11
Pläne haben es so an sich, schief zu gehen. Rasender Elch kehrte am nächsten Morgen zurück, noch bevor es zur Flucht kommen konnte. Ashley war draußen, als der Häuptling plötzlich aus den Hügeln auftauchte. Hohlwangig und mit eingesunkenen Augen, wirkte Rasender Elch, als stände er am Rande eines Zusammenbruchs. Seine Haut wies zahlreiche Schnittwunden auf, die er sich mit seinem Messer selbst zugefügt hatte, und er schien seit Tagen nicht geschlafen und gegessen zu haben. Ohne nach rechts oder links zu blicken, schritt er geradewegs zu Traumdeuters Tipi.
Ashley beobachtete bestürzt, wie er sich ins Zelt des Schamanen duckte. Sie war enttäuscht, weil ihre Flucht durch die Rückkehr des Häuptlings gefährdet war. Als hätte Tanner ihre Gedanken erraten, legte er beschützend einen Arm um ihre Schulter.
In Traumdeuters Tipi brach Rasender Elch auf dem Lager neben dem heiligen Mann zusammen. Er schloss die Augen und versuchte, sich an seine Vision zu erinnern, sodass er sie exakt für Traumdeuter wiederholen konnte.
Traumdeuter wartete geduldig, während Rasender Elch seine Kräfte sammelte, um zu berichten. Er bot dem Häuptling Wasser an, und Rasender Elch trank durstig.
»Ich hatte befürchtet, der Große Geist hätte mich verlassen, als keine Vision kam«, sagte Rasender Elch schwach. »Ich bot Tabak an, betete, fastete, sprenkelte Salbei auf das Feuer, um die bösen Geister zu vertreiben, und schnitt in meine Haut, doch immer noch kam keine Vision. Gestern Nacht glaubte ich, auf dem Berg sterben zu müssen. Ich schloss meine Augen, bereitete mich darauf vor, den Willen des Großen Geistes zu akzeptieren, und plötzlich erwachte mein Verstand für die Vision.«
Traumdeuter nickte weise. »Was hat der Große Geist dir offenbart? Hat er dir den Pfad gezeigt, dem du folgen musst?«
»Ich bin direkt zu deinem Tipi gekommen, damit du meine Vision deuten kannst«, sagte Rasender Elch. Seine Stimme war rau. Er entspannte sich gegen die Rückenstütze, schloss die Augen und begann zu berichten. »Meine Vision war sehr verwirrend. Vor meinen Augen schlugen plötzlich Flammen aus der Prärie und loderten zum Himmel. Ein Pfad bildete sich, und der Feind ritt völlig unversehrt durch die Flammen. Dann war ich plötzlich da, auf meinem Pferd und von unseren Kriegern umgeben. Unsere Gesichter und unsere Pferde trugen Kriegsbemalung, als wir den Blauröcken entgegenritten. Immer wieder trieben uns Flammen und Hitze zurück. Zu unserem Entsetzen schienen das Feuer und die Hitze nicht die gleiche Wirkung auf den Feind zu haben.
Plötzlich erschien Flamme an meiner Seite. Sie sagte mir, sie würde Regen herbeirufen, um die Feuer zu löschen, wenn ich ihre Freilassung garantierte. Da der Feind fast heran war, blieb mir nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Bevor wir dem Feind entgegenritten, schnitt sie eine Locke von ihrem Haar ab und gab sie mir. Ich flocht sie in mein eigenes Haar und spürte, wie ihre große Stärke in mich floss. Der Feind floh vor uns, und der Tag gehörte uns. Als ich zu Flamme zurückkehrte, verlangte sie erneut ihre Freilassung. Ich widersetzte mich, und Flamme wurde ärgerlich und richtete ihren Zorn gegen mich. Dann gab es einen Donnerschlag, und Blitze zerrissen den Himmel. Ich sah deutlich, wie unser Volk sterben würde, wenn ich Flammes Wunsch nicht erfüllen würde.«
Abrupt endete sein Bericht. Er öffnete die Augen und erschauerte. »Was hat das zu bedeuten, Traumdeuter?«
Der Schamane schwieg lange. Schließlich begann er die Vision zu deuten.
