Kapitel 15

Nach der Arbeit wartete schon eine Art Vampir-Bodyguard auf mich.

Bubba stand neben meinem Auto, als ich das Merlotte's verließ. Er lächelte, als er mich sah, und ich schloss ihn in die Arme, weil ich mich so freute. Die wenigsten Leute hätten sich wohl gefreut, auf einen Vampir zu treffen, der geistig nicht ganz auf der Höhe war und eine Vorliebe für Katzenblut hatte. Doch ich mochte Bubba einfach.

»Seit wann bist du wieder hier?«, fragte ich. Bubba war während Katrina nicht mehr aus New Orleans herausgekommen und hatte lange gebraucht, bis er wieder genesen war. Die Vampire quartierten ihn alle gern bei sich ein, weil er einer der berühmtesten Männer auf der Welt gewesen war, bevor er in einem Leichenschauhaus in Memphis herübergeholt wurde.

»Etwa eine Woche. Schön Sie zu sehen, Miss Sookie.« Bubba fuhr die Fangzähne aus, um mir das Ausmaß seiner Freude zu demonstrieren. Und genauso schnell, wie sie hervorgeblitzt waren, verschwanden sie auch wieder. Bubba hatte immer noch Talent. »Ich war auf Reisen und hab Freunde besucht. Und heut Abend war ich im Fangtasia bei Mr Eric, und da hat er mich gefragt, ob ich Sie beschützen will. Und da hab ich zu ihm gesagt: Miss Sookie ist eine richtig gute Freundin, das mach ich sehr gern. Haben Sie schon eine neue Katze?«

»Nein, Bubba, noch nicht.« Gott sei Dank.

»Nun, ich hab etwas Blut in der Kühltasche im Kofferraum meines Wagens.« Mit einem Kopfnicken wies er auf einen großen weißen Cadillac, der mit sehr viel Aufwand von Geld, Zeit und Mühe restauriert worden war.

»Wow, was für ein schönes Auto!«, rief ich und hätte fast angefügt: »Hast du das schon gehabt, als du noch am Leben warst?« Doch Bubba schätzte Anspielungen auf seine frühere, menschliche Existenz gar nicht; das regte ihn furchtbar auf und verwirrte ihn bloß. (Wenn man ihn sehr behutsam darum bat, sang er gelegentlich für seine Freunde. Ich hatte ihn mal Blue Christmas singen hören. Unvergesslich.)

»Den hat Russell mir geschenkt«, sagte Bubba.

»Oh, Russell Edgington? Der König von Mississippi?«

»Ja, ist das nicht nett? Er hat gesagt, weil er der König meines Heimatstaates ist, möchte er mir gern was Besonderes schenken.«

»Wie geht's ihm?« Russell und sein neuer Ehemann Bart hatten beide die Explosion des Hotels in Rhodes überlebt.

»Wieder richtig gut. Seine Wunden sind völlig verheilt, und die von Bart auch.«

»Freut mich wirklich, das zu hören. Und du sollst mir also nach Hause folgen?«

»Ja, Ma'am, das ist der Plan. Und wenn Sie Ihre Hintertür bis zum frühen Morgen unverriegelt lassen, kann ich mich in den Tagesruheort in Ihrem Gästezimmer legen - sagt Mr Eric jedenfalls.«

Dann war es doppelt gut, dass Octavia ausgezogen war. Wer weiß, wie sie darauf reagiert hätte, dass der berühmte Mann aus Memphis den ganzen Tag im eingebauten Schrank in ihrem Zimmer ruhen musste.

Als ich zu Hause ankam, parkte Bubba seinen großartigen Wagen direkt hinter mir. Tray Dawsons Pick-up stand auch da. Was mich nicht weiter überraschte. Tray arbeitete von Zeit zu Zeit als Bodyguard und wohnte hier in der Gegend. Und da Alcide mir seinen Schutz angeboten hatte, war es naheliegend, dass er sich für Tray Dawson entschieden hatte, ganz unabhängig von dessen Beziehung zu Amelia.

Tray saß am Küchentisch, als Bubba und ich ins Haus kamen. Und zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, wirkte der große, kräftige Mann richtiggehend erschreckt. Aber er war klug genug, den Mund zu halten.

»Tray, das ist mein Freund Bubba«, sagte ich. »Wo ist denn Amelia?«

»Sie ist schon oben. Ich muss noch etwas Geschäftliches mit dir besprechen.«

»Ja, ich weiß. Bubba ist aus demselben Grund hier. Bubba, das ist Tray Dawson.«

»Hey, Tray!« Bubba schüttelte ihm die Hand und lachte, weil die Worte sich reimten. Tja, sein Übergang war leider nicht so ganz reibungslos verlaufen. Sein Lebensfunke war schon äußerst schwach gewesen, als ihn im Leichenschauhaus ein Aufwärter (zufälligerweise ein Vampir) in allerletzter Sekunde herüberholte. Und wenn man bedachte, wie stark er mit Medikamenten vollgepumpt gewesen war, konnte Bubba von Glück sagen, dass er den Übergang überhaupt überstanden hatte - auch wenn's nicht so gut gelaufen war.

»Hey«, sagte Tray vorsichtig. »Wie geht's... Bubba?«

Ein Glück, Tray benutzte seinen Vampirnamen.

»Richtig gut, danke. Hab etwas Blut in meiner Kühltasche draußen, und Miss Sookie hat für mich immer eine Flasche TrueBlood im Kühlschrank. Früher jedenfalls.«

»Auch jetzt noch«, sagte ich. »Willst du dich setzen, Bubba?«

»Nein, Ma'am. Ich nehm mir einfach eine Flasche und setz mich raus in den Wald. Wohnt Bill noch auf der anderen Seite des alten Friedhofs?«

»Ja.«

»Ist immer gut, Freunde in der Nähe zu haben.«

Ich war mir nicht sicher, ob ich Bill als meinen Freund bezeichnen würde; dazu war unsere Beziehungsgeschichte zu kompliziert. Doch ich war mir absolut sicher, dass er mir helfen würde, wenn mir akute Gefahr drohte, und so sagte ich: »Ja, das ist immer gut.«

Bubba stöberte im Kühlschrank herum und hatte schließlich zwei Flaschen gefunden. Triumphierend hielt er sie Tray und mir entgegen, dann verließ er uns mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Allmächtiger Gott«, sagte Tray. »Ist er wirklich der, für den ich ihn halte?«

Ich nickte und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.

