopf.
- Bitte mich nie mehr, da unten zu laufen, Danny … Ich will da nicht mehr hin … Tut mir leid. Versuch nicht, mir irgendwelche Dinge einzureden … Das läßt sich nicht erzwingen, weißt du.
Auf dem Rückweg machten wir einen Abstecher in den Massageraum. Wir hatten die Strecke Seite an Seite zurückgelegt, ohne ein Wort zu wechseln. Auch unter der Dusche blieben wir stumm, und wir trockneten uns in einem eisigen Schweigen ab. Er machte ein mürrisches Gesicht, und ich war nicht imstande, gegen Dinge anzukämpfen, die sich nicht erzwingen ließen.
Erst als ich mich auf dem Tisch ausstreckte, blickte er wieder normal drein.
- Probieren wir’s mal mit Zypresse …. schlug er mir vor, und schon bald verspürte ich im Lendenbereich ein heftiges Stechen, als mir sein ätherisches Öl mehr und mehr in die Haut drang. Aber deswegen brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, im Gegenteil, das sei eher ein gutes Zeichen, meinte er.
- Das zeigt nur, daß das wirkt, versicherte er mir. Daß dein Körper das nötig hat.
Ich freute mich, zu hören, daß mein Körper mit einem Baum harmonierte, es hätte mich gewurmt, wenn es sich um ein x-beliebiges Gemüse gehandelt hätte, aber im Grunde wunderte mich das nicht. Der Anblick eines sich im Winde biegenden Baumes hatte mir stets eine Grimasse entlockt und mich dazu animiert, mir das Kreuz abzutasten. Sobald die erste Kälte kam, wickelte ich mir einen roten Flanellschal um die Nieren, und je tiefer die Temperaturen sanken, um so nervöser wurde ich. Während der warmen Jahreszeit dachte ich weniger daran, ich führte das Leben eines ganz normalen Typen, vergaß, daß bei Werten um den Gefrierpunkt meine Wirbelsäule jeden Moment zu Matsch werden konnte, daß ich mich mitten in einem Minenfeld befand. Max behauptete, Zwillinge hätten oft ein schwaches Kreuz, sie neigten dazu, auseinanderzubrechen. -Ja sag mal … Hast du etwa zugenommen?
- Hmm … Vielleicht ein klein wenig. Weißt du, zur Zeit fällt es mir schwer, meinen Bierkonsum zu drosseln.
Tatsache war, daß ich seit gut einem Monat jeden Morgen meinen Rasen sprengte und meine Hauspflanzen besprühte. Die Tage waren so heiß, daß man erst in den frühen Abendstunden auflebte, so als hätte sich die Zeit verschoben. Kaum war die Sonne verschwunden, sprang ich unter meinem Sonnenschirm hervor und sammelte die leeren Flaschen ein. Danach sprang ich als erstes unter die kalte Dusche.
Wenn ich wieder hinunterkam, war ich topfit, die Haare noch feucht und sorgfältig zurückgekämmt.
- Du ruinierst deine Gesundheit …. seufzte Max, während er die Punkte längs meines Rückenmarks suchte.
- Mach mir bitte keine Angst …. feixte ich.
Er konnte nicht wissen, daß mich Bernie Goldstein, unser neuer Nachbar, mit mexikanischem Bier vertraut gemacht hatte und daß man mir gerade gut hundert Flaschen Corona Extra geliefert hatte. Naja, für den Anfang.
Bernie wartete, bis der Tag zu Ende war, bevor er sich nach draußen wagte. Er machte die Tür auf und sah nach, ob das Licht nach seinem Geschmack war, und wenn nicht, machte er auf dem Absatz kehrt und versuchte kurz darauf sein Glück noch einmal. Wenn er alles für gut befand, setzte er sich mit einem Bier, das er in kleinen Schlucken trank, in den Garten und lungerte herum, bis Harold heimkam. Ich hatte mich unverzüglich und brennend für die erwähnte Flasche interessiert, denn sie war von einer Form, die mir gänzlich unbekannt war. In dem Verlangen, mehr darüber zu erfahren, war ich als erster auf ihn zugegangen. Wenn man den Funken benennen wollte, der die Freundschaft entfachte, die uns in der Folge verband, drängte sich der Name Corona geradezu auf, Corona Extra, la cerveza más fina.
Max ließ von meinen Lenden ab. Er packte mich behutsam am Kopf und fing an, ihn mir abzureißen, während ich mich auf sein Geheiß am Tisch festklammerte und in die entgegengesetzte Richtung zog.
- Ich weiß, das tut gut, aber man muß sachte vorgehen. Das bricht sonst wie Glas, erklärte er mit vor Anstrengung entstellter Stimme.
Bernie Goldstein war sechs Monate älter als ich. Ich merkte schnell, wie sehr mir Mat Bartholomi gefehlt hatte. Seit seinem Tod hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mit einem Typ meines Alters anzubändeln, und Bernies Ankunft wirkte irgendwie seltsam auf mich, mir war, als wäre ich in einer der abgeschiedensten Gegenden der Welt einem Landsmann begegnet.
Während ich mich wieder anzog, hörte ich ein langgezogenes Zischen, und ich dachte sogleich, irgendwo ströme fürchterlich Gas aus. Ich hob den Kopf und runzelte die Stirn:
- He, Max … Hörste das …?
Er trat hinter der Tür seines Spinds hervor, ein Deospray in der Hand.
- Was soll ich hören? murmelte er.
Ein Geruch wie von grünen Zitronen stieg mir in die Gurgel.
- Verdammt …! Ich dachte, du bist allergisch gegen dieses Zeug …!
- Jaja, wie ich schon sagte …. stieß er mit finsterer Miene hervor. Ich krieg davon rote Flecken auf der Brust …
Sowie er aufstand, streifte Bernie einen seidenen Morgenmantel über und setzte sich an seinen Arbeitstisch. Er hatte mir erklärt, daß das vor allem morgens kam, daß er morgens die originellsten Formen fand. Dann fing er an zu zeichnen, was ihm durch den Kopf ging, Tische, Stühle, Lampen, Parfümfläschchen, Garderobenständer.
Leider war ich Meilen davon entfernt, mir je einen Sessel mit der Signatur Bernie Goldstein leisten zu können.
- Ich hatte ein wunderschönes Appartement in der Stadt, aber nichts, was diese Ruhe und dieses Fleckchen Garten aufwiegt …. sagte er unermüdlich, wenn wir draußen saßen und sich die Hitze im letzten Tageslicht verflüchtigte.
– Hmm … Du sagst es …! Und ob ich ihm beipflichtete.
- Bernie, weißt du, daß dieses Bier Tote aufweckt …?! Manchmal machten wir die Augen zu. Ein junger Typ hätte mit den Armen in der Luft herumgefuchtelt, er hätte irgend etwas ausgeheckt, irgendeinen Unsinn, und ein Kerl wie Paul oder auch Max wäre eingeschlafen, und ich hätte seinen armen Körper klagen hören können.
- Bernie …
- Hmmm …?
- Man kommt sich vor wie in Mexiko.
- Stimmt, Dan … In einem verlassenen Dorf.
