11

Jedesmal, wenn Elsie und ich die Nacht miteinander verbrachten, kam ich zu spät in Mariannes Bunker. Niemand sagte einen Ton, aber sämtliche Köpfe drehten sich nach mir um, und das Tuscheln hüpfte von der Empfangshalle durch sämtliche Flure. Im Aufzug stießen sie sich heimlich mit dem Ellbogen an, man betrachtete das Hätschelkind des Hauses mit einem stillschweigenden Lächeln. Dabei war das keineswegs Absicht von mir. Manche sahen darin das geringe Interesse, das ich für meine Arbeit aufbrachte, allein, Elsie hatte beschlossen, daß wir fortan jedesmal gemeinsam frühstückten, was ungefähr alle zwei Tage eintrat. Ihr zufolge war das, neben einigen anderen Dingen, absolut unerläßlich, damit sich unser Abenteuer wieder gut anließ.

- Ich bin nicht einfach das Mädchen, mit dem du schläfst …! Dieser Satz war dazu angetan, mir nicht aus dem Kopf zu gehen. Wir mußten uns um jeden Preis einige Momente gewöhnlicher Zweisamkeit bewahren, anscheinend war das wichtiger, als ich dachte.

Ich war mir der Gefahr bewußt, der man sich mit derlei Vorkehrungen aussetzt, aber ich hatte mich auf das Experiment eingelassen – selbst der unnachgiebigste Typ streckt letztlich seinen Wein mit Wasser, wenn der Gürtel schlottert. Und objektiv gesehen hatte ich keinen Grund, mich zu beklagen – der gleiche Typ stellt eines schönen Tages fest, daß die Freiheit ein überflüssiger Luxus ist.

Außerdem, meine Güte, fiel ich regelmäßig in einen tiefen und festen Schlaf, wenn sie die Nacht mit mir verbrachte. Natürlich war ich heilfroh über diese Entwicklung, aber leider war ich es nicht mehr gewohnt, nach Herzenslust zu schlummern – es ist meistens so, daß ein Problem an die Stelle eines anderen tritt-, so daß ich mir binnen kurzem einen soliden Wecker hatte zulegen müssen, ich, der ich seit so vielen Jahren kein solches Gerät mehr benutzt hatte. Recht schnell hatte ich jede Hoffnung fahren lassen, mich daran zu gewöhnen. Zu lange schon war ich aus dem Tritt, war ich nicht mehr zu festen Zeiten gefechtsbereit gewesen, zu lange schon war ich bei all dem außen vor. Und während Elsie neben mir auftauchte, grübelte ich Tag für Tag über dieses scheußliche Schicksal nach, das mich einerseits Schlaf finden ließ, andererseits morgens um acht skalpierte.

- Hat das Leben überhaupt einen Sinn, ist das nicht die Hölle auf Erden, war ich in einem früheren Leben zu verhätschelt …?! überlegte ich und drehte mich auf die andere Seite. Und schlief sogleich wieder ein. Jedesmal, wenn Elsie die Nacht mit mir verbrachte, kam ich zu spät in den Bunker.

Gegenüber von meinem Büro stand ein Kaffeeautomat. An manchen Vormittagen steckte ich buchstäblich mit der Nase in meinen Akten, und ich gähnte, daß es mir den Kiefer ausrenkte. Niemals zuvor hatte ich soviel geschlafen, und doch hatte ich eine Stunde lang Mühe, die Augen aufzusperren, wenn dieser verflixte Wecker gewütet hatte. Sobald ich ankam, fingerte ich alles Kleingeld aus meinen Taschen oder rannte auf der Suche nach Münzen durch den Flur, oder aber ich ließ meine Tür offen und versuchte mir ein, zwei Becher spendieren zu lassen, wenn der erstbeste unschuldig vor dem Automat stehenblieb. Elsie war überzeugt, daß ich nicht sehr lange unter diesen perversen Auswirkungen würde leiden müssen, daß ich mich daran gewöhnen würde.

- Danny, Millionen von anderen Leuten …! Sie meinte, daß auch ich bald ganz normal aufwachen würde.

- Verdammt, sowas nennst du aufwachen …?! Du meinst wohl zerschlagen, zerstampft werden …!! Dummerweise ging das seit Monaten so, und das legte sich ganz und gar nicht, egal, was sie meinte. Und ich gab mich keinerlei Illusionen hin.

Eines Morgens, als ich zu Hause losbrauste, vielleicht noch eiliger als sonst und die Lippen noch feucht von einem langen aufmunternden Kuß, glaubte ich etwas zu sehen, und das ging mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Ich war mir nicht sicher, ob ich richtig beobachtet hatte. Dabei war daran an und für sich nichts außergewöhnlich, aber die Sache hatte mich merkwürdig berührt.

Den ganzen Vormittag lang schaffte ich es nicht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Marianne wollte wissen, was ich von einigen Manuskripten hielt, welche die Stiftung zu veröffentlichen gedachte, und ich gab mir redlich Mühe, mich dafür zu interessieren, seit sie auf meinem Schreibtisch lagen, zwang mich sogar dazu, einige Dinge zu notieren, für den Fall, daß mich mein Gedächtnis im Stich ließ – es kommt nicht alle Tage vor, daß ein Buch Spuren hinterläßt. Ich mochte es ganz und gar nicht, wenn man mir derlei Aufgaben übertrug, lieber kümmerte ich mich um die Tippfehler oder hielt als copy editor her, aber Marianne hatte nicht lockergelassen, und wenn mir langweilig wurde, versuchte ich an den Scheck zu denken, der am Monatsende fällig war. An diesem Morgen jedoch war ich vollkommen neben der Kappe, ich kreiste, die Beine in der Luft, mit meinem Stuhl oder schnellte in die Höhe, um einen Kaffee zu ziehen und mich an dem Auf und Ab der Sekretärinnen zu ergötzen, die in die Aufzüge hüpften oder durch den Flur defilierten. Kurz vor Mittag dann, entschlossen, mir Gewißheit zu verschaffen, ging ich zu Sarah hinunter.

Ich kurvte um den Theatersaal herum und traf sie vor den Logen. Jeanne Flitchet war bei ihr, sie beugten sich über einen offenen Karton und stöhnten.

- Herrgott …! Die machen mich noch verrückt …! klagte Sarah. Ah, Jeanne, sei doch so nett, und hol mir den Bestellschein …!

- Na, voll im Streß …? fragte ich.

Jeanne hob den Kopf und lächelte mich an. Sarah schloß nur die Augen, sie preßte die Hände gegen den Nacken und drückte die Ellbogen zusammen.

- Jeanne, ruf die bitte an …. sagte sie ruhig, aber von einer kühlen Wut erfüllt. Sag ihnen, die können mich dreimal kreuzweise mit ihren dämlichen Perücken … Sag, ich schmeiß den Kram zum Fenster raus, verdammt nochmal …!

Jeanne eilte davon, die Brust in beiden Händen. Nicht darauf erpicht, daß sich das Gewitter über meinem Haupt entlud, und auch nicht neugierig, was es mit diesen Perücken auf sich hatte, wartete ich mit zusammengekniffenen Lippen, daß sie sich für mich interessierte. Mir war durchaus bewußt, daß unser beider Lage nicht vergleichbar war, daß sie bis zum Hals in Arbeit und jeder Menge Verantwortung steckte und unentbehrlich geworden war für alles, was den reibungslosen Ablauf der diversen Darbietungen betraf, die unter dem Dach der Marianne-Bergen-Stiftung vonstatten gingen. Es gab kein Ballett, keine Revue, kein Stück, das nicht direkt auf ihren Schultern ruhte, den ganzen Tag über wurde sie gebraucht. Wo man hinhörte, hieß es, Sarah sei Gold wert, und auf den oberen Etagen schätzte man sich glücklich, daß man ein so feines Naschen bewiesen hatte und nun über die beste Regieassistentin der ganzen Stadt verfügte. Mich persönlich wunderte die Bedeutung, die sie erlangt hatte, keineswegs. Ich brauchte sie nur anzusehen. Wobei ich nicht umhin konnte, mir in aller Offenheit einzugestehen, daß man dergleichen von mir nicht behaupten konnte, daß ich an diesem Tag nicht gerade Funken sprühte, daß sich noch keine Sorgenfalte in meine Stirn gegraben hatte.

- Nein, so eine Bande von Schwachköpfen …! seufzte sie.

- Pah, denk nicht mehr dran … Gehn wir essen, hast du mal auf die Uhr geguckt …?

- Essen? murmelte sie kaum vernehmbar und ging kopfschüttelnd an mir vorüber, um sogleich durch den Flur davonzuflitzen. Ich holte sie in ihrem Büro wieder ein.

- Jetzt ist nicht die Zeit, mich aufs Essen anzusprechen …. fuhr sie fort, während sie weiß der Kuckuck was in den Fächern eines Metallschranks suchte.

- Siehst du nicht, was ich um die Ohren habe …? – Ja, aber ich wüßte nicht, was das …

- Mist! Wer hat denn hier wieder rumgewühlt …?!! JEANNE! LEG AUF, WENN KEINER DRANGEHT, rief sie zur Tür hinaus. SAG, MAN SOLL UNS ‘NEN FAHRRADKURIER VORBEISCHICKEN …!

- Jemand, der mit leerem Magen in die Pedale treten kann, dachte ich bei mir.

- Soll ich dir etwas mitbringen?

- Hmm …? Nein, danke, ich will nichts … Wo hab ich nur diese Liste hingetan …?!

Ich zögerte einen Moment. Fast wäre ich gegangen, ohne noch ein Wort zu sagen, aber der Zweifel nagte an mir.

- Überdies … Richard kommt doch heute abend zurück …? erkundigte ich mich.

- Mm … Jaja …

- Und? Hat ihm der Ausflug gefallen …?

 

An jenem Abend speiste ich mit Bernie. Hermann war zur Probe, und Elsie hatte mir für den Abend freie Hand gelassen. Mächtige rote Strahlen, lau und ruhig, drangen durch den Garten, und wir aßen im Freien, und ich war derjenige, der eine Sonnenbrille aufhatte, einzig wegen des Lichts.

Er hatte uns ein köstliches Mahl zubereitet, nur für ihn und mich, aber meine Gedanken waren woanders.

Beim Dessert sagte ich ihm, hör mal, ich schätze, er kommt bald zurück, ich glaube, er kommt sogar sehr bald.

 

Und tatsächlich, wie ich vorhergesagt hatte, tauchte Harold am nächsten Tag wieder auf. Doch selbst wenn ich nichts gesehen hätte, ich hätte Bernie dennoch beruhigen können, ohne Gefahr zu laufen, mich zu irren. Denn jedesmal, wenn Harold türenschlagend das Weite suchte, kam er nach rund einer Woche wieder zurück. Mit knurrendem Magen und einem Koffer voll schmutziger Wäsche. Zehn Tage war wirklich das Äußerste seines Aktionsradius.

Bernie war der einzige, der sich Sorgen machte, der hartnäckig blind blieb. Sein ›Ach, Dan …! Diesmal hat er mich wirklich verlassen …!!‹ klang mir regelmäßig in den Ohren. Für ihn war das jedesmal das endgültige Aus, im übrigen hatte ich für diese Dinge kein Gespür, ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie anders das diesmal war und was für einen schrecklichen Blick er ihm ein andermal zugeworfen hatte. Natürlich verflüchtigte sich sein Gedächtnis, kaum war der Unglücksvogel wieder ins Nest geflattert, und er vergaß mir zu antworten, wenn ich ihm zuraunte:

- Na … Hab ich’s nicht gesagt …?

Ich hatte einen unerfreulichen Tag im Büro hinter mir – der Kaffeeautomat war kaputtgegangen, und ich hatte mir obendrein ein seelenloses Manuskript vorgeknöpft –, ich hatte acht Stunden purer Langweile hinter mir und kam mit angespanntem Sinn nach Hause, als ich erfuhr, daß Harold an den häuslichen Herd zurückgekehrt war.