»Das erklärt zumindest, dass er dauernd irgendwo gesehen wird«, meinte er. »Also, hör zu, du hast ihn dort draußen und mich hier drinnen. Ist das okay für dich?«

»Ja. Du hast vermutlich mit Alcide gesprochen?«

»Ja. Ich will mich zwar nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber es wäre besser gewesen, wenn ich all das von dir selbst erfahren hätte. Zumal du ja auch mit Amelia über diesen Drake geredet hast. Amelia ist todunglücklich, weil sie dem Feind gegenüber jede Menge ausgeplaudert hat. Sie hätte natürlich den Mund gehalten, wenn wir von deinen Problemen gewusst hätten. Und ich hätte ihn schon bei unserer ersten Begegnung getötet. Hätte uns allen 'ne Menge Ärger erspart. Oder wie siehst du das?«

Mit Tray konnte man völlig unverblümt reden. »Ich finde, dass du dich damit schon irgendwie in meine Angelegenheiten einmischst, Tray. Wenn du als mein Freund und als Amelias Liebhaber hierher kommst, erzähle ich dir genau das, was weder dich noch Amelia in Gefahr bringt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Nialls Feinde meine Mitbewohnerin aushorchen könnten. Und es war mir auch neu, dass du einen Elf nicht von einem Menschen unterscheiden kannst.« Tray zuckte leicht. »Aber vielleicht wär's dir lieber, wenn die Frau, die du beschützen sollst, nicht mit deiner Freundin unter einem Dach wohnen würde. Willst du den Auftrag wieder abgeben? Ist der Interessenkonflikt für dich zu groß?«

Tray sah mich mit unverwandtem Blick an. »Nein, ich will diesen Job.« Obwohl er ein Werwolf war, konnte ich sehen, dass er vor allem Amelia beschützen wollte. Und da sie bei mir wohnte, dachte er, so könnte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und würde dafür sogar bezahlt werden. »Und dann habe ich auch noch eine Rechnung mit diesem Drake offen. Ich habe kein einziges Mal bemerkt, dass er ein Elf ist, und ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Eigentlich habe ich eine ausgesprochen gute Nase.«

Tray war in seinem Stolz verletzt, was ich gut verstehen konnte. »Drakes Vater kann seinen Duft überdecken, so dass nicht mal Vampire ihn wahrnehmen. Vielleicht kann Drake das auch. Außerdem ist er kein vollblütiger Elf, sondern halb Mensch, und sein richtiger Name lautet Dermot.«

Tray brauchte einen Augenblick, um all das zu verdauen, dann nickte er. Ich sah, dass er sich schon wieder etwas besser fühlte. Und wie fühlte ich mich?

Ich hatte Bedenken wegen der persönlichen Verstrickungen. Vielleicht sollte ich Alcide lieber anrufen und ihm sagen, dass Tray in diesem Fall nicht der geeignetste Bodyguard war. Doch ich entschied mich dagegen. Tray Dawson war ein großartiger Kämpfer und würde alles geben für mich... bis zu dem Punkt, an dem er sich zwischen Amelia und mir entscheiden müsste.

»Also?«, sagte er, und ich merkte erst jetzt, dass ich zu lange geschwiegen hatte.

»Der Vampir kann die Nächte übernehmen und du die Tage«, erwiderte ich. »Und solange ich im Merlotte's bin, sollte ich in Sicherheit sein.« Und damit schob ich meinen Stuhl zurück und verließ die Küche ohne ein weiteres Wort. Ich musste mir eingestehen, dass ich nicht gerade erleichtert war, sondern eher beunruhigter als zuvor. Ich hatte mich so schlau gefühlt, als ich gleich zwei Seiten um Schutz bat. Doch jetzt machte ich mir Sorgen um die Sicherheit der Personen, die diesen Schutz bereitstellten.

Nur widerwillig machte ich mich bettfertig, bis ich mir schließlich eingestand, dass ich eigentlich auf den Besuch von Eric wartete. Ich hätte mich jetzt liebend gern seiner Entspannungstherapie unterzogen, um einschlafen zu können. Vermutlich würde ich die ganze Nacht hellwach daliegen und nur auf den nächsten Angriff warten. Doch es stellte sich heraus, dass ich von dem heutigen Abend sehr müde war und relativ schnell einschlief.

Statt meiner üblichen, langweiligen Träume (Gäste, die ständig nach mir riefen, während ich mich beeilte, allen gerecht zu werden; Schimmel, der mein ganzes Badezimmer zuwucherte) träumte ich in dieser Nacht von Eric. Er war ein Mensch in meinem Traum, und wir spazierten gemeinsam durch den Sonnenschein. Und er war ein Immobilienmakler, komischerweise.

Als ich am nächsten Morgen auf die Uhr sah, war es noch recht früh, zumindest für mich: kurz vor acht. Ich erwachte mit einem Gefühl der Angst. Hatte ich doch noch schlecht geträumt, etwas, woran ich mich nicht erinnerte? Oder hatte ich mit meinem telepathischen Sinn etwas erfasst, während ich noch schlief? War etwas Schreckliches passiert, etwas aus den Fugen geraten?

So scannte ich einen Augenblick lang erst mal das ganze Haus, nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung am frühen Morgen. Amelia war weg, aber Tray war hier, und er steckte in Schwierigkeiten.

Ich zog mir den Bademantel und Hausschuhe an und lief hinaus in die Diele. Schon als ich die Tür öffnete, hörte ich, wie er sich im großen Badezimmer übergab.

Es gibt Momente im Leben, in denen man allein sein will, und Sich-Übergeben gehörte eindeutig dazu. Doch Werwölfe waren normalerweise vollkommen gesund, und hier ging es um den Mann, der mich schützen sollte, doch im Moment offenbar ('Tschuldigung) kotzte wie ein Reiher.

Ich wartete, bis die Geräusche etwas leiser wurden, dann rief ich: »Tray, kann ich dir irgendwie helfen?«

»Ich hab was Giftiges getrunken«, erwiderte er hustend und würgend.

»Soll ich einen Arzt rufen? Einen Menschen? Oder Dr. Ludwig?«

»Nein.« Das klang sehr entschlossen. »Ich versuch das Zeug grad loszuwerden«, keuchte er nach einem erneuten Würgen. »Aber ist wohl schon zu spät.«

»Wer hat dir das denn gegeben?«

»Diese neue Freundin von ...« Seine Stimme erstarb einige Sekunden lang. »Draußen im Wald. Die Neue vom Vampir Bill.«

Ganz instinktiv hakte ich nach: »Er war nicht bei ihr, oder?«

»Nein, sie -« Noch mehr furchtbare Geräusche. »Sie kam aus der Richtung seines Hauses und hat gesagt, dass sie seine...«

Ich war mir absolut sicher, dass Bill keine neue Freundin hatte. Es war mir zwar peinlich, mir das einzugestehen: Aber ich war deshalb so sicher, weil ich wusste, dass er mich immer noch zurückhaben wollte. Und das hätte er nie aufs Spiel gesetzt, indem er irgendeiner Frau, mit der er ins Bett ging, erlaubte, durch den Wald zu streifen, in dem ich ihr über den Weg laufen könnte.

»Was war sie?«, fragte ich und lehnte meine Stirn an das kühle Holz der Tür. Langsam ermüdete mich dieses ständige Schreien.

»Irgendeine Vampirsüchtige.« Tray war so übel, dass seine Gedanken wie durch einen Nebel herumirrten. »Zumindest sah sie aus wie ein Mensch.«

»Genau so, wie auch Dermot wie ein Mensch aussah. Und du hast einfach getrunken, was sie dir gegeben hat.« Es war irgendwie gemein, einen so ungläubigen Ton anzuschlagen, okay. Aber, mal ehrlich!

