5: This Is Not My Crime

Twiggy hielt die Karten in der bandagierten Hand, Robbi saß auf seinem Schoß und überlegte, ob mit diesem Blatt ein Blumentopf zu gewinnen sei. Dornröschens Gesicht war fast abgeschwollen, das linke Auge schillerte blauschwarz, und über dem rechten klebte ein Pflaster. Matti glaubte immer noch, er kennte alle seine Knochen beim Vornamen, aber nie wäre er auf die Idee gekommen, sich vor der Mau-Mau-Schlacht zu drücken. Und die tobte härter als je zuvor.

Am Ende hatten Twiggy und Dornröschen jeweils noch zwei Karten und Matti die Hand voll. Und dann legte Dornröschen mit vollendeter Eleganz und einem leisen Grinsen eine Pik-Sieben auf den Tisch, und Twiggy knurrte wie ein Säbelzahntiger. Matti konnte trotz seiner Kartenfülle nicht ablegen, symptomatisch für diesen Abend, wogegen Dornröschen als Letztes ein As servierte, das sie mit einer knappen Handbewegung auf die anderen Karten legte, um zum Triumph die Demütigung zu fügen. Es war niederschmetternd.

Robbi schüttelte den Kopf, und eine Haarwolke trat ihre Flugbahn durch die Küche an. Natürlich hatte der Kater jeden taktischen Fehler Twiggys erkannt, war aber durch sein Schweigegelübde daran gehindert, seinem Lieblingsknecht Tipps zu geben, die den mit Leichtigkeit hätten siegen lassen. Gewiss überlegte der Kater hin und wieder, ob er nicht selbst ins Geschehen eingreifen sollte, aber vermutlich war ihm das Spiel zu öde. Einen Skat hätte er mitgespielt, keine Frage. Oder vielleicht Bridge.

Twiggy nuckelte an der Bierflasche, und Matti betrachtete entnervt den Kartenstapel, den er nicht abgelegt hatte. So übel hatte es ihn schon lang nicht mehr getroffen. Fast hätte er sich gewünscht, dass Dornröschens Handy klingelte, um ihr Dauergrinsen nicht mehr ertragen zu müssen, ein Dauergrinsen, das sie so unbedarft verbarg, dass es umso schlimmer bohrte.

Matti goss sich Rotwein ein. Dornröschen begann sich einen neuen Tee zu kochen.

Twiggy schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich hatte sie so gut wie im Sack«, stöhnte er. »Zwei schlappe Karten. Sie spielt falsch, das habe ich immer gewusst.«

Dornröschen kicherte.

»Eines Tages erwische ich dich.« Er hob die Hand.

Dornröschen kicherte.

»Und nun?«, fragte Matti.

»Tja«, sagte Dornröschen.

»Die bringen uns um«, sagte Twiggy.

»Das haben die anderen Jungs auch geglaubt. Und wer hat sie auflaufen lassen? Wir.« Dornröschen gähnte, um diese Tatsache zu betonen.

Ja, wir haben sie gekriegt. Vielleicht nicht alle, vielleicht nicht einmal die Wichtigsten, dachte Matti. Wir konnten ihnen nicht einmal das Geschäft vermasseln, das läuft wie eh und je, nur dass andere an den Schalthebeln sitzen. Sie wollten uns beseitigen, und wir haben sie beseitigt. Aber wir haben Konny verloren und Norbert und jetzt Rosi. Es kam ihm vor wie ein Krieg. »Also, Spiel und Rademacher sind gewiss korrupte Schweine. Aber auch Mörder?«

»Ja, ja«, sagte Dornröschen nachdenklich. »Bleibt die Variante, dass die Typen Rosi eine Abreibung verpassen wollten und sie aus Versehen umbrachten.«

»Ich habe doch schon gesagt, dass die niemanden aus Versehen umbringen.« Matti war sich sicher. »Die Typen, die uns verprügelt haben, kommen bestimmt aus dem Zuhältermilieu, in der Tanzmarie lungern solche Gestalten in Massen herum, jede Wette. Die sind nicht so blöd, einfach jemanden zu ermorden, weil sie wissen, was dann kommt.«

Robbi maunzte und sprang empört auf den Fußboden. Twiggy stand auf und gab der Katze Thunfischfutter.

»Aber das Motiv ist sonnenklar«, moserte Twiggy, nachdem er die Dose in den Kühlschrank zurückgestellt hatte. »Die Koldings und die Spiels und die Rademachers sind eine Bande, und die haben was zu verlieren. Ihre Jobs, ihr Geld, ihre Autos, den Tennisclub, die Geliebte …«

»Klar«, sagte Dornröschen. »Wir müssen mit den Kolding-Leuten reden. Hätten wir längst tun sollen.«

»Wir sollten mit den Schlägern reden«, sagte Matti.

»Du spinnst!« Twiggy tippte sich an die Stirn.

Dornröschen blickte Matti erstaunt an, dann zeigten ihre Augen, dass sie verstand, was Matti vorhatte. »Wenn wir denen verklickern, dass sie wegen Mord drankommen können, dann verraten die uns vielleicht was.«

»Junge Frau, wir haben diese Rosi umbringen müssen. Tut uns echt leid. Sagen Sie es bitte nicht weiter!«, warf Twiggy lachend ein.

»Wer hat die Typen geschickt: die Koldings, Spiel und Rademacher oder alle zusammen?«, fragte Matti. »Wenn wir rauskriegen, wer uns Schläger auf den Hals schickt, dann haben wir was in der Hand.«

»Ja, klar, nur wie willst du das rauskriegen?«, fragte Twiggy. »Du brauchst eine Zeugenaussage, eine eidesstattliche Erklärung am besten.« Seine Stimme wurde tief: »Ich, der Zuhälter Egon Müller, versichere an Eides statt, dass ich zusammen mit meinen Kumpels im Auftrag der Kolding GmbH & Co KG AG Leute verhaue …«

»Ist ja gut«, sagte Matti.

»Wir besuchen die Koldings«, sagte Dornröschen. Ihr Handy klingelte, Matti konnte My Generation nicht mehr hören, jedenfalls nicht mehr die Coverversion von Patti Smith. Dornröschen warf einen Blick auf die Anzeige und drückte das Gespräch weg.

»Ohne Anmeldung«, sagte Matti.