- Er hat sich sogar die Haare schneiden lassen, fügte Hermann hinzu, während ich geradewegs zu meinem Sessel flitzte.

- Nein! Ehrlich …? fragte ich hämisch.

- Jaja, steht ihm gar nicht so schlecht … Weißt du, obendrauf einigermaßen lang, im Nacken und an den Seiten ausrasiert …

- Ach du Schande, ich kann’s mir vorstellen … Das fehlte noch! Unter uns gesagt, an seinem schwachsinnigen Grinsen ändert das auch nichts …!

- Nein, im Ernst, ich finde, er sieht jünger aus …

- Naja, weißt du, wenn man’s recht betrachtet, ist er geistig ohnehin erst fünf oder sechs …

- Eh, was hat er dir eigentlich getan …?

- Nichts … Nichts hat er mir getan.

- Hm, wenn du mich fragst … Du siehst aus, als wolltest du jemanden auffressen, ehrlich, ich übertreib nicht …!

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte den Kopf ab, um die Diskussion abzuschließen. Ich schaute einen Moment in den Garten, in die Stille und in das Junilicht, das am Fenster flimmerte.

- Rat mal, mit wem er die ganze Zeit zusammen war …! sagte ich in unbeteiligtem Ton, den Blick auf meinen Rasen gerichtet.

Da ich keine Antwort erhielt, wandte ich mich ihm langsam wieder zu. Doch jetzt war es an ihm, den Garten zu betrachten, und sein Gesicht wirkte relativ ausdruckslos, so daß ich meine Frage wiederholte:

- Rat doch mal, mit wem dieses unsägliche Arschloch in den letzten Tagen auf Achse war …!!

- Scheiße, woher soll ich das denn wissen …?! erwiderte er und steckte dabei beide Hände in die Taschen.

Ich beobachtete ihn. Dann schlug ich mir auf die Schenkel und stand seufzend auf.

- Herrgott, wofür rede ich mir eigentlich den Mund fusselig …

Ich ging in die Küche. Ich fühlte mich ziemlich idiotisch. Und leicht verletzt. Ich kam mir dermaßen bescheuert vor, daß ich mir in einer absurden Anwandlung das Hemd vom Leibe riß und in die Maschine steckte. Es war ohnehin warm.

- He … Richard ist schließlich alt genug …

- Jaja … Wahrscheinlich …. sagte ich und schnappte mir das Waschmittel.

In einer makellosen Stille erledigte ich die erforderlichen Handgriffe, dann entschied ich mich für eine Wäsche mit niedriger Temperatur.

- Trotzdem hättest du mir Bescheid sagen können …. knurrte ich, als ich an ihm vorbeikam.

- Meine Güte, was gibt’s da schon groß zu sagen …! Kopfschüttelnd wanderte ich durchs Wohnzimmer. Ich blieb vor meinem Sessel stehen, ich wußte nicht, ob ich Lust hatte, mich zu setzen oder nicht. Als ich mich umwandte, hatte er sich bereits auf der Armlehne des Sofas niedergelassen und betrachtete mich mit amüsierter Miene.

- Na schön, aber wenn ich mir vorstelle, daß er mit diesem …. mit diesem …. meinte ich und reckte einen drohenden Finger ins Leere.

Hermann zuckte resigniert mit den Schultern. Mein Arm sank zurück, ich setzte mich.

- Herr im Himmel, als ich die beiden gestern morgen gesehen hab, ich schwör dir, ich hab meinen Augen nicht getraut … Eh, sag mal, ist das einfach so über ihn gekommen, aus heiterem Himmel …? Hat der plötzlich ‘nen Rappel bekommen?

- Mmm, das ist schwer zu sagen … Ich glaube, er weiß selbst nicht genau, was er will.

- Na schön, aber Harold, der weiß, was er will, da kannst du Gift drauf nehmen … Der hat die jugendliche Verwirrung hinter sich …!

- Naja … Trotzdem, gezwungen hat er Richard nicht, das bestimmt nicht …!

- Es gibt verschiedene Wege, jemanden zu zwingen. Verdammt, dieser Harold ist hinterlistiger, als du glaubst!

- Okay … Mag sein … Aber du kannst mir nicht erzählen, daß Richard wirklich etwas für Mädchen übrig hat … Ich glaube, das hätte ich mit der Zeit gemerkt.

- Wir haben oft genug darüber gesprochen, aber ich sage es dir gern noch einmal … Kann man einem Jungen, der so viel hat wegstecken müssen wie Richard bei seiner Mutter, kann man dem vorwerfen, daß er sich Mädchen gegenüber ein wenig in acht nimmt oder schlichtweg reserviert verhält …? Sollte man ihm nicht ein wenig Zeit lassen und sich hüten, vorschnelle Schlüsse zu ziehen …?

- Meine Güte, daß ich nicht lache …! Meinst du, es kratzt mich, ob Richard nun gay ist oder nicht …? Was sollte das denn für mich ändern, worüber reden wir hier überhaupt …? Scheiße, ob er nun mit Harold schläft und wie riesig gut ihm das tut, Mensch, das kratzt mich nicht im geringsten … He, ich dachte immer, sowas war dir vollkommen schnurz …!

- Naja … Sagen wir so, ich hab das noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet … Sagen wir, ich hab mich noch nicht von meiner Überraschung erholt. Ich glaube, das liegt an Harold, daß ich das nicht verdaut kriege … Ich komme nicht dagegen an, da sträuben sich mir die Haare!

- Aha, wenn ich recht verstanden habe …

- Hermann, du hast eine widerliche Art, die Dinge zu vereinfachen.

- Überhaupt nicht! Du versuchst mir doch die ganze Zeit zu verklickern …

- Ja, ich weiß selbst, was ich sage … Vielleicht hätte ich die Sache anders aufgenommen, wenn Harold nicht darin verwickelt wäre, ich weiß es nicht … Aber leider ist er es nun mal und niemand anders, und da führt kein Weg dran vorbei …! Ergo, ich schaffe es nicht, Abstand zu gewinnen, verstehst du … Schlimmer noch, ich habe keine Lust dazu … Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, aber jetzt, in diesem Moment, geht mir nicht etwa Richards Homosexualität durch den Kopf, sondern so etwas wie Verführung Minderjähriger.

- Nur daß Richard nicht mehr minderjährig ist …

- Ja, das weiß ich, ich versuche dir nur zu erklären, was ich empfinde … Ich bemühe mich nicht, logisch zu sein oder über das Problem nachzudenken, ich will da keine intelligente Haltung einnehmen … Ich sage dir nur, was ich denke, das ist alles.

Ich stand auf, um mir ein Glas zu holen.

- Andererseits, das natürlich nur am Rande, du kannst dir sicherlich vorstellen, was los ist, wenn gewisse Leute dahinter kommen …!

 

In der nächsten Zeit ließ ich keine Gelegenheit aus, Richard unauffällig zu beobachten. Ich wollte wissen, was nun war und ob ich gewisse Dinge fühlen würde, aber ich fühlte überhaupt nichts. Mir fiel höchstens auf, daß er ein wenig besorgter, ein wenig wortkarger wirkte als sonst, und das hätte ein Anzeichen sein können, wären da nicht diese Prüfungen am Ende des Schuljahrs gewesen, die ihnen allen ein paar Sorgen machten und folglich das Resultat meiner Analysen verfälschten.

Die Tage waren heiß. Die allgemeine Stimmung schweigsam. Wir waren mit Arbeit überlastet, da waren sie nicht die einzigen. Man hätte meinen können, ein gemeinsames Schicksal habe uns alle zugleich erwischt, und wir hatten nichts mehr zu lachen. Das war Zufall, aber wir mußten uns samt und sonders doppelt ins Zeug legen. Bernie war mit seinen Aufträgen im Verzug und verbrachte, gemeinsam mit Harold, ganze Tage in seinem Atelier, um den Prototyp eines Liegestuhls zu entwickeln. Sarah machte neben ihrem normalen Job eine Bestandsaufnahme des ganzen Krams, den man ihrer Sparte zuzählte, und das war kein Pappenstiel, so daß wir nur selten zusammen essen konnten.

Meinerseits herrschte der helle Wahn. Astringart war krank geworden – ein ärztliches Attest hatte ich allerdings nicht zu sehen bekommen –, und man hatte mir sämtliche Manuskripte zugeschoben, in der Erwartung, ich würde ein Auge darauf werfen.

Ich hatte Schwierigkeiten, mein Büro zu betreten. Ich brauchte mir das nur vom Flur aus anzusehen, wenn ich von Zeit zu Zeit, mit dem Rücken an der Wand, einen Karree trank, schon bekam ich eine Gänsehaut, und mein Blick verschleierte sich.

Ich mußte erkennen – ich, der ich mir stets eingebildet hatte, ein Buch zu schreiben sei das Härteste auf der Welt –, daß in Wirklichkeit jeder sein kleines Opus verzapfte und daß die Sache, die mich fast um den Verstand gebracht hatte, letzten Endes nur ein weitverbreiteter Zeitvertreib war. Das war eine gute Lektion, leider kam sie für mich zu spät. Ich krepierte vor Hitze in meinem Büro, und die meiste Zeit langweilte ich mich zu Tode. Es war eine angenehme Abwechslung, wenn ein Manuskript mal nicht mit »Es regnete« anfing.

Jeden Morgen blieb ich an der Rezeption stehen, um mich nach Astringart zu erkundigen. Im Aufzug verfluchte ich ihn, und ich schaute kurz bei Paul herein, um mich zu beklagen, ohne jede Hoffnung, aber immerhin schob ich mein düsteres Tete-ä-tete mit dem Regen ein wenig hinaus.

- Herrgott, Danny … Wenn du mir wenigstens sagen würdest, wozu du überhaupt Lust hast …! Du weißt genau, ich bin zu allem bereit …

Ich unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Ich hatte schon ungefähr alles ausprobiert, was er mir vorgeschlagen hatte. Ich hatte keinen Hehl daraus gemacht, daß mein angebliches Talent nur schwer an den Mann zu.bringen war, aber sie hatten sich geweigert, mir zu glauben. Insofern war es mir ein Trost, sie gewarnt zu haben.

Andererseits war ich auch nicht schlimmer als jeder andere. Ich hatte Astringart im Verdacht, im rechten Moment von Bord gehüpft, sprich krank geworden zu sein, aber da es nun einmal erforderlich war, rackerte ich für zwei, ich nörgelte, scheute jedoch keine Mühe, und am Abend hatte ich einen steifen Nacken. Ich entfernte mich dann leise aus meinem Büro, schob meine Sonnenbrille hoch und beugte mit geschlossenen Augen den Kopf zurück, um für einige Minuten reglos zu verharren, während sich der Flur leerte. Und ich dachte an Richard, nun ja, ich dachte ziemlich oft an ihn. Anschließend hatte ich den Aufzug für mich allein. Er roch noch ganz nach Parfüm und Körpergeruch.

Manchmal traf ich sie in meinem Garten an. Ganz in ihre Bücher vertieft, kritzelten sie mit zufriedener und erleichterter Miene ein paar letzte Notizen, und ich blieb drinnen und störte sie nicht, ich schaute ihnen durchs Fenster zu, ich saß da, ohne mich zu bewegen, hielt den Atem an und war von konfusen Empfindungen durchdrungen, und ich fragte mich, ob sie noch unschuldig waren oder ob es damit vorbei war, ich fragte mich, wo sie waren und wann sie dorthin aufgebrochen waren, aber ich blieb drinnen und störte sie nicht. Nach dem Pensum, das ich Tag für Tag leistete, hatte ich keine Lust, mich der Sonne auszusetzen. Ich blieb im Schatten, hörte ein wenig Musik, ich war nicht mehr imstande zu lesen, meine Augen waren müde. Auch wenn ich auf die fünfundvierzig zuging, mitunter hatte ich das Gefühl, überhaupt nichts zu wissen.