Gegen acht Uhr kehrte dann Harold von seinem Muskeltraining zurück und zog sich einen Karton Pampelmusensaft rein, während wir wie nach einem Gleitflug aus unseren Liegestühlen auftauchten. Harold war sechsundzwanzig. Er zog es vor, auf seinen Fersen zu sitzen und sich zu erkundigen, was Bernie fürs Abendessen geplant hatte. Wenn die Sache dauerte, zog er los, um Hermann zu einem Tischtennismatch zu überreden, es war, als werde er niemals müde, als könne ihn nichts auf seinem Platz halten.
- Ich glaube, er ist noch mitten im Wachstum …. vertraute mir Bernie an.
- Ich sag dir, der macht jeden Morgen ‘ne Flasche Milch leer und fast ‘ne große Packung Müsli …!
Wenn er über Harold sprach, hatte ich zuweilen den Eindruck, er rede von seinem Sohn, und dann verstand ich nur zu gut, was er mir erzählte, ich hörte ihm kollegial zu und lächelte verständnisvoll. Wir teilten gewissermaßen die gleiche schmerzliche Freude, wir sahen unsere Kinder aufwachsen.
Den Abend nutzte ich, um zu arbeiten. Selbst wenn ich ausging, hatte ich nachher immer noch ein paar Stunden Zeit. Ich ruhte mich tagsüber genug aus, so daß ich nicht vor drei, vier Uhr morgens vom Schlaf übermannt wurde, bestenfalls. Die Hitze ist ein wahrer Fluch für einen, der an Schlaflosigkeit leidet, und es passierte weitaus öfter, daß ich noch an Deck war, wenn der Tag aufkreuzte. Mir blieb dann nur noch, das Licht auszumachen und in den Garten zu gehen und den Sonnenschirm so auszurichten, daß mir kein allzu grelles Licht die Augen verdarb, sobald ich sie schloß und meine Schäfchen zu zählen begann, und mir einen Liegestuhl zu schnappen und die erste Zigarette des Morgens zu rauchen mit einem Mund wie Pappmache.
Ich hielt mich noch über Wasser, aber nur dank des Helden aus Ich folge dir bis ins Grab, den der Produzent nicht sterben lassen wollte. Jedesmal, wenn ich eine Folge hinzudichtete, spürte ich, daß der Titel ein wenig schwerer auf uns lastete, aber man meinte, ich solle mich nicht darum kümmern, wen kratze es schon, ob er ihr nun folge oder nicht, die Leute verlangten nach Abenteuern und nicht nach diesen unsinnigen Gelübden, die einen nur lahmen, und ich brauchte nur einen Blick auf die Post zu werfen, wenn ich ihnen nicht glaubte, die Leute wollten, daß das weiterging und daß der Bursche jedesmal wieder auf die Beine kam, daß er sich höchstens ein wenig den Staub abklopfte und sich seine Grimasse in ein Lächeln verwandelte. Hatten denn alle vergessen, daß Christus siebenmal gefallen war, überspannte man den Bogen nicht ein wenig, wenn man seelenruhig die dreiundvierzigste Folge anging …?
- Pah, sei doch nicht päpstlicher als der Papst, redete ich mir gut zu. Verfall bloß nicht auf den Gedanken, die Hand zu beißen, die dich streichelt, vor allem, da es die letzte ist, die sich nach dir ausstreckt …!
Ich war mir des Problems voll und ganz bewußt, und ich hatte verdammt eingesehen, daß an dem Tag, an dem mein Typ stürbe, ich der nächste wäre, der ihm ins Grab folgte, der unversehens in der Scheiße säße. Unter diesen Umständen entwickelten sich gewisse Bande zwischen meinem Helden und mir. Ich haßte ihn, doch durch die Macht der Dinge war ich zu seinem Schutzengel geworden, und ich war grün im Gesicht, wenn dieser Schwachkopf bei Rot über die Straße ging. Ich hielt mich bereit, ihm ein künstliches Herz zu transplantieren oder sogar eine Mund-zuMund-Beatmung vorzunehmen.
Wenn ich Paul begegnete, strich er sich lächelnd übers Kinn und musterte mich in aller Ruhe.
- Na … Alles klar …? fragte er mich ungerührt. Ist er immer noch nicht tot …?
Allabendlich, außer am Wochenende, neigte ich mich über meine Kreatur und hauchte ihr ein wenig Leben ein, was mir erlaubte, tagsüber aufzuatmen und meinen Scheck einzulösen. Ich bedauerte bitter, daß ich nicht Klavierspielen gelernt hatte. Ich hätte alles zum Teufel jagen und mir meinen Lebensunterhalt in den Bars verdienen können wie sonst einer, der mehrere Pfeile im Köcher hat. Oder Saxophon.
- Also ehrlich, du spinnst …. unterbrach mich Sarah um ein Uhr morgens, eines Nachts, als ich ihr von meiner Unfähigkeit bezüglich der Musikinstrumente erzählte. Ich finde, du hast das richtige Gesicht, um Saxophon zu spielen … Nein, Dan, ich wette, du hättest eine irre Ausstrahlung …
- Jaja … Vor allem zögert man weniger, sich in die Tiefe zu stürzen, wenn man weiß, daß man auf beiden Beinen landet. Fürs erste werde ich mich mit dem Akkordeon begnügen …
Sie hatte einen Typen im Restaurant sitzenlassen und keine Lust zu schlafen. Auch nicht, sich auf meinen Schoß zu setzen, wie ich ihr vorgeschlagen hatte. Der Länge nach auf dem Sofa, einen Arm im Nacken, rauchte sie eine Zigarette, und sie hatte die Beine übereinandergeschlagen, um meinen schlechten Gedanken ein Ende zu machen, naja, zumindest glaubte sie das.
Hermann, Gladys und Richard waren seit vierzehn Tagen gemeinsam auf Campingtour, und Sarah haßte es, allein in einem leeren Haus zu sein. Kaum hatte sie die Stiftung verlassen, kreuzte sie bei mir auf, küßte mich auf die Nasenspitze und flitzte in die obere Etage, um sich ein kaltes Bad einlaufen zu lassen, ansonsten würde sie sterben, behauptete sie. Manchmal hörte ich sie nach einer Zeit trällern, und ich legte den Kopf zurück, um einen Blick zur Decke zu werfen.
Wenn sie nichts vorhatte, verbrachte sie den Abend bei mir, und wir aßen zu zweit in der Küche, sie erzählte mir ihre sämtlichen Geschichten, und ich nickte vergnügt, wenn sich wie durch ein Wunder ihr Bademantel öffnete und sie dann meinen Blick bemerkte und sich mit einer Hand bis zum Hals zuknöpfte und zu mir sagte, du hörst überhaupt nicht zu, hör endlich auf, nur da dran zu denken! Doch zärtlich leuchtend fügten ihre Augen hinzu: Um Himmels willen …. so daß ich mit dem verklärten Lächeln eines Buddha, der über Rosenblüten schwebt, auf meinem Stuhl wippte.
- Das ist doch was ganz anderes, als wenn du sie bumsen würdest, trichterte ich mir ein. Aber garantiert.
