Rimma Kasakowa


Das Experiment





»Mein Name ist Arkadi Andrejew, ich freue mich, Sie kennenzulernen! Ich bin zu Ihnen beordert worden, um ein Experiment durchzuführen.«
 »Welcher Art?« erkundigte sich Marjana langsam, aber nachdrücklich.
 »Oho, Sie haben die feste Hand eines Kommandeurs! Leider kann ich es Ihnen nicht sagen.«
 »Das ist nett, aber unverständlich.«
 Andrejew lächelte berückend und sagte: »Glauben Sie mir!«
 »Ich glaube Ihnen.«
 »Geben Sie mir Geld?«
 »Nein.«
 Andrejew lachte schallend.
 »Ist das so lustig?«
 »Sehr!«
 »Mir scheint, wir haben uns schon vorgestellt?«
 »Treiben Sie zur Eile?«
 »Ich kann Ihnen Tee anbieten.«
 Arkadi rührte den Zucker mit dem Löffel um und sagte nachdenklich: »Mir gefällt Ihre Stadt sehr. Es ist schade, daß ich sofort nach der Durchführung des Experiments wieder wegfahren muß.«
 Marjana schwieg höflich.
 »Die Neuausrüstung des Instituts ist in einer Woche beendet. Sie sehen, ich habe nur eine Woche Zeit…«
»Rechnen kann ich.«
»Werden Sie Geld geben?«
 »Nein. Und ich werde Ihnen auch keine Erlaubnis dazu geben.«
 »Wie alt sind Sie?«
 »Zweiundzwanzig. Das Laboratorium leite ich seit zwei Jahren. Darf ich Ihnen noch etwas eingießen?«
 »Marjana«, sagte er schlicht und ernst. »Ich will versuchen, offen zu sein. Es geht nicht um die Neuausrüstung des Instituts. Ich habe mir eine überaus interessante Sache ausgedacht. Ich möchte dem Chef ein Geschenk machen. Der Alte wird sich teuflisch freuen! Mir…«
 Marjana öffnete mit scharfer Bewegung den Tischkasten und warf die Instruktionen auf den Tisch. »Interessante Büchlein. Haben Sie die gelesen?«
 Arkadis Miene umwölkte sich.
 »Ich bitte um Entschuldigung. In der siebenten Abteilung arbeiten die Jungs an meinem Thema, ich muß mit ihnen reden…«
 »Auch ich bitte um Entschuldigung für einen gewissen Mangel an Liebenswürdigkeiten. Es tut mir aufrichtig leid.«
 Er hatte einen kräftigen, hellen Nacken. Lautlos schloß sich die Tür hinter ihm.


In der Nacht träumte Marjana von Arkadi. Durch den ganzen Traum ging – wie der Schatten eines Dampfers über den Fluß – sein trauriges, halbwegs bekanntes Gesicht: die taubengrauen Augen, die festen Lippen, die störrischen, hellen Haare und das Lächeln eines Kinohelden. Anfangs schien es, als sei nicht er es, sondern als sei es nur die Empfindung von etwas Vertrautem, ihm Ähnlichem und eine daher rührende unklare Gereiztheit. Er rief bei Marjana gleichzeitig Sympathie und Antipathie hervor. Sein offener Wunsch, sie sich eines ihr unbekannten Experiments wegen geneigt zu machen, rief ihren Zorn hervor.

 Der Traum wogte hin und her und kräuselte sich wie eine Wasseroberfläche. Arkadis Gesicht erschien ihr bald langgezogen, verzerrt und unangenehm, bald ruhig und konzentriert.
 Als sie am nächsten Morgen ins Laboratorium kam, bat sie als erstes Arkadi zu sich.