Twiggy schüttelte den Kopf. »Das ist doch Quatsch. Die lassen uns gleich von den Bullen abräumen. Wir müssen die woanders erwischen. Außerdem, wollten wir nicht die Ini-Leute durchkneten? Da fehlen noch ein paar.«

»Das ist jetzt nicht so wichtig …«, sagte Matti.

»Es sei denn, einer von denen …«, unterbrach Dornröschen.

»Eben«, sagte Twiggy.

Robbi kratzte an seinem Hosenbein, und Twiggy spielte Katzenaufzug.

»Es ist zum Kotzen«, sagte Dornröschen nach einer Weile. »Aber wir sind nicht die Bullen, wir können uns auch nicht zerreißen, wir müssen uns auf etwas konzentrieren.«

»Na gut«, sagte Twiggy. »Morgen, nach dem Frühstück, ich muss noch mal los.«

»In deinem Zustand?«, fragte Dornröschen.

Twiggy quälte sich vom Stuhl hoch, in einer Hand Robbi, den er auf den Boden setzte.

»Montag früh ist okay«, sagte Matti.

»Guten Morgen, die Leiner Event GmbH, Frau Jansen-Hilferding am Apparat, ich würde gern mit Ihrem Betriebsrat sprechen … Haben Sie nicht … Wer ist bei Ihnen denn für innerbetriebliche Abläufe zuständig? … Was das ist? … Haben Sie noch nie eine Betriebsfeier gehabt? … Ach, das ist ja traurig … Und wenn es so etwas zu organisieren gäbe, wer wäre da der richtige Ansprechpartner? … Und sonstige Freizeitaktivitäten … Betriebsklima, Sie wissen ja … die angeblich so unwichtigen Kleinigkeiten … aber die machen die Musik, Sie verstehen … Wenn wir gerade bei Musik sind … Wir hätten da einiges im Angebot … Darf ich Ihnen unsere Referenzen schicken?« Dornröschen schwieg und hörte zu. Dann verabschiedete sie sich wortreich.

»Die spielen Squash, jeden Dienstagabend«, sagte Dornröschen.

»Morgen also«, sagte Matti. Ihm war mulmig zumute.

Das Fitnessstudio mit Squashhalle lag in einem Gewerbegebiet nahe dem S-Bahnhof Ostkreuz oder was die Renovierungsarbeiten von ihm übrig gelassen hatten. Überall Betonklötze, dazwischen ein Bau mit beigefarbener Fassade und einem über die gesamte Gebäudehöhe angeklebten Halbturm. Auf dem Turm ein weißes Schild mit der Aufschrift Squash 2000. Vor dem Haus parkten Autos. Matti drückte die Glastür auf, Twiggy und Dornröschen folgten. Sie hatten sich in Schale geworfen, sportlich lässig, Dornröschen hatte sogar ein Kostüm angezogen, das zwar alt, aber wenig getragen war und ihr stand, wie Matti gleich festgestellt hatte.

Hinterm Tresen saß eine gefärbte Blondine mit knallengem rotem Top, dessen Stoff so dünn war, dass er auch als transparent hätte durchgehen können.

Als die Frau endlich gelangweilt ihren Blick hob, sagte Dornröschen höflich, aber bestimmt: »Hier halten sich gerade Mitarbeiter der Firma Kolding auf. Wo sind sie?«

In den Augen der Blondine standen Fragen: Bullen? Geheimdienst? Privatschnüffler? Finanzamt?

»Nun, wo?«, fragte Matti im Befehlston.

Die Blondine blickte auf ihr Telefon, auf Matti, wieder aufs Telefon. Als sie zum Hörer griff, bellte Twiggy: »Wollen Sie eine Ermittlung behindern? Ich untersage Ihnen, jemanden anzurufen. Nicht mal sich selbst. Haben Sie mich verstanden?«

Matti zitterte innerlich und verfluchte sich, dass sie nicht die Hundemarke von Werner dem Großmaul mitgenommen hatten. Aber die Blonde wurde dem ihrer Gattung gewidmeten Vorurteil gerecht, erbleichte, guckte gar nicht mehr so gelangweilt, ihre Hände zitterten leicht. Sie legte beide auf den Tisch, als wollte sie sichergehen, dass sie nicht aus Versehen in die Nähe des Telefonhörers kamen. Die Fingernägel waren pink lackiert. Ihr Kinn zeigte zum Gang. »Court zwo«, flüsterte sie.

Matti ging vorneweg, er trat unwillkürlich fester auf. Ein Typ kam ihnen entgegen, Preislage geleckter Affe, und wich ihnen aus. Twiggy marschierte schräg versetzt neben Matti, Dornröschen schlenderte ihnen hinterher, wie eine Chefin, die wusste, dass ihre Jungs die Dreckarbeit erledigen würden.

Plop, plop, plop, Pause. Plop …

In Court eins hetzten sich zwei drahtige Männer, die beide nicht zum ersten Mal spielten. Sie spielten technisch, überlegt, es sah aus, als brauchten sie keine Kraft. In Court zwei prügelten zwei Typen auf den Ball ein, immer wieder wurde das Spiel unterbrochen. Sie schnauften wie Pferde. Die drei von der WG stellten sich an die Glasscheibe und schauten zu. Matti blickte auf die Uhr und klopfte gegen das Glas. Als die beiden weiterspielten, schlug er mit der Faust dagegen, dann riss er die Tür auf, und ein Ball sauste an seinem Kopf vorbei. Dem folgten die Blicke der beiden verschwitzten Männer, die schließlich an Matti hängen blieben. Bevor einer was sagen konnte, erklärte Matti im Befehlston: »Jetzt ist Pause. Sie dürfen uns was zu trinken spendieren, und zwar sofort.«

Die beiden Typen guckten sich verdattert an. Der eine öffnete den Mund in seinem Geiergesicht, der andere wischte sich den Schweiß von der Halbglatze. Er fragte, während der Geier den Mund nicht zukriegte: »Was wollen Sie?« Und energisch: »Wer sind Sie?«

»Es geht um Mord«, antwortete Matti trocken. »Los, los!«

Die beiden guckten sich an, ratlos.

»Wo sind Ihre Kollegen?«

»An der Bar«, stammelte der Geier.

»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte die Halbglatze, der Ton wurde forsch.

»Wir ermitteln in einem Mordfall. Mehr müssen Sie nicht wissen«, sagte Matti.