Sicherheitshalber ging sie zum Schlafen nach Hause. Ich fand diese Marotte total lächerlich, zumal sie mitunter auf dem Sofa einnickte, während ich arbeitete, aber sie hatte sich den Floh ins Ohr gesetzt, das sei etwas anderes, solange ich noch auf sei und ich hatte darauf verzichtet, sie zu fragen, warum.
- Weißt du, langsam fehlen sie mir wirklich …. seufzte sie. Ich komme mir vor wie eine alte Jungfer, die zu nichts mehr taugt …
- Hm … Du wirst noch gut eine Woche aushaken müssen … Sie hatte sich aufgerichtet und sich mit einem Kissen im Kreuz gegen die Armlehne gedrückt, und das ist eine der angenehmsten Haltungen, die man auf einem Sofa einnehmen kann, ich hatte lange sämtliche anderen ausprobiert, aber auf die da kam man immer wieder zurück, unermüdlich und ohne den geringsten Vorbehalt, so daß mir schon der Gedanke gekommen war, das könne die ideale Haltung sein, um auf den Tod zu warten, aber ja, vielleicht, indem man noch einmal Schall und Wahn liest oder etwas in der Art.
- Und du … Macht dir das nichts aus …?
- Was …? fragte ich.
- Naja, ganz allein zu sein, ohne Hermann …
- Och … Ich glaub, es ist besser, man gewöhnt sich daran, dann haben wir schon ein wenig Übung …
Sie preßte die Knie gegen die Brust, ließ sie jedoch gleich wieder sinken, als sie meine Blickrichtung merkte. Ich glaube, dieser Vorsatz, nicht miteinander zu schlafen, hatte nicht nur positive Seiten, vor allem, was mich betraf, manchmal hätte man mit dem Finger auf mich zeigen und mich mit Fug und Recht als Sexbesessenen bezeichnen können. Aber ich konnte nicht anders. Es fiel mir schon schwer genug, auf meinem Platz sitzen zu bleiben, viel mehr durfte man nicht von mir verlangen. Und so hatte ich, wenn ich mit Sarah zusammen war, keinerlei Hemmungen, mich so zu geben, wie ich wirklich war, sie kam mich schon teuer genug, unsere Freundschaft.
Die Nacht war so warm, daß ich aufstand, um mir ein Glas zu kredenzen. Eines zumindest war klar: Die Temperatur kam der Fixiertheit meines Verstands entgegen, ebenso der Schnitt ihres Minirocks oder die feinen Trägerchen ihres mauvefarbenen Oberteils, und wenn ich’s recht bedenke, wüßte ich nicht, wie ich mich anders hätte verhalten können, wenn man, Jessesmaria, diesen unaufhörlichen Ansturm über sich ergehen lassen und auch noch die linke Wange hinhalten muß.
- Du … Richard hat mir geschrieben …! meinte sie, als ich die Kniekehlen anwinkelte und mit dem Glas in der Hand in einen Sessel kippte. Meine Güte, ich hab seine Karte heute morgen gelesen, kurz nach dem Aufstehn, und danach ging alles schief, was ich auch anfing, ich schwör dir, ich wußte nicht, was ich anstellte, ich hab’s nicht mal geschafft, mich vernünftig zurechtzumachen … Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst, eine Karte von Richard … Draußen hätte es schneien können, es hätte mich nicht gewundert …! Herr im Himmel, es ist wirklich zu dumm, aber wenn du wüßtest, was ich empfunden habe, es war wunderbar …!
- Aha … Und was schreibt er?
- Naja, ich weiß nicht, nichts Besonderes … Er schreibt, daß es ihnen gut geht und daß er mir einen Kuß gibt. Wahrhaftig, Richard schreibt mir: »Ich geb dir einen Kuß«.
- Hoppla, aber sag doch mal …
- Meine Güte, ich glaub’s dir … Warte, ich zeig sie dir.
Sie hüpfte ans andere Ende des Sofas, um in ihrer Tasche zu kramen, und ich bewunderte die Krümmung ihrer Lenden und den feinen blonden Flaum ihrer Schenkel, während ihr Duft zu mir herüberströmte.
- Sarah, murmelte ich, wenn du eines Tages deine Meinung änderst, du weißt, auf mich kannst du zählen …
Sie tat so, als hätte sie mich nicht gehört, und haute sich mit der erwähnten Karte neben mich. Ich packte sie an einem Schenkel und drückte meinen Kopf gegen ihre Hüfte.
- Donnerwetter, die sind ja am Meer …! sagte ich und zitterte bei der Vorstellung, sie könnte davonfliegen. Die Karte zeigte eine Reihe von Dünen mit dem Meer und ein paar Vögeln im Hintergrund. Sie drehte die Karte um, damit ich die erwähnten, von Richard vollkommen eigenhändig geschriebenen Zeilen lesen konnte. Ich wußte, daß ich einen schweren Fehler begangen hätte, hätte ich versucht, auch nur einen Finger in Richtung ihres Slips zu bewegen, und ich hütete mich wohl, ein Rehkitz hätte sich mir nähern, eine Libelle auf meiner Hand landen können, reglos, wie ich war.
Ich hielt mich dennoch sprungbereit, für den Fall, daß sie unmerklich die Beine auseinandergenommen hätte, aber Träumen war verboten, und ich beschied mich mit dem, was sie mir gewährte. Das war in diesem Fall bereits einiges. Ihre Hüfte war ein Federkissen, die Zartheit ihres Oberschenkels eine Wohltat.
- Ja, ich geb dir einen Kuß, hat er geschrieben. Kein Zweifel möglich …
- Dan …. seufzte sie. Ich merke, darauf habe ich seit Jahren gewartet.
Um ein Haar hätte ich sie im Laufschritt in mein Schlafzimmer getragen, aber ich kapierte schnell, daß wir nicht über dasselbe redeten.
- Meine Güte, ich sag dir, dieser Schuft hat mir vielleicht zu schaffen gemacht …! Und weißt du, das stell ich heute erst fest, guck dir an, in was für einem Zustand ich bin, nur weil er mir eine Postkarte geschickt hat. Dan, vielleicht war ich nicht die Mutter, die er brauchte, aber dafür hab ich schwer gebüßt, das kannst du mir glauben …!
Das war mir alles nicht neu. Aber es störte mich nicht im geringsten, solange ich nur an ihren Oberschenkel gefesselt war. Ich überlegte, ob sie mich meine Lippen darauf drücken lassen würde, nur so lange, wie es eine Hand über einer Kerze aushielte, oder ob sie mit einem meiner Ohren einverstanden wäre.
