3: Do You Want To Hear It From Me?

Am Abend waren sie im Las Primas in der Wrangelstraße verabredet. Matti fand einen Parkplatz direkt vor dem spanischen Restaurant, das er auf einer Tour entdeckt hatte, als der Hunger ihn überfiel. Dort entdeckte er die besten Tapas Kreuzbergs und Elisabeth, die schüchterne spanische Kellnerin mit dem bezaubernden Lächeln. Die beiden anderen warteten schon an einem Tisch am Fenster neben der Tür. Elisabeth stand hinterm Tresen, unterhielt sich mit einer Kollegin, erkannte ihn und lächelte.

Dornröschen hatte eine Teekanne vor sich, Twiggy ein San Miguel. Sie bestellten Tapas. Als Elisabeth in der Küche verschwunden war, sagte Twiggy: »Udo ist ein Spitzel, und zwar der raffinierteste, der mir bisher untergekommen ist. Ausgekochter als Gerd, ihr erinnert euch?, skrupelloser als dieser verkommene Olaf im Bethanien …«

»Ja, ja«, sagte Dornröschen.

Twiggy schnaubte, aber nur leise. Matti hätte fast gegrinst, aber dafür war die Lage zu ernst. Wegen Rosi, Udo und besonders wegen Dornröschen. Und wegen Robbi. Ach, überhaupt. Er starrte zum Tresen, wo Elisabeth Bier zapfte. Es war ein Elend, sein Leben war ein Elend. Alles schien ihm düster. Draußen donnerte es, und durchs Fenster sah er eine schwarze Wand aufziehen, in der es weiß und gelb blitzte. Regentropfen verwandelten sich in eine Sturzflut, das Straßenpflaster glänzte im Widerschein der Laternen und Autoscheinwerfer. Ein infernalischer Knall brach los, und in der Wolkenwand öffnete sich ein Loch, durch das ein Sonnenstrahl schien. Es sah aus wie ein Bild in einem uralten Religionsbuch, das Auge Gottes am Himmel. Aber das half ihnen jetzt auch nicht.

»Stell dir vor, Bananen-Udo ist ein Spitzel«, sagte Dornröschen. »Für wen spitzelt er? Schickt der VS Spitzel in so eine Ini? … Ach du lieber Himmel, als hätten die keine anderen Sorgen.« Sie rührte in ihrem Tee.

»Für die Kolding-Leute?«, sagte Twiggy.

Dornröschen nickte. »Viel wahrscheinlicher als der VS. Aber ich habe noch nie gehört, dass ein Immohai Spitzel beschäftigt.«

»Irgendwann ist es immer das erste Mal«, sagte Matti.

»Klar.« Dornröschen trank einen Schluck.

Die Oliven kamen und Mattis Bier.

Dornröschen nahm einen Holzzahnstocher und hielt ihn in der Luft. »Aber was hat die Spitzelei, wenn es eine ist, mit dem Mord an Rosi zu tun?«

»Rosi hat eine Geschichte über den Immohai und bietet sie dir an. Udo hat den Kolding-Leuten das gesteckt«, sagte Twiggy mit vollem Mund. »Und die Kolding-Leute schicken den Mörder.«

»Genau«, sagte Matti bedächtig. »So passt es.«

Dornröschen nickte und stocherte mit ihrem Zahnstocher im Tondoppelschälchen. Sie spießte eine schwarze Olive auf und betrachtete sie. »Das passt zu gut«, sagte sie.

Matti staunte sie an, schloss den Mund und fragte ungläubig: »Es passt zu gut?«

»Ja.« Sie schob die Olive in den Mund, kaute und legte den Kern in die leere Schüssel. »Das ist eine andere Geschichte.« Und ihre Augen blickten weit in die Ferne. Draußen platterte der Regen aufs Pflaster.

»Aha«, sagte Twiggy. Als die Erde noch rund war, hätte er gesagt: »Du spinnst.« Aber die Erde war eine Scheibe, und Dornröschen wollte vielleicht ausziehen.

Matti fragte sich, ob Dornröschen gerade Kontakt zum Übersinnlichen aufnahm. Die Bullen würden sagen, dass die Kolding-Leute das perfekte Motiv hatten. Rosi hatte was über sie herausgefunden, und Udo hatte es den Ärschen verraten. Die einfachste Geschichte der Welt. So etwas war schon eine Million Mal geschehen und würde noch eine Million Mal geschehen. Warum nicht in diesem Fall? Manchmal begriff er Dornröschen nicht, und es schien ihm, dass er sie in letzter Zeit immer schlechter verstand. Was war da nur? Warum war sie nicht zufrieden, wenn sie ein klares Motiv entdeckten? Meistens waren die einfachen Zusammenhänge richtig. Hatte Dornröschen das nicht immer behauptet?

»Dann nehmen wir Udo halt in die Mangel«, sagte Twiggy. »Er wird uns das schon sagen.«

Matti wurde übel. Er erinnerte sich, wie sie Lily in die Mangel genommen hatten.

Dornröschen nickte, stach in eine grüne Olive und steckte sie in den Mund. Sie tat so, als müsste sie kauen, und ihre Augen suchten nach der letzten Wahrheit, irgendwo.

Um Himmels willen, wo war sie? Woran dachte sie?

»Aber egal, was Udo sagt, ich glaub ihm nicht.« Dornröschen biss auf die Olive. »Man könnte ihm die Nägel rausreißen, der würde immer noch lügen …«

Matti schüttelte sich. »Hast du sie noch alle?«

Dornröschen war wieder weit weg und hörte ihn nicht.

»Wir rücken den Koldings auf die Pelle«, sagte Twiggy.

