Kapitel 10
Kaltes Wasser lief mir über Gesicht und Nacken. Ich spuckte und hustete, als etwas in meinen Mund rann.
»Zu viel?«, fragte eine Stimme streng, und als ich eins meiner Augen öffnete, sah ich Eric. Wir waren in meinem Schlafzimmer, und nur das Licht im Badezimmer brannte.
»Genug«, sagte ich. Die Matratze bewegte sich, als Eric aufstand, um den Waschlappen ins Badezimmer zu bringen. Doch schon in der nächsten Sekunde war er mit einem Handtuch wieder da und tupfte mir Gesicht und Nacken ab. Mein Kissen war feucht, aber ich beschloss, mir darüber keine Gedanken zu machen. Es wurde kühl im Haus, jetzt, nach Sonnenuntergang, und ich lag nur in Unterwäsche da. »Mir ist kalt«, sagte ich. »Wo sind meine Sachen?«
»Schmutzig«, erwiderte Eric. Am Fußende des Bettes lag die Überdecke, und mit der deckte er mich zu. Er drehte mir einen Moment den Rücken zu, und ich hörte, wie seine Schuhe zu Boden fielen. Und dann legte er sich zu mir unter die Decke, aufgestützt auf einen Ellenbogen. Er sah auf mich hinunter, und weil er das Licht aus dem Badezimmer im Rücken hatte, konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Liebst du ihn?«, fragte er.
»Leben sie noch?« Es war doch sinnlos, mir zu überlegen, ob ich Quinn noch liebte, wenn er tot war, oder? Vielleicht meinte Eric aber auch Bill. Ich konnte es einfach nicht sagen. Was mir ein wenig seltsam vorkam.
»Quinn ist mit ein paar gebrochenen Rippen und einem gebrochenen Kiefer wieder abgefahren«, erzählte Eric in ziemlich sachlichem Ton. »Und Bills Wunden verheilen heute Nacht, wenn sie nicht schon längst wieder zu sind.«
Ich dachte kurz nach. »Du hattest vermutlich etwas damit zu tun, dass Bill hier war?«
»Ich wusste, dass Quinn meine Entscheidung missachten würde. Er wurde etwa eine halbe Autostunde von meinem Bezirk entfernt gesichtet. Und Bill war der Vampir, der am nächsten an deinem Haus dran war. Seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass du nicht belästigt wirst, solange ich auf dem Weg hierher war. Er hat seine Aufgabe wohl etwas zu ernst genommen. Es tut mir leid, dass du verletzt wurdest«, sagte Eric in steifem Ton. Er war es nicht gewöhnt, sich zu entschuldigen, und ich lächelte in die Dunkelheit. Es war mir fast unmöglich, Angst zu empfinden, stellte ich seltsam distanziert fest. Eigentlich hätte ich doch aufgebracht und wütend sein müssen, oder?
»Sie haben ihren Kampf hoffentlich eingestellt, als ich auf den Boden schlug?«
»Ja, dein Aufprall hat die... die Rauferei beendet.«
»Und Quinn konnte noch selbst fahren?« Ich fuhr mir mit der Zunge durch den Mund, der komisch schmeckte: irgendwie scharf und metallisch.
»Ja, konnte er. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich um dich kümmere. Er wusste, dass er schon mit seinem Besuch hier bei dir zu viele Grenzen überschritten hatte. Ich hatte ihm schließlich verboten, meinen Bezirk zu betreten. Bill wollte sich nicht so schnell fügen, aber ich habe ihn gezwungen, nach Hause zu gehen.«
Typisches Sheriffverhalten. »Hast du mir von deinem Blut gegeben?«, fragte ich.
Eric nickte relativ beiläufig. »Du warst von dem Aufprall bewusstlos«, sagte er. »Und ich weiß, so etwas ist ernst. Ich wollte, dass es dir wieder besser geht. Denn es war meine Schuld.«
Ich seufzte. »Mr Präpotenz«, murmelte ich.
»Was heißt das? Das Wort kenne ich nicht.«
»Präpotent ist jemand, der meint, er wüsste immer, was für alle das Beste ist. Und er trifft Entscheidungen für andere, ohne sie zu fragen.« Okay, ich hatte die Erklärung vielleicht ein wenig auf eine bestimmte Person zugespitzt. Aber wen störte das schon?