Wenn Elsie eintraf, richtete ich mich in meinem Sessel auf. Es gehörte zu ihren neuesten Errungenschaften, sich auf meinem Schoß niederzulassen, kaum daß sie eingetreten war. Ich war neugierig, wie lange unser Turteln noch anhalten würde, zumal Marc weiterhin mit gequälter Miene durch die Gegend streunte. Ich ließ mich ohne tiefergehende Überzeugung küssen, erwiderte ihre Küsse jedoch, denn ein bißchen Liebe kann nie schaden, und wer weiß schon, wie es morgen aussieht …? Ich schaute ihr gern zu, wenn sie aufstand, wenn sie mit meinen Lippen fertig war, ergötzte mich an ihrem Zögern, wenn sie zwischen der Gesellschaft der Jugend – die obendrein das letzte Licht des Tages ausnutzte – und meiner wählen mußte. Nicht daß ich mich für eine Art Heiligen hielt, aber eine Portion Härte gehörte dazu, sie in den Garten zu schicken – ich brauchte es ihr nicht zweimal zu sagen – und selbst in die Küche zu gehen und mich um das Essen zu kümmern.

Richard und Gladys blieben während jener Zeit ziemlich häufig zum Abendessen bei uns, denn theoretisch sollte das Lernen danach weitergehen, und wenn man sie hörte, war es besser, gemeinsam zu leiden, als einsam zu klagen. Darüber dachte ich zwar schon lange anders, aber ich schwieg fein still, zumal es einige Erkenntnisse gibt, zu denen man ohnehin recht schnell gelangt. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sie viel arbeiteten, wenn wir vom Tisch aufstanden, für meinen Geschmack fehlte es ihnen an Schwung, jede Kleinigkeit war ihnen Anlaß zur Ablenkung. Aber ich lud sie gewiß nicht ein, das Abendessen mit uns zu teilen, um mich ihres Arbeitseifers zu vergewissern. Nicht daß mir ihre Fortschritte gleichgültig waren, doch das war nicht der wahre Grund für meine Gastfreundschaft. Sarah kam seit einiger Zeit recht spät nach Hause, und wenn man ihr glauben konnte, lag das an dieser verfluchten Bestandsaufnahme, die sie zu solch ungehöriger Stunde noch festhielt.

- Wenn das so weitergeht, verlange ich eine Gehaltserhöhung, findet ihr nicht …?-, was eine glatte Lüge war. Die Bestandsaufnahme war ein Typ von der Sorte Schönling, genau die Sorte, die mir überhaupt nicht gefiel, worüber ich mich aber mit ihr zu diskutieren weigerte, weil mich diese Geschichten mittlerweile auf die Palme brachten und ich an den Einzelheiten nicht interessiert war.

- Aber wenn ich mit dir nicht darüber reden darf, mit wem soll ich denn darüber reden …?

- Herrgott …! Du bist doch nicht verpflichtet, über solche Dinge zu reden …!

Diese neue Liaison unterschied sich insofern von allen anderen, als sie sich von Beginn an durch einen hemmungslosen Rhythmus ausgezeichnet hatte, der mit nichts, was wir bislang erlebt hatten, auch nur annähernd zu vergleichen war. Im allgemeinen sah Sarah zu, daß ihr Sexualleben weder störende Bedeutung erlangte noch unerquicklich wurde oder gar die Atmosphäre zu Hause unerträglich vergiftete. Mit der Zeit war es ihr gelungen, ihre Bedürfnisse relativ diskret zu befriedigen, so daß ihre Ausflüge nicht mehr ständig Anlaß zu Auseinandersetzungen mit Richard boten. Mag sein, daß es verschiedene Arten gibt, zur Tür hinaus zu gehen, vielleicht auch eine Möglichkeit, daß es gar nicht danach aussieht.

Da ich nicht die geringste Information bezüglich dieser Affäre zu dulden geruhte, wußte ich nicht, was tatsächlich vorging. Ich kannte weder die intimen Maße noch die Gepflogenheiten ihrer neuen Eroberung. Sarah indes schien den Kopf verloren zu haben, zumindest war es das erste Mal, daß sie einem dieser Typen mehrere Abende nacheinander gewährte. Offen gestanden, das Ganze gefiel mir nicht sonderlich. Und eine Frage ließ mir keine Ruhe: Nutzte sie nur die günstige Gelegenheit, gestattete sie sich dieses Extra an Freiheit, weil sie wußte, daß die Kinder bei mir waren, oder hätte sie auf jeden Fall so gehandelt …?

Ansonsten kam sie zwar spät zurück, aber immerhin, sie kam, was ihrer Inventurgeschichte – wenn man zudem bedachte, daß die beiden anderen den Kopf voll hatten – einen Anstrich von Glaubwürdigkeit verlieh. Und sollten sie doch nicht darauf hereinfallen, so zeigten sie es zumindest nicht, und ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß Sarah zur Besinnung kam und vor dem Abschluß der Prüfungen wieder zu mehr Zurückhaltung fand.

Einstweilen war sie mir zu einigem Dank verpflichtet. Ich ersparte es ihr, sich allzuviel Sorgen um ihre Kinder zu machen, ich erlaubte es ihr, mit ruhigem Gewissen davonzuflattern. Früher hätte ich einem Kerl, der ihr eine schöne Zeit verschaffte, bereitwillig die Hand geschüttelt, ich mochte es, wenn sie glücklich war, und ich hörte mir ihre Seufzer mit gerührter Miene an, wenn sie mit zwei, drei herzergreifenden Worten rausrückte, aber diese Zeiten waren vorbei, und ich wußte nicht, wie ich es angestellt hatte, ich wußte nicht, wie ich mich in einem solchen Maße hatte ändern können. Wie dem auch sei, ich zeigte ihr die kalte Schulter und mied ihre Gesellschaft – was sie, nebenbei gesagt, nicht sonderlich zu stören schien, ich hätte nicht einmal beschwören können, ob sie überhaupt irgend etwas merkte –, ich zog es vor, mich von ihr fernzuhalten, so sehr ging mir ihr Verhalten auf die Nerven, im Ernst, man hätte mitunter schwören können, sie sei vollkommen durchgedreht. Ich lachte höhnisch, wenn ich ihren verwirrten Blick auffing. Ich sagte ihr nicht, sie arbeite zuviel, ich bedauerte sie nicht, wie es mitfühlende Seelen eilfertig tun, ich verkniff es mir, sie zu fragen, ob ihr Hengst ihr womöglich bis ins Hirn gedrungen war.

Die Nächte ließen lang auf sich warten. Eines Abends tanzten Bernie und Harold an, und ich war vom Sex – vor allem dem der anderen – dermaßen erledigt, daß ich Harold fast erwürgte, ich nutzte den Augenblick, den wir allein in der Küche waren, und würgte ihn mit einer Hand. Anschließend entschuldigte ich mich. Er schnitt immer noch Fratzen und hielt sich die Kehle, und ich bat ihn, er möge es mir nicht übelnehmen, ich sagte ihm, es tue mir leid, daß ich dermaßen altmodisch sei, und danach hielt er still. Auch wenn er es verdient hatte – sein Blinzeln in Richtung Richard hatte mir gereicht –, ich gebe zu, daß ich recht brutal vorgegangen war, aber das hatte er Sarah zu verdanken -pah, ich würde niemals eine Frau würgen –, daß ich so nervös war, so kitzelig in diesem Punkt und beinahe hitzköpfig.

Fast hätte ich an diesem Abend mit Richard geredet. Ich lieh ihnen für die Rückfahrt meinen Wagen, und ich ging mit ihm nach draußen, um Werkzeuge aus dem Kofferraum zu holen. Ich wolle das Wochenende dazu nutzen, ein paar Kleinigkeiten an der Triumph zu überprüfen, klärte ich ihn auf, während ich an seiner Seite zu dem Fiat schritt, mmmm, ich hab ständig Probleme mit dem Leerlauf, verstehst du. Plötzlich fiel mir auf, daß wir allein auf dem Bürgersteig standen, daß uns aus irgendeinem obskuren Grund niemand gefolgt war. Ich hörte auf, meine Motorprobleme herzuleiern, und ich guckte ihn an, während er sich wortlos streckte, den Oberkörper zurückgeneigt, die Hände ins Kreuz gepreßt.

In diesem Moment hatte ich Lust, mit ihm zu reden. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, und ich hatte Lust, ihm zu sagen, daß ich Bescheid wußte, daß ihn das mir gegenüber nicht zu stören brauche, denn diese Sache sei mir gleichgültig, es schere mich wenig usw. Trotzdem sagte ich keinen Ton. Ich beobachtete ihn weiter, und ich erwiderte sein Lächeln, und er fing an zu gähnen:

- Aahuaa … Was treiben denn die da drinnen …?! Ich schaute ihn immer noch an.

- Hey … Soll ich dir dein Werkzeug geben …?

Ich musterte ihn noch einen Moment, dann senkte ich den Blick, damit er mich nicht für bescheuert hielt. Ich nickte, dann tauchten Gladys und Hermann auf.

 

Im Laufe des Nachmittags dachte ich mehrmals an diesen Augenblick zurück. Über mein Motorrad gebeugt, ließ ich meinen Geist frei schweifen, und von Zeit zu Zeit nistete sich die Szene in meinen Gedanken ein, und ich unterbrach mein Hantieren, blieb auf meinen Fersen sitzen und nahm dann friedlich meine Arbeit wieder auf. Ich war froh, daß ich allein war, nichts drängte mich, und die Straße war ziemlich still. Im Grunde konnte ich es kaum fassen, daß ich eine solche Ruhe genießen durfte, denn was mir einst reichlich vergönnt war, hatte sich plötzlich in einen wahren Jammer verwandelt, seit ich den Fuß in ein Büro gesetzt hatte. Wieviel zarte und milde Vormittage hatte ich nicht erlebt, wieviel lange und gefühlvolle Nachmittage hatte ich mir nicht geleistet, als ich noch frei war, war ich mir dessen wenigstens bewußt gewesen …?! Wahrscheinlich nicht so, wie es hätte sein müssen, befürchtete ich, aber wie hätte ich damals ein Wunder feiern können, in dem ich von morgens bis abends schwelgte, hatte ich mir überhaupt vorstellen können, daß es noch eine andere Welt gab, daß es eine außergewöhnliche Gunst war, einen ruhigen Nachmittag zu verbringen?

Wie jedes Jahr hatte Gladys ihr übliches Basketballturnier, aber diesmal, zumal es sich nur um das Halbfinale handelte, hatte ich unversehens ein elendes Kopfweh an mir entdeckt, als wir gerade losgehen wollten. Wieder einmal strebte das Mädchenteam unaufhaltsam dem Titel zu, und wie jedes Jahr keimte, der regelmäßigen Finalschlappe zum Trotz, am Gymnasium Hoffnung auf. Das war zwar kein Sport, der mich besonders langweilte – nur Fußball geht mir richtig auf die Eier –, ich fand es auch keineswegs unangenehm, all diese jungen Frauenkörper dort in Bewegung zu sehen und von Saison zu Saison gewisse Veränderungen festzustellen, aber vor allem war mir nach Ruhe zumute, ich wünschte mir nichts mehr als völlige Bewegungslosigkeit um mich herum und wollte im Umkreis von fünfzig Metern, wenn möglich, keine Menschenseele sehen, also drückte ich mich, als alle Welt aufstand, begleitete sie mit einer leichten Grimasse lediglich zur Tür und machte diese hinter ihnen zu.

Diese ersten Augenblicke der Einsamkeit taten mir unglaublich gut. Die Sonne war da, aber ich hatte mich im Schatten niedergelassen, um an meiner Mühle zu basteln, und ein leichter Hauch strich durch die Gegend und trug jenen Pflanzenduft herbei, auf den ich so stehe. Wenn ich Glück hatte, würden sie nach dem Spiel noch ein Glas trinken, und wenn sie in Form waren, konnte mein Glück bis zur Abenddämmerung dauern, ich wünschte es mir von ganzem Herzen. Allein die Aussicht machte mich fröhlich.

