Rimma
Kasakowa
Das
Experiment
»Mein Name ist Arkadi Andrejew, ich freue mich, Sie
kennenzulernen! Ich bin zu Ihnen beordert worden, um ein Experiment
durchzuführen.«
»Welcher Art?« erkundigte sich Marjana langsam, aber
nachdrücklich.
»Oho, Sie haben die feste Hand eines Kommandeurs! Leider
kann ich es Ihnen nicht sagen.«
»Das ist nett, aber unverständlich.«
Andrejew lächelte berückend und sagte: »Glauben Sie
mir!«
»Ich glaube Ihnen.«
»Geben Sie mir Geld?«
»Nein.«
Andrejew lachte schallend.
»Ist das so lustig?«
»Sehr!«
»Mir scheint, wir haben uns schon
vorgestellt?«
»Treiben Sie zur Eile?«
»Ich kann Ihnen Tee anbieten.«
Arkadi rührte den Zucker mit dem Löffel um und sagte
nachdenklich: »Mir gefällt Ihre Stadt sehr. Es ist schade, daß ich
sofort nach der Durchführung des Experiments wieder wegfahren
muß.«
Marjana schwieg höflich.
»Die Neuausrüstung des Instituts ist in einer Woche
beendet. Sie sehen, ich habe nur eine Woche Zeit…«
»Rechnen kann ich.«
»Werden Sie Geld geben?«
»Nein. Und ich werde Ihnen auch keine Erlaubnis dazu
geben.«
»Wie alt sind Sie?«
»Zweiundzwanzig. Das Laboratorium leite ich seit zwei
Jahren. Darf ich Ihnen noch etwas eingießen?«
»Marjana«, sagte er schlicht und ernst. »Ich will
versuchen, offen zu sein. Es geht nicht um die Neuausrüstung des
Instituts. Ich habe mir eine überaus interessante Sache ausgedacht.
Ich möchte dem Chef ein Geschenk machen. Der Alte wird sich
teuflisch freuen! Mir…«
Marjana öffnete mit scharfer Bewegung den Tischkasten
und warf die Instruktionen auf den Tisch. »Interessante Büchlein.
Haben Sie die gelesen?«
Arkadis Miene umwölkte sich.
»Ich bitte um Entschuldigung. In der siebenten Abteilung
arbeiten die Jungs an meinem Thema, ich muß mit ihnen
reden…«
»Auch ich bitte um Entschuldigung für einen gewissen
Mangel an Liebenswürdigkeiten. Es tut mir aufrichtig
leid.«
Er hatte einen kräftigen, hellen Nacken. Lautlos schloß
sich die Tür hinter ihm.
In der Nacht träumte Marjana von Arkadi. Durch den ganzen Traum
ging – wie der Schatten eines Dampfers über den Fluß – sein
trauriges, halbwegs bekanntes Gesicht: die taubengrauen Augen, die
festen Lippen, die störrischen, hellen Haare und das Lächeln eines
Kinohelden. Anfangs schien es, als sei nicht er es, sondern als sei
es nur die Empfindung von etwas Vertrautem, ihm Ähnlichem und eine
daher rührende unklare Gereiztheit. Er rief bei Marjana
gleichzeitig Sympathie und Antipathie hervor. Sein offener Wunsch,
sie sich eines ihr unbekannten Experiments wegen geneigt zu machen,
rief ihren Zorn hervor.
Der Traum wogte hin und her und kräuselte sich wie eine
Wasseroberfläche. Arkadis Gesicht erschien ihr bald langgezogen,
verzerrt und unangenehm, bald ruhig und konzentriert.
Als sie am nächsten Morgen ins Laboratorium kam, bat sie
als erstes Arkadi zu sich.
»Ich habe Sie gestern nicht ganz Verstanden. Worum geht
es? Warum möchten Sie Ihr Vorhaben nicht schriftlich fixieren?