»Dann bin ich präpotent«, sagte Eric ohne jede Scham. »Und ich bin auch sehr...« Er neigte den Kopf und küsste mich, langsam und genüsslich.
»Potent«, sagte ich.
»Genau«, erwiderte er und küsste mich gleich noch einmal. »Ich habe mich auf meine neuen Herren eingestellt und meine Autorität stabilisiert. Jetzt kann ich mein eigenes Leben führen. Und es wird Zeit, dass ich Anspruch erhebe auf das, was mein ist.«
Ich hatte mir vorgenommen, dass ich selbst eine Entscheidung treffe, egal, wie stark Eric und ich durch die Blutsbande verbunden waren. Schließlich hatte ich noch einen freien Willen. Aber wie sehr auch immer meine momentane Neigung von Erics Blutspende herrühren mochte: Ich spürte einfach ein starkes körperliches Verlangen danach, seinen Kuss zu erwidern und meine Hand Erics breiten Rücken hinabgleiten zu lassen. Durch den Stoff seines Hemdes konnte ich jeden einzelnen Muskel und Knochen seiner Wirbelsäule fühlen, als sie sich bewegte. Meine Finger schienen sich noch genauso gut an die Landschaft von Erics Körper zu erinnern wie meine Lippen an seine Art zu küssen.
»Erinnerst du dich wirklich?«, fragte ich. »Erinnerst du dich wirklich daran, dass du schon einmal mit mir zusammen warst? Erinnerst du dich noch, wie es sich anfühlte?«
»Oh, ja«, erwiderte er, »ich erinnere mich.« Er hatte meinen BH geöffnet, noch ehe ich seine Hand im Rücken gespürt hatte. »Wie könnte ich die hier je vergessen?«, sagte er, und das Haar fiel ihm ins Gesicht, als er seinen Mund auf meine Brust presste. Ich spürte den winzigen Stich seiner Fangzähne und das heiße Verlangen seines Mundes. Ich fuhr mit der Hand an den Schritt seiner Jeans, rieb die darin schwellende Wölbung, und plötzlich hatte alles Zögern ein Ende.
Seine Jeans flog davon, genau wie sein Hemd, und mein Slip verschwand einfach irgendwie. Und dann presste er seinen langen kalten Körper an meinen warmen. Wie im Wahn küsste er mich wieder und wieder. Er stieß hungrige Laute aus, die in meinem Stöhnen ihren Widerhall fanden. Und mit den Fingern, die meinen ganzen Körper erforschten, presste er meine harten Nippel, dass ich mich vor Verlangen wand.
»Eric«, stöhnte ich und versuchte, mich unter ihn zu schieben. »Jetzt.«
»Oh, ja.« Er drang in mich ein, so als wäre er nie fort gewesen, so als hätten wir uns im letzten Jahr jede Nacht geliebt. »Das ist das Beste«, flüsterte er mit dem Akzent, den ich gelegentlich bei ihm wahrnahm und der ein Hinweis auf jene Zeit und jenes Land war, die so weit entfernt lagen, dass ich sie mir gar nicht vorstellen konnte. »Das ist das Beste«, wiederholte er. »So soll es sein.« Er zog sich leicht aus mir zurück, und ich stieß einen erstickten Schrei aus.
»Tu ich dir weh?«, fragte er.
»Überhaupt nicht«, erwiderte ich.
»Für einige bin ich zu groß.«
»Mach weiter«, sagte ich.
Und er bewegte sich wieder.
»Ohmeingott«, stöhnte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Meine Finger gruben sich in seine muskulösen Arme. »Ja, noch mal!« Er war so tief in mich eingedrungen, wie es ohne Operation möglich war, und sein weiß schimmernder Körper erglühte über mir in der Dunkelheit des Zimmers. Er sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand, und einen Augenblick später sagte er es noch einmal. Und dann begann er sich schneller und schneller zu bewegen, bis ich dachte, es reißt mich in Stücke, doch ich machte weiter. Ich machte weiter, bis ich sah, wie er sich mit glitzernden Fangzähnen über mich beugte. Und als er mir in die Schulter biss, verließ ich eine Minute lang meinen Körper. Noch nie hatte ich etwas so Wundervolles empfunden. Ich hatte nicht einmal mehr genug Atem, um zu schreien oder zu sprechen. Meine Arme umschlangen Eric, und ich spürte seinen ganzen Körper erzittern, als er selbst seine wundervolle Minute hatte.