Und mein Geist sauste, wie gesagt, umher, ich war hingerissen und fühlte mich wie ein spiegelglattes Meer. Ich dachte sogar daran, aufzustehen und das Telefon auszuhängen, als Elsie meinen Garten betrat. Fast wären mir die Beine weggeknickt. Sie schmiß ihre Tasche auf den Rasen und warf sich mir so an den Hals, daß wir unter meine Rosenstöcke purzelten.

- O Dan …! hauchte sie mir ins Ohr. Entschuldige, daß ich dich allein gelassen habe! O mein Schatz, versprich mir, daß du mir nicht böse bist …!

- Herrgott nochmal …! jaulte ich.

Sie nahm mein Gesicht mit beiden Händen und bewunderte es mit einem zärtlichen Lächeln, während ich wütend Grasbüschel zwischen meinen Fäusten zerquetschte und vergeblich meinen Kopf zu schütteln versuchte. Dann preßte sie mein Gesicht gegen ihre Brust und fuhr mit den Händen durch meine Haare.

- Danny, wir kommen so selten dazu, einen ganzen Tag zusammenzusein! flüsterte sie und umarmte mich wie eine Puppe.

- Herr im Himmel, morgen ist doch Sonntag …! knurrte ich durch die Zähne.

- Ah, ich bin wirklich schwer von Begriff …! Ich habe nicht geschaltet, als du sagtest, du kämst nicht mit … Sei nett, ich will nicht wissen, was du gedacht hast, du irrst dich, Dan, schau mich an … Du, ich bin so schnell ich konnte zurückgekommen …!

Ich schaffte es nicht, sie anzusehen, denn sie hatte uns aus dem Schatten geschleudert, und jetzt hatte ich die Sonne in den Augen. Ich spürte, wie sich ihre Zunge in meinen Mund bohrte. Darauf beschloß ich, an nichts mehr zu denken, und ich ließ mich vorsichtig, auf meinen Rücken achtend, nach hinten fallen, mit ihren Lippen, die an meinen klebten, und ihrem ganzen Körper, der hinterherkam.

Als wir damit fertig waren, stand ich hastig auf und versuchte meine schlechte Laune runterzuschlucken.

- Komm, mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung … Es war alles in bester Ordnung, sagte ich und klopfte mich ab.

- Ja, aber wir haben im Moment soviel Arbeit, daß ich das Gefühl habe, wir sehen uns gar nicht mehr, murmelte sie.

- Pah, weißt du, ich hatte dermaßen Kopfschmerzen …

- Hast du etwas dagegen genommen? Fühlst du dich besser?

- Mmm, es ist noch spürbar … Nein, ich wollte nur sagen, daß es in solchen Augenblicken keine helle Freude ist, mit mir zusammen zu sein, und ich will dich nicht zwingen …

- Aber ich fühle mich nicht gezwungen, fiel sie mir ins Wort.

- Nein, aber … Ich finde, das ist doch dumm … Weißt du, mir würde es keinen Spaß machen, den Nachmittag mit einem Typen zu verbringen, der nur schlecht gelaunt ist …

Ich spürte sehr gut, daß ich mich vergeblich bemühte, als sie mit engelgleichem Lächeln auf mich zukam, erst recht, als sie sich an meine Taille klammerte.

- Na und, Pech für mich, antwortete sie.

Manchmal verblüffte sie mich, und das sogar recht häufig, seit wir wieder zusammen waren. Für meine Begriffe war das nur ein Strohfeuer, ich mußte darauf gefaßt sein, eines schönen Tages allein aufzuwachen, aber mitunter war ich mir unschlüssig. Ihre Anstrengungen, uns einander näherzubringen, trugen allmählich Früchte, und obwohl ich weiter in der Defensive verharrte, hatte unser Verhältnis ein anderes Ausmaß angenommen, hin und wieder hatte ich fast den Eindruck, wir lebten zusammen. Was mich nun doch verwunderte.

Sie hatte sich neben mich gesetzt, während ich meine Schrauben anzog. Das war nicht die tiefe Einsamkeit, die ich mir gewünscht hatte, aber sie hatte sich Tokyo Montana Express geholt, ein Buch, das ich ihr am Vortag geschenkt hatte, und ich fand ein wenig die Ruhe wieder, aus der sie mich gerissen hatte, es gibt nämlich Bücher, die verschlagen einem die Sprache.

Ich vermied es, sie anzusehen, denn sie hatte sich ihres Rocks entledigt, um die Beine in die Sonne zu legen, ihr Hemd war reichlich aufgeknöpft, und ich hörte, wie sie in ihrem Liegestuhl hin und her rutschte. Ich versicherte ihr, daß ich wirklich nichts brauchte und daß diese verflixte Migräne unweigerlich mit ein wenig Schweigen einhergehe, aber ich sei bester Hoffnung. Ich wählte keinen unangenehmen Ton, ich gab ihr bloß zu verstehen, daß ich mich im Moment nicht um sie zu kümmern gedachte. Ich brauchte nur einer einzigen Falle auszuweichen, um doch noch in den Genuß einer relativen Ruhe zu kommen: Ich mußte mir verkneifen, sie anzuschauen. Ein kurzer Seitenblick hatte gereicht, um mir der Gefahr bewußt zu werden. Außerdem hatte ich mich schon immer gefragt, ob sie ihre Slips nicht zwei, drei Nummern zu klein trug.

Es war zwar nicht gerade einfach, aber ich schaffte es, mich von diesen Dingen abzuwenden, indem ich mir vorstellte, ich sei in einem Kloster, zur Stunde der Vesper, und als sie sagte:

- Toll, diese Szene, der Metzger mit den kalten Händen …! begnügte ich mich damit, mit dem Kopf zu nicken, denn ich, ich fand sie alle toll, und mechanisch bastelte ich weiter an meinem Motorrad.

Ich dachte wieder an Richard, als sie unter der Dusche stand. Ich fragte sie von unten, ob alles in Ordnung sei, dann holte ich mein letztes Fotoalbum hervor- seit sechs, sieben Jahren machte ich so gut wie keine Aufnahmen mehr – , und ich setzte mich auf den Teppich, mit dem Rücken an der Wand, und fing am Ende an. Ich stieß schnell auf die Bilder, die mich interessierten, es gab da besonders eins, auf dem er mit Gladys und seinem Vater war, er war höchstens zwölf Jahre alt, und Mat faßte sie um die Schultern, sie standen vor dem Haus, und wenn man genau hinsah, erkannte man, daß sich Richard auf die Zehenspitzen gestellt hatte. Sarah war nicht auf dem Foto, schon damals war Sarah oft woanders, und wenn man noch genauer hinschaute, konnte man -obwohl sie lächelten – sehen, daß etwas nicht stimmte, das fiel mir jedesmal auf. Mat Bartholomi war mein Freund gewesen, aber ein Vollidiot in puncto Sarah, ein armseliger Typ, unfähig, einen Entschluß zu fassen.

- Mach nur so weiter, hatte ich ihm ständig gesagt, eines Tages seid ihr zu dritt in deinem Bett, und er hatte nur gelächelt oder auch irritiert dreingeblickt, er zog es vor, über all das nicht zu reden, denn weißt du, meinte er zu mir, es gibt da keine Lösung, naja, jedenfalls nicht für mich.

Ich hatte andere Fotos aus jener Zeit, vor allem nach seinem Tod, als Sarah und ich die Kinder aufs Land an die frische Luft mitgenommen hatten, als sie das noch nicht zu sehr langweilte. Von diesen Ausflügen stammten überdies meine letzten Aufnahmen. Ich erinnerte mich an meine Überraschung, als ich hinter das Geheimnis von Sarahs Ausflügen kam, als ich sie im Laufe der Zeit besser kennenlernte, hatten wir doch zu Mats Lebzeiten nie mehr als drei Worte miteinander gewechselt. Was ihre Liebhaber betraf, hatte ich damals eine andere Auffassung als Richard, und jahrelang hatte ich mich nicht darum geschert, ich fand es nur natürlich, wenn sie ihr Vergnügen suchte, und ich dachte nicht, daß all das irgendwie einen Sinn hatte. Davon war ich verdammt nochmal abgekommen. Ich fragte mich, wie sie es hinbekommen hatte, Gladys’ Match zuzusehen. Durfte man hoffen, daß diese Drecksinventur nicht zu sehr darunter litt?

Einen Moment lang war ich versucht, Franck aufzustöbern, nur ein paar Seiten weiter, aber ich hörte ein Trällern aus dem Badezimmer und verzichtete darauf. Ich begnügte mich damit, die Fotos der Kinder zu studieren, und auch nur die, auf denen niemand anders zu sehen war. Die Jungen hatten noch eine zarte Haut. Gladys hatte noch keine Formen. Ich sah sie mir alle drei noch eine Weile an, amüsierte mich über gewisse Details, dann stand ich auf und genehmigte mir ein Glas, kehrte zurück und versenkte mich in die Betrachtung der Zeit und lächelte gerührt über einige belanglose Szenen, die sich durch meine Erinnerungen schlängelten wie ausgewachsene Lachse, die einen mächtigen Strom hinaufschwimmen.

- Sag mal … Hast du immer noch Kopfschmerzen …? murmelte sie, während ich wieder emportauchte und langsam zu ihrem triefenden Körper aufblickte.

 

Ich schaffte es nicht, ihr klarzumachen, was ein wahrer Schriftsteller ist.

- Sapperlot! Ich sag doch nicht, daß das wirklich schlecht ist …! Aber wo ist der Typ, der das geschrieben hat, wo versteckt der sich, kannst du mir das verraten …?! Spürst du da irgend etwas, spürst du ein menschliches Wesen hinter diesen Zeilen …?! Verdammt, da ist nicht der geringste Stil, das könnte Gott weiß wer geschrieben haben. Ich weiß nicht mal, ob die Handlung gut ist, Menschenskind, nicht mal darüber bin ich mir klargeworden … Ja, glaubst du denn, eine Geschichte sei Grund genug, ein Buch zu veröffentlichen …?!

Sie fand, ich übertreibe, sie fand, das sei gut geschrieben.

- Mensch, Marianne, was erzählst du da …?! Meinst du, ein Buch schreiben heißt nur seine Arbeit gut machen …?! Herrgott, dann gib lieber ein schlechtes Buch raus, in dem sich der Typ Mühe gegeben hat zu schreiben, oder hör auf, mich nach meiner Meinung zu fragen …!

Ich war mir keineswegs sicher, ob sie auf mich hören würde, aber das war mir ziemlich schnuppe, der Tag war fast zu Ende, und ich würde bald durch die Tür sein. Sollte sie doch dieses Buch herausgeben, wenn es ihr Spaß machte, im Grunde war es nicht schlimmer als jedes andere, und ich war seit langem daran gewöhnt, über einen ganzen Haufen Mist zu stolpern, wenn ich mir ein Buch kaufte, das würde sich so schnell nicht ändern.

Ich mußte abzischen, ich hatte Elsie versprochen, mich mit ihr zu treffen, und da man in der Literatur nur durch Schreiben etwas beweisen konnte, ermüdeten mich solche Diskussionen recht schnell, nun ja, ich war in einer ungünstigen Position, um da mitzureden. Ich fing an, auf die Wanduhr zu schauen.

- Vielleicht könnten wir zwei, drei Sachen übernehmen …

- Warum nicht? Vielleicht hat er sich gewandelt …

- Nein, ich meine …. vielleicht könntest du …

Ich fixierte sie im gleichen Moment mit dem Lächeln einer Giftschlange:

- Vergiß es …. denk nie wieder daran … Tja, tut mir leid, aber ich muß los.

Ich war spät dran, die meisten Angestellten waren bereits in die Natur entfleucht, und ich rannte durch den stillen Bunker und schimpfte auf Marianne. In der Eingangshalle traf ich Sarah, und wir gingen gemeinsam zum Ausgang, dabei erzählte ich ihr von meiner Verabredung mit Elsie, die den letzten Teil ihrer Platte aufnahm, und daß ich kein Verlangen hätte, nach dem Gefecht anzutanzen, wenn sie mich fragte. Wir zwängten uns in die Drehtür, in das gleiche Viertel und landeten draußen, in einem Schwall Sonnenlicht. Und da stand dieser Typ auf dem Bürgersteig.