»Ich konnte nicht anders«, erwiderte er langsam. »Ich war so durstig, dass ich trinken musste.«

Er war also durch irgendeinen Zauber gebannt worden. »Und was war es? Das Zeug, das du getrunken hast?«

»Hat geschmeckt wie Wein.« Er stöhnte. »Gottverdammt, es muss Vampirblut gewesen sein! Jetzt kann ich's im Mund schmecken!«

Vampirblut war immer noch heiß begehrt auf dem Schwarzen Markt, und die Menschen reagierten derart unterschiedlich darauf, dass man, statt es zu trinken, gleich Russisches Roulette spielen konnte, in mehr als einer Hinsicht. Die Vampire hassten die Ausbluter, die ihnen Blut abzapften, weil die Ausbluter sie oft dem Tageslicht ausgesetzt liegen ließen. Und daher hassten die Vampire auch die Nutzer von Vampirblut, weil ihre Nachfrage erst den Markt kreierte. Einige Nutzer wurden abhängig von dem ekstatischen Gefühl, das Vampirblut auslösen konnte, und diese Leute versuchten manchmal sogar in einer Art Selbstmordanschlag, sich das Blut direkt von der Quelle zu besorgen. Doch gelegentlich drehten die Nutzer auch völlig durch und töteten Menschen. Aber so oder so bedeutete es schlechte Presse für die Vampire, die sich bemühten, in der Gesellschaft Fuß zu fassen.

»Warum hast du das bloß getrunken?« Ich war nicht fähig, meine Wut zu unterdrücken.

»Ich konnte nicht anders«, wiederholte er, und dann ging die Badezimmertür endlich auf. Ich trat ein paar Schritte zurück. Tray sah furchtbar aus, und er stank entsetzlich. Er trug Pyjamahosen, sonst nichts, und ich hatte eine enorm breite, behaarte Brust genau auf Augenhöhe. Sein ganzer Körper war von einer Gänsehaut überzogen.

»Wie kann das sein?«

»Ich konnte nicht... nicht widerstehen.« Er schüttelte den Kopf. »Und dann bin ich hierher zurückgekommen und zu Amelia ins Bett gegangen. Ich hab mich die ganze Nacht bloß gewälzt und war schon auf, als der K... als Bubba nach Hause kam und sich im eingebauten Schrank zur Ruhe gelegt hat. Er hat irgendwas von einer Frau gesagt, mit der er gesprochen hat, aber da ging's mir schon so schlecht, dass ich vergessen hab, was genau er gesagt hat. Hat Bill die hergeschickt? Hasst er dich so sehr?«

Ich sah auf, und unsere Blicke trafen sich. »Bill Compton liebt mich«, sagte ich. »Er würde mir nie etwas antun.«

»Selbst jetzt, wo du's mit dem großen Blonden treibst?«

Amelia konnte einfach nicht den Mund halten.

»Selbst jetzt, wo ich's mit dem großen Blonden treibe.«

»Die Gedanken der Vampire kannst du nicht lesen, sagt Amelia.«

»Stimmt. Aber es gibt Dinge, die weiß man einfach.«

»Okay.« Obwohl Tray nicht mehr genug Energie hatte, um skeptisch dreinzublicken, versuchte er es immerhin. »Ich muss ins Bett, Sookie. Ich kann heute tagsüber nicht auf dich aufpassen.«

Das konnte ich sehen. »Warum fährst du nicht nach Hause und versuchst, dich in deinem eigenen Bett auszuschlafen?«, fragte ich. »Ich gehe in die Arbeit, dort habe ich sowieso Leute um mich.«

»Nein, du brauchst einen Bodyguard.«

»Ich rufe meinen Bruder an«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. »Er arbeitet im Moment nicht, und er ist ein Werpanther. Er sollte in der Lage sein, mir Rückendeckung zu geben.«

»Okay.« Es war ein Anzeichen dafür, wie schlecht es Tray ging, dass er keine Diskussion begann, denn er war nicht gerade Jasons größter Fan. »Amelia weiß, dass es mir nicht gut geht. Wenn du sie vor mir sprichst, sag ihr, dass ich sie heute Abend anrufe.«

Wankend ging der Werwolf zu seinem Pick-up hinaus. Ich hoffte, er würde heil nach Hause kommen, und rief ihm noch etwas Entsprechendes hinterher. Doch er winkte nur und fuhr die Auffahrt hinunter.

Seltsam benommen sah ich ihm nach. Einmal im Leben hatte ich umsichtig gehandelt und Leute angerufen, die mir noch einen Gefallen schuldeten, damit sie mir Schutz gewährten. Doch es hatte überhaupt nichts genützt. Zwei Fanatiker, die mich nicht im Haus angreifen konnten - wegen Amelias gutem Schutzzauber vermutlich -, hatten auf anderem Weg versucht, meiner habhaft zu werden. Murry war draußen im Garten aufgetaucht; und nun hatte sich im Wald eine Elfe an Tray herangemacht und ihn gezwungen, Vampirblut zu trinken. Er hätte wahnsinnig werden und uns alle töten können. Aber für die Elfen war es sowieso eine Win-Win-Situation, schätzte ich. Tray war zwar nicht wahnsinnig geworden und hatte auch mich und Amelia nicht getötet, doch jetzt war er so krank, dass er als Bodyguard eine ganze Weile ausfallen würde.

Ich ging die Diele entlang, um mich erst mal in meinem Schlafzimmer anzuziehen. Der heutige Tag würde schwierig genug werden, und ich konnte Krisen stets besser meistern, wenn ich angezogen war. Irgendwie fühlte ich mich gleich kompetenter, sobald ich Unterwäsche trug.

Den zweiten Schreck des Tages bekam ich, als ich gerade ins Schlafzimmer abbiegen wollte. Im Wohnzimmer hatte ich eine Bewegung wahrgenommen. Mir stockte vor Angst der Atem, und wie erstarrt blieb ich stehen. Auf dem Sofa saß jemand ... mein Urgroßvater. Es dauerte einen Augenblick, bis ich Niall erkannt hatte. Er stand auf und sah mich erstaunt an, während ich, mit der Hand auf dem Herzen, reglos dastand.

»Du siehst heute nicht sehr gepflegt aus«, sagte er.

»Na ja, ich habe keinen Besuch erwartet«, erwiderte ich atemlos. Er sah selbst nicht besonders gut aus, eine echte Premiere. Sein Anzug war voller Flecken und zerrissen, und wenn ich mich nicht allzu sehr irrte, schwitzte er. Mein Urgroßvater, der Elfenprinz, bot tatsächlich zum ersten Mal alles andere als einen prachtvollen Anblick.

Ich ging ins Wohnzimmer hinein und musterte ihn genauer. Es war noch früh am Tag, doch ich erlebte heute schon meine zweite Schockwelle. »Was ist los?«, fragte ich. »Du siehst aus, als kämst du aus einem Kampf.«

Er zögerte eine Weile, als wüsste er nicht, mit welcher Neuigkeit er beginnen sollte. Dann sagte Niall: »Breandan hat Vergeltung geübt für Murrys Tod.«

»Was hat er getan?« Ich fuhr mir mit trockenen Händen übers Gesicht.

»Er hat letzte Nacht Enda gefangen genommen, und jetzt ist sie tot.« Seinem Ton war zu entnehmen, dass ihr kein schneller Tod vergönnt war. »Du hast sie nicht gekannt, sie hat sich sehr gefürchtet vor den Menschen.« Niall strich eine lange Strähne seines Haars zurück, das so hellblond war, dass es beinahe weiß wirkte.

»Breandan hat eine Elfe getötet? Aber es gibt doch kaum noch weibliche Elfen, oder? Und dann tut er so was... ist das nicht besonders heimtückisch?«

»Es war so bestimmt«, sagte Niall in düsterem Ton.