 »Ich habe Sie gestern nicht ganz Verstanden. Worum geht es? Warum möchten Sie Ihr Vorhaben nicht schriftlich fixieren? Vielleicht sollte das auch nur ein Scherz sein?«
 »Nein, ich habe nicht gescherzt.«
 »Wie? Aber was wollen Sie denn nun wirklich? Und wissen Sie überhaupt, was Sie mir da vorschlagen?«
 »Das weiß ich.«
 »Was wollen Sie also?«
 »Daß Sie sich nicht an die Instruktionen halten.«
 »Hören Sie, Andrejew. Es geht hierbei nicht um Formalitäten, verstehen Sie doch bitte. Ich möchte keinesfalls, daß Sie mich für eine herzlose Bürokratin halten. Hören Sie auf, mir den Kopf voll zu reden, Sie sind kein verliebtes Fräulein, sondern ein Wissenschaftler. Hier haben Sie einen Vordruck, nehmen Sie das Diktaphon und formulieren Sie. Dann reden wir darüber… «
 »Ja, ja, heute abend weiß Lipagin alles bis in alle Einzelheiten! Besten Dank.«
 »Interessant, woher sollte er das wohl erfahren?«
 »Das weiß ich nicht! Das sickert durch die Wände. Mein Chef ist ein Genie. Ihm genügt eine Andeutung. Er hat mir freigegeben, damit ich mich ein wenig erhole und mit meinen Altersgenossen plaudere – Sie wissen ja, unter fünfzig Jahren gibt es bei uns nur einige wenige…«
 »Arkadi, das Experiment erlaube ich nicht. Punkt!«
 »Und ich hatte gehofft, diesen Punkt zu bewegen; jetzt aber stellt sich heraus, daß so ein winziger Punkt schwerer wiegt als ein Grabstein.«
 »Wir wollen nicht mehr darauf zurückkommen! Mir gefällt Ihre Anhänglichkeit an den Chef, und überhaupt – Ihre Besessenheit hat was für sich. Aber nach der Katastrophe in Karai…«
 »Jaja. Nichts zu machen, lassen wir das.«
 »Wie geht fes den Jungs aus der Siebenten?«
 »Großartig. Sie sind naiv und begabt wie altgriechische Götter.«
 »Ich fliege bis zum Abend weg«, sagte Marjana und trat auf die runde Plattform lies Aufzuges. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«
 Damit drückte sie auf den Knopf.


Nachts aber träumte sie wiederum von Arkadi. Sie gingen über eine kamillenübersäte Wiese. Arkadi pflückte eine Blume ab und murmelte etwas vor sich hin.
 »Wovon sprechen Sie?« – »Ein altes Sprüchlein, das ich von meiner Großmutter gelernt habe.« – »Erzählen Sie, erzählen Sie…« – »Sie liebt mich – liebt mich nicht; sie will mich nicht – sie küßt mich; sie drückt mich ans Herz – sie schickt mich zum Teufel…« – »Wunderbar! Wie war das? Sie liebt mich – liebt mich nicht…« Es war still und warm, die Kamille duftete zart wie der Blütenstaub auf den Flügeln der Schmetterlinge. Sie setzten sich auf die weiche, angewärmte Erde, und plötzlich warf Arkadi die Blume weg. »Marjana, ich möchte mit Ihnen ernsthaft über das Allerwichtigste sprechen. Versuchen Sie, mich zu verstehen. Nun ja, die Katastrophe in Karai… Denken Sie wirklich, die Menschheit ist für immer gegen Opfer gefeit? Natürlich wäre es besser ohne Risiko, darüber streitet niemand! Aber wir gehen doch immer bis zum Äußersten, wir dringen in das Allerheiligste der Natur ein, wo es keinerlei Garantien mehr für unsere Sicherheit gibt.« Sein Gesicht war lieb und ehrlich, die Worte, stumm im Schlaf, hatten keinen Ton, sondern drangen einfach so in sie ein, wie die Sonne in die Haut, und riefen Mitgefühl und eine unverständliche Freude hervor. »Und diese Instruktionen… Schon seit zwei Jahrhunderten behaupten wir, daß die Menschheit für jeden einzelnen verantwortlich ist und jeder einzelne für die ganze Menschheit. In diesem Sinne gibt es keinen Unterschied zwischen mir und dem Wissenschaftlichen Rat. Warum also darf ich nicht selbst über das Schicksal des Experimentes entscheiden? Woher dieses Mißtrauen? Wäre