- Oh! Dan, darf ich dir Vincent vorstellen, Vincent Dol-bello …

Ich verkrampfte mich leicht. Ich hatte ihn zwar schon einmal von weitem gesehen, aber ich bedauerte es, ihn aus solcher Nähe zu sehen. Ich faßte auf der Stelle eine tiefe Abneigung gegen ihn. Nicht so sehr, weil er Sarah bumste, sondern wegen dieser selbstsicheren Raubtiermiene, die er zur Schau trug, und dieser unerträglichen Art zu lächeln. Schließlich packte ich die Hand, die er mir reichte.

- Freut mich, sagte ich.

- Sarah hat mir viel von Ihnen erzählt, antwortete er mir mit kräftigem Händedruck. Wie war’s, sollen wir ein Glas trinken …?

- Ich muß leider los, sagte ich.

 

Noch ganz bestürzt ob dieser Begegnung traf ich in den Studios ein. Dieser Vincent Dolbello war schlimmer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich wollte jedoch nicht mehr an ihn denken, ich wollte mir nicht den Rest des Tages verderben, indem ich über den Eindruck nachgrübelte, den er auf mich gemacht hatte. Ich stieg die Etagen hoch, um Elsie zu treffen. Ich spürte noch seinen Händedruck, und es fuchste mich, daß ich diesen Kontakt nicht hatte vermeiden können. Den ganzen Flur entlang schüttelte ich den Kopf.

Als ich aufkreuzte, meinte der junge Kerl hinter dem Mischpult gerade:

- Großer Gott! Was hat dieses Mädchen für eine Figur, nicht zu fassen …!

Ich warf einen Blick auf Elsie, die hinter ihrer Scheibe sang, und ich murmelte:

-Ja, du sagst es!, dabei winkte ich meiner Sirene kurz zu, heilfroh, daß sie hinter dickem Glas gegen die Welt der Männer abgeschirmt war. Die paar Typen, die da waren, ließen sie nicht aus den Augen. Ich wohnte den Aufnahmen nicht zum erstenmal bei, und anfangs hatte ich geglaubt, Elsies Stimme schlage sie allesamt in Bann, bis mir dann auffiel, daß auch ich mehr guckte als hinhörte. Ich war nicht gerade stolz gewesen, doch seit einiger Zeit schaffte ich es, mich anders zu verhalten.

Sie hatte eine sehr hübsche Stimme, nur versteifte sie sich darauf, Miniröcke zu tragen und knappe Höschen, und dann wunderte sie sich. Zudem waren ihre Stücke ziemlich fetzig, und ihr Körper hüpfte, und ihre Arme und Beine waren sehr bald von einem wunderbaren Film überzogen und schimmerten äußerst anregend, während sie das Mikro umklammerte.

- Du meinst also, ich müßte häßlich und verhutzelt sein, damit man mir zuhört …!?

- Ah, mal den Teufel nicht an die Wand …! antwortete ich ihr und schloß sie in meine Arme.

Nach der Aufnahme gingen wir ins Durango, um uns zu erfrischen, und ich konnte nicht umhin, ihr von dem Zusammentreffen zu berichten und welch sympathischen Eindruck Herr Dolbello auf mich gemacht hatte, die Kinnbacken zogen sich mir zusammen, wenn ich nur seinen Namen erwähnte. Ohne meine Sicht der Dinge voll und ganz teilen zu wollen, stimmte mir Elsie weitgehend zu. Sie erzählte mir, auch sie sei ihm zwei-, dreimal begegnet, doch wie sie mich kenne, habe sie es nicht für sinnvoll gehalten, mit mir darüber zu sprechen, aber sie müsse zugeben, auf den ersten Blick wirke der Typ recht unangenehm.

- Nein, nicht nur auf den ersten Blick …! betonte ich.

Ihrer Ansicht nach mußte man sich hüten, vorschnell über andere Leute zu urteilen, doch ich faßte sie an der Hand und sagte, das könne sie jemand anders erzählen, sie werde sich doch noch an unser Gespräch erinnern.

- Merk dir, was ich dir jetzt sage: Sarah hat sich mit einem echten Drecksack eingelassen …!

Nach einer Weile meinte sie, ich kümmerte mich ein wenig zu sehr um Sarah, und da konnte ich ihr nur zustimmen.

- Was soll ich machen? Sie ist wie eine Schwester für mich, antwortete ich ausweichend. Ich mach mir Sorgen …!

Ich rief Enrique, um mich nicht noch weiter über dieses Thema auszulassen. Während ich meine Bestellung aufgab, spürte ich, daß sie mich scharf ansah.

- Weißt du, sagte sie mit einer seltsamen Miene, immerhin kannst du von Glück reden, daß ich nicht eifersüchtig bin …!

Ich zauberte ein argloses Lächeln auf mein Gesicht:

- Elsie … Das ist doch nicht dein Ernst …!

Ich hatte nichts zu verbergen, trotzdem kam ich mir irgendwie ertappt vor, und ich hatte alle Mühe der Welt, ein offenes, harmloses Gesicht aufzusetzen, es war schrecklich. Lief es denn auf dasselbe hinaus, ob man schuldig war oder nicht?

- Eigentlich weiß ich überhaupt nichts …. stieß sie hervor. Ich begreife nicht so recht, was sich zwischen euch abspielt. Ich frag mich das schon seit einiger Zeit …

Ich schenkte ihr einen wohlwollenden Blick.

- Du solltest wissen, daß man sich jede intime Beziehung mit seiner besten Freundin versagen muß, sagte ich. Das ist zwingend geboten. Und dieser Punkt ist zwischen uns immer klar gewesen, das versichere ich dir. Ich habe niemals mit Sarah geschlafen, wenn du das wissen willst. Und wie du siehst, wartet sie nicht auf mich und schert sich einen Dreck darum, ob sie meinen Segen hat.

- Naja, das heißt nicht, daß du nicht einiges für sie empfindest .

- Einiges empfinden, wie du es nennst, tue ich für eine Reihe von Leuten in meiner Umgebung. Da weißt du bald nicht mehr, wo dir der Kopf steht …

- Na schön, reden wir nicht mehr davon. Ich vertraue dir … Ich lächelte, aber dieses Wort klang fatal in mir nach. Ich gab gern zu, daß sie sich geändert hatte und daß die letzten Monate sehr angenehm gewesen waren, aber ich konnte nicht vergessen, wie sie mich abgefertigt hatte, und ich fand es noch zu früh, das Kapitel Vertrauen unter uns aufzuschlagen, ich fand, sie überstürzte die Dinge ein wenig.

Wir hatten freie Hand an diesem Abend, denn Hermann war auf der Probe, und ich hatte nicht so ganz verstanden, was er mir erzählt hatte, nun ja, offenbar feierte die ganze Truppe eine Art Fete, jedenfalls würde er spät nach Hause kommen. Ich hatte ihn vor den unliebsamen Folgen des Schlafmangels kurz vor den Prüfungen gewarnt, aber er hatte mich angeschaut, als wäre ich eine alte Frau, die einem erklärt, man müsse über den Zebrastreifen gehen. Ich hatte nicht weiter insistiert, ich schätzte, ein paar Stunden Ablenkung konnten den armen Lieblingen nicht schaden, und wenn ich sie mir so ansah – sie sahen alle drei ziemlich mitgenommen aus – , dann fragte ich mich, ob die ganze Nacht überhaupt ausreichte, um sie auf andere Gedanken zu bringen, so sicher sie sich dessen auch schienen.

Wir wußten noch nicht, wo wir essen sollten. Ich schlug ihr eines der besten Häuser der Stadt vor, aber sie tendierte zu etwas Belebterem, und ich versuchte sie zu überzeugen, daß wir wenigstens einmal vernünftig speisen könnten, daß nicht nur die Stimmung zählte und daß alles zu ihrer vollen Zufriedenheit verlaufen würde, daß das, Scherz beiseite, mal eine Abwechslung zu den ewigen Griechen, Chinesen, Italienern, Tahitianern, Mexikanern etc. war, daß ich klassisch aufgelegt sei usw. Ich wollte ihr gerade erklären, daß man in meinem Alter nicht immer Lust hat, mit dem Essen zu experimentieren, als ihr Ex das Durango betrat.

Sie schlug die Augen nieder. Er erspähte uns sogleich, und auf meinen Blick deutete er ein Lächeln an und steuerte schnurstracks auf uns zu, die Hände in den Taschen vergraben. Ich fand ihn um einiges unsympathischer, nachdem er sich Elsie gegrapscht hatte – zumal als Querschläger –, aber ich konnte nicht leugnen, daß er über einen gewissen Charme verfügte, und ich war auch nicht sonderlich sauer auf ihn. Er machte sich zum erstenmal an uns heran, seit Elsie und ich … Vermutlich hatte er uns etwas Wichtiges zu sagen.

- Aha, das Liebespaar … Wie geht’s …? fragte er mit süßsaurer Stimme, wobei er auf wundersame Weise sein Lächeln beibehielt.

- Naja, weißt du … Das ist wirklich wie im Traum …! sagte ich mit seliger Miene.

- Es reicht, Marc! Was willst du …?! mischte sich Elsie ein.

In diesem Augenblick fiel mir auf, daß er sie ziemlich gut kannte. Ich an seiner Stelle wäre ebenfalls auf der Hut gewesen, wenn sie in diesem Ton mit mir gesprochen hätte. Vielleicht würde er sich ebenfalls einen ordentlichen Handtaschenschwinger einfangen. Ich ertappte mich dabei, daß ich es ihm wünschte, aber wahrscheinlich hatte er von der Geschichte gehört, denn er wich sogleich einen Schritt zurück und wahrte respektvoll Abstand.

- Gottogott! Du bist schon verdammt unverschämt …! knurrte er und starrte sie haßerfüllt an. Scheiße nochmal, nicht nur, daß du mich ohne jede Erklärung fallen läßt, jetzt bin ich dir nicht mal mehr als Musiker gut genug, ich erfahr nicht mal, daß du ‘ne neue Platte aufnimmst …!!

Wahrhaftig, er hatte allen Grund, schlecht drauf zu sein. Elsie fingerte eine Zigarette aus ihrer Handtasche, während er sich auf seinem Platz buchstäblich verzehrte.

- Altes Haus, die Zeit bleibt nicht stehen …. dachte ich.

Als sie den Kopf wieder hob, ignorierte sie ihn völlig. Sie steckte sich ihre Zigarette zwischen die Lippen und beobachtete mich nervös und wartete, daß ich ihr Feuer gab, alldieweil sich neben uns der Verstoßene schwarz ärgerte.

- Soll ich dir sagen, was du bist …?! knirschte er, ohne sie aus den Augen zu lassen, als wäre er plötzlich von einem tiefen Ekel befallen.

- Nein, besser nicht, sagte ich und blickte starr auf die Flamme, die mein Streichholz versengte. Das könnte die Sache komplizieren …

Elsie sprang auf. Eine bleiche Maske war über ihr Gesicht gefallen. Ich verbrannte mir die Finger. Eine Sekunde lang baute sie sich vor ihm auf. Sie sagte zu ihm:

- Schon gut, erspar dir die Mühe … Es ist nun mal so …!, dann flitzte sie zum Ausgang, bevor wir auch nur Piep machen konnten.

Es folgte ein kurzer Augenblick der Verlegenheit, jetzt, da sich das Objekt unserer Wünsche, einer absurden Fata Morgana gleich, in Luft aufgelöst hatte. Marc schien immer noch vollkommen baff ob der prompten Reaktion. Ich erhob mich meinerseits.

- Das Wasser bleibt nicht auf den Bergen, und nicht die Rachsucht in einem großen Herzen, raunte ich ihm auf gut Glück zu, während ich ein paar Münzen auf den Tisch warf.

