KAPITEL DREIUNDZWANZIG
GUT GEFÜHRTE KRIEGER
Blaues Feuer flammte aus dem Sigill auf und warf uns alle zurück. Nur Ethan und Mallory blieben an seinem Rand stehen.
Jeff und Paige prallten einige Meter hinter uns auf den Boden. Wer einen solchen Sturz erlebte, würde eine Zeit lang brauchen, um sich davon zu erholen.
»Mallory!«, schrie Catcher. »Sei tapfer!«
Wenn sie ihn gehört haben sollte, ließ sie es sich nicht anmerken. Mallory schien sich auf nichts anderes zu konzentrieren als auf ihre Verbindung mit Ethan … und die Schmerzen, die sie dadurch erlitt. Auch sie knickte schließlich ein und weinte hemmungslos, während sie die Verbindung aufrechterhielt.
Da das Sigill nun brannte, sah Seth zu mir herüber. Ich nickte, und er begann mit der Beschwörung.
»Dominik!«, rief er. »Ich beschwöre dich und befehle dir zu erscheinen!«
Das Sigill wurde heller, und das Feuer loderte höher, aber in seiner Mitte erschien kein Engel.
»Seth?«
»Minderwertige Zutaten«, sagte er. »Wir mussten mit den vorhandenen Mitteln auskommen. Wir versuchen es ja.«
Ich blinzelte mir den Regen aus den Augen. Die Kälte machte meinen Atem sichtbar. »Strengt euch mehr an! Mallory kann das nicht mehr lange durchhalten!« Ich hatte ohnehin den Eindruck, dass sie nur noch wenige Sekunden davon entfernt war, sich vor Schmerzen auf dem Boden zu winden und Ethan in ihre Schwarze-Magie-Allmachtsträume hineinzuziehen.
Seth zog sein T-Shirt aus, lockerte seine Muskeln und ließ seine Flügel erscheinen. Sie erhoben sich in die Nacht und verbreiteten den Plätzchenduft im Park. Dass mein Magen knurrte, war keine Überraschung, aber es geschah definitiv zur falschen Zeit.
»Dominik! Ich beschwöre dich und befehle dir zu erscheinen! Gehorche meinem Befehl!«
Das Sigill glühte und loderte erneut auf und verlosch dann.
»Liegt es am Regen?«, rief Jeff von der anderen Seite des Sigills. »Müssen wir von vorne anfangen?«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann begann die Erde zu unseren Füßen zu zittern, als ob sie Angst vor dem hätte, was wir erschaffen hatten.
Und dann brach sie plötzlich inmitten des rauchenden Kreises auf, und Dominik schoss mit ausgebreiteten Schwingen durch die Luft.
Er brüllte mit offensichtlicher Begeisterung und entdeckte dann Seth. Er schlug mit seinen Flügeln, um zur Erde zurückzukehren, und ging mit eindeutig bösen Absichten auf ihn zu.
»Du wagst es, mich zu rufen? Du, der du dich hinter den Worten und Taten der Menschen versteckst?«
Ethan hatte nur noch wenig Kraft, aber er versuchte dennoch, nach Dominik zu greifen. Der aber verließ das Sigill und war nun für Ethan unerreichbar.
Seth bemerkte, dass Ethan ihn verpasst hatte, und drehte sich so, dass Dominik zum Sigill und Ethan zurückkehren musste.
»Im Gegensatz zu dir, mein lieber Bruder, habe ich hart gearbeitet. Ich habe versucht, die Welt von dieser Seuche zu befreien, die du und deinesgleichen so gerne verdrängt.«
Seth sah ihn verächtlich an. »Die Menschen sind keine Seuche, die die Welt befallen hat. Es ist unsere Pflicht, sie zu beschützen. Es ist unsere alleinige Aufgabe.«
»Sie sind wie die Pest!« Dominik stürzte sich auf Seth, der sich außer Reichweite brachte, seinen Bruder aber immer noch nicht näher an Ethan heranbringen konnte.