ich ein analphabetischer Handwerker, hätte ich kein Diplom bekommen. Aber so… Ich habe Ihnen nicht die Wahrheit über den Chef gesagt. Der Chef verbirgt sehr höflich und geschickt vor uns seinen Wunsch, sich auf einen unerreichbaren Gipfel zu erheben, unsere Kühnheit erschreckt ihn, und hier kommen ihm die Instruktionen zugute…« Marjana hörte sich das mit an und zupfte Blütenblätter, seine Worte kamen trübe und ruckartig heraus, wie Blutströme. »Liebt mich – liebt mich nicht; liebt mich – liebt mich nicht…« – »Marjana, und Sie selbst? Sie sind klug, die Jungs vergöttern Sie, aber schließlich besteht doch der Sinn Ihrer Existenz nicht im Teetrinken und in der Erteilung von Anordnungen? Was aber tun Sie?« – »Liebt mich – liebt mich nicht; liebt mich – liebt mich nicht… Und wie geht es doch weiter?… will mich nicht – küßt mich –…« – »Sie sind ebenfalls Sklave der Instruktionen, Sklave des Rates und noch zweier weiterer Räte. Zwischen uns und der Menschheit stehen drei Räte, und eine solche Zensur der Gedanken und Seelen gilt sogar noch für klug!« – »Drückt mich ans Herz – schickt mich zum Teufel… nennt mich die Seine… Ein komischer Junge, ein entsetzlich komisches Kind. Zu wem sagt er das! Als ob ich anders dächte. Ihm helfen… Ich bin nur noch nicht soweit. Es ist mir noch nicht alles klar. Die Räte sitzen natürlich voller alter Dummköpfe. Aber unbeaufsichtigte junge Tollköpfe… Wie ich… So tollköpfig sind wir übrigens gar nicht… nein, ich kann nicht. Das ist zu ernst. Irgend etwas stört mich dabei. Vielleicht sind wir noch nicht genügend vorbereitet dafür…« – »Wir sollten noch nicht genügend vorbereitet sein? Unsinn! Die Katastrophe in Karai trat ein, nachdem alle Pläne dreifach bestätigt und geprüft worden waren. Falsche Schlußfolgerungen aus ganz natürlichen Ereignissen…« Er nahm ihre Hand, und sie ließ es geschehen.
 »Marjana! Ich möchte so sehr, daß Sie mich verstehen! Ich bin überzeugt, Sie werden mir zustimmen! Erlauben Sie mir das Experiment. Sie kennen mich gut genug.« – »Und das Risiko?« – »Was für ein Risiko? Ich kann Ihnen nur sagen, daß es nicht lebensgefährlich ist. Wenn alles klappt…« – »Und wenn es nicht klappt?« – »Es klappt. Außerdem geht es gar nicht darum. Wenn es mir nicht gelingt, wird es anderen gelingen. Wichtig ist das Prinzip. Zum Teufel mit der Routine! Marjana, sagen Sie, daß Sie einverstanden sind. Nun, Marjana!«
 Als sie erwachte, bewegte sie nur das eine: Niemals vorher hatte sie dieses »Er liebt mich – liebt mich nicht« gehört. Den Mittwoch verbrachte Marjana auf einer Expedition in den Bergen. Sie kam müde zurück, ging spät schlafen und – träumte nichts.


Am nächsten Tag fand in der siebenten Abteilung eine Sitzung statt. Marjana begrüßte alle mit einer leichten Verbeugung, freute sich aber, als sie Arkadi in der Nähe der Vakuumkammer erblickte. Er stand mit dem Rücken zu ihr und sprach mit einem Montagearbeiter. Die Sitzung war rasch beendet, und Marjana rief Arkadi unter dem Pfeifen der Aufzüge zu: »Na, gebe ich gute Anleitungen? Ich habe sie alle wieder weggeschickt. Die Jungs aus der siebenten Abteilung gehen für zwei Tage in die Berge.«

 Arkadi begleitete Marjana bis zu ihrem Arbeitszimmer. »Gehen Sie in die Stadt?« fragte Marjana.
 »Ja. Vielleicht leisten Sie mir Gesellschaft?«
 »Ich würde es gern tun, aber ich kann nicht. In einer halben Stunde fliege ich zur Expedition. Wenn Sie Langeweile haben, kommen Sie doch mit! Allerdings löhnt es sich kaum, Demontage… Wissen Sie, Arkadi…«
 »Was?« fragte er gespannt, denn er spürte in ihrer Stimme etwas Neues.