»Deine Vision ist eine Warnung. Flammes Kraft ist sogar noch größer, als wir gedacht haben. Sie ist unglücklich bei uns. Sie will uns verlassen. Deine Vision zeigt, wie leicht sie ihre Kraft gegen uns richten kann, wenn sie das will. Es ist klar, dass der Große Geist wünscht, dass wir sie gehen lassen.«
»Aber was ist mit deiner eigenen Vision?«, fragte Rasender Elch. »Du hast doch eine weiße Frau mit Flammenhaar in deiner Vision gesehen? Eine, deren Stärke unserem Stamm nutzen wird?«
»Deine Vision enthüllt, dass ihre Macht bei uns bleiben kann, auch wenn sie uns verlassen hat. In deiner Vision wurdest du stark und unbesiegbar, als du ihr Haar mit deinem eigenen verflochten hast.«
Rasender Elch nickte. »Das stimmt.«
»Das Feuer, dass du auf der Prärie lodern sahst, bedeuten Blutvergießen. Flammes Eingreifen brachte unserem Volk den Sieg. Deine Vision war ganz klar. Wir können es uns nicht erlauben, Flamme zu verärgern.«
»Wenn ich mich mit ihr vereinige, wird ihre Macht auf mich übergehen«, prahlte Rasender Elch.
Traumdeuter schüttelte den Kopf. »Flamme ist bereits verheiratet.«
»Pah, mit einem Bleichgesicht. Er ist nicht der richtige Mann für Flamme.«
»Du kannst dich nicht mit ihr vereinigen. Der Große Geist hat es dir verboten. Geh in dein Tipi und ruhe dich aus, Rasender Elch. Wenn du dich erholt hast, musst du deine Vision nach den Wünschen des Großen Geistes erfüllen.«
Es blieb nichts mehr zu sagen. Erschöpft in Körper und Geist erhob sich Rasender Elch und verließ mit unsicheren Schritten Traumdeuters Zelt. Er ging zu seinem eigenen und stoppte abrupt, als er Jake Harger inmitten des Dorfes an den Pfosten gefesselt sah.
»Wird auch Zeit, dass du zurückkommst!«, grollte Harger. »Ich dachte, wir wären Freunde. Ich bin mit einer Ladung ... Ware gekommen und wie ein Verbrecher behandelt worden.«
Morgennebel eilte zu ihrem Bruder, darauf vorbereitet, ihren Mann zu verteidigen. »Der Händler ist kein ehrbarer Mann«, sagte sie zu Rasender Elch. »Er ist Flamme in den Wald gefolgt und hat versucht, sie zu vergewaltigen. Mein Mann hat es verhindert.«
Rasender Elchs Miene verfinsterte sich. »Warum hat Flammes eigener Mann sie nicht beschützt?«
»Er war auf der Jagd. Flamme ging in den Wald, um wilde Zwiebeln zu sammeln. Da fiel der Händler über sie her. Aber das ist nicht seine einzige Missetat. Sehattenmann wurde bei den weißen Menschen ins Gefängnis gesteckt, weil er für ein Verbrechen beschuldigt wurde, das der Händler begangen hat.«
Rasender Elch heftete seinen finsteren Blick auf Harger. Er hatte befohlen, Flamme kein Haar zu krümmen, und der Gedanke, dass Harger sie angerührt hatte, nahm den Händler nicht gerade für ihn ein.
»Jake Harger handelt mit Schmuggelware«, erklärte Cole, als er, Ashley und Tanner sich zu Morgennebel gesellten. »Es ist gegen das Gesetz, Waffen an Indianer zu verkaufen. Und vergiss nicht, dass er versucht hat, meiner Schwester etwas anzutun.«
»Handel ist kein Verbrechen«, erwiderte Rasender Elch. »Das Gesetz der Sioux verbietet ihn nicht. Wir brauchen Waffen, um gegen den Feind zu kämpfen.«
»Du kannst diesen Kampf nicht gewinnen«, sagte Cole traurig. »Es gibt mehr Weiße als Grashalme auf der Prärie. Sie überqueren die Berge von Osten in stetig zunehmender Zahl. Wir sollten lernen, miteinander in Frieden zu leben. Du musst mich Harger nach Fort Bridger bringen lassen, damit ich ihn den Behörden übergeben kann.«
Harger protestierte heftig. »Hör nicht auf ihn, Rasender Elch! Lass mich jetzt frei, und ich versorge dich weiterhin mit Handelswaren. Du kannst es dir nicht leisten, zu verlieren, was ich deinem Volk liefere.«
»Schattenmann ist mein Mann«, sagte Morgennebel zu Rasender Elch. »Wenn ich dir etwas bedeute, dann wirst du ihn Harger nach Fort Bridger bringen lassen. Harger ist der Einzige, der Schattenmann vor einer Mordanklage bewahren kann. Mein Mann ist nicht fähig, kaltblütig zu morden.«
»Du bedeutest mir viel, kleine Schwester, aber was du verlangst, ist unmöglich. Wir brauchen Waffen, um den Feind zu besiegen.«
»Ihr könnt in die Berge gehen und dort in Frieden leben«, schlug Ashley vor. »Wenn du uns gehen lässt, wird meine Macht hier bleiben.« Sie hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte, doch sie fühlte sich verpflichtet, etwas zu sagen.