Vielleicht sollte das auch nur ein Scherz sein?«
»Nein, ich habe nicht gescherzt.«
»Wie? Aber was wollen Sie denn nun wirklich? Und wissen
Sie überhaupt, was Sie mir da vorschlagen?«
»Das weiß ich.«
»Was wollen Sie also?«
»Daß Sie sich nicht an die Instruktionen
halten.«
»Hören Sie, Andrejew. Es geht hierbei nicht um
Formalitäten, verstehen Sie doch bitte. Ich möchte keinesfalls, daß
Sie mich für eine herzlose Bürokratin halten. Hören Sie auf, mir
den Kopf voll zu reden, Sie sind kein verliebtes Fräulein, sondern
ein Wissenschaftler. Hier haben Sie einen Vordruck, nehmen Sie das
Diktaphon und formulieren Sie. Dann reden wir darüber… «
»Ja, ja, heute abend weiß Lipagin alles bis in alle
Einzelheiten! Besten Dank.«
»Interessant, woher sollte er das wohl
erfahren?«
»Das weiß ich nicht! Das sickert durch die Wände. Mein
Chef ist ein Genie. Ihm genügt eine Andeutung. Er hat mir
freigegeben, damit ich mich ein wenig erhole und mit meinen
Altersgenossen plaudere – Sie wissen ja, unter fünfzig Jahren gibt
es bei uns nur einige wenige…«
»Arkadi, das Experiment erlaube ich nicht.
Punkt!«
»Und ich hatte gehofft, diesen Punkt zu bewegen; jetzt
aber stellt sich heraus, daß so ein winziger Punkt schwerer wiegt
als ein Grabstein.«
»Wir wollen nicht mehr darauf zurückkommen! Mir gefällt
Ihre Anhänglichkeit an den Chef, und überhaupt – Ihre Besessenheit
hat was für sich. Aber nach der Katastrophe in Karai…«
»Jaja. Nichts zu machen, lassen wir das.«
»Wie geht fes den Jungs aus der Siebenten?«
»Großartig. Sie sind naiv und begabt wie altgriechische
Götter.«
»Ich fliege bis zum Abend weg«, sagte Marjana und trat
auf die runde Plattform lies Aufzuges. »Ich wünsche Ihnen einen
schönen Tag.«
Damit drückte sie auf den Knopf.
Nachts aber träumte sie wiederum von Arkadi. Sie gingen über
eine kamillenübersäte Wiese. Arkadi pflückte eine Blume ab und
murmelte etwas vor sich hin.
»Wovon sprechen Sie?« – »Ein altes Sprüchlein, das ich
von meiner Großmutter gelernt habe.« – »Erzählen Sie, erzählen
Sie…« – »Sie liebt mich – liebt mich nicht; sie will mich nicht –
sie küßt mich; sie drückt mich ans Herz – sie schickt mich zum
Teufel…« – »Wunderbar! Wie war das? Sie liebt mich – liebt mich
nicht…« Es war still und warm, die Kamille duftete zart wie der
Blütenstaub auf den Flügeln der Schmetterlinge. Sie setzten sich
auf die weiche, angewärmte Erde, und plötzlich warf Arkadi die
Blume weg. »Marjana, ich möchte mit Ihnen ernsthaft über das
Allerwichtigste sprechen. Versuchen Sie, mich zu verstehen. Nun ja,
die Katastrophe in Karai… Denken Sie wirklich, die Menschheit ist
für immer gegen Opfer gefeit? Natürlich wäre es besser ohne Risiko,
darüber streitet niemand! Aber wir gehen doch immer bis zum
Äußersten, wir dringen in das Allerheiligste der Natur ein, wo es
keinerlei Garantien mehr für unsere Sicherheit gibt.« Sein Gesicht
war lieb und ehrlich, die Worte, stumm im Schlaf, hatten keinen
Ton, sondern drangen einfach so in sie ein, wie die Sonne in die
Haut, und riefen Mitgefühl und eine unverständliche Freude hervor.
»Und diese Instruktionen… Schon seit zwei Jahrhunderten behaupten
wir, daß die Menschheit für jeden einzelnen verantwortlich ist und
jeder einzelne für die ganze Menschheit. In diesem Sinne gibt es
keinen Unterschied zwischen mir und dem Wissenschaftlichen Rat.