Wer hatte behauptet, dass dieser Teil leicht sein würde? Einfach das Monster packen, hatte sie gesagt, und ihm seine Macht nehmen. Ich fluchte leise und versuchte meine eigene Strategie. Wenn Seth ihn nicht näher bringen konnte, dann konnte ich das vielleicht.
»Dominik!«, rief ich und ließ das Schwert in meiner Hand rotieren. Ich hoffte, dass diese Ablenkung ausreichen würde. »Kämpfe wie ein Mann!«
»Ich bin mehr als nur ein Mann.« Aber er war zu beschäftigt mit Seth, als dass er sich um mich kümmerte. Er schubste Seth wie ein primitiver Schläger vor sich her, und als Seth sich in die Luft erhob, folgte er ihm. Seine Flügel machten ein leise flatterndes Geräusch.
»Jedes mächtige Wesen dient einem Zweck«, sagte Dominik. »Ich habe ihm gedient, und ich wurde trotzdem bestraft. Meine Schwingen sind der beste Beweis.«
Seine Stimme klang genau wie Seths und war doch anders. Das Timbre war identisch, aber der Tonfall war irgendwie anders. Seth sprach normal; Dominik aber betonte alles.
»Du wurdest nicht bestraft«, sagte Seth. »Du hast furchtbare Dinge getan, und die Veränderung deines Körpers war eine Folge davon.«
Sie kämpften in der Luft, die Zwillinge des Lichts und der Dunkelheit, genau wie auf dem Bild, das mir der Bibliothekar gezeigt hatte. Es kam mir der Gedanke, dass ich einem urzeitlichen Kampf beiwohnte, der fundamentaler nicht sein konnte. Wesen vom Anbeginn der Zeit entschieden in dieser Auseinandersetzung, ob die Menschen das Recht bekommen sollten, sich selbst zu regieren.
»Catcher!«, rief ich. »Schleudere ihm Magie entgegen!«
»Ich könnte Seth treffen!«, rief er zurück. Wenn man bedachte, gegen was wir hier antraten, wusste ich seine Sorge um mögliche Kollateralschäden sehr zu schätzen.
Sie schoben sich voneinander weg, trennten sich mitten in der Luft, bevor sie sich wieder aufeinanderstürzten. »Ich habe die Entscheidungen getroffen, die niemand anders treffen wollte!«
»Du hast Menschen und Städte vernichtet.«
»Sie hatten es verdient.«
»Das hattest nicht du zu bestimmen!« Seth schrie nun lauter, und seine Worte waren bestimmt im gesamten Park zu hören. Ich musste davon ausgehen, innerhalb weniger Minuten Polizeisirenen aufheulen zu hören oder fotografierende Anwohner verscheuchen zu müssen, und beschloss daher zu handeln.
Ich nahm Anlauf, hielt mein Schwert hoch und sprang hinauf zu den fliegenden Derwischen. Meine Klinge streifte die Haut von Dominiks linkem Flügel. Er schrie vor Schmerzen auf, und sein Flügel schlug so kräftig, dass ich quer durch die Luft flog, genau wie Jonah bei der Pressekonferenz.
Ich prallte mit einem dumpfen Krachen auf den Boden. Der Aufschlag nahm mir für einen Augenblick die Luft.
Der Regen hatte den Boden aufgeweicht und den Spielplatz matschig werden lassen. Die letzten Spuren des Sigills waren nun fortgewaschen. Ethan und Mallory warteten, bereit, ihre Magie einzusetzen, die die Luft um sie herum vor Energie summen ließ.
Seth und Dominik rollten durch den Schlamm, und das brachte den oberen Rand von einem der Flügel Dominiks in Ethans Reichweite.
»Ethan, Mallory, jetzt!«, schrie ich.
Ethan packte den Rand von Dominiks Flügel. Es dauerte eine Sekunde, und dann schrie Mallory laut auf, als die Verbindung zwischen ihnen hergestellt wurde. In ihrem Schrei lag keine Freude.