Rasender Elch bedachte sie mit einem unergründlichen Blick. »Wie kann uns deine Kraft helfen, wenn du nicht hier bist?« Seine Vision hatte ihm das bereits gesagt, doch er wollte es von Flamme hören.
Für einen Moment war Ashley verwirrt. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Ich lasse etwas bei dir zurück, das dir Macht geben wird.«
Sie hatte keine Ahnung, was sie zurücklassen würde, aber der Gedanke schien Rasender Elch zu erfreuen.
»Hör nicht auf die Schlampe«, schnarrte Harger. »Sie ist eine Schwindlerin.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Rasender Elch, als er sich zu seinem Tipi aufmachte. »Ich muss ausruhen und mich erholen, bevor ich klar denken kann.«
»Was ist mit deiner Vision, Bruder?«, rief Morgennebel ihm nach. »Kannst du uns etwas darüber sagen?«
»Ich kann meine Vision nicht mit dir teilen. Nur Flamme kann sie wahr werden lassen. Sie wird frei sein, wenn sie ihre Kraft zurücklässt.«
»Was, zur Hölle, meint er damit?«, wollte Tanner wissen.
Ashley nagte an der Unterlippe und grübelte über Rasender Elchs Worte. »Ich wünschte, ich wüsste es.«
»Ihr werdet mich nie nach Fort Bridger bringen«, warnte Harger. »Rasender Elch wird es nicht zulassen. Er wird auch die Frau nicht gehen lassen. Jeder Idiot kann erkennen, dass er mit ihr schlafen will. Sobald er zu Verstand kommt, wird er mich freilassen. Denk an meine Worte, Webster: Ich werde nicht den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen.«
»Du quatschst zu viel, Harger«, sagte Cole und wandte sich ab. »Ich werde dich töten, bevor ich zulasse, dass Rasender Elch dich freilässt, damit du dein verbrecherisches Leben nicht fortsetzen kannst.«
»Verschwende nicht deinen Atem bei dem Bastard«, sagte Tanner. »Warten wir auf die Entscheidung des Häuptlings, bevor wir etwas Übereiltes tun. Unterdessen haben wir alle Zeit, uns zu überlegen, wie Ashley ihre Kraft bei Rasender Elch zurücklassen kann.«
»Ich habe überhaupt keine besondere Macht«, erinnerte Ashley ihn. »Wie kann ich etwas bei Rasender Elch zurücklassen, was gar nicht da ist?«
»Rasender Elch denkt anders darüber. Es ist gefährlich, ihn jetzt eines Besseren zu belehren. Wir sind noch am Leben, weil er glaubt, dass du eine starke Macht besitzt. Diese Schau mit Blitz und Donner vor ein paar Tagen hat ihn tief beeindruckt. Wir müssen uns etwas ausdenken, das ihn überzeugt, sodass er uns freilässt. Du kennst deinen Bruder am besten, Morgennebel; was kann er meinen?«
»Es ist klar, dass seine Vision Flamme betrifft. Er erwartet etwas von ihr. Wir müssen warten, bis er preisgibt, was er will. Vielleicht wird Flamme eine Idee haben, wenn es so weit ist.«
Als die Sonne am höchsten stand, tauchte Rasender Elch aus seinem Tipi auf. Er wirkte erholt und entspannt. Ein paar Stunden Ruhe hatten ihm seine Kraft wiedergegeben. Sofort eilte Frühlingsregen mit einer Schale Essen zu ihm. Er lächelte sie an, und Frühlingsregen strahlte mit einem Lächeln zurück, das verriet, wie begierig sie darauf war, die Zuneigung des Mannes wiederzugewinnen, der einst ihr Ehemann gewesen war.
Nachdem der Häuptling gegessen und getrunken hatte, schickte er Frühlingsregen los, um Ashley, Tanner und Cole zu holen. Morgennebel begleitete Cole, obwohl sie nicht gerufen worden war. Rasender Elch wartete geduldig, bis sie in einem Kreis um ihn herum saßen, bevor er das Wort ergriff.