Warum also darf ich nicht selbst über das Schicksal des
Experimentes entscheiden? Woher dieses Mißtrauen? Wäre ich ein
analphabetischer Handwerker, hätte ich kein Diplom bekommen. Aber
so… Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit über den Chef gesagt. Der
Chef verbirgt sehr höflich und geschickt vor uns seinen Wunsch,
sich auf einen unerreichbaren Gipfel zu erheben, unsere Kühnheit
erschreckt ihn, und hier kommen ihm die Instruktionen zugute…«
Marjana hörte sich das mit an und zupfte Blütenblätter, seine Worte
kamen trübe und ruckartig heraus, wie Blutströme. »Liebt mich –
liebt mich nicht; liebt mich – liebt mich nicht…« – »Marjana, und
Sie selbst? Sie sind klug, die Jungs vergöttern Sie, aber
schließlich besteht doch der Sinn Ihrer Existenz nicht im
Teetrinken und in der Erteilung von Anordnungen? Was aber tun Sie?«
– »Liebt mich – liebt mich nicht; liebt mich – liebt mich nicht…
Und wie geht es doch weiter?… will mich nicht – küßt mich –…« –
»Sie sind ebenfalls Sklave der Instruktionen, Sklave des Rates und
noch zweier weiterer Räte. Zwischen uns und der Menschheit stehen
drei Räte, und eine solche Zensur der Gedanken und Seelen gilt
sogar noch für klug!« – »Drückt mich ans Herz – schickt mich zum
Teufel… nennt mich die Seine… Ein komischer Junge, ein entsetzlich
komisches Kind. Zu wem sagt er das! Als ob ich anders dächte. Ihm
helfen… Ich bin nur noch nicht soweit. Es ist mir noch nicht alles
klar. Die Räte sitzen natürlich voller alter Dummköpfe. Aber
unbeaufsichtigte junge Tollköpfe… Wie ich… So tollköpfig sind wir
übrigens gar nicht… nein, ich kann nicht. Das ist zu ernst. Irgend
etwas stört mich dabei. Vielleicht sind wir noch nicht genügend
vorbereitet dafür…« – »Wir sollten noch nicht genügend vorbereitet
sein? Unsinn! Die Katastrophe in Karai trat ein, nachdem alle Pläne
dreifach bestätigt und geprüft worden waren. Falsche
Schlußfolgerungen aus ganz natürlichen Ereignissen…« Er nahm ihre
Hand, und sie ließ es geschehen.
»Marjana! Ich möchte so sehr, daß Sie mich verstehen!
Ich bin überzeugt, Sie werden mir zustimmen! Erlauben Sie mir das
Experiment. Sie kennen mich gut genug.« – »Und das Risiko?« – »Was
für ein Risiko? Ich kann Ihnen nur sagen, daß es nicht
lebensgefährlich ist. Wenn alles klappt…« – »Und wenn es nicht
klappt?« – »Es klappt. Außerdem geht es gar nicht darum. Wenn es
mir nicht gelingt, wird es anderen gelingen. Wichtig ist das
Prinzip. Zum Teufel mit der Routine! Marjana, sagen Sie, daß Sie
einverstanden sind. Nun, Marjana!«
Als sie erwachte, bewegte sie nur das eine: Niemals
vorher hatte sie dieses »Er liebt mich – liebt mich nicht« gehört.
Den Mittwoch verbrachte Marjana auf einer Expedition in den Bergen.
Sie kam müde zurück, ging spät schlafen und – träumte
nichts.
Am nächsten Tag fand in der siebenten Abteilung eine Sitzung
statt. Marjana begrüßte alle mit einer leichten Verbeugung, freute
sich aber, als sie Arkadi in der Nähe der Vakuumkammer erblickte.
Er stand mit dem Rücken zu ihr und sprach mit einem
Montagearbeiter. Die Sitzung war rasch beendet, und Marjana rief
Arkadi unter dem Pfeifen der Aufzüge zu: »Na, gebe ich gute
Anleitungen? Ich habe sie alle wieder weggeschickt. Die Jungs aus
der siebenten Abteilung gehen für zwei Tage in die Berge.«
Arkadi begleitete Marjana bis zu ihrem Arbeitszimmer.
»Gehen Sie in die Stadt?« fragte Marjana.
»Ja. Vielleicht leisten Sie mir Gesellschaft?«
»Ich würde es gern tun, aber ich kann nicht. In einer
halben Stunde fliege ich zur Expedition. Wenn Sie Langeweile haben,
kommen Sie doch mit! Allerdings löhnt es sich kaum, Demontage…
Wissen Sie, Arkadi…«
»Was?« fragte er gespannt, denn er spürte in ihrer
Stimme etwas Neues.