»Nein, vorher nehmen wir ein paar andere Ini-Leute in die Mangel.« Matti beobachtete ein Taxi, das gelb durch den Regen fuhr, das Taxischild leuchtete. Die Reifen zischten auf dem Asphalt.

»Genau, wir fragen die anderen«, sagte Dornröschen.

Sie schwiegen, bis die Tapas kamen. Und danach schwiegen sie auch.

Karla war blond, korpulent und energisch. Letzteres verrieten ihre Augen, als die drei schnaufend im vierten Stock standen. Der Hauseingang lag neben der Filiale einer Drogeriemarktkette, deren Besitzer sich Bekanntheit verschafft hatten, weil sie ihr Personal so fantasiereich wie gnadenlos schikanierten. Vom Kottbusser Damm dröhnte der Verkehr ins Haus. Matti erinnerte sich, Karla schon einmal auf einer Veranstaltung gesehen zu haben. Sie hatte sogar etwas gesagt, aber er wusste nicht mehr, wo es gewesen war und was sie gesagt hatte. Aber ihre keifige Stimme hatte er nicht vergessen. Karla musterte die WG, grinste und zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach hinten. Kaum hatte Karla die Wohnungstür geschlossen, fragte sie: »Ihr kommt euch nicht ein bisschen albern vor? Also, ein bisschen.«

»Warum?«, fragte Matti.

»Weil ihr Detektiv spielt. Wer Rosi umgebracht hat, müssen die Bullen rauskriegen. Warum macht ihr deren Arbeit?«

»Rosi war unsere Freundin. Und sie hat uns geholfen, wo andere« – ein Blick zu Karla – »vielleicht nicht geholfen hätten. Außerdem interessiert es die Bullen einen Scheiß, wer Rosi ermordet hat«, sagte Dornröschen monoton.

Matti bewunderte Dornröschens Gleichmut.

Sie setzten sich um den Küchentisch. Darauf eine blau-weiße Wachstuchtischdecke, an der Wand ein auf alt getrimmter Küchenschrank mit Glastüren oben, Spüle, Bomann-Herd, billiger geht’s nicht, an der Wand neben der Tür ein Plakat von Queens of the Stone Age. Auf dem Küchentisch entdeckte Matti ein iPhone, blinkend, und dachte, dass Udo angerufen habe, um die Aussagen aufeinander abzustimmen. Blödsinn, du fängst schon an zu spinnen.

Twiggy räusperte sich. »Was hältst du von Bananen-Udo?«

»Ach, der«, sagte Karla.

»Was heißt das?«

»Der betrachtet uns ein bisschen als Versuchskarnickel.« Sie grinste. »Bananen-Udo promoviert«, sagte sie und lachte ungläubig. »Wir sind sein Projekt.« Sie gackerte.

»Und ihr habt keine Angst, dass die Protokolle an der falschen Stelle landen?«

»Nein, außerdem sind die ein bisschen gesäubert.«

Matti lag die Frage auf der Zunge, ob alle in der Ini so naiv seien. »Und woher wisst ihr, dass er wirklich an seiner Doktorarbeit sitzt?«

»Er hat uns die Unterlagen gezeigt. Einmal war sein Doktorvater bei uns.« Es klang nach, wie sehr sie sich geschmeichelt fühlte. »Das ist der Professor Kampenhausen, den kenne ich zufällig ein bisschen vom Studium. Also, die Sache ist in Ordnung.«

»Weil ein Prof kein Spitzel sein kann?«, fragte Dornröschen.

Karla blickte sie ungläubig an, als hätte Dornröschen erklärt, Jesus sei doch nicht über diesen See gelaufen.

»Du promovierst auch?«, fragte Matti.

Karla nickte zögernd. »Ich will’s versuchen.«

Schweigen.

»Du glaubst also nicht, dass Udo ein Spitzel ist?«, fragte Twiggy.

»Unsinn, kein bisschen.«

»Hat Rosi mal gesagt, dass sie bedroht wird oder so?«, fragte Matti.

Karla schüttelte den Kopf. »Wir wurden alle …«

»Du meinst den Drohbrief?«

Karla nickte. »Den haben wir alle gekriegt.«

»Und der stammt von Rosis Mörder«, sagte Twiggy.

Karla nickte.

»Oder auch nicht«, sagte Dornröschen.

Die anderen schauten sie fragend an.

»Es waren diese Kolding-Typen«, sagte Karla. »Die sind plötzlich aufgetaucht, haben rumgeschleimt, und als es nichts brachte, haben sie erst gedroht, und als das auch nichts brachte, haben sie Rosi umgebracht. Ist doch klar.«

»Die Kolding-Leute sollen einen vom Senat und einen vom Bezirk geschmiert haben«, sagte Twiggy.

»Glaub ich sofort, denen traue ich alles zu«, keifte Karla.

Matti warf Dornröschen einen Blick zu, aber die lebte gerade in ihrer Parallelwelt. Ihr Blick schien ihm glasig, als hätte sie gesoffen, aber sie hatte kein Promille Alk intus.

»Stell dir vor, Rosi hatte was rausgefunden über die Bestechung, wollte es veröffentlichen, Udo hat es den Kolding-Leuten gesteckt, und die haben Rosi umgebracht«, sagte Matti.

Karla staunte ihn an. Als sie ihren Mund geschlossen hatte, schüttelte sie den Kopf. »Das glaube ich nicht, kein bisschen. Udo ist kein Verräter …« Sie schwieg.

»Udo hat euch erzählt, er sei bei den Hamburger Antiimps gewesen, war er aber nicht.«

Karla schaute ihn ungläubig an. »Ja«, sagte sie, und dann sagte sie nichts mehr.