»Der Große Geist hat mir eine Vision gewährt«, begann er ohne Einleitung. »Ich kann sie euch nicht als Ganzes preisgeben. Ich kann nur sagen, dass ich die Prärie in Flammen sah und das Volk in großer Gefahr war, vernichtet zu werden. Dann erschien Flamme an meiner Seite. In meiner Vision rief Flamme Regen vom Himmel, der die Feuer löschte, und sie gab mir die Macht, den Feind zu besiegen. Als Gegenleistung verlangte sie die Freiheit.«
Ashley wurde aufgeregt. »Wenn ich dir meine Macht gebe, wirst du mich dann wirklich freilassen? Sind Tanner und Cole dann ebenfalls frei? Wirst du uns erlauben, Jake Harger mitzunehmen?«
Tanner drückte ihre Hand, versuchte sie stumm zu ermahnen, vorsichtig zu sein. Rasender Elch war listig. Tanner traute ihm nicht. »Wie hat Flamme denn ihre Kraft auf dich übertragen, Rasender Elch?«
Der Häuptling starrte auf Ashleys rotes Haar und dachte, dass die Farbe mit dem Rot des Sonnenuntergangs konkurrierte. Nein, die Farbe übertrifft ihn noch, dachte er, als er eine Locke der glänzenden Haarfülle durch seine Finger gleiten ließ.
Plötzlich erkannte Ashley, was genau sie tun musste, um ihre Freiheit und die von Tanner und Cole zu erreichen. Rasender Elchs Vision hatte einen Hinweis geliefert. Spontan und ohne daran zu denken, wie leichtsinnig und gefährlich ihr Verhalten war, riss sie Rasender Elchs Messer aus der Scheide an seiner Hüfte.
»Ashley!« Tanner erbleichte, entsetzt über Ashleys Frechheit. War ihr nicht klar, dass sie der Gnade des Häuptlings ausgeliefert waren?
Rasender Elch machte keinerlei Anstalten, Ashley zu stoppen. Er starrte sie an und wusste offenbar, was sie wollte. Er verbot Tanner mit einem gebieterischen Wink, Ashley das Messer abzunehmen, und beobachtete, wartete.
Ashley griff mit der linken Hand in ihr Haar, hob die Hand mit dem Messer und schnitt. Morgennebel schrie bestürzt auf, als sie sah, wie eine große Locke auf Ashleys Handfläche fiel. Ashley schaute bedauernd darauf und bot die Locke dann Rasender Elch an.
Tanners Herz pochte heftig, und ihm stockte der Atem, bis er Rasender Elchs erfreute Miene sah. Ehrfürchtig nahm der Häuptling die abgeschnittene Locke entgegen.
»Jetzt hast du einen Teil von mir, Rasender Elch«, sagte Ashley feierlich. »Ich schenke dir meine Medizin. Du brauchst mich nicht mehr als Glücksbringerin für dein Volk. Lass uns gehen. Wenn du mich weiterhin gegen meinen Willen hier hältst, wird meine Macht dir nichts nutzen.«
Rasender Elch starrte auf die Locke auf seiner Handfläche und glaubte bereits zu spüren, wie die Kraft in seinen gesamten Körper überging. Er stellte sich vor, wie sein Körper anschwoll und sich mit Stärke füllte. Er fühlte sich unbesiegbar, unverwüstlich. Er packte eine Strähne seines eigenen Haars und flocht geschickt Ashleys Haar hinein. Einen Moment später fiel ein Sonnenstrahl durch den Rauchabzug des Tipis auf die Locke und vermischte sich mit dem Schwarz seines Haars, und so bizarr es auch sein mochte, es schien den Häuptling tatsächlich mit zusätzlicher Kraft zu erfüllen.
»Du bist frei und kannst gehen, Flamme. Meine Vision hat mir offenbart, dass dein Zorn über uns kommen wird, wenn ich dich gegen deinen Willen hier behalte.« Er berührte sein Haar mit der eingeflochtenen roten Locke. »Deine Kraft gehört jetzt mir.«
»Dürfen wir alle gehen? Ich werde nicht zulassen, dass du Tanner oder Cole hier behältst.«
»Ihr alle dürft gehen. Ihr könnt euch Pferde und Proviant für den Ritt zum Fort nehmen. Aber denkt nicht einmal daran, die Soldaten zu uns zu führen«, warnte er. »denn wir werden nicht hier sein, wenn sie eintreffen.«
Morgennebel atmete zitternd ein. Sie liebte Cole über alles. Der Gedanke an eine Trennung von ihm war unsagbar schmerzlich für sie.
Der Ausdruck von Morgennebels schönem Gesicht verriet Cole genau, was sie dachte. Ungeachtet aber seiner Gefühle für seine indianische Braut musste er Harger zum Fort bringen, damit ihm der Prozess gemacht wurde. Erst wenn der Verbrecher an seiner Stelle verurteilt und er, Cole Webster, rehabilitiert war, konnte er seinen Seelenfrieden finden. »Ich nehme Jake Harger mit, Rasender Elch. Er ist ein Mörder, unter vielem anderem. Und er muss für seine Verbrechen bestraft werden.«
Rasender Elch runzelte die Stirn. »Du bist der Mann meiner Schwester, Schattenmann. Sie wünscht nicht, dass du sie verlässt.«
Ashley warf Morgennebel einen mitfühlenden Blick zu. Sie wusste, wie der Indianerin zumute war, denn sie empfand die gleiche Verzweiflung. Wenn sie erst das Dorf verlassen hatte, würde sie Tanner nicht halten können. Sie hatte ihn nur bezahlt, damit er sie sicher nach Fort Bridger brachte. Weil sich jetzt ihr Bruder um ihr Wohlergehen kümmern konnte, würde Tanner es bestimmt für unnötig halten, bei ihr zu bleiben.