Ich war so aufgewühlt, dass ich nicht mal hätte sprechen können, wenn mein Leben davon abgehangen hätte. Schweigend lagen wir da, erschöpft. Sein Gewicht auf mir machte mir nichts aus. Ich fühlte mich sicher.
Träge leckte er meine Bisswunde, und ich lächelte in die Dunkelheit hinein. Ich streichelte ihm den Rücken, als wollte ich ein Tier beruhigen, und fühlte mich so gut wie schon seit Monaten nicht mehr. Es war eine Weile her, seit ich zuletzt Sex gehabt hatte, und das hier war eine Art... Gourmet-Sex gewesen. Selbst jetzt noch spürte ich kleine Eruptionen der Wollust aus dem Epizentrum des Orgasmus aufsteigen.
»Wird das die Blutsbande verändern?«, fragte ich. Ich bemühte mich, nicht so zu klingen, als würde ich ihm etwas vorwerfen. Aber das tat ich natürlich.
»Felipe wollte dich. Je stärker unsere Blutsbande sind, desto weniger kann er dich hier weglotsen.«
Ich erschrak. »Ich will hier nicht weg.«
»Das musst du auch nicht.« Erics Stimme schwebte über mir wie eine Federdecke. »Wir haben uns mit dem Dolch die Treue gelobt. Wir sind verbunden. Er kann dich mir nicht einfach wegnehmen.«
Ich war einfach nur dankbar dafür, dass ich nicht nach Las Vegas gehen musste. Denn ich wollte nicht von zu Hause weg. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, von so viel Gier umgeben zu sein - okay, doch, konnte ich. Es wäre entsetzlich. Eric nahm eine meiner Brüste in seine große kalte Hand und streichelte sie mit seinem langen Daumen.
»Beiß mich«, sagte Eric, und er meinte es wörtlich.
»Warum? Du hast doch gesagt, du hast mir schon etwas gegeben.«
»Weil es sich so gut anfühlt«, sagte er und legte sich wieder auf mich. »Nur ... dafür.«
»Du kannst doch nicht...« Aber er war schon wieder bereit.
»Willst du mal oben liegen?«, fragte Eric.
»Das können wir gern eine ganze Weile machen«, sagte ich und versuchte, nicht zu sehr nach Femme fatal zu klingen. Denn es fiel mir geradezu schwer, nicht rauchig heiser zu schnurren. Und ehe ich mich versah, hatten wir schon die Positionen getauscht. Gespannt sah er mich an. Seine Hände wanderten hinauf zu meinen Brüsten, die er streichelte und sanft drückte, und sein Mund folgte seinen Händen.
Ich war so entspannt, dass ich fürchtete, die Kontrolle über meine Beine zu verlieren, und bewegte mich langsam, aber nicht sehr gleichmäßig. Doch allmählich baute sich wieder eine Spannung auf. Ich konzentrierte mich stärker, bewegte mich rhythmischer.
»Langsam«, sagte er, und ich reduzierte das Tempo wieder. Er legte die Hände an meine Hüften und begann, mich zu dirigieren.
»Oh«, stöhnte ich, als eine Woge der Lust mich durchfuhr. Er hatte mein Lustzentrum mit seinem Daumen gefunden. Ich begann, wieder schneller zu werden, und falls er danach noch mal versucht hat, mich aufzuhalten, so habe ich es nicht mehr bemerkt. Ich ritt auf und ab, immer schneller und schneller, und dann ergriff ich sein Handgelenk, biss mit aller Kraft hinein und saugte an der Wunde. Er stieß einen Schrei aus, einen unverständlichen Laut der Erlösung und Erleichterung, was auch mich zum Höhepunkt brachte. Erschöpft sank ich auf ihm zusammen und leckte ihm träge das Handgelenk, auch wenn mein Speichel nicht wie der der Vampire ein Gerinnungsmittel enthält.
»Perfekt«, sagte er. »Perfekt.«
Ich wollte schon entgegnen, dass das wohl kaum möglich wäre, bei all den Frauen, die er über die Jahrhunderte hinweg schon gehabt hatte. Doch dann dachte ich nur: Warum den Augenblick zerstören? Lass es. Und in einem seltenen Moment der Weisheit hörte ich auf meinen eigenen guten Rat.