»Das heißt gar nichts.« Dornröschen besuchte die Erde. Und flog wieder weg in ihrem virtuellen Raumschiff.

»Vielleicht könntest du uns aufklären über deine tiefschürfenden Erkenntnisse. Uns Normalsterbliche dürstet es nach der Wahrheit«, sagte Matti. Er riss sich zusammen, aber die Säuernis rumorte heftig in ihm. Irgendwann würde sie sich durchfressen durch den Gleichmutpanzer, den er sich verordnet hatte, damit die WG vielleicht doch nicht platzte.

»Dann hat er halt … gelogen. Ein bisschen«, sagte Karla.

»Ein bisschen viel«, sagte Twiggy. »Der lebt nicht schlecht, nicht mal im Kiez, in so einer Feine-Pinkel-Wohnung, längst gentrifiziert die Ecke, und mittendrin Bananen-Udo, garniert von einer Luxusstereoanlage mit einer Luxusglotze als Sahnehäubchen. Hat er mit Bananenschubsen verdient. Ich werde auch Bananenschubser, düse mit dem Gabelstapler durch die Hallen und ende als Onkel Dagobert. Kann mir mal jemand erzählen, warum ein Profiteur der Gentrifizierung einer Ini beitritt, welche die Gentrifizierung bekämpft? Oder darf man solche einfachen Fragen nicht mehr stellen?« Ein Blick zu Dornröschen, fast ängstlich.

»Tja«, sagte Matti und guckte zu Dornröschen.

Karla hörte zu und sagte kein bisschen. Um das Schweigen zu brechen, fragte sie dann doch: »Was zu trinken?« Sie erhob sich halb vom Stuhl, verharrte und sank wieder hinab.

Dornröschen kratzte sich an der Backe und gähnte.

Immerhin eine normale Lebensäußerung, dachte Matti. Sie gähnt noch.

»Wir treffen uns nachher im Las Primas«, sagte Dornröschen plötzlich, stand auf und ging.

Matti und Twiggy glotzten ihr nach, Karla saß wie erstarrt auf ihrem Stuhl.

Nach einer Weile bildete sich Matti ein, die Fassung wiedergewonnen zu haben. »Warum warst du dagegen, mit dem Drohbrief zu den Bullen zu gehen? Udo war dafür, oder?«

Karla nickte. »Vielleicht hatte er recht, jetzt, wo Rosi tot ist.«

»Du hast den Brief nicht ernst genommen?«

»Kein bisschen«, sagte Karla. »Wenn ich jede Drohung ernst nehmen würde, dann hätte ich was zu tun. Ihr wisst doch, was die guten Bürger einem so an den Kopf werfen. Beim Hitler wär das nicht möglich. Ihr gehört doch vergast. Haut ab, wenn’s euch nicht passt. Rückentwickeln und abtreiben sollte man dich. Dir fehlt doch nur einer, der dich mal richtig durchfickt …«

»Klar«, sagte Matti. »Und früher wollten sie uns in den Osten schicken oder an die Wand stellen.«

»Warum schließt du aus, dass Udo spitzelt?«, fragte Twiggy.

Karla zog die Brauen hoch und ließ ihren Mund ein umgedrehtes U formen. »Tja.«

»Und?«, drängte Matti.

»Das sagt mir mein … Gefühl.«

»Ach, du lieber Himmel!«, entfuhr es Matti.

Karla schrak zusammen.

»Da wurde jemand ermordet, eine Genossin, und du redest hier nur Quark«, schnauzte Matti. »Ein bisschen hier, ein bisschen da. Hast du noch alle beisammen?«

Karla bekam nasse Augen. »Ich wollte …«

»Es ist mir scheißegal, was du wolltest. Du sollst uns sagen, was du weißt. Und deine Scheißgefühle kannst du in die Tonne hauen, kapiert?«

Mit tränigen Augen starrte sie ihn an. »Udo ist ein feiner Kerl, damit du es weißt, du Holzklotz.«

Twiggy schlug die Hände an die Stirn. »Was bin ich blöd. Unsere Karla ist verliebt in das Arschloch. Man glaubt es nicht. Dein Gefühl …« Er fing an zu lachen. »Warst du mal bei Bananen-Udo zu Hause? Hattest du schon die Ehre?«

Karla heulte auf und schüttelte den Kopf.

»Du solltest dir die Bude ganz schnell anschauen. Dann weißt du, wie einer wohnt, der da lebt, wo sie die Leute verjagt haben, die sich so eine Absteige nicht leisten können. So bescheuert kann man doch gar nicht sein!« Er starrte sie an, als wäre sie ein Alien.

Karla schüttelte den Kopf und hörte nicht mehr auf. Sie presste die Hände gegen die Ohren, aber das half auch nicht. Matti und Twiggy wechselten einen ratlosen Blick und warteten, bis Karla aufhörte oder ihr Kopf über den Teppich rollte.

»Was kann ich tun?«, fragte Karla plötzlich. Matti erschrak, er hatte gerade an Dornröschen gedacht und ihren rätselhaften Abgang. »Kann ich helfen? Wenigstens ein bisschen?«

Twiggys Augen rollten, und Matti verstand, dass der Freund beim nächsten Bisschen Karla die Kehle durchbeißen würde, wenigstens ein bisschen.

»Mag Udo dich?«, fragte Matti.

»Weiß nicht. Vielleicht ein bisschen«, stammelte Karla und überlebte erstaunlicherweise.

»Vielleicht könntest du das herausfinden, und zwar schnell.«

Karla blickte Matti misstrauisch an.

»Und dann seine Bude durchsuchen«, sagte Matti.