Twiggy stellte sich vor den Mann und blickte auf ihn herab. Er war ungefähr doppelt so groß und viermal so breit wie die Halbglatze, und deren gerade keimender Mut verpuffte.

»Es handelt sich um eine Zeugenvernehmung«, sagte Dornröschen.

Matti dachte, sie überzieht, das glauben die nicht. Aber sie glaubten es, zuerst die Halbglatze, dann, nach einem Blick zu Twiggy, auch der Geier. Jetzt wäre es ihnen am liebsten, wir wären nur Bullen.

»Zur Bar!«, befahl Matti. »Sie gehen voran. Und wenn Sie ein falsches Wort zur falschen Zeit sagen …«

Die beiden Männer marschierten los, ihre T-Shirts waren durchnässt.

In einer Ecke der Bar saßen drei Männer und zwei Frauen, jung, dynamisch, elegant. Sie bemerkten die Prozession erst, als sie am Tisch stand.

»Was ist los?«, fragte einer, der etwas älter war. Er klang wie der Chef.

»Polizei«, sagte der Geier.

»Sie schweigen!«, donnerte Matti.

»Wenn Sie etwas von uns wollen, lassen Sie sich einen Termin von meiner Sekretärin geben«, sagte der Chef.

»Mit Durchsuchung oder ohne Durchsuchung, wenn wir schon beim Wunschkonzert sind?«, schnauzte Twiggy. Er rückte dem Chef auf die Pelle.

Der hatte plötzlich ein Handy in der Hand. Twiggys Hand schoss nach vorn, packte den Arm und schüttelte ihn, bis das Telefon zu Boden fiel. Die Kolding-Leute starrten ihn erschrocken an.

Was nun?, dachte Matti.

Zwei Tische weiter saßen zwei Männer, sie glotzten.

»Lassen Sie uns doch friedlich bleiben«, sagte ein Mann mit einer Föhnfrisur, der neben dem Chef saß. »Wer schickt Sie?« Er bemühte sich um eine ruhige Stimme.

»Das wissen Sie doch«, sagte Dornröschen.

Matti bildete sich ein, den Typen auf den Fotos aus der Tanzmarie gesehen zu haben.

Der Chef berappelte sich und wurde nachdenklich. »Ich mach Ihnen einen Vorschlag. Herr Runde und ich unterhalten uns mit Ihnen, die anderen haben nichts damit zu tun.«

»Einverstanden«, sagte Dornröschen. »Wir fahren spazieren, und wenn einer von diesen Damen und Herren einen Mucks macht, haben Sie ein Problem«, sagte sie zum Chef. »Sie verstehen?«

Der nickte beflissen und erhob sich. »Kommen Sie, Herr Runde.« Er wandte sich an die anderen. »Wir klären das auf, kein Grund zur Sorge. Einen schönen Abend noch.«

Runde war groß und muskulös, als würde er fünfundzwanzig Stunden am Tag in der Muckibude schwitzen. Doch Twiggy war größer und vor allem breiter, und niemand konnte finsterer blicken. Dornröschen ging vorneweg, dann folgten Runde und der Chef, Twiggy und Matti sicherten hinten ab. Als sie draußen waren, sagte Dornröschen zum Chef: »Wir nehmen Ihren Wagen.«

Der Chef zuckte mit den Achseln, fingerte den Schlüssel aus der Hosentasche und drückte auf einen Knopf. Es piepte, die Blinker eines S-Klasse-Mercedes leuchteten auf. Der Chef reichte Runde den Schlüssel, und der setzte sich hinters Steuer. Dornröschen wählte den Beifahrersitz, und der Chef musste mit dem Mittelplatz des Rücksitzes vorliebnehmen.

»Kennen Sie die Admiralbrücke?«, fragte Dornröschen.

Runde nickte.

»Dann mal los«, sagte sie.

Am Planufer, gegenüber vom Casolare, fanden sie einen Parkplatz mit Blick auf die Brücke. Es war schwül, Jugendliche hockten herum und tranken, eine Brise trug Liedfetzen und Gitarrenklänge zum Daimler.

Dornröschen deutete zur Brücke. »Die Umrisse kann man noch sehen.«

»Wer sind Sie?«, fragte der Chef.

»Freunde von Rosi, deren Leiche dort gefunden wurde.«

»Und warum sind wir hier?«, fragte der Chef.

»Weil wir glauben, dass Sie etwas mit dem Mord zu tun haben.«

Schweigen. Runde hüstelte.

»Sie sind verrückt«, sagte der Chef betont ruhig. »Wir sind ein Immobilienunternehmen, wir morden nicht.«

»Rosi hat in der Bürgerinitiative gegen die Gentrifizierung im Gräfekiez mitgearbeitet.« Dornröschen blieb äußerlich ebenso ruhig.

»Ja, und?«

»Sie hat militante Aktionen organisiert.«

»Glatter Rechtsbruch«, sagte der Chef, »aber deswegen bringen wir niemanden um.«

»Und sie hat herausgefunden, dass Sie Leute vom Senat und dem Bezirk schmieren.«

»Ja, tun wir das?« Er überlegte einen Augenblick. »Herr Runde, tun wir das?«

»Kennen Sie die Herren Rademacher und Spiel? Ja, ich meine Sie, Herr Runde«, sagte Dornröschen. Der glotzte blöd und schüttelte den Kopf.

»Wir können beweisen, dass besagte Herren mit Mitarbeitern von Kolding im Puff waren, und Kolding hat die Sause bezahlt. Wie nennen Sie das?«, fragte Matti.

Der Chef legte seine Stirn in Falten. »Herr Runde, um was geht es da?«

»Ein Geschäftsessen, mehr nicht.«

»Waren Sie dabei?«, fragte der Chef.

Runde nickte.

Der Chef wandte sich an Dornröschen. »Sie meinen wirklich ein Bordell?«

»Die Tanzmarie«, sagte Matti trocken.

»Was ist diese … Tanzmarie

»Vögeln gegen Geld, vorher ist Antörnen fällig, leicht bis gar nicht bekleidete Damen, Champagner und alles, was sonst noch teuer ist«, sagte Twiggy.

»Es gibt einen Zeugen«, sagte Matti, »sogar Fotos.«

Runde drehte seinen Hals gefährlich weit, bis er Matti anstierte. Aber er guckte nur wütend, ohne etwas zu sagen.