Als ich sie draußen fand, war sie gereizt und verärgert über diesen bedauerlichen Zwischenfall, und ich fluchte innerlich über Marc, als ich den Zustand sah, in den er sie versetzt hatte. Zumal sich, all meinen Rettungsversuchen zum Trotz, obendrein herausstellte, daß ihr der Appetit vergangen war und daß sie sogar lieber nach Hause wollte, wenn ich nichts dagegen hätte. Verdrossen, weil ich an die kärglichen Leckerbissen in meinem Kühlschrank denken mußte, schwang ich mich in den Sattel, ich versicherte ihr, das sei mir wirklich egal, während sie hinter mir aufstieg.

Glücklicherweise war der Abend prachtvoll. Die Nachmittagshitze hatte sich azurblau aufgelöst, und eine zarte Brise schlich sich unter mein Sommerhemd. Das Licht war herrlich, wie die Vorankündigung einer himmlischen Erscheinung, die Leute schlenderten gemächlich durch die Straßen, und wer hätte gedacht, daß eine solch friedliche Atmosphäre einem urplötzlich zu Herzen dringen konnte, es sei denn im Traum. Aber so war es.

Als wir heimkamen, hatte ich das Gefühl, die Bude begrüße uns. Die letzten Sonnenstrahlen flimmerten ins Wohnzimmer und tauchten es in eine unwirkliche Ruhe, die sogleich den besten Eindruck auf mich machte und eine angenehme Fortsetzung unseres Tete-à-tete ahnen ließ, das ein abgefeimter Störenfried erheblich gefährdet hatte.

- Komm, vergessen wir die Sache …! murmelte ich in ihr Ohr und strich über ihre Brüste.

- Ja, du hast recht …. seufzte sie. Das heißt, auf solche Geschichten kann ich gern verzichten … Das Ganze scheint mir dermaßen weit weg, wie ein Gespenst, das plötzlich wieder auftaucht …

Nur daß das eines aus Fleisch und Blut war und zudem recht stattlich, aber diese Überlegungen behielt ich für mich. Ich verpflanzte sie in einen Sessel, um uns etwas zu trinken zu holen.

- Bist du mir wirklich nicht böse …? fragte sie und schlug unauffällig die Beine übereinander, so daß sie sich meinem Blick fast bis zum Schritt darbot.

- Hör mal, weshalb sollte ich dir denn böse sein …?! antwortete ich voller Sanftmut.

- Oh, ich weiß doch, daß du Lust hattest, essen zu gehen … Ich tanzte mit meinen Gläsern an und beruhigte sie in diesem Punkt. Und es war wirklich so, es tat mir keineswegs leid, mit leerem Magen zurückgekehrt zu sein, in der Luft schwang etwas wie der Hauch von Erfüllung, ein gewaltiger Zauber, der mich vor Zufriedenheit die Zähne zusammenbeißen ließ und binnen einer Viertelstunde zum erfahrenen Betrachter der harmonischen und vollkommenen Einfachheit der Dinge gemacht hatte. Es kam nicht alle Tage vor, daß einen das Bewußtsein des gegenwärtigen Augenblicks so stark überwältigte, und es verstand sich, daß ich mich davon so intensiv wie möglich durchdringen ließ. Auf der Armlehne ihres Sessels fand ich den idealen Platz. Dann, mein Glas an die Lippen führend, eine Hand auf ihren Schenkeln, zitierte ich entrückt, die Augen halb geschlossen, einen Satz von Dogen, der mir durch den Sinn ging: Vergiß, was es Gutes und Schlechtes in deiner Natur gibt, vergiß die Macht oder Schwäche deiner Kraft.

- Was hältst du von einem Riesensalat …?! fragte sie mich plötzlich.

- Großartig! Mensch, du kannst Gedanken lesen.

Sie stand auf und küßte mich zärtlich, während ich schalkhaft ihre Pobacken befühlte. Ich präzisierte meine Zärtlichkeiten jedoch nicht, und schließlich stand sie auf und zwinkerte mir amüsiert zu, bevor sie in Richtung Küche entschwand.

Ich blieb einen Moment reglos sitzen, ganz auf die Fortdauer des unglaublichen Phänomens konzentriert, das alles aufpeitschte und meinen Adern eine stumme und ganz besondere, eine ruhige, sinnlose, unerklärliche und für das Licht empfängliche Freude injizierte, auf das überraschende Kreischen der Dinge und die konfuse Ahnung, daß die Ewigkeit kein leeres Wort ist. Ich hörte sie in der Küche hantieren und das Wasser, das lief, ich hörte sie hin und her laufen und ihre Haare schütteln und eine Tomate betrachten und, während sie sie in zwei Stücke schnitt, daran denken, was wir in kurzer Zeit tun würden.

Ich stand auf. Ich bedauerte, daß ich kein gewaltiger Schriftsteller gewesen war, daß ich meine Frau verloren hatte und nicht der großartige Vater war, der vielleicht all meine Fehler aufgewogen hätte. Und trotzdem, das Leben gönnte mir noch einige unvergleichliche Augenblicke, und ich wußte nicht, was mir eine solch rücksichtsvolle Behandlung verschaffte, aber das war sicher mehr, als ich verdiente, und ich begegnete ihnen mit aller Demut, deren ich fähig war. O dunkle Schönheit des sich neigenden Tages, auch wenn ich nur ein Elender bin.

Sie lächelte mich an, als sie mich hereinkommen sah. Obwohl mein Stolz darunter gelitten hatte und ich die unvermeidliche Ungewißheit der Lage nicht schätzte, war ich doch froh, daß ich nachgegeben hatte und eines schönen Morgens wieder in ihre Arme gesunken war. Es kam vor, daß ich sie zu jung fand oder zu schön, aber das war nicht immer der Fall, und im Augenblick war sie weder das eine noch das andere, sie war genau, wie ich sie wollte, und ich blieb einen Moment im Türrahmen stehen, um sie in aller Ruhe zu mustern, und da war kein Haar, kein Zahn, keine Rundung, die nicht ganz besonders nach meinem Geschmack war, ich näherte mich ihr, um ihren Geruch zu atmen und zu erfahren, ob ich ihr vielleicht helfen konnte.

Aber ich kam ein wenig zu spät. Sie stand vor dem Spülbecken und wusch die letzten Salatblätter, und sie versicherte mir, alles sei bestens, und wir würden nicht verhungern, jedenfalls nicht heute abend. Ich brummte meine Zufriedenheit auf ihren Hals. Sie hob den Kopf, die Hände ins Wasser getaucht, sie lachte, und ihr Körper wurde steif. Wir waren beide an solche Sachen gewöhnt. Ein paar Salatblätter schwammen wie verschrumpelte Seerosen auf dem Wasser, blieben stecken. Kaum fuhr meine Hand zwischen ihre Schenkel, beugte sie sich nach vorne und spreizte behutsam die Beine.

Nie entzog sie sich diesen Kindereien, es war eine wahre Wonne, zu sehen, wie sie die leiseste Berührung hinriß. Ich hatte einige Mädchen im Laufe meines Lebens kennengelernt, aber keine, abgesehen von Franck, hatte mir soviel Spaß gegeben, keine hatte mich so sehr gereizt, sie zu berühren. Und es war nicht so sehr ihre Schönheit, die mich inspirierte, als vielmehr das zärtlich-geheime Einverständnis, das unsere Beziehungen begleitete. Ich wußte stets, was sie wollte, und erst recht, seit wir wieder zusammen waren. Ich wußte, wann ich ihr den Hof machen und mir Zeit lassen mußte, oder wann ich sie im Stehen, noch im Flur, an die Wand zu quetschen hatte, kaum daß die Tür geschlossen war, ich wußte, ob ich sie wichsen oder es ihr in den Hintern besorgen oder sie schlicht bumsen mußte oder auch in welcher Reihenfolge, und das war keineswegs Einbildung. Manchmal schaute sie mir sogar in die Augen und sagte zu mir:

- Mensch, Danny … Danny, woher weißt du das …?!!

Und ich sagte ihr die Wahrheit, sagte ihr, daß ich wirklich keine Ahnung hätte, daß ich das Gefühl hätte, sie habe mich darum gebeten.

Was sie zum Beispiel in diesem Augenblick wollte, war ganz einfach, und ich mußte lächeln, denn das war klar wie dicke Tinte. Ich drückte einen leichten Kuß auf ihre Schulter, dann packte ich den Bund ihres Slips und zog ihn nach oben, so daß der Stoff in ihre Pofurche drang. Prompt stützte sie sich mit den Ellbogen auf das Spülbecken. Ich faßte nach einer ihrer Haarsträhnen, deren Spitze auf dem Wasser trieb, und klemmte sie geschickt hinter ihr Ohr. Sie kreiste bereits leicht mit dem Becken. Das war ein verteufelter Anblick, und ich konnte nicht ewig herumtrödeln, aber jedesmal schnürte sich mir vor wahrer Aufregung die Kehle zusammen. Ich krümmte meinen Zeigefinger, als wollte ich an eine Tür klopfen. In Anbetracht der Dehnung, die ich ihren Dessous zufügte, war ihr Intimbereich straff eingewickelt und schwoll durch den bedruckten Stoff – schwarze Tupfen auf silbernem Untergrund, dazu anthrazitfarbene Spitzenborden – mit der festen Weichheit eines hartgekochten Eis an. Langsam fuhr ich mit meinem Fingerknöchel durch ihre Spalte, und schließlich öffnete sie sich auf geheimnisvolle Weise wie eine blinde und besänftigte Muschel.

Ich selbst leistete mir unterdessen eine beharrliche Erektion, aber meine Stunde war noch nicht gekommen. Jeder von uns kannte seine Rolle perfekt. Sehr bald drang eine Flüssigkeit wie Schneckenschleim durch den Stoff und überzog meinen Finger. Wenn man die Ohren spitzte, erinnerte das leise Rascheln seines beständigen Hin und Her an einen kleinen Schlitten, der über den Schnee gleitet. Von Zeit zu Zeit spannte ich ihren Slip ein wenig nach und vergewisserte mich, daß er an den richtigen Stellen haftete. Ein Motor, der in Öl schwimmt, hätte man meinen können. Auf der Innenseite ihres Oberschenkels floß erst zögerlich, dann entschlossen ein silbriges Rinnsal, das ich wie hypnotisiert anstarrte, um es schließlich mit einem raschen Zungenschlag zu stoppen.

- O Danny, o …! rief sie.

Wie sich eins aus dem ändern ergibt, sank ich auf die Knie und rückte zwischen ihre Beine, den Blick nach oben verdreht, um mitzubekommen, was sich dort tat. Ich wachte inmitten einer feuchten Höhle auf, deren tropfnasse Decke mit Moos und einer triefenden Vegetation bedeckt war, und draußen hörte man eine Person stöhnen, jemand, der verirrt oder von einer Boa verschluckt schien.

Der Arm, der an ihrem Slip zog, wurde steif, und ich ließ alles fahren. Über mir war einiges los. Ein starker sexueller Geruch umfing mich und kroch wie dichter Nebel über die Haut meines Gesichts. Mit den Fingerspitzen schob ich die feuchten Litzen beiseite und erspähte den kleinen Schelm, den sie in einer glücklichen Anwandlung enthaart hatte. Ihre Beine wurden weich, meine waren es bereits. Für eine Sekunde senkte ich den Kopf, um meine Nackenmuskulatur zu lockern. Unsere Blicke begegneten sich, nur daß ihr Gesicht auf dem Kopf stand, doch sie hätte sich den Hals ausgerenkt, um meinen an ihrer Scham klebenden Mund zu beobachten. Und dabei sperrte sie die Augen weit auf, und sie hielt den Bund fest, denn ich würde ihr wahrhaftig die Möse aussaugen.