- Endlich …! fuhr sie in müdem Ton fort und wedelte mit der Karte. Ich möchte zu gern wissen, was ich hätte tun sollen … Sollte ich mich einsperren und einen Schleier auf dem Kopf tragen, sollte ich einfach nur arbeiten und abends zurückkehren, um mich um sie zu kümmern …? Wer würde es denn wagen, so etwas von einer Frau zu verlangen, sag schon …
Ich sagte keinen Ton, ganz träge vom Geruch ihres Körpers. Mit den Jahren erlangt man eine bessere Selbstbeherrschung, und mein Geist konnte noch so sehr Feuer fangen, ich zuckte nicht mit der Wimper. Als handele es sich um eine unendlich rare Essenz, berauschte ich mich bedächtig an dem gleichsam inzestuösen Gefühl, das mich bei dem Kontakt mit ihrem Körper erfaßte, und sie hatte bestimmt recht in dem Sinne, daß keine andere eine solche Wirkung auf mich ausübte und daß ein ungestilltes Verlangen im Grund gar nicht so übel war.
War es ein Risiko oder nicht, mit seiner besten Freundin zu bumsen …? Ich wußte gar nichts mehr. Ist der sexuelle Akt dazu angetan, alles über den Haufen zu werfen …? Wenn dem so war, zog ich es doch vor, mich zu fügen, mir hier und da ein paar schöne Momente zu grapschen und in meinem Herzen weiterhin den süßen Pfeffer des Unerreichbaren anzubauen, der dem versierten Gaumen reiner Samt ist.
Nach einer Weile entließ ich sie wohl oder übel wieder auf ihr Sofa, und ich sah, sie schwankte wie eine ihres Staubs entleerte Blüte, aber das lag nicht an mir, das lag an ihrem Absatz, der abbrach, und nicht an mir und meinem Sex-Appeal.
- Ah! Scheiße … VERFLIXT …!!
- Halb so schlimm. Zeig her …
- Herrgott, ich hab’s satt … Das ist schon das zweite Paar in diesem Jahr, es ist nicht zu glauben …!
Ich wollte mich gerade unter die Lampe beugen, um ihren Absatz zu untersuchen, als wir nebenan Lärm hörten. Lautes Schreien, Geschirr, das zu Bruch ging, und das gegen zwei Uhr, in einer stillen und mondbeschienenen Nacht, die zu Ruhe und Andacht einlud, zu leisen Tönen und nicht zum Gebrüll, nun denn, wie dem auch sei, es ging hoch her bei Bernie Goldstein, und Sarah und ich, wir blickten uns an, und unterdessen wurde der Umgangston noch eine Spur rauher, und auf sämtlichen Etagen der Bude ging das Licht an, und im Treppenhaus ertönte Getrampel, sie rasten die Stufen rauf und runter, aber es war schwer zu sagen, wer da wen verfolgte, wir wußten nicht, wer von beiden schrie und wer wimmerte, denn wir waren zu weit weg.
- Die beiden … Sonst sind so ruhig …! sagte ich, nachdem ich einen langen Pfiff ausgestoßen hatte.
- Mmm … Mich wundert das nicht …. erklärte Sarah, während sie ihren zweiten Schuh abstreifte.
Ich stand auf und ging in den Garten. Es war nicht viel zu sehen, denn ich hatte die einzige Laterne, die in der Gegend brannte, kaputtgeworfen, um ein wenig von der Nacht zu haben und mich des Halbdunkels zu erfreuen, wenn mir danach zumute war. An einer bestimmten Stelle war die Hecke, die unsere Gärten trennte, licht genug, um einen Mann durchzulassen und ihm den Umweg über die Straße zu ersparen, das war auf den Frost zurückzuführen, und Bernie und ich hatten beschlossen, nichts nachzupflanzen, das war eine Tür zwischen uns, die stets offen blieb, eine Fügung des Himmels. Ich näherte mich der Stelle, durchschritt sie jedoch nicht, ich stellte fest, daß ich ohne mein Glas hinausgegangen war.
Eine leichte Veränderung in der Luft teilte mir mit, daß Sarah nachgekommen war und hinter mir stand.
- Mein Gott … Hör dir das an …! murmelte ich, während von vorne das wenn auch gedämpfte Echo des Streits zu uns herüberdrang. Meine Liebe, die haben Doppelglas … Sonst hätten sie längst die ganze Stadt aufgeweckt.
Ich war hin und her gerissen zwischen dem Verlangen, mein Glas zu holen, und der Furcht, eine Schlüsselszene des Matches zu verpassen.
Plötzlich ging die Haustür auf, und Harold erschien in einem Würfel gelben Lichts. Er schien außer sich vor Zorn, es sah so aus, als wollte er einen Koffer aus dem Haus schleppen, aber anscheinend klammerte sich jemand am anderen Ende fest.
- WIRST DU JETZT LOSLASSEN …!! knurrte er. DU HAST WOHL GEDACHT, ICH SCHERZE, WAS …? STIMMT’S …?!!
Er war rot vor Wut, eine lange blonde Haarsträhne hing ihm zwischen den Augen. Er erstarrte für eine Sekunde. Dann brach er in ein regelrechtes Brüllen aus und zog mit einem gewaltigen Ruck an dem Koffer.
Bernie wurde zur Tür hinaus katapultiert. Er hielt sich mit Mühe und Not an dem kleinen Holzgeländer der Freitreppe fest.
- Bitte, Harold … Sei doch nicht dumm …. stammelte er und wappnete sich mit einer schmerzlichen Grimasse.
Ich war verblüfft, wie sehr er gealtert war, und beinahe hätte ich seine Stimme nicht wiedererkannt. Er streckte die Hand aus, aber Harold sprang behend zur Seite und hüpfte geschmeidig wie eine Katze in den Garten. Bernie blubberte ein paar unverständliche Worte.
- SCHEISSE …! rief Harold zurück. DU HAST WOHL GEGLAUBT, WIR SEIEN MITEINANDER VERHEIRATET …!!
Sarah faßte mich um die Taille. Ich fragte mich, wie sie es schaffte, der – überdies unschuldigen – Maschinerie jener Gefühlsaufwallungen zu widerstehen, die uns einander nahebrachten. Selbst wenn ich nicht ihr männliches Ideal war, ich sah die Typen, von denen sie sich rumkriegen ließ, und ehrlich gesagt war es lächerlich zu denken, ich ließe sie kalt, diese dumme Eventualität mußte man von vornherein ausschließen, wenn man ernsthaft diskutieren wollte. Wer weiß, ob sich ihre Brustwarzen nicht aufrichteten, wenn sie mir mit einer Hand durch die Haare fuhr. Also, wo war ihr Geheimnis, mit welchen Wunderwaffen war die Willenskraft einer Frau ausgestattet? Während Harold durch den Garten lief, erkannte ich bitterlich, daß Sarah nur die Beine übereinanderzuschlagen brauchte und die Sache war gegessen.
Harold pfefferte seinen Koffer auf den Rücksitz und stieg über die Fahrertür des MG, wie es etliche bei einem Cabrio zu tun pflegen. Parallel dazu sank Bernie auf die Fersen, und indem er sich am Geländer festhielt, drückte er seine Stirn gegen eine der Stangen.
- Harold … Ich kann nicht mehr brüllen … Bitte … Ich geh zu, ich war im Unrecht … Ich fleh dich an, vergiß, was ich gesagt hab … Harold, tu das nicht …
- Verdammt, weshalb rappelt er sich nicht wieder auf …?! murmelte ich.