»Soll ich dir mal erzählen, was mir heute alles passiert ist?«, fragte ich, nachdem wir ein paar Minuten lang gedöst hatten.
»Sicher, Liebste.« Er lag mit halb geschlossenen Augen auf dem Rücken neben mir. Im Zimmer roch es nach Sex und Vampir. »Ich bin ganz Ohr - im Moment jedenfalls.« Er lachte.
Das war das wahre Vergnügen, oder zumindest eins der wahren Vergnügen - jemanden zu haben, mit dem man die Erlebnisse des Tages teilen konnte. Eric war ein guter Zuhörer, wenigstens in diesem völlig entspannten Zustand nach dem Sex. Und so erzählte ich von Andys und Lattestas Besuch und von Dianthas Auftauchen, als ich mich sonnte.
»Die Sonne habe ich auf deiner Haut geschmeckt«, warf er ein und streichelte mich. »Fahr fort.«
Und so sprudelte ich weiter, wie ein Bach im Frühling, und erzählte auch noch von meinem Treffen mit Claude und Claudine und all das, was ich von den beiden über Breandan und Dermot erfahren hatte.
Eric wurde aufmerksamer, als ich von den Elfen sprach. »Ums Haus herum roch es nach Elfen«, sagte er. »Doch in meiner unbändigen Wut über deinen tigergestreiften Verehrer habe ich den Gedanken beiseite geschoben. Wer war hier?«
»Irgend so ein böser Elf namens Murry, aber mach dir keine Sorgen, ich habe ihn getötet.« Hätte ich irgendeinen Zweifel daran gehabt, ob Eric mir auch wirklich zuhörte, jetzt wären sie alle ausgeräumt gewesen.
»Wie hast du das gemacht, Liebste?«, fragte er sehr sanft.
Ich erklärte es ihm, und als ich an die Stelle kam, an der mein Urgroßvater und Dillon auftauchten, setzte Eric sich auf. Er war völlig ernst und besorgt.
»Und die Leiche ist weg?«, fragte er zum dritten Mal, und ich erwiderte: »Ja, ist sie, Eric.«
»Es wäre vielleicht besser, wenn du mit nach Shreveport kommen würdest«, schlug er vor. »Du könntest in meinem Haus wohnen.«
Das war eine Premiere. Ich war von Eric noch nie nach Hause eingeladen worden und wusste nicht mal, wo genau er wohnte. Ich staunte nicht schlecht und war irgendwie auch gerührt.
»Das ist unheimlich nett«, sagte ich, »aber es wäre furchtbar anstrengend, jeden Tag von Shreveport nach Bon Temps in die Arbeit zu pendeln.«
»Du wärst sehr viel geschützter, wenn du deinen Job aufgibst, bis dieses Problem mit den Elfen gelöst ist.« Eric neigte den Kopf und sah mich mit recht ausdrucksloser Miene an.
»Nein, danke«, erwiderte ich. »Ich weiß dein Angebot zu schätzen. Aber ich wette, es wäre dir im Grunde lästig, und ich weiß, dass es mir lästig wäre.«
»Pam ist die einzige andere Person, die ich je zu mir nach Hause eingeladen habe.«
»Eintritt nur für Blondinen, wie?«, sagte ich scherzend.
»Ich erweise dir mit dieser Einladung eine Ehre.« Immer noch kein Hinweis in seinem Gesichtsausdruck. Wäre ich nicht so daran gewöhnt gewesen, die Gedanken der Leute zu lesen, hätte ich seine Körpersprache vielleicht besser deuten können. Für mich war es eben normal, zu wissen, was die Leute eigentlich meinten, ganz gleich, was sie laut aussprachen.
»Eric, ich bin völlig ahnungslos«, sagte ich. »Karten auf den Tisch, okay? Du wartest doch auf eine ganz bestimmte Reaktion von mir, aber ich habe keine Ahnung, worauf.«
Jetzt war er verblüfft; jedenfalls sah er so aus.
»Was hättest du denn gern?«, fragte er, und sein schönes, goldblondes Haar fiel ihm wirr ins Gesicht. Er war völlig zerzaust, seit wir uns geliebt hatten, und sah besser aus denn je. Wie unfair!