Aber ich hielt mich dort nicht lange auf. Es war nicht ratsam, die Dinge zu überstürzen, wir hatten noch eine lange Zeit vor uns. Also rückte ich alles wieder zurecht, bevor ich nicht mehr Herr der Lage war, und ich erkundigte mich nach dem weiteren Verlauf der Ereignisse. Ihre Wangen waren rosig, sie war damit einverstanden, noch ein Glas zu trinken, wenn ich wollte.

Zum Essen ließen wir uns an dem niedrigen Tisch nieder, auf Kissen, einander gegenübersitzend und ein Licht in der Ecke, um der Dämmerung zu trotzen. Ein Lächeln spielte um meine Lippen, ich begehrte sie brennend, und es war sehr angenehm, ruhig dazusitzen und zu denken, daß auch sie daran dachte.

- Es ist noch warm, bemerkte ich. Warum holst du deine Brüste nicht an die frische Luft …?

Ihre Augen nahmen einen eigentümlichen Glanz an. Ich aß gelassen weiter, während die Knöpfe ihres Oberteils einer nach dem ändern aufsprangen und ein transparenter Mond wie ein japanisches Bild am Himmel hochstieg. Das war ein Set, der Büstenhalter nahm das Motiv des Höschens wieder auf, das war ein looer, und aufgehakt wurde er vorne. Sie hakte ihn auf und ließ ihn zur Seite fallen:

- Ogottogott …! murmelte ich und schüttelte mit einem Lächeln bis zu den Ohren den Kopf.

Ihre Brustwarzen waren dunkel und zogen sich zusammen, der Rest glänzte wie Porzellan, und es war nicht zu übersehen, daß sie weich waren und warm und wohlriechend und so unglaublich greifbar, daß meine Hände aufstöhnten.

- Ist es so recht …? fragte sie. -Ja …. fürs erste.

- Hm, vielleicht sollten wir die Vorhänge zuziehen …?

Es tat ihr leid, daß sie uns nicht das geringste Dessert anbieten konnte. Sie stapelte die Teller aufeinander, während ich mich um die Fenster kümmerte, mit aus der Bluse hervorstehender Brust trauerte sie laut einer Sahnetorte oder irgendeiner anderen Schleckerei nach, Gott, segne dieses Bild, seufzte ich, gib, daß ich mich stets der Schönheit einer Frau erinnere.

Sie stand auf, beide Arme bepackt. Mit einem Satz war ich hinter ihr und preßte mich mit meiner gespannten Armbrust gegen ihr Hinterteil, und ich faßte nach ihren Brüsten und massierte sie zwischen ihren Beinen. Der Überfall dauerte nur einen Augenblick. Kaum hatte ich mich vergewissert, daß sie noch feucht war, zog ich meine Hand unter ihren Rockzipfeln hervor und schlang meinen Arm um sie. Über ihre Schulter hinweg sah ich die beiden Dinger unheimlich aufgestellt und verdammt nochmal bis zum Gehtnichtmehr angeschwollen. Ich küßte sie sanft auf den Hals.

- Dan …. murmelte sie in einem Ton, alles Geschirr fahren zu lassen. Dan, nimm mich in deine Arme …!

 

Als sie in der Küche verschwand, nutzte ich die Pause, um eine weite Hose anzuziehen, und sogleich atmete ich auf – um so mehr, als ich darunter splitternackt war.

- Wirf deinen Rock her! rief ich ihr zu, während ich Pretty Woman aus der Hülle riß. Ich peilte gerade die erste Rille an, als das bewußte Objekt vor meinen Füßen landete.

 

Auf Knien, den Oberkörper aufgerichtet, servierte sie uns einen glühend heißen Tee. Ich bewunderte ihre Hüften, den wunderbaren Bogen, und ihr Anblick erfüllte mich mit einem gleichsam religiösen Gefühl, einem rein ästhetischen Glück, dem ich mich gern länger hingegeben hätte, aber es gab andere Dinge, die drängten. Ich war benommen wie ein Sünder im Garten Eden. Ich traute mich nicht, die Hand nach ihrem Schamberg auszustrecken, aus Furcht, das Bild werde verschwimmen oder ein zorniger Engel mich an Ort und Stelle erschlagen, aber mein Herz klopfte angesichts einer solchen Zurschaustellung, denn hätte sie sich in dehnbares Zellophanpapier gewickelt, sie hätte nicht mehr gezeigt.

 

Ich beneidete sie um ihre zahlreichen Orgasmen, waren meine doch gezählt, ich konnte mich nicht so gehenlassen wie sie, ich mußte meine Kräfte einteilen wie einer, der auf einen Berg klettert, und mich bereit halten, jeden Moment abzubrechen. Ich nutzte diese Pausen, um ihre Position zu ändern, und ich rieb sie ausgiebig, während sie die Fransen des Teppichs packte oder an meinem Hals hing und erregt ihren Mund an meinem rieb. Und ich mußte sie entschlossen zurückdrängen, wenn sie sich anschickte, mich zu lutschen, ich runzelte lachend die Stirn und forderte sie auf, sich zu gedulden, es sei denn, sie glaube, meine Reserven seien unerschöpflich, was der Realität verdammt fern war.

 

Die Beine gespreizt, den Anus im Wind, sämtliche Winkel sorgfältig gewienert und glänzend und zerrieben und von schleimigen Fäden durchzogen, strich sie sich in Erwartung einer erneuten Offensive über die Brüste. Wir waren vom Sofa geglitten. Ich nutzte die Gelegenheit, um Ruhe ins Spiel zu bringen und ein wenig Luft zu holen, und betrachtete ihre schöne Ungezwungenheit mit einem melancholischen Lächeln. Wir waren um obszöne Worte verlegen, nur mehr das Säuseln unseres Atems und das regelmäßige Kratzen des Plattenspielers waren zu hören. Obwohl wir schweißgebadet waren, durchnäßt, als hätte jemand einen Eimer Wasser über uns ausgeschüttet, bahnte sich eine neue Umklammerung an. Sie erregte meine Aufmerksamkeit -für den Fall, daß ich sie vergessen haben sollte –, indem sie mit beiden Händen zu ihrer Spalte fuhr. Die sie ohne Umschweife öffnete.

 

- Dan …. ich liebe dich, erklärte sie mir nach einer Weile.

Ich war mausetot. Ich war noch in ihr, weil sie mich gebeten hatte, noch ein wenig zu bleiben, und das traf sich gut, denn ich war wirklich mausetot. Sie hielt mich in ihren Armen, drückte mich gegen ihre Brust, mir war heiß, aber ich sagte keinen Ton. Ich maß den Worten, die man während dieser besonderen Augenblicke wechselt, nicht viel Bedeutung zu. Natürlich, das war mir immer noch lieber als gar nichts, aber ich fand, das zählte nicht wirklich, war ich doch selbst dieses harmlosen Überschwangs fähig, wenn ich auf ihr lag. Sie schüttelte mich ein wenig und sagte:

-Hörst du …!?

 

- Es stimmt, Dan!

- Prima, murmelte ich mit halbgeschlossenen Augen.

Sie koste mich, küßte meine Haare.

Ich konnte nicht mehr, dennoch krabbelte ich. zu ihrem Unterleib. Ob man mir glaubt oder nicht, es war gut und gerne zehn Jahre her, daß ein Mädchen so etwas zu mir gesagt hatte. Selbst wenn sie sich täuschte, so hatte ich doch durch sie die Vertrautheit mit einer Frau wieder kennengelernt, und ganz gleich, was kam, ich verdankte es ihr, daß ich das noch einmal hatte auskosten dürfen. Im Grund war das alles, was der Mühe wert war. Nach Francks Auszug war ich der Bitterkeit erlegen, und ich hatte geschworen, mich nicht mehr fangen zu lassen, aber damit hatte ich meiner eigenen Natur zuwider gehandelt, ich hatte meine Verhältnisse eins nach dem ändern bewußt abgebrochen, um jeglicher Gefahr auszuweichen, aber indem ich mich vor dem Schlimmsten bewahrte, hatte ich mich auch des Besten beraubt, und mir war durchaus bewußt, daß ich dafür nicht geschaffen war, daß ich kein Freund dieser Abenteuer ohne ein Morgen war. All diese Frauen waren praktisch Fremde geblieben. All diese Nächte, wogen sie einen einzigen Abend wie diesen auf? Zudem, war die einzig wahre Vielfalt nicht in der Eins zu finden? Ich legte meine Wange auf ihren Oberschenkel. Ich wußte, wo ich war, wer ich war und bei wem ich war. Und es war nicht nötig, daß mich jemand liebte, damit ich mich vollkommen wohl fühlte. Unwillkürlich betrachtete ich mein Sperma, das zwischen ihren Beinen lief, und ich mußte lächeln, als ich an die Dinge dachte, vor denen ich in all diesen Jahren geflohen war.

 

Später rief Bernie an und fragte mich, ob wir uns fünf Minuten sehen könnten. Elsie lief in der Zeit nach oben ins Badezimmer. Ich zog mich an, hob die Kissen auf und öffnete die Fenstertür, die zum Garten führte. Der Himmel war schwarz, sehr hoch und reglos. Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare und schloß die Augen.

- Nicht so schlimm, sagte er. Ich hatte gerade eine Auseinandersetzung mit Harold.

Er drückte ein blutbeflecktes Taschentuch gegen seinen Mund. Ich trat zur Seite, um ihn hereinzulassen.

- Meine Güte! Du riechst zehn Meilen gegen den Wind nach Bumsen, bemerkte er sogleich.

- Elsie ist im Badezimmer, antwortete ich.

Er nickte und setzte sich, nahm vorsichtig das Taschentuch von seinen Lippen und starrte es mit finsterer Miene an:

- Verflixt! Diesmal hat er mich erwischt, brummte er.

Ich schnappte mir die Flasche Wild Turkey, dann untersuchte ich die Schäden.

- Halb so wild, sagte ich.

- Du bist gut! Meine Lippe ist total dick.

- Ach was, keine Bange …

- Ich glaube nicht, daß ich ihn noch lange ertragen werde. Ich meine es ernst, glaub mir … Manchmal geht er wirklich zu weit.

Ich schenkte uns ein, bot ihm einen Eiswürfel an, er lehnte ab.

- Ich weiß, was du denkst, fuhr er fort. Aber meine Geduld hat Grenzen. Du wirst dich wundern, wenn mein Entschluß erst einmal gefaßt ist …

Ich bot ihm eine Zigarre an. Ich, ich nahm mir eine.

- Herrgott, wofür hält der sich …?! Er glaubt wohl, es reicht, wenn man eine hübsche Visage hat, und die Sache ist geritzt …!

- Was soll ich dir sagen …? Wir beide, wir sitzen ungefähr im gleichen Boot … Wir dürfen uns nichts vormachen.

- Oh …. stimmt was nicht mit Elsie?

- Hör mal, würdest du mich nicht für einen Schwachkopf halten, wenn ich dir erzählte, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen …? Bernie, sie ist exakt fünfzehn Jahre jünger als ich, und ich bin kein berühmter Typ.

Ich blies ein paar Ringe an die Decke. Er schlug die Beine übereinander und drückte sich in den Sessel.

- Glaubst du wirklich, wir sind erledigt? murmelte er.

- Mmm, keine Ahnung … So weit würde ich nicht gehen.

- Dan, das beruhigt mich. Wir schauten uns lächelnd an.

- Und wenn schon!, meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung, die all unseren kommenden Scherereien galt. Das ist längst kein Grund, alles zu schlucken!

- Natürlich nicht. Das habe ich nie behauptet. Aber wir leben gefährlich, wenn du mich fragst.

- Ah! Was sollen wir auch anders tun! Hab nur ein klein wenig Sinn für Schönheit, und du bist von vornherein geliefert …!

 

Es ging also darum, in Form zu bleiben. Leider hatte ich, seit ich in einem Büro gelandet war, kaum noch Zeit, mich dem Sport zu widmen. Mir blieben nur die Wochenenden, um ein wenig zu laufen. Ich hoffte, daß das ausreichte, aber ich war mir nicht sicher, und manchmal fragte ich mich, wozu auch, wenn ich durch die Tür ging, ich tänzelte ein wenig auf der Stelle, und Elsie rief mir vorn Fenster aus zu:

- He, das ist doch das mindeste …!!