- Hmm … Er steht kurz vor dem K.o. nehme ich an. Plötzlich heulte der Motor des MG auf, er zerriß die Nacht auf eine verächtliche und grausame Weise, geradezu sadistisch gegen Bernies Flehen. Bernie rappelte sich auf, kreidebleich und steif wie ein Stativ. Ich drückte Sarahs Arm.
- WEISST DU, ES GIBT NICHT NUR DICH AUF DER WELT …!! rief Harold, ohne sich umzudrehen. MEIN LEBEN BEGINNT ERST …!!
Im nächsten Moment, als wollte er dies umgehend illustrieren, brauste er davon.
Bernie geriet ins Wanken. Er klammerte sich mit beiden Händen an das Geländer und senkte den Kopf.
- So … Ich glaube, jetzt können wir das Handtuch werfen …. murmelte Sarah, die bereits den Rückzug antrat, ehe das Dröhnen des Motors verklungen war.
Aber ich betrachtete Bernie, und ich konnte mich nicht dazu entschließen, ihr zu folgen. Ich winkte ihr zu, ich käme gleich nach, ich hatte den Eindruck, sie hatte nicht ganz kapiert, was geschehen war, oder es juckte sie nicht, schwer zu sagen.
Ich schlüpfte durch die Hecke und setzte meinen Fuß in Bernies Garten. Er hatte sich immer noch nicht gerührt. Die Augen fest auf seine Füße gerichtet, bot er mir die Oberseite seines Schädels dar, die glatt und blank war wie eine Kristallkugel. Und ebenso zerbrechlich, wenn man mich fragt. Ich ging zu ihm. Ich fühlte mich beschissen, seinetwegen.
Ich machte mir eine Zigarette an. Ich wußte nicht, ob er meine Anwesenheit wahrgenommen hatte. Ich inhalierte einen tiefen Zug, und ich blies ihn in die Stille, die wieder eingekehrt war, wollte ihm damit bedeuten, daß wir hier unten alle nur elende, im Winde wirbelnde Blätter sind und einem gemeinsamen Schicksal unterworfen. Bloß, machte ich mich recht verständlich …?
Ich lehnte mich mit einer Hinterbacke auf das Geländer. Persönlich hätte ich am liebsten geschwiegen, aber wir waren noch nicht vertraut genug, um uns Worte zu ersparen, und ich suchte nach einigen, die meine Gedanken nicht verrieten, sofern das möglich war. Während ich auf die Erleuchtung wartete, betrachtete ich sein Profil, und ich sagte mir, daß ihm seine Kahlheit gut stand. Die wenigen Haare, die er noch hatte, waren kurz geschnitten, höchstens einen Zentimeter lang, ebenso sein leicht ergrauter Bart, der als Ersatz fungierte und demzufolge auch sein Gesicht nicht verunstaltete. In diesem Punkt hatte uns Sarah Gleichstand zugebilligt, denn wenn meine Stoppeln nur dunkel schimmerten, schien es doch, daß mein Gesicht markanter war. Obwohl sich darüber diskutieren ließ, sah ich für Hermann gut und gern ein, zwei Jährchen jünger aus. Ich beobachtete Bernie, ich beobachtete in aller Ruhe einen Typ im besten Mannesalter, und wenn man von diesem Schlag absah, der ihm ganz offensichtlich zusetzte, mußte man sagen, daß er noch gut in Schuß war, und in gewisser Weise war ich ihm dafür dankbar.
Plötzlich richtete er sich auf und legte die Hände auf den Kopf. Er starrte geradeaus und biß sich auf die Lippen. Er atmete einige Male tief durch.
- Sag nichts …. meinte er mit schwacher Stimme zu mir.
- Überhaupt nichts …? unterstand ich mich und wedelte mir unauffällig mit meinem T-Shirt Luft zu.
- Oh, Herrgott nochmal, dieser kleine Drecksack …! ächzte er.
- Komm, Alter, denk nicht mehr dran …
- Dieser kleine Drecksack …!!
- Faß dich, Bernie … Sie ist zwar warm, diese Nacht, aber doch mild, es besteht kein Grund, den Kopf zu verlieren.
- AAaahh …! meinte er und warf wie von Sinnen den Kopf zurück. AAaahh, ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn …!!
- Jaja … Was willst du, es gibt Tage, da haben wir nichts zu lachen, da sag ich dir nichts Neues … Manchmal muß man auch einstecken können.
- Stell dir vor, fast hätte ich ihn geohrfeigt … Ah, warum habe ich mich nur zurückgehalten, warum halte ich mich immer noch zurück …?!!
- Oh, naja, wahrscheinlich wegen dieser famosen Erfahrung, ich glaube, man ist sich über den Wert der Dinge eher im klaren. Man überlegt es sich zweimal, bevor man alles sausen läßt. Ich weiß, was das kostet …
- Ach, Herrgott nochmal, Dan …! Er bricht mir jedesmal das Herz …!
Er drehte sich um, und für einen Moment hatte ich Angst, er breche in Tränen aus. Seine Lippe zitterte ein wenig, und der Glanz seiner Augen ließ das Schlimmste befürchten, gleichwohl, es gelang ihm, sich zu beherrschen, er nahm die Hände von seinem Schädel und steckte sie in die Tasche.
- Meine Güte … Ich bin am Boden zerstört …. sagte er und zog den Nacken zwischen die Schultern. Tut mir leid, daß ich dich da hineinziehe …
Ich packte ihn an beiden Armen und schaute ihm ins Gesicht.
- Hör zu, Bernie … Mir braucht niemand zu erzählen, daß das weh tut … Aber glaub mir, ich bin der lebende Beweis, daß das nur ‘ne miese Zeit ist, die vorübergeht, und ich hab keine Lust, dir was vorzulügen, weißt du, bei sowas mache ich keinen Spaß …
Er versuchte vergebens, ein Lächeln aufzusetzen, fast so, als trampelte ich ihm auf den Füßen herum.
- Ach, Dan … Es ist vollkommen idiotisch, aber ich spür meine Beine nicht mehr … Ich bin gelähmt …
- Mmm … Bernie … Weißt du, als meine Frau mich verlassen hat, habe ich drei Tage lang kein Bein mehr auf die Erde bekommen …
Allein bei dem Gedanken spannte sich die Haut auf meiner Stirn. Fast meinte ich, das Phantom meiner Wehklagen um den Garten streichen zu hören, und sogleich drückte ich Bernies Arme ein wenig fester, denn nichts ist so entsetzlich wie ein blutendes Herz, im Ernst, das war etwas, darüber konnte ich wahrhaftig nicht lachen.
- Dan, hör mal …. stieß er hervor. Ich glaub, ich fall um, wenn ich mich nicht setze …!
Ich sah nur zu gut, daß das kein Witz war. Ich spürte, daß er von einer Sekunde auf die andere zusammenbrechen konnte und daß keine Zeit mehr war, einen Stuhl zu holen. Er nahm die Hände aus der Tasche und tastete ins Leere, ob sich zufällig hinter seinem Rücken eine Sitzgelegenheit materialisiert hatte. Wäre ich nicht da gewesen, er wäre hingeflogen.