»Herr Runde, was fällt Ihnen dazu ein?«

Herr Runde sagte erst mal gar nichts. Dann holte er Luft und sagte immer noch nichts.

»Dann halten wir fest, Herr Runde, dass Sie und weitere Mitarbeiter unserer Firma in einem Bordell gewesen sind, und dies mit Vertretern der Bezirksversammlung und des Senats. Richtig?«

Gitarre und Bob Dylans krächzender Gesang wehten übers Planufer.

How does it feel
To be on your own
With no direction home
Like a complete unknown
Like a rolling stone?

Eine Harley wummerte vorbei. Draußen liefen zwei Mädchen, Hand in Hand, die eine trug eine weiße Schleife im Haar. Ihre Schatten verschmolzen miteinander.

»Landschaftspflege«, sagte Runde. »Das ist in Berlin so üblich.«

Der Chef fuhr sich durch die Haare. »Was üblich ist bei Kolding, bestimmt der Vorstand, und in Berlin bin ich das. Ist Ihnen das entgangen?«

Runde sackte ein paar Zentimeter in sich zusammen.

»Hauen Sie ab!« sagte der Chef, leise und gefährlich. »Sie gehen jetzt ins Büro und schreiben einen Bericht, detailliert und ausführlich. Wenn Sie etwas auslassen, mache ich Sie fertig, dann werde ich dafür sorgen, dass Sie in unserer Branche nicht mal mehr Pförtner werden können. Sie können froh sein, wenn ich Sie nur entlasse und nicht auch noch auf Schadenersatz verklage.«

Runde wurde noch kleiner.

»Ja, gehen Sie«, sagte Dornröschen.

Runde stieg aus und schlich davon. Auf der Admiralbrücke warf er einen wütenden Blick zurück zum Auto, stampfte einmal auf, was ein paar angetrunkene Jugendliche lachen ließ.

»Und wenn der gegen Ihren Willen nicht nur Leute schmiert, sondern auch welche umbringen lässt?«, fragte Matti.

Der Chef hob die Augenbrauen. »Das halte ich für unmöglich. Aber gut, dass ein leitender Mitarbeiter im Namen unserer Firma Leute vom Senat besticht, hätte ich bis vor ein paar Minuten auch für unmöglich gehalten. Doch Mord ist ein anderes Kaliber.«

»Und wenn die Schlägertruppe Rosi aus Versehen umgebracht hat?«, fragte Twiggy. »Uns haben die auch ganz schön rangenommen.«

Der Chef schaute Matti an und Twiggy und Dornröschen. Ihre Gesichter waren noch verdellt, und Twiggys Auge trug einen Trauerrand.

Der Chef guckte mitleidig, dann zuckte er mit den Achseln. »Ich habe keine Ahnung.« Er schaute traurig und sagte: »Sie müssen es mir nicht glauben, aber nicht einmal dieser Runde würde eine … Schlägertruppe anheuern. Ich halte schon Bestechung für dumm, aber es ist eine gewaltfreie Strategie. Wie Sie wissen, haben auch sehr auf Anstand bedachte Großkonzerne wie Siemens zu diesem Mittel gegriffen. Manchmal bringt uns die Politik in große Schwierigkeiten, und wir brauchen Hilfe. Dann reden wir mit dem Bausenator oder einem Minister in Baden-Württemberg oder Sachsen. Wir laden schon mal einen zum Essen ein, wir schicken Karten für ein Länderspiel, ein Geschenk für den Sohnemann oder das Töchterchen. Gewiss, streng genommen ist das auch Korruption. Mich plagt das schon lang.«

»Bevor Sie jetzt anfangen zu weinen: Wie fühlt man sich denn, wenn man Hunderte von Leuten aus ihrem Kiez vertreibt? Macht das Spaß? Ist das ein Sport, und die Immohaie haben ein Jahrestreffen, auf dem sie damit angeben, wie viele Mieter sie nach Marzahn oder Moabit verjagt haben?«

»Wollen wir das nicht im Büro besprechen? Da kann ich Ihnen auch ein paar Unterlagen zeigen.«

Die drei blickten sich an, Dornröschen nickte.

Stahl, Glas, schwarz lackiertes Holz, schwarzes Leder, an der Wand des riesigen Büros ein Kandinsky, wie Matti erkannte, und ein ihm unbekanntes abstraktes Gemälde, ein Original natürlich. Der Schreibtisch stand mitten im Raum. Dazu ein Konferenztisch, an dem sieben Stühle standen. Auf den an der Schmalseite setzte sich gleich Dornröschen. Wie auf einen Geheimbefehl öffnete sich die Tür, und eine schicke junge Frau rollte einen Teewagen in den Raum. Darauf in Silberkannen Kaffee und Tee, belegte Brote, Matti sah Lachs, Schinken und Kaviar, eine Champagnerflasche im Kühler, Mineralwasser verschiedener Sorten, Zucker, Sahne, Servietten. Sie lächelte freundlich und verschwand lautlos, nur die Tür klickte.

Der Chef setzte sich zwischen Twiggy und Dornröschen. Er räusperte sich. »Es gibt eine starke Nachfrage nach aufgewertetem Wohnraum. Und wir sind eine Firma, die diese Nachfrage befriedigt. Es ist der Markt. Und die Politik, allen voran der Regierende Bürgermeister, unterstützt diese Entwicklung, weil sie der Stadt mehr Steuern bringt.«

»Und was wird aus den Mietern?«, fragte Matti.

»Die Politik bestimmt den Rahmen, in dem wir uns bewegen. Wenn die Politik die Aufwertung nicht will, dann muss sie die verhindern. Und auf die Menschen mit höheren Einkommen verzichten. Höhere Gehälter bedeuten mehr Steuern, es handelt sich um produktive, kreative Menschen. Nicht umsonst zieht es sie oft dorthin, wo vorher die Alternativszene lebte. Künstler sind die Vorreiter der … Gentrifizierung, ich mag dieses Wort nicht, es klingt hässlich, aber sie werten Kreuzberg, Neukölln, den Wedding auf, sie machen die Kieze erst interessant. Dann kommen die Kneipen, diese einzigartige Mischung der Küchen aus aller Herren Länder, das gibt es nur in Berlin. Ihnen folgen die Musiker, Plattenläden, kleine Studios vielleicht, dann kommen die Werbeleute und Kleinunternehmer, und schließlich ist eine Gegend so vielfältig, reich an Angeboten, ein buntes Volk, darunter die Touristen, die das toll finden, sodass sich Leute mit höherem Einkommen fragen, ob es dort nicht anregender und aufregender ist als in den Reihenhaussiedlungen am Stadtrand …«

»Sie haben die Frage nicht beantwortet«, sagte Dornröschen kalt.