Cole schenkte Morgennebel ein zärtliches Lächeln, bevor er Rasender Elch antwortete. »Ich bin in der Tat der Mann deiner Schwester. Ich verlasse sie nicht. Meine Abwesenheit wird nicht von Dauer sein.«
Morgennebel stieß einen Freudenschrei aus.
»Ich werde nur so lange fortbleiben, wie es dauert, Harger vor Gericht zu bringen und meinen Namen reinzuwaschen«, versprach Cole.
»Cole, willst du damit sagen, dass du hier im Dorf von Rasender Elch leben willst?«, fragte Ashley benommen.
»Ich kann nicht die Frau verlassen, die ich liebe, Ash. Bitte versteh das. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Morgennebel zu überreden, in unserer Welt zu leben, doch ob wir bei ihrem Volk bleiben oder nicht, liegt an ihr. Außerdem hast du jetzt Tanner; du brauchst mich nicht mehr.«
Ashley wartete darauf, dass Tanner Cole widersprach. Als er es nicht tat, spielte sie kurz mit dem Gedanken, ihren Bruder zu informieren, dass ihre Ehe mit Tanner nur zum Schein bestand. Abgesehen vom Sex, den sie beide wirklich genossen, war ihre Ehe Lug und Trug und aus falschen Gründen geschlossen worden. Doch die Zeit für ein Bekenntnis ging vorüber, als Cole sich noch einmal an Rasender Elch wandte.
»Wie lautet deine Antwort, Rasender Elch? Wenn ich meine Unschuld beweisen will, muss ich Harger zum Fort mitnehmen.«
»Bitte, Bruder«, setzte sich Morgennebel für Cole ein, »tu, was mein Mann erbittet. Der Händler ist ein schändlicher Mann. Er hat versucht, Flamme zu vergewaltigen. Allein dafür muss er bestraft werden.«
Der Häuptling saß schweigend und nachdenklich da, den Blick auf Morgennebel geheftet. Er liebte seine Schwester. Doch wenn er Harger auslieferte, würde der Strom an Waffen versiegen, die der Händler lieferte. Ohne Waffen konnte sich sein Volk nicht gegen die Bleichgesichter verteidigen, die sich das Land der Sioux aneigneten und ihre Büffel töteten. Kämpft mein Volk wirklich eine verlorene Schlacht, wie Schattenmann sagt?, fragte er sich. Sind Waffen und Munition nur eine vorübergehende Lösung?
Rasender Elch war schlau genug, um zu erkennen, dass sein Volk eines Tages von seinem Land vertrieben werden würde, um an unwirtlichen Orten leben zu müssen, an denen es an Nahrung mangelte. Größere Sioux-Häuptlinge als er waren gezwungen worden, die Forderungen der Soldaten zu erfüllen und mit ihrem Volk in Reservationen zu ziehen. Wie lange würde es dauern, bis er ihnen folgen würde?
»Nun, Rasender Elch? Wie lautet deine Antwort?«, drängte Cole. »Ich schwöre, dass ich Harger töten werde, bevor ich zulasse, dass er ungestraft davonkommt.«
»Und meine Kraft, die du anscheinend respektierst, wird dich nicht länger schützen, wenn du meinem Bruder keine Beachtung schenkst«, fügte Ashley hinzu.
Rasender Elch breitete kapitulierend die Arme aus. »Geht. Nehmt Jake Harger mit. Ich tue dies für meine Schwester, und weil ich Flamme und ihre Macht achte. Wenn der Händler ihr Böses tun wollte, verdient er Strafe. Wenn er von meinem Volk wäre, würde er in Schande aus dem Dorf getrieben werden, um für immer als Ausgestoßener leben zu müssen.«
»Du hast meinen aufrichtigen Dank«, sagte Cole und stand auf. Er streckte Morgennebel die Hand hin. »Komm, Frau, lass uns voneinander Abschied nehmen. Je eher ich aufbreche, desto schneller kann ich zu dir zurückkehren.«
Tanner erhob sich ebenfalls, und seine Miene war unergründlich. Ashley fragte sich, ob er bereits Pläne für ein Leben ohne sie schmiedete. Sie konnte ihm nicht verdenken, dass er sein eigenes Leben fortführen wollte. Aber wie er ihr fehlen würde! Er hatte sein Leben für sie riskiert, indem er ihr in dieses Dorf gefolgt war, obwohl er ihr Geld und ihre Wertsachen hätte nehmen und flüchten können. Würde er zu Ellen zurückkehren?