- Hoppla, Bernie, wo willst du hin …? fragte ich ihn und fing ihn im letzten Moment auf. Ich hob ihn hoch und verpaßte der Tür, die sich halb geschlossen hatte, einen Tritt.
- Ich kenne jemanden, der wäre jetzt besser in seinem Bett mit ‘ner Handvoll Schlaftabletten …. fügte ich in scherzhaftem Ton hinzu. Und er, indem er einen Arm um meinen Hals schlang: Dan, ich schäme mich, daß du mich in einem solchen Zustand erlebst … Und ich: Ich hoffe, das ist nicht dein Ernst … Und er: Plötzlich hatte ich so’ne Art schwarzes Loch …
Immerhin, Bernie wog bestimmt seine siebzig Kilo. Mich ergriff eine sekundenkurze Unschlüssigkeit, bevor ich die Treppe in Angriff nahm, aber sein anderer Arm baumelte ins Leere, und ich schloß daraus, daß ihm die Kraft fehlte. Jetzt war nicht der rechte Moment, an mein Kreuz zu denken.
- Na schön, halt dich fest, sagte ich zu ihm. Aber wehe, du legst den Kopf auf meine Schulter …
Als ich zu Sarah zurückkam, sagte sie, sie wolle mir ein Aquarium schenken, der Typ, den sie im Restaurant habe sitzenlassen, habe eines zu Hause und das sei faszinierend und man könne stundenlang davorsitzen und zugucken, sie wisse selbst nicht, warum, aber sie habe plötzlich Lust, mir etwas zu schenken. Ich lächelte sie an.
- Nun denn … Es ist in erster Linie der gute Wille, der zählt … Aber mach dir keine Kopfschmerzen, du bist und bleibst die erste in meinem Herzen, wenn’s dich beruhigt …
- O Herr im Himmel …. seufzte sie. Was kannst du manchmal bekloppt sein …!
- Ah, ah … Ich kenne dich, als hätte ich dich gemacht … Du weißt, es gibt einige Dinge, die kannst du dir bei mir nicht erlauben. Denk dran, vor mir bist du splitternackt …!
In ihrer Wut zischte sie mein Glas hinunter, aber als sie es absetzte, fand sie ihr Lächeln wieder.
- Scheiße, was sagt man dazu …?! Ich wollte ihm bloß ein Aquarium schenken …
Ich schnippte mit dem Daumen den Korken von einer Cognacflasche, denn ich spürte noch Bernies Gewicht in den Armen, und ich hatte ihn mir lang genug angesehen, als er auf dem Bett lag und bäuchlings gegen eine unsichtbare Kraft ankämpfte und schwach wimmerte inmitten des Kissens, in dem er seinen Kopf vergraben hatte.
- Ich frage mich, ob er gemerkt hat, daß Harold seinen Wagen hat mitgehen lassen …. erklärte ich versonnen. Es ist hart, morgens wach zu werden und festzustellen, daß alles noch schlimmer ist, als man dachte.
Als ich sie später zu ihrem Wagen brachte, bat sie mich, über ihr Angebot mit dem Aquarium nachzudenken, letztlich sei ihr meine kränkende und lachhafte Interpretation der Sache schnurzegal, sie habe Lust, mir ein Geschenk zu machen, und ich könne darüber denken, was immer ich wolle.
Ich blieb mit einem sanften Lächeln um die Lippen auf dem Bürgersteig stehen, während sie ihre Schlüssel suchte. Kaum verhüllt durch die schwachen Bemühungen ihres Minirocks, glänzten ihre langen Beine auf dem Sitz wie in einem Bild des Gartens Eden.
- Na schön, einverstanden …. meinte sie und warf mir einen Blick von schräg unten zu. In zwanzig Jahren gebe ich mich dir hin … Tag für Tag!
Ich beugte mich ein wenig vor, damit sie nur ja mein Lächeln sehen konnte.
- Ciao! Bleib keusch und rein …. sagte ich.
Harold tauchte fünf Tage später wieder auf. Die Versöhnung dauerte einen Großteil des Nachmittags, und als ich Bernie abends traf, hatte seine Haut wieder Farbe angenommen, und er war ein anderer Mensch.
- Ehrlich, Dan, man fragt sich glatt, ob die Wiedersehensfreude nicht hundertmal den Schmerz einer Trennung aufwiegt …!
Ich persönlich kannte dieses Problem nicht, aber ich fand, er hatte ein etwas kurzes Gedächtnis.
Obwohl er sich drei Tage lang dahingeschleppt hatte. Nicht mal mehr ein Ei runterbekommen hatte. Mir ein ums andere Mal versichert hatte, lieber wolle er sterben, sollte Harold nicht zurückkommen. Ich hatte die meiste Zeit bei ihm verbracht, und mir dröhnten noch die Ohren von seinen Seufzern und seinem ständigen Harold hier und Harold da. Nicht einmal die Fensterläden hatte er aufgemacht. Er hockte im Halbdunkel auf dem Bett, und ich hatte darauf verzichten müssen, ihn da rauszuholen, solange es draußen noch hell war, und auch nach Einbruch der Dunkelheit gestattete er sich gerade mal ein paar Schritte im Garten. Und er weigerte sich, vom Telefon fortzugehen, für den Fall, daß Harold anrief.
- Worauf wartet der denn …?!! Er weiß doch, daß ich ihm verzeihe … Ich habe ihm noch jedesmal verziehen …!!
Mittlerweile kannte ich die ganze Geschichte:
- Dan, ich pfeif drauf, wenn er von Zeit zu Zeit mit ‘nem Mädchen pennt, aber doch nicht eine Woche lang …!
Oder auch:
- Dan, ich weiß, daß ich niemals das Glück finden werde, denn alle Typen, die ich geliebt habe, waren echte Männer, Dan, mein Leben ist eine unmögliche Geschichte …!
Da stimmte ich ihm gern zu. Ich hatte immer schon gedacht, daß man es nicht leicht hat. Ich war bereit zuzugeben, daß seine Neigung die Sache nicht einfacher machte, aber ich konnte ihm versichern, daß sie auch für mich kompliziert war, um nicht zu sagen unmöglich, und dabei knöpfte ich mir nur Frauen vor.
Er weigerte sich, mir zu glauben. Er war überzeugt, sein Fall sei die schwerste Prüfung, die man sich nur vorstellen könne, denn jede Partie sei von vornherein verloren.
- Was würdest du von einem Spiel halten, meinte er zu mir, bei dem du nicht den Hauch einer Chance hast, was hältst du davon, jemanden zu lieben, eben weil er dich nicht lieben kann …? Dan, kannst du dir die Qualen vorstellen, die man ertragen muß, wenn man zu so etwas verdammt ist …? Meine Güte, wie soll ich bloß gegen eine Frau ankommen, miß du dich mal mit einer Göre von zwanzig Jahren mit einem Paar Titten …! Dan, all meine Liebhaber haben mich wegen einer Frau verlassen, und Harold wird wie die ändern zur Herde zurückkehren, denn über kurz oder lang kommt alles wieder ins Lot. Das ist eine Welt, in der ist kein Platz für mich.