Jetzt erst fiel mir auf, dass die Anzughose meines Urgroßvaters bis zu den Knien von Blut getränkt war. Deshalb war er wohl auch nicht näher gekommen, um mich zu umarmen.

»Du musst aus diesen Kleidern heraus«, sagte ich. »Bitte, Niall, geh unter die Dusche, und ich stecke deine Sachen in die Waschmaschine.«

»Ich muss gehen«, sagte er. Meine Worte schien er gar nicht gehört zu haben. »Ich bin hier, um dich persönlich zu warnen, damit du den Ernst der Lage begreifst. Dieses Haus wird von einem machtvollen Zauber geschützt. Ich konnte nur hier erscheinen, weil ich schon einmal hier war. Stimmt es, dass die Vampire und die Werwölfe auf dich aufpassen? Du stehst unter einem besonderen Schutz, das kann ich spüren.«

»Ich habe einen Bodyguard für die Nacht und einen für den Tag«, log ich, denn Niall konnte wahrlich nicht noch mehr Sorgen gebrauchen. Er stand selbst hüfttief in einem Sumpf voller Alligatoren. »Und du weißt ja, dass Amelia eine sehr gute Hexe ist. Mach dir keine Sorgen um mich.«

Er blickte mich an, doch ich glaube, er sah mich gar nicht. »Ich muss gehen«, wiederholte er unvermittelt. »Ich wollte nur sehen, ob du unversehrt bist.«

»Okay... vielen Dank.« Ich weiß, eine ziemlich lahme Antwort. Doch ehe mir etwas Besseres einfiel, hatte Niall sich schon mit einem Puff mitten in meinem Wohnzimmer in Luft aufgelöst.

Ich hatte zu Tray gesagt, dass ich Jason anrufen würde. Vorhin war ich mir noch nicht sicher gewesen, ob ich es wirklich tun würde. Jetzt war ich es. Schließlich hatte Alcide seine Schuld mir gegenüber bereits beglichen, als er mir Tray schickte, auch wenn der nun leider ausgefallen war. Alcide selbst würde ich sicher nicht bitten, auf mich aufzupassen; und von den anderen Rudelmitgliedern stand mir keiner nahe genug. Also holte ich einmal tief Luft und rief meinen Bruder an.

»Jason«, sagte ich, als er abgehoben hatte.

»Schwesterherz. Was ist los?« Er klang seltsam atemlos, als wäre etwas Aufregendes passiert.

»Tray musste weg, und ich brauche jemanden, der mich tagsüber schützen kann«, sagte ich, und einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Er bestürmte mich nicht sogleich mit Fragen, was sonderbar war. »Ich dachte, du würdest mich vielleicht begleiten. Bei all dem, was ich heute so zu erledigen habe.« Ich versuchte mich zu erinnern, was das eigentlich war. Auch in Zeiten der Krise forderte immer mal wieder das reale Leben sein Recht ein. »Also, ich muss in die Bibliothek und dann noch eine Hose aus der Reinigung abholen.« Da hatte ich beim Kauf leider nicht aufs Etikett geachtet. »Und im Merlotte's hab ich heut die Tagesschicht. Das war's auch schon, glaub ich.«

»Okay«, erwiderte Jason. »Obwohl nichts davon besonders eilig klingt.« Wieder machte sich längeres Schweigen breit. Dann fragte er plötzlich: »Bist du okay?«

»Ja«, sagte ich vorsichtig. »Wieso nicht?«

»Heute Morgen ist was echt Verrücktes passiert. Mel hat letzte Nacht bei mir übernachtet, weil er ziemlich einen sitzen hatte, nachdem wir im Bayou waren. Und heute Morgen ganz früh hat's an der Tür geklopft. Als ich hinkam, stand da dieser Kerl, und der war, ich weiß nicht, durchgeknallt oder so was. Und das Seltsamste war, er sah fast genauso aus wie ich.«

»Oh, nein.« Ich musste mich setzen.

»Der hatte sie nicht alle, Sook«, sagte Jason. »Ich weiß nicht, was mit dem los war, aber der hatte sie nicht alle. Er fing einfach an zu reden, als Mel die Tür aufmachte, so als würden wir ihn kennen. Lauter verrücktes Zeug. Mel hat versucht, sich zwischen uns zu schieben, und da hat er Mel einfach quer durchs Zimmer geworfen und ihn einen Mörder genannt. Mel hätte sich das Genick brechen können, wenn er nicht auf dem Sofa gelandet wäre.«

»Ist Mel okay?«

»Ja, dem geht's gut. Ziemlich durch den Wind, aber du weißt ja...«

»Klar.« Mels Gefühle waren jetzt nicht das Thema. »Und was hat er dann gemacht?«

»Er hat irgendwelchen Mist erzählt: dass er jetzt, wo er mir gegenübersteht, verstehen kann, wieso mein Urgroßvater nichts mit mir zu tun haben will; und dass alle Mischlinge sterben sollten; und dass ich eindeutig Blut von seinem Blut bin; und dass er beschlossen hat, mir endlich mal zu sagen, was um mich herum los ist. Und er hat gesagt, dass ich ein Ignorant bin. Das meiste hab ich gar nicht kapiert, und ich weiß immer noch nicht, was der eigentlich war. Ein Vampir jedenfalls nicht, aber auch kein Gestaltwandler, das hätte ich gerochen.«

»Du bist okay - das ist doch das Wichtigste, oder?« War es falsch gewesen, Jason die ganze Zeit den Elfenschlenker in unserer Familiengeschichte vorzuenthalten?

»Ja«, sagte er, plötzlich wachsam und misstrauisch. »Du willst mir wohl nicht erzählen, was all das zu bedeuten hat, was?«

»Komm zu mir, dann reden wir darüber. Und mach bitte, bitte nicht mehr die Tür auf, wenn du nicht weißt, wer davorsteht. Dieser Kerl ist gefährlich, Jason, und es ist ihm ziemlich egal, wen er verletzt. Ihr beide habt wirklich Glück gehabt, Mel und du.«

»Ist jemand bei dir?«

»Nein, und Tray ist auch weg.«

»Ich bin dein Bruder. Und wenn du mich brauchst, komm ich vorbei«, sagte Jason mit unerwartetem Ernst.

Ich bekam zwei für den Preis von einem. Mel hatte Jason begleitet. Das war unangenehm, weil ich Jason familiäre Dinge zu erzählen hatte, die ich in Mels Gegenwart nicht ansprechen wollte. Doch unerwartet taktvoll sagte Mel zu Jason, dass er jetzt erst mal nach Hause fahren und die Prellung an seiner Schulter mit einem Eisbeutel kühlen wolle.

Und als Mel weg war, setzte sich Jason mir gegenüber an den Küchentisch und ich sagte: »Ich muss dir ein paar Dinge erzählen.«

»Über Crystal?«

»Nein, darüber habe ich noch nichts gehört. Es geht um unsere Familie. Um Großmutter. Es wird dir schwerfallen, das alles zu glauben.« Es war nur fair, ihn vorzuwarnen. Ich weiß noch, wie entsetzt ich war, als mein Urgroßvater mir erzählte, wie mein Großvater, der Halbelf Fintan, meine Großmutter kennenlernte und sie schließlich zwei Kinder von ihm bekam, unseren Vater und unsere Tante Linda.