 »Ich möchte Ihnen sagen, daß mich unser letztes Gespräch sehr… Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann…«
 »Geben Sie mir das rote Streifchen – und es wird Ihnen nicht mehr leid tun.«
 »Nein, darüber haben wir uns doch geeinigt, das ist ausgeschlossen! Das kann ich nicht tun. Obwohl mir das Herz rät…«
 »Dann hören Sie auf Ihr Herz.«
 Marjana war verwirrt. Er sah sie mit ehrlichen und etwas traurigen Augen an.
 »Ich tue, was Sie wollen… Aber erst, wenn Sie eine Abhandlung über ›Die Physik und das Herz‹ geschrieben haben.«
 »Gerade das ist es, womit sich die Menschen seit Jahrhunderten beschäftigen…«
 »Na gut, doch jetzt muß ich arbeiten.«
 Marjana sprang auf die Rolltreppe und suchte mit dem Finger den ihr so vertrauten Knopf, doch plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie rief nach Arkadi. Er kam langsam zurück.
 »Hören Sie, kennen Sie nicht zufällig den uralten Vers: ›Liebt mich – liebt mich nicht…‹«
 »Will mich nicht – küßt mich, drückt mich ans Herz… Kenne ich; was ist damit?«
 »Nur so, nichts Besonderes, er geht mir nicht aus dem Kopf. Ich habe ihn irgendwo einmal gehört, weiß aber nicht mehr, wo.«
 Dann drückte sie auf den Knopf.


In der Erwartung, wieder zu träumen, legte sie sich ins Bett und suggerierte sich, daß sie träume. Und da träumte sie wirklich. Diesmal ganz stumm und ohne Gespräche. Der Traum war wie ein Film: Marjana sah deutlich alles, was im Traum vor sich ging, und war sich gleichzeitig bewußt, daß es nur ein von ihrem eigenen Wunsch geschaffener Traum war, der, wenn sie es nur wollte, abbrechen oder ganz anders verlaufen würde. Es war ihr eigener Traum, er war so, wie sie ihn sich wünschte, und deshalb war er großartig und wunderbar.
 Marjana und Arkadi saßen auf der kleinen Bank vor den Fenstern des Laboratoriums; das gelbe, herbstliche Laub fiel von den Bäumen, es duftete nach fauliger und feuchter Erde. An den Fenstern waren die Gardinen zugezogen, Arkadi und sie waren hinter den Zweigen der Bäume versteckt. Der Abend senkte sich herab, und die Sonne wärmte nur noch schwach, aber zärtlich. Marjana fühlte in ihrer rechten Hand die kühle und feste Hand Arkadis. Alles in ihr jubelte. So saßen sie lange Zeit, dann umarmte er sie und gab ihr einen langen, unendlich langen Kuß. Es fiel ihr schwer, sich von ihm loszureißen, sie fürchtete sich davor, weil sie wüßte und fühlte, daß der Traum damit zu Ende wäre. Wie lange dauerte das? Eine Minute? Eine Stunde? Die ganze Nacht? Das fallende Laub raschelte, die warme Luft wehte lind, ihre warmen Lippen, fest und leicht an seine Lippen gedrückt, zitterten.
 Als Arkadi, der sich per Fernsehtelefon bei ihr angemeldet hatte, am nächsten Tag in ihr Arbeitszimmer trat, empfing Marjana ihn strahlend.
 »Gute Stimmung?«
 »Ausgezeichnet.«
 »Bei mir ist es genau umgekehrt.«
 »Das macht nichts, es wird gleich anders werden.«
 »O nein. Morgen muß ich abfahren.«
 »Na sehen Sie, Sie haben sowieso keine Zeit mehr für das Experiment.«
 »Zeit hätte ich, wenn Sie nur die Erlaubnis erteilten! Ich rufe im Institut an und bitte… oder, zum Teufel, ich kann mir ja auch ein Bein brechen! Etwas werde ich mir schon ausdenken.«
 »Sind Sie wirklich sicher, daß Ihnen bei dem Experiment keine Gefahr droht?«
 »Absolut.«
 »Und wenn ich meine Arbeit verliere…«
 »Ach, der Teufel soll Sie holen! Das heißt, verzeihen Sie, ich wollte sagen… Wozu brauchen Sie diesen mechanisierten Kochtopf? Fahren wir nach Tulawi, ich habe Ihren Prospekt gelesen, Sie sind doch Praktiker, Sie brauchen ein großes Arbeitsfeld, Maschinen…«
 »Arkadi, lassen Sie mir noch bis morgen Zeit zum Überlegen.«
 »Einverstanden!«
 »Ich verspreche nichts.«
 »Trotzdem hoffe ich.«
 Sie gingen auseinander, aber die Festtagsstimmung blieb.