Es lief einem kalt den Rücken hinunter, wenn man ihn so reden hörte. Ich stand dann meist auf und stellte mich ans Fenster, um mich in dem Licht, das durch die Fensterläden drang, zu amüsieren. Ich tat alles, um vom Thema abzulenken, und ergötzte mich an dem Schattenspiel an der gegenüberliegenden Wand, während er zur Decke starrte.
Als Harold endlich zurückkam, fiel mir ein Stein vom Herzen, und ich atmete erleichtert auf. Nicht daß im Laufe dieser schmerzlichen Tage das Band, das Bernie und mich vereinte, verschlissen oder auch nur ausgeleiert gewesen wäre, aber allmählich hatte ich die Nase voll, ich konnte von Glück reden, wenn er einmal nicht Trübsal blies.
Ich lehnte es ab, an jenem Abend mit ihnen zu essen. Ich erfand eine Ausrede, von wegen Sarah erwarte mich in der Stadt, und im nächsten Moment saß ich schon auf meinem Motorrad und raste in die untergehende Sonne, und nur ja kein Blick in den Rückspiegel, In der sicheren Annahme, dem Schlimmsten entronnen zu sein, kreuzte ich vor der Stiftung auf. Ich grüßte ein paar junge, mir bekannte Schriftsteller, als ich durch die Halle schritt, und erneut konnte ich feststellen, daß meine Popularität langsam, aber stetig sank, daß die Zeit, da ich mich für sie geopfert und mir diesen Job mit Marianne Bergen aufgehalst hatte, bereits weit zurücklag und daß ich mich wahrscheinlich erst mit Paul zusammentun, ein wenig der große Manitu sein mußte, der all diese Scheißstipendien verteilte, wenn ich in ihrem Ansehen wieder steigen wollte. Aber ich nahm es ihnen nicht krumm, diesen dummen kleinen Ärschen. Ich ging ins Zwischengeschoß hinunter, ich wählte den Gang, der hinter den Theatersaal führte, und ich betrat Sarahs Büro. Sie unterhielt sich gerade mit Elsie.
- Also nein, kaum dreht man euch den Rücken zu, sagte ich.
Zwei Lächeln auf einmal, wie man sie sich nicht ausmalt, wenn man gerade das Tal der Schatten verlassen hat, und ich stieß ein zufriedenes Knurren aus.
Wir gingen zu dritt in einem mexikanischen Restaurant essen, das gerade aufgemacht hatte. Das Ambiente war zwar nicht schlecht, das Chili hingegen schlicht seelenlos. Die Mädchen fanden es gut, aber ich misch mich ja auch nicht ein, wenn’s um eine Creme zur Straffung der Büste geht. Ansonsten, was die Musik und den Tequila anging, waren wir uns einig, Los Lobos bzw. Herradura. Klar diente das dazu, einem ein X für ein U vorzumachen und einem eine Handvoll roter Bohnen für obengenanntes Gericht zu verkaufen, nur daß das bei mir nicht zog, ich verstand zwar bei ‘ner Menge von Dingen Spaß, aber niemals, wenn ich nach meiner Meinung über ein Chili gefragt wurde.
- Hör mal, fall uns damit nicht auf den Wecker …. mahnte mich Sarah. Du bist die reinste Nervensäge …!
Ich schlang also meine Bohnen hinunter, ohne weiter zu motzen. Ehrlich gesagt, Harolds Rückkehr stimmte mich milde, ich fühlte mich von einer Last befreit und war bereit, diesem Schundkoch zu verzeihen, vielleicht war er ja verliebt. Der Laden war voll. Aber ich scherte mich wenig um die neidischen Blicke, die auf mir ruhten, denn ich vergaß nicht, daß die Wahrheit weniger rosig war und daß es nicht reichte, zwei hübsche Mädchen auszuführen. Nehmen Sie die zu meiner Linken, die lehnt es ab, sich mir hinzugeben, das ist sonnenklar. Und was die zu meiner Rechten betrifft, bei deren Brust einem die Spucke wegbleibt, naja, die entzieht sich mir allmählich, und verdammt, ich hab keinen blassen Schimmer, wie ich das Steuer rumreißen soll. Ich verspürte einen leichten Stich, als ich die beiden miteinander quatschen sah. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob man froh ist oder nicht. Ob es sein kann, nicht wahr, traurig und vergnügt auf einmal zu sein.
Wir waren gerade bei den flambierten Bananen angelangt, als mir auffiel, daß ich während des gesamten Essens geistesabwesend war, oder nur halb präsent, wenn man unbedingt Worte klauben will, wenn ein Nicken oder Kopfschütteln oder hier und da ein Ja oder Nein als Beweis für was weiß ich herhalten können. Ich wußte nicht, ob es den Mädchen aufgefallen war, ob sie meinen Körper vergeblich gerüttelt hatten, während ich woanders war, oder ob ich sie mit einem rätselhaften Lächeln beruhigt hatte. Ich erwachte in dem Augenblick aus meiner Entrückung, als ich wahrnahm, daß die Flammen nicht die meines Scheiterhaufens waren, und im gleichen Moment hörte ich Elsie sagen:
- Tja, das wird vierzehn Tage dauern. Hoffentlich werd ich nicht seekrank …!
Ich blickte auf.
Ihre Worte galten nicht mir. Wahrscheinlich hatten mich die beiden seit einer Weile vergessen, und ob ich ihnen gefehlt hatte oder nicht, konnte ich ihnen nicht am Gesicht ablesen.
- Naja, mal sehen …. fuhr sie fort. Aber weißt du, ich habe keine Sekunde gezögert, ich glaube, ich hätte es umsonst gemacht … Sarah, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr es mir ein Bedürfnis ist, zu singen …!
Sarah stemmte den Ellbogen auf den Tisch und stieß einen jener wundervollen Frauenseufzer aus, dabei klemmte sie ihr Kinn in eine Hand.
- Ehrlich, mein Schatz, ich sag dir, mir käme das gerade recht … Mich vierzehn Tage an Deck in der Sonne zu aalen, ich glaub, das war ganz nach meinem Geschmack …!
Ich schüttelte mich innerlich. Plötzlich verlockte mich meine Banane überhaupt nicht mehr, und ich fischte eine No. 3 aus meiner Hemdentasche und steckte sie an.
- Entschuldigung, sagte ich, wovon redet ihr eigentlich …? Sie wandten sich mir zu und schauten mich an, mich, auf den mit einemmal ein Anflug von Verärgerung seinen Schatten warf, der ich jedoch versuchte, helle zu bleiben. Elsie ergriff die Flucht nach vorn:
- Oh, das ist mal wieder sehr angenehm, weißt du … Vielen herzlichen Dank für deine Aufmerksamkeit … Hast du mir überhaupt ein einziges Mal wirklich zugehört, glaub mir, langsam frag ich mich das …!
Elsie gehörte zu denen, die instinktiv wissen, daß Angriff die beste Verteidigung ist. Aber ich bewahrte meinen ganzen Gleichmut:
- Ich glaubte etwas von einem Schiff gehört zu haben …. sagte ich.