Karla erbleichte.

»Sag bloß, du findest das schlimm.«

»Ja, ein bisschen«, sagte Karla.

Sie stiegen die Treppen hinunter und standen einen Augenblick neben dem Eingang des Drogeriemarkts. »Findest du das richtig?«, fragte Twiggy.

»Nein«, sagte Matti. »Fällt dir was Besseres ein?«

Twiggy marschierte los, Matti folgte ihm und holte ihn ein. »Das ist alles Mist«, knurrte Twiggy. »Jedenfalls ein bisschen.« Sie schwiegen bis zur Böckhstraße.

Im Gräfekiez stauten sich die Touris unter Sonne und blauem Himmel. Kein Windhauch kühlte die Hitze. Rucksäcke, Kameras, Cargohosen, bedruckte T-Shirts, Pärchen, Englisch, Französisch, Spanisch, Japanisch, Koreanisch, Italienisch, Portugiesisch, das Casalore überfüllt. Auf der Admiralbrücke, wo die Umrisszeichnung von Rosis Leiche noch sichtbar war, saßen junge Leute auf den Pollern wie Vögel auf Pfählen und waren fröhlich. Am Steingeländer lehnten welche, die sangen und Gitarre spielten. Eine langgliedrige Frau lag darauf und sonnte sich schwarzhaarig, schön, fernab der Welt, als gäbe es nichts außer Liegen, Sitzen, Musizieren, Trinken, Lachen. Irgendwer, dachte Matti, irgendwer muss das Bier gebraut haben, das hier fast jeder in einer Flasche mit sich herumtrug, als hätte eine geheime Macht es befohlen. Irgendwer muss die T-Shirts und Taschen genäht haben, die Hosen und Turnschuhe von AdidasPumaNike, die Baseballkappen mit den blödsinnigen Aufdrucken. Arbeitssklaven, die sich halb und manchmal ganz tot schufteten in stickigen, dreckigen, kalten, heißen Fabrikhallen in Indien, China und Indonesien. Im Hades hetzten sich die Malocher zu Tode für das Tingeltangel in der Oberwelt, veredelt durch die Gütesiegel und Markenzeichen für die Absatzmärkte in Europa, Japan und den USA, wo schöne Menschen arglos zeigten, was die Elenden mit Blut, Schweiß und Tränen geschleppt, gepresst, verschraubt und gelötet hatten. Menschen, die Matti in ihrer Buntheit doch alle gleich schienen, wenn man ihr Gewimmel nur aus ein paar Metern Entfernung betrachtete.

Sie tranken einen Kaffee an der Straße, Matti mühte sich, den Trubel zu übersehen, der zum Maybachufer strömte, vorbei am Urban-Krankenhaus und dem verrotteten Ausflugsschiff. Und mittendrin Rosis Leiche.

»Sollen wir jetzt alle abklappern?«, fragte Twiggy.

»Puh!«

»Dornröschen wird genau das verlangen«, sagte Twiggy.

»Was die will, weiß ich schon lange nicht mehr.«

Sie schwiegen. Spatzen stritten sich um Krümel, ein Muskelpaket mit strohgelbem Kurzhaarschnitt auf einem Rennrad begann in einem Müllbehälter zu wühlen, der an einem Laternenmast befestigt war. Matti sah ihm zu und überlegte, warum das Bild nicht passte. Das war ungefähr so, als würde ein Mann im Frack hausieren gehen. Eine Gruppe von Musikern näherte sich, Akkordeon, Geige, Gitarre, Tamburin, und spielte spanische Gassenhauer. Sie waren unerträglich laut, als wollten sie sich fürs Aufhören bezahlen lassen. Tatsächlich ging bald ein Mädchen mit einer Mütze herum, tippte Twiggy auf den Oberarm, bis der wegguckte. Dann tat es traurig und zog weiter.

»So komisch war sie noch nie«, sagte Twiggy.

Sie bestellten zwei weitere Kaffee bei einer kleinen Frau mit kurzen grün glänzenden Haaren.

Im Las Primas war es heiß. Dornröschen erwartete die beiden schon, was aber nicht bedeutete, dass die Begrüßung herzlich ausfiel. Sie war im Kopf immer noch woanders, und weder Matti noch Twiggy traute sich, sie zu fragen, wo sie sei. Ein falsches Wort, Dornröschen würde aufstehen und gehen.

»Spitzel ja, einen Haufen sonstiger Schweinereien ja, aber dass ein international arbeitender Immokonzern Leute umbringen lässt, das glaube ich nicht. Die würden sich selbst ins Knie schießen«, sagte Dornröschen, nachdem Matti zusammengefasst hatte, was sie wussten oder sich zumindest einbildeten zu wissen.

»Und deswegen ist es dir gleichgültig, was wir herausgefunden haben? Weil du das nicht glauben willst?« Matti starrte sie an, aber Dornröschen reagierte nicht darauf.

Elisabeth lächelte und nahm die Bestellungen entgegen, das Gleiche wie beim letzten Mal. Zwei San Miguel hatte sie mitgebracht.

»Wir kommen so nicht weiter«, sagte Matti.

»Ein wahres Wort«, flüsterte Dornröschen und gähnte. »Ein wahres Wort.« Dann verfiel sie wieder in Schweigen.

Ein Impuls drängte Matti, aufzustehen und das Lokal zu verlassen. Draußen wartete die Nachtschicht, und er empfand die Aussicht, alle Besoffenen Berlins aufzusammeln, erheblich heiterer, als am Tisch sitzen zu bleiben.

Matti trank, Twiggy trank, und Dornröschen blickte durch alles hindurch.

