Sechstes Kapitel

Mutter bürstet mir die Haare, bis sie glänzen. »Ach, ich habe das so vermisst«, seufzt sie. »Astrid hat auch so schöne goldene Haare, genau wie du.«

Ich sitze vor dem Schminktisch in Astrids Zimmer. Mutter steht hinter mir und betrachtet mich im Spiegel. Sie wirkt glücklich und zufrieden. Es scheint mir der richtige Augenblick zu sein, um die drängende Frage nach den Bienchen und Blümchen zu stellen.

Nein, nicht diese Bienen und Blumen. Darüber weiß ich Bescheid.

»Mutter«, sage ich, »gibt es auf anderen Inseln auch Klone?«

Sie tätschelt mir den Kopf. »Nein, Schätzchen. Wir sind in verschiedener Hinsicht eine Ausnahme. Auf anderen Inseln werden Eingeborene als Arbeitskräfte eingesetzt, aber bei uns ist das nicht möglich. Unsere Insel existiert noch nicht sehr lange, deshalb wohnten hier auch vorher noch keine Menschen. Nur wir wohnen jetzt natürlich hier!« Sie zwinkert mir im Spiegel zu. »Und der Transport vom Mainland oder von den anderen Inseln nach Demesne ist extrem kostspielig, deshalb kommt der Import von Arbeitern nicht infrage. Weniger exklusive Orte greifen in einem solchen Fall trotzdem auf menschliche Arbeitskraft zurück. Nur wir hier auf Demesne, wir haben Klone. Na ja, da geht es natürlich um all solche Gesetze und Vorschriften, wie mich das langweilt!«

»Fahren denn keine Schiffe vom Mainland herüber, die Leute mitbringen könnten?«

Mutter lächelt mich im Spiegel an. »Wenigstens eine Tochter, die mich nicht für eine begriffsstutzige Alte hält.« Sie lacht. »Vielleicht weißt du das nicht, aber echte Teenager behandeln ihre Eltern oft so, als wünschten sie, es gäbe sie nicht. Eine Tochter zu haben, die mich nicht wie Luft behandelt und mir stattdessen Fragen stellt, ist mir da ehrlich gesagt lieber.« Sie hält inne, weil sie versucht, sich an meine Frage zu erinnern. »Ja, Elysia! Die Villenbesitzer und ihre Familien kommen natürlich mit ihren Privatflugzeugen hierher. Aber im Abkommen zwischen Demesne und dem Mainland ist festgelegt, dass eine regelmäßige Fährverbindung zum Festland aufrechterhalten werden muss, damit nicht der Eindruck entsteht, die Insel sei ausschließlich Privateigentum und ein für die Normalbürger unerreichbares Paradies.« Mutter tut jetzt geheimnisvoll, und sie legt die Hand an den Mund, um mir zuzuflüstern: »Obwohl es das natürlich ist!«

»Ist die Fähre denn so teuer?«

»Nein, mein Liebling. Die Fähre kostet praktisch nichts. Aber die Visa für den Aufenthalt hier sind ziemlich unerschwinglich. Wer Demesne besuchen will, muss ein Visum haben, das ist Vorschrift. Nur mit einem Visum darf man im Country Club logieren und Hotels gibt es nicht. Wir wollen nicht von Touristen überrannt werden.«

»Und mit dem Flugzeug? Kann man auch mit dem Flugzeug nach Demesne kommen?«

»Selbstverständlich können die Besitzer der Villen mit ihren Privatjets hierher fliegen. Und sie tun es auch. Aber nur, wenn sie vorher einen Anteil an der Landebahn unseres Flughafens erworben haben, das ist die Voraussetzung für jeden, der Grundbesitz auf Demesne kaufen will.«

»Also brauchen Leute, die auf die Insel kommen wollen, nur Landerechte zu kaufen«, sage ich.

Mutter lacht auf. »Sicher, wenn sie mal eben eine Milliarde übrig haben! Soll ich dir was sagen? Die Landerechte kosten mehr als die Villen hier auf der Insel.«

»Aber warum werden die Arbeiter dann nicht mit der Fähre hierher gebracht oder eingeflogen?«

»Meine Güte, Teen-Betas können ganz schön hartnäckig nachfragen. Ist ja irgendwie süß, aber übertreib es mir nicht. Ich brauche nämlich meinen Schönheitsschlaf.« Sie macht eine Pause, als würde sie noch einmal alle ihre Energie sammeln. »Klone sind der letzte Ökoschrei, musst du wissen.« Sie berührt mich am Arm. »Du kannst wirklich stolz darauf sein, dass du einer bist. Leichname zu Klonen zu recyceln ist die jüngste wissenschaftliche Errungenschaft. Der Tod deiner First war dann nicht umsonst, es wird nichts verschwendet, und wenn du ausgedient hast, bist du zu 100 Prozent biologisch abbaubar.«