»Wir müssen Pläne machen«, sagte Tanner, als er in Ashleys Gesicht forschte, um ihre Gedanken zu ergründen.
Er versuchte, eine ausdruckslose Miene zu behalten und keine Gefühle zu zeigen. Wenn es nach Ashley ging, würde ihre Beziehung bald enden. Aber er würde sie in Foit Bridger nicht verlassen. O nein. Er würde sie nicht verlassen, bis er mit Sicherheit wusste, ob sie ein Kind von ihm bekam oder nicht. Und das konnte er nur herausfinden, wenn er für eine ganze Weile die Finger von ihr ließ.
Bei diesem Gedanken verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Die Lust, die er und die kleine Yankee teilten, war so stark, dass er sich nicht vorstellen konnte, bei ihr zu bleiben und sie nicht zu berühren. Und wenn er nicht die Finger von ihr ließ, dann... Dieser faszinierende Gedanke verdiente weitere Überlegung.
»Ja«, sagte Ashley und glaubte einen Kloß in der Kehle zu haben, »wir müssen Pläne machen.«
Als sie zu ihrem Tipi gingen, wünschte Tanner fast... nein, er verdiente es nicht, glücklich zu sein, verdiente keine Frau wie Ashley. Sie war eine Yankee, und er hasste Yankees, obwohl er zugeben musste, dass Cole und Ashley zu den besseren zählten. Durch Yankees war seine gesamte Familie ausgelöscht worden.
Nach der Tragödie, die ihm seine Mutter und Ellen genommen hatte, hatte ihn sein unbändiger Drang, alle Yankees zu töten, aus seinem geliebten Süden getrieben. Aber er konnte nicht weit oder schnell genug reiten, um der unausweichlichen Wahrheit zu entkommen: Er hätte Ellens Tod verhindern können. Sein Versagen hatte ihn zu einem herzlosen Rächer gemacht, der in seinem Zorn Vergeltung suchte. Er war kein geeigneter Partner für Ashley. Sie verdiente jemanden mit Herz. Jemanden, der sie lieben konnte, ohne von Geistern der Vergangenheit verfolgt zu werden.
Einige Stunden später, nach einem leidenschaftlichen und tränenreichen Abschied von Morgennebel, stand Cole vor Jake Harger und wartete auf Ashley und Tanner.
»Bist du hier, um mich freizulassen, Lieutenant?«, höhnte Harger. »Ich habe dir doch gesagt, dass Rasender Elch mich zu sehr braucht, um mich nach den Launen eines Weißen gefangen zu halten.« Sein Grinsen war pure Boshaftigkeit.
»Halt die Klappe, Harger. Du gehörst mir. Rasender Elch lässt dich nicht frei.«
Hargers Grinsen gefror. »Du lügst!«
»Irrtum. Da kommen Tanner und Ashley, um es zu bestätigen.«
Ungläubig starrte Harger Tanner und Ashley entgegen. Tanner schleppte seine Satteltaschen über der Schulter und Ashley trug einen Beutel mit Proviant für den Ritt.
»Bist du bereit, Cole?«, fragte Tanner, begierig darauf, aufzubrechen, nachdem er jetzt wusste, dass sie nicht aufgehalten werden würden. Er hatte den Aufbruch nur so lange hinausgezögert, um Cole und Morgennebel Gelegenheit zu geben, sich richtig zu verabschieden.
Cole blickte Harger voller Abscheu an. »Ich werde es sein, sobald ich diesen Abschaum aufs Pferd gefesselt habe.«
»Ich reite nirgendwo mit dir hin, Webster. Und außerdem kannst du mich nicht zwingen, einen Mord zu gestehen.«
»Wir werden sehen, Harger«, entgegnete Cole.
Fünf Tage später trafen sie in Fort Bridger ein. So gerissen und gefährlich Harger auch war, Cole und Tanner waren ihm mehr als gewachsen. Cole hatte Hargers Kleidung durchsucht und einen Brief gefunden, aus dem eindeutig hervorging, dass er illegal mit Waffen und Whisky handelte. Der Brief stammte von einem Lieferanten im Osten, der ihm mitteilte, wann und wo er die nächste Ladung Waffen abholen konnte. Hargers Packpferde waren noch mit geschmuggelten Gewehren und Whisky beladen. Zusammen war das mehr als genug Beweismaterial, um Harger anzuklagen und dem Lieferanten im Osten Ermittler auf den Hals zu hetzen.