»Redest du noch mit uns?«, fragte Twiggy vorsichtig. Aber Dornröschen hörte es nicht.

»Ein besseres Motiv haben wir aber nicht«, sagte Matti. »Rosi hatte was über Kolding, und Kolding hatte was gegen Rosi. Und wenn das, was sie hatte, dem Konzern die Existenz hätte kosten können? Kolding schmiert einen Baufritzen vom Senat, und der Ober-Kolding hängt mit drin?«

»Wir müssen die Ini-Leute weiter abklappern«, sagte Dornröschen. »Wenn wir einen Hinweis finden, dann nur dort.« Sie blickte erst Matti an, dann Twiggy. »Oder glaubt ihr, wir könnten bei den Koldings reinmarschieren und erklären, dass sie eine Mörderbande sind?« Sie schaute beide an. »Habt ihr eine bessere Idee?«

Klaus wohnte in der Müllenhoffstraße, zweiter Stock, neben dem Geburtshaus Kreuzberg. Die Straße war ruhig, grün, die Fassaden sauber und die Autos typisch für die neue Mittelschicht, unauffällig, hochwertig, praktisch. Das Wohnzimmerfenster stand offen, und von draußen drang mit einer warmen Brise gedämpftes Kindergeschrei und Reifengeklapper auf dem Kopfsteinpflaster herein, als ein Diesel die Straße hinunterrollte.

Twiggy und Matti saßen auf einem schwarzen Ledersofa, Klaus hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, dem man ansah, dass ein Designer lebenslang darüber gesonnen hatte, wie zu verhindern sei, dass auch nur die winzigste Pofalte gequetscht werden könnte. Ein breites Lächeln machte sein Gesicht noch breiter, und die kleinen Augen lächelten auch. An der Wand hing ein Foto der Jerusalemer Altstadt, auf der Kommode darunter stand ein siebenarmiger Leuchter.

»Rosi, ja, ja«, sagte Klaus und war sehr traurig. Matti schien es, dass Klaus’ Gesicht wie auf einen Klick umschalten konnte auf eine neue Miene. Von der Freundlichkeit in ihrer puren Gestalt auf eine Trauer, die trauriger nicht sein konnte. Matti fürchtete sich, Klaus begeistert zu erleben. Aber die Gefahr war eher gering.

»Ihr übernehmt euch nicht vielleicht?«, fragte Klaus.

Dornröschen blickte ihn an, antwortete aber nicht. Matti sah gleich, dass sie Klaus nicht mochte. Der kratzte sich an seinem Kinnbart. Matti mochte ihn auch nicht. Klaus war ihm zu jovial, ein wenig von oben herab, was er hinter einer aufdringlichen Burschikosität verbarg. Manchmal weiß man nach einer Sekunde, mit wem man es zu tun hat.

»Ihr untersucht tatsächlich den Mord an Rosi?«, lächelte Klaus.

»Rosi war eine Freundin und Genossin«, sagte Matti.

»Aber die Polizei ist zuständig für Mord«, widersprach Klaus und lächelte.

»Wir trauen den Bullen nicht«, warf Twiggy ein.

Klaus hob die Brauen und lächelte. »Stimmt schon, es hat immer wieder Rechtsverletzungen gegeben bei der Polizei.« Jetzt guckte er äußerst betrübt. »Aber das ist doch nicht die Regel.« Das Lächeln wurde angeknipst.

Twiggy bohrte in der Nase. Klaus verfolgte es, ließ seine Miene wechseln zwischen Verdruss und Verständnis, entschied sich aber fürs Ignorieren.

»Was hältst du von Bananen-Udo?«, fragte Matti.

»Hm«, sagte Klaus und ließ sein Gesicht nachdenklich sein. »Ist ganz okay, ein bisschen … draufgängerisch vielleicht … Ich bin ja so von der … gemütlichen Sorte.«

Twiggy beäugte den Popel und schnalzte ihn in den Raum. Klaus verfolgte den Exkrementknödel auf seiner ballistischen Bahn und speicherte offenbar die Landezone. Er nickte sanft und lächelte wieder.

»Rosi wurde ermordet, weil sie was über die Koldings herausgefunden hatte«, sagte Matti und warf Dornröschen einen Blick zu.

»Du meinst, Kolding hat Rosi umbringen lassen?«, fragte Klaus, und der Ton in seiner Stimme sagte: Das ist wieder so eine Verschwörungstheorie, typisch für ultralinke Spinner, die es immer noch nicht gecheckt haben.

»Kann doch sein«, sagte Twiggy.

Dornröschen starrte durch die Wand nach draußen.

An der Wand hing ein Stich vom alten Neukölln.

»Ich denke, dass Udo ein Spitzel ist und Rosi an die Koldings verpfiffen hat«, sagte Twiggy.

Dornröschen warf ihm einen kurzen Blick zu und fuhr fort, die Wand zu durchbohren.

Klaus schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht.«

»Und die Sache mit dem Protokoll?«, fragte Matti.

Klaus grinste und schaltete auf jovial um. »Ach, der nimmt das alles so wichtig. Wenn es wirklich ernst wird, läuft sowieso kein Band oder wie das heißt mit. Und die Aufnahmen werden vernichtet, die Protokolle sind … bearbeitet. Er schreibt seine Diss über uns, das hat doch was.«

»Was denn?«, fragte Matti.

»Na, Udo hat gute Pressekontakte …«

»Sagt er?«

»Und wenn man in den Zeitungen oder im Fernsehen ist, kann man was durchsetzen.« Klaus guckte wichtig.

»Ach, du lieber Schreck«, entfuhr es Twiggy.