Ich frage nicht nach, wie lang meine Betriebsdauer wohl sein wird. Das bringe ich jetzt noch nicht über mich. Ich weiß, dass ich in einem Biowertstoffhof landen werde, sobald ich ein gewisses Alter erreicht habe und Verschleißerscheinungen zeige; das passiert mit Klonen, deren Aussehen und Leistungsfähigkeit nach jahrelangem Dienst zu wünschen übrig lässt. Aber mein Leben hat gerade erst begonnen. Mir jetzt schon mein Ende vorzustellen, wo noch nicht einmal meine Garantiefrist abgelaufen ist, kommt mir doch etwas verfrüht vor.

»Ich weiß, was für ein großes Glück ich habe, und ich bin dir sehr dankbar, bei euch ein Zuhause gefunden zu haben, Mutter«, sage ich.

Sie streicht mir zärtlich über die Schultern. »Mein süßes Mädchen. Und weil du so neugierig gefragt hast, ja, vor Jahren haben wir es einmal probiert. Wir haben für unsere Kinder ein richtiges Kindermädchen einfliegen lassen. Sie hat in demselben Zimmer geschlafen wie du jetzt. Wir dachten, das würde unseren Kindern einen ganz besonderen Schliff geben – von einem Menschen erzogen zu werden, von einer echten, lebendigen Mary Poppins. Aber was wir da für einen Reinfall erlebt haben! Die Atmosphäre hier auf der Insel bewirkte, dass sie sich wohler fühlte, als sie es durfte. Statt eine strenge Erzieherin und Babysitterin für unsere Kleinen zu sein, war sie auf einmal vollkommen entspannt und glücklich. Sie überließ unsere drei sich selbst, während sie im Liegestuhl saß und sich sonnte! Das war wirklich undankbar, findest du nicht auch?«

»Ja, Mutter.«

Sie fährt mir von hinten mit den Fingern durch meine langen Haare, teilt sie dann in drei Strähnen auf und beginnt, mir einen Zopf zu flechten. Ich lächle ihrem Spiegelbild zu. »Bevor sie ins Bett gegangen ist, habe ich Astrid auch immer die Haare geflochten«, sagt Mutter. »Es war das Einzige, was sie mir noch erlaubt hat, das unabhängige kleine Luder. Sie hat immer gesagt, sie könne besser schlafen, wenn ihre Haare nicht so wirr auf dem Kopfkissen herumliegen.«

»Fühlt sich gut an mit den Zöpfen, Mutter. Danke.«

Sie küsst mich auf den Scheitel. »Gern geschehen. Jetzt hab ich aber auch noch eine Bitte an dich.«

»Ja, Mutter?«

»Liesel hat nachts manchmal Albträume. Wenn du sie schreien hörst, kannst du dann zu ihr gehen und bei ihr bleiben, bis sie wieder eingeschlafen ist? Ich nehme immer meine kleinen Schlummerhilfen und oft höre ich sie dann nicht. Astrid hat sie früher immer getröstet und jetzt legt sich Ivan zu ihr ins Bett, aber Liesel erschrickt dann immer. Jungs und ihre raue Art. Er hat einfach keine Ahnung, wie man ein verängstigtes Kind beruhigt. Na ja, wie junge Männer eben so sind.«

Woher soll ich wissen, wie junge Männer sind? Abgesehen davon, dass sie gern ›Boah ey!‹ rufen?

»Tu ich gern, Mutter«, sage ich.

»Braves Mädchen. Gute Nacht.«

Sie steht auf und geht, bleibt im Türrahmen aber noch einmal kurz stehen und dreht sich zu mir um. Mein Chip identifiziert ihren Gesichtsausdruck als Stolz und Zuneigung.

»Mutter?«, frage ich.

»Ja, mein Liebes?«

»Wenn Astrid krank geworden ist, was ist dann passiert?«

»Wie meinst du denn das?«

»Wurde sie dann in die Krankenstation geschickt?«

Mutter lacht leise. »Nein, natürlich nicht. Wir haben sie gepflegt, bis sie wieder gesund war, wie ich das bei allen meinen Kindern mache. Zum Glück war nie eines von ihnen so schlimm krank, dass ich mit ihm ins Krankenhaus musste.«

»Und wenn ich krank werde, werde ich dann in die Krankenstation geschickt?«

Mutter sieht mich an. »Schlaf gut, Elysia. Du kannst gar nicht krank werden. Du bist absolut perfekt.«