Dominik brüllte erneut und schlug mit seinem Flügel, um Ethan loszuwerden. Er legte die Hände zusammen, und mit knisternden Lichtblitzen erschien zwischen ihnen das riesige Breitschwert. Er schlug nach Ethan, aber Ethan wich dank seiner vampirischen Kräfte der Klinge aus und ließ nicht los. Mallory ließ die Verbindung zwischen ihnen nicht abreißen.
»Wir haben’s gleich«, sagte Mallory mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Dominik bäumte sich auf und brüllte erneut wie ein verletzter Löwe. Catcher ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Er brachte zwei hellblau leuchtende Kugeln ins Spiel und schleuderte sie Richtung Dominik.
Sie explodierten mit tausend blauen Funken auf seiner Brust. Dominik fiel mit einem schweren Krachen zu Boden.
Aber dasselbe galt für Ethan und Mallory.
Die schwarze Magie hatte ihre Arbeit getan, und damit war auch der Regen vorbei.
Ich wusste, dass jede Verschnaufpause nur vorübergehend sein konnte. Ich stand trotz meiner Schmerzen erneut auf und humpelte auf sie zu.
»Mallory! Ethan!«
Ethan hielt Dominik immer noch fest, aber die Magie schien auch ihn außer Gefecht gesetzt zu haben. Catcher zerrte Mallory fort. Ihre Handinnenflächen waren rot und aufgeplatzt von der Magie, die sie aus Dominik herausgezogen hatte. Ich zog Ethan fort und ignorierte dabei nicht nur den blutenden Schnitt an seinem Arm, sondern auch sein köstlich duftendes Blut.
»Pass auf ihn auf!«, forderte ich Seth auf, aber Dominik stand schon wieder und brüllte vor sich hin, bevor ich überhaupt mein Schwert wiederentdeckt hatte. Doch Seth hatte verstanden.
Ich tätschelte Ethans Gesicht. »Ethan! Wach auf.«
Er setzte sich plötzlich auf und hustete schwer. Er schnappte nach Luft, als ob Mallory ihm den Sauerstoff aus den Lungen gesaugt hätte. »Alles okay. Ich bin in Ordnung.«
Tränen stiegen mir in die Augen. »Gott sei Dank. Hat es geklappt?«
»Ich glaube schon. Ich habe unerhört viel Magie gespürt. Wenn er jetzt noch welche besitzt, dann hat er einen beschissen großen Vorrat davon.«
Ich konnte mir die sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. »Lehnsherr! Habt Ihr Euch da nicht gerade im Wort vergriffen?«
Doch Ethan konzentrierte sich auf die wesentlichen Sachen. »Hüterin«, sagte er schwach und deutete wieder in Richtung Kampf.
Dominik hatte Seth in den Schlamm gedrückt und verdrosch ihn, ganz der ältere Bruder. Ich stolperte wieder auf die Beine und wischte mein dreckig gewordenes Schwert an meiner Lederhose ab.
Ich wollte gerade angreifen, in der Hoffnung, dass Ethan mit Dominik recht behielt, als ich ein neues Problem entdeckte.
Mallory war wieder auf die Beine gekommen. Ihre Haare umgaben ihren Kopf wie ein statisch aufgeladener Heiligenschein, und schwarze Magie funkelte in ihren Augen.
Ich seufzte, und mir machte wieder die Angst zu schaffen, dass sie ihre Sucht niemals würde besiegen können. Nicht, wenn ein wenig dämonische Magie abzuleiten sie wieder rückfällig werden ließ.
Aber dann sah sie mich an, und ich sah in ihrem Blick, wie in ihr der Kampf tobte.
Sie hatte sich der schwarzen Magie nicht ergeben. Sie versuchte sie zu unterdrücken.
»Paige, Catcher. Helft ihr. Sie muss die Magie loswerden!«
Während sie an ihre Seite eilten, wendete ich mich wieder Dominik und Seth zu. Ich atmete tief durch.