»Wir leben in einer Mediengesellschaft. Wenn man ein Interesse durchsetzen will, muss man in die Medien. Man hat keine Wahl«, hängte Klaus bedauernd an.

Fast hätte Matti Weinen gespielt, aber er beherrschte sich. »Bei diesem Auftritt von den Kolding-Leuten warst du dabei?«

Klaus nickte, und das sah so aus, als könnte nichts Wichtiges in seiner Abwesenheit geschehen. »Smarte Typen«, sagte er. »Hören zu, sind kompromissbereit, wenn auch noch nicht so weit, wie es sein müsste, aber das kriegen wir hin. Der Mord an Rosi …«

»Ist doch hilfreich, oder?«, fragte Matti.

Klaus’ Augen flatterten ein paar Sekunden, dann schüttelte er energisch den Kopf. »Ich bin Realist. Der Mord an Rosi drängt die Kolding-Leute ganz schön in die Enge. Ihr versteht, was ich meine?«

»Natürlich«, sagte Matti und versuchte nicht zu platzen vor Verständnis. »Du glaubst, der Mord hat denen geschadet.«

»Was denn sonst? Das ist doch klar, wenn einer … Aktivistin was passiert, ist deren Gegner schuld. So denken die Leute. Auch in der Konzernzentrale.«

»Und wer war es?«, fragte Twiggy mühsam beherrscht.

»Das wird die Polizei herausfinden. In Deutschland werden fast alle Morde aufgeklärt, warum nicht dieser?«

»Ich kenne da wenigstens zwei in letzter Zeit, die haben nicht die Bullen aufgeklärt, ganz im Gegenteil«, sagte Dornröschen. Ihre Stimme war kalt wie Eis.

»Hast du keine Idee, wer Rosi umgebracht hat?«, fragte Twiggy.

Klaus schaltete auf Grübelmiene um, die Falten furchten tief an der Nasenwurzel. Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht eine Privatgeschichte? Verschmähter Liebhaber? Vielleicht ein Irrtum, eine Art Unfall? Einer ist durchgedreht? Einer wollte was von ihr, sie hat ihn abgewiesen? Es gibt so viele Möglichkeiten, warum versteift ihr euch auf die Kolding-Leute. Ich sag doch, so blöd können die gar nicht sein. Und die sind nicht blöd. Ihr hättet die Jungs mal erleben sollen. Echt.«

Matti fühlte sich, als würde eine Serie kleiner Krämpfe durch seinen Körper wandern. »Das heißt, du hast nicht mal nachgedacht, wer es getan haben könnte?«

»Doch, aber es gibt so viele Möglichkeiten. Und ich hab nicht die Absicht, mein Weltbild zum Leitbild einer Tätersuche zu machen. Davon abgesehen, dass es nicht meine Aufgabe …« Er winkte ab.

Matti beherrschte sich. »Was hast du denn von Rosi gehalten?«

Klaus lächelte verständnisvoll und sah nachdenklich aus. »Tierisch engagiert, aber … sagen wir mal überschäumend. Lag vielleicht am Alter. Mangel an Erfahrung fördert Radikalität. Ein bisschen naiv. Musste gebremst werden. Aber sie hätte sich bestimmt … entwickelt. Sehr intelligent, wirklich. Und als Typ … durchaus attraktiv, wenn man darauf steht. Wenn ihr kapiert, was ich meine. Also, je mehr ich darüber rätsele, desto wahrscheinlicher scheint mir eine Beziehungstat. Dafür spricht auch die Uhrzeit. Die Bullen werden bestimmt ihr Umfeld abklappern … Hatte sie einen Freund?«

Gute Frage, dachte Matti. Er würde Post-Rudi fragen müssen, der hatte doch einen guten Draht zu Rosi gehabt, früher jedenfalls. Und überhaupt, mussten sie nicht klären, was Rosi in den letzten Stunden vor ihrem Tod getan hatte? Wen hatte sie getroffen, mit wem hatte sie telefoniert? Matti hasste es, aber Klaus hatte recht. Sie waren als Kriminalisten nicht mal Kreisklasse. Aber das würde er gegenüber Klaus nie eingestehen. Dieser Fatzke.

»Und wer hat den Drohbrief geschrieben?«, fragte Twiggy.

»Woher soll ich das wissen? Ihr glaubt natürlich, die Kolding-Leute.« Klaus lächelte so verständnisvoll, dass Matti ihm am liebsten eine runtergehauen hätte. »Aber Profis tun so was nicht. Und das sind Profis.« Er lächelte, wie man jemanden anlächelt, der einen trotz aller Mühe sowieso nicht versteht.

»Hatte Rosi Feinde?«, fragte Matti.

Dornröschen starrte und starrte.

»Nicht dass ich wüsste.« Er lachte kurz auf. »Also, ich war keiner.« Er lächelte wieder so verständnisvoll, dass es Matti in der Hand juckte. »In der Gruppe jedenfalls nicht.«

»Wie haben sich Bananen-Udo und Rosi verstanden?«, fragte Twiggy.

»War okay.« Er blickte Dornröschen an. »Du sagst ja gar nichts. Ich hab mich auf dieses Detektivspiel nur eingelassen, weil es hieß, dass du das willst. Die beiden anderen« – er lehnte sich zurück –, »die hätte ich nicht reingelassen.« Ein freches Grinsen.

Der Typ hatte Oberwasser, das ärgerte Matti, und ihm kam der Gedanke, dass sie zwar den richtigen Typen in die Mangel nehmen wollten, ihn aber nicht zu fassen bekamen.

Dornröschen gähnte.