- Meine Güte, es ist wahr, nie hörst du mir zu …
- He, Moment mal … Wirf nicht alles durcheinander. Von dieser Sache mit dem Schiff hast du mir keinen Ton erzählt …
Sie senkte den Kopf und fing an, in ihrer Tasche zu wühlen.
- Na klar, ob ich singe oder nicht, o verdammt, das ist dir doch völlig egal …! Meinst du, ich bin blind …?!
Es war das ewige Problem. Ein besonders heikles Thema, wie eine kranke Leber, die mit äußerster Vorsicht abzutasten ist, wenn man weiß, daß einem schon die leiseste Berührung eine leichte Grimasse entlockt. Während Elsie weiter in ihrer Tasche kramte, warf ich einen Blick in Richtung Sarah. Und sie blickte mich an. Und die Bananen wurden kalt. Und ich spürte, daß ich mich gegen meinen Willen auf eine gefährliche Bahn zerren ließ.
- Hmm … Ich glaube zu wissen, woran es hapert, erklärte ich. Wir reden über verschiedene Dinge …
Sie verlor postwendend jedes Interesse am Inhalt ihrer Tasche und hob den Kopf. Wenn man von mir verlangt hätte, den Grad ihrer Selbstsicherheit in diesem Augenblick zu bewerten, ich hätte ihr 8,5 von 10 Punkten gegeben. Man ist nie in Bestform, wenn man kein reines Gewissen hat, und es ist noch ein Glück, daß es auf Erden wenigstens den Anschein von Gerechtigkeit gibt, daß der Schatten nicht ständig die Oberhand gewinnt.
- Ich sag dir, was los ist, du interessierst dich nicht wirklich für mich! fauchte sie wie ein angeschossenes Tier. Sonst wüßtest du, was das für mich bedeutet. Ah, verdammt, ich hab das im Blut …! Kapierst du das nicht?!
- Doch, doch, ich versteh schon. Ich bin der, der immer in der ersten Reihe sitzt, wenn du auf die Bühne steigst, falls du es noch nicht gemerkt hast.
- Herrgott! Und du findest, das reicht …?!
Ich drückte meine Zigarre aus. Und so weiter. Und so weiter.
- Reden wir ruhig von dieser Kreuzfahrt …. belferte ich. Weißt du, Elsie, das scheint mir ‘ne ganz tolle Idee …!
- Stell dir vor, ich weiß genau, woran du denkst …! flötete sie.
- Um so besser! zischte ich durch die Zähne.
- Na fein, es ist soweit, ich wußte es! Mir war klar, was du dir wieder denken würdest …!
Ich verstand nicht so recht, was in mich gefahren war. Ich hatte Lust, ihr an die Gurgel zu springen. Das letzte Mal, daß mich eine Frau wütend gemacht hatte, war so lange her, daß ich ganz baff war. Dabei hätte ich weiß Gott keine großen Wetten auf Elsies Treue abgeschlossen, Gott weiß, daß ich mich nicht täuschte und daß ich wußte, woran ich mich bei der Vergänglichkeit meiner Liebesabenteuer zu halten hatte. Und doch, ich, der ich für gewöhnlich all diese Dinge mit philosophischem Gleichmut aufnahm, ich, der ich mich insgeheim beglückwünschte, aus dem Alter heraus zu sein, ich stand haarscharf vor einem Schlaganfall.
- Scheiße …. sagte ich und bohrte meinen Blick in ihre Augen. Und wenn du mir mal ein paar Einzelheiten nennen würdest, wenn du für einen Moment die Musik beiseite ließest …?!
Natürlich wirkte das unmittelbare Bevorstehen eines Krachs elektrisierend auf sie, sie hielt meinem Blick stand, und ich fand sie schöner denn je. Was soll man über die Schönheit einer Frau sagen, die einem entgleitet …? Kann man der Welt ein Lächeln schenken, das nicht bitter erscheint, wenn man Zeuge einer solchen Ungerechtigkeit wird …?
- Ich weiß, was dir im Magen liegt …! meinte sie.
- Ach nein! Das sollte mich wundern …
Ich wußte es selbst nicht. Ich hatte all diese Dinge vergessen.
- Wenn es um Marc geht, dann laß mich dir sagen …
- Ja, es geht um Marc …! knurrte ich. Du hast den Finger mitten auf die Wunde gelegt …!
Sarah beobachtete uns gelassen. Erkannte sie mich wenigstens noch? War ich nicht völlig entstellt durch eine gräßliche Fratze, war ich noch ich, war das noch der Dan, der gelernt hatte, sich über solche Klamotten nie mehr den Kopf zu zerbrechen? Im Grunde braucht man nur die Liebesbriefe an Brenda. Venus zu lesen, um zu wissen, daß man damit nie fertig ist. Ich reckte einen Arm in die Luft, damit mir der Typ was zu trinken brachte, während Elsie ihre Serviette auf den Tisch warf.
- Verflixt nochmal! Ich wüßte nicht, was es da Neues gibt …! Ich brauche meine Musiker, wenn ich irgendwo singe …!
- Scheiße …. seufzte ich. Was für ein Spiel treibst du eigentlich …?
Sie gab keine Antwort. Wahrscheinlich empfand sie noch genug für mich, um einen winzigen Gewissensbiß zu verspüren, der ihr ein wenig das Herz zerriß. Wie dem auch sei, sie senkte erneut den Kopf und fing wieder an, in ihrer Tasche zu wühlen.
- Suchst du die Schiffskarten …? fragte ich sie.
Sie erstarrte. Sarah bedeutete mir, ich solle es aufgeben, aber ich fand, sie konnte sich um ihren eigenen Kram kümmern, was auch für einige Leute an den Nachbartischen galt, die anhüben, uns anzustarren.
Ich hatte Elsie wirklich gern. Ohne die große Liebe auszupacken, war es uns doch gelungen, ein paar Dinge zu teilen, und ich war mir vollkommen im klaren, daß das kein Klacks war und daß man das nicht alle Tage fand. Ich hatte schon ein gehöriges Stückchen hinter mir, ich war wie eine alte Hand, die sich am Geländer entlang hangelt, ich brauchte meine Augen nicht, um zu wissen, wann ich mich an etwas Solides klammerte.
- Elsie … Ich glaub, du gehst mir wirklich auf die Eier, schloß ich mit tonloser Stimme.
Sie warf mir einen Blick zu, der mich total kalt gelassen hat, obwohl er eine Menge Botschaften enthielt, aber wie man so schön sagt, niemand ist tauber denn der, der nichts hören will. Für den Bruchteil eines Augenblicks fragte ich mich, wer von uns beiden mehr litt. Und sei es nur in sexueller Hinsicht, ich war dabei, Selbstmord zu begehen.
- Schatz, ich erkenn dich nicht wieder …. säuselte ich und kniff melancholisch die Augen zusammen.
Sie sprang auf, zögerte einen Moment, dann sauste sie zur Tür. Ich zwinkerte den Gaffern zu, die die Szene beobachtet hatten.
- O naja, ich glaub, das ging übel aus …! eröffnete mir Sarah.
- Kann man Feuer in seinem Busen bergen, ohne daß die Kleider sich entzünden? habe ich ihr geantwortet.