»Was ich gern hätte?«, fragte ich. Er legte sich wieder hin, und ich drehte mich auf die Seite, um ihn anzusehen. »Nichts Bestimmtes, glaube ich«, sagte ich vorsichtig. »Einen Orgasmus vielleicht, aber davon hatte ich ja schon jede Menge.« In der Hoffnung, dass das die richtige Antwort war, lächelte ich ihn an.
»Du willst deinen Job nicht aufgeben?«
»Warum sollte ich meinen Job aufgeben? Wovon sollte ich dann leben?«, fragte ich verständnislos. Doch dann machte es endlich klick. »Ach, weil wir es miteinander getrieben haben und du gesagt hast, ich wäre dein, glaubst du, ich würde jetzt meinen Job aufgeben wollen und mich um deinen Haushalt kümmern? Den ganzen Tag Süßigkeiten essen und mich nachts von dir vernaschen lassen?«
Genau, das war 's. Seine Miene bestätigte es. Ich wusste nicht, was ich empfinden sollte. Schmerz? Wut? Nein, davon hatte ich an diesem Tag schon mehr als genug erlebt. Und selbst wenn mir die ganze Nacht zur Verfügung stünde, heute konnte ich kein so starkes Gefühl mehr aufbringen. »Eric, ich arbeite gern«, begann ich sanft. »Ich brauche es, jeden Tag aus dem Haus zu kommen und mich unter die Leute zu mischen. Tue ich das nicht, dann ist der Lärm ohrenbetäubend, wenn ich zurückkehre. Es ist viel besser für mich, mit Leuten umzugehen und daran gewöhnt zu bleiben, all diese Gedanken in den Hintergrund zu verbannen.« Meine Erklärung war nicht sonderlich gut, fürchte ich. »Und außerdem bin ich gern im Merlotte's. Ich mag meine Kollegen. Okay, Alkohol an die Leute auszuschenken ist nicht gerade nobel oder ein Dienst an der Gesellschaft; vielleicht sogar das Gegenteil. Aber ich bin gut in meinem Job, und er gefällt mir. Willst du etwa sagen, dass ... Was willst du sagen?«
Eric wirkte unsicher, ein Ausdruck, der sich seltsam ausnahm in seinem normalerweise so selbstbewussten Gesicht. »Das haben alle anderen Frauen von mir verlangt«, sagte er. »Ich habe versucht, es dir anzubieten, ehe du mich darum bittest.«
»Ich bin nicht wie alle anderen Frauen«, erwiderte ich. Es war schwierig in meiner halb liegenden Haltung, die Achseln zu zucken, aber ich versuchte es.
»Du bist mein«, sagte Eric. Als er mein Stirnrunzeln sah, verbesserte er sich hastig. »Du bist meine Geliebte. Nicht Quinns, nicht Sams, nicht Bills.« Eine lange Pause. »Oder nicht?«
Ein Beziehungsgespräch, vom Mann forciert. Das war ganz und gar nicht das, was ich aus den Geschichten der anderen Kellnerinnen so kannte.
»Ich weiß nicht, ob das ... Gefühl, das ich empfinde, von unseren Blutsbanden herrührt oder ob ich es auch von ganz allein hätte.« Ich wählte jedes Wort mit Bedacht. »Ich wäre heute Abend sicher nicht so schnell zum Sex mit dir bereit gewesen, wenn wir diese Blutsbande nicht hätten, denn der heutige Tag war die Hölle. Ich kann nicht sagen: ›Oh, Eric, ich liebe dich, bring mich hier weg‹, weil ich nicht weiß, was real ist und was nicht. Und solange ich mir darüber nicht im Klaren bin, werde ich mein Leben nicht drastisch ändern.«
Erics Augenbrauen wanderten aufeinander zu, ein sicheres Anzeichen für Missfallen.
»Bin ich glücklich, wenn ich mit dir zusammen bin?« Ich legte ihm die Hand an die Wange. »Ja, das bin ich. Ist der Sex mit dir das Größte überhaupt für mich? Ja, ist es. Will ich das wieder tun? Worauf du wetten kannst, wenn auch nicht sofort, weil ich müde bin. Aber bald. Und oft. Habe ich mit anderen Sex? Nein. Und das werde ich auch nicht, es sei denn, es stellt sich heraus, dass uns nichts als unsere Blutsbande verbindet.«
Es sah aus, als lägen ihm viele verschiedene Antworten auf der Zunge. Schließlich fragte er: »Tut es dir um Quinn leid?«
»Ja«, erwiderte ich, weil ich ehrlich sein wollte. »Denn wir standen am Anfang von etwas Gutem, und vielleicht war es ein großer Fehler, mit ihm Schluss zu machen. Aber ich war noch nie mit zwei Männern zur selben Zeit zusammen, und damit werde ich auch jetzt nicht anfangen. Und im Moment bist du der Mann.«
»Du liebst mich«, sagte er und nickte.