Heute waren sie alle tot: Fintan - ermordet - und unsere Großmutter, und auch unser Vater und seine Schwester. Aber wir, Jason und ich, waren am Leben, und auch wenn wir nur noch eine Spur Elfenblut hatten, machte uns doch genau das zur Zielscheibe der Feinde unseres Urgroßvaters.

»Und einer dieser Feinde«, sagte ich, nachdem ich Jason unsere Familiengeschichte auseinandergesetzt hatte, »ist Fintans Bruder, unser Großonkel Dermot, der halb Mensch ist. Zu Tray und Amelia hat er gesagt, er heiße Drake, wohl weil der Name moderner klingt. Dermot sieht aus wie du, und er ist es, der bei dir zu Hause vor der Tür stand. Ich weiß nicht, was für Absichten er verfolgt. Er hat sich Breandan angeschlossen, Nialls großem Feind, dabei ist er selbst halb Mensch und damit genau das, was Breandan verabscheut. Du sagst, er hat sich verrückt verhalten, vielleicht ist ja das die Erklärung. Er scheint Kontakt mit dir aufnehmen zu wollen, aber zugleich verabscheut er dich.«

Jason saß da und starrte mich an. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Seine Gedanken waren in einem Stau stecken geblieben. Schließlich fragte er: »Heißt das, Tray und Amelia sollten dich ihm vorstellen? Und sie haben beide nicht gemerkt, was er war?«

Ich nickte. Und wieder herrschte Schweigen.

»Aber warum will er dich kennenlernen? Um dich zu töten? Warum muss er dich dazu erst kennenlernen?«

Gute Frage. »Keine Ahnung«, sagte ich. »Vielleicht wollte er nur sehen, wie ich so bin. Oder vielleicht weiß er gar nicht, was er wirklich will.« Ich konnte es nicht verstehen und fragte mich, ob Niall noch mal auftauchen würde, um es mir zu erklären. Vermutlich nicht. Er hatte einen Krieg am Hals, auch wenn es ein Krieg war, der zum größten Teil von den Menschen nicht wahrgenommen wurde. »Ich weiß es auch nicht«, gab ich zu. »Murry kam ja auch hierher, um mich gleich anzugreifen, und er war ein vollblütiger Elf. Warum geht Dermot, der auf derselben Seite steht, so... indirekt vor?«

»Murry?«, fragte Jason, und ich schloss die Augen. Mist.

»Ein Elf, der versucht hat, mich zu töten«, erklärte ich. »Aber das Problem ist gelöst.«

Jason nickte anerkennend. »Du fackelst nicht lang, Sook«, sagte er. »Okay, mal sehen, ob ich's richtig verstanden hab. Mein Urgroßvater will mich nicht kennenlernen, weil ich Dermot so ähnlich sehe, und der ist mein... Großonkel, richtig?«

»Richtig.«

»Aber Dermot hasst mich scheinbar nicht ganz so, denn der ist ja bei mir zu Hause aufgetaucht und hat versucht, mit mir zu reden.«

Typisch Jason, die Situation so zu interpretieren.

»Richtig«, sagte ich.

Jason sprang auf und lief durch die Küche. »Das ist alles die Schuld der Vampire!«, rief er und starrte mich zornig an.

»Wie kommst du darauf?« Das hatte ich nicht erwartet.

»Wenn die nicht an die Öffentlichkeit gegangen wären, würde all das nicht passieren. Sieh dir doch an, was los ist, seit sie im Fernsehen aufgetreten sind. Sieh dir an, wie die Welt sich verändert hat. Jetzt sind wir die Außenseiter. Und als Nächste diese verdammten Elfen. Das sind schlechte Nachrichten, Sookie. Calvin hat mich vor denen gewarnt. Du glaubst, die sind alle hübsch, süß und blond, aber das stimmt nicht. Er hat mir Geschichten über Elfen erzählt, da stehen einem die Haare zu Berge. Calvins Vater kannte ein, zwei Elfen. Wenn's nach ihm ginge, wär's besser, die sterben aus.«

Ich wusste nicht, ob ich überrascht oder wütend sein sollte. »Warum bist du so gemein, Jason? Ich will nicht mit dir streiten oder mir schlimme Dinge über Niall anhören. Du kennst ihn nicht mal. Du kannst doch nicht... Und hey, vergiss nicht, du hast selbst Elfenblut!« Ich hatte den furchtbaren Verdacht, dass einiges von dem, was er gesagt hatte, absolut der Wahrheit entsprach. Doch jetzt war mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Diskussion.

Jason wirkte unerbittlich, seine Gesichtszüge waren angespannt. »Mich kann dieser Elfenverwandte mal«, rief er. »Er will nichts von mir, und ich will nichts von ihm. Und wenn ich diesen verrückten Halb-und-Halb-Kerl noch mal seh, bring ich den Schweinehund um!«

Wer weiß, was ich darauf geantwortet hätte, doch in diesem Augenblick kam, ohne anzuklopfen, Mel zur Tür herein, und wir drehten uns beide nach ihm um.

»Tut mir leid«, sagte er, offenbar nervös und verwirrt über Jasons Wut. Einen Moment lang schien er zu glauben, dass Jason von ihm geredet hatte. Doch weil keiner von uns beiden peinlich berührt wirkte, entspannte er sich wieder. »Tut mir leid, Sookie. Wo hab ich nur meine guten Manieren gelassen.« Er hielt einen Eisbeutel in der Hand und bewegte sich ziemlich langsam und wie unter Schmerzen.

»Mir tut's leid, dass Jasons Überraschungsgast dich verletzt hat«, sagte ich, weil man seinen Besuchern ja immer entgegenkommen sollte. Ich hatte mir über Mel noch nicht allzu viele Gedanken gemacht, doch in diesem Moment wäre es mir lieber gewesen, wenn statt des Werpanthers Jasons früherer bester Freund Hoyt hier gewesen wäre. Was nicht heißen sollte, dass ich Mel nicht mochte. Ich kannte ihn kaum, hatte aber auch nicht automatisch Vertrauen zu ihm, wie manchmal bei anderen Leuten.

Mel war anders. Und sogar für einen Werpanther waren seine Gedanken schwer zu entziffern, obwohl es nicht unmöglich war.

Nachdem ich Mel aus reiner Höflichkeit etwas zu trinken angeboten hatte, fragte ich Jason, ob er nun den Tag über bei mir bleiben und mich bei meinen Besorgungen begleiten würde. Ich bezweifelte ernsthaft, dass er ja sagen würde. Jason fühlte sich abgelehnt (von einem Elfen-Urgroßvater, den er nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte), und das war etwas, womit er nur schlecht zurechtkam.

»Ich begleite dich«, sagte er steif und ohne Lächeln. »Aber erst mal überprüfe ich mein Haus und sehe mir mein Gewehr an. Das werd ich brauchen, und ich hab schon ewig keinen Blick mehr drauf geworfen. Kommst du mit, Mel?« Jason wollte einfach nur von mir weg, um sich zu beruhigen. Das konnte ich so deutlich lesen, als hätte er es auf den Einkaufszettel geschrieben, der beim Telefon lag.

Mel stand auf, um mit Jason zu gehen.