»Doch, doch.« Der Chef nickte. »Wir kaufen Häuser von Menschen, die Häuser verkaufen wollen …«

»Weil Sie denen einen Batzen Geld auf den Tisch legen«, sagte Twiggy.

»Wie wollen Sie sonst ein Haus kaufen?«, fragte der Chef. Er blickte Twiggy verwundert an. »Ich kann doch keinen zwingen, mir etwas zu verkaufen. Wer es tut, will doch ein … gutes Geschäft machen.«

»Und Sie verdienen sich eine goldene Nase, indem Sie billigen Wohnraum in teuren verwandeln«, sagte Twiggy.

»Wir sanieren und renovieren. Manche Häuser sind Bruchbuden, die man eigentlich abreißen müsste. Sie glauben gar nicht, wie viele Hausbesitzer ihre Immobilien vernachlässigen. Manchen fehlt schlicht das Geld, weil die Mieten so niedrig sind.«

»Mir kommen die Tränen«, sagte Dornröschen. »Und bei all den guten Taten schließen Sie aus, dass ein böser Bube unter Ihren Mitarbeitern Mordaufträge erteilt.«

»Ich schließe nie etwas aus«, sagte der Chef traurig, und er klang so, als täte er nichts lieber, als die Welt vor allem Bösen zu retten. »Aber so dumm kann keiner sein.«

»Haben Sie gewusst, dass Enthüllungen über Ihr wunderbares Unternehmen veröffentlicht werden sollten?«, fragte Matti.

Der Chef deutete auf den Teewagen. »Aber bitte bedienen Sie sich doch.«

Als Twiggy seinen Blick zu den Leckereien wendete, hüstelte Dornröschen knapp, und Twiggy schaute den Chef an, böser noch als zuvor.

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Matti.

»Ja, ich habe davon gewusst.«

»Aha«, trompetete Twiggy.

»Nicht, was Sie denken«, sagte der Chef. »Wenn wir jeden, der uns angreift, umbringen wollten …«

»Ich glaube Ihnen kein Wort.« Twiggys Blick wanderte zum Teewagen und zuckte zurück.

Der Chef stöhnte leise über die Begriffsstutzigkeit seiner Gesprächspartner, zumal er sich doch so viel Mühe gab.

»In Berlin ist es normal, dass Bauunternehmen öffentlich angegriffen werden. Manchmal zu recht, manchmal nicht. Glauben Sie, es interessiert jemanden, ob die Presse etwas Schlimmes über Kolding schreibt? Wir sind als Immohaie sowieso die bösen Buben, da kommt es auf eine miese Geschichte mehr nicht an. Wenn man ohnehin der Bösewicht ist, dann empört sich keiner, wenn geschrieben wird, dass wir wieder böse waren.« Er stöhnte leise. »Dabei tun wir so viel Gutes.«

»Und der Herr Runde?«, fragte Matti.

»Der tut nichts ohne Anweisung.«

Dornröschen grinste. »Dann war er auf Befehl im Puff?«

»Nein, nein. Ich habe ihm ja gekündigt, er hat seine Kompetenzen überschritten. Das kann ich nicht dulden.«

»Und Sie glauben, Herr Runde hätte es Ihnen gemeldet, wenn er eine Killertruppe losgeschickt hätte?« Matti grinste auch.

»Nein … gut, ich kann nicht ausschließen, dass Herr Runde schon einmal … aber Mord?« Der Chef winkte schlaff ab. »Nein, er ist kein großes Licht, aber als Mitarbeiter, der klare Anweisungen erhält, war er gut. Und ich sage noch einmal: Über Zeitungsartikel regt sich hier keiner auf. Auch nicht über Artikel, in denen was von Bestechung und Bordellen steht. Das fällt den Politikern auf die Füße, nicht uns. Da schüttelt man ein bisschen den Kopf, versetzt einen Mitarbeiter, und die Sache ist ausgestanden. Wie gesagt: Wir sind die Bösen. Was man ist, kann man nicht werden.« Der Chef schüttelte den Kopf, bedächtig, kaum wahrnehmbar. »Wissen Sie, wir werden manchmal bedroht. Unsere Mitarbeiter, ich, die Firma. Sie glauben nicht, wie viele Morddrohungen wir schon erhalten haben. Zuletzt, diese Türkenbande …«

»Was war da?«, fragte Twiggy.

»Na, die hatte ein Geschäft an der Ecke Urbanstraße/Gräfestraße. Und eines Tages haben sie das Geschäft aufgegeben. In der Zeitung hat der Chef erklärt, Schuld sei Kolding, weil wir die Gewerbemieten erhöhten. Dass Läden und Kneipen schließen müssten und nur noch Touristenlöcher – ich weiß gar nicht, wo er dieses Wort herhat, ein Türke – überleben könnten. Und Restaurants für die Reichen.«

»Der wird sich aufgeregt haben, zu Recht, wie ich finde«, sagte Dornröschen. »Aber dann hat er sich wieder abgeregt.«

»So, Sie sprechen vom heißblütigen Südländer«, sagte der Chef. Seine Stimme hatte einen ironischen Unterton.

Eine rosa Wolke überzog Dornröschens Gesicht und verschwand. »Nein, ich rege mich auch auf und wieder ab«, sagte sie. »Inzwischen wird er sich abgefunden haben, sofern man sich damit abfinden kann, vertrieben zu werden.«

»Wir vertreiben niemanden«, sagte der Chef. »Wir halten uns an die Gesetze …«

»Des Kapitalismus«, warf Twiggy ein.

»Ja, an was denn sonst? An die Gesetze des Rechts und an die Gesetze der Ökonomie. Täten wir es nicht, gingen wir unter.« Der Chef schüttelte den Kopf.

»Und wenn diese Gesetze es Ihnen erlauben, die Mieten hochzutreiben, dann tun Sie es«, sagte Matti.