»Ich möchte Ihnen sagen, daß mich unser letztes Gespräch
sehr… Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen nicht helfen
kann…«
»Geben Sie mir das rote Streifchen – und es wird Ihnen
nicht mehr leid tun.«
»Nein, darüber haben wir uns doch geeinigt, das ist
ausgeschlossen! Das kann ich nicht tun. Obwohl mir das Herz
rät…«
»Dann hören Sie auf Ihr Herz.«
Marjana war verwirrt. Er sah sie mit ehrlichen und etwas
traurigen Augen an.
»Ich tue, was Sie wollen… Aber erst, wenn Sie eine
Abhandlung über ›Die Physik und das Herz‹ geschrieben
haben.«
»Gerade das ist es, womit sich die Menschen seit
Jahrhunderten beschäftigen…«
»Na gut, doch jetzt muß ich arbeiten.«
Marjana sprang auf die Rolltreppe und suchte mit dem
Finger den ihr so vertrauten Knopf, doch plötzlich fiel ihr etwas
ein, und sie rief nach Arkadi. Er kam langsam zurück.
»Hören Sie, kennen Sie nicht zufällig den uralten Vers:
›Liebt mich – liebt mich nicht…‹«
»Will mich nicht – küßt mich, drückt mich ans Herz…
Kenne ich; was ist damit?«
»Nur so, nichts Besonderes, er geht mir nicht aus dem
Kopf. Ich habe ihn irgendwo einmal gehört, weiß aber nicht mehr,
wo.«
Dann drückte sie auf den Knopf.
In der Erwartung, wieder zu träumen, legte sie sich ins Bett
und suggerierte sich, daß sie träume. Und da träumte sie wirklich.
Diesmal ganz stumm und ohne Gespräche. Der Traum war wie ein Film:
Marjana sah deutlich alles, was im Traum vor sich ging, und war
sich gleichzeitig bewußt, daß es nur ein von ihrem eigenen Wunsch
geschaffener Traum war, der, wenn sie es nur wollte, abbrechen oder
ganz anders verlaufen würde. Es war ihr eigener Traum, er war so,
wie sie ihn sich wünschte, und deshalb war er großartig und
wunderbar.
Marjana und Arkadi saßen auf der kleinen Bank vor den
Fenstern des Laboratoriums; das gelbe, herbstliche Laub fiel von
den Bäumen, es duftete nach fauliger und feuchter Erde. An den
Fenstern waren die Gardinen zugezogen, Arkadi und sie waren hinter
den Zweigen der Bäume versteckt. Der Abend senkte sich herab, und
die Sonne wärmte nur noch schwach, aber zärtlich. Marjana fühlte in
ihrer rechten Hand die kühle und feste Hand Arkadis. Alles in ihr
jubelte. So saßen sie lange Zeit, dann umarmte er sie und gab ihr
einen langen, unendlich langen Kuß. Es fiel ihr schwer, sich von
ihm loszureißen, sie fürchtete sich davor, weil sie wüßte und
fühlte, daß der Traum damit zu Ende wäre. Wie lange dauerte das?
Eine Minute? Eine Stunde? Die ganze Nacht? Das fallende Laub
raschelte, die warme Luft wehte lind, ihre warmen Lippen, fest und
leicht an seine Lippen gedrückt, zitterten.
Als Arkadi, der sich per Fernsehtelefon bei ihr
angemeldet hatte, am nächsten Tag in ihr Arbeitszimmer trat,
empfing Marjana ihn strahlend.
»Gute Stimmung?«
»Ausgezeichnet.«
»Bei mir ist es genau umgekehrt.«
»Das macht nichts, es wird gleich anders
werden.«
»O nein. Morgen muß ich abfahren.«
»Na sehen Sie, Sie haben sowieso keine Zeit mehr für das
Experiment.«
»Zeit hätte ich, wenn Sie nur die Erlaubnis erteilten!
Ich rufe im Institut an und bitte… oder, zum Teufel, ich kann mir
ja auch ein Bein brechen! Etwas werde ich mir schon
ausdenken.«
»Sind Sie wirklich sicher, daß Ihnen bei dem Experiment
keine Gefahr droht?«
»Absolut.«
»Und wenn ich meine Arbeit verliere…«
»Ach, der Teufel soll Sie holen! Das heißt, verzeihen
Sie, ich wollte sagen… Wozu brauchen Sie diesen mechanisierten
Kochtopf? Fahren wir nach Tulawi, ich habe Ihren Prospekt gelesen,
Sie sind doch Praktiker, Sie brauchen ein großes Arbeitsfeld,
Maschinen…«
»Arkadi, lassen Sie mir noch bis morgen Zeit zum
Überlegen.«
»Einverstanden!«
»Ich verspreche nichts.«
»Trotzdem hoffe ich.«
Sie gingen auseinander, aber die Festtagsstimmung
blieb.