»Mel, was hast du eigentlich von Jasons Besucher heute Morgen gehalten?«, fragte ich.

»Abgesehen davon, dass er mich quer durchs Zimmer werfen konnte und Jason so ähnlich sah, dass ich mich umdrehen und vergewissern musste, ob Jason wirklich grad erst aus seinem Schlafzimmer kommt? Nicht viel«, sagte Mel. Er trug seine übliche Kombi aus Khakihose und Polohemd, doch die blauen Flecken an seinen Armen ruinierten irgendwie seine sonst so adrette Erscheinung. Vorsichtig zog er sich seine Jacke über.

»Bis bald, Sookie. Komm vorbei und hol mich ab«, sagte Jason. Klar, er wollte mit meinem Wagen fahren und mein Benzin verbrauchen, weil wir ja auch meine Besorgungen erledigten. »Ansonsten hast du ja auch meine Handynummer.«

»Sicher. In etwa einer Stunde bin ich bei dir.«

In letzter Zeit war ich kaum einmal allein gewesen, und so hätte ich mich eigentlich gefreut, das Haus mal ganz für mich zu haben, wenn da nicht meine Angst gewesen wäre, dass mir ein übernatürlicher Mörder auf den Fersen war.

Doch nichts passierte. Ich aß eine Schale Müsli. Und dann beschloss ich sogar zu duschen, trotz meiner Erinnerungen an Psycho. Ich sorgte dafür, dass alle Türen, die nach draußen führten, fest verriegelt waren und schloss auch die Badezimmertür ab. Es wurde dennoch die schnellste Dusche der Welt.

Bisher hatte also noch keiner versucht, mich zu töten. Ich trocknete mich ab, legte etwas Make-up auf und zog mich für die Arbeit an.

Als es Zeit war, loszufahren, stand ich auf der hinteren Veranda und schätzte ein ums andere Mal die Entfernung von den Stufen bis zu meinem Wagen ab. Es waren ungefähr zehn Schritte, rechnete ich mir aus. Ich schloss den Wagen mit der Fernbedienung auf, holte tief Luft, schob den Riegel der Fliegengittertür zurück, stieß sie auf und sprang von der Veranda herunter, ohne die Stufen zu benutzen. Mit einem würdelosen Zerren riss ich die Autotür auf, schlug sie hinter mir zu und verriegelte sie sofort. Dann sah ich mich um.

Keine Bewegung nirgends.

Ich lachte ein wenig atemlos. Wie albern ich doch war!

Aber meine innere Anspannung ließ all die gruseligen Filme, die ich gesehen hatte, durch meinen Kopf geistern.

Ich dachte an Jurassic Park und Dinosaurier - die Elfen waren für mich wohl so etwas wie die Dinosaurier der Welt der Supras - und erwartete quasi schon, dass ein Ziegenbein meine Windschutzscheibe hinunterrutschen würde.

Doch das passierte auch nicht. Okay...

Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drehte ihn, der Motor sprang an und der Wagen... explodierte nicht. Und in meinem Rückspiegel war auch kein Tyrannosaurus zu sehen.

So weit, so gut. Als ich langsam die Auffahrt durch den Wald entlangfuhr, fühlte ich mich schon besser. Dennoch sah ich mich weiterhin nach allen Seiten um. Auf einmal hatte ich das Bedürfnis, jemanden wissen zu lassen, wo ich war und was ich gerade tat.

Ich holte mein Handy aus der Handtasche und rief Amelia an. Sie hatte sich kaum gemeldet, da sagte ich: »Ich fahre rüber zu Jason. Weil Tray krank ist, begleitet Jason mich heute. Hör mal, weißt du, dass Tray von einer Elfe durch irgendeinen Zauber gebannt wurde und verfaultes Vampirblut getrunken hat?«

»Ich bin hier in der Arbeit«, sagte Amelia mit Vorsicht in der Stimme. »Ja, er hat vor zehn Minuten angerufen, aber er musste sich gleich wieder übergeben, der Arme. Mit dem Haus war wenigstens alles okay.«

Amelia meinte, dass ihr Schutzzauber standgehalten hatte. Zugegeben, darauf konnte sie wirklich stolz sein.

»Du bist echt klasse«, sagte ich anerkennend.

»Danke. Hör mal, ich mache mir große Sorgen um Tray. Ich habe ein paar Minuten später versucht, ihn zurückzurufen, doch er ist nicht rangegangen. Ich hoffe, er schläft nur. Aber ich werde gleich nach der Arbeit mal zu ihm fahren. Wollen wir uns dort nicht treffen? Dann überlegen wir gemeinsam, was wir für deine Sicherheit noch tun können.«

»Okay. Ich komme zu Tray, wenn ich im Merlotte's fertig bin, um fünf herum vermutlich.« Mit dem Handy am Ohr sprang ich aus dem Auto und zog die Post aus meinem Briefkasten, der direkt an der Hummingbird Road stand. So schnell ich konnte, setzte ich mich wieder hinein.

Was für eine Dummheit! Ich wäre auch einen Tag lang mal ohne Post ausgekommen. Aber Gewohnheiten sind schwer zu brechen, selbst wenn es um unwichtige Dinge geht. »Ich habe wirklich Glück, dass du bei mir wohnst, Amelia«, sagte ich. Es war vielleicht etwas dick aufgetragen, entsprach aber absolut der Wahrheit.

Doch Amelia hatte gedanklich längst das Thema gewechselt. »Du sprichst wieder mit Jason? Und hast es ihm erzählt? Alles?«

»Ja, es ging nicht anders. Ich kann mich nicht immer nur nach dem richten, was mein Urgroßvater will. Es ist etwas passiert.«

»Bei dir passiert doch immer irgendetwas«, sagte Amelia. Sie klang nicht wütend und verurteilte mich auch nicht.

»Nicht immer«, erwiderte ich nach kurzem Zweifeln und legte auf.

Eigentlich, dachte ich, als ich am Ende der Hummingbird Road auf dem Weg zu meinem Bruder links abbog, hat Jason doch recht damit, dass sich alles verändert hat, seit die Vampire an die Öffentlichkeit getreten sind ... der Meinung könnte ich mich wirklich anschließen.

Und dann stellte ich ganz profan fest, dass ich kaum noch Benzin hatte. Ich musste bei Grabbit Quik halten. Während das flüssige Gold in den Tank meines Wagens rann, verfiel ich wieder ins Grübeln über Jasons Bemerkungen. Was bloß war so dringend, dass ein zurückgezogener und die Menschen verabscheuender Halbelf auf Jasons Türschwelle auftauchte? Was hatte er Jason sagen wollen ... ? Herrje, ich sollte einfach nicht drüber nachdenken.

Das war doch dumm. Ich sollte lieber auf mich selbst aufpassen, anstatt Jasons Probleme zu lösen.

Doch als ich das Gespräch noch ein paar Minuten länger in Gedanken hin und her gewälzt hatte, beschlich mich der leise Verdacht, dass ich es schon etwas besser verstand.

Ich rief Calvin an. Zuerst begriff er nicht, wovon ich redete. Doch er willigte ein, sich bei Jason mit mir zu treffen.