»Ich mag dich«, erwiderte ich verhalten. »Ich empfinde großes Verlangen nach dir und bin gern mit dir zusammen.«
»Das ist etwas anderes«, sagte Eric.
»Stimmt. Aber bedränge ich dich mit Fragen danach, was du für mich empfindest? Nein, denn ich bin verdammt sicher, dass mir die Antwort nicht gefallen würde. Du solltest dich vielleicht einfach etwas mehr zurückhalten.«
»Du willst nicht wissen, was ich für dich empfinde?« Eric sah ungläubig drein. »Ich kann kaum glauben, dass du eine Menschenfrau bist. Menschenfrauen wollen immer wissen, was man für sie empfindet.«
»Und ich könnte wetten, dass sie jedes Mal enttäuscht sind, wenn du es ihnen sagst, hm?«
Er hob eine Augenbraue und lächelte spöttisch. »Wenn ich ihnen die Wahrheit sage.«
»Und das soll mein Vertrauen in dich stärken?«
»Dir sage ich immer die Wahrheit«, erwiderte er. Und es war kein Anflug jenes Lächelns mehr in seinem Gesicht. »Ich erzähle dir vielleicht nicht alles, was ich weiß. Aber was ich dir erzähle... ist wahr.«
»Warum?«
»Die Blutsbande wirken in beide Richtungen«, erklärte Eric. »Ich habe schon das Blut vieler Frauen gehabt und äußerste Kontrolle über sie erlangt. Aber sie haben nie meins getrunken. Es ist Jahrzehnte, ja vielleicht sogar Jahrhunderte her, seit ich einer Frau mein Blut gab. Zum letzten Mal vermutlich, als ich Pam zur Vampirin machte.«
»Ist das das übliche Verhalten unter den Vampiren, die du kennst?« Ich war nicht ganz sicher, wie ich nach dem fragen sollte, was ich wissen wollte.
Er zögerte, dann nickte er. »Meistens. Einige Vampire haben gern die totale Kontrolle über einen Menschen und machen ihn zu ihrem ... Renfield.« Er sprach den Namen mit Abscheu aus.
»Der ist aus ›Dracula‹, oder?«
»Ja, Draculas menschlicher Diener. Ein Schwächling... Warum jemand von Draculas hohem Ansehen eine so unwürdige Kreatur wie diesen Mann um sich duldet...« Eric schüttelte angewidert den Kopf. »Aber es kommt vor. Die Besten unter uns verachten Vampire, die sich Diener um Diener schaffen. Der Mensch ist verloren, wenn der Vampir zu große Kontrolle über ihn hat. Und wenn der Mensch sich völlig unterwirft, ist er es nicht wert, zum Vampir gemacht zu werden. Dann ist er gar nichts wert. Früher oder später muss er getötet werden.«
»Getötet! Aber warum denn?«
»Wenn der Vampir, der eine solche Kontrolle erlangt hat, den Renfield verlässt, oder wenn der Vampir selbst getötet wird ... ist das Leben des Renfield nicht mehr lebenswert.«
»Er muss quasi eingeschläfert werden«, sagte ich. Wie ein Hund mit Tollwut.
»Ja.« Eric wandte den Blick ab.
»Aber das wird mir nicht passieren. Und du wirst mich nie zu einer Vampirin machen.« Das war mein voller Ernst.
»Nein. Ich werde dich nie in die Unterwürfigkeit zwingen. Das lehne ich mehr als alles andere ab.«
»Dann sind wir ja einer Meinung. Und es muss auch ganz egal sein, wie sehr ich dich behalten möchte.«
Auch Bill hatte mich nicht zur Vampirin gemacht, als ich kurz nach unserem Kennenlernen dem Tode nahe war. Bislang war mir gar nicht klar gewesen, dass er dieser Versuchung vielleicht ausgesetzt war. Stattdessen hatte er mir mein menschliches Leben gerettet. Darüber musste ich später noch mal nachdenken. Denn es war geschmacklos, über einen Mann nachzudenken, während man mit einem anderen im Bett lag.