»Jetzt oder nie«, murmelte ich und rief seinen Namen. »Dominik!« Ich ließ mein Schwert in meiner Hand rotieren, einmal, zweimal. Dominik sah zu mir zurück, grinste wahnsinnig und stand auf. Seth lag regungslos im Schlamm. Auf seinen Flügeln waren mehrere blutende Schnitte zu sehen, und eine klaffende Wunde zog sich über seine Schulter.
Wenn es geschehen sollte, dann musste ich dafür sorgen.
»Hallo, Ballerina.«
»Du hast nicht das Recht, mich so zu nennen.« Ich wich ein wenig vor ihm zurück, damit der Kampf nicht mehr in der Nähe der anderen stattfand.
»Ach nein?«, sagte er. »Ich war die ganze Zeit dabei. Ich habe alles gesehen, was er gesehen hat, all eure Gespräche.«
Eine seiner Schwingen zuckte vor, und ich rollte mich auf dem Boden ab, um ihr auszuweichen. Als ich wieder aufstand, klebte Schlamm an mir, und ich hatte überall Prellungen.
»Du warst nicht eingeladen«, wies ich ihn zurecht. »Du warst ein Spion.« Sein anderer Flügel zuckte vor. Die Klauen am Rande seiner Flügel kratzten über den Boden, und ich sprang hoch, um ihnen auszuweichen. Ich landete in geduckter Haltung auf der anderen Seite.
»Du hast wirklich Talent«, sagte er und sah mich an.
Er stieß mit seinem Schwert nach mir, und ich entschuldigte mich innerlich bei meinem Katana, dass es nun mehrere Kerben abbekommen würde, und konterte seinen Schlag.
Der Aufprall der beiden Schwerter sandte Schmerzen meinen Arm hinab.
Dominik lachte und schlug auf mich herab. Ich wehrte den Angriff ab, indem ich sein Schwert zur Seite stieß, und nutzte den Schwung, um einen Butterfly-Kick anbringen zu können. Ich schaffte es, seine Niere zu treffen, aber sein Flügel peitschte auf mich herab. Eine Klaue traf mich und riss eine tiefe Wunde in meine Wade. Der plötzliche Schmerz war unglaublich heftig und rief eine Übelkeit hervor, die nur magischen Ursprungs sein konnte.
Ich stolperte zur Seite, packte mein Schwert und wandte mich ihm wieder zu.
»Tut weh, nicht wahr?«
Wasser lief mir aus meinem schlammigen, zerzausten Pony in die Augen. »Fühlt sich nicht wie schnurrende Katzen an«, gab ich zu. Ich ignorierte den Schmerz, stürzte mich auf ihn und schlug ihm mit dem Schwert eine zehn Zentimeter lange Wunde in den linken Flügel.
Er schrie auf und warf mich wie eine Puppe zur Seite. Ich krachte wieder auf den Rücken, wieder in eine Pfütze kalten Wassers, und versprach mir selbst ein heißes Bad, wenn ich es nur schaffte, wieder aufzustehen.
Ich stützte mich mit einer Hand hinten ab, bog meinen Körper durch und sprang auf die Beine.
Dominik hinkte auf mich zu. Sein Flügel war schwer verletzt, blutete und bereitete ihm offensichtlich Schmerzen. »Du weißt einfach nicht, wann man aufhören muss, oder?«
»Das gilt wohl auch für dich.« Ich lockerte kurz meinen Griff und packte dann erneut mein Schwert für den nächsten Angriff.
Er war müde und verletzt. Sein nächster Angriff war zwar schlampig ausgeführt, aber immer noch kraftvoll. Ich rollte mich unter dem einfachen Frontalangriff ab, hielt mein Schwert fest, damit es mir bei all dem Schlamm und Dreck nicht entglitt, und trat ihm die Beine weg. Er ging krachend zu Boden. Schnell versuchte ich wegzukrabbeln, aber er bekam meine Hose zu fassen.
»Wir sind noch nicht fertig«, sagte er und zog mich zu sich.