Ich sah Jason flüchtig hinter dem Haus, als ich auf die kreisrunde Auffahrt vor dem hübschen, kleinen Haus einbog, das mein Vater kurz nach der Heirat meiner Eltern gebaut hatte. Es stand draußen auf dem Land, noch weiter westlich als Arlenes Wohnwagen, und obwohl es von der Straße aus zu sehen war, lagen dahinter ein Teich und mehrere Hektar Land. Mein Vater hatte die Jagd und das Angeln geliebt, wie mein Bruder auch. Jason hatte sich kürzlich erst einen behelfsmäßigen Schießstand errichtet, und ich konnte Gewehrschüsse hören.

Ich beschloss, durchs Haus zu gehen, und vorsichtshalber rief ich auch noch laut, als ich an der Hintertür stand.

»Hey!«, rief Jason zurück. Er hielt die .30-30 Winchester in Händen, die unserem Vater gehört hatte. Mel stand hinter ihm, mit einer Schachtel Munition. »Wir dachten, wir üben mal ein bisschen.«

»Gute Idee. Ich wollte nur sichergehen, dass ihr mich nicht für euren verrückten Besucher haltet, der noch mal wiedergekommen ist, um euch weiter anzuschreien.«

Jason lachte. »Ich kapier immer noch nicht, was sich der gute Dermot dabei gedacht hat, hier so einen Auftritt hinzulegen.«

»Ich schon, glaube ich«, sagte ich.

Jason streckte die Hand aus, ohne hinzugucken, und Mel gab ihm einige Kugeln. Dann öffnete Jason das Gewehr und lud es erneut. Ich blickte zu dem Sägebock hinüber, den er aufgestellt hatte, und sah die vielen leeren Milchkannen auf dem Boden liegen. Er hatte sie mit Wasser gefüllt, damit sie fester standen, und dank der vielen Einschusslöcher sickerte das Wasser in den Boden.

»Gut gezielt«, sagte ich und holte tief Luft. »Hey, Mel, willst du mir nicht mal von den Beerdigungen in Hotshot erzählen? Ich war dort noch nie auf einer, und Crystals findet ja statt, sobald die Leiche freigegeben ist, vermute ich.«

Mel wirkte etwas erstaunt. »Weißt du, ich wohn schon seit Jahren nicht mehr da draußen«, erwiderte er. »Ist einfach nichts für mich.« Wenn man von den blauen Flecken absah, wirkte er nicht wie jemand, der durch ein Zimmer geworfen worden war, und schon gar nicht von einem durchgeknallten Halbelf.

»Ich frag mich, warum dieser Kerl dich herumgeworfen hat, und nicht Jason.« Ich spürte, wie Mels Gedanken sich vor Angst fast kräuselten. »Bist du richtig verletzt?«

Er bewegte seine rechte Schulter ein wenig. »Erst dachte ich, es wär was gebrochen. Aber ist wohl nur verstaucht. Ich frag mich, was das für ein Kerl war. Auf jeden Fall keiner von uns.«

Er hatte meine erste Frage nicht beantwortet, fiel mir auf.

Jason sah ihn stolz an, weil er nicht herumgejammert hatte.

»Er ist ein Halbelf«, sagte ich.

Mel wirkte erleichtert. »Na, gut zu wissen. Hat mich ganz schön in meinem Stolz verletzt, dass der mich einfach so durchs Zimmer werfen konnte. Ich mein, ich bin immerhin ein vollblütiger Werpanther, und es war, als wär ich leicht wie ein Kienspan oder so was.«

Jason lachte. »Ich dachte, jetzt bin ich erledigt, der kommt jeden Moment rein und bringt mich um. Doch als Mel auf dem Sofa lag, fing der Kerl an, auf mich einzureden. Mel hat sich tot gestellt, und da stand dieser Verrückte, der mir so ähnlich sieht, und erzählte mir, was für einen Gefallen er mir getan hat...«

»Echt unheimlich«, stimmte Mel zu, aber ihm schien unbehaglich zumute zu sein. »Du weißt, dass ich sofort aufgesprungen wär, wenn er auf dich eingeschlagen hätte. Doch er hatte mir richtig eins verpasst, und ich dachte, ich bleib erst mal liegen, solange er sich nicht an dir vergreift.«

»Mel, ich hoffe, dir geht's wirklich gut.« Ich gab meiner Stimme einen besorgten Unterton und trat ein wenig näher. »Lass mich mal deine Schulter ansehen.« Ich streckte die Hand aus, und Jason runzelte die Augenbrauen.

»Warum willst du denn ...?« Ein schrecklicher Verdacht zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Ohne ein weiteres Wort trat er hinter seinen Freund, packte Mel mit beiden Händen an den Oberarmen und hielt ihn fest. Mel zuckte vor Schmerz, doch er sagte nichts, kein Wort. Er tat nicht mal so, als wäre er empört oder überrascht, und das sagte eigentlich schon alles.

Ich legte Mel meine Hände auf die Wangen, schloss die Augen und sah in seine Gedanken hinein. Und diesmal dachte Mel an Crystal, und nicht an Jason.

»Er hat es getan.« Ich öffnete die Augen wieder und sah über Mels Schulter hinweg meinem Bruder ins Gesicht. Dann nickte ich.

Jason stieß einen Schrei aus, der unmenschlicher kaum sein konnte. Mels Gesicht schien zu zerlaufen, als würden alle Muskeln und Knochen sich verschieben. Er sah nicht mehr aus wie ein Mensch.

»Lass mich dich ansehen«, bat Mel.

Jason war verwirrt, weil Mel mich doch bereits ansah. Er konnte auch kaum woanders hinsehen, so wie mein Bruder ihn festhielt. Mel setzte sich nicht zur Wehr, hatte aber jeden Muskel angespannt. Er wird nicht ewig so passiv bleiben, dachte ich. Ich bückte mich und hob das Gewehr auf, froh darüber, dass Jason gerade nachgeladen hatte.

»Er will dich ansehen, nicht mich«, erklärte ich meinem Bruder.

»Gott verdammt noch mal«, sagte Jason. Er atmete schwer und stoßweise, so als wäre er gerannt, und hatte die Augen weit aufgerissen. »Da musst du mir erst mal einen Grund nennen.«

Ich trat einen Schritt zurück und hob das Gewehr. Auf diese Entfernung würde selbst ich Mel nicht verfehlen. »Dreh ihn um, er will von Angesicht zu Angesicht mit dir reden.«

Ich sah die beiden im Profil, als Jason Mel herumdrehte. Jason packte den Werpanther sofort wieder, und jetzt war sein Gesicht nur dreißig Zentimeter von Mels entfernt.

Calvin kam ums Haus herum. Crystals Schwester Dawn war bei ihm. Und ein etwa Fünfzehnjähriger trottete hinter ihnen her. Ich erinnerte mich, den Jungen auf der Hochzeit gesehen zu haben. Es war Jacky, Crystals ältester Cousin ersten Grades. Teenager verpesten ihre Umgebung geradezu mit Gefühlen und Verwirrung, und auch Jacky machte da keine Ausnahme. Er bemühte sich krampfhaft zu verbergen, wie nervös und aufgeregt er war. Doch es brachte ihn beinahe um, diese coole Haltung vorzutäuschen.

Die drei Neuankömmlinge verstanden das Szenario sofort, Calvin schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Das ist ein schlimmer Tag«, sagte er ganz ruhig, und Mel fuhr zusammen, als er die Stimme seines Anführers hörte.