Naja, ich stellte mir vor, daß sie mir das zurief.

Hermann nahm mich bloß auf den Arm.-

- So Gott will, Hermann, werde ich in dreißig Jahren noch da sein, und dann will ich dich mal sehen …!

Aber Gladys verteidigte mich, Gladys war für Vitamine und einen gesunden Körper und fand es jämmerlich, sich gehen zu lassen – andererseits, sie hatte gut reden.

Wie dem auch sei, in diesen letzten Monaten brummte ich mir eine doppelte Runde auf, und obendrein allein, denn Max begleitete mich nicht mehr, ich fragte mich ohnehin, ob er noch hundert Meter durchhalten würde. Kurz und gut, ich trabte am Gymnasium entlang hinter den Sportplatz, unterstützt von den Anfeüerungsrufen der beiden Mädchen und dem spöttischen Grinsen meines Sohnes, ich versuchte Boden gutzumachen und mich für einige Jahre flottzuhalten, und mein Schweiß spritzte auf diese schonungslose Welt, während der Morgentau in den Ginstersträuchen verdunstete. Das war die beste Gegend, um sich zu schinden, man mußte im Zickzack durch die dornigen Büsche kurven, ein paar Hügel erklimmen und auf der anderen Seite über einen sandigen Untergrund, der unter den Füßen nachgab, wieder hinunter taumeln. Das war die Gegend, in der man Marianne eines Abends aufgefunden hatte, aber ich dachte nicht groß darüber nach und verzog das Gesicht aus einem ganz anderen Grund.

Am frühen Morgen begegnete einem dort kaum jemand. Das war einer der zahlreichen Vorzüge dieser Stelle – die Sonne haarscharf über den Sträuchern, ein Geruch wie Pfefferkuchen, die labyrinthartig verschlungenen Wege –, und er allein hätte genügt, mich aus dem Bett zu katapultieren, kaum daß der Morgen graute. Mit meinen bequemen Vormittagen hatte es ein Ende, hoch war der Preis für meine Instandhaltung, reichlich amortisiert der meines Weckers, und was für eine Lust ich hatte, aufzustehen! Was es mich kostete, mich aus der Decke zu schälen und meinen Trainingsanzug in einem stillen Halbdunkel anzulegen, während alle Welt schlief – ich fühlte mich schuldig, wenn ich mich dem bisweilen entzog, wundervoll schuldig –, aber wie sehr wurde ich durch die Einsamkeit dieser Gegend belohnt, und wie wohl tat es, sich den Geist im Licht des anbrechenden Tages freizufegen.

Solche Abende wie jener, den ich mit Elsie verbracht hatte, machten es erforderlich, daß ich meine Puste trainierte. Wir hatten den Rest auf die Zeit nach Bernies Aufbruch verschoben, ich hatte es ihr in ihrem Bademantel und später in ihrem Nachthemd besorgt, und ich hatte den Himmel gepriesen, als sie anschließend eingeschlafen war, denn meine Beine waren wie aus Watte, und ich hätte ihr nicht mehr nachkommen können, ganz gleich, was sie unternommen hätte. Natürlich schlug ich diesen Rhythmus nicht jeden Tag in der Woche an, trotzdem, ich durfte dieses Problem nicht auf die leichte Schulter nehmen und mir einbilden, die Form falle einem in den Schoß und das Herz komme schon klar, wenn man älter wird.

Ich lief also. Und ich war gezwungen, früh aufzustehen, auch wegen der Hitze, die schnell aufstieg, sobald die Sonne zum Vorschein kam, aber so war ich zu einer vernünftigen Zeit fertig, und ich brachte Croissants mit und Milch und galt für eine Art Held, ein Held mit zerzaustem Haar und dem Duft kalten Schweißes. Im allgemeinen kehrte ich gut gelaunt zurück, mit dem Gesicht eines seligen Trottels aufgrund der ergreifenden Farben der Morgendämmerung, der göttlichen Frische des frühen Tags und was sonst noch dazugehört. Aber diesmal begegnete ich Max auf meinem Trainingskurs, und ich mußte auf dem gesamten Rückweg an ihn denken, ich hätte nicht sagen können, ob es schön war oder nicht.

Ich traf ihn am Rande der Ginstersträucher, wo ich mit den Ellbogen am Körper aufkreuzte, im ersten Moment glaubte ich, es handele sich um eine Vogelscheuche oder ein böses Gespenst. Und ich glaubte, er habe Lumpen an, aber das war nur seine alte Sportkleidung, die ihm auch nicht in Fetzen vom Leibe hing, obwohl man das auf den ersten Blick geschworen hätte. Sein weißes Haar hatte jeden Glanz verloren, seine Haut war grau, er sah aus, als habe das Leben ihn ausgespuckt. Jedesmal, wenn ich ihn sah, hatte ich Lust, den Kopf abzuwenden. Auf irgendeine wundersame Weise war es ihm gelungen, diese Art Grippe loszuwerden, die den Winter über an ihm genagt hatte, er war nicht mehr »krank«, schien jedoch immer noch schlecht in Schuß, ein altes, ans Ufer geworfene Wrack, das unter einer Guanoschicht austrocknet. Er hatte seine Arbeit nicht wieder aufgenommen. Ich ließ ein paar Scheine fallen, wenn ich bei ihm vorbeischaute, er nahm sie und behauptete, ich sei bescheuert, seine Rente reiche vollkommen, brauchst sie mir nur zurückzugeben, antwortete ich darauf, aber das konnte er sich nicht leisten, und er steckte sie ein, ohne noch einen Ton zu sagen, und in diesen Augenblicken fühlte ich mich wieder zu ihm hingezogen, ich sah wieder den Typ, den ich gemocht hatte, und nicht mehr seine jämmerliche Kopie, seinen grotesken Abglanz.

- He, was treibst du denn hier? fragte ich ihn.

- Ich wollte ein paar Blumen pflücken, warf er mir an den Kopf.

Später kehrte ich in aller Ruhe heim, eine Einkaufstüte in einer Hand, mit der ändern ein Croissant verzehrend, die Straßen lagen in der prallen Sonne, und die Leute wanderten durch die angenehme Wärme des Vormittags, und es herrschte nur wenig Verkehr, aber ich bemerkte es kaum, ich war in einer geistigen Verfassung, daß ich dem erstbesten Blinden, der mir in die Quere gekommen wäre, nicht hätte ausweichen können.

 

Die Tage danach vergingen, und diese Begegnung ging mir aus dem Kopf oder vielmehr – denn ich sollte ganz plötzlich daran zurückdenken, darüber nachsinnen wie über ein vollkommen intaktes Bild, und leider sehr bald –, sie grub sich darin ein, in dem Berg der kleinen täglichen Absonderlichkeiten. Im übrigen sagte ich niemandem ein Wort davon, denn Max war nicht ihr Lieblingsthema, und ich selbst verspürte im ersten Moment nur ein undefinierbares Unbehagen, das ich mir nicht zu erklären vermochte.

Nur noch achtundvierzig Stunden trennten uns von den Prüfungen. Allmählich machte sich eine gewisse Fieberhaftigkeit in unseren Reihen breit, so sehr, daß niemand mehr etwas sagte, nur das Unerläßliche. Elsie und ich bedauerten sie, und wir vermieden es, sie zu stören, während sie sich auf die letzte Minute den Kopf mit einem Berg von für die geistige Gesundheit unnützen Dingen vollstopften.

Tagsüber war die Hitze fürchterlich, und es war weit und breit kein Wölkchen zu sehen. Die Sonne knallte gegen das Fenster meines Büros. Ich zog das Rollo runter und planschte im Halbdunkel bis Ladenschluß mit meinen Manuskripten, »Es regnet …« usw. Einige der Dinger waren so schlecht, daß ich sie quer durchs Büro und manchmal sogar in den Flur schleuderte, aber es fand sich immer jemand, der sie mir zurückbrachte, der mich fragte, ob ich etwas verloren hätte. Ich konnte einen ganzen Tag damit verbringen, ohne daß ich auf einen einzigen Abschnitt stieß, der zu retten gewesen wäre, aber vielleicht schnappte ich langsam über, vielleicht verkümmerte nur mein Herz in diesem Büro, wer weiß, vielleicht vernebelte die Szenerie mein Urteil …? Paul zumindest war dieser Ansicht. Er hatte zwei Manuskripte vor meinem Zorn gerettet, die ich bei einer zweiten Lektüre eher gut fand, und ich war erschrocken, was ich getan hatte. Ich war zu ihm gegangen und hatte ihn gebeten, mich von dieser Arbeit zu befreien, er sollte mich ruhig in der Telefonzentrale oder in der Buchhaltung einsetzen oder irgendwoan-ders, wo meine Irrtümer keine tragischen Folgen hätten.

Er versprach mir, darüber nachzudenken. Er räumte ein, daß das nicht das Gebiet war, wo meine Kräfte voll zur Entfaltung kamen, und sah mich perplex an.

- Du warst ein wunderbarer Schriftsteller …. seufzte er. Ich ging raus und knallte die Tür zu.

Ich erzählte Bernie davon, und er gab zur Antwort, daß ich eine innere Blockade hätte, er habe das auch mitgemacht, wenn auch nicht über einen so langen Zeitraum.

- Wie lange schreibst du jetzt nicht mehr?

- Ich weiß nicht. Vielleicht zehn Jahre.

- Und gar nichts, wirklich überhaupt nichts …?

- Mich befällt ein Zittern, wenn ich vor einem leeren Blatt sitze. Es könnte nicht schlimmer sein, wenn ich einen Salto mortale ausführen müßte.

- Hör mal, ich glaube nicht, daß man sein Talent verlieren kann, so etwas fliegt nicht davon. Es schlummert nur.

- Mmm, naja, in meinem Fall dürfte das sein letzter Schlaf sein.

- Ah, wer weiß …

- Ich weiß es.

Ob meine Begabung nun davongeflogen oder nur eingeschlummert war, änderte nicht viel am Problem. Nach sechs Monaten war ich in der Stiftung immer noch am gleichen Punkt, ich hatte meinen Platz noch nicht gefunden, und Paul mochte sich noch so den Kopf zerbrechen, ich hatte nicht die geringste Hoffnung, daß sich in meinem Fall etwas bessern würde. Ich bat einfach darum, mich auf einen Posten zu versetzen, wo ich niemandem schaden konnte, aber es passierte nichts. Astringart hatte sich die Gelbsucht zugezogen, er war noch für einige Tage außer Gefecht. Ich überlegte einen Moment, mir den rechten Arm an der Kante meines Schreibtischs zu brechen.

Unter diesen Umständen war es für mich ein wahrer Segen, mich auf den Heimweg zu machen. Und sei es nur, um das Essen zuzubereiten, zumindest hatte ich dann das Empfinden, lebendig zu sein, und ich brauchte vertraute Mienen um mich herum, um die Leere zu füllen, die ich nach acht Stunden Büroagonie verspürte. Seit einiger Zeit ging ich nicht mehr in Kneipen, um ein Glas zu trinken, ich hatte alles im Hause was ich brauchte. Seit ich festgestellt hatte, daß sich um diese Stunde ein dem meinen ähnliches Leid auf sämtlichen Gesichtern abzeichnete, trödelte ich unterwegs nicht mehr.

- Was hättet ihr denn gern …? fragte ich sie am letzten Abend, während sich Sarah von diesem Scheusal vernaschen ließ.

Leider hatten sie keinen großen Hunger.

Wir blieben im Garten, bis die Nacht hereinbrach.

- Ich glaube, Sarah hat jemand getroffen …. bemerkte Gladys, als wir zum Schattenspiel wurden.

Elsie saß auf mir, ich hörte auf, ihren Arm zu streicheln.

- Ja … Und das geht schon seit einer Weile so, fügte Richard leise hinzu.