Nachts wiederholte sich ihr Gespräch genau so, wie es
wirklich verlaufen war. Der Unterschied war nur, daß sie sofort
zustimmte. Als er seiner Freude Ausdruck geben wollte, ergriff
Marjana seine Hand und küßte ihn.
Der Sonnabend begann. Marjana erledigte bis um zehn Uhr ihre
Angelegenheiten und drückte dann entschlossen auf den Knopf der
inneren Sprechanlage, um Arkadi zu sich zu bitten. Der
Diensthabende antwortete, Arkadi sei noch nicht da, er bereite sich
auf seine Abreise vor. Seltsam, dachte Marjana. Da der
Diensthabende keine Antwort auf seine Mitteilung erhielt, stimmte
er ein Loblied auf Arkadi an: »Das ist ein Köpfchen, einen solchen
Burschen müßten wir haben! Könnte man ihn nicht überreden zu
bleiben? Wenigstens für einen Monat…«
Da schellte plötzlich die Glocke, Marjana nickte, und
herein trat Arkadi.
»Guten Tag. Ich will es Ihnen gleich sagen: Ich bin
einverstanden. Ehrlich gesagt, ich habe selbst seit langem an so
etwas gedacht. Und wenn alles drunter und drüber geht, Sie haben
recht! Wieviel Geld brauchen Sie?«
»Marjana«, sagte er und setzte sich vorsichtig und wie
unter einem Zwange in den Sessel, »ich danke Ihnen von ganzem
Herzen, aber ich brauche nichts. Ich bin gekommen, um mich von
Ihnen zu verabschieden.«
»Wie? Und das Experiment?«
»Hat stattgefunden. Alles in Ordnung.«
»Wie denn das?«
»Sehen Sie… Nur ärgern Sie sich bitte nicht. Unser
Institut prüft ein Gerät, das auf den Menschen einwirkt, während er
schläft…«
»Was?«
»Denken Sie bitte nichts Schlechtes! Das Programm ist
von allen ausgearbeitet und bestätigt worden…« Er lachte. »Von
allen drei Räten, ich habe genau nach dem Programm gehandelt. Ein
Teil meiner Aufgabe bestand darin, Sie zu überreden, mir entgegen
den Instruktionen Ihr Einverständnis für ein Experiment zu geben.
So. Und genau entsprechend der Instruktion…«
»Genau nach der Instruktion?«
»Ja, natürlich. Pjatkin und Seiko haben die Kontrolle
übernommen. Übrigens möchte ich Ihnen im Namen der Assoziation für
Ihren großen Dienst an der Wissenschaft danken. Auf den
Gesundheitszustand wird sich das, denke ich, keinesfalls auswirken.
Im September werden Sie und noch eine Gruppe von Teilnehmern an
diesem Experiment – es ist gleichzeitig an sieben Objekten
durchgeführt worden – nach Tulawi zum Kongreß eingeladen. Das war,
wenn ich mich nicht irre, Ihre dritte Arbeit für die
Assoziation?«
»Ja«, sagte Marjana zerstreut. »Die dritte. Das ist
alles sehr interessant…«
Sie konnte es noch immer nicht fassen.
»Ich lasse Ihnen eine wissenschaftliche Beschreibung da,
in ein paar Tagen schicke ich Ihnen die technischen und anderen
Materialien zur Information. Marjana, Liebe, glauben Sie mir:
Obwohl das alles gesetzlich ist und Sie gewußt haben, worauf Sie
eingingen, als Sie in die Assoziation eintraten, fühle ich mich
trotzdem ganz blöd! Unser Leben ist noch sehr
kompliziert…«
Marjana dachte die ganze Zeit über etwas nach.
»Marjana, was ist mit Ihnen? Sagen Sie doch
etwas!«
»Arkadi, haben Sie mir zugemurmelt: ›Liebt mich – liebt
mich nicht‹?«
»Ja, und ich habe mich sehr gefreut, daß das Signal
angekommen ist. Sonst hätte ich mich bis zum Ende der Woche in
voller Unkenntnis befunden…«
Marjana errötete.