Der Chef schüttelte wieder den Kopf. »Gucken Sie sich diese Häuser, die wir kaufen, doch mal an. Verrottete Treppenhäuser, alles vollgeschmiert, die Badezimmer verschimmelt, die Küchen verdreckt, verklebt, seit Jahrzehnten nicht renoviert, die Mieter beachten ihre Renovierungspflicht ja grundsätzlich nicht, die Hausbesitzer überfordert, ewig auf der Jagd nach Mietrückständen, keine Reserven für größere Reparaturen …«

»Mir kommen die Tränen«, sagte Matti. »Und dann erscheint Kolding als Erretter aus dem Elend. Mit dem kleinen Nachteil, dass die Mieter aus den schimmeligen Badezimmern und verklebten Küchen in Dreckslöcher am Stadtrand ziehen müssen, in die Massensilos von Marzahn oder die Betonbunker in Neukölln.«

Der Chef stöhnte leise. »Ja, sollen wir das alles renovieren und unsere Investitionen nicht zurückholen? Das ist doch weltfremd.«

»Selbst wenn es weltfremd wäre, die Welt ist menschenfremd, das ist noch übler. Dann muss man die Gesetze Ihrer Wirtschaft eben ändern. Wenn die dazu führen, dass Leute verdrängt werden, können sie nicht richtig sein.«

»Aha«, sagte der Chef. In seinem Gesicht konnte man lesen, dass er lieber mit Zeugen Jehovas über die Existenz Gottes diskutiert hätte als mit diesen drei Naivlingen über die Gesetze der Wirtschaft.

»Es würde doch genügen, die Heizungen zu renovieren und vielleicht die Fenster, um den Schimmel zu vertreiben, nicht die Mieter«, sagte Matti. »Aber dabei würden Sie nichts verdienen. Sie machen Kohle, wenn Sie die Wohnungen aufwerten, wie es so harmlos heißt, und dann an Reiche vermieten oder verkaufen.«

»Wir leben in einem Wirtschaftssystem, in dem das so funktioniert, und alle profitieren davon …«

»Außer den Mietern, die aus ihren Wohnungen fliegen«, sagte Twiggy.

Dornröschen beobachtete den Chef, die ganze Zeit schon.

Matti fragte sich, was der wusste vom Mord und den Mördern. Ob er selbst die Finger drin hatte. Eigentlich war der Typ die Idealbesetzung: intelligent, freundlich, abgebrüht, aber mit dem Talent, diese Seite zu verbergen. Er konnte Gefühle zeigen, die er womöglich nur aus dem Kino kannte, und souverän war er auch, geradezu beeindruckend. Den würden sie so nicht weich kochen.

»Wir drehen uns im Kreis«, sagte der Chef. »Ich werde Sie nicht überzeugen und Sie mich nicht. Ich respektiere Ihre Meinung, ich hoffe, Sie respektieren auch meine.«

»Das tun wir nicht«, sagte Dornröschen.

Der Chef blickte sie traurig an. »Das muss ich hinnehmen.«

Matti fragte sich, was sie eigentlich noch erreichen konnten. Warum diskutierten sie mit dem Mann? Er würde es nie zugeben, wenn er was mit dem Mord zu tun hatte. Und Matti war längst überzeugt, dass Mord nicht zu den Mitteln zählte, die der Chef verwendete.

»Wenn Herr Runde der Mörder oder Auftraggeber sein sollte, allein dürfte er es nicht getan haben. Wer ist sein … Kumpel in der Firma?«, fragte Dornröschen.

Der Chef stöhnte wieder. Aber er spielte mit offenen Karten, hatte nichts zu verbergen. »Herr Runde geht vielleicht in … Bordelle, aber er ist kein Mörder. Und für Auftragsmord wäre er viel zu ängstlich. Das ist ein Mensch, der ohne Weisungen nicht leben kann. Wenn man ihm eine gibt, funktioniert er.« Der Chef zuckte mit den Achseln und guckte traurig. »Man braucht solche Leute, das wissen Sie doch. Auch bei Ihnen, in Ihrer … Szene gibt es welche, die den Ton angeben, und welche, die folgen. Herr Runde ist einer, der folgt. Und der soll einen Mord organisieren?« Angesichts dieser Vorstellung musste der Chef ein bisschen lachen.

Auch in unserer Szene geben manche den Ton an und andere folgen, das stimmt, dachte Matti. Dornröschen gehörte zu denen, deren Meinung zählte. Und seine zählte auch. Wogegen andere den Mund nicht aufkriegten.

»Schauen Sie sich doch die Revolutionen an. Überall entstanden Diktaturen, oft massenmörderische Systeme, Sowjetunion, China, Kambodscha …«

»Was wird denn das?«, fragte Dornröschen.

»Wollen Sie nicht mit mir diskutieren?«, fragte der Chef. Er klang beleidigt. »Sie halten mich für Ihren Feind. Überzeugen Sie mich, widerlegen Sie mich.«

»Wir suchen einen Mörder«, sagte Dornröschen. »Und bei allem Respekt, aber einen Kapitalisten davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus Mist ist, das traue ich mir nicht zu. Ich erklär doch auch einem Fisch nicht, dass es an Land gemütlicher sei. Sie haben Ideen!« Sie schüttelte den Kopf.

Matti dachte: Das ist der cleverste Kerl, der uns untergekommen ist, eine Art sanfter Aggressor. Der ist einfach zu schlau, um einen Mord anzuordnen wegen eines Artikels, der im Weltblatt Stadtteilzeitung veröffentlicht werden soll.

»Also, der Kumpel«, sagte Dornröschen.

Der Chef schnaubte leise, dann erhob er sich, ging zum Schreibtisch, drückte einen Knopf auf dem Telefon. »Wenn Sie Herrn Hiller zu mir bitten könnten«, sagte er übertrieben freundlich.

Wahrscheinlich überschüttet er seine Leute zu Ostern mit Schokoeiern. Matti grauste es, im Vergleich zum Chef war ein Wackelpudding fest wie Eiche.

Sie schwiegen, bis es kurz klopfte und die Tür sich öffnete. Ein mittelgroßer Mann mit ausdruckslosem Gesicht und dünnem Kinnbart blickte durch dicke Brillengläser zum Chef. Der winkte ihn hinein. »Setzen Sie sich doch ruhig auf meinen Schreibtischstuhl«, sagte der Chef.