 Nachts wiederholte sich ihr Gespräch genau so, wie es wirklich verlaufen war. Der Unterschied war nur, daß sie sofort zustimmte. Als er seiner Freude Ausdruck geben wollte, ergriff Marjana seine Hand und küßte ihn.
Der Sonnabend begann. Marjana erledigte bis um zehn Uhr ihre Angelegenheiten und drückte dann entschlossen auf den Knopf der inneren Sprechanlage, um Arkadi zu sich zu bitten. Der Diensthabende antwortete, Arkadi sei noch nicht da, er bereite sich auf seine Abreise vor. Seltsam, dachte Marjana. Da der Diensthabende keine Antwort auf seine Mitteilung erhielt, stimmte er ein Loblied auf Arkadi an: »Das ist ein Köpfchen, einen solchen Burschen müßten wir haben! Könnte man ihn nicht überreden zu bleiben? Wenigstens für einen Monat…«
 Da schellte plötzlich die Glocke, Marjana nickte, und herein trat Arkadi.
 »Guten Tag. Ich will es Ihnen gleich sagen: Ich bin einverstanden. Ehrlich gesagt, ich habe selbst seit langem an so etwas gedacht. Und wenn alles drunter und drüber geht, Sie haben recht! Wieviel Geld brauchen Sie?«
 »Marjana«, sagte er und setzte sich vorsichtig und wie unter einem Zwange in den Sessel, »ich danke Ihnen von ganzem Herzen, aber ich brauche nichts. Ich bin gekommen, um mich von Ihnen zu verabschieden.«
 »Wie? Und das Experiment?«
 »Hat stattgefunden. Alles in Ordnung.«
 »Wie denn das?«
 »Sehen Sie… Nur ärgern Sie sich bitte nicht. Unser Institut prüft ein Gerät, das auf den Menschen einwirkt, während er schläft…«
 »Was?«
 »Denken Sie bitte nichts Schlechtes! Das Programm ist von allen ausgearbeitet und bestätigt worden…« Er lachte. »Von allen drei Räten, ich habe genau nach dem Programm gehandelt. Ein Teil meiner Aufgabe bestand darin, Sie zu überreden, mir entgegen den Instruktionen Ihr Einverständnis für ein Experiment zu geben. So. Und genau entsprechend der Instruktion…«
 »Genau nach der Instruktion?«
 »Ja, natürlich. Pjatkin und Seiko haben die Kontrolle übernommen. Übrigens möchte ich Ihnen im Namen der Assoziation für Ihren großen Dienst an der Wissenschaft danken. Auf den Gesundheitszustand wird sich das, denke ich, keinesfalls auswirken. Im September werden Sie und noch eine Gruppe von Teilnehmern an diesem Experiment – es ist gleichzeitig an sieben Objekten durchgeführt worden – nach Tulawi zum Kongreß eingeladen. Das war, wenn ich mich nicht irre, Ihre dritte Arbeit für die Assoziation?«
 »Ja«, sagte Marjana zerstreut. »Die dritte. Das ist alles sehr interessant…«
 Sie konnte es noch immer nicht fassen.
 »Ich lasse Ihnen eine wissenschaftliche Beschreibung da, in ein paar Tagen schicke ich Ihnen die technischen und anderen Materialien zur Information. Marjana, Liebe, glauben Sie mir: Obwohl das alles gesetzlich ist und Sie gewußt haben, worauf Sie eingingen, als Sie in die Assoziation eintraten, fühle ich mich trotzdem ganz blöd! Unser Leben ist noch sehr kompliziert…«
 Marjana dachte die ganze Zeit über etwas nach.
 »Marjana, was ist mit Ihnen? Sagen Sie doch etwas!«
 »Arkadi, haben Sie mir zugemurmelt: ›Liebt mich – liebt mich nicht‹?«
 »Ja, und ich habe mich sehr gefreut, daß das Signal angekommen ist. Sonst hätte ich mich bis zum Ende der Woche in voller Unkenntnis befunden…«
 Marjana errötete.