»Noch mal zu Udo«, sagte Matti. »Könnte doch sein, der hat den Kolding-Leuten gesteckt, dass Rosi was rausgefunden hat.«

»Könnte sein, könnte nicht sein. Ihr stochert im Nebel.« Er lächelte verständnisvoll.

»Wir stochern im Nebel«, sagte Dornröschen, und alle erschraken. »Das ist immer so, wenn man was herausfinden will. Am Anfang stochert man, bis man was entdeckt, und dann folgt man der Spur. Das ist eine wissenschaftliche Methode, das Stochern.« Sie blickte Klaus an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Oder sag ich was Falsches?« Ihre Stimme klang ruhig, aber es war ein bedrohlicher Ton in ihr.

Klaus kratzte sich etwas zu lang am Kinn. Seine Augen wanderten im Raum umher.

Sie fixierte ihn. »Weißt du immer schon im Voraus alles? Musst du nicht suchen, wenn du was finden willst?«

Klaus wurde blass. »Nein, nein, natürlich …«

»Warum hilfst du uns nicht bei unserer Suche?«, fragte sie fast tonlos. »Wenn du die Bullen so magst, dann kannst du doch auch uns helfen, was spricht dagegen? Warum führst du hier so eine Angebernummer auf? Warum bist du überhaupt in dieser Ini, hast du doch gar nicht nötig, diese Leute sind doch Naivlinge wie Rosi? Lass uns über dich sprechen. Wo kommst du her?«

Klaus schaute sie erstaunt an. »Aus Bielefeld. Da wurde ich geboren.«

»Weiter«, sagte Dornröschen.

»Schule in Bielefeld, Uni in Bielefeld, Theologe, aber kein Pfarrer geworden, dann in der Landeskirche …«

»Weiter.«

»Dann nach Berlin, Verwaltung der Landeskirche …«

»Weiter.«

»Nichts weiter.«

»Doch: Eintritt in die Anti-Aufwertungs-Ini.«

»Ja, aber das weißt du doch.«

»Warum?«

»Weil die Leute vertrieben werden.«

»Ganz altruistisch, da bist du wie Bananen-Udo. Der ist auch Vater Teresus.«

»Ich setz mich nun mal …«

»Bist du schwul?«

»Äh, nein.«

»Hast du ’ne Freundin?«

»Nein.«

»Bist du noch in anderen Inis oder so was?«

Er blickte sie verblüfft an.

»Bist du’s?«

»In der Schillerkiez-Ini«, sagte Klaus resignierend.

»Noch was?«

Er schüttelte den Kopf.

»Und warum bist in Inis, obwohl du gar kein Betroffener bist?«

»Aus Solidarität«, sagte Klaus ernst.

Dornröschen fing an zu lachen. Während die anderen sich verwundert anglotzten, lachte sie immer lauter. Tränen traten in ihre Augen. Sie hörte schlagartig auf. »Hei, ist das komisch.« Die anderen guckten sie erwartungsvoll an, Klaus eher ängstlich, aber sie sagte nichts.

»Warum bist du auch noch in der Schillerkiez-Ini?«, fragte Twiggy, dem das Erstaunen anzuhören war.

Klaus war es eng geworden in seinem Körper. »Ich finde diese … ein furchtbares Wort … Gentrifizierung eben säuisch ungerecht. Die ganze Stadt wird umgewälzt, ein Kiez nach dem anderen, mit dem Prenzelberg hat es angefangen, dann Kreuzberg. Überall machen sich diese Leute breit, von denen früher viele selbst revoltiert haben, und wer nicht zahlen kann für die modernisierten, renovierten, aufgewerteten, wie es so schön heißt, also teureren Wohnungen, der kann gehen. Ich finde das unethisch.«

»Du bist also Gerechtigkeitsfanatiker«, sagte Matti trocken.

Klaus guckte ihn schräg an und nickte vorsichtig. »Kann man so sagen.«

»Warst du vorher in Inis?«, fragte Twiggy.

Klaus schüttelte seinen Kopf noch vorsichtiger.

»Wenn du so für die Gerechtigkeit bist, warum bist du dann nicht Mitglied in weiteren Gruppen, Dritte Welt, Anti-Atomkraft, Anti-Militarisierung, Antifa und so weiter und so fort?«

Klaus zögerte ein paar Sekunden. »Man kann ja nicht alles …«

»Red keinen Quatsch«, donnerte Twiggy.

Klaus zuckte zusammen, aber als er sich erholt hatte, erhob er sich, stellte sich auf und erklärte: »Raus. In meiner Wohnung schreit mich keiner an! Raus!« Er zeigte mit dem Finger zur Wohnungstür.

Twiggy schaute zu Matti und Dornröschen.

Dornröschen gähnte, grinste kurz, ließ das Grinsen verschwinden, als wäre es nie da gewesen und sagte leise, sodass die anderen zuhören mussten: »Du warst scharf auf Rosi und hast sie nicht gekriegt. Das hat dich wütend gemacht, stimmt’s?«

Klaus blickte auf sie herab, den Zeigefinger auf die Wohnungstür gerichtet, und schluckte.

»Und du gehst in die Schillerkiez-Ini nur, um mehr Fakten und Argumente aufzulesen, mit denen du Rosi beeindrucken konntest.«

Klaus schluckte.

»Wann hast du Rosi zum ersten Mal gesehen?«, fragte Dornröschen.

Klaus schluckte.

»Wann hast du Rosi zum ersten Mal gesehen?«, schnauzte Twiggy.

»Äh, auf dem Zickenplatz?«

»Wann?«

»Vor … zwei Jahren. Vielleicht.«

»Bei welcher Gelegenheit?«

»Sie hat Flugblätter verteilt, wir sind ins Gespräch gekommen …«

»Und dann bist du zur Gruppe gestoßen, um Rosi anzubaggern«, sagte Matti.