Hiller kratzte sich am Bärtchen, zögerte, dann setzte er sich hinter den Schreibtisch.

»Sie wissen, dass ich Herrn Runde fristlos kündigen musste?«

Hiller nickte vorsichtig. »Ja.«

»Keine Sorge. Ich nehme nicht an, dass Sie auch in diesem Etablissement waren, zusammen mit den Herren der Stadtverwaltung.«

Hiller schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall.«

Der Chef lächelte und winkte ab. »Natürlich nicht.« Er legte seinen Kopf auf die Seite und blickte Hiller an. »Also, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll« – Hiller erbleichte, die Stirn begann zu glänzen, er kratzte sich hektisch an der Backe –, »aber diese … Herrschaften hier behaupten tatsächlich, dass in unserer Firma ein Mord organisiert worden sei.«

Hiller erstarrte, sein Blick flatterte.

»Wissen Sie etwas von einem Mord?«

»Mord? Wer wurde ermordet?«

»Na, diese Frau, ihre Leiche lag auf der Admiralbrücke.«

»Ach so, die.«

»Ja und?« Der Chef fragte freundlich, aber es schwang Strenge mit.

»Was soll ich dazu sagen, Chef? Ich weiß nichts. Ich habe nur gehört, dass die Frau etwas über uns schreiben wollte. Mehr weiß ich nicht.«

»Von wem haben Sie das gehört?«, fragte Matti.

Hiller warf dem Chef einen fragenden Blick zu. Der nickte.

»Von Herrn Runde.«

»Und von wem weiß der das?«, setzte Matti nach.

»Keine Ahnung«, sagte Hiller. »Der wusste auch nur, dass diese Frau ermordet worden ist. Und dann hat er von einem Polizisten etwas aufgeschnappt.«

»Polizisten?«

»Ja, die waren hier wegen des Mords. Und haben uns vernommen«, sagte der Chef.

Die WG-Genossen wechselten ratlose Blicke. Die Bullen waren also schon hier gewesen, dachte Matti. Die müssen was gefunden haben. Vor uns. Vielleicht haben wir deswegen in der Wohnung nichts mehr entdeckt. Aber die Protokolle sind ihnen durch die Lappen gegangen. Er grinste in sich hinein.

»Wie hat Herr Runde das gesagt? War er betrübt? Aufgeregt?«, fragte Matti.

»Nein, er hat gesagt« – Hiller zögerte –, »eine Querulantin weniger.«

»War er froh?«

»Nein. Eher gleichgültig.«

»Es war ihm egal?«

»Vielleicht nicht … aber …«

»Hassen Sie Leute, die Ihre Firma kritisieren?«, fragte Twiggy.

»Dann müsste ich ja viele hassen.«

»Und Herr Runde?«

»Dem sind die egal. Die Hunde kläffen, die Karawane zieht weiter. Das hat er immer gesagt.«

Der Chef nickte. »Da hat er recht, immerhin.«

Es klopfte, die Tür öffnete sich, und Rosi trat ein.

Matti blickte Twiggy an, der war aschfahl. Dornröschen erstarrte und begann den Kopf zu schütteln. Das kann nicht sein, dachte Matti. Rosi stand in der Tür und lächelte.

Der Chef lächelte zurück. Es war ein vertrautes Lächeln. Matti starrte Rosi an und erkannte, dass es eine andere Frau war. Aber die Ähnlichkeit war unglaublich. Doch sie war etwas kleiner und schmaler im Gesicht. Der Nasenrücken war schärfer, Becken und Brust waren ausladender als bei Rosi. Aber diese Frau hätte als Zwillingsschwester durchgehen können. Allmählich beruhigte sich Mattis Pulsschlag.

»Stör ich?«, fragte die Frau.

»Frau Quasten, Sie stören doch nie«, sagte der Chef mit weicher Stimme.

Frau Quasten legte eine Mappe auf den Schreibtisch. »Ich geh dann mal wieder«, sagte sie. Ihr Hintern wackelte, als sie das Zimmer verließ.

»Wer ist das?«, fragte Matti.

Der Chef blickte ihn an. »Frau Quasten, eine Mitarbeiterin.«

»Für was ist sie zuständig?«

Der Chef schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was das mit unserem Gespräch zu tun haben soll.«

»Vielleicht eine Menge«, sagte Dornröschen. Sie konnte ihre Aufregung nicht ganz verbergen.

»Was macht diese Frau Quasten bei Ihnen? Das wird doch kein Geheimnis sein?«, fragte Matti.

»Und wenn, dann interessiert es uns besonders«, sagte Twiggy. »Dann fragen wir die Dame selbst. Wir könnten sie zu Hause besuchen …«

»Wir könnten uns überlegen, ob Sie was mit der haben«, sagte Dornröschen.

»Sind Sie verheiratet?«, fragte Matti.

Der Chef blickte sie ruckartig in der Reihenfolge an, wie sie sprachen. Als die drei ihn erwartungsvoll anschauten, räusperte er sich. »Sie ist in der Abwicklung tätig, tüchtig, sehr tüchtig.«

»Was heißt Abwicklung?«, fragte Matti.

»Sie hat mit den Hausverkäufern und auch mit den Mietern zu tun. Sie ist deren Anlaufstelle, berät sie.«

Dornröschen lachte trocken. »Wenn Mieter sich beschweren, dann ist Frau Quasten die Ansprechpartnerin?«

Der Chef nickte.

»Wir möchten Frau Quasten sprechen«, sagte Dornröschen.

Der Chef schüttelte den Kopf

»Sind Sie verheiratet?«, fragte Twiggy.

Der Chef seufzte und ging zum Schreibtisch. Er warf Dornröschen einen Blick zu und griff zum Telefonhörer. »Bitten Sie Frau Quasten zu mir.«

»Darf ich …?«, fragte Hiller leise.

Der Chef guckte in die Runde und nickte.

Frau Quasten blieb in der Tür stehen.

»Kommen Sie«, sagte der Chef. »Diese … Herrschaften möchten gern mit Ihnen sprechen.«

Frau Quasten rümpfte ihre Nase einen Augenblick und kam widerwillig näher. »Ja, und …«

»Nehmen Sie doch Platz«, sagte der Chef. »Unsere Besucher haben ein Anliegen.«

Sie setzte sich zögernd.

