DEMOKRATISCHE VOLKSREPUBLIK LAOS, MÄRZ
1977
Das Hammer-und-Sichel-Neon über dem Nachtclub
des Lane Xang Hotels summte und sprang flackernd an. Jenseits des
Mekong war die Sonne blassrot und bleischwer in Thailand versunken,
und die Hotelkellnerinnen entzündeten die kleinen Laternen, die den
schlichten himmelblauen Saal in eine geheimnisvolle Höhle
verwandelten.
Binnen Stundenfrist würde eine große
vietnamesische Delegation hier das Unterhaltungsprogramm des
Politbüros der Laotischen Revolutionären Volkspartei über sich
ergehen lassen müssen. Die Abgesandten würden arme, pelzbemützte
Bauernjungen zu sehen bekommen, die tollpatschig russische
Kosakentänze zur Aufführung brachten. Sie würden mittels langer
Strohhalme halbvergorenen Reiswhisky aus riesigen Bottichen
schlürfen, bis sie kaum noch stehen konnten. Und schließlich würden
sie zu peinlichen Tanzeinlagen mit stämmigen jungen Damen genötigt
werden, die nicht nur knöchellange Röcke, sondern auch fingerdickes
Make-up trugen.
Falls sie diese Lustbarkeiten wohlbehalten
überstanden hatten, durften sie sich zur Ruhe betten. Tags darauf
dann würden sie, mit mächtigem Brummschädel, ihren Namen unter
Dokumente setzen, die den Grundstein für den neuen
laotisch-vietnamesischen Freundschaftsvertrag legten, und sich
hernach an kaum etwas erinnern.
Aber noch war es nicht so weit. Die unterbesetzte
Nachtschicht des Hotels hatte die unterbesetzte Tagschicht
abgelöst. Die schwitzende Empfangschefin bügelte in dem verglasten
Kabuff hinter der Rezeption ein Hemd. Das Zimmermädchen brachte
einem kranken Gast im dritten Stock eine Schüssel Reisbrei.
Hinter dem Haus verschloss ein alter Wachmann in
einer Jacke, die so groß war, dass sie ihm bis zu den Knien
reichte, das Tor zur Setthathirat Road. Nachts hielt das Tor
streunende Hunde und den einen oder anderen Touristen fern, der im
Garten vor den glühend heißen Nächten Schutz und Zuflucht suchte.
Die zweieinhalb Meter hohe Mauer, die das Anwesen umgab, ließ es
bedeutender erscheinen, als es tatsächlich war.
Im schmuddeligen Swimmingpool trieb Laub. Blumen
standen säuberlich in Reih und Glied in den Rabatten; sie bekamen
mehr Wasser als die Leute draußen an der Straße. Und dann waren da
noch die Käfige. Sie waren aus massivem Beton und so niedrig, dass
ein Erwachsener sich bücken musste, um hineinzusehen. Zwei von
ihnen standen leer. Sie beherbergten nur mehr die Geister der
Tiere, die einst hier eingesessen hatten: ein Affe, gefolgt von
einem Hirschen, ein wilder Hund, beerbt von einem Pfau.
Doch im harschen Schatten des dritten Käfigs
schnaufte etwas. Es bewegte sich nur selten, und wenn, dann
höchstens, um sich träge die trockene Haut zu kratzen. Der
namenlose Kragenbär wurde wie die Bougainvilleen mit dem
Gartenschlauch abgespritzt und bekam von Zeit zu Zeit ein paar
Küchenabfälle hingeworfen. Sein Fell war glanzlos und fleckig, wie
der Teppich in einem viel begangenen Flur.
Allein Buddha wusste, wie das Tier in seinem winzigen Gefängnis so
lange hatte überleben können; doch Buddha stand in der
sozialistischen Republik seit fünfzehn Monaten in Acht und
Bann.
Am frühen Abend und am Wochenende drängten sich
die Leute vor dem Käfig und glotzten. Der Bär glotzte zurück,
obwohl seine glasigen, blutunterlaufenen Augen die schadenfrohen
Gesichter schon lange nicht mehr richtig erkennen konnten. Kinder
lachten und zeigten mit dem Finger. Heldenhafte Väter stießen
Stöcke durch die Stäbe, aber das schien den Kragenbär nicht im
Mindesten zu stören.
Am nächsten Tag gab man natürlich dem alten
Wachmann die Schuld. »Zu viel Reiswhisky«, hieß es. »Schlamperei.«
Der Wachmann stritt selbstredend alles ab. Er schwor Stein und
Bein, die Käfigtür wieder verschlossen zu haben. Er habe die Reste
des Festessens zu Ehren der Vietnamesen in die Futterschüssel des
Tieres geworfen und den Käfig dann verriegelt. Da sei er sich
hundertprozentig sicher. Als er gegen vier Uhr seine Runde gemacht
habe, sei das Tier jedenfalls noch da gewesen. Er habe nicht die
leiseste Ahnung, wie es habe entwischen können und wohin es
verschwunden sei. Trotzdem wurde er gefeuert.
Nach einer überstürzten Durchsuchung des Geländes
und der Gebäude erklärte der Geschäftsführer seinen Angestellten,
das Hotel sei sicher und die Sache nunmehr Angelegenheit der
Polizei. Im Übrigen halte er es für das Beste, den Gästen die
geglückte Flucht des Bären zu verheimlichen. Für ihn war der Fall
damit erledigt.
Für Vientiane hingegen fing er gerade erst
an.