»Du hast mich vor den Blutsbanden mit Andre gerettet«, sagte ich. »Aber ich zahle einen Preis dafür.«
»Hätte er überlebt, hätte auch ich einen Preis gezahlt. Ganz gleich, wie sanft er auch reagiert hat, Andre hätte mich meine Einmischung büßen lassen.«
»An jenem Abend wirkte er so ruhig«, erwiderte ich. Eric hatte Andre überredet, stellvertretend für ihn zu handeln. Wofür ich damals sehr dankbar war, denn Andre fand ich einfach nur gruselig, und ich war ihm auch völlig egal. Mein Gespräch mit Tara fiel mir ein. Ich wäre jetzt frei, wenn Andre in jener Nacht mein Blut getrunken hätte, denn er ist tot. Ich wusste immer noch nicht, wie ich das beurteilen sollte - am besten auf drei verschiedene Arten.
Dieser Abend hielt ja wirklich jede Menge Erkenntnisse parat. Aber so langsam war's auch mal wieder gut.
»Andre vergaß es niemals, wenn man sich seinem Willen widersetzte«, sagte Eric. »Weißt du eigentlich, woran er gestorben ist, Sookie?«
Oh-oh.
»In seiner Brust steckte ein großer Holzsplitter.« Ich musste ein wenig schlucken. Wie Eric sagte auch ich nicht immer die ganze Wahrheit. Denn der Holzsplitter war nicht zufällig in Andres Brust geraten. Das hatte Quinn getan.
Eric sah mich an, und dieser Blick schien ewig zu dauern. Er spürte natürlich meine Angst. Ich wartete ab, ob er das Thema weiter vertiefen würde. »Andre vermisse ich nicht«, sagte er schließlich. »Aber um Sophie-Anne tut es mir leid. Sie war tapfer.«
»Stimmt«, erwiderte ich erleichtert. »Übrigens, wie kommst du eigentlich mit deinen neuen Herren zurecht?«
»So weit, so gut. Sie sind sehr vorwärtsgewandt. Das gefällt mir.«
Seit Ende Oktober hatte Eric sich auf die Strukturen einer neuen und größeren Organisation einstellen müssen, auf die Charaktere der Vampire, die sie in Gang hielten, und auf neue Sheriffs, mit denen er Verbindungen knüpfen musste. Das war sogar für ihn ein großer Brocken.
»Die Vampire, die schon vor jener Nacht um dich waren, sind bestimmt überglücklich, dass sie dir Treue gelobt hatten und deshalb überlebt haben. In jener Nacht sind ja enorm viele Vampire in Louisiana endgültig gestorben.«
Eric lächelte breit. Es war ein wirklich furchterregendes Lächeln, aber ich hatte seine ausgefahrenen Fangzähne ja schon öfter gesehen. »Ja«, sagte er höchst selbstzufrieden. »Sie verdanken mir ihr Leben, und sie wissen es.«
Er schlang die Arme um mich und drückte mich an seinen kalten Körper. Ich war zufrieden und befriedigt und ließ meine Finger durch seine langen goldblonden Haare gleiten. Dann fiel mir das aufreizende Foto von Eric als Mr Januar im Kalender »Die Vampire von Louisiana« ein. Das Foto, das er mir vor Kurzem geschickt hatte, gefiel mir sogar noch besser. Ich fragte mich, ob ich davon wohl einen Abzug in Postergröße haben könnte.
Er lachte, als ich ihn darum bat. »Wir sollten darüber nachdenken, einen neuen Kalender zu produzieren. Der hat uns einen Batzen Geld eingebracht. Wenn ich ein Foto von dir in derselben Pose bekomme, kriegst du meins in Postergröße.«
Zwanzig Sekunden lang dachte ich ernsthaft darüber nach. »Ich könnte keine Aktaufnahme von mir machen lassen«, sagte ich dann mit leichtem Bedauern. »Solche Fotos tauchen immer im ungünstigsten Moment irgendwo wieder auf, und dann ist man am Arsch.«
Wieder lachte Eric, laut und heiser. »Dein Arsch hat's mir aber angetan«, sagte er. »Soll ich mal hineinbeißen?« Und so führte eins zum anderen und zu vielen wunderbaren und verspielten Dingen. Und nachdem wir auch diese Dinge zu einem glücklichen Ende gebracht hatten, sah Eric auf den Wecker auf meinem Nachttisch.