Klaus schluckte.

»Aber Rosi wollte nicht«, sagte Twiggy.

Klaus ließ den Arm sinken, der Finger zeigte auf Mattis Schuhe. Er zuckte mit den Achseln, zertrat eine unsichtbare Fliege und setzte sich mit einem Seufzen.

»Vielleicht warst du es ja?«, sagte Matti. »Du hast sie bedrängt, sie wollte nicht, du wurdest zornig, sie hat dich beschimpft, du fühltest dich provoziert, du wolltest sie gar nicht töten, nur ihr eine reinhauen, die Hand ist ausgerutscht, wie das so passiert …«

»Du bist irre«, sagte Klaus erschöpft.

»Warst du scharf auf sie?«, fragte Twiggy.

»Ich hab sie gemocht.«

»Wolltest du mit ihr ins Bett?«

Klaus antwortete nicht.

»Wolltest du mit ihr ins Bett?« Twiggy wurde wieder laut.

»Na und?«

»Man nennt das eine Beziehungstat«, sagte Matti. »Weil du doch die Bullen so verehrst.«

»Ich habe ihr nichts getan.«

»Vielleicht hast du ja für die Koldings gespitzelt, weil du dich an ihr rächen wolltest?«

»Irre, echt irre«, sagte Klaus.

»Wir halten fest: Du warst scharf auf Rosi, Rosi wollte dich nicht, das hat dich sauer gemacht, und dann hast du ihr eine verpasst. Entweder als Spitzel oder als Mörder. Das Leben ist doch vielfältig«, sagte Matti und grinste breit.

»Ich habe gar nichts gemacht«, sagte Klaus. »Ich habe nicht gespitzelt, und ich habe Rosi nicht angefasst.«

»Und was haben wir nun?«, fragte Twiggy. Er kraulte Robbi hinterm Ohr, dann prüfte er Haar für Haar dessen Fell, verzog die Miene und beäugte das Haarknäuel zwischen seinen Fingern.

Ja, was hatten sie?, fragte sich Matti.

Dornröschen kaute auf Luft, Twiggy starrte die Bierflasche an, und Matti merkte nebenbei, dass die Spüle überhäuft war mit schmutzigem Geschirr. Es klappte nichts mehr.

»Und wenn wir auf dem Holzweg sind?«, fragte Matti.

Schweigen. Robbi kringelte sich auf Twiggys Schoß und sagte auch nichts. Twiggy trank seine Flasche leer, deutete auf Matti, dann auf Robbi und schließlich auf den Kühlschrank. Wie ein Roboter setzte sich Matti in Bewegung und holte Bier aus dem Kühlschrank, auch eine Flasche für sich. Dornröschen begann in ihrem Tee zu rühren.

»Welche Spur gibt es noch?«, fragte Twiggy, und als keiner antwortete, sagte er bockig: »Na also.« Er trank einen kräftigen Schluck. »Wenn wir keine andere Spur haben, müssen wir der weiter folgen, die wir haben. Logisch?«

Matti nickte trübsinnig.

»Das ist alles Quatsch«, sagte Dornröschen. »Dieser Klaus hat recht«, und Matti sah ihr an, wie ungern sie ihm recht gab. »Kolding ist ein internationaler Konzern. Solche Typen bringen vielleicht Leute in Nigeria um, aber nicht in Berlin. Die Vorstellung, dass der große Boss befiehlt, die kleine Rosi muss dran glauben, weil sie in meiner Stadtteilzeitung mit gerade fünftausend Auflage was rausposaunen will … nee«, sagte sie, »so blöd kann man gar nicht sein.«

»Und wenn ein … Abteilungsleiter oder die, die Rosi hochgehen lassen wollte …?«, fragte Twiggy.

»Was ist eigentlich mit dem Senatstyp?«, fragte Matti. »Den haben wir uns noch gar nicht angeguckt.«

»Welcher Senatstyp?«, fragte Twiggy.

»Rosi hat doch herausgefunden, dass einer aus dem Senat und einer vom Bezirk Fhain-Kreuzberg in eine Bestechung verwickelt ist. Wenn einer von denen weiß, dass Rosi ihn auffliegen lassen wollte … Ein besseres Mordmotiv gibt es nicht.«

Dornröschen nickte.

Gott sei Dank, dachte Matti. Vielleicht landet sie gerade wieder auf der Erde.

»Was heißt, wir müssen rauskriegen, wen Rosi auffliegen lassen wollte«, sagte Matti. »Und wer den bestochen hat.«

»Nichts einfacher als das«, stöhnte Dornröschen.

»Wann wollte sie den Artikel denn abliefern?«, fragte Matti.

»Bald, sie wollte nur noch etwas klären. Was, weiß ich nicht.« Dornröschen gähnte, hielt schlagartig inne und blickte zu Matti. »Wir haben ihren PC nicht durchsucht«, sagte sie.

»Ich habe da keinen gesehen«, erwiderte Matti.

»So ein Mist«, stöhnte Twiggy.

Dornröschen grinste und fing an zu lachen. »Was sind wir nur für blinde Hühner! Das ist ja schon wieder lustig.«

»Wenn da kein PC war, dann haben den die Bullen mitgenommen«, sagte Matti.

»Wenn du einen heißen Artikel geschrieben hättest, dann würdest du doch eine Kopie an einem sicheren Ort hinterlegen. Oder?«, fragte Twiggy. »Und wo würde Rosi die hinterlegen?«

»Bei Post-Rudi«, sagte Dornröschen. »Wo denn sonst?«