»Wir sind am Ende«, versicherte ich ihm und trat ihm so lange in seine stahlharte Brust, bis er mich aus einem Reflex heraus losließ.
Ich atmete ein wenig schneller als in meinen Übungsstunden – welche Überraschung – und schaffte es wieder auf die Beine.
Ich konnte den Kampf noch ein wenig hinauszögern, aber was die Ausdauer und rohe Gewalt anging, würde er mich irgendwann schlagen. Diesen Zermürbungskrieg konnte ich nur verlieren.
Ich erinnerte mich an das, was ich vorher gesagt hatte. Die Gewinnchancen verbessern.
Während Dominik mühsam wieder auf die Beine kam, sah ich mich um … und entdeckte etwas Nützliches.
Ich tat so, als ob ich schwer verletzt rückwärtshinkte, und hielt mein Schwert vor mir ausgestreckt.
Dominik pirschte sich an seine Beute heran. In seinem Blick lag das Funkeln des Siegers. Ich nutzte all meine Musical-Erfahrung und brachte einige überzeugend klingende Schmerzensschreie zustande.
Er grinste teuflisch und hob sein Schwert. Als ich so tat, als ob ich rückwärtsstolpern und hinfallen würde, rannte er in die ineinander verhedderten Schaukelketten.
Das war meine Gelegenheit.
Dominik mochte wieder seine menschliche Form angenommen haben, aber ich nicht. Ich hatte immer noch die Stärke und Geschwindigkeit eines Vampirs, und bei Gott, ich würde sie jetzt nutzen. Ich ließ mein Schwert fallen.
Ich war so schnell, dass meine Bewegungen für ihn nur schemenhaft zu erkennen waren. Ich riss die Ketten aus ihren Verankerungen. Die Kettenglieder waren noch stabil, aber ihre Verbindungen zu der Schaukel waren, wie ich gehofft hatte, durchgerostet. Ich rannte um Dominik herum, und als er verzweifelt versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, blieben seine Flügel an den Seitenstreben hängen. Ich umwickelte ihn mit den Ketten, bis er regungslos gefangen war und die Demütigung ihn laut aufbrüllen ließ.
Das mit dem Brüllen konnte er ganz gut.
Ich holte mir mein Schwert und stellte mich mit erhobenen Armen vor ihn hin, die Schwertspitze auf ihn gerichtet. Ich war bereit, es zu Ende zu bringen.
»Tu es«, sagte Dominik. »Lass zu, dass deine Hexe lebt, und beende mein Leben.«
»Es bereitet mir keine Freude«, sagte ich zu ihm. »Das ist der Unterschied zwischen uns.«
»Sind wir wirklich so verschieden, Hüterin? Du tötest, weil du es für richtig hältst. Genau wie ich.«
»Ich töte, um das Leben anderer zu retten. Im Gegensatz zu dir mache ich mir keine Illusionen, dass es mich zu einem besseren Vampir macht.« Mit zitternden Händen bereitete ich mich auf den alles entscheidenden Schlag vor.
»Nein!«
Ich erstarrte und sah über meine Schulter. Seth hinkte auf uns zu. Er hielt seinen verletzten Arm, und einer seiner Flügel schleifte auf dem Boden hinter ihm her. »Halt, Merit. Das ist nicht deine Aufgabe.«
Er zuckte zusammen, als er seine gesunde Hand ausstreckte. »Ich werde es tun«, sagte Seth. »Ich werde seinem Leben ein Ende setzen.«
Ich sah ihn an. »Du hast noch nie getötet. Bist du sicher, dass du damit jetzt anfangen willst?«
»Er war jahrhundertelang ein Teil von mir. Er ist im Guten wie im Bösen mein Bruder. Sein Blut sollte an meinen Händen kleben, nicht an deinen.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm widersprechen sollte. Mir schmeckte der Gedanke nicht, einen wehrlosen Mann zu töten, aber es gab keinen Zweifel daran, dass er weiter töten würde, wenn wir ihn nicht daran hinderten. Und Seth wurde offensichtlich schon von großer Trauer geplagt, und ich wollte ihm nicht noch eine weitere Bürde auferlegen.