»Es sind nur ein paar Fragen«, sagte der Chef, während Frau Quasten sich umblickte.

»Sie arbeiten schon lange für Kolding?«, fragte Matti, um die Anspannung zu lockern.

Frau Quasten nickte. »Ja. Gut sieben Jahre.«

»Was ist Ihre Aufgabe?«

»Ich arbeite in der Rechtsabteilung.«

»Und das heißt?«

»Verkäufe, Käufe, Verträge.«

»Geht’s genauer?«

»Ich führe die Verhandlungen, wenn es nichts … Besonderes« – ein Blick zum Chef, dann schaute sie wieder Matti an – »ist.«

»Das heißt, Sie kaufen Häuser, und dann?«

»Und dann?«

»Was geschieht dann?«

»Dann informiere ich die Mieter.«

»Wie habe ich mir das vorzustellen?«

»Ich erkläre den Mietern, dass sie einen neuen Vermieter haben.«

»Sie schreiben denen.«

Sie nickte.

»Und dann?«

»Was dann?«

»Dann erklären Sie den Mietern, dass renoviert und saniert wird?«

»Natürlich«, sagte Frau Quasten.

»Und dass die Mieten steigen?«

»Natürlich. Wenn die Wohnungen aufgewertet werden, kosten sie mehr Miete. Aber das ist im Interesse der Mieter. Wenn Sie wüssten …«

Matti winkte ab. »Ihr Chef hat mir schon von Ihrer aufopferungsvollen Tätigkeit berichtet. Ohne Sie würde Berlin verfallen.«

Frau Quasten nickte.

»Dabei macht man sich beliebt«, sagte Matti.

Sie blickte ihn erst verwirrt an, dann sagte sie: »Nicht jeder versteht, dass wir etwas Gutes tun.«

»Verkannte Samariter«, warf Twiggy ein.

Dornröschen grinste.

Frau Quasten blickte Hilfe suchend zum Chef, dann auf den Tisch.

»Sie machen sich Feinde, unverständige Mieter«, sagte Matti sarkastisch.

Sie blickte ihn fragend an. »Ja, es gibt schon Leute, die …«

»Erzählen Sie mal«, sagte Twiggy. »Was tun diese Leute, wenn Sie ihnen erklären, dass saniert wird und die Miete steigt?«

»Also, die meisten sind froh, dass endlich was passiert. Die Wohnungen sind oft …« Sie blickte sich um. »Aber es gibt welche, die …«

»Können Sie sich vorstellen, dass manche Mieter nicht begeistert sind, weil sie keine höhere Miete bezahlen können?«, fragte Dornröschen scharf.

»Das gibt es … bedauerlich … Aber wir tun nichts Unrechtes.«

»Hat Sie mal jemand bedroht?«, fragte Matti.

Wieder ein Hilfe suchender Blick zum Chef. »Ja, beschimpft wird man schon mal.«

»Ich meinte bedroht. Dass man Ihnen Gewalt angedroht hat.«

»Ja, das ist passiert.«

»Und wer war das?«, fragte Dornröschen ungeduldig.

»Göktan«, sagte sie leise.

»Was hat er getan?«

»Er hat gesagt, er bringt mich um.«

»Warum?«

»Er hatte einen Gemüseladen an der Ecke Urbanstraße/Gräfestraße …«

»Und dann haben Sie ihm die Miete erhöht, und er konnte sie nicht bezahlen«, sagte Matti.

»Er hätte bestimmt gekonnt.«

»Um wie viel haben Sie ihm die Miete erhöht?«, fragte Twiggy.

»Das müsste ich nachschlagen.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Dornröschen. »Das vergisst man nicht, weil der sie doch bedroht hat.«

»Etwa dreißig Prozent. Deswegen bringt man doch keinen um.«

»Wenn es Göktan die Existenz kostete, dürfte seine Laune nicht gestiegen sein.«

»Dafür haben wir ihm …«

»Er hat Sie bedroht?«, unterbrach Twiggy.

»Ja.«

»Hat er etwas getan?«

»Er hat mir die Reifen zerstochen.«

»Da sind Sie sicher?«

Sie schüttelte den Kopf, dann nickte sie. »Er war es bestimmt.«

»Aha«, sagte Matti. »Aber Sie haben es nicht gesehen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Er ist mit dem Messer auf mich losgegangen. Sein Sohn hat ihn aufgehalten, sonst wäre ich jetzt tot.«

»Wann?«

»Vor … acht Wochen. Da hat er mich auf der Grimmstraße abgepasst und ein Klappmesser aus der Tasche geholt. Die Klinge ist … aufgesprungen. Gerannt ist er. Mit dem Messer in der Hand. Auf mich zu.« In ihrer Stimme zitterte die Angst nach.

»Aber der Sohn …«

»Der ist ihm nachgelaufen und hat ihn aufgehalten. Mit Gewalt.« Es schüttelte sie. »Und dann hat er mich angeschrien …«

»Der Sohn?«

»Eigentlich beide. Aber der Sohn hat auch Göktan angeschnauzt. Auf Türkisch.«

»Na so was«, sagte Twiggy.

Frau Quasten guckte verunsichert.

»Ist denn noch mal was passiert?«, fragte Matti.

Sie schüttelte den Kopf.

»Haben Sie den Herrn Göktan danach noch mal getroffen?«, fragte Dornröschen.

Frau Quasten nickte.

»Wie oft denn?«

»Zweimal, das erste Mal auf dem Markt, er hatte da einen Stand.«

»Aber das haben Sie überlebt?«, fragte Twiggy.

Wieder dieser verwirrte Blick.

»Wie hat er auf Sie reagiert, als er Sie gesehen hat?«, fragte Dornröschen.

»Ich weiß nicht«, stammelte Frau Quasten. »Er hat mich nicht beachtet.« Sie zögerte. »Aber ich hatte Angst. Ich bin erst mal nicht mehr auf den Markt gegangen, bis er weg war.«

»Er hat auch seinen Marktstand aufgegeben?«, fragte Twiggy.

»Ja.«

»Dann haben Sie ihn ein zweites Mal getroffen?«

»Im Volkspark an der Hasenheide. Da bin ich spazieren gegangen mit einer Freundin, und dann stand er plötzlich auf der Wiese.«

»Was hat er da gemacht?«, fragte Matti.

»Gegrillt.«