»Ich muss gehen«, flüsterte er.
»Ich weiß.« Meine Augen waren schon schwer von Müdigkeit.
Er zog sich an, um nach Shreveport zurückzufahren, und ich schob die Überdecke beiseite und kuschelte mich unter meine richtige Bettdecke. Es fiel mir schwer, die Augen offenzuhalten, auch wenn es herrlich war, ihn in meinem Schlafzimmer herumlaufen zu sehen.
Als er sich zu einem Abschiedskuss über mich beugte, schlang ich die Arme um seinen Nacken. Einen Augenblick lang wusste ich, dass er daran dachte, wieder zu mir ins Bett zu kriechen. Aber es waren hoffentlich bloß seine Körpersprache und sein verlangendes Gemurmel, die mir einen Hinweis auf seine Gedanken gaben. Gelegentlich schnappte ich den Gedankenfetzen eines Vampirs auf, doch es ängstigte mich jedes Mal zu Tode. Denn ich würde sicher nicht mehr lange leben, wenn die Vampire wüssten, dass ich ihre Gedanken lesen konnte, ganz gleich, wie selten das auch geschah.
»Ich will dich noch mal.« Eric klang selbst überrascht. »Aber ich muss gehen.«
»Wir sehen uns bald, ja?« Ich war wach genug, um mich unsicher zu fühlen.
»Ja«, sagte er. Seine Augen glühten und seine Haut schimmerte. Die Wunde an seinem Handgelenk war verheilt. Ich berührte die Stelle, wo sie gewesen war. Er küsste mich auf den Hals, dorthin, wo er mich gebissen hatte, und mein ganzer Körper erbebte. »Bald.«
Und dann war er weg. Ich hörte, wie die Hintertür leise ins Schloss fiel. Mit dem letzten bisschen Kraft, das ich aufbringen konnte, stand ich auf und ging im Dunkeln durch die Küche, um den Riegel vorzuschieben. Ich sah Amelias Wagen neben meinem parken, sie war also irgendwann spätabends nach Hause gekommen.
Ich ging zur Spüle hinüber und füllte mir ein Glas mit Wasser. Weil ich die Küche auch im Dunkeln wie meine Westentasche kannte, brauchte ich kein Licht. Ich trank und merkte, dass ich sehr durstig war. Als ich mich schließlich umdrehen wollte, um wieder ins Bett zu gehen, nahm ich am Waldrand eine Bewegung wahr. Erstarrt blieb ich stehen, und mein Herz hämmerte auf höchst unerfreuliche Weise.
Bill trat zwischen den Bäumen hervor. Ich wusste, dass er es war, auch wenn ich sein Gesicht nicht deutlich erkennen konnte. Er hatte den Blick erhoben, und so war mir klar, dass er Eric beim Davonfliegen nachgesehen haben musste. Dann hatte sich Bill also schon von seinem Kampf mit Quinn erholt.
Ich hatte erwartet, dass ich mich darüber ärgern würde, Bill dort auf Beobachterposten zu entdecken, doch der Ärger stieg nicht hoch. Was immer auch zwischen uns vorgefallen war, mich verließ nie das Gefühl, dass Bill mich nicht einfach nur ausspioniert hatte - er hatte auch über mich gewacht.
Und außerdem, was hätte ich denn - praktisch gesehen - tun sollen? Ich konnte ja wohl kaum die Tür aufreißen und mich dafür entschuldigen, dass ich Männerbesuch hatte. In diesem Moment tat es mir nicht im Geringsten leid, dass ich mit Eric ins Bett gegangen war. Im Gegenteil, meine Lust war gestillt, und ich fühlte mich, als hätte ich das Thanksgiving des Sex gefeiert. Eric hatte zwar überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Truthahn - doch nachdem ich ihn mir auf meinem Küchentisch hübsch angerichtet mit Süßkartoffeln und Marshmallows vorgestellt hatte, war ich endgültig bettreif. Mit einem Lächeln auf den Lippen kroch ich unter die Decke, und mein Kopf hatte das Kissen kaum berührt, da schlief ich auch schon.