»Denken Sie aber nicht, daß ich den Vers selbst gemacht
habe. Den hat der Chef ausgegraben. Sie finden ihn in der
Beschreibung… Er ist ganz interessant, noch aus der dunklen Zeit
des Wahrsagens und Aberglaubens… Wir wissen noch wenig über den
Menschen.«
Marjana hatte sich endlich gefaßt.
»Sie sind wahrscheinlich sehr müde; ich kenne die
Technologie zwar nicht, aber jede Nacht…«
»Ich bitte Sie, nicht jede Nacht! Sitzungen wurden
dreimal durchgeführt.«
»Montag, Dienstag und Freitag?«
»Sehen Sie, das Experiment ist tatsächlich
gelungen!«
»Ja. Aber vom Menschen – da haben Sie recht – wissen wir
noch sehr wenig! Nicht viel mehr, als man früher wußte, als man an
der Kamille abzählte: ›Liebt mich – liebt mich nicht.‹ Noch eine
Frage: Sie haben mir im Schlaf die Entschlossenheit suggeriert,
gegen die Instruktion zu handeln. Soweit ich mich erinnere, war
davon aber auch offen die Rede.«
»Ich habe nach dem Programm gehandelt; meine Aufgabe
bestand nur darin, die Sache etwas zu forcieren; an anderen
Abschnitten wurde das Experiment etwas anders durchgeführt. In zwei
Fällen, soweit ich weiß, mit Hilfe direkter Suggestion, ohne
unmittelbaren Kontakt mit dem Objekt…«
»Gut, aber wie soll ich mir die seltsame Wahl des Themas
erklären?«
»Der Zweite Rat kennt Ihren Bericht über die Arbeit des
Laboratoriums der B-Klasse. Wir haben Ihre Gedanken gewissermaßen
zu der endgültigen Schlußfolgerung geführt, zu der Sie sich noch
nicht erkühnt hatten.«
»Aber… wie ist denn das überhaupt mit den Instruktionen
und den drei Räten?«
»Oh, ich bitte Sie, Marjanotschka! Das taugt alles nur
für ein Experiment«, Arkadi beugte sich vertraulich über den Tisch
zu Marjana hinüber, »im Leben dagegen… Stellen Sie sich vor, was
für ein Durcheinander entstünde, wenn man den Laboratorien das rote
Streifchen gäbe!« Als Arkadi sah, daß Marjana die Stirn runzelte,
legte er das auf seine Weise aus. »Ihnen selbst, so scheint mir,
droht keinerlei Gefahr, Sie erhalten Antwort auf Ihren Bericht, und
damit ist alles erledigt. Es wird keinerlei Unannehmlichkeiten
geben! Sie sind eisern, das kann ich bestätigen, und wenn das Gerät
nicht gewesen wäre… Außerdem wird die Assoziation Sie verteidigen.
Sie werden dort gebraucht… Jetzt aber, so traurig es auch ist, muß
ich mich verabschieden, ich werde erwartet.«
Arkadi stand auf und streckte Marjana die Hand
entgegen.
»Aber wie denn…«
»Was?«
»Nein, nichts… Auf Wiedersehen, bis zum September. Ich
bin lange nicht in Tulawi gewesen. Aber es ist doch auch hier bei
uns nicht schlecht, nicht wahr? Besonders der Park. Und die Bank
unter der Eiche – gegenüber von meinem Fenster.«
»In den Park hineinzuschauen, habe ich nicht mehr
geschafft. Aber ich komme unbedingt noch mal hierher und setze mich
auf Ihre Bank… Verzeihen Sie nochmals und vielen Dank!«
»Na, dann alles Güte. Nur noch eins: Ich hätte die ganze
Zeit über eine bessere Meinung von Ihnen als jetzt. Das sollen Sie
doch wissen. Ich bin sogar traurig. Jener junge Mann, der die
Instruktionen zum Teufel schickte, sich sogar ein Bein brechen
wollte, hat mir besser gefallen. Das wollte ich Ihnen noch
sagen.«
»Ach, Marjanotschka, Sie sind ein wunderbarer Mensch.
Ich würde sagen – kein moderner. Doch das ist eben das Großartige
an Ihnen!«
Als sich die Tür hinter Arkadi schloß, begann Marjana
höchst modern hinter ihm drein zu schimpfen.