»Was nun?«, fragte Tanner, als sie durch das Tor des Forts ritten. Bis jetzt hatte niemand Cole erkannt, doch Tanner wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Es war noch nicht allzu lange her, dass er Cole geholfen hatte, aus dem Militärgefängnis auszubrechen.
»Ich bringe Harger zu Captain Callahans Büro«, kündigte Cole an. »Er ist bereit, den Mord an Lieutenant Kimball zu gestehen. Ich kümmere mich darum, Tanner. Ich weiß, dass du und Ashley andere Dinge zu tun habt. Wenn ihr eine Unterkunft braucht, versucht, in der Pension der Witwe Talmadge ein Zimmer zu bekommen.«
»Bist du sicher, dass du allein zurechtkommst, Cole?«, fragte Ashley. »Tanner und ich begleiten dich gern und sagen für dich aus.«
»Ich schaff das allein, Schwesterherz.« Er bedachte Harger mit einem Blick, der den Mann zusammenzucken ließ. »Harger weiß, was ihm blüht, wenn er nicht die Wahrheit sagt. Außerdem habe ich den Brief. Ich werde bis zu seinem Prozess hier bleiben und mich vergewissern, dass er bekommt, was ihm zusteht.«
»Und dann?«, fragte Ashley.
Cole schenkte ihr ein Lächeln, das aus dem Herzen kam. »Dann kehre ich zu Morgennebel zurück. Ich liebe sie, Schwester. Ich hoffe, sie eines Tages überreden zu können, ihr Volk zu verlassen und mit mir bei den Weißen zu leben. Bis dahin bleibe ich bei ihr. Ich bin froh, dass du Tanner hast. Es macht mir leichter, mein eigenes Glück zu genießen, wenn ich weiß, dass sich jemand um dich kümmert. Rebell oder nicht, ich kann die Liebe sehen, die ihr beide teilt. Es freut mich, dass du jemanden gefunden hast. Chet Bainter wusste gar nicht, was er aufgab, als er die Verlobung löste. Wohin werdet ihr gehen?«
Ashley antwortete, bevor Tanner Gelegenheit hatte, etwas zu sagen. »Ich gehe nach Oregon City. Es gibt nichts mehr, was mich in Chicago hält. Der Gedanke an neue Möglichkeiten fasziniert mich.«
»Vielleicht versuche ich mich als Farmer«, fügte Tanner hinzu und überraschte Ashley. »Oder als Holzfäller. Es heißt, die Pazifikküste ist fruchtbar und dicht bewaldet. Vor dem Krieg besaß meine Familie eine Plantage. Das Farmleben ist nicht neu für mich. Es ist mein Erbe.«
Dann trennten sie sich. Cole setzte mit Harger den Weg zur Kommandantur fort, nachdem sie sich zum Abendessen in einem örtlichen Restaurant verabredet hatten. Ashley starrte Tanner an, und ihre Miene spiegelte völlige Ungläubigkeit wider.
»Du willst in Oregon City siedeln? Ich dachte ... das heißt... du bist kein Farmer, Rebell. Aber ich danke dir für die Lüge. Ich will nicht, dass sich Cole meinetwegen Sorgen macht. Er braucht nicht zu wissen, dass wir nur eine Scheinehe geschlossen haben oder dass sie bald enden wird.«
Tanner warf ihr einen unergründlichen Blick zu. »Cole weiß nichts von den Bedingungen unserer Ehe, und er schien sich auch nicht dafür zu interessieren. Mach dir keine Sorgen, Yankee; ich habe nicht vor, mich in dein Leben einzumischen. Wenn ich dich sicher zu deinem Ziel gebracht habe, verabschiede ich mich aus deinem Leben. Ich kann spüren, wie unangenehm dir die Vorstellung ist, dass wir verheiratet bleiben.«
»Genau wie dir«, gab Ashley zurück. »Keiner von uns will eine dauerhafte Beziehung. Es ist nicht nötig, mich nach Oregon City zu begleiten. Ich kann jemanden anheuern, der mich den restlichen Weg dorthin bringt. Unsere Abmachung gilt nur bis Fort Bridger. Du hast deinen Teil erfüllt.«
»Verdammt, Yankee, du verstehst nicht. Ich habe dir gesagt, dass ich bei dir bleibe, bis ich sicher bin, dass du kein Kind von mir bekommst. Außerdem wäre es schwierig, einen vertrauenswürdigen Mann zu finden, der dich nach Oregon City bringt. Ich bin überzeugt, dass es Anwälte in Oregon gibt, die unsere Scheidung abwickeln können. Es ist abgemacht. Lass uns zum Mietstall gehen und sehen, ob dein Wagen und die Tiere noch dort sind. Vielleicht können wir sogar erfahren, was beim Cramer-Treck vor sich gegangen ist. Ich hoffe, Pratt Slater ist an seinen Verletzungen gestorben.«
Ihr Wagen befand sich tatsächlich noch im Mietstall. Nichts fehlte. Ashleys Kleidung war sorgsam gefaltet im Koffer, und alle Decken lagen noch an Ort und Stelle. Das Einzige, was weg war, waren Ashleys Geld und die Wertsachen, die Tanner mitgenommen hatte und die sich noch in seinen Satteltaschen befanden.