 »Denken Sie aber nicht, daß ich den Vers selbst gemacht habe. Den hat der Chef ausgegraben. Sie finden ihn in der Beschreibung… Er ist ganz interessant, noch aus der dunklen Zeit des Wahrsagens und Aberglaubens… Wir wissen noch wenig über den Menschen.«
 Marjana hatte sich endlich gefaßt.
 »Sie sind wahrscheinlich sehr müde; ich kenne die Technologie zwar nicht, aber jede Nacht…«
 »Ich bitte Sie, nicht jede Nacht! Sitzungen wurden dreimal durchgeführt.«
 »Montag, Dienstag und Freitag?«
 »Sehen Sie, das Experiment ist tatsächlich gelungen!«
 »Ja. Aber vom Menschen – da haben Sie recht – wissen wir noch sehr wenig! Nicht viel mehr, als man früher wußte, als man an der Kamille abzählte: ›Liebt mich – liebt mich nicht.‹ Noch eine Frage: Sie haben mir im Schlaf die Entschlossenheit suggeriert, gegen die Instruktion zu handeln. Soweit ich mich erinnere, war davon aber auch offen die Rede.«
 »Ich habe nach dem Programm gehandelt; meine Aufgabe bestand nur darin, die Sache etwas zu forcieren; an anderen Abschnitten wurde das Experiment etwas anders durchgeführt. In zwei Fällen, soweit ich weiß, mit Hilfe direkter Suggestion, ohne unmittelbaren Kontakt mit dem Objekt…«
 »Gut, aber wie soll ich mir die seltsame Wahl des Themas erklären?«
 »Der Zweite Rat kennt Ihren Bericht über die Arbeit des Laboratoriums der B-Klasse. Wir haben Ihre Gedanken gewissermaßen zu der endgültigen Schlußfolgerung geführt, zu der Sie sich noch nicht erkühnt hatten.«
 »Aber… wie ist denn das überhaupt mit den Instruktionen und den drei Räten?«
 »Oh, ich bitte Sie, Marjanotschka! Das taugt alles nur für ein Experiment«, Arkadi beugte sich vertraulich über den Tisch zu Marjana hinüber, »im Leben dagegen… Stellen Sie sich vor, was für ein Durcheinander entstünde, wenn man den Laboratorien das rote Streifchen gäbe!« Als Arkadi sah, daß Marjana die Stirn runzelte, legte er das auf seine Weise aus. »Ihnen selbst, so scheint mir, droht keinerlei Gefahr, Sie erhalten Antwort auf Ihren Bericht, und damit ist alles erledigt. Es wird keinerlei Unannehmlichkeiten geben! Sie sind eisern, das kann ich bestätigen, und wenn das Gerät nicht gewesen wäre… Außerdem wird die Assoziation Sie verteidigen. Sie werden dort gebraucht… Jetzt aber, so traurig es auch ist, muß ich mich verabschieden, ich werde erwartet.«
 Arkadi stand auf und streckte Marjana die Hand entgegen.
 »Aber wie denn…«
 »Was?«
 »Nein, nichts… Auf Wiedersehen, bis zum September. Ich bin lange nicht in Tulawi gewesen. Aber es ist doch auch hier bei uns nicht schlecht, nicht wahr? Besonders der Park. Und die Bank unter der Eiche – gegenüber von meinem Fenster.«
 »In den Park hineinzuschauen, habe ich nicht mehr geschafft. Aber ich komme unbedingt noch mal hierher und setze mich auf Ihre Bank… Verzeihen Sie nochmals und vielen Dank!«
 »Na, dann alles Güte. Nur noch eins: Ich hätte die ganze Zeit über eine bessere Meinung von Ihnen als jetzt. Das sollen Sie doch wissen. Ich bin sogar traurig. Jener junge Mann, der die Instruktionen zum Teufel schickte, sich sogar ein Bein brechen wollte, hat mir besser gefallen. Das wollte ich Ihnen noch sagen.«
 »Ach, Marjanotschka, Sie sind ein wunderbarer Mensch. Ich würde sagen – kein moderner. Doch das ist eben das Großartige an Ihnen!«
 Als sich die Tür hinter Arkadi schloß, begann Marjana höchst modern hinter ihm drein zu schimpfen.