Jasons Anspannung ließ etwas nach, als er die anderen Werpanther sah.

»Sookie sagt, er hat es getan«, erzählte Jason Calvin.

»Das reicht mir«, erwiderte Calvin. »Aber, Mel - du solltest es uns selbst sagen, Bruder.«

»Ich bin nicht dein Bruder«, sagte Mel bitter. »Ich wohn schon seit Jahren nicht mehr bei euch.«

»Das war deine eigene Entscheidung.« Calvin ging um ihn herum, so dass er ihm ins Gesicht sehen konnte, und die anderen beiden folgten ihm. Jacky knurrte, jede vorgebliche Coolness war verflogen. Jetzt brach das Tier hervor.

»Es gibt sonst keinen wie mich in Hotshot. Ich wär allein gewesen.«

Jason blickte verständnislos drein. »Es wohnen doch jede Menge Typen wie du in Hotshot.«

»Nein, Jason«, erklärte ich. »Mel ist schwul.«

»Ist das ein Problem für uns?«, fragte mein Bruder und sah Calvin an. In mancher Hinsicht war Jason anscheinend immer noch nicht ganz auf dem Stand der Dinge.

»Wir haben kein Problem damit, was die Leute im Bett treiben, wenn sie vorher ihre Pflicht der Gemeinschaft gegenüber erfüllt haben«, erwiderte Calvin. »Vollblütige Werpanther müssen Nachwuchs zeugen, ohne Wenn und Aber.«

»Ich konnte es nicht«, sagte Mel. »Ich konnte es ganz einfach nicht.«

»Aber du warst doch mal verheiratet«, wandte ich ein und wünschte sogleich, ich hätte geschwiegen. Dies war jetzt ein Fall der Werpanther. Ich hatte nicht Bud Dearborn angerufen, sondern Calvin. Calvin reichte mein Wort als Beweis, einem Gericht jedoch reichte es nicht.

»Unsere Ehe wurde nie vollzogen«, sagte Mel. Seine Stimme klang fast normal. »Was für sie okay war. Sie hatte ihr eigenes Ding laufen. Wir hatten nie ... konventionellen Sex.«

Ich fand allein das schon deprimierend und konnte mir kaum vorstellen, wie schwierig das alles für Mel gewesen sein musste. Aber als ich daran dachte, wie Crystal an dieses Kreuz genagelt ausgesehen hatte, erstarb plötzlich all meine Sympathie.

»Warum hast du Crystal das angetan?«, fragte ich. An der Wut, die sich in all den Gedanken um mich herum anstaute, erkannte ich, dass die Zeit für Fragen dem Ende zuging.

Mels Blick ging an mir und meinem Bruder vorbei, weg von seinem Anführer und von der Schwester und dem Cousin seines Opfers. Er schien ihn auf die winterkahlen Äste der Bäume zu richten, die rund um den stillen, braunen Teich standen. »Ich liebe Jason«, sagte er. »Ich liebe ihn. Und sie hat ihn und sein Kind wie Dreck behandelt. Und dann hat sie mich verhöhnt. Sie kam an dem Tag hierher ... ich war vorbeigekommen, weil ich Jason bitten wollte, mir beim Aufbauen von ein paar Regalen zu helfen. Sie tauchte auf, als ich Jason gerade eine Nachricht auf einen Zettel schrieb, und sie sagte ... sie sagte schreckliche Sachen. Und dann forderte sie mich zum Sex auf. Sie wollte es den Leuten in Hotshot erzählen, wenn ich's mit ihr treibe, und sagte, dann könnte ich wieder dort wohnen und Jason könnte zu mir ziehen. Sie fragte: Ich hab sein Baby hier drin, macht dich das gar nicht heiß? Es wurde immer schlimmer und schlimmer. Die Ladefläche des Pick-up war hinten offen, weil ich ziemlich lange Holzbalken geladen hatte, und sie ging irgendwie rückwärts hin und legte sich drauf, und ich konnte sie sehen. Es war... sie war... sie sagte dauernd, was für ein Waschlappen ich bin und dass Jason sich nie was aus mir machen wird... und dann schlug ich zu, so hart wie ich konnte.«

Dawn Norris drehte sich zur Seite weg, als müsste sie sich übergeben. Doch sie presste die Lippen schmal zusammen und richtete sich wieder auf. Jacky war nicht so stark.

»Sie war aber nicht tot«, stieß mein Bruder zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie hat noch am Kreuz geblutet. Und das Baby hat sie erst verloren, als sie schon dranhing.«

»Das tut mir sehr leid.« Mel wandte den Blick vom Teich und den Bäumen ab und sah meinen Bruder an. »Ich dachte, der Schlag hätte sie getötet - wirklich. Ich hätte sie nie draußen liegen lassen und wäre ins Haus gegangen, wenn ich sie nicht für tot gehalten hätte. Ich hätte nie zugelassen, dass jemand anders sie sich schnappt. Was ich getan hatte, war schlimm genug, und ich hatte ihren Tod gewünscht. Aber ich habe sie nicht ans Kreuz genagelt. Bitte, glaub mir das. Was immer du wegen dieses Schlags auch von mir denkst, so etwas hätte ich nie getan. Ich dachte, wenn ich sie woanders hinbringe, dann hält keiner dich für den Mörder. Ich wusste, dass du an dem Abend ausgehst, und dachte noch, dann hättest du sogar ein Alibi. Es war ja ziemlich klar, dass du die Nacht mit Michele verbringen würdest.« Mel lächelte Jason an, mit einem so zärtlichen Blick, dass es mich schmerzte. »Ich habe sie auf der Ladefläche des Pick-up liegen lassen und mir im Haus einen Drink eingeschenkt. Und als ich wieder rauskam, war sie weg. Ich konnte es gar nicht fassen. Wie konnte sie aufstehen und weggehen? Es war kein Blut mehr zu sehen, und die Holzbalken haben auch gefehlt.«

»Warum das Merlotte's?« Calvins Frage klang wie ein Knurren.

»Keine Ahnung.« Mels Gesicht wirkte beinahe erhaben vor Erleichterung, dass er die ihn belastende Schuld endlich eingestanden hatte: dass er ein Verbrechen begangen hatte und meinen Bruder liebte. »Calvin, ich weiß, dass ich sterben muss, und ich schwöre dir, dass ich keine Ahnung habe, was mit Crystal passiert ist, nachdem ich ins Haus gegangen bin. Ich habe ihr diese entsetzliche Sache nicht angetan.«

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte Calvin. »Aber wir haben dein Schuldbekenntnis, und nun nehmen die Dinge ihren Lauf.«

»Das akzeptiere ich«, erwiderte Mel. »Jason, ich liebe dich.«

Dawn drehte ihren Kopf kaum merklich, so dass sie mir in die Augen blicken konnte. »Sie gehen besser«, sagte sie. »Wir haben etwas zu erledigen.«

Und so ging ich mit dem Gewehr in der Hand davon, ohne mich noch einmal umzudrehen, auch nicht, als die anderen Panther begannen, Mel in Stücke zu reißen. Hören konnte ich es allerdings.

Schon nach einer Sekunde erstarb sein Schreien.

Ich legte Jasons Gewehr auf die hintere Veranda und fuhr zur Arbeit. Irgendwie war es jetzt nicht mehr wichtig, einen Bodyguard zu haben.