Der Stallmann gab ihnen die Information, dass Pratt Slater lebte. Ascheinend hatte er sich nach ärztlicher Behandlung im Fort erholt und war mit dem Treck weitergezogen.
»Der Bastard ist zu zäh zum Sterben«, stieß Tanner hervor. »Aber wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wird er nicht mehr aufstehen. Ein Verbrecherwie Slater verdient es nicht, zu leben.
»Warum? Weil er die Patrouille geführt hat, die deine Plantage niedergebrannt hat?«, fragte Ashley. »Nicht, dass ich den Mann besser leiden kann als du, aber vielleicht hat er nur Befehle befolgt.«
Ein grimmiger Zug legte sich um Tanners Lippen. »Mein Hass auf Slater geht tiefer als das. Du kannst nicht begreifen, was er getan hat.«
»Vielleicht würde ich es begreifen, wenn du es mir erzählst. Hat es etwas mit Ellen zu tun?«
»Um Himmels willen, Yankee, hör auf damit! Ich kann nicht über Ellen sprechen. Glaub mir einfach, dass ich jeden Grund habe, Slater zu hassen.«
»Wirst du nach unserer Scheidung zu ihr zurückkehren? Du wirst Geld haben, wenn ich dich ausgezahlt habe. Du könntest zu ihr gehen und dort weitermachen, wo du aufgehört hast. Ich weiß nicht, weshalb du sie verlassen hast, Tanner, aber alles kann wieder gut werden. Wenn Ellen dich liebt...«
Tanner starrte sie so zornig an, dass Ashley unwillkürlich furchtsam zurückwich. Nie hatte sie ihn so wütend erlebt. »Besorge uns Zimmer in der Pension«, stieß er hervor. »Ich werde das Geschäftliche hier regeln.« Ashley spürte seinen Zorn, nickte nur und wandte sich wortlos ab. »Und, Yankee«, warnte er, als sie davonging, »wenn ich noch ein Wort über Ellen höre, sehe ich rot. Das Thema steht nicht zur Diskussion. Weder jetzt noch jemals.«
Die Witwe Talmadge hatte nur ein freies Zimmer. Da Ashley und Tanner noch Mann und Frau waren, empfand sie keine Gewissensbisse, sich als Mr und Mrs Tanner MacTavish einzutragen und das Zimmer mit Tanner zu teilen. Als Tanner später in der Pension eintraf, schickte Mrs Talmadge ihn zu seinem Zimmer. Er war überrascht und ein wenig verärgert, als er Ashley in einem großen Holzzuber badend vorfand. Wie, zum Teufel, sollte er die Finger von ihr lassen, wenn sie im selben Zimmer übernachteten? Wusste sie denn nicht, dass er versuchte, sich zu beherrschen? Er war nicht aus Stahl!
»Ich hatte dir gesagt, Zimmer, Mehrzahl, zu nehmen.«
Ashley schenkte ihm ein betörendes Lächeln und bemühte sich nicht, ihre Blößen zu bedecken. »Es war nur eines frei.«
Tanners Blick wurde von ihr angezogen wie eine Motte vom Licht. Ihre Haut sah alabasterfarben aus, und aus Erfahrung wusste er, dass sie sich so weich und glatt anfühlte wie sie wirkte. Sie sah zu ihm auf, und der Blick ihrer leuchtend grünen Augen war herzlich und einladend. Eine Fülle von rotem Haar fiel auf ihre Schultern und den oberen Teil ihrer Brüste und umrahmte das perfekte Oval ihres Gesichts. Er näherte sich dem Zuber und berührte eine Locke ihres glänzenden Haars. Er konnte die Stelle sehen, an der sie ein großes Stück für Rasender Elch abgeschnitten hatte, und es stimmte ihn traurig.
»Dein Haar ist wunderschön. Wie loderndes Feuer. Wie du. Du hast so viel Leben, so viel Feuer in dir. Ich beneide den Mann, mit dem du dein Leben verbringen wirst.«
Gekränkt von seinen Worten, blinzelte Ashley gegen Tränen an. »Sei vorsichtig, Rebell. Wenn du dir etwas genügend wünschst, könntest du es vielleicht bekommen.«