»Es würde mir Frieden schenken«, sagte er, »zu wissen, dass du nicht gezwungen warst, ein weiteres Leben in meinem Namen zu nehmen. Es würde mir dabei helfen, für den angerichteten Schaden Buße zu tun. Für die Schmerzen. Für das Leiden.«
Es gab keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Er war ein erwachsener Mann – und ein guter noch dazu, wie sich mittlerweile herausgestellt hatte. Ich reichte ihm das Schwert.
Er nickte, und als er seine Finger um den Schwertgriff legte und seine Augen sich schlossen, hätte ich schwören können, dass er kurz erzitterte. »Diese Klinge wurde mit deinem Blut temperiert.«
Ich nickte.
Seth verbeugte sich über dem glänzenden Stahl meiner Klinge. »Es ist mir eine große Ehre, Merit von Cadogan, ein Schwert zu verwenden, das so ehrenvoll gefertigt wurde.«
Ich blinzelte überrascht und drückte Ethans Hand fest, als er sie mir reichte.
Seth ging zu Dominik, dessen Flügel immer noch gefesselt waren, und sah auf ihn hinab. »Himmelsbote, du hast in deiner Aufgabe versagt, und du hast der Gerechtigkeit einen schlechten Dienst erwiesen. Du hast dich geweigert, diese Welt zu verlassen, als dein Name in das Buch berufen wurde. Heute Nacht wird dir Gerechtigkeit widerfahren.«
Dominik schluckte schwer, nickte dann aber. »Es soll Gerechtigkeit geschehen.«
Seth hob das Katana und hielt es waagerecht zum Boden. Mit einem einzigen Hieb schlug er durch Dominiks Brustkorb. Dominik und Seth schrien gleichzeitig auf, und Licht brach aus der Wunde hervor, die Seth ihm geschlagen hatte, wütend und rot, und die Strahlen jagten durch die Nacht wie wild gewordene Drachen. Die Wunde klaffte immer weiter auseinander, und schließlich war Dominiks gesamter Körper in Licht gehüllt. Das Licht fing an zu pulsieren, immer schneller, wie ein schlagendes Herz, bis es in eine Million roter Funken zerstob.
Sie flogen über den Himmel und verglühten in der Bewegung. Dann war das Licht fort und mit ihm Dominik. Die einzige Spur von ihm war das Blut, das noch an meinem Schwert klebte.
Ohne ein weiteres Wort wischte Seth mein Schwert an seiner Hose sauber und legte es vorsichtig auf den Boden. »Es ist geschehen.«
Und damit war der Krieg zu Ende. Das Einzige, was fehlte, waren Soldaten und Krankenschwestern, die sich jubelnd in die Arme fielen. Stattdessen hatten wir Vampire und Hexenmeisterinnen.
Jeff und Paige umarmten einander. Catcher presste Mallory an sich und hielt sie fest umschlungen. »Es ist vorbei. Es ist vorbei.«
Ich sah zu Ethan auf, der seine Augen erleichtert geschlossen hatte.
»Sie ist fort«, sagte er. »Oh mein Gott, sie ist fort.«
Gott sei Dank, dachte ich und schickte ein Stoßgebet an wen auch immer und umarmte ihn. Er erwiderte meine Umarmung.
»Sie ist fort«, sagte er wieder.
»Ich hab’s gehört. Herzlichen Glückwunsch.« Uns beiden, dachte ich.
»Du warst fantastisch. Ein unvergesslicher Anblick. Das mit der Schaukel war brillant.«
»Ich hatte einen guten Lehrer.«
»Vergiss das bloß nicht«, flüsterte er und küsste mich auf die Stirn.
»Sie meinte mich«, sagte Catcher. »Gott, sind Vampire arrogant.«
Ich musste lächeln. Vielleicht kehrten wir jetzt doch wieder zur Normalität zurück. Was immer das hieß.